Flor und Blancheflor und Intellekt: Unterschied zwischen den Seiten

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{{Textbox|<poem>«Ave, formosissima, gemma pretiosa,
Der '''Intellekt''' (von {{laS|''intellectus''}} ‚Erkenntnisvermögen‘, ‚Einsicht‘, ‚Verstand‘) ist ein philosophischer Begriff. Er bezeichnet die Fähigkeit, etwas geistig zu erfassen, und die Instanz im Menschen, die für das Erkennen und [[Denken]] zuständig ist. „Intellekt“ wird oft als Synonym für „[[Verstand]]“ verwendet, kann aber auch die Bedeutungen „[[Vernunft]]“, „[[Bewusstsein]]“ oder „[[Geist]]“ haben.
ave, decus virginum, virgo gloriosa,
ave, lumen luminum, ave, mundi rosa,
Blanziflour et Helena, Venus generosa!»


«Heil dir, schönste, köstliche Perle!
== Begriffsgeschichte ==
Heil dir, Zierde der Frauen! Jungfrau, hochgelobt!
In der [[Antike]] diente in der römischen Philosophie das [[w:Substantiv|Substantiv]] ''intellectus'', das vom Verb ''intellegere'' („erkennen“, „verstehen“) abgeleitet ist, zur Übersetzung des griechischen Begriffs [[Nous]]. Der Nous spielte in der griechischen Philosophie, insbesondere bei [[Platon]] und [[Aristoteles]] und in den von ihnen gegründeten Philosophenschulen ([[Platonische Akademie]], [[Peripatos]]), eine wichtige Rolle. [[Marcus Tullius Cicero|Cicero]] nannte den Nous nicht ''intellectus'', sondern bediente sich anderer Ausdrücke wie ''animus'', ''mens'', ''ratio'' und ''ingenium'', aber bei [[Seneca]] und anderen Autoren der [[Römische Kaiserzeit|römischen Kaiserzeit]] war der Ausdruck ''intellectus'' geläufig. In der [[Spätantike]] verwendete [[Boethius]] ''intellectus'' als philosophischen Fachausdruck. In den Werken des [[w:Kirchenvater|Kirchenvater]]s [[Augustinus von Hippo|Augustinus]] erscheint ''intellectus'' in der Bedeutung „vernünftige Einsicht“ und meist synonym mit ''ratio'' („Überlegung“, „Denkvermögen“, „Vernunft“, „Einsicht“). Der Sprachgebrauch von Augustinus und Boethius war für die Folgezeit wegweisend, da diese Autoren im Mittelalter Autoritäten hohen Ranges waren.
Heil dir, Leuchte der Welt! Heil dir, Rose der Welt!
Blanziflor und Helena! Noble Venus!»
                                    Carmina Burana, 77/8</poem>}}


[[Bild:Flore und Blanscheflur Sommer1846002.jpg|thumb|300px|Konrad Fleck: ''Flore und Blanscheflur'' [http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/Sommer1846 Digitalisat]]]
In der [[Scholastik|scholastischen]] Philosophie und Theologie des Mittelalters war ''intellectus'' ein zentraler Begriff, der vor allem von der Nous-Vorstellung des Aristoteles geprägt war. Aristoteles folgend, unterschieden die mittelalterlichen Gelehrten zwischen dem ''[[intellectus agens]]'', dem „tätigen“ oder „bewirkenden“ Intellekt und dem ''intellectus possibilis'', dem „möglichen Intellekt“, den Aristoteles als „erleidenden Nous“ ''(nous pathētikós)'' bezeichnet hatte, weil er passiv ist und nur Einwirkungen erfahren kann. Einer falschen mittelalterlichen [[Etymologie]] zufolge, die von Autoren wie [[Thomas von Aquin]] und [[Meister Eckhart]] verbreitet wurde, sind ''intellegere'' und ''intellectus'' aus ''intus legere'' („inwendig lesen“) abgeleitet. Thomas versteht darunter das Erfassen des den Sinnen nicht zugänglichen „Inneren“ eines Dinges.<ref>Albert Zimmermann: ''Glaube und Wissen''. In: Andreas Speer (Hrsg.): ''Thomas von Aquin: Die Summa theologiae. Werkinterpretationen'', Berlin 2005, S. 271–297, hier: 289.</ref> Für Meister Eckhart bedeutet ''intellectus'' ein inneres Erfassen von etwas in doppeltem Sinne: inwendig im Intellekt und inwendig in den Prinzipien des Erkenntnisobjekts.<ref>Udo Kern: ''„Gottes Sein ist mein Leben“'', Berlin 2003, S. 47.</ref>
[[Datei:Al-Andalus-de-910.jpg|mini|300px|al-Andalus um 913]]
[[Datei:N-Mesopotamia and Syria german.svg|mini|300px|Das [[Zweistromland]] von [[Wikipedia:Euphrat|Euphrat]] und [[Wikipedia:Tigris|Tigris]], wo ein großer Teil der Geschichte spielt.]]
Ins Deutsche wurde das Wort aus dem Lateinischen als Fremdwort übernommen und bürgerte sich ab Anfang des 19. Jahrhunderts ein. [[Johann Gottfried Herder|Herder]] verwendete 1797 noch die lateinische Form ''(Der reine Intellectus)'', bei [[Johann Wolfgang von Goethe|Goethe]] ist das Wort schon eingedeutscht ''(Intellect)''. Das zugehörige [[w:Adjektiv|Adjektiv]] ''intellektuell'' („geistig“) war schon im späten 18. Jahrhundert gebräuchlich; es war aus dem Französischen übernommen worden ''(intellectuel)''.<ref>Hans Schulz: ''Deutsches Fremdwörterbuch'', Band 1, Straßburg 1913, S. 300.</ref>
[[Datei:Floris ende Blancefloer Lg 115.jpg|miniatur|Floire wird zum König gekrönt, Darstellung aus einer Handschrift aus [[Wikipedia:Heidelberg|Heidelberg]]]]
[[Datei:VarkaAndGulshah.jpg|thumb|Darstellung aus ''Warqa und Gulschah'', Miniaturmalerei, 13. Jahrhundert]]
[[Datei:Floris ende Blancefloer Lg 68.jpg|miniatur|''Floire et Blancheflor'' in einer Ausgabe von Jan van Doesborch, ca. 1517 ]]
[[Datei:Flore und Blancheflor cpg362-300.jpg|mini|Die Sage von [[Flor und Blancheflor]]. Flor im Gespräch mit dem Turmwächter.<br>Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. Germ 362, S. 300 [http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg362/0300] ]]


'''Flor und Blancheflor''' ({{FrS}} ''Floire et Blancheflor'') ist eine [[Provence|provencalische]] Sage, die im [[Mittelalter]] wiederholt als Epos gestaltet wurde. Sie zählte damals zu den bekanntesten mittelalterlichen Erzählungen und wurde in alle Literatursprachen der damaligen Zeit übersetzt. Die bedeutsamste deutsche Fassung brachte [[Konrad Fleck]] um 1220 bis 1230 in [[Wikipedia:Alemannische Dialekte|alemannischem Dialekt]] in 8.006 Versen in Gedichtform. Er berief sich dabei auf eine Vorlage eines weiter nicht bekannten ''Ruopreht von Orbênt''<ref>Vers 142</ref>. Konrad Flecks Dichtung ist in vier Handschriften überliefert, von denen die beiden späteren aus der Werkstatt von [[Wikipedia:Diebold Lauber|Diebold Lauber]] (* vor 1427; † nach 1471) im [[Wikipedia:Elsass|Elsass]] vollständig sind. Flecks Dichtung folgt weitgehend der urspünglichen 3000 Verse umfassenden altfranzösischen höfischen ''„version aristocratique“'' von „'''Floire et Blancheflor'''“, die um 1160 von einem allerdings unbekannten französischen [[Trobador]] verfasst wurde. Um 1200 war daraus auch eine volkstümliche ''„version populaire“'' mit teils veränderten Episoden und unterschiedlich gezeichneten Charakteren entstanden.
== Das Gehirn als Werkzeug des Intellekts ==


