Apokalyptische Siegel und Das verschleierte Bild zu Sais: Unterschied zwischen den Seiten

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Die '''Apokalyptischen Siegel''' wurden nach Angaben [[Rudolf Steiner]]s für den [[Münchner Kongreß (1907)|Kongreß der «Föderation europäischer Sektionen der Theosophischen Gesellschaft»]], der vom 18. - 21. Mai 1907 in München stattfand, von Frl. [[Clara Rettich]] gestaltet. Die zwischen den Siegelbildern befindlichen [[Planetensäulen]] wurden von [[Karl Stahl]] ausgeführt. Über die tiefere Bedeutung der Siegelbilder und der Säulen sagt Rudolf Steiner:
{{Infobox Ägyptische Gottheit
|TITEL = Isis
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|NAME-ERKLÄRUNG = Ast / Aset<br /> ''{{Unicode|3}}st''<br /> ''Sitz, Thron''
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[[Datei:LOWTH(1855) - 1.006 RUINS OF SAIS IN THE DELTA.jpg|mini|290px|Die Ruinen von Sais im Nildelta (1855)]]
[[Datei:Dessau,Luisium,Das verschleierte Bild zu Saïs.jpg|mini|290px|Skulptur ''Das verschleierte Bild zu Saïs'' im Park [[w:Luisium|Luisium]], einem Teil des [[w:Dessau-Wörlitzer Gartenreich|Dessau-Wörlitzer Gartenreich]]s.]]
[[Datei:Anatome Animalium frontispiece.jpg|mini|290px|Frontispiz zu [[w:Gerhard Blasius|Gerhard Blasius]]: ''Anatome Animalium'',1681. Eine Priesterin enthüllt dem entsprechend vorbereiteten Adepten die verschleierte Göttin.]]
[[Datei:Anton Graff - Friedrich Schiller.jpg|miniatur|200px|[[Friedrich Schiller]]<br />Porträt von [[Wikipedia:Anton Graff|Anton Graff]], um 1790]]
[[Datei:Franz Gareis - Novalis.jpg|miniatur|200px|[[Novalis]] um 1799<br />Porträt von [[Wikipedia:Franz Gareis|Franz Gareis]]]]
[[Datei:hpb.jpg|miniatur|200px|[[Helena Petrovna Blavatsky]] (1877)]]


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'''Das verschleierte Bild zu Sais''' wird in den ''Moralischen Schriften'', «Über Isis und Osiris» des [[Plutarch]] (um [[Wikipedia:45|45]] in [[Wikipedia:Chaironeia|Chaironeia]]; † um [[Wikipedia:45|125]]) erwähnt.  
"Sie sind nicht beliebige «Sinnbilder», welche man verstandesmäßig deuten kann, sondern geisteswissenschaftliche «Schriftzeichen», die so genommen werden müssen, wie es der wahren Geisteswissenschaft entspricht. Diese erfindet nicht aus dem Verstande oder der willkürlichen Phantasie heraus solche «Zeichen», sondern gibt in ihnen nur wieder, was der geistigen Wahrnehmung in den übersinnlichen Welten wirklich als Anschauung vorliegt. Keine Spekulation, keine – wenn auch noch so geistreiche – Verstandeserklärung ist gegenüber solchen Zeichen angebracht, da sie eben nicht ausgedacht sind, sondern lediglich eine Beschreibung dessen liefern, was der sogenannte «Seher» in den unsichtbaren Welten wahrnimmt. Bei den hier wiedergegebenen Zeichen handelt es sich um die Beschreibung von Erlebnissen der «astralen» und der «geistigen» (devachanischen) Welt. Die «Siegel» der ersten sieben Tafeln stellen solche wirkliche Tatsachen der astralen Welt dar, und die sieben «Säulen» ebensolche der geistigen Welt. Während aber die Siegel unmittelbar die Erlebnisse des «geistigen Schauens» wiedergeben, ist das bei den sieben Säulen nicht in gleicher Art der Fall. Denn die Wahrnehmungen der geistigen Welt lassen sich nicht mit einem «Schauen», sondern eher mit einem «geistigen Hören» vergleichen. Bei diesem muß beachtet werden, daß man es nicht zu sehr dem «Hören» in der physischen Welt ähnlich denken soll, denn obwohl es sich damit vergleichen läßt, ist es ihm doch sehr unähnlich. In einem Bilde lassen sich die Erlebnisse dieses geistigen Hörens nur ausdrücken, wenn man sie aus dem «Tönen» in die Form übersetzt. Das ist bei diesen «Säulen» geschehen, deren Wesen aber nur verständlich ist, wenn man sich die Formen plastisch (nicht malerisch) denkt.


Im Sinne der Geisteswissenschaft sind die Ursachen zu den Dingen der physischen Welt im Übersinnlichen, Unsichtbaren gelegen. Was sich physisch offenbart, hat seine Urbilder in der astralischen Welt und seine geistigen Urkräfte (Urtöne) in der geistigen Welt. Die sieben Siegel geben die astralischen Urbilder der Menschheitsentwicklung auf der Erde im Sinne der Geisteswissenschaft. Wenn der «Seher» auf dem «Astralplane» diese Entwicklung in die Zeiten ferner Vergangenheit und ferner Zukunft verfolgt, so stellt sich ihm diese in den gegebenen sieben Siegelbildern dar. Er hat nichts zu erfinden, sondern lediglich die von ihm geistig wahrgenommenen Tatsachen zu verstehen...
Die [[Altes Ägypten|altägyptische]], im westlichen [[Wikipedia:Nildelta|Nildelta]] gelegene Stadt '''Sais''' (auch '''Saïs''', {{ELSalt|Σάϊς}}; [[Altägyptische Sprache|altägyptisch]] '''Sau, Zau''', heute {{arS|صا الحجر|d=Ṣā al-Ḥaǧar|w=Sa al-Hagar}}) wird schon in Texten aus dem [[Wikipedia:Altes Reich|Alten Reich]] erwähnt und war nach den [[Archäologie|archäologischen]] Befunden schon um 4000&nbsp;v.&nbsp;Chr. besiedelt. [[Wikipedia:Psammetich I.|Psammetich I.]], der vermutlich aus Sais stammte und die [[Wikipedia:26. Dynastie|26. Dynastie]] begründete, die von 664 – 525&nbsp;v.&nbsp;Chr. herrschte, machte Sais zur Hauptstadt [[Ägypten]]s.


=== Siegel I ===
== Geschichtliches ==
[[Datei:Siegel 01 (Tafel VII) AS.jpg|thumb|Erstes apokalyptisches Siegel]]
Siegel I stellt umfassend die ganze Erdenentwicklung des Menschen dar. Dieses sowie andere Siegel der Serie kann man in einem gewissen Sinne auch beschrieben finden in der «Offenbarung St. Johannis» (Apokalypse). Denn wer diese Schrift im geisteswissenschaftlichen Sinne zu verstehen vermag, der sieht in ihr nichts anderes als die in Worten gegebene Beschreibung dessen, was der «Seher» als Menschheitsentwicklung auf dem astralischen Plane urbildlich wahrnimmt. So versteht ein solcher auch die ersten Worte dieser Schrift, die (annähernd richtig wiedergegeben) so lauten: «Die Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm dargeboten hat, seinen Dienern zu veranschaulichen, wie in Kürze sich das notwendige Geschehen abspielt; dieses ist in Zeichen gesandt durch Gottes Engel seinem Diener Johannes. Dieser hat zum Ausdruck gebracht das ,Wort' Gottes und dessen Offenbarung durch Jesus Christus, in der Art, wie er es geschaut hat.» Die «Zeichen», die er geschaut hat, sind von dem Aufzeichner der «geheimen Offenbarunge dargestellt worden. – Man kann an den folgenden Siegeln finden, daß sie in vieler Beziehung ähnlich sind dem, was in der Apokalypse beschrieben ist, doch nicht ganz. Denn unseren Bildern liegt eine geisteswissenschaftliche Methode zugrunde, welche zwar mit allen Überlieferungen im Einklange ist, in ihrer eigenen Gestalt sich aber, den modernen geistigen Bedürfnissen der Menschheit entsprechend, seit dem vierzehnten Jahrhundert in jenen Kreisen ausgebildet hat, die seit jener Zeit die Aufgabe haben, diese Dinge zu pflegen. Dennoch soll hier, wo es darauf ankommt, die Beschreibung unter Hinweis auf die «Offenbarung St. Johannis» gegeben werden. Ausdrücklich bemerkt soll werden, daß manches von den sieben Siegeln schon in diesem oder jenem Werke der neueren Zeit . veröffentlicht ist; doch wird der in solchen Dingen Eingeweihte finden können, daß diese anderen Wiedergaben in manchen Punkten abweichen von der hier gegebenen Gestalt, welche die echte geisteswissenschaftliche Grundlage zur Darstellung bringen will.


