Göttliche Komödie: Unterschied zwischen den Versionen

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Dante begegnen zunächst drei wilde Tiere, in denen sich die noch ungeläuterten Kräfte der seelischen Wesensglieder widerspiegeln - ein ''Pardelluchs'' (manchmal auch als ''Panthertier'' übersetzt), ein ''Löwe'' und eine ''Wölfin''.
Dante begegnen zunächst drei wilde Tiere, in denen sich die noch ungeläuterten Kräfte der seelischen Wesensglieder widerspiegeln - ein ''Pardelluchs'' (manchmal auch als ''Panthertier'' übersetzt), ein ''Löwe'' und eine ''Wölfin''.
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| <poem>{{Zeile|31}}Sieh, beim Beginn des steilen Weges, schier
Bedeckt mit buntgeflecktem Fell die Glieder,<ref> 32–36. Aber noch sollen wir nicht ungestört emporklimmen. Die ''Lust der Sinne – der Panther –'' tritt zuerst und so lange der Körper noch jugendlich frisch ist, uns feindlich entgegen, und hemmt unsere Fortschritte zu dem Höhern. Droht sie auch den bessern Vorsatz in uns zu vernichten, so erscheint sie doch in minder abschreckender Gestalt, ja anziehend durch Munterkeit und Frische. </ref>
Gewandt und sehr behend ein ''Pantherthier''.
{{Zeile|34}}Nicht wich’s von meinem Angesichte wieder,
Und also hemmt’ es meinen weitern Lauf,
Daß ich mich öfters wandt’ in’s Thal hernieder.
{{Zeile|37}}''Am Morgen war''’s, die Sonne stieg herauf,<ref> 37–43. Aber wenn nun eben die Sonne der Wahrheit uns den {{Seite|9}} Morgen hat tagen lassen, wenn wir die Welt in neuem Glanze liegen sehen, dann schöpfen wir Muth, das Höhere zu erreichen. (Die Reise des Dichters wird, wie bedacht, in der heiligen Woche, im Beginne des Frühlings unternommen, in der Jahreszeit, in welcher das erneute Leben der Natur in uns selbst Muth und Hoffnung erneuert, und in welcher, wie der Dichter V. 38–40 vorausgesetzt, Gott die Welt erschaffen hat. Die Sonne steht zu dieser Zeit im Widder.) </ref> 
Von jenen Sternen, so wie einst umgeben,
Als Gottes Lieb’ aus ödem Nichts herauf
{{Zeile|40}}<span style="color:#1E90FF;"> ['''9'''] </span> Die schöne Welt berief zu Sein und Leben;
So ward durch jenes Thier mit buntem Haar
Anlaß zur Sorge doch mir nicht gegeben,
{{Zeile|43}}Zu solcher Stund’, im süßen, jungen Jahr –
Wenn Grund zur Furcht mir alsbald nicht erregte<ref> 44. Wenn die sinnliche Begier der Jugend sich auch mindert, so ist es der Ehrgeiz (der Löwe), welcher die kräftigeren Naturen von dem wahren Ziele echt menschlicher Bildung, von dem Streben nach dem einzig Wahren und Göttlichen ableitet – in seinem Uebermaße die mächtigste, furchtbarste der Leidenschaften, besonders in ''Zeiten politischer Parteiung'', sei es, daß der Mensch selbst sie in sich empfindet, oder daß er ihr Opfer wird. </ref>
Nunmehr ''ein Löwe'', den ich ward gewahr!</poem>
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{{Zeile|46}}Es schien, daß er sich gegen mich bewegte,
Erhobnen Haupt’s und mit des Hungers Wuth,
So daß er Zittern selbst der Luft erregte.
{{Zeile|49}}Auch ''eine Wölfin'', welche jede Glut <ref> 49–60. Endlich erscheint die Habsucht – die Wölfin –, welche alles irdische Gut an sich zu reißen strebt, und um so weniger befriedigt ist, je mehr sie verschlingt. Keine schlechte Leidenschaft, kein Laster ist, mit welchen sie sich nicht verbände, zu welchen sie nicht führte (vergl. V. 97–100). Sie, die gemeinste Leidenschaft, nie rastend, weil es ihr nie an einem Gegenstande fehlt, ist es, die dem Menschen auf dem Wege zum höhern Ziele am gefährlichsten wird, die dem {{Seite|10}} Dichter alle Hoffnung, es zu erreichen, raubt, und ihn zur Tiefe zurückstürzt. [Man denke hier auch an politische Beziehungen, an Rom’s alles an sich reißende Gier!] </ref>
Der Gier durch Magerkeit mir schien zu zeigen,
''Die schon auf Viele schweren Jammer lud''.
{{Zeile|52}}Vor dieser mußte so mein Muth sich neigen,
Aus Furcht, die bei dem Anblick mich durchbebt,
Daß mir die Hoffnung schwand, zur Höh’ zu steigen.
{{Zeile|55}}Wie der, der eifrig zu gewinnen strebt,
Wenn zum Verlieren nun die Zeit gekommen,
In Kümmerniß und tiefem Bangen lebt:
{{Zeile|58}}So machte dieses Unthier mich beklommen;
Von ihm gedrängt, mußt’ ich mich rückwärts ziehn,
Dorthin, wo nimmer noch die Sonn entglommen.</poem>
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Die drei Tiere sind [[Imagination]]en, die die Schwächen der [[Seelische Wesensglieder|seelischen Wesensglieder]], also der [[Empfindungsseele]], der [[Verstandes- oder Gemütsseele]] und der [[Bewusstseinsseele]], sichtbar machen:


:"Eine Wölfin ist für Dante das Bild für die Unmäßigkeit, für die Schattenseiten der Empfindungsseele. Dann begegnen uns die Schattenseiten der Verstandesseele als der Entwickelung widerstrebende Kräfte: Was nicht in sich geschlossener Starkmut ist, was sinnlos aggressive Kräfte der Verstandesseele sind, das tritt uns in Dantes Phantasie als ein zu Bekämpfendes in dem Löwen entgegen. Und die Weisheit, die nicht nach den Höhen der Welt hinaufstrebt, die sich nur als Klugheit und Schlauheit auf die Welt richtet, tritt uns in dem dritten Bilde, in dem Luchs, entgegen. Die «Luchs-Augen» sollen darstellen Augen, die nicht Weisheitsaugen sind, die in die geistige Welt hineinsehen, sondern Augen, die nur auf die Sinnenwelt gerichtet sind." {{lit|{{G|059|289}}}}
:"Eine Wölfin ist für Dante das Bild für die Unmäßigkeit, für die Schattenseiten der Empfindungsseele. Dann begegnen uns die Schattenseiten der Verstandesseele als der Entwickelung widerstrebende Kräfte: Was nicht in sich geschlossener Starkmut ist, was sinnlos aggressive Kräfte der Verstandesseele sind, das tritt uns in Dantes Phantasie als ein zu Bekämpfendes in dem Löwen entgegen. Und die Weisheit, die nicht nach den Höhen der Welt hinaufstrebt, die sich nur als Klugheit und Schlauheit auf die Welt richtet, tritt uns in dem dritten Bilde, in dem Luchs, entgegen. Die «Luchs-Augen» sollen darstellen Augen, die nicht Weisheitsaugen sind, die in die geistige Welt hineinsehen, sondern Augen, die nur auf die Sinnenwelt gerichtet sind." {{lit|{{G|059|289}}}}

Version vom 31. Mai 2013, 13:50 Uhr

Dante Alighieri (1265-1321)

Einführung

Schema del Paradiso dantesco, Natalino Sapegna

Dante Alighieris Göttliche Komödie hat wie kaum ein anderes Werk die europäische Literatur nachhaltig beeinflusst. Nach seiner Verbannung aus Florenz im Jahre 1302 hatte sich Dante in Ravenna niedergelassen, wo er 1307 mit der Arbeit an der in italienischer Volkssprache verfassten Divina Commedia begann und sie erst kurz vor seinem Tod im Jahr 1321 vollendete.

Die Göttliche Komödie ist wesentlich von den geistigen Schauungen von Dantes Lehrer Brunetto Latini beeinflusst und gibt, wie Rudolf Steiner deutlich gemacht hat, einen späten Nachklang dessen, was an geistigem Erleben einstmals in der Schule von Chartres lebendig gewesen war.

"Brunetto Latini, wurde der Lehrer des Dante. Und was Dante von Brunetto Latini gelernt hat, das hat er dann in seiner poetischen Weise in der "Divina Commedia" niedergelegt. So ist also das große Gedicht "Divina Commedia" ein letzter Abglanz dessen, was in platonischer Weise an einzelnen Stätten weiterlebte..." (Lit.: GA 240, S. 155)

Zugleich lebt in der "Göttlichen Komödie" in der Empfindungsseele auf tief verinnerlichte Weise die alte ägyptische Astrologie wieder auf:

"Was war das Eigenartige der ägyptischen Volksseele? Damals gab es noch eine unmittelbar auf die Seele wirkende Astrologie. Die Volksseele schaute hinaus auf die Bewegungen der Himmelskörper, sah nicht, wie die heutigen Menschen, in dem, was im Kosmos geschah, nur materielle Vorgänge, sondern nahm wirklich hinter dem, was draußen vorgeht, die wirkenden geistigen Wesenheiten wahr. Sie verhielt sich so zum ganzen Kosmos, wie sich der Mensch zum anderen Menschen verhält, indem er beim anderen Menschen weiß, daß ihn durch die ganze Physiognomie eine Seele anblickt. So war alles Physiognomie beim alten Ägypter, und er nahm das Seelische in der Natur wahr. Der Sinn der Fortentwickelung zur neuen Zeit liegt darin, daß das, was früher gleichsam elementare Fähigkeit war, unmittelbar sich entzündete im Leiblichen des Menschen, daß das seine Innerlichkeit wurde in der neueren Zeit, in unserem fünften nachatlantischen Zeitalter. Und so wie es mehr elementar war, was der Ägypter durchmachte, so macht der Italiener das, was er wiederholt, was er in seiner Empfindungsseele durchmacht, mehr im Innerlichen durch, dadurch, daß er in der Empfindungsseele dieses Geistig-Kosmische erlebt, aber jetzt mehr verinnerlicht. Was könnte mehr verinnerlicht sein als die ägyptische Astrologie in Dantes «Göttlicher Komödie»: die richtige Wiederauferstehung der altägyptischen Astrologie, aber verinnerlicht!" (Lit.: GA 174a, S. 38)

Aufbau

Die tieferen Schichten der «Göttliche Komödie»

Dante selbst hat darauf hingewiesen, dass die Divina Commedia nicht eine einfache, sondern, wie es in mittelalterlichen mystischen Schriften häufig der Fall ist, eine vierfache Bedeutung hat. Die vier Interpretationsebenen hängen mit den vier Wesensgliedern des Menschen zusammen:

Der Buchstabe lehrt die Geschehnisse, Physischer Leib (sinnlicher Verstand)
die Allegorie lehrt, was du glauben musst, Ätherleib (Imagination)
die Moral lehrt, was du tun musst, Astralleib (Inspiration)
wonach du streben musst, lehrt die Anagogie. Ich (Intuition)

Künstlerisch-architektonischer Aufbau

Der architektonische Aufbau der Commedia in seiner dreigliedrigen Gestalt deutet auf den Seelenleib (Astralleib) des Menschen und seine Verwandlung durch die Tätigkeit des Ich zum Geistselbst – es ist das Streben nach dem Ewig-Weiblichen, nach der Jungfrau Sophia, die in der Commedia in Gestalt der Beatrice erscheint. Es gibt 1 + 3 x 33 Gesänge und jeder Hauptteil endet mit dem Wort Sterne – ein deutlicher Hinweis auf den Sternenleib des Menschen, den siderischen Leib, wie ihn Paracelsus genannt hat.