Erwähnt wird der Name von Blancheflor auch in den ebenfalls um 1230 niedergeschriebenen moralisch-satirische Lied- und Dramentexten [[Wikipedia:Carmina Burana|Carmina Burana]], wo sie in einer Marienpreis-Imitation in ''Carmina amatoria 77/8'' neben [[Helena (Mythologie)|Helena]] und [[Venus (Mythologie)|Venus]] als Sinnbild mythischer Schönheit steht.
{{GZ|Nun, worauf beruht nun dieses Intellektualistische, das heute ganz
besonders dem Menschen eigen ist? Ich möchte Ihnen das wiederum
durch eine Art schematischer Zeichnung klarmachen [siehe S. 78,
Tafel 6]. Ich sagte gestern: Wenn wir das menschliche Gehirn nehmen
(weiß), so können wir uns vorstellen, daß durch dasjenige, was als der
Vergessenheitstrunk aufgefaßt worden ist, eben das Geistig-Seelische,
das sonst vor dem Gehirn Halt macht, das Gehirn durchdrang (rot),
und daß gewissermaßen durch den alten Eingeweihten von innen
herauf aufstieg das Geistig-Seelische durch das präparierte Gehirn. -
Der Intellektualismus von heute beruht ja darauf, daß gegenüber dem
älteren Menschen, sagen wir vor dem Mysterium von Golgatha, das
Seelisch-Geistige beim heutigen Menschen innerlich stärker, intensiver
geworden ist. Der ältere Mensch hat überhaupt nicht so viel Intellektualismus
gehabt. Sein Seelisch-Geistiges prägte sich nicht zu
solchen scharfen Gedankenlinien aus, wie das beim heutigen Menschen
der Fall ist. Denn wenn man Intellektualist ist, so denkt man ja
alles in geraden Linien. So dachte der ältere Mensch nicht. Der ältere
Mensch dachte bildhafter, traumhafter, weicher, möchte ich sagen.
Beim heutigen Menschen sind die Gedanken eckig, sind mit scharfen
Konturen begabt. Aber dieser heutige Mensch könnte, trotzdem sein
Seelisch-Geistiges stärker geworden ist als es in älteren Zeiten war,
dennoch nicht vom Seelisch-Geistigen aus diese Gedanken fassen.


== Der orientalische Ursprung der Sage ==
Verstehen wir uns recht, meine lieben Freunde. Der heutige
Mensch hat schon gegenüber dem älteren ein gut Stück seelischgeistiger
Stärke. Er träumt nicht mehr so, wie der ältere Mensch geträumt
hat, er strafft sich in seinen Gedanken. Dennoch würden diese
Gedanken abgedämpft bleiben, wenn nur das Seelisch-Geistige beim
modernen Menschen wirken müßte. Eigentlich kann jetzt der
Mensch noch immer nicht von seiner Seele aus denken.
Was dem Menschen die Kraft des Denkens abnimmt, das ist der
Leib. Wenn wir zum Beispiel eine Sinneswahrnehmung haben, so
haben wir sie allerdings mit dem Seelisch-Geistigen. Wenn wir sie
dann aber denken wollen, diese Sinneswahrnehmung, dann muß uns
der Leib helfen. Der Leib ist eigentlich der Denker. So daß also heute
die Sache so ist: Die Sinneswahrnehmung wirkt auf den Menschen,
das Seelisch-Geistige (rot oben) durchsetzt die Sinneswahrnehmung,
aber der Leib wirkt wie ein Spiegel und wirft fortwährend die Gedankenstrahlen
zurück (grüne Pfeile). Dadurch werden sie bewußt. Also
der Leib ist das, was dem Menschen die Mühe des Denkens abnimmt,
nicht aber die Mühe der Sinneswahrnehmungen. Und wenn nach
dieser Gedankenseite hin der Mensch heute nach einer Einweihung
streben will, dann muß er durch seine Übungen, die wir ja kennen aus
«Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und aus dem
zweiten Teil der «Geheimwissenschaft im Umriß», das Seelisch-
Geistige noch mehr verstärken; dann bringt er es allmählich dahin,
dieses Seelisch-Geistige in sich so selbständig zu machen, daß es den
Leib nicht mehr braucht.


Die Sage selbst ist orientalischen Ursprungs. So beschrieb im [[Wikipedia:11. Jahrhundert|11. Jahrhundert]] der [[Wikipedia:Persische Literatur|persische Dichter]] [[Ayyuqi]] die Liebe und die Abenteuer von '''Warqa und Gulschah''', die zu den frühesten persischen Liebesepen zählt und wegen seiner farbigen Schilderung des kriegerischen Nomadenlebens und des Luxus bei Hofe berühmt wurde. Warqa und Gulschah lieben einander schon von frühester Kindheit an, doch kurz vor der Hochzeit wird die Braut von Nomaden entführt. Doch die beiden bleiben einander auch über den Tod hinaus treu und ihre Liebe wird auf märchenhafte Weise belohnt.<ref>[http://www.sandammeer.at/streifzuge/persien.htm#ayyuqi Ayyuqi: ''Die Geschichte der Liebe von Warqa und Gulshah''. In: ''Sandammeer. Die virtuelle Literaturzeitschrift'']</ref> Nach Ayyuqis eigener Angabe basiert die Geschichte auf einer [[arabisch]]en Vorlage, nämlich auf der von [[Abū l-Faradsch al-Isfahānī]] (897-967) in seinem ''Buch der Lieder'' überlieferten Romanze von '''Urwa und Afra'''. Hier ist es die Mutter der jungen Afra, die die Heirat mit dem wenig begüterten Urwa verhindern will und ihrer Tochter an einen reichen Mann verheiratet. Als Urwa aus der Ferne heimkehrt, gaukelt sie ihm mit einem falschen Grabmahl vor, Afra sei gestorben. Doch später macht Urwa seine Geliebte ausfindung, besucht sie im Haus ihres Gatten und gibt sich durch seinen Ring zu erkennen.<ref>Johann Christoph Bürgel (Hrsg.): ''Tausendundeine Welt: klassische arabische Literatur vom Koran bis zu Ibn Chaldûn'', C.H.Beck 2007, S. 386f</ref>
[[Datei:GA210 078.gif|center|400px|Zeichnung aus GA 210, S. 78]]


== Karl der Große und die Legende von Flor und Blancheflor ==
Also verstehen wir uns richtig: Wenn heute im gewöhnlichen
Flor und Blancheflor waren die Bewahrer des esoterischen Christentums und sollen der genannten Sage nach die Großeltern mütterlicherseits [[Karl der Große|Karls des Großen]] gewesen sein, wie Konrad Fleck und seine französische Vorlage gleichermaßen berichten. [[Wikipedia:Bertrada die Jüngere|Bertrada die Jüngere]] (* [[Wikipedia:720|720]]; † [[Wikipedia:783|783]]), die Gattin [[Wikipedia:Pippin der Jüngere|Pippins des Jüngeren]] (* [[Wikipedia:714|714]]; † [[Wikipedia:768|768]]) und Mutter Karls, von der auch die ''Berthasage'' berichtet und die unter dem Namen ''„Bertha mit dem großen Fuß“'' mit der Göttin [[Wikipedia:Perchta|Perchta]] verschmolzen wurde, soll - allerdings nur der Sage nach, denn ihr urkundlich erwähnter Vater war [[Wikipedia:Heribert von Laon|Heribert von Laon]] (''Charibert De Laon'') - die Tochter von Flor und Blancheflor gewesen sein. Die Sage gibt nicht die äußere Realität, aber ihren geistigen Ursprung wieder. In den fast 20 Fassungen der Berthasage wird Bertrada meist als Braut im Wald ausgesetzt und gegen eine falsche Bertha ausgetauscht, bis die echte gefunden und an ihren Füßen erkannt wird, von denen einer größer als der andere ist.
Leben gedacht wird, dann ist allerdings das Seelisch-Geistige tätig.
Vor allen Dingen nimmt es die Sinneswahrnehmungen auf, aber es
könnte nicht diejenigen Gedanken entwickeln, die heute entwickelt
werden. Daher kommt der Leib und nimmt dem Menschen die Mühe
des Denkens ab. Im gewöhnlichen Leben denkt man durchaus mit
dem Leib, der Leib ist der Gedankenapparat. Wenn man die Übungen
macht, von denen in den genannten Büchern die Rede ist, dann wird
die Seele durch diese Übungen so stark, daß sie nicht mehr den Leib
zum Denken braucht, daß sie selbst denkt. Und das ist im Grunde die
erste Etappe der Entwickelung zum höheren Erkennen hin, daß das
Seelisch-Geistige anfängt, den Leib für die höhere Erkenntnis als das
eigentliche Denkorgan abzusetzen. Es muß nur immer wieder betont
werden, daß der Mensch, indem er zur höheren Erkenntnis, also zur
Imagination aufrückt, immer neben sich mit seinem gesunden Menschenverstand
bleibt als einer, der sich selber kontrolliert, sich selber
kritisiert. Also man bleibt daneben derselbe, der man sonst auch im
gewöhnlichen Leben ist. Es entwickelt sich nur der zweite Mensch
aus dem ersten Menschen heraus, der dann fähig ist, nicht mehr mit
Hilfe des Leibes, sondern ohne die Hilfe des Leibes zu denken.