Zum ersten Siegel kann man vergleichen dessen Beschreibung in der Apokalypse. «Und ich wandte mich hin, zu vernehmen die Laute, welche zu mir drangen; und da schaute ich sieben güldene Lichter, und inmitten der Lichter des Menschensohnes Bild, mit langem Gewande und mit einem goldenen Gürtel um die Lenden; und sein Haupt und Haar waren weißglänzend wie weiße Wolle oder Schnee, und seine Augen funkelnd im Feuer. Und seine Füße waren feuerflüssig wie im feurigen Ofen erglüht, und seine Stimme glich dem Zusammenklange rauschender Wassermassen. Und in seiner Rechten waren sieben Sterne, und aus seinem Munde kam ein zweischneidiges scharfes Schwert, und sein Antlitz in seinem Glanze glich der leuchtenden Sonne.» In allgemeinen Bildern wird da auf umfassendste Geheimnisse der Menschheitsentwicklung gedeutet. Wollte man in ausführlicher Art darstellen, was der Seher aus diesen Bildern sehen kann, so müßte man ein dickes Buch schreiben. Nur ein paar Andeutungen seien gemacht. Jedes Zeichen, jede Form an den Siegelbildern ist vielsagend, und was hier gesagt wird, kann nur Etwas von Vielem sein. Unter den Organen und Ausdrucksmitteln des Menschen sind solche, welche in ihrer gegenwärtigen Gestalt die abwärtsgehenden Entwicklungsstufen früherer Formen darstellen, die also ihren Vollkommenheitsgrad bereits überschritten haben; andere aber stellen die Anfangsstufen einer Entwicklung dar, die in aufsteigender Richtung sich bewegt. Solche Glieder am Menschen sind heute erst noch unvollkommen und werden künftig ganz andere höhere Aufgaben zu erfüllen haben. Ein Organ, das in der Zukunft etwas viel Höheres, Vollkommeneres sein wird als es gegenwärtig ist, stellt das Sprachorgan dar, mit allem, was am Menschen zu ihm gehört. Indem man dieses andeutet, rührt man an ein großes Geheimnis des Daseins, welches auch das «Mysterium des schaffenden Wortes» genannt wird. Es ist damit eine Hindeutung auf den Zukunftszustand dieses Organs gegeben, das einmal, wenn der Mensch vergeistigt sein wird, Produktions- (Zeugungs-) Organ sein wird.
Plutarch beschreibt die verschleierte Statue der [[Athene]] oder der [[Isis]], die es in Sais gegeben haben soll, die folgende Aufschrift trug:


In den Mythen und religiösen Erzählungen wird diese zukünftige vergeistigte Produktionsform durch das sachgemäße Bild von dem aus dem Munde kommenden feurigen «Schwert» angedeutet. Die ersten Stufen der Erdenentwicklung des Menschen verliefen in einer Zeit, als die Erde noch «feurig» war; und aus dem Elemente des Feuers haben sich die ersten menschlichen Verkörperungen herausgestaltet; am Ende seiner Erdenlaufbahn wird der Mensch selbst sein Inneres durch die Kraft des Feuerelementes schöpferisch nach außen strahlen. Dieses Fortentwickeln vorn Erdenanfang zum Erdenende erschließt sich dem «Seher», wenn er auf dem Astralplan das Urbild des werdenden Menschen erblickt, wie es im ersten Siegel wiedergegeben ist. Der Anfang der Erdenentwicklung steht da in den feurigen Füßen, das Ende in dem feurigen Antlitz und die vollkommene zuletzt zu erringende Kraft des «schöpferischen Wortes» in dem feurigen Schwert, das aus dem Munde kommt. Während diese Entwicklung abläuft, steht des Menschen Werden und seine dabei entfalteten Kräfte nacheinander unter dem Einfluß von Kräften, die sich in den sieben Sternen der Rechten ausdrücken. So stellt jede Linie, jeder Punkt gewissermaßen auf dem Bilde etwas dar, was mit dem umfassenden Entwicklungsgeheimnis des Menschen zusammenhängt.
{{Zitat|In Sais hatte das Standbild der Athene, die man auch für die Isis hält, folgende Inschrift «ich bin das All, das Vergangene Gegenwärtige und Zukünftige, meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet.»|Plutarch|''Über Isis und Osiris'', C9<ref>[http://books.google.at/books?id=IcpOTDlUz1gC&hl=de&pg=PA14#v=onepage&q&f=false Plutarch: ''Über Jsis und Osiris'']</ref>}}


=== Siegel II ===
Der [[Jüngling zu Sais]] soll verbotenerweise diesen Schleier gelüftet haben. [[Friedrich Schiller]] hat das Thema in dem Gedicht «Das verschleierte Bild zu Sais» [http://www.zeno.org/Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Gedichte/Gedichte+%281789-1805%29/Das+verschleierte+Bild+zu+Sais] aufgegriffen und erwähnt es auch in seinen Vorlesungen über «[[Die Sendung Moses]]» und in seinem Aufsatz «[[Vom Erhabenen]]».  
[[Datei:Siegel 02 (Tafel VIII) AS.jpg|thumb|Zweites apokalyptisches Siegel]]
Siegel II stellt einen der ersten Entwicklungszustände der Erdenmenschheit dar, mit allem was dazugehört. Der Erdenmensch hat in ferner Urzeit nämlich noch nicht das gehabt, was man Individualseele nennt. Es war damals bei ihm das vorhanden, was gegenwärtig noch die auf einer früheren Entwicklungsstufe der Menschheit zurückgebliebenen Tiere haben: die Gruppenseele. Wenn durch imaginatives Hellsehen in der Rückschau auf die Vorzeit die menschlichen Gruppenseelen auf dem Astralplan verfolgt werden, so ergibt sich, daß die verschiedenen Formen derselben auf vier Grundtypen zurückgeführt werden können. Und diese sind in den vier apokalyptischen Tieren des zweiten Siegels wiedergegeben: dem Löwen, dem Stier, dem Adler und jener Gestalt, die sich auch als Gruppenseele der individuellen Seele des gegenwärtigen Menschen nähert, und die deshalb auch: der «Mensch» heißt. Damit ist an die Wahrheit dessen gerührt, was oftmals so trocken allegorisch bei den vier Tieren «ausgedeutet» wird.


=== Siegel III ===
{{Zitat|Alles, was verhüllt ist, alles Geheimnisvolle, trägt zum Schrecklichen bei und ist deswegen der Erhabenheit fähig. Von dieser Art ist die Aufschrift, welche man zu Sais in Ägypten über dem Tempel der Isis las: »Ich bin alles, was ist, was gewesen ist und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« – Eben dieses Ungewisse und Geheimnisvolle gibt den Vorstellungen der Menschen von der Zukunft nach dem Tode etwas Grauenvolles; diese Empfindungen sind in dem bekannten Selbstgespräch Hamlets sehr glücklich ausgedrückt.|Friedrich Schiller|''Vom Erhabenen'' [http://www.zeno.org/Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Theoretische+Schriften/Vom+Erhabenen]}}
[[Datei:Siegel 03 (Tafel IX) AS.jpg|thumb|left|Drittes apokalyptisches Siegel]]
Siegel III stellt die Geheimnisse der sogen. Sphärenharmonie dar. Der Mensch erlebt diese Geheimnisse in der Zwischenzeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt (im «Geisterlande» oder dem, was in der gebräuchlichen theosophischen Literatur «Devachan» genannt wird). Es ist aber bei allen diesen Siegeln festzuhalten, daß sie nur die Erfahrungen der astralischen Welt darstellen. Doch können auch andere Welten als diese astralische selbst, in dieser beobachtet werden. Unsere physische Welt kann man nach ihren Urbildern auf dem Astralplan beobachten. Und die geistige Welt ist in ihren Nachbildern auf diesem Plan zu schauen. So stellt das dritte Siegel die astralischen Nachbilder des «Geisterlandes» dar. Die posaunenblasenden Engel stellen die geistigen Urwesen der Welterscheinungen dar; die Posaunentöne selbst die Kräfte, die von diesen Urwesen aus in die Welt strömen und durch welche die Wesen und Dinge aufgebaut und in ihrem Werden und Wirken erhalten werden. Die «apokalyptischen Reiter» stellen die Hauptentwicklungspunkte dar, durch welche eine Menschenindividualität im Laufe vieler Verkörperungen durchgeht und die sich auf dem Astralplan in den Reitern auf den Pferden darstellen: ein weißglänzendes Pferd, eine sehr frühe Stufe der Seelenentwicklung ausdrückend; ein feuerfarbenes Pferd, auf die kriegerische Entwicklungsstufe der Seele deutend; ein schwarzes Pferd, entsprechend jener Seelenstufe, wo nur das äußere physische Wahrnehmen der Seele entwickelt ist; und ein grünschimmerndes Pferd, das Bild der reifen Seele, welche die Herrschaft über den Leib hat (daher die grüne Farbe, welche sich als Ausdruck der von innen nach außen wirkenden Lebenskraft ergibt).