Dantes Weltbild

Dantes Weltbild baut auf dem geozentrischen Ptolemäischen Sytem auf.

"Die Erde steht in der Mitte des Weltensystems. Und diese Erde ist nicht nur so da, daß der Mond zum Beispiel das Licht, das er von der Sonne bekommt, auf die Erde zurückwirft, sondern diese Erde, die ist nicht nur umgeben, sondern ganz eingehüllt von der Mondensphäre. Die Erde steckt ganz drinnen in der Mondensphäre. Den Mond hat sich Dante also viel größer vorgestellt als die Erde. Er hat sich vorgestellt: Das ist ein sehr feiner Körper, der viel größer ist als die Erde ...

Und nun hat sich Dante vorgestellt: Ja, wenn die Erde nicht drinnensteckte in diesen Kräften vom Mond, so würden zwar einmal durch irgendein Wunder auf die Erde Menschen kommen, aber sie könnten sich nicht fortpflanzen. Die Fortpflanzungskräfte sind es, die da in dem Rotgezeichneten drinnen enthalten sind. Die durchströmen auch den Menschen, und die machen, daß er fortpflanzungsfähig ist...

Jetzt stellte er sich weiter vor: Die Erde ist jetzt nicht nur drinnen in Mondenkräften, sondern die Erde ist auch noch in weiteren Kräften drinnen - die will ich hier gelb zeichnen -, und die durchdringen das alles. Also die Mondenkräfte sind in dem drinnen, stecken da drinnen, so daß Erde und Mond wiederum da drinnen in diesem Gelben sind. Und da ist wiederum ein festes Stück. Dieses feste Stück ist der Merkur, und der läuft da herum. Und wenn der Mensch nicht fortwährend von diesen Merkurkräften durchdrungen wäre, so könnte er nicht verdauen. So daß sich also Dante vorgestellt hat: Die Mondenkräfte bewirken die Fortpflanzung; die Merkurkräfte, in denen wir auch immer drinnenstecken, die nur feiner sind als die Mondenkräfte, die bewirken, daß wir verdauen können, und daß die Tiere verdauen können...

Und nun ist das alles wiederum drinnen in einer noch größeren Sphäre, wie Dante es nannte. So daß wir also auch in den Kräften drinnenstecken, die von diesem Planeten, von der Venus, kommen. Also wir stecken in all diesen Kräften drinnen, die durchdringen uns. Wir sind also auch von den Venuskräften durchdrungen. Und daß wir von den Venuskräften durchdrungen sind, das macht, daß wir nicht nur verdauen können, sondern das Verdaute ins Blut aufnehmen können. Venuskräfte leben in unserem Blute. Alles, was mit unserem Blut zusammenhängt, kommt von den Venuskräften. So stellte es sich Dante vor. Und diese Venuskräfte, die bewirken zum Beispiel auch dasjenige, was der Mensch in seinem Blut als Liebesgefühle hat; daher «Venus».

Die nächste Sphäre ist dann diejenige, in der wir wiederum drinnenstecken, und da läuft wiederum als festes Stück die Sonne herum. Wir sind also überall in der Sonne drinnen. Die Sonne ist für Dante im Jahre 1300 nicht nur der Körper, der da auf- und niedergeht, sondern die Sonne ist überall da. Wenn ich hier stehe, bin ich in der Sonne drinnen. Denn das ist nur ein Stück von der Sonne, was da auf- und niedergeht, was da herumläuft. So hat er es sich vorgestellt. Und die Sonnenkräfte sind es vorzugsweise, welche im menschlichen Herzen tätig sind...

Jetzt hat sich Dante vorgestellt: Alles das ist wiederum in der riesig großen Marskugel drinnen. Da ist der Mars. Und dieser Mars, in dem

Das Weltbild Dantes
Das Weltbild Dantes

wir also wiederum drinnenstecken, der hängt ebenso, wie die Sonne mit dem menschlichen Herzen zusammenhängt, mit alledem zusammen, was unsere Atmung und namentlich unsere Sprache betrifft, mit allem, was die Atmungsorgane sind. Das ist im Mars. Also Mars: Atmungsorgane. Und dann geht es weiter. Die nächste Sphäre ist dann die Jupitersphäre. Wir stecken wiederum in den Jupiterkräften drinnen. Nun, der Jupiter, der ist ja sehr wichtig; der hängt mit alledem zusammen, was unser Gehirn ist, eigentlich unsere Sinnesorgane, unser Gehirn mit den Sinnesorganen. Der Jupiter also hängt zusammen mit den Sinnesorganen. Und nun kommt der äußerste Planet, der Saturn. In dem ist wieder alles das drinnen. Und der Saturn hängt zusammen mit unserem Denkorgan.

Mond:
Merkur:
Venus:
Sonne:
Mars:
Jupiter:
Saturn:

Menschliche Fortpflanzung
Menschliche Verdauung
Menschliche Blutbildung
Menschliches Herz
Atmungsorgane
Sinnesorgane
Denkorgane

[...]

Außerhalb nun von alledem, aber so, daß wir da auch drinnen sind, ist der Fixsternhimmel. Da sind also die Fixsterne, namentlich die Tierkreis-Fixsterne (Zeichnung Seite 73). Und noch größer ist dann dasjenige, was alles bewegt, der erste Beweger. Aber der ist nicht bloß da oben, sondern der ist auch hier überall der erste Beweger. Und hinter dem ist ewige Ruhe, die auch wiederum überall ist. So stellte sich das Dante vor...

Und so hat sich Dante gesagt: Es gibt eine sichtbare Welt, und es gibt eine unsichtbare Welt. Die sichtbare Welt, nun ja, die ist diejenige, die wir sehen. wenn wir ninausschauen in der Nacnt, so sehen wir die Sterne, den Mond, die Venus und so weiter. Das ist die sichtbare Welt. Aber die unsichtbare Welt ist auch da. Und die unsichtbare Welt sind diese - man nannte das damals Sphären. Die unsichtbare Welt, das sind diese Sphären. Und man unterschied zwischen derjenigen Welt, die man mit Augen sieht, und nannte diese die physische Welt. Das war die physische Welt. Und dann unterschied man diejenige Welt, die man nicht mit Augen sieht. Das ist die Welt, die Dante gemeint hat, und die nannte man die ätherische Welt. Also die ätherische Welt, die Welt, die aus einem so feinen Stoff besteht, daß man fortwährend durchschaut..." (Lit.: GA 349, S. 71ff)

Grafische Darstellung von Dantes Weltbild nach Paul Pochhammer. Aus Dante Alighieri, Albert Ritter (Hrsg): Dantes Werke, 1922

Dante beschrieb nicht das physische Weltsystem, sondern die Ätherwelt. Das gilt nicht nur für die Planetensphären, sondern auch für das Erdinnere, in das er die Hölle verlegt. Aber damit ist kein äußerlich fassbarer Ort gemeint.

"...dann stellt sich Dante vor: Hier in der Erde, abgewendet - also wenn man da durchgeht -, so würde man da in der Erde drinnen das haben, was er sich als Hölle vorstellt. Also er denkt sich: Da draußen, da ist überall Himmelsäther. Aber wenn ich hineinbohren würde in die Erde, da ist auf der andern Seite da die Hölle. Bevor ich aus der Erde herauskomme, ist da die Hölle.

Nun, dieses als kindisch aufzufassen, das wird ja dem heutigen Menschen furchtbar leicht. Man braucht nur zu sagen: Ja, aber Dante hätte nicht da zu stehen brauchen, sondern hier, dann hätte er da hineinbohren können, und dann wäre da (auf der andern Seite) die Hölle gewesen! [...]

Aber so hat es sich Dante nicht vorgestellt. Er hat überhaupt nicht die physische Welt vorgestellt, sondern er hat sich Kräfte vorgestellt. Und er hat gesagt: Ja, wenn ein Mensch da steht, und er bewegt sich mit seinem eigenen Ätherleib in der Richtung nach oben, dann wird er immer leichter und leichter. Dann überwindet er immer mehr die Schwere. Wenn er aber hineingeht in die Erde, da muß er sich immer mehr und mehr anstrengen, und diese Anstrengung wird am größten, wenn er zum andern Ende gekommen ist. Da preßt ihn alles. Da wird die Schwere am allergrößten. Das hängt nicht davon ab, daß dort irgendeine besondere Hölle ist, sondern daß er erst das durchgemacht hat, um dorthin zu kommen. (Zeichnung auf Seite 73.)

Und wenn sich Dante das so vorgestellt hat, so könnte er ja auch da stehen (am andern Ende). Wenn er sich da hinausbewegt, wird er immer leichter und leichter, kommt er immer mehr und mehr in den Äther hinein. Wenn er sich aber da hineinbewegt in die Erde, dann muß er das durchmachen (das Schwererwerden). Dann tritt für ihn der Zustand, das Erlebnis da ein, wo ich grün gezeichnet habe; früher aber da, wo ich gelb gezeichnet habe. Also darauf kommt es an. Dante sagt nicht, daß hier an diesem Ort gerade die Hölle ist, sondern Dante will sagen: Wenn einer durch die Erde sich durcharbeiten muß mit seinem Ätherleib, dann ist das so schwer, daß, wo er auch hinkommt, ob oben oder unten, für ihn ein Erlebnis eintritt, das höllisch ist. Das ist erst wiederum in der neuesten Zeit gekommen, daß sich die Leute die Hölle vorstellen an einem bestimmten Ort. Dante hat an das Erlebnis gedacht, das man bekommt, wenn man sich als Äthermensch durch die Erde durcharbeiten muß.

Wenn einer sagt: Dante war dumm - , so fällt das auf ihn selbst zurück, weil er so dumm ist und sagt, Dante hätte sich vorgestellt, daß die Hölle am andern Ende der Erde sei. Sondern Dante hat sich vorgestellt: Wo ich auch immer über die Erde in den Himmel hinausfliege, werde ich seelisch leichter; wo ich in die Erde hineinkomme, wo ich auch immer ans andere Ende komme: höllisch." (Lit.: GA 349, S. 82ff)

Die «Göttliche Komödie» und das Ostergeschehen

Datei:Dante Tor zur Unterwelt.jpg Dantes «Göttliche Komödie» ist eng mit dem Ostergeschehen verbunden. Nicht zufällig verlegt Dante den Beginn seiner Schilderungen auf den Karfreitag des Jahres 1300 und den geistigen Hintergrund des Geschehens bildet das Mysterium von Tod und Auferstehung des Christus Jesus, das sich auch in den sieben Stufen des christlichen Einweihungsweges widerspiegelt. In die ersten 3 Stufen dieses Weges – Fußwaschung, Geißelung und Dornenkrönung - wurde Dante nicht zuletzt durch die schicksalsträchtigen Ereignisse seines Lebenslaufes – die Verbannung aus Florenz mit all ihren Folgen – eingeweiht. In der «Göttlichen Komödie» treten dann vor allem die 4 letzten Stufen deutlicher hervor.