== Inhalt ==
Also das, was sich als Geistig-Seelisches dem alten Mysterienschüler
offenbarte, das kam aus dem Leibe heraus, drang durch das Gehirn
durch und im Herausquillen gewissermaßen nahm es der Mensch
wahr. Das aber, was der Mensch heute wahrnimmt als ein Eingeweihter,
das ist verstärktes Denken, das nun ganz und gar nicht das Gehirn
in Anspruch nimmt. Während also der alte Mensch das, was er als
Geistig-Seelisches wahrnahm, aus seiner Organisation herauszog,
nimmt der Mensch heute das Seelisch-Geistige nach der Gedankenseite
hin so wahr, daß es in ihn hereindringt, wie Sinneswahrnehmungen
in ihn hereindringen. Der Mensch, indem er diese erste Stufe der
höheren Erkenntnis erklimmt, muß sich daran gewöhnen, zu sagen:
Ich beginne, mich selber meinem ewigen Seelisch-Geistigen nach
wahrzunehmen, denn das dringt durch mein Auge, das dringt überhaupt
von außen in mich herein.


=== Übersicht ===
Ich habe bei einem öffentlichen Vortrag im Basler Bernoullianum
gesagt: Die Geisteswissenschaft in anthroposophischem Sinne muß
das Sinneswahrnehmen als ihr Ideal betrachten. Man muß vom Sinneswahrnehmen
weiterschreiten. Man darf nicht zurück zum traumhaften
Erkennen gehen, sondern man muß zu einem klareren Erkennen
schreiten, als es dieses Wahrnehmen ist. Daher muß unser eigenes
Wesen an uns herankommen, wie die Farben und wie die Töne an die
Sinne herankommen.|210|76ff}}


{{LZ|Blancheflor, die in heidnischer Gefangenschaft geborene Tochter eines christlichen Grafen, und der heidnische Königssohn Floire wachsen gemeinsam in Spanien auf und lieben sich zärtlich von Kindesbeinen an. Floires Vater ist davon nicht sehr erbaut; deshalb verkauft er Blancheflor insgeheim an ehrbare Kaufleute, die das schöne Kind für einen ansehnlichen Haufen Gold an den Emir von Babylon weiter verschachern. Als Floire hinter die Tat seines Vaters kommt, schlägt er Krach und begibt sich auf die Suche nach Blancheflor, findet auch überall Spuren, gelangt nach Babylon und läßt sich, in einem Blumenkorb versteckt, heimlich in den Harem einschmuggeln, der Blancheflor beherbergt. Das Paar wird entdeckt und zum Feuertod verurteilt. Aber Unschuld und Edelmut der beiden vermögen den Emir zu besänftigen: er gibt sie frei. Und damit nicht genug. Obwohl er die vorsichtige Angewohnheit hat, seine Frauen immer nur für ein Jahr zu heiraten, macht er Blancheflor zuliebe eine Ausnahme und heiratet deren Freundin Claris gleich auf Lebenszeit. Inzwischen ist Floires Vater gestorben; man kann also beruhigt nach Spanien zurückkehren; Floire wird Christ, und mit ihm läßt sich sein ganzes Volk taufen. So werden die Spanier christlich! Unsere Liebenden regieren als Königspaar bis an ihr seliges Ende.|Köhler, S 205}}
== Siehe auch ==
 
* {{WikipediaDE|Intellekt}}
=== Die Handlung im Detail ===
* {{WikipediaDE|Intellektualismus}}
 
König Fenix<ref>auch ''Felix'', ''Felis'' oder ''Fenis''</ref>, der heidnische ([[Wikipedia:Sarazenen|sarazenische]]) Herrscher von Hispanien (→ [[al-Andalus]]), zieht mit seinen Schiffen nach [[Wikipedia:Galicien|Galicien]] im Nordwesten Spaniens, um gegen seine Feinde, die Christen, zu kämpfen {{Fleck|13|370-379}}. Seine Truppe greift eine Gruppe von Pilgern an, die auf dem Weg nach [[Wikipedia:Santiago de Compostela|Santiago de Compostela]] sind. Unter ihnen befindet sich auch ein französischer Ritter mit seiner schwangeren Tochter, deren Gatte kurz zuvor in einer Schlacht gefallen war. Nun wird auch ihr Vater im Kampf getötet. Die Tochter wird gefangengenommen und nach [[Wikipedia:Neapel|Neapel]] gebracht {{Fleck|17|498}}, wo sie Fenix seiner Königin zum Geschenk macht und wo auch alle seine Krieger ihren Lohn empfangen. Die Königin nimmt sie gerne auf und erlaubt ihr, den christlichen Glauben zu behalten. Die junge Frau dient nun treu der Königin und lehrt sie auf deren Wunsch die [[französische Sprache]] {{Fleck|19|537}}. Immer sieht man die beiden beieinander sitzen und bald ist die junge Christin am ganzen Hof beliebt. Schließlich bemerkt die Königin, die selbst schwanger ist, dass auch ihre treue Dienerin ein Kind erwartet. Am selben Tag, einem Palmsonntag {{Fleck|20|577}}, bringen beide ihre Kinder zur Welt: Dienerin ein Töchterchen, dass sie Blancheflur nennt, und die Königin ihren Sohn Flore {{Fleck|20|589-598}}.
 
Beide Kinder wachsen gemeinsam auf und sind bald so miteinander vertraut, dass sie stets zusammen sein wollten, und mit fünf Jahren sind sie so lieblich und anmutig, dass es wohl nie schönere Kinder gegeben haben mag {{Fleck|21|621}}. Flore bittet nun seinen Vater, gemeinsam mit Blancheflur zur Schule gehen zu dürfen, was der König gerne gewährt {{Fleck|22|640-659}} und einen Pfaffen zum Lehrmeister bestellt. Die beiden lernen fleißig Lesen und Schreiben, wie niemals Kinder zuvor {{Fleck|23|680f}}, sie lesen von der reinen [[Minne]] und in einem schönen Baumgarten lauschen sie gemeinsam dem Vogelgesang, erfreuen sich an den Blumen und Bäumen, küssen einander zärtlich und keusch und gestehen einander ihre reine Liebe {{Fleck|26|757-806}}. Ihre Schreibtafeln sind von Elfenbein und ihre Griffel aus Gold und oft schreiben sie einander Liebesbriefe in lateinischer Sprache {{Fleck|28|828f}}.
 
