Hellsehen und Datei:GA320 147.gif: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Odyssee
 
(Odyssee lud Datei:GA320 147.gif hoch)
Markierung: Serverseitig hochgeladene Datei
 
Zeile 1: Zeile 1:
[[Datei:Steiner-reitman-1915.jpg|mini|[[Rudolf Steiner]]]]
Zeichnung aus [[GA 320]], S. 147
 
'''Hellsehen''' ([[Französische Sprache|frz.]] ''Clairvoyance'') bezeichnet ganz allgemein die Fähigkeit zur nicht-sinnlichen [[Wahrnehmung]], d.h. zur '''Geistesschau''' im weitesten Sinn. Menschen, die diese Fähigkeit besitzen, werden '''Hellseher''' - oder kurz '''Seher''' - genannt. Das Hellsehen in dem von [[Rudolf Steiner]] gemeinten Sinn richtet sich auf die Wahrnehmung der höheren [[Geistige Welt|übersinnlichen Welten]]. Die hellseherische Fähigkeit ist um so höher und reiner entwickelt, je höhere Weltbereiche dadurch übersinnlich wahrgenommen werden können. Die [[außersinnliche Wahrnehmung]] hingegen, wie sie auch in der [[Parapsychologie]] untersucht wird, kann sich, wie das etwa bei [[Swedenborg]] der Fall war, auf gleichzeitig, aber weit entfernt stattfindende, aber auch auf vergangene oder künftige [[physisch]]e Ereignisse beziehen, wobei man in letzterem Fall von [[Präkognition]] spricht.
 
== Erkenntnistheoretische Grundlage ==
[[File:Johann gottlieb fichte.jpg|mini|[[Johann Gottlieb Fichte]]]]
[[Datei:Nb pinacoteca stieler friedrich wilhelm joseph von schelling.jpg|miniatur|[[Friedrich Wilhelm Schelling]], Gemälde von [[Wikipedia:Joseph Karl Stieler|Joseph Karl Stieler]], 1835]]
[[Datei:Goethe (Stieler 1828).jpg|miniatur|''Johann Wolfgang von Goethe,''<br />Idealisierendes Ölgemälde von [[Wikipedia:Joseph Karl Stieler|Joseph Karl Stieler]], 1828
[[Datei:Signature of Johann Wolfgang von Goethe.svg|rechts|rahmenlos|Signatur]]]]
[[Bild:Urpflanze.jpg|thumb|[[Rudolf Steiner]], [[Urpflanze]], Aquarell 1924]]
[[Datei:Pauli.jpg|miniatur|Wolfgang Pauli 1945]]
 
Ausgangspunkt des modernen [[Selbstbewusstsein|selbstbewussten]] Hellsehens ist für Steiner die [[Beobachtung des Denkens]], d.h. die [[intellektuelle Anschauung]] der eigenen [[Denktätigkeit]], durch die sich das [[Ich]] seiner selbst, ''unabhängig'' von der physischen Organisation, als ''rein'' [[geist]]ige [[Wesenheit]] bewusst wird. Steiner knüpft damit unmittelbar an die [[Philosophie]] des [[Deutscher Idealismus|deutschen Idealismus]] an, namentlich an [[Fichte]] und [[Schelling]]. Am 13. Januar 1881, 12 Uhr mitternachts, schrieb er diesbezüglich an seinen Jugendfreund ''Josef Köck'':
 
{{GZ|Es war die Nacht vom 10. auf den 11. Januar, in der ich
keinen Augenblick schlief. Ich hatte mich bis ½ 1 Uhr mitternachts
mit einzelnen philosophischen Problemen beschäftigt,
und da warf ich mich endlich auf mein Lager; mein
Bestreben war voriges Jahr, zu erforschen, ob es denn wahr
wäre, was Schelling sagt: «Uns allen wohnt ein geheimes,
wunderbares Vermögen bei, uns aus dem Wechsel der Zeit
in unser innerstes, von allem, was von außen hinzukam,
entkleidetes Selbst zurückzuziehen und da unter der Form
der Unwandelbarkeit das Ewige in uns anzuschauen.» Ich
glaubte und glaube nun noch, jenes innerste Vermögen ganz
klar an mir entdeckt zu haben - geahnt habe ich es ja schon
längst —; die ganze idealistische Philosophie steht nun in
einer wesentlich modifizierten Gestalt vor mir; was ist eine
schlaflose Nacht gegen solch einen Fund!|38|13}}
 
Eine weitere wichtige, anders geartete Grundlage für Steiner bildete [[Goethe]]s auf die ''[[sinnlich]]-[[übersinnlich]]e'' [[Anschauung]] der [[Natur]] gerichtete «[[Anschauende Urteilskraft]]», die diesen bis zum [[Erleben]] der [[Urpflanze]] geführt hatte. Sie ist das [[idee]]lle [[Urbild]], die [[begriff]]liche und zugleich anschauliche Urgestalt, aus der man sich alle [[Pflanzen]]arten durch Abwandlung hervorgegangen denken kann.
 
<div style="margin-left:20px">
"Die Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf von der Welt, um welches mich die Natur selbst beneiden soll. Mit diesem Modell und dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendliche erfinden, die konsequent sein müssen, das heißt, die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten und nicht etwa malerische oder dichterische Schatten und Scheine sind, sondern eine innerliche Wahrheit und Notwendigkeit haben. Dasselbe Gesetz wird sich auf alles übrige Lebendige anwenden lassen." {{Lit|Goethe Werke (WA), S. 203 und 204}}
</div>
 
Goethe geht von der sinnlichen Anschauung aus und endet bei der intellektuellen Anschauung, die sich ''mit'', ''aus'' und ''durch'' die sinnliche [[Wahrnehmung]] offenbart. Den unmittelbaren Sinneseindrücken widmete er seine volle Aufmerksamkeit; sein Denken entfernte sich niemals weit von der unmittelbaren Anschauung, ebenso wie sein Anschauen niemals gedankenlos war. Er schreibt dazu in seinem Aufsatz ''Bedeutende Förderung durch ein einziges geistreiches Wort'':
 
:"Herr Dr. Heinroth in seiner Anthropologie ... spricht von meinem Wesen und Wirken günstig, ja er bezeichnet meine Verfahrungsart als eine eigentümliche: daß nämlich mein Denkvermögen gegenständlich tätig sei, womit er aussprechen will, daß mein Denken sich von den Gegenständen nicht sondere, daß die Elemente der Gegenstände, die Anschauungen in dasselbe eingehen und von ihm auf das innigste durchdrungen werden, daß mein Anschauen selbst ein Denken, mein Denken ein Anschauen sei, welchem Verfahren genannter Freund seinen Beifall nicht versagen will." {{Lit|Goethes Werke, S 77}}
 
Goethe kannte nur eine Quelle der [[Erkenntnis]], die [[Erfahrung]]swelt, in der die [[objektiv]]e [[Ideenwelt]] mit eingeschlossen ist.
Die Urpflanze erschließt sich nicht dem [[diskursiv]]en, logisch ableitenden [[Denken]], sondern nur der unmittelbaren [[Intuition|intutiven]] [[Intellekt|intellektuellen]] [[Anschauung]]. Ein derartiges Vermögen hatte [[Immanuel Kant]] dem [[Mensch]]en abgesprochen. Dem widersprach Goethe energisch:
 
<div style="margin-left:20px">
"Als ich die Kantische Lehre, wo nicht zu durchdringen, doch möglichst zu nutzen suchte, wollte mir manchmal dünken, der köstliche Mann verfahre schalkhaft ironisch, in dem er bald das Erkenntnisvermögen aufs engste einzuschränken bemüht schien, bald über die Grenzen, die er selbst gezogen hatte, mit einem Seitenwink hinausdeutete. Er mochte freilich bemerkt haben, wie anmaßend und naseweis der Mensch verfährt, wenn er behaglich, mit wenigen Erfahrungen ausgerüstet, sogleich unbesonnen abspricht und voreilig etwas festzusetzen, eine Grille, die ihm durchs Gehirn läuft, den Gegenständen aufzuheben trachtet. Deswegen beschränkt unser Meister seinen Denkenden auf eine reflektierende diskursive Urteilskraft, untersagt ihm eine bestimmende ganz und gar. Sodann aber, nachdem er uns genugsam in die Enge getrieben, ja zur Verzweiflung gebracht, entschließt er sich zu den liberalsten Äußerungen und überläßt uns, welchen Gebrauch wir von der Freiheit machen wollen, die er einigermaßen zugesteht. In diesem Sinne war mir folgende Stelle höchst bedeutend:
 
<div style="margin-left:30px; margin-right:20px">
«Wir können uns einen Verstand denken, der, weil er nicht wie der unsrige diskursiv, sondern intuitiv ist, vom synthetisch Allgemeinen, der Anschauung eines Ganzen als eines solchen, zum Besondern geht, das ist, von dem Ganzen zu den Teilen: Hierbei ist gar nicht nötig zu beweisen, daß ein solcher intellectus archetypus möglich sei, sondern nur, daß wir in der Dagegenhaltung unseres diskursiven, der Bilder bedürftigen Verstandes (intellectus ectypus) und der Zufälligkeit einer solchen Beschaffenheit auf jene Idee eines intellectus archetypus geführt werden, diese auch keinen Widerspruch enthalte.»
</div>
 