Die Quintessenz der 4. Stufe, der Kreuztragung, wird gleich zu Beginn angedeutet, wo Dante mitteilt, dass er nun Erlebnisse schildert, die sich dem wachen Geist in der Lebensmitte offenbaren. Und er macht auch gleich deutlich, dass es Erlebnisse sind, die jeder Mensch in diesem Alter haben kann, indem er ganz bewusst formuliert: "In unseres Lebens Mitte..." Mit der Lebensmitte haben unsere Lebenskräfte ihren Höhepunkt überschritten und zuerst ganz leise, dann immer stärker beginnen wir unseren stofflichen Leib als Last zu empfinden. Er ist das Kreuz, an dem wir immer schwerer zu tragen haben. Zugleich beginnt aber auch da erst die Zeit, wo wir das Geistige mit vollem Ichbewusstsein ergreifen können. Etwa mit dem 35. Lebensjahr beginnt sich die Bewusstseinsseele zu entfalten.

Alle folgenden Schilderungen sind aus dem Erleben des mystischen Todes erzählt, der 5. Stufe des christlichen Schulungsweges.

Die geistigen Ereignisse des Karsamstags, die mit der sog. Höllenfahrt Jesu Christi zusammenhängen, und die in den vier Evangelien nur wenig berücksichtigt werden, erscheinen Dante besonders wichtig und bilden die Grundlage für die Gesänge des Infernos und des Purgatorios. Das entspricht der 6. Stufe des christlichen Weges, der Grablegung. Dante folgt dem Christus auf seinen Wegen, wohl wissend, dass der Weg zur Auferstehung durch die Hölle führt. Auferstehung und Himmelfahrt bilden die 7. Stufe der christlichen Einweihung und Dante schildert sie vor allem in den Gesängen des Paradiso.

Ausführlicher wird uns in der christlichen Überlieferung von der Höllenfahrt Christi nur in dem apokryphen Nikodemus-Evangelium berichtet. Nikodemus ist jener hohe israelitische Eingeweihte, der Christus "bei Nacht" – d.h. im reinen Geistgespräch – besuchte (Joh 3,1). Es geht in diesem Gespräch um die Wiedergeburt des Menschen aus der Kraft des höheren Ich, was der Christus noch dadurch verdeutlicht, das er in diesem Gespräch Nikodemus auf die Erhöhung der Schlange durch Moses (4. Mose 21,8-9) verweist. Die erhöhte Schlange ist das Symbol für diese Ich-Kraft. Die Wiedergeburt des Menschen aus dem Geiste ist auch das zentrale Thema der «Göttlichen Komödie».

Was bedeutet die Wiedergeburt des Menschen im Sinne der Auferstehung? Auferstehung ist mehr als Unsterblichkeit, ist mehr als ein bloßes Weiterleben nach dem Tod. Und Auferstehung ist auch mehr als die Wiedergeburt in wiederholten Erdenleben. Unsterblichkeit bedeutet das bewusste Fortbestehen des geistigen Wesenskerns des Menschen, des Ich, im rein geistigen Leben nach dem Tode. Wiedergeburt im Sinne der Reinkarnation bedeutet das wiederholte Wiedererscheinen dieses geistigen Wesenskernes in einem sterblichen irdischen Leib.Auferstehung bedeutet die Wiedergeburt des ganzen Menschen im Geistigen. Was ist der ganze Mensch? Der ganze Mensch ist das Ich plus den drei Wesensgliedern – Astralleib, Ätherleib und physischer Leib -, die diesen Kern umhüllen. Das Ich ist zwar unser geistiger Wesenskern, aber noch nicht der ganze Mensch – und die Wesensglieder alleine natürlich noch weniger. Ohne seine wesenhaften Hüllen hat das Ich keine Entwicklungsmöglichkeit. Das Ich wächst und reift nur dadurch, dass es an der Vergeistigung seiner Hüllen arbeitet. Es verwirklicht sich, indem es seine Hüllen wirksam durchdringt. Die Integrität der Wesenshüllen des Menschen muss gewahrt werden, wenn sich das Ich voll entfalten soll – darum dreht sich letztlich die ganze Erdenentwicklung.

Die Frage nach dem Fortbestand der menschlichen Leibeshüllen nach dem Tode bewegt Dante tief. Er spricht davon noch nicht in den Gesängen des Infernos, aber gleich dort, wo die Gesänge des Purgatorios anheben und die Gestalten der Toten an ihn herantreten:

Hervor trat eine jetzt, so inniglich
Mich zu umarmen, mit so holden Mienen,
Daß mein Verlangen ganz dem ihren glich.

Leere Schatten, die Gestalt nur schienen!
Dreimal halt’ ich die Hände hinter ihr,
Und dreimal kehrt’ ich zu der Brust mit ihnen. (Purgatorio 2)


Sichtbar sind die Gestalten wohl, aber es fehlt ihnen "doch gar zu sehr am Greiflich-Tüchtighaften" und sie werfen im Licht der Sonne auch keinen Schatten wie Dante selbst. Die Toten erscheinen zwar als menschliche Gestalten, aber ihnen fehlt die feste Grenze, die sie für andere undurchdringlich macht. Im Erdenleben schafft uns der stoffliche Leib diese feste Begrenzung, bietet uns einen Innenraum, der nur uns gehört und der dadurch unsere Identität wahrt und verhindert, dass wir uns in unserer Umwelt verlieren. Dieses Grenzerlebnis ist entscheidend für die Entwicklung unseres Ichbewusstseins. Dieses Grenzerlebnis, das wir im physischen Leben haben, muss ins Geistige übertragen werden, wenn wir unser volles Selbstbewusstsein nicht verlieren wollen. Wir müssen mit unserem Geistesleben dem äußeren Geistesleben objektiv gegenübertreten, wir dürfen damit nicht unterschiedslos zusammenfließen, wenn wir nicht ein unselbstständiges Glied der geistigen Welt werden wollen.

Inhalt und Bedeutung

Gustave Doré: Dante begegnet dem Löwen

Bei Dante wird nun alles, was früher geistige Schau des Äußeren war, zum tiefen inneren persönlichen Erlebnis. Dante beschreibt, was er bei seinem Hinabstieg in die eigenen Seelentiefen erlebt. In des Lebens Mitte, so schildert er, irrt er in der Nacht zum Karfreitag des Jahres 1300 durch einen wilden grauenvollen Wald. Der Wald ist, ähnlich wie bei Brunetto oder später in Goethes Faust II ("Waldung, sie schwankt heran..."), ein Bild für die ätherischen Lebenskräfte der Natur. Dennoch - die Schau des Geistigen, das die äußere irdische Natur durchwebt, tritt bei Dante zurück. Die Göttin Natura tritt in seiner «Commedia» nicht mehr explizit auf, sie wird höchstens in der rätselhaften Figur der Matelda, die Dante im irdischen Paradies begegnet, angedeutet. Teilweise zeigt auch Beatrice gewisse Züge der Natura, aber insgesamt ist doch alles, was aus dem alten Naturhellsehen stammte, endgültig verschwunden.

Dante begegnen zunächst drei wilde Tiere, in denen sich die noch ungeläuterten Kräfte der seelischen Wesensglieder widerspiegeln - ein Pardelluchs (manchmal auch als Panthertier übersetzt), ein Löwe und eine Wölfin.

31Sieh, beim Beginn des steilen Weges, schier
Bedeckt mit buntgeflecktem Fell die Glieder,[1]
Gewandt und sehr behend ein Pantherthier.
34Nicht wich’s von meinem Angesichte wieder,
Und also hemmt’ es meinen weitern Lauf,
Daß ich mich öfters wandt’ in’s Thal hernieder.
37Am Morgen war’s, die Sonne stieg herauf,[2]
Von jenen Sternen, so wie einst umgeben,
Als Gottes Lieb’ aus ödem Nichts herauf
40 [9] Die schöne Welt berief zu Sein und Leben;
So ward durch jenes Thier mit buntem Haar
Anlaß zur Sorge doch mir nicht gegeben,
43Zu solcher Stund’, im süßen, jungen Jahr –
Wenn Grund zur Furcht mir alsbald nicht erregte[3]
Nunmehr ein Löwe, den ich ward gewahr!

46Es schien, daß er sich gegen mich bewegte,
Erhobnen Haupt’s und mit des Hungers Wuth,
So daß er Zittern selbst der Luft erregte.
49Auch eine Wölfin, welche jede Glut [4]
Der Gier durch Magerkeit mir schien zu zeigen,
Die schon auf Viele schweren Jammer lud.
52Vor dieser mußte so mein Muth sich neigen,
Aus Furcht, die bei dem Anblick mich durchbebt,
Daß mir die Hoffnung schwand, zur Höh’ zu steigen.
55Wie der, der eifrig zu gewinnen strebt,
Wenn zum Verlieren nun die Zeit gekommen,
In Kümmerniß und tiefem Bangen lebt:
58So machte dieses Unthier mich beklommen;
Von ihm gedrängt, mußt’ ich mich rückwärts ziehn,
Dorthin, wo nimmer noch die Sonn entglommen.

Die drei Tiere sind Imaginationen, die die Schwächen der seelischen Wesensglieder, also der Empfindungsseele, der Verstandes- oder Gemütsseele und der Bewusstseinsseele, sichtbar machen:

"Eine Wölfin ist für Dante das Bild für die Unmäßigkeit, für die Schattenseiten der Empfindungsseele. Dann begegnen uns die Schattenseiten der Verstandesseele als der Entwickelung widerstrebende Kräfte: Was nicht in sich geschlossener Starkmut ist, was sinnlos aggressive Kräfte der Verstandesseele sind, das tritt uns in Dantes Phantasie als ein zu Bekämpfendes in dem Löwen entgegen. Und die Weisheit, die nicht nach den Höhen der Welt hinaufstrebt, die sich nur als Klugheit und Schlauheit auf die Welt richtet, tritt uns in dem dritten Bilde, in dem Luchs, entgegen. Die «Luchs-Augen» sollen darstellen Augen, die nicht Weisheitsaugen sind, die in die geistige Welt hineinsehen, sondern Augen, die nur auf die Sinnenwelt gerichtet sind." (Lit.: GA 059, S. 289)

Ihnen muss durch die platonischen Tugenden Weisheit, Starkmut und Mäßigkeit entgegengewirkt werden:

"Weisheit, die Kraft der Bewußtseinsseele; Starkmut in sich selber, die Kraft, welche der Verstandes- oder Gemütsseele entstammt, und Mäßigkeit, dasjenige, was die Empfindungsseele in ihrer höchsten Entfaltung erreicht. Wenn das Ich durchgeht durch eine Entwickelung, die getragen ist von der Mäßigkeit der Empfindungsseele, von der Starkheit oder inneren Geschlossenheit der Verstandes- oder Gemütsseele, von der Weisheit der Bewußtseinsseele, dann kommt es allmählich zu höheren Seelenerlebnissen, die in die geistige Welt hinaufführen." (Lit.: GA 059, S. 289)

– dazu gehört dann noch die Gerechtigkeit, die unmittelbar mit der Ich-Kraft zusammenhängt.