Allmählich ist König Fenix besorgt, dass sein Sohn die Heirat mit Blancheflur begehren könnte, was gar nicht in seine Pläne passt, da er für diesen eine standesgemäßere Ehe vorgesehen hat. So beschließt er, Blancheflur töten zu lassen {{Fleck|29|860-879}}. Doch seine Gattin, die Königin, rät ihm ab, denn Flor würde dran zerbrechen {{Fleck|31|919f}}. Mit der Ausrede, dass der Lehrmeister erkrankt sei und die Kinder nicht mehr unterrichten könne, solle Flore alleine auf eine weiter entfernte Schule nach [[Wikipedia:Monzuno#Die_Ortschaft_Montorio|Montorio]] nahe [[Wikipedia:Bologna|Bologna]] geschickt werden, während Blancheflur daheim verweilen müsse, um ihre Mutter zu pflegen, die auf Befehl des Königs eine Krankheit vortäuschen solle {{Fleck|32|956f}}. In einem Traum, in dem zwei Tauben von einem Habicht getrennt werden und den ihr Flore ausdeutet, hat Blancheflur die bevorstehenden Trennung schon voausgeahnt {{Fleck|37|1088f}}. Betrübt nehmen die beiden voneinander Abschied und tauschen als Zeichen ihre Liebe ihre Schreibgriffel aus {{Fleck|44|321-324}}.
 
Man verspricht, Blancheflur bald nachzuschicken und Flore macht sich auf den Weg. Doch als sie nach zehn Tagen immer noch nicht kommt, ist Flore sehr niedergeschlagen und auch Blancheflur leidet schwer unter der Trennung. Wieder will der König das Mädchen töten lassen, denn sie habe Flore durch Zauberlist an sich gebunden {{Fleck|49|1446f}}. Wieder rät ihm seine Gattin ab und schlägt vor, Blancheflur stattdessen zum Hafen zu führen und dort zu verkaufen {{Fleck|51|1501f}}. Und so geschieht es auch; der König lässt zwei reiche Kaufleute kommen, die das Mädchen verkaufen sollen. Tatsächlich finden diese zwei andere Kaufleute, die ihnen Blancheflur abkaufen und dafür einen reichen Schatz geben, nämlich sechzig Pfund Gold, hundert Pfund Silber, hundert Tücher aus Zindal<ref>Zindal: ein kostbarer Seidenstoff, der auch als Unterfutter verwendet wurde [http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?mode=Vernetzung&hitlist=&patternlist=&lemid=BZ00565&sigle=BMZ Mittelhochdeutsches Wörterbuch von Benecke, Müller, Zarncke]</ref>, hundert rote Mäntel, hundert gute Pferde und dreihundert Vögel, Falken, Habichte und Sperber, und einen köstlichen goldenen Becher, den Vulcanus geschmiedet und darauf den Raub der Helena durch Paris abgebildet hatte.
 
Die beiden Kaufleute fahren nun mit Blancheflur nach Babylonien und stellen sie dort dem Amiral<ref>{{FrS|Amiral}} „Admiral“, weil die [[Wikipedia:Sarazenen|Sarazenen]] damals vielfach als Seefahrer bzw. Piraten wahrgenommen wurden.</ref> vor. Der findet solchen Gefallen an Blancheflur, dass er sie den Händlern abkauft und reichlich mit Gold aufwiegt {{Fleck|57|1679f}}. Dann lässt sie in den Jungfrauenturm bringen.
 
König Fenix ist indessen glücklich über die reichen Schätze, die er für Blancheflur bekommen hat. Doch die Königin ist besorgt um Flore, den der Verkauf des geliebten Mädchens wohl zu Tode betrüben würde. Da lässt König Felix auf ihren Rat {{Fleck|65|1935f}} ein prachtvolles Grabmal errichten, versehen mit den köstlichsten Edelsteinen, Saphire, Chalcedone, Amethysten, Topase, Türkise, Jaspisse, Chrysolithe, Diamanten und Hyazinthe, und in goldenen Lettern sollte darauf stehen: In diesem Grab liegt Blancheflur, die den Jüngling Flore mit treuem Herzen geliebt hat. Und alle am Hof mussten sagen, dass Blancheflur gestorben sein.
 
Als Flore heimkommt und vom vermeintlichen Tod seiner Geliebten erfährt {{Fleck|72|2158f}}, bricht er erschüttert ohnmächtig zusammen {{Fleck|73|2181}}. Das Leben ist ihm nun wertlos geworden und mit einem goldenen Griffel, den ihm Blancheflur gegeben hatte, will er sich an ihrem Grabmal erdolchen {{Fleck|79|2358f}}. Seine Mutter kann es gerade noch verhindern {{Fleck|80|2392f}} und eilt verzagt zu ihrem Gatten und meint, man müsse Flore die Wahrheit sagen {{Fleck|82|2445f}}. Zum Beweis, dass Blancheflur noch lebe, lässt sie das leere Grab öffnen {{Fleck|85|2548}}.
 
Flore ist überglücklich und schwört, dass er nicht rasten werde, bis er seine Geliebte gefunden habe {{Fleck|86|2576}}. Dem König bleibt nun nichts anderes übrig, als Flore mit reichen Kleidern, Knechten, Pferden und ausreichend Geld ziehen zu lassen {{Fleck|89|2652f}}. Die Mutter gibt ihm einen goldenen Ring mit einem wundertätigen Stein, der ihn stets beschützen werde solange er ihn am Finger trage {{Fleck|96|2884-2905}}.
 
Flore zieht nun zum Hafen und nimmt dort Herberge bei einem reichen Mann, doch ist er so niedergeschlagen, dass er kaum isst und trinkt. Da spricht ihn der Wirt auf Drängen der Wirtin an und erzählt ihm, dass eine schöne Jungfrau, die ihm an Gestalt, Sitten und Gebärden aufs Haar gleiche und Blancheflur genannt werde, von zwei Kaufleuten nach Babylon gebracht worden sei {{Fleck|103|3079}}. Überglücklich springt Flore auf, schenkt dem Wirt als Dank einen goldenen Becher {{Fleck|106|3194}} und macht sich mit seinem Gefolge per Schiff auf die Reise nach Babylon.
 
Nach vierzehn Nächten erreichen sie zunächst Bagdad {{Fleck|111|3319}}, das an dem bis dorthin schiffbaren [[Wikipedia:Tigris|Tigris]] liegt, wo Flore Herberge bei dem besten Wirt nimmt {{Fleck|112|3361}}. Wieder sitzt er abwesend und ohne Appetit an der Tafel. Da erzählt ihm der Wirt, dass unlängst zwei Kaufleute mit einem traurigen jungen Mädchen, welches ihm sehr ähnlich sehe, vorbeigekommen seien und sie in Babylon verkaufen wollten. Zum Dank schenkt ihm Flore einen roten Mantel.
 
Flore macht sich mit seinen Leuten rasch auf den Weg und bald kommen sie an ein Wasser. An einem Zypressenbaum hängt ein Horn, mit dem er den Fährmann herbeiruft, der sie übersetzt {{Fleck|117|3505f}}. Auch er berichtet von den zwei Kaufleuten und von Blancheflur, die Flore sehr ähnlich sehe {{Fleck|118|3554f}}. Das Mädchen sei an den Amiral von Babylon verkauft worden, der sie zur Frau nehmen wolle {{Fleck|119|3565f}}. Auf Flores Bitte verweist er ihn an einen guten Freund in der Stadt, der ihn beherbergen könne. Tagsüber sei er Zöllner an der Brücke, die über den großen Fluss (→ [[Wikipedia:Euphrat|Euphrat]]) vor der Stadt führe. Als Erkennungszeichen gibt er Flore einen Ring mit {{Fleck|120|3604f}}.
 
Am nächsten Tag zieht Flore zur Stadt und trifft an der Brücke tatsächlich auf den Zöllner Daries, der ihn sogleich als er den Ring erblickt zu seinem Turm verweist, der direkt neben dem Jungfrauenturm des Amirals steht {{Fleck|123|3690f}}. Flore ist froh und zugleich ängstlich besorgt, wie er seine Liebste wiedersehen könne {{Fleck|124|3724f}}. So findet Daries Flore abends in schweren Sorgen und will ihm helfen {{Fleck|129|3871}}, doch Flore wagt es nicht, den wahren Grund zu nennen. Die Wirtin meint, dass es wohl nur um Blancheflur gehen können, die ihm so ähnlich sehe, dass sie wohl seine Schwester sein müsse {{Fleck|133|4017f}}. Da gesteht Flore spontan, dass sie seine Liebe ist, korrigiert sich aber sofort. Nein, sie sei seine Schwester, der Wein habe ihn nur eben verwirrt. Doch Daries durchschaut ihn sofort und beruhigt ihn, er wolle ihm nicht schaden, sondern helfen {{Fleck|135|4056}}. Da wagt es Flore, ihn offen um Rat zu bitten.
 