Zwar scheint der Verfasser hier auf einen göttlichen Verstand zu deuten, allein wenn wir ja im sittlichen, durch Glauben an Gott, Tugend und Unsterblichkeit uns in eine obere Region erheben und an das erste Wesen annähern sollen: so dürft' es wohl im Intellektuellen derselbe Fall sein, daß wir uns, durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur zur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen würdig machten. Hatte ich doch erst unbewußt und aus innerem Trieb auf jenes Urbildliche, Typische rastlos gedrungen, war es mir sogar geglückt, eine naturgemäße Darstellung aufzubauen, so konnte mich nunmehr nichts weiter verhindern, das Abenteuer der Vernunft, wie es der Alte vom Königsberge selbst nennt, mutig zu bestehen." {{Lit|Goethes Werke, S 91}}
</div>
 
Der österreichische Physiker und [[Wikipedia:Nobelpreis|Nobelpreis]]träger [[Wolfgang Pauli]] (1900-1958) hat dieses archetypische Denken in einem Brief vom 7. Januar 1948 an den Physiker [[Wikipedia:Markus Fierz|Markus Fierz]] sehr treffend so beschrieben:
 
{{LZ|Mein Ausgangspunkt ist, welches die Brücke sei zwischen den Sinneswahrnehmungen
und den Begriffen. Zugestandenermaßen kann die Logik eine solche
Brücke nicht geben oder konstruieren. Wenn man die vorbewußte Stufe der
Begriffe analysiert, findet man immer Vorstellungen, die aus "symbolischen"
Bildern mit im allgemeinen starkem emotionalen Gehalt bestehen. Die Vorstufe
des Denkens ist ein ''malendes Schauen'' dieser inneren Bilder, deren Ursprung nicht
allein und nicht in erster Linie auf die Sinneswahrnehmungen (des betreffenden
Individuums) zurückgeführt werden kann, sondern die durch einen "Instinkt des
Vorstellens" produziert und bei verschiedenen Individuen unabhängig, d. h.
kollektiv reproduziert werden...  Der frühere archaisch-magische Standpunkt ist nur ein
klein wenig unter der Oberfläche; ein geringes abaissement du niveau mental
genügt, um ihn völlig "nach oben" kommen zu lassen. Die archaische Einstellung
ist aber auch die notwendige Voraussetzung ''und die Quelle'' der wissenschaftlichen
Einstellung. Zu einer vollständigen Erkenntnis gehört auch diejenige der Bilder,
aus denen die rationalen Begriffe gewachsen sind.
 
Nun kommt eine Auffassung, wo ich vielleicht mehr ein Platonist bin als die
Psychologen der Jungschen Richtung. Was ist nun die Antwort auf die Frage nach
der Brücke zwischen den Sinneswahrnehmungen und den Begriffen, die sich uns
nun reduziert auf die Frage nach der Brücke zwischen den äußeren Wahrnehmungen
und jenen inneren bildhaften Vorstellungen. Es scheint mir - wie immer man es
auch dreht, ob man vom "Teilhaben der Dinge an den Ideen" oder von "an sich
realen Dingen" spricht - es muß hier eine unserer Willkür entzogene kosmische
Ordnung der Natur postuliert werden, der ''sowohl'' die äußeren materiellen Objekte
''als auch'' die inneren Bilder unterworfen sind. (Was von beiden historisch das
frühere ist, dürfte sich als eine müßige Scherzfrage erweisen - so etwa wie "Was war
früher: das Huhn oder das Ei?") ''Das Ordnende und Regulierende muß jenseits der Unterscheidung von physisch und psychisch gestellt werden'' - so wie Platos "Ideen"
etwas von "Begriffen" und auch etwas von "Naturkräften" haben (sie erzeugen von
sich aus Wirkungen). Ich bin sehr dafür, dieses "Ordnende und Regulierende"
"Archetypen" zu nennen; es wäre aber dann unzulässig, diese als ''psychische''
Inhalte zu ''definieren''. Vielmehr sind die erwähnten inneren Bilder ("Dominanten
des kollektiven Unbewußten" nach Jung) die ''psychische'' Manifestation der
Archetypen, die aber ''auch alles'' naturgesetzliche im Verhalten der Körperwelt
hervorbringen, erzeugen, bedingen müßten. Die Naturgesetze der Körperwelt
wären dann die ''physikalische Manifestation der Archetypen''.
 
Zu dieser Auffassung paßt sowohl Ihr Vorschlag, die Physik und Psychologie
als komplementäre Betrachtungsweisen (bzw. Untersuchungsrichtungen) aufzufassen,
als auch die eigentümliche Psychologie der Alchemie (die als archaische
Stufe vor der eigentlichen Wissenschaft sehr aufschlußreich ist) so wie noch einiges
Andere. Es sollte dann jedes Naturgesetz eine Entsprechung innen haben und
umgekehrt, wenn man auch heute das nicht immer unmittelbar sehen kann.|Meyenn, S. 496}}
 
Genau diese ''«Brücke zwischen den Sinneswahrnehmungen und den Begriffen»'', von der Pauli spricht, hat Steiner in seinen philosophischen Grundlagenwerken geschlagen. Voraussetzung dafür ist ein [[reines Denken]], das nicht mehr an den [[Leib]] gebunden ist.
 
{{GZ|Indem man so das Denken emanzipiert von
seinem Leiblichen, erlebt, fühlt man sich selbst so, wie wenn einem das
eigene Denken entrissen würde, wie wenn es im Raume und in der Zeit
sich ausweitete und ausbreitete. Das Denken, von dem wir sonst sagen:
Es verläuft in uns - , identifiziert sich mit der umgebenden geistigen
Welt, strömt in dieselbe hinein und erlangt gegenüber uns selbst
eine Selbständigkeit, die wir vergleichen können mit der annähernden
Selbständigkeit, die im physischen Leibe zum Beispiel das Auge hat,
das als eine Art selbständiges Organ in seiner Höhle drinnensitzt. So
ist das nun selbständige Denken zwar mit dem erhöhten Selbst verbunden,
aber so selbständig, daß es wie das geistige Wahrnehmungsorgan
für das Denken und Fühlen der anderen geistigen Wesenheiten
wirkt, so wie das Auge für das Wahrnehmen der sinnlichen Farbe und
des sinnlichen Lichtes wirkt. Man kommt allmählich dazu, zu sehen,
daß sich das Denken, das sonst in der Intelligenz beschlossen ist, wie
ein geistiges Wahrnehmungsorgan verselbständigt gegenüber unserer
eigenen Wesenheit.
 
Ich kann das, was ich eben dargestellt habe, auch in anderen Worten
sagen. Dasjenige, was man wirklich subjektiv erlebt, das, was die
Intelligenz umschließt, das äußere Denken, sind schattenhafte Wesenheiten,
eben Gedankenwesenheiten, bloß Gedanken, die abbilden äußere
Wesenheiten. Indem das Denken hellsichtig wird, sich absondert von
Gehirn und Nervensystem, beginnt es, innere Regsamkeit, Eigenleben
zu entwickeln und strömt als eigenes Erleben in die übrige geistige Welt
hinaus. Die Fühlhörner des Denkens - ich muß es etwas grob ausdrücken
- , des hellsichtig gewordenen Denkens, strecken wir hinaus
in die geistige Welt, und sie nehmen im Untertauchen wahr das fühlende
Wollen, das wollende Fühlen der anderen Wesen, die um uns sind
auf dem geistigen Felde.|154|119}}
 
{{GZ|Aus
meinen getanen Äußerungen geht hervor, daß das selbständig gewordene
Denken gleichsam das geistige Auge wird für die Wahrnehmung
der geistigen Außenwelt. Allerdings zeigt sich vor der hellsichtigen
Forschung, die dieses geistige Auge zu dem, was hellsichtiges Denken
ist, gebraucht, daß dieses geistige Auge ein aktives, ein tätiges ist, daß
die geistigen Fühlhörner sich überall hin ausstrecken, während das physische
Auge ein passives ist, das die Eindrücke passiv an sich herankommen
läßt. Hat daher der Geistesforscher in seine Gedanken die
Offenbarungen der geistigen Welt aufgenommen, dann leben sie in den
Gedanken darinnen. Und versucht er dann dasjenige, was er sich bemüht
hat, in seine lebenden Gedanken hineinzubringen, seinen Mitmenschen
mitzuteilen, so ist es den Mitmenschen möglich, ihn zu verstehen,
ihn zu begreifen, wenn sie sich diese Wege, ihn zu verstehen,
nur nicht durch materialistische Vorurteile verlegen lassen.|154|121}}
 
== Denken und Imagination ==
 
Hellsehen beruht auf der Fähigkeit zur [[Imagination]], dem ''„malenden Schauen innerer Bilder“'', durch die sich die [[Wirklichkeit]] in archetypischen Sinnbildern offenbart. Das [[Sehen]] bezeichnet dabei nur einen besonders hervorstechenden Aspekt des Hellsehens, die Clairvoyance kann sich auch in andere [[astral]]e Sinnesqualitäten kleiden, so dass man auch vom '''Hellhören''', '''Hellfühlen''' usw., ja insbesondere sogar vom '''Hellschmecken''' sprechen kann. Das Hellsehen ist dabei scharf zu unterscheiden von der [[Halluzination]], bei der eine sinnliche Wahrnehmung erregt bzw. vorgetäuscht wird, ohne dass dazu ein entsprechender äußerer Reiz vorhanden ist. Auch [[Vision]]en, die aus zurückgebliebenen Resten des alten Hellsehens entspringen, unterscheiden sich deutlich von den zeitgemäßen Formen der geistigen Wahrnehmung. Ähnlich wie bei [[Traum]]bildern ist das Erleben hier noch sehr stark an den [[Leib]] gebunden. Beim modernen Hellsehen ist diese Bindung an den Leib weitgehend überwunden. Es kann sich daher frei auf die geistige Außenwelt richten.
 