Inferno

Übersicht

Dante und Virgil in der Hölle von William Bouguereau (1850)
Ary Scheffer: Francesca da Rimini und Paolo Malatesta (1854)
Anselm Feuerbach: Paolo und Francesca, 1864
1      Der finstere Wald; die drei Tiere; Virgil; der „Veltro“.
2      Mission Virgils; die drei himmlischen Frauen.
3      Eingang der Hölle; die Unentschlossenen; Acheronstrom.
4      Erster Kreis Limbus (= Vor-Hölle); tugendhafte Heiden.
5      Zweiter Kreis Wollust; Francesca und Paolo.
6      Dritter Kreis Gier; Ciaccos Prophetie.
7      Vierter Kreis Geiz und Verschwendung.
8      Fünfter Kreis Styx Zorn, Trägheit des Herzens.
9      Sechster Kreis die Stadt Dis; der hohe Gesandter (Aeneas).
10    Ketzer in glühenden Sarkophagen; Farinata.
11    Erklärung der Einteilung der Hölle Aristotelische Laster
12    Siebenter Kreis Gewalttäter gegen Andere.
13    Gewalt gegen sich selbst Wald der Selbstmörder.
14    Gewalt gegen Gott Gotteslästerer.
15,16    Gewalt gegen die Natur Brunetto Latini.
17    Wucherer; das Ungeheuer Geryon (Betrug).
18    Achter Kreis Malebolge mit 10 Sacktälern.
19    Simonisten Päpste Nikolaus III. Bonifacius VIII.
20    Wahrsager. Zauberer.
21    Bestechende und Bestechliche; glühender Pechsee.
22    Humoristisches Intermezzo: Teufel im Pechsee.
23    Heuchler; Pharisäer.
24,25    Diebe und Räuber; Schlangen als Peiniger.
26    Schlechter Ratgeber — Ulysses' Fahrt nach dem Westen.
27    Schlechte Ratgeber (Fortsetzung).
28    Stifter von Zwietracht; Mohammed; Bertran de Born.
29    Falschmünzer.
30    Fälscher.
31    Neunter Kreis   Untere Regionen der Hölle.
32    Das ewige Eisgefilde des Verrates. Verrat an Verwandten
       an dem Vaterland.
33    Ugolino.
34    Verrat an Wohltätern, an Gott. Luzifer;
        mechanischer Flügelschlag.
        Judas, Brutus, Cassius.
        Durchgang durch den Mittelpunkt der Erde zum
        Läuterungsberg.


Als geistiger Führer durch die Unterwelt erscheint nun Vergil. Im Anticlaudian des Alanus ab Insulis waren die Wesen der Unterwelt erst ganz am Schluß zum Kampf angetreten. Bei Dante wird der Schilderung der Unterwelt, des Infernos, von Anfang an breiter Raum gegeben. Die 9 Kreise der Hölle haben einen deutlichen Bezug zu den seelischen Wesensgliedern:

Sandro Botticelli: Karte von Dantes Inferno (ca. 1480–1495)
Luzifer (eigentlich Satan), der Herr der Hölle, Illustration von Gustave Doré zu Dantes Göttlicher Komödie
Dante und Vergil im 9. Kreis der Hölle, Gustave Doré, 1861

Bis zum 6. Kreis, wo sich die schreckliche Stadt Dis befindet, werden die Folgen der Unmäßigkeit gebüßt – also die vorwiegend luziferischen Verfehlungen der Empfindungsseele. Im 7. Höllenkreis schmoren die Gewalttäter; hier ist auch der schreckliche Wald der Selbstmörder – eben alle, die nicht genügend Starkmut entwickelt haben, um die Verstandes- oder Gemütsseele zu läutern. Ab dem 8. Kreis finden sich die Simonisten, die falschen Wahrsager und Zauberer, die Lügner, Betrüger und Verräter, die sich der ahrimanischen Verfehlungen der Bewusstseinsseele schuldig gemacht haben. Im Zentrum, im 9. Kreis, in der Eishölle, finden wir nach Dantes Schilderung Luzifer – tatsächlich ist es aber Ahriman, der von hier aus seine Kräfte ausschickt.

Die 9 Kreise der danteschen Hölle korrespondieren mit den 9 Schichten des Erdinneren, wie sie Rudolf Steiner gelegentlich charakterisiert hat. Sie stellen die Summe der astralen Kräfte dar, die den Menschen an die Erde fesseln und ihn immer wieder zu einer neuen Inkarnation herunterziehen, solange er diese Kräfte nicht aus seinem Wesen ausgeschieden hat. Dante schildert die gemäß der katholischen Lehre die Hölle als Ort der ewigen Verdammnis. Wahr ist, dass diese Kräfte nicht im Kamaloka abgetan werden können, sondern dass sich der Mensch erst nach und nach im Laufe der aufeinanderfolgenden Inkarnationen von ihnen endgültig befreien kann. Dante ist allerdings der Reinkarnationsgedanke noch weitgehend fremd. Allerdings bereitet ihm die von der Kirche postulierte ewige Verdammnis sämtlicher auch hochstehender Persönlichkeiten der vorchristlichen Zeit Unbehagen. Und so findet sich in seiner Commedia, fußend auf der «Legenda Aurea», eine vielsagende Ausnahme von der sonst unumstößlichen Regel: Kaiser Trajanus sei auf Fürsprache von Papst Gregor dem Großen die Gunst eines neuerlichen Erdenlebens in gewährt worden, in dem er die Taufe empfangen habe und so von der ewigen Verdammnis befreit worden wäre.

Es besteht allerdings künftig die Gefahr, dass Menschenseelen zum Raube Ahrimans werden und sich ganz mit der Erdenschlacke verbinden. Wie schon erwähnt, haust Ahriman in der Eishölle, nicht Luzifer. Dante schildert ihn als riesenhaftes grausiges Wesen mit 3 Gesichtern und fledermausartigen Flügeln (Inferno 34,11).

Dante schildert den Höllenraum als sich nach unten zu immer mehr verengenden Trichter, auf dessen Grund sich – im Erdenzentrum – die Eishölle befindet – ein vielsagendes Bild des immer stärkeren Eingeschlossen- und Eingefrorenseins in den materiellen Kräften. Von hier unten greift Ahriman herauf nach dem Menschengeist und will ihn in die geistigen Gesetzmäßigkeiten des Materiellen Daseins hineinzwingen. Ahriman will den Menschengeist mechanisieren, Luzifer hingegen will den Menschen zum moralischen Automaten machen, d.h. ihn eigentlich in den Unschuldszustand des Tieres zurückversetzen. Das menschliche Ich fiele dadurch in den Schoß der geistigen Welt zurück – allerdings in den Schoß der luziferischen geistigen Welt. Durch Ahriman würde das menschliche Ich zersplittert. Diese Splitter will sich Ahriman einverleiben und dadurch der göttlichen Schöpferkraft teilhaftig werden, die als Funke im menschlichen Ich lebt.

Rudolf Steiner weist darauf hin, dass sich die ersten 7 Schichten des Erdinneren dem geistigen Blick eröffnen, wenn man die 7 Stufen des christlichen Einweihungsweges durchschreitet:

Die 9 Schichten des Erdinneren

"Auch für die hellseherische Forschung besteht die Erde aus Schichten, und es stellt sich heraus, daß diese Schichten stufenweise wahrnehmbar werden.

Diejenigen, welche die Vorträge über das Johannes-Evangelium gehört haben, werden sich erinnern, daß es sieben Stufen der christlichen Einweihung gibt. Diese bestehen erstens in der Fußwaschung, zweitens in der Geißelung, drittens der Dornenkrönung, viertens der Kreuztragung, fünftens im mystischen Tod, sechstens in der Grablegung, siebentens in der Auferstehung. In der Tat tritt für jede dieser Einweihungsstufen in bezug auf die Erforschung der Erde etwas besonders Merkwürdiges zutage, nämlich für jede dieser Einweihungsstufen erweist sich eine jeweils um einen Grad tiefer liegende Schicht unserer Erde als durchsichtig, so daß derjenige, welcher die erste Stufe der Einweihung erreicht hat, zunächst die erste Schicht der Erde durchschauen kann. Wer die zweite Stufe erreicht hat, durchschaut eine zweite Schicht, die ganz anders aussieht. Derjenige, der die Dornenkrönung erlebt hat, sieht eine dritte Schicht. Dann kommt die Stufe der Kreuztragung, welche die vierte Schicht sichtbar macht. Die fünfte Stufe, der mystische Tod, erschließt eine weitere Schicht. Dann kommt die sechste Stufe, die Stufe der Grablegung. Die siebente Schicht entspricht der Auferstehung, so daß Sie sieben aufeinanderfolgende Schichten haben. Dann liegen jenseits dieser sieben Schichten für diejenigen Stufen, auf die sich der Mensch erhebt, wenn er diese sieben Stufen der Einweihung absolviert hat, noch zwei weitere Schichten des Erdenplaneten, eine achte und eine neunte Schicht des Erdeninneren, so daß wir unser Erdinneres aus neun übereinanderliegenden Schichten aufgebaut haben. Ich habe diese Schichten im wesentlichen gleich breit gezeichnet (siehe Zeichnung); sie sind es in Wirklichkeit nicht, sondern sie sind verschieden breit. Aber die Breite der Schichten wird uns heute weniger interessieren können." (Lit.: GA 096, S. 32)

Dante steigt bei seiner Schau des Inferno, wie wir gesehen haben, in seine eigenen Seelentiefen hinab. Schaut man das mit dem, was eben beschrieben wurde, zusammen, so erkennt man, dass man durch die 7 Stufen des christlichen Einweihungsweges alles das erkennen kann, was mit den Verfehlungen der Empfindungsseele und der Verstandesseele zusammenhängt. Damit korrespondieren die 7 oberen Schichten des Erdinneren. Nicht erreicht man auf diesem Weg das eigentlich Böse, das mit der Bewusstseinsseele zusammenhängt. Dazu sind zwei weitere Schritte nötig. Erst durch die Bewusstseinsseele kann der Mensch aus eigenem Entschluss böse werden – bis dahin ist er Opfer der luziferischen und ahrimanischen Verführer. Im Ausgleich dazu wird der Mensch aber auch erst durch die Bewusstseinsseele fähig, selbsttätig Moral zu schaffen. Rudolf Steiner hat mit seinem in der Philosophie der Freiheit geprägten Begriff der moralischen Intuition darauf hingewiesen.

Erst mit dem Bewusstseinsseelenzeitalter eröffnet sich dem Menschen die zweifache Perspektive: entweder Ahriman in sich aufzunehmen – wodurch es zur Inkarnation Ahrimans kommt - und sich ganz mit der Erdenschlacke zu verbinden – oder das Ich mit dem Christus zu erfüllen im Sinne des Paulus-Wortes "Nicht ich, sondern der Christus in mir!"