Daries will ihm nichts vormachen. Siebzig Königreiche seien dem Amiral untertan. Um Blancheflur zu behalten, habe er sie in den Turm gebracht, der zweifellos so fest gebaut sei wie sonst keiner. Innen ist er prachtvoll ausgestaltet wie ein Paradies, mit Gold und Edelsteinen, mit siebzig Kemenaten für die schönsten Frauen und einer Kuppel aus purem Gold {{Fleck|138|4154f}}. Unten ist ein Brunnen, von dem das kühle Wasser durch einen hohlen, innen mit Silber ausgeschlagenen turmhohen Pfeiler kunstvoll zu den Kemenaten geleitet wird {{Fleck|140|4224f}}. Der Turm ist so bewehrt, dass ihn niemand einnehmen könne. Mitten drinnen hat der Amiral seinen großen Ratssaal und daneben seine prachtvolle Kammer, wo er mit seiner jeweiligen Freundin schläft. Zwei Mädchen habe er zu seinem Dienst erkoren, die ihm abends und morgens Wasser ans Bett bringen müssten {{Fleck|143|4322}} Eine Frau erwähle sich der Amiral immer nur für ein Jahr, dann lasse er sie töten, damit sie nach ihm niemals eines anderen Mannes Weib werden könne. In seinem paradiesischen Baumgarten versammelt er dann alle seine Fürsten und Mädchen {{Fleck|145|4370f}}. Der Garten wird von Euphrat umflossen und in seiner Mitte steht ein rotblühender Baum, in dessen Zweigen die Nachtigall singt {{Fleck|147|4442f}}. Der Baum müsse wohl verzaubert sein, meint Daries, denn von ihm müsse ein rotes Blatt auf jenes Mädchen falllen, das er von Herzen liebe. In drei Wochen sollen sich die Fürsten wieder versammeln und der Amiral habe Blancheflur so lieb gewonnen {{Fleck|149|4516f}}, dass sie und ihre Freundin Claris im täglich morgens das Wasser ans Bett bringen müssten {{Fleck|150|4529f}}. Blancheflur sei nun in großen Ängsten, dass sie gewählt würde.
 
Um in den Turm zu gelangen, rät ihm der Wirt, zunächst die Aufmerksamkeit des Torwächters zu erregen. Er solle dazu seine besten Kleider anlegen und so tun als wolle er den Turm vermessen, um einen gleichen in seinem eigenen Land zu erbauen {{Fleck|153|4620f}}. Der Wächter würde zuerst erzürnt sein, doch ihn dann als edlen Mann erkennen und zu einer Schachpartie überreden {{Fleck|154|4660}}. Um zu gewinnen solle er den Wächter geschickt mit dem prächtigen Ring seiner Mutter ablenken. Dann solle dem Wächter aber nicht nur dessen verlorenen Einsatz, sondern dazu auch noch seinen eigenen Einsatz überlassen. Dann werde ihn der Wächter für den nächsten Tag zu einer neuerlichen Partie einladen. Da solle Flore genauso verfahren, aber mit verdoppeltem Einsatz und ebenso am dritten Tag, wieder mit doppeltem Einsatz. Zum Dank werde ihn der Turmwächter zu einem Festmahl einladen {{Fleck|159|4835f}}. Da solle Flore ganz beiläufig den wertvollen goldenen Becher mitbringen. Um den werde der Wächter auch spielen wollen, doch Flore solle ihm den Becher schenken. Der werde dafür so dankbar sein, dass er ihm jede nur denkbare Hilfe zusagen werde.
 
So geschieht es auch. Flore gewinnt an allen drei Tagen und schenkt dem Wächter den goldenen Becher und bittet ihn dann, ihn in den Turm zu Blancheflur zu bringen {{Fleck|176|5351f}}. Zwar reut den Wächter nun seine voreilige Zusage {{Fleck|177|5377f}}, doch will er tun, was Flore verlangt {{Fleck|178|5411}}. Ganz in Rot gekleidet {{Fleck|179|5440f}} wird Flore drei Tage später in einen Korb gelegt und vollständig mit Rosen bedeckt {{Fleck|182|5524}}. Dann tragen zwei Gehilfen den Korb in den Turm, bringen ihn aber versehentlich nicht zu Blancheflur {{Fleck|183|5571f}}, sondern zu dessen Freundin Claris {{Fleck|185|5630}}. Da beider Kammern miteinander durch eine Tür verbunden sind, können Flore und Blanche dennoch überglücklich wieder zusammenkommen {{Fleck|192|5832f}}. Lange sprechen sie sich aus. Claris achtet indessen darauf, dass sie niemand entdeckt {{Fleck|201|6130f}}.
 
Doch das Glück währt nicht lange. Drei oder vier Tage später verschläft Blancheflur. Zwar wird sie von Claris geweckt und verspricht nachzukommen, doch schläft sie wieder ein {{Fleck|203|6179f}}. Claris muss allein zum Amiral. Mit der Ausrede, dass Blancheflur für ihn gebetet habe und dann in tiefen Schlaf gefallen sei, lässt er sich beschwichtigen. Doch als sich das am nächsten Tag wiederholt, wird der Amiral misstrauisch. Er schickt einen Kämmerer, um nachzusehen {{Fleck|207|6310f}}, und der findet Blancheflur und Flore so lieblich und tief schlafend eng beieinanderliegen, Wange zu Wange und Mund zu Mund gekehrt, dass er sie nicht wecken will. Auch kann er nicht recht erkennen, ob der völlig bartlose Flore Mann oder Weib ist {{Fleck|208|6338f}}. Schnell berichtet der Kämmerer alles seinem Herrn. Blass vor Zorn verlangt dieser nach seinem Schwert {{Fleck|209|6372f}}, stürmt in Blancheflurs Kammer und lässt die beiden wecken und in Fesseln in seinen großen Ratssaal führen {{Fleck|210|6407f}}. Dort stellt er Flore zur Rede und will ihn sogleich mit dem Schwert töten, doch dieser bittet darum, zuerst den Rat, der schon zur bevorstehenden Hochzeit angereist sei, zur Rechtsprechung zusammenzurufen {{Fleck|211|6429f}}.
 
Der Amiral willigt ein und versammelt alle Großen seines Reichs und fordert sie auf das Todesurteil auszusprechen, das einzig ihm Genugtuung geben könne {{Fleck|215|6559f}}. Doch einer der von ihm eingesetzten Könige meint, man solle die beiden Kinder zuerst anhören {{Fleck|216|6601f}}. Doch Fürst Galfier aus Nubien widerspricht {{Fleck|217|6628}}. Die Schuld sei zweifelsfrei bewiesen, darum solle man sie sogleich auf dem Scheiterhaufen verbrennen und die anderen Fürsten stimmen ihm zu {{Fleck|218|6652f}}. Doch Flore beschwört, dass er allein alle Schuld trage, darum sei es nur gerecht, Blancheflur zu verschonen {{Fleck|219|6670f}}. Dann gibt er Blancheflur den Ring, den er von seiner Mutter erhalten hatte {{Fleck|220|6713f}}. Desgleichen will Blancheflur für Flore sterben, denn sie allein trage die Schuld, dass er hierher gekommen sei und darum wolle sie ihm auch den Ring wieder zurückgeben {{Fleck|221|6730f}}. So geht es einige Male in immer heftigerem Streit hin und her. Zuletzt wirft sie Flore den Ring zornig vor die Füße. Ein Herzog, der wohl schon von der Zaubermacht des edlen Steins des Ringes gehört hatte, hebt ihn auf {{Fleck|222|6780f}}.
 