=== Siegel IV ===
{{Zitat|Da Ägypten der erste kultivierte Staat war, den die Geschichte kennt, und die ältesten Mysterien sich ursprünglich aus Ägypten herschreiben, so war es auch aller Wahrscheinlichkeit nach hier, wo die erste Idee von der Einheit des höchsten Wesens zuerst in einem menschlichen Gehirne vorgestellt wurde...<br><br>
[[Datei:Siegel 04 (Tafel X) AS.jpg|thumb|Viertes apokalyptisches Siegel]]
Da aber schon ein gewisses Maß von Kenntnissen und eine gewisse Ausbildung des Verstandes erfodert wird, die Idee eines einigen Gottes recht zu fassen und anzuwenden, da der Glaube an die göttliche Einheit Verachtung der Vielgötterei, welches doch die herrschende Religion war, notwendig mit sich bringen mußte, so begriff man bald, daß es unvorsichtig, ja gefählich sein würde, diese Idee öffentlich und allgemein zu verbreiten. Ohne vorher die hergebrachten Götter des Staats zu stürzen und sie in ihrer lächerlichen Blöße zu zeigen, konnte man dieser neuen Lehre keinen Eingang versprechen...<br><br>
Siegel IV stellt unter anderem zwei Säulen dar, deren eine aus dem Meer, die andere aus dem Erdreich aufragt. In diesen Säulen ist das Geheimnis angedeutet von der Rolle, welche das rote (sauerstoffreiche) Blut und das blaurote (kohlensäurereiche) Blut in der menschlichen Entwicklung spielen. Das menschliche «Ich» macht im Erdenkreislauf seine Entwicklung dadurch durch, daß es sein Leben physisch zum Ausdruck bringt in der Wechselwirkung zwischen rotem Blut, ohne das es kein Leben, und dem blauen Blut, ohne das es keine Erkenntnis gäbe. Blaues Blut ist der physische Ausdruck der Erkenntnis gebenden Kräfte, die aber für sich allein in ihrer menschlichen Form mit dem Tode zusammenhängen, und rotes Blut ist der Ausdruck des Lebens, das aber in der menschlichen Form keine Erkenntnis für sich allein geben könnte. Beide in ihrem Zusammenwirken stellen dar den Baum der Erkenntnis und den Baum des Lebens, oder auch die beiden Säulen, auf denen sich das Leben und die Erkenntnis des Ich fortentwickeln bis zu jenem Vollkommenheitgrade, wo der Mensch Eins werden wird mit den universalen Erdenkräften. Dieser letztere Zustand der Zukunft kommt auf dem Siegel durch den Oberleib zur Anschauung, der aus Wolken besteht, und durch das Gesicht, das sich die geistigen Kräfte der Sonne angeeignet hat. Das «Wissen» wird dann der Mensch nicht mehr von außen in sich aufnehmen, sondern in sich «verschlungen» haben, was in dem Buche in der Mitte des Siegels angedeutet ist. Erst durch solches «Verschlingen» auf höherer Daseinsstufe öffnen sich die sieben Siegel des Buches, wie sie auch auf Siegel III angedeutet sind. In der «Offenbarung St. Johannis» findet man darüber die bedeutungsvollen Worte: «Und ich nahm das Büchlein aus des Engels Hand und verzehrte es....
Mißlang hingegen der Versuch, die alten Götter zu stürzen, so hatte man den blinden Fanatismus gegen sich bewaffnet und sich einer tollen Menge zum Schlachtopfer preisgegeben. Man fand also für besser, die neue gefährliche Wahrheit zum ausschließenden Eigentum einer kleinen geschlossenen Gesellschaft zu machen, diejenigen, welche das gehörige Maß von Fassungskraft dafür zeigten, aus der Menge hervorzuziehen und in den Bund aufzunehmen und die Wahrheit selbst, die man unreinen Augen entziehen wollte, mit einem geheimnisvollen Gewand zu umkleiden, das nur derjenige wegziehen könnte, den man selbst dazu fähig gemacht hätte.<br><br>
Diese Zeremonien, mit jenen geheimnisvollen Bildern und Hieroglyphen verbunden, und die verborgenen Wahrheiten, welche in diesen Hieroglyphen versteckt lagen und durch jene Gebräuche vorbereitet wurden, wurden zusammengenommen unter dem Namen der Mysterien begriffen. Sie hatten ihren Sitz in den Tempeln der Isis und des Serapis und waren das Vorbild, wornach in der Folge die Mysterien in Eleusis und Samothrazien und in neuern Zeiten der Orden der Freimaurer sich gebildet hat.<br><br>
Es scheint außer Zweifel gesetzt, daß der Inhalt der allerältesten Mysterien in Heliopolis und Memphis, während ihres unverdorbenen Zustands, Einheit Gottes und Widerlegung des Paganismus war, und daß die Unsterblichkeit der Seele darin vorgetragen wurde. Diejenigen, welche dieser wichtigen Aufschlüsse teilhaftig waren, nannten sich Anschauer oder [[Epopten]], weil die Erkennung einer vorher verborgenen Wahrheit mit dem Übertritt aus der Finsternis zum Lichte zu vergleichen ist, vielleicht auch darum, weil sie die neuerkannten Wahrheiten in sinnlichen Bildern wirklich und eigentlich anschauten.<br><br>
Zu dieser Anschauung konnten sie aber nicht auf einmal gelangen, weil der Geist erst von manchen Irrtümern gereinigt, erst durch mancherlei Vorbereitungen gegangen sein mußte, ehe er das volle Licht der Wahrheit ertragen konnte. Es gab also Stufen oder Grade, und erst im innern Heiligtum fiel die Decke ganz von ihren Augen.<br><br>
Die Epopten erkannten eine einzige höchste Ursache aller Dinge, eine Urkraft der Natur, das Wesen aller Wesen, welches einerlei war mit dem Demiurgos der griechischen Weisen. Nichts ist erhabener als die einfache Größe, mit der sie von dem Weltschöpfer sprachen. Um ihn auf eine recht entscheidende Art auszuzeichnen, gaben sie ihm gar keinen Namen. »Ein Name«, sagten sie, »ist bloß ein Bedürfnis der Unterscheidung, wer allein ist, hat keinen Namen nötig, denn es ist keiner da, mit dem er verwechselt werden könnte.« Unter einer alten Bildsäule der Isis las man die Worte: » Ich bin, was da ist«, und auf einer Pyramide zu Sais fand man die uralte merkwürdige Inschrift: »Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird, kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« Keiner durfte den Tempel des Serapis betreten, der nicht den Namen Jao - oder J-ha-ho, ein Name, der mit dem hebräischen Jehovah fast gleichlautend, auch vermutlich von dem nämlichen Inhalt ist - an der Brust oder Stirn trug; und kein Name wurde in Ägypten mit mehr Ehrfurcht ausgesprochen als dieser Name Jao. In dem Hymnus, den der Hierophant oder Vorsteher des Heiligtums dem Einzuweihenden vorsang, war dies der erste Aufschluß, der über die Natur der Gottheit gegeben wurde: »Er ist einzig und von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.«|Friedrich Schiller|''Die Sendung Moses'' [http://gutenberg.spiegel.de/buch/3319/1]}}