Purgatorio

Übersicht

Dante schaut auf den Läuterungsberg. Gemälde von Agnolo Bronzino (1530)
Domenico di Michelino, La Divina Commedia di Dante (Dante Alighieri und die drei Reiche: Hölle, Fegfeuer und Paradies). 1465 Fresko in der Kuppel der Kirche Santa Maria del Fiore in Florenz. Dante hält sein Epos «Die Göttliche Komödie» in der linken Hand. Mit der Rechten weist er auf eine Prozession von Sündern zur Hölle, hinter ihm das Purgatorium und eine historische Ansicht der Stadt Florenz um 1465.
1        Venus, der Morgenstern; Cato, Hüter des Läuterungsberges.
2        Ankunft der Engelbarke; Casella, der Sänger.
3       Die unter kirchlichem Bann Gestorbenen; Manfred.
4, 5   Diejenigen die die Buße verschoben haben bis an ihr Lebensende.
6      Sordello; Bußrede über das zerrissene Italien.
7      Tal der Fürsten.
8      Erste Nacht; die zwei Engel; die Schlange der Versuchung.
9      Dantes Traum. Er wird im Schlaf zu der Petruspforte gebracht.
        Der Engel mit dem Schwerte; die 7 P's.
10    Der erste Kreis Hochmut, gute Vorbilder der Demut.
11    Die schwer büßenden Hochmütigen beten das Vaterunser.
12    Vorbilder von bestraftem Hochmut; das erste P. wird getilgt.
13    Zweiter Kreis Neid. Den Neidischen sind die Augen zugenäht.
14    Die Neidischen; warnende Stimmen in der Luft.
15    Übergang zum dritten Kreis Zorn Vision Dantes;
       Vorbilder des Sanftmutes.
16    Dichte Finsternis. Marco Lombardo über den Einfluß der Sterne
        auf die menschliche Seele. Freier Wille.
17    Obergang zum vierten Kreis. Trägheit des Herzens.
        Worte Virgils über natürliche und geistige Liebe
18    Fortsetzung des Gesprächs über Liebe und freien Willen
19    Traum von der Sirene Fünfter Kreis Geiz.
20    Dante verflucht die Habsucht;
       Frage nach dem kommenden Erlöser (Veltro) Erdbeben.
21    Erklärung des Erdbebens:
       eine erlöste Seele darf eingehen in den Himmel; Statius.
22    Sechster Kreis Gier.
23    Forese Donati.
24    Gespräch über die Dichtkunst mit Buonagiunta.
25    Statius' Belehrung über Körper und Seele;
       die Flammen des siebenten Kreises Wollust.
26    Gespräch mit Guinicelli und Arnaut (Troubadour)
        Dante spricht den Letzteren an in der provencalischen Sprache.
27    Dante schreitet durch die Flammen.
       Krönung durch Virgil mit der Kaiserkrone
       und mit der päpstlichen Mitra.
28    Das irdische Paradies Matelda; Lethe und Eunoe.
29    Allegorischer Festzug.
30    Beatrice auf dem Wagen vom Greifen gezogen.
       Virgil ist verschwunden. Beatrices Strafrede.
31    Dantes Erniedrigung. Untertauchung in der Lethe.
       Dante schaut Beatrices Antlitz.
32    Der Paradiesesbaum. Apokalyptische Bilder.
       Riese (Französischer König) und Hure (Papsttum).
33    Beatrices Prophetie des DXV Trunk aus der Eunoe.
       Aufstieg zum Himmel (Paradiso).


Jedem Einweihungsweg muss eine gründliche Läuterung, eine Katharsis, vorangehen, durch die sich der Mensch von jenen seelischen Schwerekräften befreit, die ihn an das nur irdische Dasein fesseln. Dante macht diese Reinigung beim Aufstieg auf den Läuterungsberg durch. Auf sieben Stufen wird die Seele von den 7 Hauptsünden befreit.

Anschließend an die Läuterung muss Dante die für jede Einweihung typischen Proben bestehen, wie sie Rudolf Steiner auch in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» schildert:

Feuerprobe

William Blake, Dante betritt das Feuer

Das geistige Feuer "verbrennt" den Schleier der sinnlichen Welt und die geistigen Urbilder der äußeren Welt leuchten für den imaginativen Blick auf. Das ist eben nur möglich, wenn zuvor auch die letzten Reste der sinnlichen Begierde abgestreift wurden – denn eben diese webt den Sinnesschleier.

Man muss aber auch verstehen lernen, was man sieht. Zur Imagination tritt die Inspiration hinzu. Man lernt die Stimmen der geistigen Welt zu vernehmen. Angesichts der lodernden Feuerwand vernimmt Dante die Worte des Engels:

Er sang am Felsrand, außerhalb der Lohe:
"Beglückt, die reines Herzens sind!" – und mehr
Als menschlich war sein Ton, der mächt’ge, frohe.

Drauf: "Weiter nicht, ihr Heil’gen, bis vorher
Die Glut euch nagte! Tretet in die Flammen,
Und seid nicht taub dem Sang von dortenher!" (Purgatorio 27)

Die Inspiration zu erleben, ist gleichbedeutend damit, dass man lernt die okkulte Schrift zu lesen. Das ist gleichsam die Gebärdensprache der geistigen Welt. Es sind keine ausgedachten Symbole, sondern diese geistige Schrift entspricht genau den Kräften, die in der geistigen Welt wirksam sind. In dieser geistigen Zeichensprache kann man die geistige Welt viel unmittelbarer erfassen und beschrieben als in sinnlichen Gleichnissen – das ganze imaginative Erleben, das bis dahin ein bildhaftes, aber sinnlich-bildhaftes Erleben war, ändert und vertieft sich dadurch.

Wasserprobe

Durch diese Probe muss sich beweisen, ob man sich, wenn die Stütze der äußeren sinnlichen Welt weggefallen ist, frei und sicher in der geistigen Welt bewegen kann. Dazu gehört sichere eigenständige Urteilskraft im Denken, Selbstbeherrschung im Empfinden und Initiativkraft im Wollen (man nimmt freiwillig ernste Verpflichtungen auf sich, zu denen es keinen äußeren Anstoß gibt). Nur so kann man von der Sinneswelt, die einen sicher trägt, zum bewussten Erleben der unaufhaltsam strömenden Ätherwelt übertreten. Man betritt dann wie Dante die ätherische Welt des "irdischen Paradieses" und man lernt wie er die beiden Ströme Lethe und Eunoë kennen. Man tritt in jenen paradiesischen Zustand über, in dem der Mensch war, ehe er sich in dichten stofflichen Leibern verkörperte – und in den er künftig in verwandelter Form wieder übertreten wird.

Luftprobe

Hier muss man nun absolute Geistesgegenwart entwickeln. Es darf kein Zögern und kein Zweifeln mehr geben. Man muss sich ganz sicher und fest auf sich selbst stützen. Man agiert nun ganz selbstständig aus seinem höheren Selbst. Man darf sich nicht verlieren. Das heißt aber auch, dass man seine geistigen Fähigkeiten jederzeit ganz präzise einschätzen muss. Man muss nicht im absoluten Sinne vollkommen sein, dazu bedarf es noch eines weiten Weges – aber man muss sich ganz schonungslos seines eigenen Wertes und auch seines Unwertes bewusst werden. Man muss – um bei Dantes Bild zu bleiben – die Strafpredigt Beatrices über sich ergehen lassen.

Der Trunk des Vergessens

Sandro Botticelli: Beatrice am Lethefluss
Cristobal Rojas: Dante und Beatrice am Lethe-Fluss (1889)

Hat man diese Proben bestanden, darf man in den Strom der Lethe tauchen und aus ihren Fluten trinken. Die Erinnerung an alte Schuld, die hier nur mehr hemmend wäre, wird ausgelöscht. Überhaupt wird das ganze herkömmliche Gedächtnis beiseite gestellt – es darf sich keine Erinnerung, nichts im Leben Erfahrenes oder Erlerntes, störend in die geistige Erkenntnis einmischen, die nur mehr aus der unmittelbaren Geistesgegenwart schöpfen darf.

Der Gedächtnistrank

Noch ein zweiter «Trank» wird dem Eingeweihten gereicht – der Gedächtnistrank. Durch ihn sind ihm die höheren Geheimnisse und vor allem auch das genaue Bewusstsein für das Maß der eigenen Kräfte ständig lebendig gegenwärtig. Dazu würde das gewöhnliche Gedächtnis nicht ausreichen. Man ist jetzt unmittelbar mit den geistigen Welten verbunden und handelt aus ihrem lebendigen Anschauen. Man muss darüber nicht mehr nachdenken, das Handeln aus dem Geistigen heraus ist einem zur zweiten Natur geworden.

Die Auferstehungsfrage

Je weiter Dante den Läuterungsberg hinansteigt, desto mehr wird ihm zur Frage, wieso die Toten überhaupt als geschlossene Gestalt erscheinen können. Angesichts derer, die für ihre Gier hier zur Buße magern müssen fragt er:

"Wie wird man hier so mager,
Hier, wo kein Leib ist, welchen Speis erhält?"

Von Statius (Publius Papinius Statius, ca. 45 - 96 n. Chr.), dem römischen Dichter, wird er nun über das Verhältnis von Seele und Leib und über die Bildung der menschlichen Gestalt belehrt:

Das reinste Blut, das von den Adern nie
Getrunken wird, vergleichbar einer Speise,
Die über den Bedarf Natur verlieh,

Empfängt im Herzen wunderbarerweise ,
Die Bildungskraft für menschliche Gestalt,
Geht dann mit dieser durch der Adern Kreise,

Noch mehr verkocht, zu einem Aufenthalt,
Den man nicht nennt, von wo’s zu anderm Blute
In ein natürlich Becken überwallt.

Daß beides zum Gebild zusammenflute,
Ist leidend dies, und tätig das, vom Ort,
In dem die hohe Bildungskraft beruhte.

Drin angelangt, beginnt’s sein Wirken dort;
Geronnen erst, erzeugt es junges Leben
Und schreitet in des Stoffs Verdichtung fort.

Die Seel entsteht aus tät’ger Kräfte Streben,
Wie die der Pflanze, die schon stillesteht,
Wenn jene kaum beginnt, sich zu erheben.

Bewegung zeigt sich dann, Gefühl entsteht,
Wie in dem Schwamm des Meers, und zu entfalten
Beginnt die tät’ge Kraft, was sie gesät.

Nun beugt, nun dehnt die Frucht sich aus, beim Walten
Der Kraft des Zeugenden, die, nie verwirrt
Von fremdem Trieb, nur ist, um zu gestalten.

Doch, Sohn, wie nun das Tier zum Menschen wird,
Noch siehst du’s nicht, und dies ist eine Lehre,
Worin ein Weiserer als du geirrt.

Er war der Meinung, von der Seele wäre
Gesondert die Vernunft, weil kein Organ
Die Äußerung der letztern uns erkläre.

Jetzt sei dein Herz der Wahrheit aufgetan,
Damit dein Geist, was folgen wird, bemerke!
Wenn Bildung das Gehirn der Frucht empfah’n,

Kehrt, froh ob der Natur kunstvollem Werke,
Zu ihr der Schöpfer sich und haucht den Geist,
Den neuen Geist ihr ein, von solcher Stärke,

Daß er, was tätig dort ist, an sich reißt,
Und mit ihm sich vereint zu einer Seele,
Die lebt und fühlt und in sich wogt und kreist.

Und, daß dir’s nicht an hellerm Lichte fehle,
So denke nur, wie sich zum edlen Wein
Die Sonnenglut dem Rebensaft vermählte.

Gebricht es dann der Lachesis an Lein,
Dann trägt sie mit sich aus des Leibes Hülle
Des Menschlichen und Göttlichen Verein;

Die andern Kräfte sämtlich stumm und stille,
Doch schärfer als vorher in Macht und Tat,
Erinnerung, Verstandeskraft und Wille.

Und ohne Säumen fällt sie am Gestad,
An dem, an jenem, wunderbarlich nieder,
Und hier erkennt sie erst den weitern Pfad.

Kaum ist sie nun auf sicherm Orte wieder,
Da strahlt die Bildungskraft rings um sie her,
So hell wie einst beim Leben ihrer Glieder.

Und wie die Luft, vom Regen feucht und Schwer.
Sich glänzend schmückt mit buntem Farbenbogen
Im Widerglanz vom Sonnenfeuermeer;

So jetzt die Lüfte, so die Seel’ umwogen,
Worein die Bildungskraft ein Bildnis prägt,
Sobald die Seel’ an jenen Strand gezogen.

Und gleich der Flamme, die sich nachbewegt,
Wo irgendhin des Feuers Pfade gehen,
So folgt die Form, wohin der Geist sie trägt.