Mittlerweile sind sie in den Hof gelangt, wo die versammelte Menge die beiden wunderschönen edlen Kinder bestaunt und niemand mehr ihnen etwas Böses will, was auch immer sie getan hätten {{Fleck|223|6805f}}. Ausführlich wird nun beider Schönheit und Anmut beschrieben. Zuletz flehen alle den Amiral an, er möge den Kindern verzeihen {{Fleck|228|6973f}}. Doch noch ist das Herz des Amirals verhärtet wie ein Stein und will beide auf einem Scheiterhaufen vor der Stadt verbrennen lassen. Da tritt der Herzog, der den Ring aufgehoben hatte, vor den Amiral hin und spricht ganz offen aus, wie sehr dessen ungerechter Zorn allen missfalle {{Fleck|229|7008}}. Niemals noch habe man von einer so großen Liebe und einer so gleichen treuen Gesinnung gehört, wie von den beiden. Und er spricht auch von der Zauberkraft des Ringes, der niemand sterben lasse, der ihn am Finger trage und wie die beiden darum gestritten hätten, dass der jeweils andere in annehmen müsse, um sein Leben zu bewahren {{Fleck|230|7028f}}.
 
Da lässt der Amiral die beiden zu sich rufen und fordert sie auf, zu erzählen, wer sie seien und woher sie kämen {{Fleck|231|7043f}}. Unerschrocken und ohne Scham beginnt Flore von seiner Liebe zu Blancheflur zu berichten. Der Amiral ist darüber so erzürnt, dass er ihn sogleich eigenhändig mit dem Schwert töten will {{Fleck|234|7151f}}. Doch dass kann Blanchflur nicht zulassen, sie wolle zuerst sterben, was wiederum Flore nicht geschehen lassen kann. Wieder geraten die beiden bald eine Stunde lang in heftigen Streit {{Fleck|235|7190f}}. Der ganze Hof ist davon so zu Tränen gerührt, dass alle den Amiral um Gnade anflehen. Und auch dieser ist zuletzt so ergriffen, dass er das Schwert sinken lässt {{Fleck|237|7228f}}. Auch der Herzog, der den Ring aufgehoben hatte, bittet um Gnade. Und damit auch seinem Herrn Gerechtigkeit widerfahre, solle Flore nun verraten, wer im geholfen habe in den Turm zu gelangen {{Fleck|238|7272}}. Doch Flore fordert, dass auch auch seinem Helfer verziehen werde, dem er die Treue nicht brechen, sondern lieber sterben wolle {{Fleck|239|7310f}}. Der Amiral gesteht auch dieses zu {{Fleck|240|7333}}.
 
Von allen wird nun Flore gebeten, ganz von Anfang an von dem Schicksal zu erzählen, das ihn mit Blancheflur verbindet, was Flore auch gerne tut {{Fleck|242|7396f}}. Zuletzt fleht er den Amiral an, dass er ihm die Liebe seines Lebens zurückgeben möge {{Fleck|244|7454}}. Der Amiral gewährt auch dies und schlägt Flore nach der Sitte des Landes zum Ritter {{Fleck|245|7474}}. Die beiden werden vermählt und der Amiral nimmt feierlich Blancheflurs Freundin Claris zur endgültig letzten und einzigen Frau fürs ganze Leben {{Fleck|247|7542}}.
 
Bald danach überbringen zwei fremde Ritter die Botschaft, dass Flores Vater Fenix vor einem halben Jahr gestorben sei. Das Volk sei in großer Not und Flore solle nun nach dem Ratschluss der Fürsten die Herrschaft übernehmen {{Fleck|251|7660f}}. So kehren die beiden Liebenden heim. Flore wird Christ und mit ihm sein ganzes Volk {{Fleck|256|7825f}}. Nach 35 glücklich verlebten Ehejahren wird ihre Tochter Berta geboren, die Mutter Karls des Großen {{Fleck|257|7856f}}. Nach einem langen gemeinsamen Leben sterben beide hundertjährig am selben Tag zur selben Stunde {{Fleck|258|7890f}}.
 
<small>Die in eckigen Klammern angegebenen Verszahlen beziehen sich auf die von [[Wikipedia:Emil Friedrich Julius Sommer|Emil Friedrich Julius Sommer]] herausgegebene Versfassung [http://www.odysseetheater.org/jump.php?url=http://www.odysseetheater.org/ftp/bibliothek/Sagen/Konrad_Fleck_Flore_und_Blanscheflur_Emil_Sommer_1846_Verse.pdf#page=1&view=Fit]</small>
 
== Geistiger Hintergrund ==
 
[[Rudolf Steiner]] gibt uns Auskunft über den geistigen Hintergrund der Sage von ''Flor und Blancheflor'' und den Zusammenhang mit [[Christian Rosenkreutz]], dem Begründer des [[Rosenkreuzer-Schulungsweg]]s:
 
{{GZ|In den Eingeweihtenkreisen sagte man: Dieselbe Seele, die in Flos oder Flor war und die besungen wird in dem Liede, ist wiederverkörpert erschienen im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert zur Begründung einer neuen Mysterienschule, welche in einer neuen, der Neuzeit entsprechenden Weise das Christus-Geheimnis zu pflegen hat, in dem Begründer des Rosenkreuzertums.|57|422f}}
 
{{GZ|Es ist eine verhältnismäßig wenig beachtete Sage, die 1230 von Konrad Fleck in dichterische Form gebracht wurde. Sie gehört zu den Sagen und Mythen der Provence, und schließt sich an an die Einweihung der Gralsritter oder Templeisen. Sie redet von einem alten Paar «Flor und Blancheflor». Das bedeutet ungefähr in heutiger Sprache: die Blume mit roten Blättern oder die Rose, und die Blume mit weißen Blättern oder die Lilie. Früher wurde viel mit dieser Sage verbunden. Nur skizzenhaft zusammengedrängt kann das heute gesagt werden. Man sagte sich: Flor und Blancheflor sind Seelen, in Menschen verleiblicht, die schon einmal gelebt haben. Die Sage bringt sie zusammen mit den Großeltern Karls des Großen. In Karl dem Großen aber sahen die, welche mit den Sagen sich intimer beschäftigten, die Gestalt, die in gewisser Weise in Beziehung gebracht hat das innere esoterische mit dem exoterischen Christentum. Das ist in der Kaiserkrönung ausgedrückt. Geht man zu seinen Großeltern zurück, zu Flor und Blancheflor, so lebten in ihnen Rose und Lilie, die rein bewahren sollten das esoterische Christentum, wie es zurückgeht auf Dionysios den Areopagiten. Nun sah man in der Rose, in Flor oder Flos das Symbolum für die menschliche Seele, die den Persönlichkeits-, den Ich-Impuls in sich aufgenommen hat, die das Geistige aus ihrer Individualität wirken läßt, die bis in das rote Blut hinein den Ich-Impuls gebracht hat. In der Lilie aber sah man das Symbolum der Seele, die nur dadurch geistig bleiben kann, daß das Ich außerhalb ihrer bleibt, nur bis an die Grenze herankommt. So sind Rose und Lilie zwei Gegensätze. Rose hat das Selbstbewußtsein ganz in sich, Lilie ganz außer sich. Aber die Vereinigung der Seele, die innerhalb ist, und der Seele, die außen als Weltengeist die Welt belebt, ist dagewesen. Flor und Blancheflor drückt aus das Finden der Weltenseele, des Welten-Ich durch die Menschenseele, das Menschen-Ich.
 
Das, was später durch die Sage vom Heiligen Gral geschah, ist auch hier durch diese Sage ausgedrückt. Es ist kein äußerliches Paar. In der Lilie ist ausgedrückt die Seele, die ihre höhere Ichheit findet. In der Vereinigung von Lilienseele und Rosenseele wurde das gesehen, was Verbindung finden kann mit dem Mysterium von Golgatha. Daher sagte man sich: Gegenüber der Strömung europäischer Einweihung, die herbeigeführt wird durch Karl den Großen, und durch die zusammengeschmiedet wird exoterisches und esoterisches Christentum, soll lebendig gehalten, soll rein fortgesetzt werden das rein esoterische Christentum. In den Eingeweihtenkreisen sagte man: Dieselbe Seele, die in Flos oder Flor war und die besungen wird in dem Liede, ist wiederverkörpert erschienen im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert zur Begründung einer neuen Mysterienschule, welche in einer neuen, der Neuzeit entsprechenden Weise das Christus-Geheimnis zu pflegen hat, in dem Begründer des Rosenkreuzertums. Da tritt uns das Geheimnis von der Rose schon in einer verhältnismäßig alten Zeit entgegen. Die Sage wird sogar schon versetzt in die Zeit vor Karl dem Großen. Und so flüchtete sich das esoterische Christentum in das Rosenkreuzertum. Das Rosenkreuzertum hat seit dem dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert die Eingeweihten herangebildet, welche die Nachfolger der alten europäischen Mysterien und die Nachfolger der Schule vom Heiligen Gral sind.|57|437ff}}
 
Nach [[Rudolf Steiner]] wurde die Legende [[Inspiration|inspiriert]] von dem hohen [[Eingeweihter|Eingeweihten]] [[Titurel]], dem Stammvater der [[Gralshüter]].
 
