Mütter und Datei:GA320 147.gif: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
(Odyssee lud Datei:GA320 147.gif hoch)
Markierung: Serverseitig hochgeladene Datei
 
Zeile 1: Zeile 1:
Als '''Mütter''' wurden in den [[Griechische Mysterien|griechischen Mysterien]] die drei ''Weltenmütter'' [[Rhea]], [[Demeter]] und [[Proserpina]] ([[Persephone]]) bezeichnet. [[Goethe]] lässt sie erscheinen in der «Mütter»-Szene im [[Faust II|zweiten Teil seiner Faust-Dichtung]].
Zeichnung aus [[GA 320]], S. 147
 
== Die Mütter in Goethes Faust ==
 
<div style="margin-left:20px">
"Persönlich ist Goethe
dieses ganze Verhältnis zu den Müttern vor die Seele getreten aus der
Lektüre des Plutarch. Plutarch, der griechische Schriftsteller, den Goethe
gelesen hat, spricht von den Müttern. Insbesondere eine Szene im
Plutarch scheint auf Goethe dem Gemüte nach einen tiefen Eindruck
gemacht zu haben: Die Römer sind mit den Karthagern im Kriege.
Nikias ist römisch gesinnt, und er will die Stadt Engyion den Karthagern
entreißen. Er soll an die Karthager deshalb ausgeliefert werden.
Da stellt er sich wahnsinnig und läuft auf den Straßen herum und
ruft: Die Mütter, die Mütter verfolgen mich! - Sie sehen daraus, daß in
der Zeit, von der Plutarch spricht, man diese Verwandtschaft der Mütter
nicht mit dem gewöhnlichen sinnlichen Verstände, sondern mit einem
Zustand des Menschen, wo dieser sinnliche Verstand nicht da ist, in
Zusammenhang bringt. Zweifellos hat alles dasjenige, was Goethe im
Plutarch gelesen hat, ihm die Anregung gegeben, den Ausdruck, die
Idee der Mütter einzuführen in den Faust." {{Lit|GA 273, S 86}}
</div>
 
Als [[Mephistopheles]] das Wort «Mütter» erwähnt, schaudert es [[Faust]]. Hinabsteigen muß Faust in einen [[Seelenwelt|Seelenbereich]], in dem ihm Mephistopheles nicht mehr folgen kann, in einen Seelenbereich, der hinausführt aus der [[luzifer]]isch verseuchten Sinnlichkeit, hin zu einer Seelenprovinz, wo noch die ursprünglichen Schöpfermächte zu finden sind, wo die Mütter der menschlichen Seelenkraft wohnen. Äußerer Anlaß dazu ist das Verlangen des Kaisers, Paris und Helena, ''„das Musterbild der Männer so der Frauen“'' in ''„deutlichen Gestalten“'' zu schauen. Goethe bezog sich hier auf die Sachs’sche Darstellung, wie ein Nekromant am Hofe Kaiser Maximilians die Helena erscheinen läßt. Da war es aber der Kaiser selbst, der ihr verfiel und dadurch paralysiert wurde.
 
Zu den Müttern also muß Faust hinabsteigen. ''„Ins Unbetretene, nicht zu Betretende; ein Weg ans Unerbetene, nicht zu Erbittende“'' führt der Weg, in eine Welt schwankender Erscheinungen ohne feste Kontur:
 
<center>
{|width="400px"|
|<poem>
FAUST. Die Mütter! Mütter! - 's klingt so
                                                        wunderlich!
MEPHISTOPHELES.
    Das ist es auch. Göttinnen, ungekannt
    Euch Sterblichen, von uns nicht gern genannt.
    Nach ihrer Wohnung magst ins Tiefste schürfen;
    Du selbst bist schuld, daß ihrer wir bedürfen.
FAUST. Wohin der Weg?
MEPHISTOPHELES.    Kein Weg! Ins Unbetretene,
    Nicht zu Betretende; ein Weg ans Unerbetene,
    Nicht zu Erbittende. Bist du bereit? -
    Nicht Schlösser sind, nicht Riegel wegzuschieben,
    Von Einsamkeiten wirst umhergetrieben.
    Hast du Begriff von Öd' und Einsamkeit?
FAUST. Du spartest, dächt' ich, solche Sprüche;
    Hier wittert's nach der Hexenküche.
MEPHISTOPHELES.
    Und hättest du den Ozean durchschwommen,
    Das Grenzenlose dort geschaut,
    So sähst du dort doch Well' auf Welle kommen,
    Selbst wenn es dir vorm Untergange graut.
    Du sähst doch etwas. Sähst wohl in der Grüne
    Gestillter Meere streichende Delphine;
    Sähst Wolken ziehen, Sonne, Mond und Sterne -
    Nichts wirst du sehn in ewig leerer Ferne,
    Den Schritt nicht hören, den du tust,
    Nichts Festes finden, wo du ruhst.
FAUST. Du sprichst als erster aller Mystagogen,
    Die treue Neophyten je betrogen;
    Nur umgekehrt. Du sendest mich ins Leere,
    Damit ich dort so Kunst als Kraft vermehre;
    Nur immer zu! wir wollen es ergründen,
    In deinem Nichts hoff' ich das All zu finden.
</poem>
|}
</center>
 
Räumliche Begriffe machen in dieser Welt keinen Sinn mehr, wo alles in strömender Bewegung ist. Oben und unten verlieren hier ihre Bedeutung. Hinter die fertige Schöpfung tritt Faust zurück in den Bereich der Kräfte, die diese Schöpfung erst hervorgebracht haben.
 