=== Siegel V ===
[[Novalis]] verwendete das Motiv in seinem [[Märchen]] von «Hyacinth und Rosenblüthe», das den Kern seines unvollendeten [[Wikipedia:Roman|Roman]]s «[[Die Lehrlinge zu Sais]]» (1799) bildet. Im [[Traum]] lüftet der Jüngling ''Hyazinth'' den Schleier der Jungfrau - und findet seine geliebte ''Rosenblüte'':
[[Datei:Siegel 05 (Tafel XI) AS.jpg|thumb|Fünftes apokalyptisches Siegel]]
Siegel V stellt dar eine höhere Entwicklungsstufe des Menschen, wie sie eintreten wird, wenn die Erde sich wieder mit der Sonne vereinigt haben und der Mensch nicht mehr bloß mit den Erdenkräften, sondern mit den Sonnenkräften arbeiten wird. Das «Weib, das die Sonne gebiert» bezieht sich auf diesen Zukunftsmenschen. Gewisse Kräfte niederer Natur, welche im Menschen leben und ihn an der vollen Entfaltung seiner höheren Geistigkeit hindern, wird er dann aus sich herausgesetzt haben. Diese Kräfte stellen sich im Siegel einerseits dar in dem Tiere mit den «sieben Köpfen und zehn Hörnern», anderseits in dem Monde zu Füßen des Sonnenmenschen. Der Mond ist für die Geisteswissenschaft der Mittelpunkt gewisser niederer Kräfte, welche heute noch in der menschlichen Wesenheit wirken, und die der Mensch der Zukunft «unter sich» zwingen wird.


=== Siegel VI ===
{{Zitat|Unter himmlischen Wohlgedüften entschlummerte er, weil ihn nur der Traum in das Allerheiligste führen durfte. Wunderlich führte ihn der Traum durch unendliche Gemächer voll seltsamer Sachen auf lauter reitzenden Klängen und in abwechselnden Accorden. Es dünkte ihm alles so bekannt und doch in niegesehener Herrlichkeit, da schwand auch der letzte irdische Anflug, wie in Luft verzehrt, und er stand vor der himmlischen Jungfrau, da hob er den leichten, glänzenden Schleyer, und Rosenblüthchen sank in seine Arme.|Novalis|''Die Lehrlinge zu Sais, 2. Die Natur'' [http://www.zeno.org/Literatur/M/Novalis/Romane/Die+Lehrlinge+zu+Sais/2.+Die+Natur]}}
[[Datei:Siegel 06 (Tafel XII) AS.jpg|thumb|left|Sechstes apokalyptisches Siegel]]
Siegel VI stellt den gereinigten, nicht nur vergeistigten, sondern in der Geistigkeit stark gewordenen Menschen dar, welcher die niederen Kräfte nicht nur überwunden, sondern sie so umgewandelt hat, daß sie als verbesserte zu seinen Diensten stehen. Das gezähmte «Tier» drückt dieses aus. In der «Offenbarung St. Johannis» ist darüber zu lesen: «Und ich schaute, wie dem Himmel ein Engel entstieg, der den Schlüssel des Abgrunds hielt und eine große Kette in der Hand hatte. Und er brachte den Drachen, die Schlange der Vorzeit, in seine Gewalt, welche der Teufel und Satan ist, und er band ihn auf tausend Jahre.»


=== Siegel VII ===
«[[Isis entschleiert]]» (''[[WikipediaEN:Isis Unveiled|Isis Unveiled]]'') ist auch der Titel des von [[Helena Petrovna Blavatsky]] am [[Wikipedia:29. September|29. September]] [[Wikipedia:1877|1877]] - also zu [[Michaeli]] - veröffentlichten Grundlagenwerks der [[Theosophie]], das zugleich ihr aus geistiger Sicht bedeutsamstes Werk ist.
[[Datei:Siegel 07 (Tafel XIII) AS.jpg|thumb|Siebentes apokalyptisches Siegel]]
Siegel VII ist Wiedergabe des «Mysteriums vom heiligen Gral». Es ist dasjenige astralische Erlebnis, welches den universellen Sinn der Menschheitsentwicklung wiedergibt. Der Würfel stellt die «Raumeswelt» dar, die noch von keinem physischen Wesen und keinem physischen Ereignis durchsetzt ist. Für die Geisteswissenschaft ist nämlich der Raum nicht bloß die «Leere», sondern er ist der Träger, der auf noch unsichtbare Art die Samen alles Physischen in sich birgt. Aus ihm heraus schlägt sich gleichsam die ganze physische Welt nieder, wie sich ein Salz niederschlägt aus der noch ganz durchsichtigen Lösung. Und was – in bezug auf den Menschen – sich aus der Raumeswelt herausbildet, das macht die Entwicklung vom Niedern zum Höhern durch. Es wachsen heraus aus den «drei Raumesdimensionen», welche im Würfel ausgedrückt sind, zuerst die niedrigeren Menschenkräfte, veranschaulicht durch die beiden Schlangen, die aus sich wieder die geläuterte höhere geistige Natur gebären, was in den Weltenspiralen sich darstellt. Durch das Aufwärtswachsen dieser höheren Kräfte kann der Mensch Empfänger werden (Kelch) für die Aufnahme der rein geistigen Weltwesenheit, ausgedrückt durch die Taube. Dadurch wird der Mensch Beherrscher der geistigen Weltmächte, deren Abbild der Regenbogen ist. Das ist eine ganz skizzenhafte Beschreibung dieses Siegels, das unermeßliche Tiefen in sich birgt, die sich demjenigen offenbaren können, der es in der hingebungsvollen Meditation auf sich wirken läßt. Umschrieben ist dieses Siegel mit dem Wahrheitsspruch der modernen Geisteswissenschaft: «Ex deo nascimur, in Christo morimur, per spiritum sanctum reviviscimus», «Aus Gott bin ich geboren; in Christo sterbe ich; durch den Heiligen Geist werde ich wiedergeboren». In diesem Spruch ist ja der Sinn der menschlichen Entwicklung voll angedeutet.


<center><gallery perrow="5" widths="150" heights="150" caption="Entwürfe Rudolf Steiners">
Über die [[Bedeutung]] dieser Isis-Legende sagt [[Rudolf Steiner]]:
Datei:GA284 Siegel 02a Entwurf.jpg|2. Siegel
Datei:GA284 Siegel 02 Entwurf.jpg|2. Siegel
Datei:GA284 Siegel 03 Entwurf.jpg|3. Siegel
GA284 Siegel 04 Entwurf.jpg|4. Siegel
Datei:GA284 Siegel 07 Entwurf.jpg|7. Siegel
</gallery></center>