{{GZ|Und der Hüter des Grals, König Titurel, war die Wiederverkörperung
des hohen Eingeweihten, der eine bestimmte
Periode in der Geschichte vorbereiten sollte. Es gibt eine altfranzösische
Legende, die Legende von Flore und Blanscheflur, die
von Titurel inspiriert wurden und die im Laufe der Inkarnationen
eine Persönlichkeit hervorbringen und inspirieren mußten,
die in der Weltgeschichte und in der Entwicklung eine große
Rolle spielen sollte. Diese Persönlichkeit war [[Karl der Große]].|266a|503}}


== Literatur ==
== Literatur ==
#Christine Putzo: ''Konrad Fleck: Flore und Blanscheflur: Text und Untersuchungen'', De Gruyter 2015, ISBN 978-3110349597
* Reinhard Romberg: ''Intellekt''. In: ''Historisches Wörterbuch der Philosophie'', Band 4, Schwabe, Basel 1976, Sp. 435–438
#Erich Köhler: ''Vorlesungen zur Geschichte der Französischen Literatur'', Herausgegeben von Henning Krauß und Dietmar Rieger Band 1,1 [http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/2793/pdf/Mittelalter_1.pdf online]
* Mildred Galland-Szymkowiak: ''Intellekt''. In: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): ''Enzyklopädie Philosophie'', Band 2, Felix Meiner, Hamburg 2010, ISBN 978-3-7873-1999-2, S. 1115–1118
#Rudolf Steiner: ''Wo und wie findet man den Geist?'', [[GA 57]] (1984)
* Rudolf Steiner: ''Alte und neue Einweihungsmethoden. Drama und Dichtung im Bewußtseins-Umschwung der Neuzeit'', [[GA 210]] (2001), ISBN 3-7274-2102-9 {{Vorträge|210}}
#Rudolf Steiner: ''Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band I: 1904 – 1909'', [[GA 266/1]] (1995), ISBN 3-7274-2661-6 {{Schule|266a}}


{{GA}}
{{GA}}


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Wikisource|Le Conte de Floire et Blanchefleur|lang=fr}}
{{Wiktionary}}
* [http://www.woerterbuchnetz.de/BMZ Mittelhochdeutsches Wörterbuch]. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. 3 Bde. Leipzig 1854-1866.]
{{Wikiquote}}
* [http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/Sommer1846 Konrad Fleck: ''Flore und Blanscheflur, eine Erzählung von Konrad Fleck'', herausgegeben von Emil Sommer, (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit), 1846] - Faksimile
* [http://archive.org/details/floreundblansche00flec Konrad Fleck: ''Flore und Blanscheflur, eine Erzählung von Konrad Fleck'', herausgegeben von Emil Sommer, 1846] auf [http://archive.org archive.org]
* [http://digi.ub.uni-heidelberg.de/de/bpd/glanzlichter/oberdeutsche/lauber/cpg362.html Cod. Pal. germ. 362: Konrad Fleck: „Flore und Blanscheflur“] - [http://digi.ub.uni-heidelberg.de/bpd/ Bibliotheca Palatina digital]
* Ulrich Rehm: ''[http://www.rdklabor.de/w/?oldid=89198 Floire und Blancheflor]''. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. IX (2001), Sp. 1293–1306; online in: [http://www.rdklabor.de/w/?oldid=89198 RDK Labor]
* [http://www.anthrowiki.info/jump.php?url=http://www.anthrowiki.info/ftp/bibliothek/Sagen/FlosBlankflos.pdf Flos und Blankflos] - in der Fassung von ''Karl Simrock''.
* [http://de.geocities.com/christianrosenkreuz/ChristianRosenkreutzUndRose.pdf Christian Rosenkreutz und die Rose] - eine Betrachtung von ''Hella Krause-Zimmer'' (aus „Das Goetheanum“, vom 31.1.1993).
* [http://www.fh-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost13/CarminaBurana/bur_car0.html Carmina Burana, ca. 1230] - in der ''Bibliotheka Augustana'' ([[Wikipedia:Latein|lat.]])


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
{{Normdaten|TYP=k|GND=4161944-4}}


<references />
[[Kategorie:Scholastik]]
[[Kategorie:Erkenntnistheorie]]
[[Kategorie:Verstand]]
[[Kategorie:Das Böse]]
[[Kategorie:Denken]]


[[Kategorie:Sage]] [[Kategorie:Rosenkreuzertum]]
{{Wikipedia}}

Version vom 2. Dezember 2018, 14:09 Uhr

Der Intellekt (von lat. intellectus ‚Erkenntnisvermögen‘, ‚Einsicht‘, ‚Verstand‘) ist ein philosophischer Begriff. Er bezeichnet die Fähigkeit, etwas geistig zu erfassen, und die Instanz im Menschen, die für das Erkennen und Denken zuständig ist. „Intellekt“ wird oft als Synonym für „Verstand“ verwendet, kann aber auch die Bedeutungen „Vernunft“, „Bewusstsein“ oder „Geist“ haben.

Begriffsgeschichte

In der Antike diente in der römischen Philosophie das Substantiv intellectus, das vom Verb intellegere („erkennen“, „verstehen“) abgeleitet ist, zur Übersetzung des griechischen Begriffs Nous. Der Nous spielte in der griechischen Philosophie, insbesondere bei Platon und Aristoteles und in den von ihnen gegründeten Philosophenschulen (Platonische Akademie, Peripatos), eine wichtige Rolle. Cicero nannte den Nous nicht intellectus, sondern bediente sich anderer Ausdrücke wie animus, mens, ratio und ingenium, aber bei Seneca und anderen Autoren der römischen Kaiserzeit war der Ausdruck intellectus geläufig. In der Spätantike verwendete Boethius intellectus als philosophischen Fachausdruck. In den Werken des Kirchenvaters Augustinus erscheint intellectus in der Bedeutung „vernünftige Einsicht“ und meist synonym mit ratio („Überlegung“, „Denkvermögen“, „Vernunft“, „Einsicht“). Der Sprachgebrauch von Augustinus und Boethius war für die Folgezeit wegweisend, da diese Autoren im Mittelalter Autoritäten hohen Ranges waren.

In der scholastischen Philosophie und Theologie des Mittelalters war intellectus ein zentraler Begriff, der vor allem von der Nous-Vorstellung des Aristoteles geprägt war. Aristoteles folgend, unterschieden die mittelalterlichen Gelehrten zwischen dem intellectus agens, dem „tätigen“ oder „bewirkenden“ Intellekt und dem intellectus possibilis, dem „möglichen Intellekt“, den Aristoteles als „erleidenden Nous“ (nous pathētikós) bezeichnet hatte, weil er passiv ist und nur Einwirkungen erfahren kann. Einer falschen mittelalterlichen Etymologie zufolge, die von Autoren wie Thomas von Aquin und Meister Eckhart verbreitet wurde, sind intellegere und intellectus aus intus legere („inwendig lesen“) abgeleitet. Thomas versteht darunter das Erfassen des den Sinnen nicht zugänglichen „Inneren“ eines Dinges.[1] Für Meister Eckhart bedeutet intellectus ein inneres Erfassen von etwas in doppeltem Sinne: inwendig im Intellekt und inwendig in den Prinzipien des Erkenntnisobjekts.[2]