{{GZ|Die berechtigten Bedenken, welche das gewöhnliche Bewußtsein
gegen die Geistesforschung zunächst erheben muß,
sind außer vielem andern noch die folgenden. Man kann
sich die Ergebnisse dieser Forschung ansehen (wie sie in der
gegenwärtigen Literatur vorliegen) und kann sagen: Ja,
was ihr da beschreibt als Inhalt der übersinnlichen Erkenntnis,
erweist sich doch bei näherem Zusehen als nichts anderes
denn als Kombinationen der gewöhnlichen aus der Sinnenwelt
gekommenen Vorstellungen. — Und so ist es in der
Tat. (Auch in den Darstellungen der höheren Welten,
welche ich selbst in meiner «Theosophie» und in meiner
«GeheimWissenschaft» geben durfte, findet man, wie es
scheint, nichts als Kombinationen der aus der Sinnenwelt
genommenen Vorstellungen. So wenn die Entwickelung der
Erde durch Kombinationen von Wärme-, Licht- und so
weiter Entitäten dargestellt wird.) — Dagegen aber muß
folgendes gesagt werden. Wenn der Geistesforscher seine
Erlebnisse ''zum Ausdruck bringen will'', so ist er genötigt,
das in einer übersinnlichen Sphäre Erlebte durch die
''Mittel'' des sinnlichen Vorstellens darzustellen. Sein Erleben
ist dann nicht aufzufassen, wie wenn es gleich wäre
seinen Ausdrucksmitteln, sondern so, daß er sich dieser
Ausdrucksmittel nur bedient wie der Worte einer ihm notwendigen
''Sprache''. Man muß den Inhalt seines Erlebens
''nicht'' in den Ausdrucksmitteln, das heißt, in den versinnlichenden
Vorstellungen suchen, sondern in der Art, wie er
sich dieser Ausdrucksmittel bedient. Der Unterschied seiner
Darstellung von einem phantastischen Kombinieren sinnlicher
Vorstellungen liegt in der Tat nur darin, daß phantastisches
Kombinieren der subjektiven Willkür entspringt,
die Darstellung des Geistesforschers aber auf dem durch
Übung erlangten Einleben in die übersinnliche Gesetzmäßigkeit
beruht. Hier aber ist auch der Grund zu suchen,
warum die Darstellungen des Geistesforschers so leicht mißverstanden
werden können. Es kommt nämlich bei ihm
wirklich weniger darauf an, ''was'' er sagt, sondern ''wie'' er
spricht. In dem «Wie» liegt der Abglanz seiner übersinnlichen
Erlebnisse.|35|127ff}}
 
Für das moderne vollbewusste Hellsehen ist streng zu beachten, dass das imaginativ „Geschaute“ durchaus unsichtbar, das „Gehörte“ völlig unhörbar ist, da es sich eben nicht um eine [[sinnlich]]e, sondern um eine durch die eigene geistige Tätigkeit aktiv und bewusst hervorgebrachte, aber inhaltlich vollkommen durch sich selbst bestimmte, rein übersinnliche Wahrnehmung handelt. Da aber beim irdisch verkörperten Menschen die Leibestätigkeit und insbesondere die Sinnessphäre auch heute noch immer leise mitschwingt, ist es dennoch ganz natürlich und sachgemäß, das imaginativ Erlebte in sinnlichen Ausdrücken zu beschreiben:
 
{{GZ|Man wird nun finden, daß diejenigen Menschen, welche
übersinnliche Beobachtungen machen können, dasjenige,
was sie schauen, so beschreiben, daß sie sich der
Ausdrücke bedienen, welche den sinnlichen Empfindungen
entlehnt sind. So kann man den elementarischen Leib
eines Wesens der Sinnenwelt, oder ein rein elementarisches
Wesen so beschrieben finden, daß gesagt wird, es offenbare
sich als in sich geschlossener, mannigfaltig gefärbter
Lichtleib. Es blitze in Farben auf, glimmere oder leuchte
und lasse bemerken, daß diese Farben- oder Lichterscheinung
seine Lebensäußerung sei. Wovon der Beobachter da
eigentlich spricht, ist durchaus unsichtbar, und er ist sich
dessen bewußt, daß mit dem, was er wahrnimmt, das
Licht- oder Farbenbild nichts anderes zu tun hat, als etwa
die Schrift, in welcher eine Tatsache mitgeteilt wird, mit
dieser Tatsache selbst. Dennoch hat man nicht etwa bloß
ein Übersinnliches in willkürlicher Art durch sinnliche
Empfindungsvorstellungen ausgedrückt; sondern man hat
während der Beobachtung das Erlebnis wirklich gemacht,
das einem Sinneseindruck ähnlich ist. Es kommt dies davon
her, daß im übersinnlichen Erleben die Befreiung von
dem sinnlichen Leibe keine vollkommene ist. Dieser lebt
mit dem elementarischen Leibe doch noch mit und bringt
das übersinnliche Erlebnis in eine sinnliche Form. Die
Beschreibung, die man so gibt von einer elementarischen
Wesenheit, ist dann tatsächlich so gehalten, daß sie sich
wie eine visionäre, oder phantastische Zusammenstellung
von Sinneseindrücken zeigt. Wenn die Beschreibung so
gegeben wird, dann ist sie trotzdem die wahre Wiedergabe
des Erlebten. Denn man hat geschaut, was man schildert.
Der Fehler, der gemacht werden kann, liegt nicht darin,
daß man das Bild als solches schildert. Es liegt ein Fehler
erst dann vor, wenn man das Bild für die Wirklichkeit
hält, und nicht dasjenige, auf was das Bild, als auf die ihm
entsprechende Wirklichkeit, hindeutet.
 
Ein Mensch, welcher niemals Farben wahrgenommen
hat - ein Blindgeborener - wird, wenn er sich die entsprechende
Fähigkeit erwirbt, elementarische Wesenheiten
nicht so beschreiben, daß er sagt, sie blitzen als Farbenerscheinungen
auf. Er wird sich derjenigen Empfindungsvorstellungen
zum Ausdrucke bedienen, welche ihm gewohnt
sind. Für die Menschen aber, welche sinnlich sehen
können, ist eine Schilderung durchaus geeignet, welche sich
etwa des Ausdruckes bedient, es blitzte eine Farbengestalt
auf. Sie können dadurch sich die Empfindung von dem bilden,
was der Beobachter der elementarischen Welt geschaut
hat. Und das gilt nicht etwa nur für Mitteilungen, welche
ein Hellsichtiger - es sei ein Mensch so genannt, der durch
seinen elementarischen Leib beobachten kann - einem
Nicht-Hellsichtigen macht, sondern auch für die Verständigung
der Hellsichtigen untereinander. In der Sinnenwelt
lebt der Mensch eben in seinem sinnlichen Leib, und dieser
kleidet ihm die übersinnlichen Beobachtungen in Sinnesformen
ein; daher ist innerhalb des menschlichen Erdenlebens
der Ausdruck der übersinnlichen Beobachtungen
durch die von ihnen erzeugten Sinnesbilder denn doch zunächst
eine brauchbare Art der Mitteilung.
 