=== Sieben Säulen ===
<div style="margin-left:20px">
[[Bild:Saeulen.jpg|thumb|450px|Sieben Säulen]]
"Sehen Sie, so schön ist das in dem Symbole beschrieben, das die
Zwischen je zwei dieser Siegel befand sich im Kongreßraume eine der sieben Säulen, welche in der zweiten Serie der Bilder wiedergegeben sind. In den Kapitälen dieser Säulen sind, wie oben bereits angedeutet, Erfahrungen des «Sehers» (was auf diesem Gebiete eigentlich nicht mehr ein passender Name ist) in der «geistigen Welt» dargestellt. Es handelt sich um die Wahrnehmung der Urkräfte, welche in geistigen Tönen bestehen. Die plastischen Formen der Kapitäle sind Übersetzungen dessen, was der «Seher» hört. Doch sind diese Formen keineswegs willkürlich, sondern so, wie sie sich auf ganz natürliche Art ergeben, wenn der «sehende Mensch» die «geistige Musik» (Sphärenharmonie), die sein ganzes Wesen durchströmt, auf die formende Hand wirken läßt. Die plastischen Formen sind hier wirklich eine Art «gefrorener Musik», welche die Weltgeheimnisse zum Ausdruck bringt. Daß diese Formen als Säulenkapitäle auftreten, erscheint für den, welcher die Sachlage durchschaut, wie selbstverständlich. Die Grundlage der physischen Entwicklung der Erdenwesen liegt in der geistigen Welt. Von dort aus wird sie «gestützt». Nun beruht alle Entwicklung auf einem Fortschreiten in sieben Stufen. (Die Zahl sieben soll dabei nicht als Ergebnis eines «Aberglaubens» aufgefaßt werden, sondern als der Ausdruck einer geistigen Gesetzmäßigkeit, wie die sieben Regenbogenfarben der Ausdruck einer physischen Gesetzmäßigkeit sind). Die Erde selbst schreitet in ihrer Entwicklung durch sieben Zustände, die mit den sieben Planetennamen bezeichnet werden: Saturn-, Sonne-, Mond-, Mars-, Merkur-, Jupiter- und Venuszustand. (Über den Sinn dieser Sache vergleiche man meine «Geheimwissenschaft» oder die Aufsätze Zur Akasha-Chronik. Doch nicht allein ein Himmelskörper schreitet in seiner Entwicklung so vorwärts, sondern jede Entwicklung durchläuft sieben Stufen, die man im Sinne der modernen Geisteswissenschaft mit den Ausdrücken für die sieben planetarischen Zustände bezeichnet. In der oben gekennzeichneten Weise sind die geistigen Stützkräfte dieser Zustände durch die Formen der Säulenkapitäle wiedergegeben. Man wird aber zu keinem wahren Verständnis dieser Sache kommen, wenn man nur die verstandesmäßige Erklärung beim Beschauen der Formen zugrunde legt. Man muß künstlerisch-empfindend sich in die Formen hineinschauen und die Kapitäle eben als Form auf sich wirken lassen. Wer dies nicht beachtet, wird glauben, nur Allegorien, oder im besten Falle Symbole vor sich zu haben. Dann hätte er alles mißverstanden. Dasselbe Motiv geht durch alle sieben Kapitäle: eine Kraft von oben und eine von unten, die sich erst entgegenstreben, dann, sich erreichend, zusammenwirken. Diese Kräfte sind in ihrer Fülle und in ihrem inneren Leben zu empfinden und dann ist von der Seele selbst zu erleben, wie sie lebendig gestaltend sich breiten, zusammenziehen, sich umfassen, verschlingen, aufschließen usw. Man wird diese Komplikation der Kräfte fühlen können, wie man das «sich-gestalten» der Pflanze aus ihren lebendigen Kräften fühlt, und man wird empfinden können, wie die Kraftlinie erst senkrecht nach oben wächst in der Säule, wie sie sich entfaltet in den plastischen Gestalten der Kapitäle, welche sich den von oben ihnen entgegenkommenden Kräften öffnen und aufschließen, so daß ein sinnvoll tragendes Kapitäl wird. Erst entfaltet sich die Kraft von unten in der einfachsten Art, und ihr strebt ebenso einfach die Kraft von oben entgegen (Saturn-Säule); dann füllen sich die Formen von oben an, schieben sich in die Spitzen von unten hinein und bewirken so, daß die unteren Formen nach den Seiten ausweichen. Zugleich schließen sich diese unteren Formen zu lebendigen Gebilden auf (Sonnensäule). Im ferneren wird das obere mannigfaltiger; eine Spitze, die hervorgetrieben war, wächst wie zu einem befruchtenden Prinzip aus, und das untere gestaltet sich zu einem Fruchtträger um. Das andere Kraftmotiv zwischen beiden ist zu einer tragenden Stütze geworden, weil das Verhältnis der Zwischenglieder nicht genug stark als Tragkraft empfunden würde (Mond-Säule). Weiterhin tritt eine Abscheidung des Unteren und Oberen ein, die starken Träger des Mondkapitäls sind selbst säulenartig geworden, das dazwischenliegende Obere und Untere sind verwachsen zu einem Gebilde, von oben deutet sich ein neues Motiv an (Mars-Säule). Die aus der Verbindung des Oberen und Unteren entstandenen Gebilde haben Leben angenommen, erscheinen daher als von Schlangen umwundener Stab. Man wird empfinden müssen, wie dieses Motiv aus dem vorigen organisch herauswächst. Die mittleren Gebilde des Marskapitäls sind verschwunden; ihre Kraft ist von dem stützenden inneren Teile des Kapitäls aufgesogen; die vorher von oben kommenden Andeutungen sind voller geworden (Merkur-Säule). Nun geht es wieder zu einer Art Vereinfachung, die aber die Frucht der vorhergängigen Vermannigfaltigung in sich schließt. Das Obere schließt sich kelchartig auf, das Untere vereinfacht das Leben in einer keuschen Form (Jupiter-Säule). Der letzte Zustand zeigt diese «innere Fülle» bei der äußeren Vereinfachung aufs höchste. Die Wachstumsumgestaltungen von unten haben von obenher ein fruchttragendes Kelchartiges hervorgelockt (Venus-Säule).
Naturkraft in der ägyptischen Legende von der Isis ausdrückt. Dieses
Isis-Bild, was für einen ergreifenden Eindruck macht es uns, wenn wir
es uns vorstellen, wie es dasteht in Stein, aber in dem Stein zugleich
der Schleier von oben bis unten: das verschleierte Bild zu Sais. Und die
Inschrift trägt es: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die
Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Das hat
wiederum zu einer ungemein gescheiten - obwohl sehr gescheite Leute
diese gescheite Erklärung aufgenommen haben, muß es doch einmal
gesagt werden -, zu einer sehr gescheiten Erklärung geführt. Man sagt
da: Die Isis drückt also aus das Symbolum für die Weisheit, die vom
Menschen nie erreicht werden kann. Hinter diesem Schleier ist eine
Wesenheit, die ewig verborgen bleiben muß, denn der Schleier kann
nicht gelüftet werden. - Und doch ist die Inschrift diese: Ich bin die
Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat
noch kein Sterblicher gelüftet. - Alle die gescheiten Leute, die also
sagen: Man kann das Wesen nicht ergründen - sie sagen logisch ungefähr
dasselbe, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen Namen
wirst du nie erfahren. - Es ist ganz genau dasselbe, was Sie immer über
dieses Bild reden hören, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen
Namen wirst du nie erfahren.-Wenn man das: Ich bin die Vergangenheit,
die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein
Sterblicher gelüftet - so auslegt, ist natürlich diese Auslegung ein völliger
Unsinn. Denn es steht ja da, was die Isis ist: Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft - die dahinfließende Zeit! Wir werden morgen
noch genauer über diese Dinge reden. Es ist die dahinfließende Zeit.
Aber ganz etwas anderes, als was diese sogenannte geistvolle Erklärung
will, ist ausgedrückt in den Worten: Meinen Schleier hat noch kein
Sterblicher gelüftet. - Ausgedrückt ist, daß man dieser Weisheit sich
nähern muß wie denjenigen Frauen, die den Schleier genommen hatten,
deren Jungfräulichkeit bestehen bleiben mußte: in Ehrfurcht, mit einer
Gesinnung, die alle egoistischen Triebe ausschließt. Das ist gemeint. Sie
ist wie eine verschleierte Nonne, diese Weisheit früherer Zeit. Auf die
Gesinnung wird hingedeutet durch das Sprechen von diesem Schleier." {{Lit|{{G|171|166}}}}
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Wer alles das empfinden kann, was in diesen «Säulen» des Weltgeschehens ausgedrückt ist, der fühlt umfassende Gesetze alles Seins, welche die Lebensrätsel in ganz anderer Weise lösen als abstrakte «Naturgesetze».
Es gibt aber noch einen weiteren, tiefer gehenden Aspekt:


Es soll in diesen Abbildungen eine Probe gegeben sein, wie die geistige Anschauung Form, Leben, künstlerische Gestaltung werden kann. Man beachte, daß die Abbildungen lebendige Daseinskräfte der höheren Welten wiedergeben; und diese höheren Geisteskräfte wirken auf den Betrachter der Bilder. Sie wirken direkt auf Kräfte, die, ihnen entsprechend, in jedem Menschen schlummern. Aber ihre Wirkung ist nur eine richtige, wenn man diese Bilder mit der rechten inneren Seelenverfassung betrachtet.
<div style="margin-left:20px">
"Wenn wir noch einmal zurücksehen auf die Zeit der Menschheitsentwickelung
vor dem Mysterium von Golgatha, so müssen wir sagen:
Damals hatte die Menschenseele ein altes Erbgut aus der Zeit, da sie
aus den geistigen Höhen herunterstieg zu irdischen Inkarnationen.
Dieses Erbgut bewahrte sie sich von Inkarnation zu Inkarnation weiter.
Daher gab es in jenen Zeiten ein altes Hellsehen, das nach und
nach abflutete, immer schwächer und schwächer wurde. Je weiter die
Inkarnationen vorschritten, desto schwächer wurde das abflutende alte
Hellsehen. Woran war das alte Hellsehen gebunden? Es war gebunden
an das, woran auch das äußere Wahrnehmen mit Augen und Ohren
gebunden ist, an das, was eben der Mensch in der äußeren Welt ist. Bei
den Menschen vor dem Mysterium von Golgatha war es so, daß sie wie
Kinder heranwuchsen: sie lernten gehen, sprechen, und sie lernten
selbstverständlich, solange die elementaren Kräfte im Sinne des alten
Hellsehens noch da waren, auch hellsehen. Sie lernten es wie etwas,
was sich ergab im Umgange mit der Menschheit, so wie es sich ergab
im Umgange mit der Menschheit, daß man durch die Organisation des
Kehlkopfes das Sprechen lernte. Man blieb aber nicht beim Sprechenlernen
stehen, sondern schritt vor zu dem elementaren Hellsehen. Dieses
elementare Hellsehen war gebunden an die gewöhnliche menschliche
Organisation so, wie die menschliche Organisation drinnenstand
in der physischen Welt; es mußte also notwendigerweise das
Hellsehen auch den Charakter der menschlichen Organisation annehmen.
Ein Mensch, der ein Wüstling war, konnte nicht eine reine Natur
in sein Hellsehen hineinschieben; ein reiner Mensch konnte seine reine
Natur auch in sein Hellsehen hineinschieben. Das ist ganz natürlich,
denn es war das Hellsehen an die unmittelbare menschliche Organisation
gebunden.