Ins Deutsche wurde das Wort aus dem Lateinischen als Fremdwort übernommen und bürgerte sich ab Anfang des 19. Jahrhunderts ein. Herder verwendete 1797 noch die lateinische Form (Der reine Intellectus), bei Goethe ist das Wort schon eingedeutscht (Intellect). Das zugehörige Adjektiv intellektuell („geistig“) war schon im späten 18. Jahrhundert gebräuchlich; es war aus dem Französischen übernommen worden (intellectuel).[3]

Das Gehirn als Werkzeug des Intellekts

„Nun, worauf beruht nun dieses Intellektualistische, das heute ganz besonders dem Menschen eigen ist? Ich möchte Ihnen das wiederum durch eine Art schematischer Zeichnung klarmachen [siehe S. 78, Tafel 6]. Ich sagte gestern: Wenn wir das menschliche Gehirn nehmen (weiß), so können wir uns vorstellen, daß durch dasjenige, was als der Vergessenheitstrunk aufgefaßt worden ist, eben das Geistig-Seelische, das sonst vor dem Gehirn Halt macht, das Gehirn durchdrang (rot), und daß gewissermaßen durch den alten Eingeweihten von innen herauf aufstieg das Geistig-Seelische durch das präparierte Gehirn. - Der Intellektualismus von heute beruht ja darauf, daß gegenüber dem älteren Menschen, sagen wir vor dem Mysterium von Golgatha, das Seelisch-Geistige beim heutigen Menschen innerlich stärker, intensiver geworden ist. Der ältere Mensch hat überhaupt nicht so viel Intellektualismus gehabt. Sein Seelisch-Geistiges prägte sich nicht zu solchen scharfen Gedankenlinien aus, wie das beim heutigen Menschen der Fall ist. Denn wenn man Intellektualist ist, so denkt man ja alles in geraden Linien. So dachte der ältere Mensch nicht. Der ältere Mensch dachte bildhafter, traumhafter, weicher, möchte ich sagen. Beim heutigen Menschen sind die Gedanken eckig, sind mit scharfen Konturen begabt. Aber dieser heutige Mensch könnte, trotzdem sein Seelisch-Geistiges stärker geworden ist als es in älteren Zeiten war, dennoch nicht vom Seelisch-Geistigen aus diese Gedanken fassen.

Verstehen wir uns recht, meine lieben Freunde. Der heutige Mensch hat schon gegenüber dem älteren ein gut Stück seelischgeistiger Stärke. Er träumt nicht mehr so, wie der ältere Mensch geträumt hat, er strafft sich in seinen Gedanken. Dennoch würden diese Gedanken abgedämpft bleiben, wenn nur das Seelisch-Geistige beim modernen Menschen wirken müßte. Eigentlich kann jetzt der Mensch noch immer nicht von seiner Seele aus denken. Was dem Menschen die Kraft des Denkens abnimmt, das ist der Leib. Wenn wir zum Beispiel eine Sinneswahrnehmung haben, so haben wir sie allerdings mit dem Seelisch-Geistigen. Wenn wir sie dann aber denken wollen, diese Sinneswahrnehmung, dann muß uns der Leib helfen. Der Leib ist eigentlich der Denker. So daß also heute die Sache so ist: Die Sinneswahrnehmung wirkt auf den Menschen, das Seelisch-Geistige (rot oben) durchsetzt die Sinneswahrnehmung, aber der Leib wirkt wie ein Spiegel und wirft fortwährend die Gedankenstrahlen zurück (grüne Pfeile). Dadurch werden sie bewußt. Also der Leib ist das, was dem Menschen die Mühe des Denkens abnimmt, nicht aber die Mühe der Sinneswahrnehmungen. Und wenn nach dieser Gedankenseite hin der Mensch heute nach einer Einweihung streben will, dann muß er durch seine Übungen, die wir ja kennen aus «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und aus dem zweiten Teil der «Geheimwissenschaft im Umriß», das Seelisch- Geistige noch mehr verstärken; dann bringt er es allmählich dahin, dieses Seelisch-Geistige in sich so selbständig zu machen, daß es den Leib nicht mehr braucht.

Zeichnung aus GA 210, S. 78
Zeichnung aus GA 210, S. 78

Also verstehen wir uns richtig: Wenn heute im gewöhnlichen Leben gedacht wird, dann ist allerdings das Seelisch-Geistige tätig. Vor allen Dingen nimmt es die Sinneswahrnehmungen auf, aber es könnte nicht diejenigen Gedanken entwickeln, die heute entwickelt werden. Daher kommt der Leib und nimmt dem Menschen die Mühe des Denkens ab. Im gewöhnlichen Leben denkt man durchaus mit dem Leib, der Leib ist der Gedankenapparat. Wenn man die Übungen macht, von denen in den genannten Büchern die Rede ist, dann wird die Seele durch diese Übungen so stark, daß sie nicht mehr den Leib zum Denken braucht, daß sie selbst denkt. Und das ist im Grunde die erste Etappe der Entwickelung zum höheren Erkennen hin, daß das Seelisch-Geistige anfängt, den Leib für die höhere Erkenntnis als das eigentliche Denkorgan abzusetzen. Es muß nur immer wieder betont werden, daß der Mensch, indem er zur höheren Erkenntnis, also zur Imagination aufrückt, immer neben sich mit seinem gesunden Menschenverstand bleibt als einer, der sich selber kontrolliert, sich selber kritisiert. Also man bleibt daneben derselbe, der man sonst auch im gewöhnlichen Leben ist. Es entwickelt sich nur der zweite Mensch aus dem ersten Menschen heraus, der dann fähig ist, nicht mehr mit Hilfe des Leibes, sondern ohne die Hilfe des Leibes zu denken.

Also das, was sich als Geistig-Seelisches dem alten Mysterienschüler offenbarte, das kam aus dem Leibe heraus, drang durch das Gehirn durch und im Herausquillen gewissermaßen nahm es der Mensch wahr. Das aber, was der Mensch heute wahrnimmt als ein Eingeweihter, das ist verstärktes Denken, das nun ganz und gar nicht das Gehirn in Anspruch nimmt. Während also der alte Mensch das, was er als Geistig-Seelisches wahrnahm, aus seiner Organisation herauszog, nimmt der Mensch heute das Seelisch-Geistige nach der Gedankenseite hin so wahr, daß es in ihn hereindringt, wie Sinneswahrnehmungen in ihn hereindringen. Der Mensch, indem er diese erste Stufe der höheren Erkenntnis erklimmt, muß sich daran gewöhnen, zu sagen: Ich beginne, mich selber meinem ewigen Seelisch-Geistigen nach wahrzunehmen, denn das dringt durch mein Auge, das dringt überhaupt von außen in mich herein.

Ich habe bei einem öffentlichen Vortrag im Basler Bernoullianum gesagt: Die Geisteswissenschaft in anthroposophischem Sinne muß das Sinneswahrnehmen als ihr Ideal betrachten. Man muß vom Sinneswahrnehmen weiterschreiten. Man darf nicht zurück zum traumhaften Erkennen gehen, sondern man muß zu einem klareren Erkennen schreiten, als es dieses Wahrnehmen ist. Daher muß unser eigenes Wesen an uns herankommen, wie die Farben und wie die Töne an die Sinne herankommen.“ (Lit.:GA 210, S. 76ff)

Siehe auch

Literatur

  • Reinhard Romberg: Intellekt. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 4, Schwabe, Basel 1976, Sp. 435–438
  • Mildred Galland-Szymkowiak: Intellekt. In: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie, Band 2, Felix Meiner, Hamburg 2010, ISBN 978-3-7873-1999-2, S. 1115–1118
  • Rudolf Steiner: Alte und neue Einweihungsmethoden. Drama und Dichtung im Bewußtseins-Umschwung der Neuzeit, GA 210 (2001), ISBN 3-7274-2102-9 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

 Wiktionary: Intellekt – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wikiquote: Intellekt – Zitate

Einzelnachweise

  1. Albert Zimmermann: Glaube und Wissen. In: Andreas Speer (Hrsg.): Thomas von Aquin: Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin 2005, S. 271–297, hier: 289.
  2. Udo Kern: „Gottes Sein ist mein Leben“, Berlin 2003, S. 47.
  3. Hans Schulz: Deutsches Fremdwörterbuch, Band 1, Straßburg 1913, S. 300.


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