Es kommt darauf an, daß derjenige, welcher eine solche
Mitteilung empfängt, in seiner Seele ein Erlebnis hat, welches
zu der in Betracht kommenden Tatsache in dem richtigen
Verhältnisse steht. Die sinnlichen Bilder werden nur
mitgeteilt, damit durch sie etwas erlebt wird. So wie sie sich
darbieten, können sie nicht in der Sinnenwelt vorkommen.
Das ist eben ihre Eigentümlichkeit. Und deswegen rufen
sie auch Erlebnisse hervor, die sich auf nichts Sinnliches
beziehen.|16|32ff}}
 
{{GZ|In meiner «[[GA 9|Theosophie]]» finden
Sie, daß man das Seelische in Form einer Art [[Aura]] sieht. Sie
wird in Farben beschrieben. Grobklotzige Menschen, die nicht
weiter eingehen auf die Sachen, sondern selbst Bücher schreiben,
die glauben, daß der Seher die Aura schildert, sie beschreibt,
indem er die Meinung hat, daß da wirklich so ein Nebeldunst
vor ihm ist. Was der Seher vor sich hat, ist ein geistiges Erlebnis.
Wenn er sagt, die Aura ist blau, so sagt er, er hat ein seelisch-geistiges
Erlebnis, das so ist, als wenn er blau sehen würde. Er schildert
überhaupt alles das, was er in der geistigen Welt erlebt und
was analog ist dem, was in der sinnlichen Welt an den Farben
erlebt werden kann.|271|185}}
 
Die ersten Wahrnehmungen, die man in der übersinnlichen Seelenwelt macht, bestehen aus reich differenzierten [[Sympathie]]n und [[Antipathie]]n, die mit den Wesen verbunden sind, die man hier schaut.
 
{{GZ|Beim Eintritt in die übersinnliche Welt ist einer der ersten
Wahrnehmungseindrücke der, daß man sich durch sein in
diese Welt hinaufgehobenes Selbstbewußtsein in Sympathien
und Antipathien mit den Wesenheiten dieser Welt
verbunden schaut. (Vgl. S. 54 ff. dieser Schrift.) Man bemerkt
bereits an den dadurch gemachten Erlebnissen, daß
man auch mit Bezug auf sein Vorstellen die sinnliche Welt
verlassen muß, wenn man in die übersinnliche wirklich
eintreten will. Man kann, was man im Übersinnlichen
schaut, wohl beschreiben durch Vorstellungen, die aus der
sinnlichen Welt genommen sind. Man kann zum Beispiel
sprechen davon, daß ein Wesen wie durch eine Farbenerscheinung
sich offenbare. Allein, wer solche Beschreibungen
des übersinnlich Wesenhaften entgegennimmt, sollte
nie außer acht lassen, daß der wirkliche Geistesforscher
mit der Angabe einer solchen Farbe meint: er erlebe etwas,
was von ihm seelisch so erfahren wird, wie die Wahrnehmung
der betreffenden Farbe durch das sinnliche Bewußtsein.
Wer mit seiner Schilderung zum Ausdruck
bringen will: er habe vor dem Bewußtsein etwas, das gleich
ist der sinnlichen Farbe, der ist nicht ein Geistesforscher,
sondern ein Visionär oder ein Halluzinierender. Aber mit
den Erlebnissen der Sympathie und Antipathie hat man
die ersten übersinnlichen Wahrnehmungseindrücke der
übersinnlichen Welt wirklich vor sich. - Es gibt Menschen,
die gerade dadurch enttäuscht sind, daß der Geistesforscher
ihnen sagen muß, wenn er sich durch Vorstellungen
ausspricht, die vom sinnlichen Erleben hergenommen
sind, so meine er nur Veranschaulichungen des von ihm
Geschauten. Denn solche Menschen streben eigentlich
nicht darnach, eine von der sinnlichen unterschiedene
übersinnliche Welt kennenzulernen, sondern sie wollen
eine Art Doppelgänger der sinnlichen als übersinnliche
Welt anerkennen. Diese übersinnliche soll feiner, «ätherischer
» sein als die sinnliche; aber im übrigen soll sie nur
ja nicht die Anforderung erheben, auch durch andere Vorstellungen
ergriffen werden zu müssen als die sinnliche.
Wer aber wirklich der geistigen Welt sich nähern will, der
muß sich auch dazu bequemen, neue Vorstellungen zu erwerben.
Wer nur ein verdünntes, dunstartiges Abbild der
sinnlichen Welt vorstellen will, der kann die übersinnliche
nicht erfassen.|17|97f}}
 
Hellsichtigkeit allein genügt nicht, um das übersinnlich wahrgenommene auch im richtigen Sinn zu deuten. Sehr häufig kommt es vor, dass hellsichtige Menschen, die Ergebnisse ihrer Schauungen in irrtümlicher Weise interpretieren. Die wahre Bedeutung geistiger Wahrnehmungen eröffnet sich erst dem [[Eingeweihter|Eingeweihten]] - egal ob es sich dabei unmittelbar um eigene Wahrnehmungen handelt, oder um solche, die von hellsichtigen Menschen überliefert wurden. In den alten [[Mysterien]] gab es tatsächlich eine strenge Trennung zwischen Eingeweihten und Hellsehern, die damit auch ganz aufeinander angewiesen waren. Heute ist diese Trennung kaum mehr durchzuhalten.
 
{{GZ|Derjenige nun, der, ohne selbst hellsichtig zu sein, alles
einsieht, was die Geheimwissenschaft zu sagen hat, ist ein
Eingeweihter. Wer aber selbst eintreten kann in diese Welten,
die wir die unsichtbaren nennen, der ist ein Hellseher.
In alten Zeiten, die noch gar nicht so lange hinter uns liegen,
bestand in den Geheimschulen eine strenge Trennung zwischen
Hellsehern und Eingeweihten. Man konnte als Eingeweihter,
ohne Hellseher zu sein, hinaufsteigen zu den
Erkenntnissen der höheren Welten, wenn man nur in richtiger
Weise den Verstand anwendete. Auf der anderen
Seite konnte man Hellseher sein, ohne in besonders hohem
Grade eingeweiht zu sein. Es wird Ihnen schon klar werden,
wie das gemeint ist. Denken Sie sich zwei Menschen,
einen sehr gelehrten Herrn, der alles mögliche weiß, was
die Physik und die Physiologie über das Licht und die Lichterscheinungen
zu sagen haben, jedoch so kurzsichtig ist, daß
er kaum zehn Zentimeter weit sehen kann: er sieht nicht
viel, ist aber eingeweiht in die Gesetze des Lichtwirkens.
So kann jemand eingeweiht sein in die übersinnliche Welt
und schlecht darin sehen. Ein anderer kann ausgezeichnet
in der äußeren sinnlichen Welt sehen, aber so gut wie nichts
wissen von dem, was der gelehrte Herr weiß. So kann es
auch Hellseher geben, vor deren geistigen Augen die geistigen
Welten offen daliegen. Sie können hineinschauen in die
geistige Welt, haben aber keine Wissenschaft, keine Erkenntnis
von derselben. Daher hat man eine lange Zeit
hindurch den Unterschied gemacht zwischen dem Hellseher
und dem Eingeweihten. Um die Fülle des Lebens zu umfangen,
brauchte man oft nicht einen, sondern viele Menschen.
Die einen wurden, um weiterzukommen, nicht hellsichtig
gemacht. Anderen wurden die geistigen Augen und
Ohren geschaffen. Das, was in der Geheimwissenschaft vorhanden
war, ist durch Mitteilung und Gedankenaustausch
zwischen Geheimwissenschaftern und Hellsehern zustande
gekommen.
 
In unserer Zeit kann diese strenge Trennung zwischen
Hellsehern und Eingeweihten gar nicht durchgeführt werden.
Heute ist es notwendig, daß jedem, der einen bestimmten
Grad der Einweihung erreicht hat, wenigstens auch die
Möglichkeit gegeben wird, einen bestimmten Grad des Hellsehens
zu erlangen. Der Grund dafür ist, daß in unserer Zeit
das große restlose Vertrauen von Mensch zu Mensch nicht
herzustellen ist. Heute will ein jeder selbst wissen und selbst
sehen. Jener tiefe, hingebungsvolle Glaube, wie er früher
von Mensch zu Mensch geherrscht hat, machte es möglich,
daß es eine besondere Art von Hellsehern gab, von denen
man vernahm, was sie in den höheren Welten wahrnahmen.
Andere ordneten dann systematisch, was diese wahrgenommen
hatten. Heute ist eine Art Harmonie in der Entwickelung
der Fähigkeiten zum Eingeweihten und zum Hellseher
geschaffen. Daher kann ein Drittes, das [[Adept]]entum, heute
sehr stark zurücktreten.|56|26f}}
 
Um hellseherische Fähigkeiten bewusst zu entwickeln, muss der [[Astralleib]] zuvor durch [[Katharsis]] von allen [[Begierde]]n und [[Lust]] und [[Leid]] gereinigt werden, die wie eine dunkle Wolke den Blick auf die geistige Wirklichkeit verschleiern oder verfälscht. Niederes Hellsehen kann sehr leicht zur Wahrnehmung der eigenen unverwandelten [[Begierde]]kräfte führen, die fälschlich für eine äußere [[seelisch]]e oder [[geistig]]e Realität angesehen werden.
 