Sieh daher die Erscheinung dann entstehen,
Die Schatten heißt; so bildet sich in ihr
Jedwed Gefühl, das Hören und das Sehen.

Und daher sprechen, daher lachen wir,
Und daher weinen wir die bittern Zähren
Und seufzen laut auf unserm Berge hier.

Der Schatten bildet sich, je wie Begehren
Und Leidenschaft uns reizt und Lust und Gram.
Dies mag dir, was du angestaunt, erklären. (Purgatorio 25)

In der Blutswärme lebt die Willenskraft des Ich. Mit dem Blut strömen die Bildekräfte, die die menschliche Gestalt formen. Das geistige Feuer, die innige Seelenwärme, die strömende ätherische Wärme und die äußere Wärme durchdringen sich so sehr, dass Leib, Seele und Geist nahezu untrennbar ineinander verschlungen werden. Wären die Hüllenglieder des Menschen nicht durch den Sündenfall und seine Folgen korrumpiert, würden wir die Formkräfte, die die menschliche Gestalt bilden, unmittelbar in das geistige Dasein mitnehmen. Durch den Einfluss der luziferischen und ahrimanischen Widersacher haben sich aber immer mehr Kräfte der Finsternis und Kälte unseren Wesensglieder einverwoben. Sie können nicht in das höhere geistige Dasein mitgehen und müssen ausgeschieden werden.

Paradiso

Übersicht

Carl Wilhelm Friederich Oesterly: Dante und Beatrice
Poul S. Christiansen, Dante und Beatrice im Paradies, 1835
1       Anruf an Apollon. Aufstieg durch die Feuersphäre zur Mondsphäre.
2      Mondsphäre. Belehrung über die finsteren Stellen auf der Mondfläche.
3      Niedrigste Form der Seligkeit. Piccarda. Gelübde.
4      Zusammenhang der Seelen mit den Sternen (Plato) über gebrochene Gelübde.
5      Merkursphäre Die Ehrgeizigen im edelen Sinne.
6      Kaiser Justinian. Geschichte Roms.
7      Lehre der Erlösung ,Nella Fiamma d'Amor'.
8      Venussphäre Diejenigen die viel geliebt haben. Karl Martell.
9      Cunizza; Folco von Marseille (Minnesänger).
10    Sonnesphäre. Kreis von Lichtern: die Weisen. S. Thomas von Aquino Reigen.
11    Lobrede über S. Franziscus von Assisi durch S. Thomas.
12    Zweiter Lichtkreis. S. Bonaventura lobt und preist S. Dominicas.
13    Reigen der 24 Lichter. Thomas belehrt Dante über Adam und Christus,
       über die Schöpfung.
14    König Salomon spricht über den Auferstehungsleib.
        Dritter Lichtkreis. Aufstieg zur Marssphäre; Kreuz.
15    Dantes Vorfahr Cacciaguida.
16    Cacciaguidas Bild der alten Stadt Florenz.
17    Prophetie Cacciaguidas über Dantes Schicksal.
18    Aufstieg zur Jupitersphäre. Gerechte Fürsten.
19    Der Adler der gerechten Seelen. Gerechtigkeit Gottes.
20    Göttlicher Gnade; Trajanus. Ripheus.
21    Saturnsphäre Die kontemplativen Seelen. Himmelleiter. Schallender Ruf.
22    Erklärung des Rufes: Erniedrigung des Bonifacius VIII durch Frankreich.
       S. Benedictus.
       Sphäre der Fixsterne. Dante in seinem Sternbild: Zwillinge.
23    Erscheinung Christi und Mariae.
24    Petrus. Frage über den Glauben. Dantes Credo.
25    Jacobus Frage über die Hoffnung. Johannes. Dante erblindet.
26    Johannes Frage über die Liebe. Dante wird wieder sehend. Gespräch mit Adam.
27    Bußrede Petri gegen die Entartung der Kirche. Primum Mobile.
28    Im Kristallhimmel. Die Engelswelt und Körperwelt in ihrer Beziehung; die Intelligenzen.
       Belehrung: über die Engelshierarchie in neun Kreisen.
29    Beatrices Belehrung über die Engel.
30    Empyreum. Außerhalb des Raumes und der Zeit. Das Lichtmeer.
        Die Himmelsrose. Sessel der seligen Geister.
31    Himmelsrose. Beatrice nimmt ihren Sessel ein. S. Bernardus von Clairvaux.
        Dantes Danksagung.
32    Erklärung der Einteilung der Himmelsrose.
33    S. Bernardus' Gebet an Maria. Die drei Zirkel. Antlitz Gottes: Visio Dei.
       Dante fühlt seinen Willen und seine Sehnsucht aufgenommen in die Liebe,
      die das All bewegt.
Dantes Himmelsspirale. Illustration zu Dantes Divina Commedia von William Blake.

Die Liebeskraft des Christus ist es, die die düsteren Kräfte, die uns am geistigen Aufstieg im nachtodlichen Leben hindern würden, aus unseren Wesensgliedern herausreißt – und das war auch schon in vorchristlicher Zeit seit dem Sündenfall so. Diese finsteren und kalten Seelenkräfte sind es, die sich vor allem in den Erdentiefen sammeln bzw. als düstere Decke über die Erde breiten und von denen Dante in den Gesängen des Infernos und des Purgatorios spricht. Diese Kräfte sind es aber auch, die unserer Hüllennatur ihre undurchdringliche Festigkeit verleihen - allerdings auf verfehlte Weise, denn sie materialisieren unsere Hüllen zu einem sterblichen stofflichen Körper, der immer wieder dem Zerfall anheim gegeben wird, weil er sich spröde den gestaltenden geistigen Kräften widersetzt und unter deren Ansturm notwendig zerbricht. Im geistigen Leben nach dem Tode fehlen uns daher wesentliche Teile unserer Hüllennatur. Vom Astralleib fällt alles ab, was mit irdisch egoistischen Begierden durchsetzt ist. Vom Ätherleib, der der Träger des Gedächtnisses und u.a. auch der menschlichen Temperamente ist, können wir nur einen schwachen Auszug in das geistige Dasein mitnehmen. Und der physische Leib, der am meisten von der "Verstofflichung" befallen ist, wird mit dem Tode fast völlig abgestreift. Dabei ist daran zu erinnern, dass physischer Leib und stofflicher Leib nicht gleichbedeutend sind. Der physische Leib ist die nur übersinnlich erfahrbare Formgestalt des Menschen, von Rudolf Steiner auch als Phantomleib bezeichnet, die nur dadurch sinnlich sichtbar wird, dass sie sich mit irdischer Stofflichkeit erfüllt. Alles irdisch Stoffliche verfällt dem Grab, und das ist für das nachtodliche Leben kein Verlust. Aber wir verlieren eben auch wesentliche Teile unserer physischen Formgestalt – und das ist eine entscheidende Einbuße, denn gerade diese Formgestalt gibt uns jene feste Grenze, ohne die wir unser Selbstbewusstsein nicht weiterentwickeln können. Das einmal im irdischen Dasein erworbene Ichbewusstsein geht zwar nicht verloren, aber es kann im Leben nach dem Tod wegen des mangelnden Grenzerlebnisses nicht weiterentwickelt werden. Das geht erst wieder im nächsten Erdenleben. Damit der Mensch einmal aus dem Kreislauf der Wiedergeburten herauskommen und dauerhaft in ein geistigeres Leben übertreten kann, muss erstens seine Ich-Kraft gestärkt werden und zweitens seine Hüllennatur vor dem Verfall gerettet werden. Alle Verfehlungen, die wir im irdischen Leben begannen haben, schwächen unsere Ich-Kraft. In einem neuen Erdenleben können wir aber diese Fehler im Zuge des Schicksalsgeschehens selbst ausgleichen. Unsere Hüllen hingegen können wir nicht alleine aus eigener Kraft vor dem Sturz in die Finsternis bewahren. Dazu bedarf es der lichten Auferstehungskraft des Christus, die sich durch das Mysterium von Golgatha mit der Erdensphäre verbunden hat. Nur wenn wir uns mit dieser lichten Auferstehungskraft durchdringen, werden wir fähig, das strahlende Licht der geistigen Welt zu ertragen, ohne dass unser Ichbewusstsein durch ihren Glanz so überstrahlt wird, dass wir uns selbst vergessen und verlieren. In seiner Schilderung der geistigen Sonnensphäre weist Dante darauf sehr deutlich hin. Beatrice, die jetzt seine Führerin durch die geistige Welt ist, bittet die im Lichte strahlenden Geister, Dantes diesbezügliche unausgesprochene Frage zu beantworten:


 Ihm tut es not, obwohl er’s euch nicht kund
In Worten gibt, noch läßt im Innern lesen,
Zu späh’n nach einer andern Wahrheit Grund.

Sagt ihm, ob dieses Licht, das euer Wesen
So schön umblüht, euch ewig bleiben wird
Im selben Glanze, wie’s bis jetzt gewesen.

Und, bleibt’s. So sagt, damit er nimmer irrt,
Wie, wenn ihr werdet wieder sichtbar werden,
Es euren Blick nicht blendet und verwirrt. (Paradiso 14)


Worauf aus dem Chor der Geister die Antwort tönt:


Solang die Lust im himmlischen Gefilde,
So lange währt auch unsre Lieb’ und tut
Sich kund um uns in diesem Glanzgebilde.

Und seine Klarheit, sie entspricht der Glut,
Die Glut dem Schau’n, und dies wird mehr uns frommen,
Je mehr auf uns die freie Gnade ruht.

Wenn wir den heil’gen Leib neu angenommen,
Wird unser Sein in höhern Gnaden stehn,
Je mehr es wieder ganz ist und vollkommen.

Drum wird sich das freiwill’ge Licht erhöh’n,
Das wir vom höchsten Gut aus Huld empfangen,
Licht, welches uns befähigt, ihn zu sehn,

Und höher wird zum Schau’n der Blick gelangen,
Höher die Glut sein, die dem Schau’n entglüht,
Höher der Strahl, der von ihr ausgegangen.

Doch, wie die Kohle, der die Flamm’ entsprüht,
Sie an lebend’gem Schimmer überwindet
Und wohl sich zeigt, wie hell auch jene glüht;

So wird der Glanz, der jetzt schon uns umwindet,
Dereinst besiegt von unsres Fleisches Schein,
Wenn Gott es seiner Grabeshaft entbindet.

Nicht wird uns dann so heller Glanz zur Pein;
Denn stark, um alle Wonnen zu genießen,
Wird jedes Werkzeug unsers Körpers sein. (Paradiso 14)

Die Engelhierarchien

Gustave Doré, Illustration zu Dantes Paradiso
John Flaxman: Un punto vidi che raggiava (Mir strahlt’ ein Punkt, so glanzentglüht und scharf...)