<center>
{|width="400px"|
|<poem>
  Versinke denn! Ich könnt' auch sagen: steige!
  's einerlei. Entfliehe dem Entstandnen
  In der Gebilde losgebundne Reiche!
</poem>
|}
</center>
 
Mephisto kann Faust noch den Schlüssel zu diesem Reich geben, selbst einzutreten vermag er nicht – und damit kann sich Faust zugleich erstmals dem luziferischen Zugriff entziehen!
 
Der Gang zu den Müttern führt Faust dorthin, wo die menschliche Seele ihren Ursprung gefunden hat. Hier ist die Quelle, aus der die drei wesentlichsten Seelenkräfte, das Denken, Fühlen und Wollen, fließen. Drei Mütter sind es, denen Faust hier begegnet. Man sieht, wie uns Goethe hier in eine Welt führt, die noch viel tiefer reicht als alles das, was die Tiefenpsychologie zu erfassen vermag. Eine umfassende Psychologie der menschlichen Seele führt uns Goethe hier vor Augen, nicht in abstrakten Begriffen, sondern in lebendig gestalteten Bildern.
 
Die mystische Versenkung in die eigenen Seelentiefen führt Faust bis an das Urbild der menschlichen Seele heran, wie es einstmals von den Göttern geschaffen wurde. Von hier kann er Helena, die dieses ewige Urbild in ihrem schönen Wesen ausdrückt, heraufholen an das Bewußtsein - so stark, so intensiv, daß es durch eine Art Massensuggestion dem ganzen versammelten Hofstaat am Kaiserhof gegenwärtig wird, wobei Mephisto tüchtig hilft, wodurch aber auch wiederum alles seinem Zugriff unterliegt. Was in der Hexenküche erst wie ein flüchtiger Schein vorüber huschte, steht Faust nun ganz klar in der Seele. Und doch – real zu vereinigen vermag er sich mit dieser ewigen menschlichen Seele noch nicht. Kaum will er Helena berühren, von erneut aufwallenden Begierden getrieben, zerstäubt das Bild in einer mächtigen Explosion, und Faust stürzt wie gelähmt ohnmächtig zu Boden.
 
Das ist die Gefahr aller Mystik, die in die inneren Seelentiefen vordringt, daß das, was von dort auch immer ans Bewußtsein heraufgebracht wird, wieder durch die luziferische Sphäre hindurch getragen werden muß. Höchstes kann wieder von der niedersten Begierde ergriffen werden – mit fatalen Folgen für das Seelenleben. Wie ein gewaltiger elektrischer Schlag können diese übermächtigen Seelenkräfte, das Bewußtsein treffen, wenn dieses nicht völlig rein und frei von sinnlicher Glut sich ihnen hingeben kann. Man sehe sich nur manche mystische Schriften an und beachte, welche wollüstige Phantasien sich da oftmals hinein mischen.
 
== Die Mütter als Repräsentanten früherer Weltentwicklungsstufen ==
 
Die Mütter sind nach [[Rudolf Steiner]] auch Repräsentanten früherer [[Weltentwicklungsstufen]], die unserer [[Erdentwicklung]] vorangegangen sind. Sie stehen also für den [[Alter Saturn|alten Saturn]], die [[alte Sonne]] und den [[Alter Mond|alten Mond]]. Wir ''sehen hinauf zu Saturn, Sonne, Mond, haben wir dort die
Mütter, die nur die griechischen Mysterien in einer andern Form ausgesprochen
haben: Proserpina, Demeter, Rhea. Denn alle die Kräfte,
die in Saturn, Sonne und Mond sind, sie wirken ja nach, wirken herein in unsere Zeit.'' {{Lit|GA 273, S 88f}}
 
== Siehe auch ==
* [[Mütter (Kabbala)]]
 
== Literatur ==
#Rudolf Steiner: ''Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes «Faust»'', Band II: Das Faust-Problem, [[GA 273]] (1981), ISBN 3-7274-2730-2 {{Vorträge|272}}
 
{{GA}}
 
[[Kategorie:Mysterien]] [[Kategorie:Griechische Mysterien]] [[Kategorie:Goethe]] [[Kategorie:Faust]]

Version vom 11. August 2022, 11:02 Uhr

Zeichnung aus GA 320, S. 147