{{GZ|Hellsehen heißt nichts anderes, als es zu einer Entwickelungsstufe der menschlichen Wesenheit gebracht zu haben, durch welche der Mensch lust- und leidfrei die Welt um sich herum wahrzunehmen vermag.|52|202f}}
 
Hellsichtigkeit kann nur erwachen, wenn sich die Erlebnisse des [[Astralleib]]s im [[Ätherleib]] abbilden bzw. spiegeln. So wie die sinnliche Wahrnehmung der [[physisch]]en [[Sinne]] als Spiegelungsapparat bedarf, so müssen beim Hellsehen die übersinnlichen Erlebnisse durch den Ätherleib in das [[Bewusstsein]] reflektiert werden. In beiden Fällen sind die in der [[Astralwelt]] webenden [[Sinnesqualitäten]] das seelische Rohmaterial, aus dem sich die wahrgenommenen Bilder malen. Durch die äußere [[Sinneswahrnehmung]] erscheinen die Sinnesqualitäten allerdings nur in stark abgedämpfter Form. Erst dem hellsichtigen Bewusstsein erscheinen sie, abhängig vom geistigen Entwicklungsgrad des Hellsehers, in ihrer vollen ungetrübten Wirklichkeit.
 
{{GZ|Hellsichtig sein heißt, sich der Organe seines ätherischen Leibes bedienen können.
Wenn man sich nur der Organe seines astralischen Leibes bedienen kann, so
kann man zwar innerlich fühlen und empfinden, innerlich erleben die tiefsten Geheimnisse;
aber man kann sie nicht schauen. Erst wenn das, was im astralischen Leibe
erlebt wird, sich sozusagen seinen Abdruck verschafft im Ätherleibe, kann Hellsichtigkeit
eintreten.|114|67}}
 
== Kopf-, Brust- und Bauchhellsehen ==
 
[[Rudolf Steiner]] hat prinzipiell drei Arten des Hellsehens unterschieden, nämlich das Kopf-, Brust- und Bauchhellsehen, die mit der [[Dreigliederung des menschlichen Organismus]] zusammenhängen, wobei mit dem '''Kopfhellsehen''' zugleich meist auch das Brust- oder '''Herzhellsehen''' aktiviert wird. Es werden dabei die oberen [[Lotosblumen]] bis herunter zum [[Herzchakra]] in Tätigkeit gesetzt. Das Kopfhellsehen hat einen mehr [[Gedanke|gedanklich]]-[[vorstellung]]smäßigen, aber auch [[gefühl]]sartigen Charakter, während das '''Brusthellsehen''' mehr zur [[Wille]]sentwicklung führt. Das Kopfhellsehen liefert zudem vornehmlich Ergebnisse, die vom einzelnen [[Mensch]]en unabhängig und in diesem Sinne „objektiv“ sind, während das '''Bauchhellsehen''' vowiegend mit dem zusammenhängt, was im einzelnen Menschen selbst vorgeht und sehr leicht von [[subjektiv]]en persönlichen [[Egoismus|Egoismen]] durchdrungen wird. Das sogenannte „intuitive“ '''Bauchgefühl''' hängt namentlich mit der dem [[Lebenssinn]] zugehörigen [[Viszerozeption]] zusammen und unterscheidet sich damit deutlich von dem, was Rudolf Steiner als vollbewusste [[Intuition]] bezeichnet.
 
{{GZ|Nun handelt es sich darum, daß der sich mit Geisteswissenschaft Beschäftigende wirklich genau einsieht den Wert der geisteswissenschaftlichen Beschäftigung als solcher und das Verhältnis dieser geisteswissenschaftlichen Beschäftigung zu dem persönlichen Streben, welches durch Meditation und Konzentration der Gedanken, Empfindungen und Willensimpulse oder sonst irgendwie, den Menschen hineinbringt in die geistige Welt. Denn darüber müssen wir uns vor allen Dingen klar sein, und das ist eine tiefe, bedeutungsvolle Wahrheit, daß jene Einheitlichkeit, die uns gewissermaßen umringt in der gewöhnlichen Welt, nicht in derselben Art in der geistigen Welt vorhanden ist. Ich habe schon hingewiesen darauf, daß diese Einheitlichkeit in dem ganzen Gefüge des geistig-seelischen Menschen begründet ist. Wie streben doch die meisten Menschen danach, immer wieder und wieder zu fragen: Was ist die Einheit der Welt? - Wie finden sie sich erst befriedigt, wenn sie alles auf ein Prinzip zurückführen können!
 
In der Tat tritt uns die äußere physische Welt im eminenten Sinne als ein Ganzes, als ein einheitlich Gestaltetes entgegen, und diejenigen Menschen, welche gewissermaßen von dem Einheitsteufel ganz beherrscht sind, kommen zu allen möglichen Gedankenabstraktionen, indem sie suchen das einheitliche Prinzip der Welt...
 
Vor allen Dingen müssen wir demgegenüber im tiefsten Sinne das nehmen, was in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» ausgedrückt ist, daß, sobald wir die Schwelle der geistigen Welt überschreiten, wir wirklich in ein dreifaches Erleben hineingeführt werden. Das habe ich in diesem Buche ganz besonders betont, daß die Seele wie dreigespalten wird; und indem die Seele die Schwelle der geistigen Welt überschreitet, ist nichts mehr eigentlich vorhanden, was es einem möglich macht, an den Einheitsteufel, an diesen bequemen Einheitsteufel zu glauben.
 
Ja, wir fühlen selbst, daß wir, sobald wir die Schwelle der geistigen Welt überschreiten, mit unserem ganzen Wesen eigentlich in drei Welten eintreten, wirklich in drei Welten eintreten. Und wir müssen dies eigentlich nicht aus dem Auge verlieren, daß man nach dem Überschreiten der Schwelle der geistigen Welt das Erlebnis der drei Welten deutlich hat. Schon mit der ganzen Bildung unseres physischen Leibes gehören wir eigentlich drei Welten an. Ich möchte sagen: Zu diesem wunderbaren Gebilde «Mensch», das uns da entgegentritt in der physischen Welt, ist wirklich das Zusammenwirken von drei Welten, die eine verhältnismäßig starke Unabhängigkeit voneinander haben, notwendig. Und wenn wir die Bildung unseres Hauptes betrachten, die Bildung all dessen betrachten, was zum Haupte gehört, dann müssen wir, selbst wenn wir nur vom physischen Haupte sprechen, uns klar sein darüber, daß die Bildekraft unseres Hauptes und auch die Wesenheiten, die in diesen Bildekräften wirkend und schaffend sind, einer ganz anderen Welt angehören als zum Beispiel die Bildekraft unserer Brust, die Bildekraft alles dessen, was zu unserem Herzen gehört, einschließlich der Arme und Hände. Es ist gewissermaßen, wie wenn die Bildekraft zu diesen materiellen Teilen des Menschen einer ganz anderen Welt angehören würde als die Bildekräfte unseres Hauptes. Und wiederum gehören die Unterleibsorgane und die Beine einer ganz anderen Welt an als die beiden anderen Glieder, die genannt worden sind.
 
Nun können Sie fragen: Was hat denn das alles für eine Bedeutung? Es hat eine große Bedeutung, weil im Grunde genommen der gegenwärtige Menschheitszyklus so ist, daß man reine, echte, wirklich wahre Ergebnisse der Geisteswissenschaft nur dadurch bekommt, daß unser Geistig-Seelisches herausgehoben wird aus dem Haupte. So daß gewissermaßen dies der hellseherische Aspekt eines Menschen ist, welcher geisteswissenschaftliche Beobachtungen hervorzubringen hat, die heute der Menschheit in richtigem Sinne dienen können (siehe Zeichnung).
 
[[Bild:Aetherhaupt.gif|right|250px|Ätherhaupt]]
Dieser hellsichtige Aspekt ist so zu betrachten, daß das Geistig-Seelische hier vorzugsweise herausgehoben wird, und daß dieses Geistig-Seelische gleichsam angeschlossen wird, wie durch einen spirituell elektrischen Anschluß, an die Kräfte des Kosmos. Also es muß alles, das Ich und der astralische Leib bis zum Ätherleibe, herausgezogen werden. Dieses Herausziehen ist dann selbstverständlich verknüpft mit der Entwickelung der sogenannten Lotusblumen. Aber die Kräfte, welche die Lotusblumen in Bewegung setzen, liegen in diesem herausgehobenen oder herauszuhebenden Teile des Geistig-Seelischen des Menschen.
 
Dies, was so erlangt wird, daß das Hellsehen gewissermaßen ein Kopfhellsehen ist, das kann geisteswissenschaftliches Resultat in unserer Zeit sein; denn das dient der Menschheit, dieses kopfhellseherische Ergebnis. Von ganz anderer Art ist das hellseherische Ergebnis, das dadurch bewirkt wird, daß mehr das Geistig-Seelische der Organe des Herzens, der Arme und der Hände herausgehoben wird. Dieses Herausheben unterscheidet sich auch innerlich bedeutend von dem, was zustande kommt durch das, was ich nennen möchte das Kopfhellsehen. Das Herausheben aus dem materiellen Herzorgan wird mehr bewirkt durch die Meditation, die sich auf das Willensleben bezieht; es wird bewirkt durch die demütige Hingabe an den Weltenprozeß. Während das Kopfhellsehen mehr durch die Gedanken, vorstellungsmäßig, aber auch durch empfindungsmäßige Vorstellungen bewirkt wird.
 