Im 28. Gesang wird Dantes Blick für die geistigen Hierarchien eröffnet:

13 Ich sah jetzt das mir in die Augen dringen,
Als ich die Blicke suchend rückwärts warf,
Was die erspähn, die diesen Kreis erringen.
16 Mir strahlt’ ein Punkt, so glanzentglüht und scharf,[5]
Daß nie ein Auge, das er mit dem hellen
Glutschein bestrahlt, ihm offen trotzen darf.
19 Ließ sich zu ihm das kleinste Sternlein stellen,[6]
Ein Mond erschien’ es, könnt’ es seinem Licht,
So nah’, wie Stern dem Stern, sich beigesellen.
22 So weit, als Sonn’ und Mond ein Hof umflicht,
Vom eignen Glanz der beiden Stern’ entsprungen,
Wenn sich in dichtem Dunst ihr Schimmer bricht,
25 War um den Punkt ein Kreis, so schnell geschwungen[7]
In reger Glut, daß er auch überwand
Den schnellsten Kreis, der rings die Welt umschlungen.
28 Und dieser war vom zweiten rings umspannt,
Um den der dritte dann, der vierte wallten,
Die dann der fünfte, dann der sechst’ umwand.
31 Drauf sah man sich den siebenten gestalten,
So weit, daß Iris halber Kreis, auch ganz,[8]
Doch viel zu enge wär’, ihn zu enthalten.
34 Dann wand der achte sich, der neunte Kranz,
Und jeder war langsamer’n Schwungs, je weiter
Er ferne stand von jenem einen Glanz.
37 Und jedes’ Licht ist reiner mehr und heiter,
Je minder fern er ist von seiner Spur,
Und in der reinen Glut je eingeweihter.
40 Sie, die mich sehend, meinen Wunsch erfuhr,
Sprach ungefragt: „Von diesem Punkte hangen
Die Himmel ab, die sämmtliche Natur.
43 Sieh jenen Kreis, der ihn zunächst umfangen;
Das, was ihn treibt, daß er so eilig fliegt,
Es ist der heil’gen Liebe Glutverlangen.“[9]
46 Und ich zu Ihr: „„Wäre die Welt gefügt
Nach dem Gesetz, das herrscht in diesen Kreisen,
So hätte völlig mir dein Wort genügt.
49 Doch in der Welt, der sichtbaren, beweisen,
Die Schwingungen je größre Göttlichkeit,
Je ferner sie vom Mittelpunkte kreisen.
52 Drum soll in dieser Engels-Herrlichkeit,
Im Tempel, den nur Lieb’ und Licht umschränken,
Ich ruhig sein, von jedem Wunsch befreit,
55 So sprich: Wie kommt’s – ich kann mir’s nicht erdenken –
Daß Abbild sich und Urbild nicht entspricht
Und andere Gesetze beide lenken?““
58 „Genügt dein Finger solchem Knoten nicht,
So ist’s kein Wunder; weil ihn zu entstricken
Niemand versuchte, ward er fest und dicht.“
61 Sie sprach’s, und dann: „Nimm, um dich zu erquicken,
Das, was ich dir verkünden werd’; allein
Betracht’ es ganz genau mit scharfen Blicken.
64 Ein Körperkreis muß weiter, enger sein,
Je wie die Kraft, die sich durch seine Theile
Gleichmäßig ausdehnt, groß ist oder klein.
67 Die größre Güte wirkt zu größerm Heile,
Und größres Heil füllt größeres Gebiet,
Ward jeder Gegend gleiche Kraft zu Theile.
70 Der Kreis drum, der das Weltall mit sich zieht,
In seinem Schwung, entspricht in seiner Weise
Dem, der am meisten liebt, am tiefsten sieht.
73 Darum, wenn du dein Maß dem innern Preise,
Und nicht dem äußern Umfang angelegt,
Von dem, was dort erscheint, wie runde Kreise,

76 So wirst du, zur Bewunderung erregt,
Das Mehr und Minder sich entsprechen sehn
In jedem Kreis, und dem, was ihn bewegt.“ –
79 Wie rein das Blau erglänzt aus Aethershöhen,
Wenn Boreas Luft aus jener Backe stößt,[10]
Aus der gelinder seine Hauche wehen,
82 So, daß vom Dunst gereinigt und gelöst,
Der ihn getrübt, in seinen weiten Auen
Der Himmel lächelnd jeden Reiz entblößt;
85 So ward mir jetzt beim Worte meiner Frauen,[11]
Denn dieses ließ die Wahrheit mich so klar,
Wie einen Stern am reinen Himmel schauen.
88 Und als ihr heil’ges Wort beendet war,
Da stellten anders nicht, als siedend Eisen,
Sich jene Kreise, Funkend sprühend, dar.
91 Die Funken folgten den entflammten Kreisen
In größrer Meng’, als durch Verdoppelung
Schachfelder sich vertausendfacht erweisen.[12]
94 Dem festen Punkt, der sie ohn’ Aenderung
Dort, wo er sie erhält, auch wird erhalten,
Scholl Lobgesang aus dieser Kreise Schwung.
97 „Zwei Kreise sieh dem Punkt zunächst sich halten,“[13]
Sie sprach’s, stets wissend, was mein Geist ersinnt,
„Und Seraphim und Cherubim drin walten.
100 Sie folgen ihren Fesseln so geschwind,[14]
So viel sie können, Ihm sich anzuschließen,
Und können’s, wie sie hoch im Schauen sind.
103 Die Gluten drauf, die diese rings umfließen,
Die Throne sind’s, von Gottes Angesicht
Benannt, weil sie die erste Dreizahl schließen.
106 So groß ist Aller Wonn’, als ihr Gesicht,
Tief in die ew’ge Wahrheit eingedrungen,
Die alle Geister stillt mit ihrem Licht.
109 Durch Schau’n wird also Seligkeit errungen,
Nicht durch die Liebe, denn sie folgt erst dann,
Wenn sie dem Schau’n, wie ihrem Quell, entsprungen.
112 Und das Verdienst, das durch die Gnade man
Und Willensgüt’ erwirbt, ist Maß dem Schauen.
So steiget man von Grad zu Grad hinan.
115 Die andre Dreizahl, die in diesen Auen
Des ew’gen Lenzes blüht, und welcher nie
Das Laub entfällt bei nächt’gen Widders Grauen,[15]
118 Singt ewig in dreifacher Melodie
Hosiannasang in dreien sel’gen Schaaren,
Und also Eins aus Dreien bilden sie.
121 Herrschaften sind’s, die erst sich offenbaren,
Sodann die Kräfte sind im zweiten Kranz,
Im dritten sind die Mächte zu gewahren.
124 Die Fürstenthümer sieh zunächst im Tanz,
Dann die Erzengel ihre Lieb’ erproben;
Den letzten Kreis füllt Engelsfeier ganz.[16]
127 Die Ordnungen schau’n allesammt nach oben;[17]
Nach unten wirken sie, was lebt mit sich
Zu Gott erhebend und zu ihm erhoben;
130 Und Dionysius rang so brünstiglich,
Damit sein Blick die Ordnungen betrachte,
Daß er sie nannt’ und unterschied wie ich.
133 Wahr ist es, daß Gregorius anders dachte,[18]
Doch er belächelte dann seinen Wahn,
Sobald er erst in diesem Reich erwachte.
136 Hat solch Geheimniß kund ein Mensch gethan,
So staune nicht; von Ihm, der Alles schaute,
Hatt’ er davon auf Erden Kund’ empfahn,
139 Der sonst auch viel vom Himmel ihm vertraute.“
                                  (Paradiso 28)

Die durchlichte Liebeswärme, die der Christus in die Erdenwelt ergossen hat, entreißt den Widersachen die geraubten Teile unserer Wesenshüllen, die durch die "Sünde" korrumpiert sind. Der Christus hat diese Sünden, die substantiell die den Widersachern verfallenen Teile unserer Wesenshüllen sind, auf sich genommen und geheilt. Das ist die eigentliche Bedeutung der Worte Johannes des Täufers: "Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!" (Joh 1,29) Die von den Sünden gereinigte, von Liebeskraft durchdrungene Hüllennatur hält dem geistigen Licht bis in die höchsten Höhen stand. Die Begnadung durch das höchste Geistige kann dann der Mensch ertragen, und sich selbst als eigenständiges Bild des Göttlichen erfassen:

John Flaxman: De l'alto lume parvemi tre giri,
Di tre colori e d'una continenza...
(Im tiefsten Schooß vom lichten Strahlenschein
Schienen drei Kreise schimmernd mir zu sehen ...) Paradiso 33

115 Im tiefsten Schooß vom lichten Strahlenschein
Schienen drei Kreise schimmernd mir zu sehen,
Dreifarbig und an Umfang eins zu sein.
118 Wie Iris von der Iris glänzt, so zween
Im Wiederschein; der dritt’, als Gluth und Licht
Schien’ er gleichförmig beiden zu entwehen.
121 Für meine Vorstellung des Worts Bericht,[19]
Er ist zu arm! Und nehm’ ich, was beschieden
Mir war zu seh’n, wie arm ist diese nicht!
124 O ew’ges Licht, du, in dir selbst im Frieden,[20]
Allein dich kennend, und, von dir erkannt,
Dir selber lächelnd und mit dir zufrieden,
127 Als zu dem Kreis, den ich in dir erfand
Wie wiederscheinend Licht, die Aug’ ich wandte,
Und ihn verfolgend mit den Blicken stand:
130 Da schien’s, gemalt in seiner Mitt’ erkannte,
Mit eigner Farb’, ich unser Ebenbild,
Drob ich nach ihm die Blicke gierig spannte.
133 Wie eifrig strebend, aber nie gestillt,
Der Geometer forscht, den Kreis zu messen,
Und nie den Grundsatz findet, welcher gilt;
136 So ich beim neuen Schau’n – ich wollt’ ermessen,
Wie sich das Bild dem Kreise ein’ und wie
Die Züge mit dem Licht zusammenflössen.
139 Doch dies erflog der eigne Fittich nie. –
Da ward mein Geist von einem Blitz durchdrungen,
Der, was die Seel’ ersehnt hatt’, ihr verlieh.
142 Hier war die Macht der Phantasie bezwungen,
Schon aber folgten Will’ und Wünschen gerne,
Gleichwie ein Rad, gleichmäßig umgeschwungen,[21]145 Der Liebe, die beweget Sonn’ und Sterne.[22]

Ende.

                                                (Paradiso 33)

Die Übersetzung der Göttlichen Komödie in andere Sprachen

Eine adäquate Übersetzung zum Beispiel ins Deutsche, die sowohl Inhalt und Rhythmus bewahrt, und zugleich auch reimt, gibt es bis heute nicht.

