Abendland

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Das Abenland oder noch spezifischer das christliches Abendland, auch Okzident genannt, ist ein im deutschen Sprachraum geprägter Begriff, der vornehmlich die politischen, religiösen und allgemein kulturellen Unterschiede zu dem ihm gegenübergestellten Morgenland, dem Orient, hervorzuheben soll, die allerdings im historischen Verlauf sehr unterschiedlich bewertet wurden und werden.

Ursprünglich umfasste das Abendland nur die ehemaligen, im Zuge der Völkerwanderung untergegangenen lateinischsprachigen Westprovinzen des Römischen Reiches, die weitgehend identisch mit den Diözesen der aufstrebenden römischen Westkirche waren. Mit der voranschreitenden Christianisierung der Germanischen Völker dehnte sich der Begriff des Abendlandes auf den ganzen westlichen Teil Europas aus und umfasste namentlich das heutige Deutschland, England, Frankreich, Italien und die Iberische Halbinsel.

Nach dem Zweiter Weltkrieg, zur Zeit des Kalten Kriegs, wurde der Begriff des Abenlandes weiter ausgedehnt und weitgehend synonym als westliche Welt oder kurz als der Westen verstanden, der auch die nordamerikanischen Staaten mit einbezieht, und dem kommunistischen Ostblock entgegengestellt wurde. Mit dem Mauerfall in Berlin 1989 und dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde schließlich ganz Europa, also auch die ehemaligen Oststaaten, die heute großteils der Europäischen Union angehören, zum Teil der westlichen Welt bzw. des Abendlandes gerechnet.

Nicht zu vergessen ist dabei, dass die eigentlichen Wurzeln der abendländischen Kultur inklusive des Christentums im Alten Orient liegen. Das Licht der Kultur kam in der nachatlantischen Zeit aus dem Osten (lat. ex oriente lux).

„Wer, mit wirklichem Sinn für das Reale ausgestattet, den geschichtlichen Lauf der Menschheit verfolgt, der wird sehen, daß er die eigentlichen Quellen der etwas weiter zurückliegenden, nicht an der Oberfläche befindlichen geistigen Impulse im Menschenleben drüben im Orient suchen muß - allerdings nicht im heutigen Orient, denn der heutige Orient ist in dieser Beziehung in der Dekadenz. Was Quelle dieses ganz besonderen Geistesleben ist, wie ich es hier in jenem Vortrag geschildert habe, den ich über den geschichtlichen Entwicklungsgang der Menschheit gehalten habe, das lebte vor Jahrtausenden im Orient. Da lebte eine Menschheit, die nichts verstand von dem, was wir «beweisendes» oder «logisches Denken» nennen - eine Menschheit, die aus denselben Quellen, welche auch die hier gemeinte Geisteswissenschaft, aber in anderer Art, in abendländischer Art, dem Menschen eröffnet, einst wissen konnte, daß in des Menschen Seele etwas leben kann, was ihm den Geist, der die Welt durchdringt, offenbart. Aber nicht beweisende, nicht logisierende Geist-Erkenntnis lebt im Orient drüben. Wir können uns heute, wenn wir uns nicht selber antiquieren wollen, nicht mehr mit diesem orientalischen Geistesleben durchdringen, aber in unserer gewöhnlichen Geistesbildung lebt noch immer etwas davon. Es ist eine gerade Linie von jenem Geist, der aufleuchtete in den Veden, in der Vedanta-Philosophie, im alten indischen Yoga-System, der selbst in der chaldäischen Lehre und im alten China lebte, es ist eine gerade Linie, die sich in vielen Strömungen durch viele Kanäle nach dem Abendlande bewegte. Und in dem, was wir im gewöhnlichen Leben an eigentlich Geistigem heute denken, haben wir noch immer Spuren jenes orientalischen Geisteslebens vor uns. Selbst als sich in die Menschheitsentwicklung das Mysterium von Golgatha hineinstellte, als es notwendig war, den Christus Jesus zu begreifen, da war es orientalische Weisheit, welche dieses nur durch übersinnliche Erkenntnis zu erfassende Ereignis zu begreifen suchte; es war orientalische Weisheit, die dann überging in die Lehre des Christentums und mit dem Christentum sich dann über das ganze Abendland verbreitete. In dieser orientalischen Weisheit lebt etwas, was der heutige Mensch nicht mehr in der rechten Weise empfinden und fühlen kann, wozu er eine Stütze braucht. Was in dem Orientalen als ursprüngliches Seelenleben vorhanden war, das mußte im Westen - seit Jahrhunderten schon - verankert werden in dogmatisch sich zusammenhaltenden Religionsgemeinschaften; weil der innere Quell des Geisteslebens nicht mehr in derselben Weise fließt, deshalb brauchte der Mensch solche Religionsgemeinschaften. Das ist das, was zunächst wie ein erster Ast in unser öffentliches Leben hineinragt - ein Ast, der noch immer den Orient als den «Lebenssaft» in sich hat. Und würde man unbefangen auf unser Geistesleben hinblicken, so würde man in dem, was der heutige Mensch denkt, fühlt und empfindet und was selbst in den Wissenschaften, bis in die Physik hinein, was vor allem aber in den religiösen Bekenntnissen lebt, noch Wirkungen desjenigen entdecken, was aus dem Orient stammt.“ (Lit.:GA 335, S. 261f)

Siehe auch

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Die Krisis der Gegenwart und der Weg zu gesundem Denken, GA 335 (2005), ISBN 3-7274-3350-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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