Wer mit spirituellen Vorstellungen im Kopfe und mit devotionellen Gefühlen im Herzen die Bilder betrachtet, der wird aus ihnen ein Heiligstes empfangen. Wer sie sich an einen beliebigen Ort hängen oder stellen wollte, wo er ihnen mit alltäglichen Gedanken und Empfindungen gegenübertritt, der wird eine ungünstige Wirkung verspüren, die bis zur schlimmen Beeinflussung des körperlichen Lebens gehen kann. Man richte sich darnach und trete zu den Bildern nur in ein Verhältnis, das im Einklange steht mit einer Hingabe an die geistigen Welten. Zum Schmucke eines dem höheren Leben gewidmeten Raumes sollen solche Bilder dienen; nimmermehr soll man sie an Orten finden oder betrachten, wo die Gedanken der Menschen nicht mit ihnen im Einklange sind." {{lit|{{G|284|91ff}}}}
Eine notwendige Folge davon war, daß ein gewisses Geheimnis -
das Geheimnis des Zusammenhanges zwischen der geistigen Welt und
der physischen Erdenwelt -, das vor dem Herabstieg des Christus
Jesus bestand, nicht für diese gewöhnliche menschheitliche Organisation
enthüllt werden durfte. Es mußte die menschheitliche Organisation erst
umgestaltet, erst reif gemacht werden. Der Jüngling von Sais durfte
nicht ohne weiteres, von außen kommend, das Bild der Isis sehen." {{Lit|{{G|148|168f}}}}
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Für die 1924 erschienene englische Ausgabe der «Occult Seals and Columns» fertigte der dänische Maler [[Arild Rosenkrantz]] (1870-1964) in Arlesheim unter der direkten Anleitung [[Rudolf Steiner]]s Siegelbilder an, die zunächst in schwarzweiss gedruckt wurden. In London malte er danach in den 1930iger Jahren 7 kreisförmige Pastellbilder der Siegel mit einem Durchmesser von jeweils 72 cm.
== Die neue Isis ==
 
{{Siehe auch|Isis#Die neue Isis|titel1=Die neue Isis}}
 
Unser gegenwärtiges [[Bewusstseinsseelenzeitalter]], in dem sich die [[ägyptisch-chaldäische Kultur]] in gewisser Weise spiegelt, bedarf einer [[Neue Isis-Legende|neuen Isis-Legende]]. Seit sich der [[Christus]] auf Erden inkarniert hat und durch das [[Mysterium von Golgatha]] gegangen ist, weilt er unter uns. Er kann uns nicht so verloren gehen, wie einst den Ägyptern [[Osiris]] verloren ging. Der [[Christus]] ist mit uns, doch fehlt uns die göttliche Weisheit, ihn in seinem wahren Wesen zu erkennen. In der ägyptischen Zeit wirkte Luzifer im Inneren des Menschen und gerade deshalb sah er die äußere Welt in [[ahriman]]ischer Gestalt. Heute ist es gerade umgekehrt. Ahriman wirkt in unserem Inneren und darum ist unser äußeres Weltbild, wie es namentlich die [[Naturwissenschaft]]en zeichnen, luziferisch. Uns ist die Isis-Sophia, verlorengegangen. Sie wurde durch [[Luzifer]] getötet. Heute müssen wir die [[neue Isis]] durch unser bewusstes Geistesstreben erwecken. Sehr ausführlich spricht [[Rudolf Steiner]] über diese neue Isis in einem am [[6. Januar]] [[1918]] in [[Dornach SO|Dornach]] gehaltenen Vortrag, und zeigt, wie das verschleierte Bild zu Sais nun eine Gestalt annimmt. Er spricht hier ...
 
{{GZ|... von jenem wichtigen
inneren Impuls, der an die Menschenseele herantreten muß,
wenn die Menschenseele das finden soll, was sie für die Zukunft so
notwendig hat, was allein eine ganze, volle Ergänzung dessen sein
kann, was die Naturwissenschaft auf der einen Seite bringt.
Dann werden Sie sehen, warum an die Seite der alten Osiris-Isismythe
die neue Isismythe treten kann, und warum für den Menschen
der Gegenwart beide zusammen notwendig sind; warum hinzugefügt
werden muß zu den Worten, die vom alten Ägypten herüberklingen
vom Standbilde zu Sais: Ich bin das All, ich bin die Vergangenheit,
die Gegenwart, die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher
gelüftet -, warum hineintönen muß in diese Worte ein anderes, warum
heute diese Worte nicht mehr einseitig nur an die menschliche
Seele heranklingen dürfen, sondern dazu klingen müssen die Worte:
Ich bin der Mensch. Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und
die Zukunft. Meinen Schleier sollte jeder Sterbliche lüften.|180|189}}


== Weblinks ==
== Siehe auch ==
#[http://www.rsarchive.org/Bilder/ Bilder okkulter Siegel und Säulen]
* {{WikipediaDE|Das verschleierte Bild zu Sais}}
#[http://www.arildrosenkrantz.dk/d/syvsegl_nn.html# Arild Rosenkrantz - Die sieben apokalyptischen Siegel]
* [[Halluzination]]
* [[Wahrnehmungstäuschung]]


==Literatur==
== Literatur ==
* [[Rudolf Steiner]]: ''Bilder okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongreß Pfingsten 1907 und seine Auswirkungen.'', [[GA 284]] (1993), ISBN 3-7274-2840-6 {{Vorträge|284}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium'', [[GA 148]] (1992), ISBN 3-7274-1480-4 {{Vorträge|148}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts'', [[GA 171]] (1984), ISBN 3-7274-1710-2 {{Vorträge|171}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung'', [[GA 180]] (1980), ISBN 3-7274-1800-1 {{Vorträge|180}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physische des Menschen'', [[GA 202]] (1993), ISBN 3-7274-2020-0 {{Vorträge|202}}


{{GA}}
{{GA}}


[[Kategorie:Apokalypse des Johannes]] [[Kategorie:Kunst]] [[Kategorie:Siegel]]
== Weblinks ==
{{Commonscat|Sais, Egypt|Sais}}
* [http://books.google.at/books?id=IcpOTDlUz1gC&hl=de&pg=PA14#v=onepage&q&f=false Plutarch: ''Über Jsis und Osiris''] - mit Übersetzung und Erläuterungen herausgegeben von Gustav Parthey (1850)
* {{Zeno-Werk|Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Gedichte/Gedichte+(1789-1805)/Das+verschleierte+Bild+zu+Sais|Das verschleierte BIld zu Sais|[[Friedrich Schiller]]}}
* {{Zeno-Werk|Literatur/M/Schiller,+Friedrich/Theoretische+Schriften/Vom+Erhabenen|Vom Erhabenen|[[Friedrich Schiller]]}}
* {{PGDW|3319/1|Die Sendung Moses|[[Friedrich Schiller]]}}
* {{Zeno-Werk|Literatur/M/Novalis/Romane/Die+Lehrlinge+zu+Sais/2.+Die+Natur|Die Lehrlinge zu Sais: Die Natur|[[Novalis]]}}
 
== Einzelnachweise ==
<references/>
 
[[Kategorie:Ägyptische Mythologie]] [[Kategorie:Mysterien]] [[Kategorie:Bewusstsein]] [[Kategorie:Schulungsweg]][[Kategorie:Erkenntnistheorie]][[Kategorie:Hellsehen]] [[Kategorie:Esoterik]]

Version vom 14. Dezember 2021, 23:20 Uhr

Isis in Hieroglyphen
meistens nur
stt
H8

Ast / Aset
3st
Sitz, Thron
oder
mit Determinativ
stt
H8
C10
Isis mit Was-Zepter und Anch-Zeichen
Die Ruinen von Sais im Nildelta (1855)
Skulptur Das verschleierte Bild zu Saïs im Park Luisium, einem Teil des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs.
Frontispiz zu Gerhard Blasius: Anatome Animalium,1681. Eine Priesterin enthüllt dem entsprechend vorbereiteten Adepten die verschleierte Göttin.
Friedrich Schiller
Porträt von Anton Graff, um 1790
Novalis um 1799
Porträt von Franz Gareis
Helena Petrovna Blavatsky (1877)

Das verschleierte Bild zu Sais wird in den Moralischen Schriften, «Über Isis und Osiris» des Plutarch (um 45 in Chaironeia; † um 125) erwähnt.