Anmerkungen

  1. 32–36. Aber noch sollen wir nicht ungestört emporklimmen. Die Lust der Sinne – der Panther – tritt zuerst und so lange der Körper noch jugendlich frisch ist, uns feindlich entgegen, und hemmt unsere Fortschritte zu dem Höhern. Droht sie auch den bessern Vorsatz in uns zu vernichten, so erscheint sie doch in minder abschreckender Gestalt, ja anziehend durch Munterkeit und Frische.
  2. 37–43. Aber wenn nun eben die Sonne der Wahrheit uns den [9] Morgen hat tagen lassen, wenn wir die Welt in neuem Glanze liegen sehen, dann schöpfen wir Muth, das Höhere zu erreichen. (Die Reise des Dichters wird, wie bedacht, in der heiligen Woche, im Beginne des Frühlings unternommen, in der Jahreszeit, in welcher das erneute Leben der Natur in uns selbst Muth und Hoffnung erneuert, und in welcher, wie der Dichter V. 38–40 vorausgesetzt, Gott die Welt erschaffen hat. Die Sonne steht zu dieser Zeit im Widder.)
  3. 44. Wenn die sinnliche Begier der Jugend sich auch mindert, so ist es der Ehrgeiz (der Löwe), welcher die kräftigeren Naturen von dem wahren Ziele echt menschlicher Bildung, von dem Streben nach dem einzig Wahren und Göttlichen ableitet – in seinem Uebermaße die mächtigste, furchtbarste der Leidenschaften, besonders in Zeiten politischer Parteiung, sei es, daß der Mensch selbst sie in sich empfindet, oder daß er ihr Opfer wird.
  4. 49–60. Endlich erscheint die Habsucht – die Wölfin –, welche alles irdische Gut an sich zu reißen strebt, und um so weniger befriedigt ist, je mehr sie verschlingt. Keine schlechte Leidenschaft, kein Laster ist, mit welchen sie sich nicht verbände, zu welchen sie nicht führte (vergl. V. 97–100). Sie, die gemeinste Leidenschaft, nie rastend, weil es ihr nie an einem Gegenstande fehlt, ist es, die dem Menschen auf dem Wege zum höhern Ziele am gefährlichsten wird, die dem [10] Dichter alle Hoffnung, es zu erreichen, raubt, und ihn zur Tiefe zurückstürzt. [Man denke hier auch an politische Beziehungen, an Rom’s alles an sich reißende Gier!]
  5. [16. Ein Punkt, Gott, als die untheilbare Einheit.]
  6. 19. Allegorisch kann das heißen: Alles, was sich Gott nähert, wird groß und erhaben, sei es auch im Raume noch so klein; denn ihm nähert man sich nur durch Glauben und durch das Gesetz der Ordnung, in welchem alle Dinge gottähnlich werden. (S. Ges. 1 V. 103.)
  7. [25–78. Auch hier sei zum leichteren Verständniß Sinn und Gedankenfolge der folgenden schwierigen Stelle zum Voraus markirt. Um zu der letzten der fortlaufenden Belehrungen des Paradieses über die Engel, ihre Hierarchie und Wirksamkeit, ihre Schöpfung und ihren Fall, zu kommen, schickt der Dichter eine Gegenüberstellung der neun Engelskreise und der neun irdischen Himmelskreise voraus. – Diese höchst sinnvolle Parallele der Geisterwelt und der Sinnenwelt bewegt sich um folgende Vergleichungs-, bezhdl. Divergenz-Punkte: Die (ptolemäische) Ordnung der neun Himmel hat ihr Urbild in den neun Engelskreisen, V. 56. Von letzteren und ihrem göttlichen Mittelpunkt hängen jene, sammt der ganzen Natur, ab V. 41 ff. Denn sie sind, wie wir schon aus Ges. 2, 112–144, Ges. 8, 34 und Hölle 7, 74 wissen, die Intelligenzen, die Beweger jener. Dieses Urbild des Abbilds sieht nun D. hier V. 25–39. Und zwar gerade hier im Krystallhimmal, weil, wie wir ebenfalls wissen, von diesem aus die Wirksamkeit der Intelligenzen sich entfaltet. Aber D. entdeckt auch einen Widerspruch zwischen beiden V. 43–57. Denn sie verhalten sich in ihrer Stufenfolge nach Bewegung und Kraft gerade umgekehrt zu einander. Dort ist der geistige Mittelpunkt Gott und je kleiner und näher, desto schneller und lichter sind die Kreise. Hier ist der körperliche Mittelpunkt die Erde und je größer und ferner von ihr, desto schneller und lichter sind die Kreise. Dieser (scheinbare) Widerspruch wird ihm jedoch gelöst durch Beatrice V. 58–78. Er beruht auf einem naturnothwendigen Weltgesetz, welches D. nicht weiter beweist: Die Körperwelt ist räumlich und hat im Raum zu wirken. Darum sind auch ihre unsichtbaren Kräfte an räumliche Verhältnisse geknüpft (V. 64–66) und die edelste Kraft, die „zum größten Heile“ wirken soll, strebt am Meisten nach Raum, muß also den größten Raum, gleichmäßig vertheilt, erfüllen (V. 67–69). Daher der schnellste und größte neunte Himmel, in welchem wir uns jetzt befinden, das primum mobile, eben zugleich der gotterfüllteste ist (V. 70) und in seiner Weise dem kleinsten und gottesnächsten Engelskreise entspricht (V. 71. 72). Denn bei letzteren, der körperlosen Welt, herrscht das intensive, wie dort das extensive Princip (V. 73–75). Und so besteht also kein Widerspruch, sondern ein bewundernswerthes Ineinandergreifen, vermöge dessen der größte und wichtigste Körperkreis primum mobile von dem kleinsten und gotteskräftigsten Engelkreis, der nächste kleinere (Fixstern-) Himmel von dem nächsten größeren Engelskreis – und so weiter – bewegt wird (V. 76–78).]
  8. [32. D. h. der, zum ganzen Kreis vollendete, Regenbogen.]
  9. [45. „Die Liebe,“ die Sehnsucht, sich dem Einen, Göttlichen zu verbinden, ist die Urbewegerin von allem. Dies ist hinlänglich bekannt aus dem ganzen Paradies. Vgl. übrigens zu Ges. 27, 106–120 und gegenwärtigen Ges. V. 100. 101.]
  10. [80 ff. Der klärende Nordost.]
  11. 85. Meiner Frauen, für: meiner Herrin. Man möge jene Form, die ohnehin nicht ungewöhnlich ist, z. B. das Kloster unserer lieben Frauen, zu gut halten.
  12. [93. Man kennt die Geschichte, wornach der Erfinder des Schachspiels von seinem Fürsten so viele Getreidekörner zum Lohn forderte, als herauskämen, wenn man auf das erste Feld des Bretts ein Korn und auf jedes weitere immer doppelt soviele legen würde, als auf das vorangegangene. Der König lachte ob der Kleinigkeit, bis ihm der Andere nachwies, daß die ungeheuerste Zahl von vielen Billionen und mehr herauskomme.]
  13. [97. Die Hierarchie der Engel im Einzelnen, wie sie im Folgenden dargestellt wird, ist, nächst den Stellen Ephes. 1, 21, Col. 1, 16, dem Pseudo-Dionysius (Areopagita), V. 115 ff., speziell seinem Buch „de coelesti hierarchia“ entnommen.]
  14. [100 ff. Vgl. zu 45. „Ihre Fesseln,“ die Bande der Liebe, die sie ewig in Gottes Nähe fesselt, aber auch ewig umschwingt, um sich Ihm immer näher zu verbinden – was sie nach dem Maß ihres Schauens erreichen. Denn, V. 109 ff., je mehr wir Gott erkennen, desto mehr lieben wir ihn. – Darum ist ja durch’s ganze Paradies das „Schauen Gottes“ die Seligkeit, die der Mensch erringen soll, wie sie der Engel schon hat. Und gleichwie unter den seligen Seelen Stufen des Schauens sind – vgl. Vorbem. S. 398 und zu Parad. 3, 49; 4, 19 – so unter den seligen Engeln.]
  15. 117. Im Frühlinge geht die Sonne im Widder auf und unter, bewegt sich also mit ihm durch den Himmel und macht ihn unsichtbar. Im Herbste dagegen ist er des Nachts über dem Horizonte. Der Sinn ist: in der Wonne, die hier blüht, ist kein Wechsel.
  16. 126. Engelsfeier, im Ital.: angelici ludi, die untergeordnetsten, durch keine besondere Benennung ausgezeichneten Engel.
  17. [127 ff. Vgl. oben zu V. 25–76, Ges. 27, zu V. 106–120, Ges. 2, 112–144.]
  18. 133. Der heilige Gregor ordnete die Engel etwas anders, indem er an die Stelle der Throne die Mächte u. s. w. setzte.
  19. [121–123. Wie schon ähnlich V. 68, 74, 90, erinnert hier D. nochmals daran, daß sein Ausdruck der Darstellung seiner Gedanken, seiner Vorstellung des Geschauten nicht genüge, noch viel weniger seiner vollen Schau selber, gegen welche die zurückgebliebene Vorstellung selbst arm und winzig sei.]
  20. [124–144. Hier erfolgt weiterhin die Enthüllung des letzten und tiefsten Geheimnisses innerhalb der Trinität: der Menschwerdung. D. recapitulirt zuerst das Verhältniß der drei Personen V. 124–126: Der Vater ist das in und auf sich selbst ruhende Licht; sich selbst erkennend zeugt er den Sohn; der sich Erkennende und Erkannte, Sohn und Vater, sich selbst in Liebe lächelnd, lassen den Geist hervorgehen. – Dante wendet sich nun insbesondere gegen den mittleren Kreis und sieht diesem in dessen eigener Farbe das Menschenantlitz aufgeprägt, 127–132. Dies ist das Bild der Menschwerdung, zugleich aber auch der ursprünglichen, unauslöschlichen, durch den Sohn wieder erneuten Gottebenbildlichkeit des Menschen. Wie der Geometer die Quadratur des Zirkels sucht, so will nun D. ermessen, warum das Menschenbild dem zweiten Kreise, dem Sohn, zukomme [619] und wie darin die Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem zu Stande komme, V. 133–138. Aber so wenig der Geometer je durch all’ sein Forschen jene Aufgabe löst, so wenig der Menschengeist dies Problem, 133, 139. Da plötzlich wird sein Geist von einem unmittelbar der Gottheit entströmenden Offenbarungsblitz, einer höheren Intuition durchdrungen (d. h. zugleich für die Erde: nur der Glaube versteht das Mysterium), unter deren Eindruck das Ersehnte kommt. Nämlich, während die Phantasie zu jeder Wiedergabe und Darstellung dieses Vorgangs unzulänglich ist, fühlt er sein Wollen und jedes daraus hervorgehende Verlangen selbst in jene volle, freie geheimnißvolle Lebenseinigung mit Gott hineingezogen, welche – das letzte und höchste Ziel de Seligkeit und S. 397 des Gedichtes – zugleich vollkommenes Wirken, Erkennen und Genießen ist und in welcher sich dem Dichter also eben jenes Räthsel V. 136 ff. auf eine unaussprechliche Weise löst.]
  21. [144. Räder nennt D. oftmals die Sterne (28, 46 u. a. im Original) mit Rücksicht auf ihr Kreisen durch die ewige Liebe. Diese ist ja die, vom Primum mobile aus, alle Himmelskreise umschwingende Kraft V. 145, welcher nun auch Dante’s Geist freiwillig folgt, wodurch er in die Einheit mit der ganzen göttlichen Weltordnung zurückgekehrt ist; vgl. 1, 103 ff.]
  22. [145. Mit dem Wort „Sterne“ schließt Dante jeden Theil seines Gedichts, um dessen letztes Ziel anzudeuten. – Und wer wäre auch, der sich nicht zur Sonnen- und Sternenhöhe erhabenster Ideale und himmlischer Ahnungen entrückt fühlte durch dies „Wunderlied des Mittelalters“, welches selbst in seiner Dreitheilung ein Symbol der göttl. Dreieinigkeit und der ganzen Weltentwicklung ist: der Gerechtigkeit des Vaters in der „Hölle“, der Weisheit des Sohnes durch die Welterlösung im „Fegfeuer“, der ersten Liebe des Geistes durch die Weltvollendung im „Paradies?“]

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Metamorphosen des Seelenlebens - Pfade der Seelenerlebnisse, Zweiter Teil, GA 59 (1984), Berlin, 12. Mai 1910, Die Mission der Kunst, siehe auch TB 603 (1983), S 175 ff.
  2. Rudolf Steiner: Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft, GA 96 (1989), Berlin, Ostermontag, 16. April 1906
  3. Rudolf Steiner: Mitteleuropa zwischen Ost und West, GA 174a (1982), ISBN 3-7274-1741-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  4. Rudolf Steiner: Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge, Sechster Band, GA 240 (1986), Arnheim, 18. Juli 1924
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

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