Es ist im allgemeinen mit Bezug auf diese beiden Arten des Hellsehens so, daß im Grunde das Herzhellsehen oder das Brusthellsehen, in dem Grade, wie es sich entwickeln soll, mit dem Kopfhellsehen sich schon entwickelt. Es führt das Brusthellsehen mehr zur Willensentwickelung, zum Zusammenhang mit den Aktionen der geistigen Wesenheiten niederer Hierarchien, wie derjenigen, die in den verschiedenen Reichen der Erde verkörpert sind, während das Kopfhellsehen mehr zu dem Anschauen, dem Erkennen, dem Wahrnehmen in den wirklich dem Menschen zunächst wichtigeren höheren Welten führt; wichtigeren, höheren Welten in dem Sinne, daß das Wissen von diesen höheren Mächten zur Befriedigung gewisser Erkenntnisbedürfnisse notwendig ist, die immer mehr und mehr auftreten müssen in der gegenwärtigen Menschheit. Je mehr wir der Zukunft unserer Entwickelung auf der Erde entgegenrücken, desto weniger werden die Menschen, ohne daß ihr Seelenleben ausgedörrt wird, leben können, wenn sie nicht in ihre Erkenntnis aufnehmen können die Ergebnisse dieses Hellsehens.
 
Und wieder eine dritte Art von Hellsehen ist diejenige, die dadurch entsteht, daß aus dem übrigen Menschen gelockert wird, also herausgehoben wird dasjenige, was man das Geistig-Seelische nennen kann. Da müßte ich (auf der Zeichnung) da unten, gegen das Ende zu, das Herausrücken andeuten.
 
[[Bild:Aetherbauch.gif|right|250px|Lockerung des [[Ätherleib]] im Bauchbereich.]]
Wenn auch der Ausdruck nicht besonders ästhetisch ist, so darf ich aber doch vielleicht diese Art des Hellsehens das Bauchhellsehen nennen. So daß man wirklich unterscheiden kann: das Kopfhellsehen, das Brusthellsehen und das Bauchhellsehen.
 
Während das Kopfhellsehen für unseren Menschheitszyklus im eminentesten Sinne dahin führt, von dem Menschen unabhängige Ergebnisse zu gewinnen, führt das Bauchhellsehen dazu, vorzugsweise Ergebnisse zu gewinnen, welche zusammenhängen mit dem, was im Menschen selber vorgeht. Dasjenige, was im Menschen selber vorgeht, muß selbstverständlich auch Gegenstand des Forschens sein, gibt es doch auch auf dem Gebiete des physischen Forschens die Anatomie und die Physiologie, die sich mit alledem zu befassen haben. Es darf nicht die Meinung auftauchen, daß dieses Bauchhellsehen nicht einen gewissen Wert, im höchsten Sinne des Wortes, haben könnte. Selbstverständlich hat es seinen Wert. Aber klar muß man sich darüber sein, daß dieses Bauchhellsehen nur wenig den Menschen unterrichten kann über dasjenige, was unpersönlich in den kosmischen Vorgängen sich abspielt, daß es im wesentlichen den Menschen unterrichtet über das, was in dem Menschen, ich möchte sagen, innerhalb der Haut des Menschen vor sich geht. Über andere Gegensätze zwischen Kopfhellsehen und Bauchhellsehen werde ich noch sprechen, aber in bezug auf das Moralisch-Ethische sind diese beiden Arten im Grunde genommen auch innerlich recht gut zu unterscheiden. Das Brusthellsehen steht dazwischen, zwischen Kopfhellsehen und Bauchhellsehen. In bezug auf das Ethische ist verhältnismäßig am wichtigsten das Kopfhellsehen. Menschen, welche danach streben, in unpersönlicher Weise, in dem Sinne wie es angedeutet ist in «[[Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?]]», zu einer Anschauung der höheren Welten zu kommen, Menschen, welche es sich nicht verdrießen lassen, diesen unbequemen, aber sicheren Weg zu gehen, die werden in bezug auf ihre Hellsichtigkeit auch etwas Unpersönliches in sich entwickeln, vor allen Dingen ein höheres Interesse für die objektive Welterkenntnis, für dasjenige, was in der Welt des kosmischen und in der Welt des geschichtlichen Werdens vor sich geht.
 
Von dem Menschen selber wird dieses Kopfhellsehen vorzugsweise in dem Sinne sprechen, daß es aufmerksam macht, wie der Mensch sich hineinstellt in den kosmischen, in den geschichtlichen Werdegang des Lebens, aufmerksam macht darauf, was der Mensch im Ganzen des Weltenprozesses ist, und es wird immer dasjenige, was herauskommt bei diesem Kopfhellsehen, einen unpersönlichen, ich möchte sagen, einen allgemein-wissenschaftlichen Charakter haben; es wird Mitteilungen enthalten, die Wichtigkeit haben - ich bitte das Wort wohl zu beachten - für alle Menschen, nicht nur für den einen oder den anderen.
 
Dasjenige, was Bauchhellsehen ist, das wird vorzugsweise durchdrungen sein von allen möglichen menschlichen Egoismen, wird überhaupt sehr leicht dazu verführen, daß sich der betreffende Hellseher viel mit sich, mit den okkulten Unterlagen seines eigenen Geschickes befaßt, mit den okkulten Unterlagen seines persönlichen Wertes und Charakters. Das ergibt sich wie eine selbstverständliche Neigung aus dem, was man das Bauchhellsehen nennt.
 
Nun tritt in bezug auf die anschauliche Natur zwischen den beiden Arten des Hellsehens ein starker Unterschied auf. Derjenige, der danach strebt, zunächst in dem Sinne, wie es gegeben ist in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», mit seinem Seelisch-Geistigen frei zu werden von dem Wahrnehmungsapparat des Kopfes, der also gewissermaßen den geistig-seelischen Teil des Kopfes herauslockert aus dem physischen Werkzeuge und mit diesem geistig-seelischen Kopfteile sich hineinzuversetzen vermag in die geistige Welt, der wird es außerordentlich schwer haben, aus bloß schattenhaft-hellseherischen Erlebnissen herauszukommen. Dieses Heraustreten aus dem Kopfe ist verbunden zunächst mit Erlebnissen, die wirklich nicht einmal die Farbe, die Gesättigtheit von lebhaften Erinnerungen haben, die also gewissermaßen innerlich sehr farblos auftreten, und erst wenn man in den Anstrengungen, die auf diesem Wege liegen, immer weiter und weiter dringt, stellt es sich heraus, daß der schattenhafte Charakter dieser Erlebnisse sich verliert, und daß gewissermaßen mit Farbigem und Tönendem die farblosen und schattenhaften Erlebnisse tingiert werden.
 
[[Bild:Aethersphaere.gif|right|250px|Äthersphäre]]
Denn der Prozeß, der sich da abspielt, ist der, daß wir herausrücken aus unserem Kopfe zunächst und wirklich in einer Welt darinnen sind, die wir sehr schwer haben zu bemerken. Dann, indem wir nach und nach, langsam uns erwerben die Möglichkeit, außerhalb unseres Kopfes zu leben, verstärken sich diese inneren Lebenskräfte, und die Folge davon ist, daß aus dem ganzen Umkreise der Welt die zuströmenden Kräfte zusammengezogen werden. Also denken Sie sich, aus dem ganzen Umkreise der Welt müssen die Kräfte zusammengezogen werden, und wenn wir aus dem Umkreise der Welt die ganzen Kräfte zusammenziehen, dann bekommen wir die Tingierung mit Farbigem und Tönendem. Denken Sie sich einmal, um sich das vorzustellen, Sie haben hier - a - eine Fläche, die sehr stark gefärbt ist, eine Kugelfläche. Und nun denken Sie sich diese Kugelfläche hinausgedehnt über eine große Fläche - b, c -. Da wird die Farbe viel blasser, und wenn wir sie noch weiter ausdehnen, so wird die Farbe immer blasser und blasser; wenn wir sie hereinbringen würden, so würden wir, wenn dies ein blasses Gelb ist, hier ein sehr gestärktes, gesättigtes Gelb bekommen, weil dieselbe Menge der Farbpunkte dann wieder mehr zusammenkonzentriert ist.
 
Nun steht das Kopfhellsehen dem ganzen Kosmos gegenüber, und über den ganzen Kosmos ist dasjenige ausgedehnt, was der Mensch erst zusammenkonzentrieren muß mit seinen Lebenskräften in das, was er selber ist hellseherisch seiner Wesenheit nach; so daß er wirklich nur im mühseligen Gang der inneren Entwickelung allmählich das Schattenhafte der Erlebnisse tingiert. Und dann, wenn man lange, lange sich Mühe gegeben hat, das allgemeine Erleben zu haben, das einem nur das Gefühl gibt, außerhalb seines Leibes zu sein, und wenn man dieses allgemeine Erleben lange gehabt hat und immer mehr ein Gefühl bekommen hat, ein intensiveres, aber noch nicht farbiges und tönendes, inneres Erleben zu haben, dann kommen allmählich die Gebiete aus dem Kosmos an das Kopfhellsehen heran.
 