Die altägyptische, im westlichen Nildelta gelegene Stadt Sais (auch Saïs, griech. Σάϊς; altägyptisch Sau, Zau, heute arab. صا الحجر Sa al-Hagar, DMG Ṣā al-Ḥaǧar) wird schon in Texten aus dem Alten Reich erwähnt und war nach den archäologischen Befunden schon um 4000 v. Chr. besiedelt. Psammetich I., der vermutlich aus Sais stammte und die 26. Dynastie begründete, die von 664 – 525 v. Chr. herrschte, machte Sais zur Hauptstadt Ägyptens.

Geschichtliches

Plutarch beschreibt die verschleierte Statue der Athene oder der Isis, die es in Sais gegeben haben soll, die folgende Aufschrift trug:

„In Sais hatte das Standbild der Athene, die man auch für die Isis hält, folgende Inschrift «ich bin das All, das Vergangene Gegenwärtige und Zukünftige, meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet.»“

Plutarch: Über Isis und Osiris, C9[1]

Der Jüngling zu Sais soll verbotenerweise diesen Schleier gelüftet haben. Friedrich Schiller hat das Thema in dem Gedicht «Das verschleierte Bild zu Sais» [1] aufgegriffen und erwähnt es auch in seinen Vorlesungen über «Die Sendung Moses» und in seinem Aufsatz «Vom Erhabenen».

„Alles, was verhüllt ist, alles Geheimnisvolle, trägt zum Schrecklichen bei und ist deswegen der Erhabenheit fähig. Von dieser Art ist die Aufschrift, welche man zu Sais in Ägypten über dem Tempel der Isis las: »Ich bin alles, was ist, was gewesen ist und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« – Eben dieses Ungewisse und Geheimnisvolle gibt den Vorstellungen der Menschen von der Zukunft nach dem Tode etwas Grauenvolles; diese Empfindungen sind in dem bekannten Selbstgespräch Hamlets sehr glücklich ausgedrückt.“

Friedrich Schiller: Vom Erhabenen [2]

„Da Ägypten der erste kultivierte Staat war, den die Geschichte kennt, und die ältesten Mysterien sich ursprünglich aus Ägypten herschreiben, so war es auch aller Wahrscheinlichkeit nach hier, wo die erste Idee von der Einheit des höchsten Wesens zuerst in einem menschlichen Gehirne vorgestellt wurde...

Da aber schon ein gewisses Maß von Kenntnissen und eine gewisse Ausbildung des Verstandes erfodert wird, die Idee eines einigen Gottes recht zu fassen und anzuwenden, da der Glaube an die göttliche Einheit Verachtung der Vielgötterei, welches doch die herrschende Religion war, notwendig mit sich bringen mußte, so begriff man bald, daß es unvorsichtig, ja gefählich sein würde, diese Idee öffentlich und allgemein zu verbreiten. Ohne vorher die hergebrachten Götter des Staats zu stürzen und sie in ihrer lächerlichen Blöße zu zeigen, konnte man dieser neuen Lehre keinen Eingang versprechen...

Mißlang hingegen der Versuch, die alten Götter zu stürzen, so hatte man den blinden Fanatismus gegen sich bewaffnet und sich einer tollen Menge zum Schlachtopfer preisgegeben. Man fand also für besser, die neue gefährliche Wahrheit zum ausschließenden Eigentum einer kleinen geschlossenen Gesellschaft zu machen, diejenigen, welche das gehörige Maß von Fassungskraft dafür zeigten, aus der Menge hervorzuziehen und in den Bund aufzunehmen und die Wahrheit selbst, die man unreinen Augen entziehen wollte, mit einem geheimnisvollen Gewand zu umkleiden, das nur derjenige wegziehen könnte, den man selbst dazu fähig gemacht hätte.

Diese Zeremonien, mit jenen geheimnisvollen Bildern und Hieroglyphen verbunden, und die verborgenen Wahrheiten, welche in diesen Hieroglyphen versteckt lagen und durch jene Gebräuche vorbereitet wurden, wurden zusammengenommen unter dem Namen der Mysterien begriffen. Sie hatten ihren Sitz in den Tempeln der Isis und des Serapis und waren das Vorbild, wornach in der Folge die Mysterien in Eleusis und Samothrazien und in neuern Zeiten der Orden der Freimaurer sich gebildet hat.

Es scheint außer Zweifel gesetzt, daß der Inhalt der allerältesten Mysterien in Heliopolis und Memphis, während ihres unverdorbenen Zustands, Einheit Gottes und Widerlegung des Paganismus war, und daß die Unsterblichkeit der Seele darin vorgetragen wurde. Diejenigen, welche dieser wichtigen Aufschlüsse teilhaftig waren, nannten sich Anschauer oder Epopten, weil die Erkennung einer vorher verborgenen Wahrheit mit dem Übertritt aus der Finsternis zum Lichte zu vergleichen ist, vielleicht auch darum, weil sie die neuerkannten Wahrheiten in sinnlichen Bildern wirklich und eigentlich anschauten.

Zu dieser Anschauung konnten sie aber nicht auf einmal gelangen, weil der Geist erst von manchen Irrtümern gereinigt, erst durch mancherlei Vorbereitungen gegangen sein mußte, ehe er das volle Licht der Wahrheit ertragen konnte. Es gab also Stufen oder Grade, und erst im innern Heiligtum fiel die Decke ganz von ihren Augen.

Die Epopten erkannten eine einzige höchste Ursache aller Dinge, eine Urkraft der Natur, das Wesen aller Wesen, welches einerlei war mit dem Demiurgos der griechischen Weisen. Nichts ist erhabener als die einfache Größe, mit der sie von dem Weltschöpfer sprachen. Um ihn auf eine recht entscheidende Art auszuzeichnen, gaben sie ihm gar keinen Namen. »Ein Name«, sagten sie, »ist bloß ein Bedürfnis der Unterscheidung, wer allein ist, hat keinen Namen nötig, denn es ist keiner da, mit dem er verwechselt werden könnte.« Unter einer alten Bildsäule der Isis las man die Worte: » Ich bin, was da ist«, und auf einer Pyramide zu Sais fand man die uralte merkwürdige Inschrift: »Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird, kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« Keiner durfte den Tempel des Serapis betreten, der nicht den Namen Jao - oder J-ha-ho, ein Name, der mit dem hebräischen Jehovah fast gleichlautend, auch vermutlich von dem nämlichen Inhalt ist - an der Brust oder Stirn trug; und kein Name wurde in Ägypten mit mehr Ehrfurcht ausgesprochen als dieser Name Jao. In dem Hymnus, den der Hierophant oder Vorsteher des Heiligtums dem Einzuweihenden vorsang, war dies der erste Aufschluß, der über die Natur der Gottheit gegeben wurde: »Er ist einzig und von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.«“

Friedrich Schiller: Die Sendung Moses [3]

Novalis verwendete das Motiv in seinem Märchen von «Hyacinth und Rosenblüthe», das den Kern seines unvollendeten Romans «Die Lehrlinge zu Sais» (1799) bildet. Im Traum lüftet der Jüngling Hyazinth den Schleier der Jungfrau - und findet seine geliebte Rosenblüte:

„Unter himmlischen Wohlgedüften entschlummerte er, weil ihn nur der Traum in das Allerheiligste führen durfte. Wunderlich führte ihn der Traum durch unendliche Gemächer voll seltsamer Sachen auf lauter reitzenden Klängen und in abwechselnden Accorden. Es dünkte ihm alles so bekannt und doch in niegesehener Herrlichkeit, da schwand auch der letzte irdische Anflug, wie in Luft verzehrt, und er stand vor der himmlischen Jungfrau, da hob er den leichten, glänzenden Schleyer, und Rosenblüthchen sank in seine Arme.“

Novalis: Die Lehrlinge zu Sais, 2. Die Natur [4]

«Isis entschleiert» (Isis Unveiled) ist auch der Titel des von Helena Petrovna Blavatsky am 29. September 1877 - also zu Michaeli - veröffentlichten Grundlagenwerks der Theosophie, das zugleich ihr aus geistiger Sicht bedeutsamstes Werk ist.