Das ist eine Sache der langsamen, selbstlosen Entwickelung. Insbesondere muß gesagt werden, daß zu dieser Entwickelung unerläßlich ist das Studium der Geisteswissenschaft. Es muß immer wieder und wieder betont werden, daß die Geisteswissenschaft, wenn sie gegeben ist, wirklich verstanden werden kann. Man kann das nicht oft genug betonen, daß man kein Hellseher zu sein braucht, um Geisteswissenschaft zu verstehen. Selbstverständlich muß man Hellseher sein, um zu den Ergebnissen zu kommen; aber wenn sie einmal da sind, braucht man kein Hellseher zu sein.
 
Dieses Verständnis der Geisteswissenschaft muß vorangehen dem eigentlichen Schauen. Auch hier ist es so, daß man sagen kann: es ist der umgekehrte Weg von dem der richtige, der m der physisch-sinnlichen Welt der richtige ist. In der physisch-sinnlichen Welt haben wir zuerst die richtigen Anschauungen, dann gehen wir zum gedanklichen Betrachten über; wir bilden uns die wissenschaftlichen Urteile hinterher. Beim Aufsteigen in die geistige Welt ist es umgekehrt. Da müssen wir zuerst die Begriffe und Vorstellungen entwickeln, müssen uns anstrengen, um uns objektiv in die Geisteswissenschaft einzuleben; sonst können wir niemals sicher sein, daß irgendwelche Beobachtung in der geistigen Welt von uns im richtigen Sinne gedeutet wird. Da muß die Wissenschaft eben dem Schauen vorangehen. Und das ist es, was vielen so unendlich unbequem ist: daß sie die Geisteswissenschaft studieren sollen. Das nehmen viele als unbegreifliche Zumutung hin. Denn sie streben danach, Anschauungen zu haben in der geistigen Welt. Gewiß, die kann man relativ leicht haben; aber sie richtig zu deuten, dazu gehört, daß man wirklich objektiv, selbstlos sich in die Geisteswissenschaft einläßt, sich mit ihr durchdringt.
 
Nun ist gerade das Umgekehrte der Fall bei dem, was man nennen kann das Bauchhellsehen. Da gehen wir aus von demjenigen Geistig-Seelischen, das zunächst gearbeitet hat an unserem Leiblich-Physischen. Denn all dem, was es in der Welt gibt, liegt ein Geistiges zugrunde. Wenn Sie, sagen wir, ein Stück Kohlrabi gegessen haben - wir sind ja meist Vegetarier - und es dann verarbeitet wird in unserem Organismus, so hat man es nicht bloß mit dem physisch-chemischen Prozeß zu tun, den der Magen mit seinen Kräften und Säften ausführt, sondern hinter dem allem ist der Ätherleib, der Astralleib und das Ich tätig. Alle diese Prozesse haben hinter sich geistig-spirituelle Prozesse. Es würde ganz falsch sein zu glauben, daß es materielle Prozesse gibt, die nicht einen spirituellen Prozeß hinter sich haben.
 
Denken Sie sich nun, Sie legen sich nach einem mehr oder weniger opulenten Mittagsmahle hin und werden hellsichtig, aber so hellsichtig, daß sich das Geistig-Seelische der Verdauungsorgane vor allen Dingen aus diesen Verdauungsorganen heraushebt. Dann leben Sie, während Ihr Magen und die übrigen Organe richtig verdauen, mit Ihrem Geistig-Seelischen im Geistig-Seelischen selber. Und während Ihnen sonst der spirituelle Prozeß unbewußt bleibt, der sich in Ihrem Ätherleibe, Astralleibe und Ich vollzieht, kommt er Ihnen, wenn Sie hellseherisch werden, zum Bewußtsein, und Sie können dann, indem Sie sich erleben in dem Geistig-Seelischen, all jenes Arbeiten und Bilden und Schaffen des Geistig-Seelischen an den Leibesgliedern während der Verdauung sehen; sehen, indem es sich hinausprojiziert m die Welt, und Ihnen, bildhaft sich spiegelnd, im äußeren Äther erscheint. Dann bekommen Sie, weil Sie jetzt nicht so sehr aus dem Kosmos anzuziehen haben die Farbe, sondern weil Sie den ganzen Prozeß konzentriert in Ihrer eigenen Haut sich abspielen haben, die allerschönsten hellseherischen Gebilde. So daß ein Wunderbares, das sich abspielt um Sie in den herrlichsten, lichtesten Farben- und Gestaltungsprozessen, nichts anderes zu sein braucht als der in den Geistesorganen des Menschen vor sich gehende Verdauungsprozeß oder sonst ein im Leibe befindlicher Prozeß.
 
Dieses Hellsehen unterscheidet sich von dem anderen ganz besonders dadurch, daß während das andere Hellsehen von schattenhaften Gebilden ausgeht und erst mühselig die Tingierung mit Farbe und Ton erhält, dieses schon ausgeht von dem Schönsten und Herrlichsten, das man sehen kann. Man kann es geradezu als ein Gesetz aussprechen: wenn das Hellsehen beginnt mit den herrlichsten Gebilden, insbesondere mit Farbengebilden, dann ist es ein Hellsehen, das sich bezieht auf Prozesse, die sich innerhalb des Persönlichen abspielen. Ich betone aber noch ausdrücklich, daß es für das Erforschen der geistigen Welt von großem Wert sein kann. Geradeso wie der Anatom und der Physiologe den Verdauungsprozeß und andere Prozesse untersuchen müssen, so hat es auch einen höchsten wissenschaftlichen Wert, auf diese Weise das hinter den menschlichen Prozessen stehende Geistige, das Spirituelle zu erforschen. Aber schlimm wäre es, wenn man sich irgendwelchen Täuschungen hingeben würde, wenn man sich Illusionen hingeben und die Dinge nicht in der richtigen Weise deuten würde.
 
Wenn man glauben würde, daß ein solches, ohne die entsprechende Vorbereitung auftretendes Hellsehen mehr geben könnte, als was sich im Menschen abspielt und sich hinausprojiziert in die objektive Welt, wenn man glauben würde, daß man gewissermaßen den regierenden Weltenmächten, den tonangebenden geistigen Kräften durch ein solches Hellsehen näherkommen könnte, so würde man sich sehr täuschen. Ebensowenig wie man durch die Untersuchung der menschlichen Verdauung die Weltenrätsel lösen kann, ebensowenig kann man den Weltenrätseln und Geheimnissen dadurch näherkommen, daß man dieses Bauchhellsehen entwickelt.
 
Sie sehen also, wieviel dazugehört, sich in der Welt, in die wir eintreten durch das Freiwerden unserer geistig-seelischen Kräfte, wirklich richtig zu orientieren. Niemand sollte etwa durch die Erörterungen, die darüber gepflogen worden sind, einen Abscheu haben vor dem Bauchhellsehen. Aber jeder sollte sich klar sein darüber, wie sich ein solches Hellsehen verhält zu dem, was wirklich geistiges Hellsehen werden kann, und wie man fernhalten muß von aller äußeren Überschätzung dasjenige, was auf hellseherischem Wege so gewonnen wird, daß es nur einen persönlichen Inhalt haben kann. Erst dann, wenn man bei diesen Dingen, die auch persönlichen Inhalt haben, absehen kann von dem Persönlichen und sie so betrachten kann wie der Anatom, der Physiologe dasjenige betrachtet, was er durch die Sektion erlebt oder durch seine Untersuchungen erhält, erst wenn man da zur wissenschaftlichen Betrachtung übergeht, dann haben die Dinge einen besonderen Wert. Jedenfalls dürfen sich an diese Dinge nicht im entferntesten irgendwelche religiöse Gefühle anknüpfen; die können sich nur an die Ergebnisse des Kopfhellsehens anknüpfen. Und man wird dem anderen Hellsehen um so gerechter, je mehr man geradezu die Forderung stellt, daß seine Ergebnisse nur im wissenschaftlich-objektiven Sinne behandelt werden, wie die Ergebnisse der Anatomie, der Physiologie.
 
Nicht alles, was auf dem Wege des Hellsehens gefunden wird, ist - ich möchte diesen radikalen Satz aussprechen - anbetungswürdig; aber alles ist des Erlernens wert. Das ist es, was wir ins Auge fassen müssen. Ich sagte, für unseren Zyklus sei es ganz besonders wichtig, die Ergebnisse des Kopfhellsehens der allgemeinen geistigen Menschheitskultur einzuverleiben; und das ist wirklich wichtig. Ich will heute in bezug auf diese Wichtigkeit eine Seite der Sache einmal erwähnen. Wir leben wirklich in einer Zeit, in welcher sich die Menschheit vorbereiten muß, allmählich über den bloßen philosophischen Idealismus hinauszukommen und einzulaufen in ein wirkliches Bewußtsein von den geistigen Welten, von der allgemeinen geistigen Welt, in der wir darinnen leben, wie wir in der physischen Welt darinnen leben.
 
Nun, gehen wir von einem Erlebnisse des Kopfhellsehens aus, das wir leicht verstehen werden, wenn wir uns ein wenig vertieft haben in die Dinge, die gesagt worden sind in dem Münchner Zyklus, der zuletzt gehalten worden ist, und die auch ausgeführt worden sind in meinem Buche «Die Schwelle der geistigen Welt». Ich habe da besonders erwähnt, daß unser Denken eine Umänderung erfährt in dem Augenblicke, wo wir uns freimachen, besonders in bezug auf unsere Gedanken, von dem physischen Werkzeuge des Kopfes. Ich habe es damals grotesk ausgedrückt, indem ich gesagt habe: Wenn wir so frei werden, dann haben unsere Gedanken nicht mehr den Charakter, den sie haben im gewöhnlichen, alltäglichen Leben. Im gewöhnlichen, alltäglichen Erleben müssen wir das Gefühl haben - wenn wir nicht verrückt sind -, daß wir Herr sind über unsere Gedankenwelt, daß, wenn wir zwei Gedanken haben, wir es sind, die diese Gedanken verbinden oder trennen.
 
Wenn wir uns erinnern, sind wir uns bewußt: mit unserem Innenleben gehen wir von einem gegenwärtigen zu einem vergangenen Erlebnis über. Immer haben wir das Gefühl: wir sind es, die hinter dem Gewebe und Gewoge unserer Gedanken stehen. Das hört auf in dem Augenblicke, wo wir im Kopfteil das Geistig-Seelische freiwerden lassen vom physischen Werkzeug, wo wir ein Denken entwickeln, das leibbefreit ist. Ich habe dazumal radikal gesagt: Es ist, wie wenn wir den Kopf in einen Ameisenhaufen hineingesteckt hätten, in dem alles zu quirlen anfängt. So fangen die Gedanken auch an, ein eigenes Leben zu entwickeln und durcheinanderzuspielen. Und wenn wir im gewöhnlichen Leben zwei Gedanken haben und sie verbinden, wie zum Beispiel die zwei Gedanken «Rose» und «rot», so wissen wir, daß wir Herr sind in unserer Gedankenwelt, die Begriffe zu verbinden zu: «die Rose ist rot» und zu der Vorstellung «die rote Rose». Das ist nicht so, wenn wir draußen sind außer dem Leibe. Da bekommen wir in die Gedanken Leben, das Eigenleben der Gedanken. Jeder Gedanke wird zu einem Wesen. Der eine Gedanke läuft zu dem anderen hin, ein anderer läuft von dem anderen fort.
 
Also die Gedankenwelt gewinnt ein Eigenleben. Warum gewinnt sie ein Eigenleben? Nun, was wir im gewöhnlichen Denken des Alltags erleben, das sind nur Bilder, nur Schatten von Gedanken. Sie können das schon in meinem Buche «Theosophie» nachlesen. Sobald wir das Denken leibfrei entwickeln, wird jeder Gedanke so wie eine Hülse, und in die Hülse hinein schlüpft ein elementares Wesen. Der Gedanke ist nicht mehr in unserer Gewalt: Wir lassen ihn, wie einen Fühler, hinausgehen in die Welt, und da schlüpft ein elementarisches Wesen hinein. Unsere Gedanken sind so von elementarischen Wesen gleichsam ausgefüllt, und das quirlt und braust, das webt und west in uns. So daß wir sagen können: Wenn wir unseren geistig-seelischen Teil des Kopfes in die geistige Welt hineinstecken - wir haben ihn nur dadurch draußen, daß wir im physischen Kopfe nicht darinnen sind -, wenn wir ihn so hineinstecken in die geistige Welt, dann erleben wir nicht mehr solche Gedanken, wie wir sie erleben in der physischen Welt, sondern wir erleben das Leben von Wesen. Wir stecken unseren Kopf eben, wie ich damals sagte, gleichsam in einen Ameisenhaufen hinein. Wir erleben das Leben von Wesen.
 
So ist es im Grunde genommen bis hinauf zu den Wesenheiten der
höchsten Hierarchien. Und wenn wir einen Engel, einen Erzengel, einen
Geist der Persönlichkeit erleben wollen, so muß es so sein, daß wir in der
geschilderten Weise unsere Gedanken ausstrecken. Das Wesen muß sich
einhüllen in unsere Gedanken. Wir schicken unsere Gedanken aus, und das Wesen schlüpft hinein und bewegt sich darinnen. Wenn wir wahrnehmen die Wesen auf der Venus oder auf dem Saturn, so ist es so, daß wir unsere Gedanken hmausschlüpfen lassen, und die Venus- und Saturnwesen hineinschlüpfen. Wir dürfen uns nicht fürchten davor, nicht mehr irdisch-menschliche Gedanken zu haben, sondern Hierarchiengedanken. Wir müssen uns gewöhnen, mit unserem Kopfe in den höheren Hierarchien darinnen zu leben. Wir müssen uns sagen: unser Denken hört auf, und unser Kopf wird der Schauplatz des Wirkens der höheren Hierarchien.
 
Nun ist es so, daß in der Fichte-Schelling-Hegel-Philosophie der Gedanke bis zu seiner reinsten Gedankenklarheit gebracht worden ist im Beginn des 19. Jahrhunderts. Wozu sich der Gedanke aufschwingen kann, das ist in dieser Philosophie wirklich enthalten. Die Aufgabe, bis zu welcher der Gedanke gebracht werden kann, ist da gelöst. Der nächste Schritt aber ist der, daß der Gedanke aus sich herausgeht und man wirklich hineinkommt in das quirlende und webende Leben des Gedankens. So daß wir in der Zeit leben - man kann das sagen -, wo die Menschheit dazu berufen ist, wahrzunehmen die höheren Hierarchien. Hingenommen werden sollen wir von der Welt der höheren Hierarchien, und abstreifen müssen wir die Furcht vor dem Verlieren der Gedanken an das Leben und Weben in den höheren Hierarchien.|161|153ff}}
 
== Literatur ==
* Karl von Meyenn (Hrsg.): ''Wolfgang Pauli. Wissenschaftlicher Briefwechsel, Band III: 1940–1949. Springer. Berlin (1993) Brief #929, S. 496
* H. Atmanspacher, H. Primas, E. Wertenschlag-Birkhäuser (Hrsg.), ''Der Pauli-Jung-Dialog'', Springer Verlag, Berlin Heidelberg 1995
* Goethes Werke, ''Vollständige Ausgabe in vierzig Teilen'', Auf Grund der Hempelschen Ausgabe, Deutsches Verlagshaus Bong u. Co, Berlin Leipzig Wien Stuttgart, 38. Teil
* Goethes Werke (WA). Hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Weimar 1887-1919. Abteilung  IV 8, Briefe
* Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, § 77
* [[Rudolf Steiner]]: ''Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen'', [[GA 16]] (2004), ISBN 3-7274-0160-5; zusammen mit [[GA 17]] in '''Tb 602''', ISBN 978-3-7274-6021-0 {{Schriften|016}}
* Rudolf Steiner: ''Die Schwelle der geistigen Welt'', [[GA 17]] (1987), ISBN 3-7274-0170-2 {{Schriften|017}}
* Rudolf Steiner: ''Philosophie und Anthroposophie'', [[GA 35]] (1984), ISBN 3-7274-0350-0 {{Vorträge|035}}
* Rudolf Steiner: ''Briefe Band I: 1881 – 1890'', [[GA 38]] (1985), ISBN 3-7274-0380-2 {{Briefe|038}}
* Rudolf Steiner: ''Die Erkenntnis der Seele und des Geistes'', [[GA 56]] (1985), ISBN 3-7274-0560-0 {{Vorträge|056}}
* Rudolf Steiner: ''Spirituelle Seelenlehre und Weltbetrachtung'', [[GA 52]] (1986), 30. März 1904, Berlin {{Vorträge|52}}
* Rudolf Steiner: ''Das Lukas-Evangelium'', [[GA 114]] (2001) {{Vorträge|114}}
* Rudolf Steiner: ''Wie erwirbt man sich Verständnis für die geistige Welt?'', [[GA 154]] (1985), ISBN 3-7274-1540-1 {{Vorträge|154}}
* Rudolf Steiner: ''Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung'', [[GA 161]] (1980) {{Vorträge|161}}
* Rudolf Steiner: ''Kunst und Kunsterkenntnis'', [[GA 271]] (1985), ISBN 3-7274-2712-4 {{Vorträge|271}}
* Flensburger Hefte Nr. 66: ''Hellsehen - Der Blick über die Schwelle'', Flensburger Hefte Vlg., Flensburg 1999
* Flensburger Hefte Nr. 107: ''Neues Hellsehen'', Flensburger Hefte Vlg., Flensburg 2010
 
{{GA}}
 
[[Kategorie:Grundbegriffe]]
[[Kategorie:Anthroposophie]]
[[Kategorie:Schulungsweg]]
[[Kategorie:Erleuchtung]]
[[Kategorie:Einweihung]]
[[Kategorie:Wahrsagen]]
[[Kategorie:Hellsehen|!]]
[[Kategorie:Esoterik]]

Version vom 11. August 2022, 11:02 Uhr

Zeichnung aus GA 320, S. 147