Über die Bedeutung dieser Isis-Legende sagt Rudolf Steiner:

"Sehen Sie, so schön ist das in dem Symbole beschrieben, das die Naturkraft in der ägyptischen Legende von der Isis ausdrückt. Dieses Isis-Bild, was für einen ergreifenden Eindruck macht es uns, wenn wir es uns vorstellen, wie es dasteht in Stein, aber in dem Stein zugleich der Schleier von oben bis unten: das verschleierte Bild zu Sais. Und die Inschrift trägt es: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Das hat wiederum zu einer ungemein gescheiten - obwohl sehr gescheite Leute diese gescheite Erklärung aufgenommen haben, muß es doch einmal gesagt werden -, zu einer sehr gescheiten Erklärung geführt. Man sagt da: Die Isis drückt also aus das Symbolum für die Weisheit, die vom Menschen nie erreicht werden kann. Hinter diesem Schleier ist eine Wesenheit, die ewig verborgen bleiben muß, denn der Schleier kann nicht gelüftet werden. - Und doch ist die Inschrift diese: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Alle die gescheiten Leute, die also sagen: Man kann das Wesen nicht ergründen - sie sagen logisch ungefähr dasselbe, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen Namen wirst du nie erfahren. - Es ist ganz genau dasselbe, was Sie immer über dieses Bild reden hören, wie wenn einer sagte: Ich heiße Müller; meinen Namen wirst du nie erfahren.-Wenn man das: Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet - so auslegt, ist natürlich diese Auslegung ein völliger Unsinn. Denn es steht ja da, was die Isis ist: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - die dahinfließende Zeit! Wir werden morgen noch genauer über diese Dinge reden. Es ist die dahinfließende Zeit. Aber ganz etwas anderes, als was diese sogenannte geistvolle Erklärung will, ist ausgedrückt in den Worten: Meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet. - Ausgedrückt ist, daß man dieser Weisheit sich nähern muß wie denjenigen Frauen, die den Schleier genommen hatten, deren Jungfräulichkeit bestehen bleiben mußte: in Ehrfurcht, mit einer Gesinnung, die alle egoistischen Triebe ausschließt. Das ist gemeint. Sie ist wie eine verschleierte Nonne, diese Weisheit früherer Zeit. Auf die Gesinnung wird hingedeutet durch das Sprechen von diesem Schleier." (Lit.: GA 171, S. 166)

Es gibt aber noch einen weiteren, tiefer gehenden Aspekt:

"Wenn wir noch einmal zurücksehen auf die Zeit der Menschheitsentwickelung vor dem Mysterium von Golgatha, so müssen wir sagen: Damals hatte die Menschenseele ein altes Erbgut aus der Zeit, da sie aus den geistigen Höhen herunterstieg zu irdischen Inkarnationen. Dieses Erbgut bewahrte sie sich von Inkarnation zu Inkarnation weiter. Daher gab es in jenen Zeiten ein altes Hellsehen, das nach und nach abflutete, immer schwächer und schwächer wurde. Je weiter die Inkarnationen vorschritten, desto schwächer wurde das abflutende alte Hellsehen. Woran war das alte Hellsehen gebunden? Es war gebunden an das, woran auch das äußere Wahrnehmen mit Augen und Ohren gebunden ist, an das, was eben der Mensch in der äußeren Welt ist. Bei den Menschen vor dem Mysterium von Golgatha war es so, daß sie wie Kinder heranwuchsen: sie lernten gehen, sprechen, und sie lernten selbstverständlich, solange die elementaren Kräfte im Sinne des alten Hellsehens noch da waren, auch hellsehen. Sie lernten es wie etwas, was sich ergab im Umgange mit der Menschheit, so wie es sich ergab im Umgange mit der Menschheit, daß man durch die Organisation des Kehlkopfes das Sprechen lernte. Man blieb aber nicht beim Sprechenlernen stehen, sondern schritt vor zu dem elementaren Hellsehen. Dieses elementare Hellsehen war gebunden an die gewöhnliche menschliche Organisation so, wie die menschliche Organisation drinnenstand in der physischen Welt; es mußte also notwendigerweise das Hellsehen auch den Charakter der menschlichen Organisation annehmen. Ein Mensch, der ein Wüstling war, konnte nicht eine reine Natur in sein Hellsehen hineinschieben; ein reiner Mensch konnte seine reine Natur auch in sein Hellsehen hineinschieben. Das ist ganz natürlich, denn es war das Hellsehen an die unmittelbare menschliche Organisation gebunden.

Eine notwendige Folge davon war, daß ein gewisses Geheimnis - das Geheimnis des Zusammenhanges zwischen der geistigen Welt und der physischen Erdenwelt -, das vor dem Herabstieg des Christus Jesus bestand, nicht für diese gewöhnliche menschheitliche Organisation enthüllt werden durfte. Es mußte die menschheitliche Organisation erst umgestaltet, erst reif gemacht werden. Der Jüngling von Sais durfte nicht ohne weiteres, von außen kommend, das Bild der Isis sehen." (Lit.: GA 148, S. 168f)

Die neue Isis

Siehe auch: Die neue Isis

Unser gegenwärtiges Bewusstseinsseelenzeitalter, in dem sich die ägyptisch-chaldäische Kultur in gewisser Weise spiegelt, bedarf einer neuen Isis-Legende. Seit sich der Christus auf Erden inkarniert hat und durch das Mysterium von Golgatha gegangen ist, weilt er unter uns. Er kann uns nicht so verloren gehen, wie einst den Ägyptern Osiris verloren ging. Der Christus ist mit uns, doch fehlt uns die göttliche Weisheit, ihn in seinem wahren Wesen zu erkennen. In der ägyptischen Zeit wirkte Luzifer im Inneren des Menschen und gerade deshalb sah er die äußere Welt in ahrimanischer Gestalt. Heute ist es gerade umgekehrt. Ahriman wirkt in unserem Inneren und darum ist unser äußeres Weltbild, wie es namentlich die Naturwissenschaften zeichnen, luziferisch. Uns ist die Isis-Sophia, verlorengegangen. Sie wurde durch Luzifer getötet. Heute müssen wir die neue Isis durch unser bewusstes Geistesstreben erwecken. Sehr ausführlich spricht Rudolf Steiner über diese neue Isis in einem am 6. Januar 1918 in Dornach gehaltenen Vortrag, und zeigt, wie das verschleierte Bild zu Sais nun eine Gestalt annimmt. Er spricht hier ...

„... von jenem wichtigen inneren Impuls, der an die Menschenseele herantreten muß, wenn die Menschenseele das finden soll, was sie für die Zukunft so notwendig hat, was allein eine ganze, volle Ergänzung dessen sein kann, was die Naturwissenschaft auf der einen Seite bringt. Dann werden Sie sehen, warum an die Seite der alten Osiris-Isismythe die neue Isismythe treten kann, und warum für den Menschen der Gegenwart beide zusammen notwendig sind; warum hinzugefügt werden muß zu den Worten, die vom alten Ägypten herüberklingen vom Standbilde zu Sais: Ich bin das All, ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft; meinen Schleier hat noch kein Sterblicher gelüftet -, warum hineintönen muß in diese Worte ein anderes, warum heute diese Worte nicht mehr einseitig nur an die menschliche Seele heranklingen dürfen, sondern dazu klingen müssen die Worte: Ich bin der Mensch. Ich bin die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Meinen Schleier sollte jeder Sterbliche lüften.“ (Lit.:GA 180, S. 189)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Commons: Sais - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise