Niklas Luhmann und Demokratische Bank: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Niklas Luhmann''' (* 8. Dezember 1927 in Lüneburg; † 6. November 1998 in Oerlinghausen) war ein deutscher [[wikipedia:Soziologe|Soziologe]] und [[wikipedia:Gesellschaftstheorie|Gesellschaftstheoretiker]]. Als einer der Begründer der [[wikipedia:Soziologische Systemtheorie|soziologischen Systemtheorie]] zählt Luhmann zu den herausragenden Klassikern der [[wikipedia:Sozialwissenschaften|Sozialwissenschaften]] im 20. Jahrhundert.
Ausgehend von einem [[Attac]]-Modell bereitet eine wachsende Zahl engagierter Personen aus der Zivilgesellschaft in [[Österreich]] die Gründung der '''„Demokratische Bank“''' vor. Geld soll als öffentliches Gut neu gedacht werden und der Wirtschaft und der Gesellschaft dienen. Die Bank wird nur Kernaufgaben wahrnehmen und im Eigentum der Bevölkerung stehen.


== Wissenschaftlicher Werdegang ==
== Eine Bank fürs Gemeinwohl ==
Luhmann studierte von 1946 bis 1949 Rechtswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, mit einem Schwerpunkt auf  römischem Recht. Es folgte bis 1953 eine Referendarausbildung in Lüneburg. 1954 bis 1962 war er Verwaltungsbeamter in Lüneburg, 1954 bis 1955 am Oberverwaltungsgericht Lüneburg Assistent des Präsidenten. In dieser Zeit begann er auch mit dem Aufbau seiner [[wikipedia:Zettelkasten|Zettelkästen]].
1960/1961 erhielt Luhmann ein Fortbildungs-Stipendium für die Harvard-Universität, das er nach seiner Beurlaubung wahrnehmen konnte. Dort kam er in Kontakt mit [[Talcott Parsons]] und dessen [[wikipedia:Strukturfunktionalismus|strukturfunktionaler]] [[wikipedia:Systemtheorie#Systemtheorie bei Parsons|Systemtheorie]]. Nach seiner Tätigkeit als Referent an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer von 1962 bis 1965 und als Abteilungsleiter an der Sozialforschungsstelle an der Universität Münster in Dortmund von 1965 bis 1968 (1965/66 daneben ein Semester Studium der Soziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster (Westfalen)) promovierte er dort 1966 zum Dr.sc.pol. (Doktor der Sozialwissenschaften) mit dem bereits 1964 erschienenen Buch ''Funktionen und Folgen formaler Organisation''. Fünf Monate später habilitierte] er sich bei [[wikipedia:Dieter Claessens|Dieter Claessens]] und [[wikipedia:Helmut Schelsky|Helmut Schelsky]] mit ''Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung. Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung''. Mit seiner Berufung 1968 wurde Luhmann der erste Professor der Universität Bielefeld. Dort trug er zum Aufbau der ersten soziologischen Fakultät im deutschsprachigen Raum bei, lehrte und forschte bis zu seiner Emeritierung 1993.<ref>{{Literatur|Autor=Niklas Luhmann |Titel=„Was ist der Fall?” und „Was steckt dahinter?” Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie |Ort=Bielefeld |Jahr=1993 |Seiten=3}}</ref>


== Die funktional-strukturelle Systemtheorie Luhmanns bis 1975 ==
Im Kern der Fehlentwicklung, die zur Krise geführt hat, steht die schleichende Umwandlung des Finanzsystems von einem dem Gemeinwohl dienenden (Infrastruktur-)Sektor hin zu einem Markt mit gewinnorientierten Unternehmen. Banken haben ihre ursprüngliche Funktion – die kostengünstige Umwandlung von Spar- in Kreditgeld sowie die serviceorientierte Abwicklung des Zahlungsverkehrs – verlassen und zunehmend neue Aufgaben angenommen: Vermögensverwaltung, Investmentbanking, Devisenspekulation, Kredithandel, Derivate-Entwicklung. Die Wirtschaft wurde durch diese „Innovationen“ nicht effizienter, sondern ungerechter und instabiler: Wenn Geld vom Mittel zur Ware wird, sind Arbeitsplätze, Wirtschaft und Wohlstand in Gefahr.  
Ein wesentliches Kennzeichen der luhmannschen Systemtheorie dieser Zeit (der Grundbegriff ist hier für ihn noch die soziale Handlung, im Gegensatz zu seiner späteren Systemtheorie, wo Systeme aus Kommunikationen bestehen) ist eine Umstellung im funktionalistischen Paradigma. [[Parsons]] Systemtheorie war ein Strukturfunktionalismus, Strukturen oder Systeme nehmen Funktionen für ein übergeordenetes System wahr, dienen der Strukturerhaltung. Luhmann kritisiert diese Sichtweise und entwickelt seine funktional-strukturelle Systemtheorie, in der Funktionen und deren Analyse eine andere Bedeutung bekommen als noch bei Parsons.


Neben dem Beitrag zur Systemerhaltung bezieht sich Funktionalität nun zusätzlich auf umweltbedingte Problemlösungsanforderungen in spezifischen Situationen. Die funktionale Analyse verlagert den Bezugspunkt der theoretischen Orientierung von den Strukturen auf die Funktionen. Funktionen sind nicht als "zu bewirkende Wirkung", sondern als "regulatives Sinnschema" zu fassen, das zu Zwecken der Bewältigung von Umwelteinwirkungen gebildet wird. Funktionen sind unter dem funktional-strukturellen Aspekt im wesentlichen Anpassungsleistungen an die Umwelt.<ref>Vgl. Gabor Kiss: Einführung in die soziologischen Theorien II, 3. Aufl. 1977, S. 321ff.</ref>
Deshalb bedarf es einer „radikalen“ (wurzeltiefen) Umkehr: Geld und Kredit zählen zur Grundinfrastruktur der Wirtschaft und sollten als [[öffentliches Gut]] definiert und unter demokratische Kontrolle gebracht werden. Die „Demokratische Bank“ würde folgende, in der Verfassung festgeschriebene Kernaufgaben erfüllen:


Damit ist eine Wandlung des Systembegriffs verbunden, weg von der Vorstellung eines Systems als ein Ganzes mit seinen Teilen, hin zu der Vorstellung eines Systems in seiner Umwelt.
*Kostenloses Girokonto;
*Sicheres Sparkonto mit staatlicher Einlagengarantie;
*Bester Service in flächendeckendem Filialnetz;
*Kostengünstige Kredite für Unternehmen und Haushalte;
*Kostengünstige Kredite an den Staat.


==== Handlung als Reduktion von Komplexität ====
Die „Demokratische Bank“ ist die Ad-hoc-Antwort von [http://www.attac.at/ Attac Österreich] auf die Forderung von Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann nach „Bad Banks“ im Dezember 2008. Ackermann, der sich jahrelang für den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft stark gemacht hatte, wollte plötzlich, dass den profitorientierten Banken der finanzielle Giftmüll, an dem sie sich verschluckt hatten, teuer von den SteuerzahlerInnen abgekauft werde. Attac Deutschland und Attac Österreich forderten postwendend stattdessen die Einrichtung von „Good Banks“. So kam ein Nachdenkprozess in Gang, wie die ideale Bank eigentlich aussehen und funktionieren sollte. Nach 18 Monaten interner Diskussion wurde im April 2010 das Positionspapier „[http://www.demba.at/fileadmin/media/Demokratische_Bank_Projektpapier.pdf Die Demokratische Bank]“ verabschiedet.
Soziales Handeln ist für Luhmann zwar weiter wie für [[Max Weber]] durch sinnhafte Bezogenheit auf fremdes Verhalten bestimmt, z.B. Verfolgung von Zielen unter Berücksichtigung der zu erwartenden Reaktionen anderer, stellt jedoch wesentlich eine Reduktionsleistung dar:


"Für Luhmann ist Handlung Reduktion, d.h. ein Ergebnis jener Selektionsleistungen, die soziologisch nicht [[wikipedia:soziologische Handlungstheorie|handlungstheoretisch]], sondern immer nur systemtheoretisch - d.h. in Handlungs''systemen'' transparent gemacht werden können. (...) Das Faktum der Weltkomplexität macht eben im Interesse des Überlebens eine handlungsorientierende Überlebensstrategie erforderlich, deren grundlegendes Merkmal in der Reduktion dieser Komplexitäten besteht." (Gabor Kiss: 326f.)
Im Attac-Papier ist die Demokratische Bank in der Endausbaustufe eine öffentliche Bank, jedoch im Unterschied zu traditionellen „Staatsbanken“ von der Regierung unabhängig. Ihre Leitungs- und Aufsichtsgremien kommen durch direkte Wahl auf kommunaler Ebene zustande; der kontrollierende Bankenrat setzt sich aus Beschäftigten, SparkundInnen, KreditnehmerInnen, Gender-, Umwelt- und ZukunftsanwältInnen zusammen. Alle gewählten Positionen können jederzeit vom Souverän abgewählt werden. Parteien, Parlament und Regierung haben keine Mitspracherecht: Die Bank gehört der souveränen Bevölkerung.


Luhmanns Begriff von Komplexität darf nicht mit "Kompliziertheit" verwechselt werden. Kompliziert wären z.B. schwierig zu verstehende Handlungen anderer, weil man deren Motive und Rücksichten nicht ohne weiteres durchschaut, die aber ansonsten als ein so gegebenes, wenn auch unverstandenes, vorliegen. Komplexität bezieht sich auf die Freiheitsgrade des Handelns anderer. Man kann nicht im voraus wissen, wie andere Menschen handeln werden, darin besteht die Komplexität des Sozialen, und soziale Systeme haben die Funktion, Erwartbarkeit herzustellen.
Diese Idealvorstellung hat einen Schönheitsfehler: Ihre Umsetzung ist von der Zustimmung im Parlament oder von einer [[Volksabstimmung]] abhängig. Beides ist unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Machtverhältnissen nicht sehr wahrscheinlich. Deshalb hat Attac Österreich beschlossen, die souveräne Bevölkerung aufzurufen, diese Bank in der ersten Umsetzungsstufe selbst zu gründen – als private [[Genossenschaftsbank]]. Diese sollte bereits alle Charakteristika der idealtypischen Demokratischen Bank vorleben, die unter den gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen möglich sind.


==== Luhmanns Begriff des sozialen Systems ====
== Gemeinwohlmaximierung ==
"Mit dem Begriff soziales System soll ein ... Sinnzusammenhang von sozialen Handlungen bezeichnet werden, die, durch wechselseitige Erwartbarkeit verknüpft, aufeinander verweisen, ihre Selektivität wechselseitig bestimmen und dadurch von einer nicht dazugehörenden Umwelt abgrenzbar sind." (Luhmann, Bielefelder Manuskripte, 1974, S. 28, zit. nach Gabor Kiss: S. 333)


"Soziale Systeme können wie alle Systeme begriffen werden als strukturierte Beziehungsgefüge, die bestimmte Möglichkeiten festlegen und andere ausschließen. Ihre Besonderheit besteht darin, daß sie aus sozialen Handlungen gebildet werden, das heißt aus Handlungen, denen ein Sinnbezug auf das Handeln anderer Menschen immanent ist. Solche Sinnbeziehungen werden durch soziale Systeme in einer übermäßig komplexen unübersehbaren und unbeherrschbaren Umwelt relativ einfach und relativ invariant gehalten. Ein soziales System reduziert mithin die äußerste Komplexität seiner Umwelt auf bestimmte, oder doch bestimmbare, ausgewählte Handlungsmöglichkeiten und kann dadurch zwischenmenschliches Handeln sinnhaft orientieren. Das ist seine Funktion. Es muß um dieser Funktion willen einen Weltausschnitt gegen laufende Bedrohung durch andere Möglichkeiten verteidigen, zum Beispiel durch Institutionalisierung von Werten oder durch Normierung von Verhaltenserwartungen. Das ist seine Problematik. Dabei steht für soziale Systeme die soziale Komplexität im Vordergrund, die darin begründet ist, daß der andere Mensch anders erleben, anders erwarten, anders handeln kann, als in dem je eigenen Kontext des Erlebens und Handelns sinnvoll wäre." (Luhmann, Gesellschaftliche Organisation, in: Erziehungswissenschaftliches Handbuch, hrsg. Th. Ellwein, H. Groothoff u.a., Berlin 1969, I, (S. 387 - 405), S. 392. Zitiert nach Gabor Kiss: S. 333)
Die Demokratische Bank betreibt nicht Gewinnmaximierung, sondern Gemeinwohlmaximierung. Das bedeutet dreierlei:
# Sie beschränkt sich auf das Bankenkerngeschäft: Verwaltung der regionalen Sparvermögen, Abwicklung des Zahlungsverkehrs, Ausgabe kostengünstiger Kredite in der Region. Spekulation, Wertpapierhandel und Derivate sind tabu: Die Demokratische Bank beteiligt sich nicht am globalen Finanzcasino und schmäht Steueroasen.
# Sie schüttet keine Gewinne aus – genauso wenig wie eine Volksschule, ein kommunaler [[Trinkwasserversorgungsbetrieb]] oder ein öffentliches [[Krankenhaus]].
# Sie fördert mit allfälligen Überschüssen, die nicht für Rücklagen benötigt werden, gemeinnützige Projekte.  


==== Interaktionen, Organisationen und Gesellschaft als soziale Systeme ====
== Ausstieg aus dem Zinssystem ==
Durch die Popularisierung von sozialwissenschaftlichen Begriffen, wie dem des sozialen Systems, denkt man zu "System" gewöhnlich an größere Einheiten, wie dem Wirtschaftsystem etwa. Aus systemtheoretischer Sicht ist jedoch eine jede Organisation, wie z.B. eine [[Waldorfschule]], ein soziales System.


Das Handlungssystem [[Parsons]] ist zwar das übergeordnete "Großeganze", aber gleichzeitig auch die einzelne Handlung eines Individuums, als systemischer Vorgang betrachtet. Zur sozialen Systembildung kommt es bereits auf der Ebene der [[wikipedia:Interaktion|Interaktion]]. Dies wird von Luhmann am Beipiel der [[wikipedia:Doppelte Kontingenz|Doppelten Kontingenz]] erörtert. Bei der Begegnung von sich bisher unbekannten Ego und Alter, oder in neuen Situationen, für die es keine Rezepte gibt, entsteht die Situation einer völligen Offenheit, was zu tun ist, etwa einen Smalltalk beginnen. Sobald jedoch das Gespräch in Gang kommt, verringert sich die Kontingenz, es bildet sich ein Interaktionssystem, weil Ego und Alter sich aufeinander einstellen, und es im Fortlauf der Interaktionen eine stabilisierende Einschränkung stattfindet, was weiter folgen kann. Dies ist die Komplexitätsreduktion, von der Luhmann annimmt, daß soziales Handeln wesentlich durch sie bestimmt ist.
Auch lockt die Demokratische Bank nicht mit hohen Sparzinsen, sie lädt vielmehr ihre KundInnen ein, aus dem Zinsanspruchsdenken auszusteigen, indem sie Bewusstsein dafür schafft, dass Sparzinsen systemisch negativ wirken und der großen Mehrheit der Menschen direkt Nachteile bringen. Die drei wichtigsten Gründe dafür sind:
# Zinsen sind langfristig gar nicht möglich, weil das Finanzvermögen der privaten Haushalte im Verhältnis zur realen Wirtschaft (BIP) immer größer wird. Verzinsung ist aber nur möglich, wenn das Finanzkapital in die reale Wirtschaft investiert und daraus verzinst wird. Schon heute beträgt das globale Finanzvermögen des 3,5-fache des Welt-BIP. Erreicht das Geldvermögen die zehnfache Größe der realen Wirtschaftsleistung, bräuchte es für eine fünfprozentige Verzinsung bereits die Hälfte der Wirtschaftsleistung (50% des BIP). Ist das Finanzvermögen dereinst 100mal so groß, würde ein Verzinsungsanspruch von nur einem Prozent erfordern, dass die gesamte Weltwirtschaftsleistung für die Vermögensverzinsung aufgewendet werden müsste – es bliebe kein Cent für Löhne, Gehälter und Steuern.
# führen Sparzinsen zu ungerechter Verteilung, und das umso stärker, je höher sie sind, weil die große Mehrheit der Menschen weniger Sparzinsen erhält, als sie an Kreditzinsen bezahlt – über den Konsum von Produkten und Dienstleistungen, in denen die Kreditzinsen vollständig enthalten sind. Während alle konsumieren (je geringer das Einkommen, desto höher die Konsumneigung), fließen die Sparzinsen jenen zu, die das Vermögen besitzen. Berechnungen von [http://www.helmut-creutz.de/ Helmut Creutz] zufolge bezahlen 80 bis 90 Prozent der Haushalte mehr – unsichtbare – Kreditzinsen über den Konsum, als sie an – sichtbaren - Sparzinsen erhalten.
# wirken Sparzinsen auch volkswirtschaftlich negativ, weil sie die Kredite verteuern. Systemisch vorteilhafter sind niedrige Spar- und Kreditzinsen, weil Unternehmen mehr (real) investieren, was mehr Arbeitsplätze schafft und die Arbeitseinkommen stärker steigen (weil die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften steigt). Systemisch und für die meisten Menschen sind Arbeitsplätze und Einkommen wichtiger als Sparzinsen.  


Komplexität bezieht sich mehr auf Wahrnehmung und Erleben, Kontingenz auf mögliche Alternativen der Selektion. Indem das handelnde Individuum die Kontingenz einschränkt und Komplexität reduziert, ist es zusammen mit anderen sozialen Individuen Stifter der sozialen Systeme, angefangen bei den Interaktionen, über Institutionen und Organisationen bis zum System der Gesellschaft. Die Gesellschaft als System ist aus Handeln aufgebaut, bzw. dem, was als Handeln ''erwartbar'' ist. Die Erwartbarkeit des Handelns ist ein wesentliches Element von Handlungssystemen. Von einem Lehrer einer Waldorfschule erwartet man anderes Verhalten als von einem Schüler.
Beim Entfall von Sparzinsen wären Kreditzinsen nur noch in dem Ausmaß nötig, dass die Bank ihre Betriebskosten und Kreditverluste decken kann. Bei ausreichender Größe könnte dies mit durchschnittlichen Kreditkosten von rund zwei Prozent erreicht werden.  


Aus solcher systemtheoretischen Sicht findet Soziales generell im Rahmen von Systemen statt. Es gibt kein soziales Handeln außerhalb solcher Systeme, oder wenn es solches soziales Handeln gibt, dann ist mit ihm die System''bildung'' gegeben. Dieser Systemcharakter des sozialen Handelns zeigt sich in der modernen Gesellschaft als stark gesteigert, die moderne Gesellschaft ist ''organisiert'', weshalb Soziologen auch von der modernen Gesellschaft als einer [[wikipedia:Organisationsgesellschaft|Organisationsgesellschaft]] sprechen.
== Gemeinwohlprüfung ==


Dies ist auch ein Thema eines Interviews mit [[Konrad Schily]] 2010 gewesen:
Bei der Kreditvergabe wird nicht nur die ökonomische Bonität der Kreditwerber geprüft, sondern auch der soziale und ökologische Mehrwert der [[Investition]]svorhaben. Während ökologisch und sozial wenig sensible Investitionen die höchsten Kreditkosten zu berappen haben, erhalten Projekte mit dem höchsten sozialen und ökologischen Mehrwert, z. B. [[Fair Trade]] oder [[Erneuerbare Energien]], die günstigen Konditionen bis hin zum Null- oder sogar einem geringen Negativzinssatz. So entfaltet die Bank eine effektive Lenkungswirkung in Richtung [[nachhaltige Entwicklung]].
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"''Thomas Brunner'': Da kann ich ganz gut anschließen mit der nächsten Frage. Wir gehen über in grundsätzliche Fragestellungen. [[Pestalozzi]] unterscheidet, ganz deutlich zwischen individueller Existenz und kollektiver Existenz und er sagt, der Mensch wird entwurzelt, wenn er in seinem Bildungsweg in ein generalisiertes, verallgemeinertes System verpflanzt wird. Also deswegen ist er ja erst mal auch ein Gegner von organisierter Schule. Der Soziologe Niklas Luhmann hingegen, nennt diese ganze idealistische Zeit einen moralischen Mythos. Er sagt, das sind schöne Ideale. Heute gelte es, in den modernen komplexen Gesellschaften aber, eine adäquate Wahrheitstheorie zu entwickeln, also nicht mehr die Vernunft des Individuums solle zur Wirksamkeit kommen, sondern eine adäquate, die sich nicht mehr durch die menschliche Unmittelbarkeit definiert, sondern grundsätzlich im Sinne eines generalisierenden und abstrakten Codes von Regeln.


''Konrad Schily'': Also es gibt nicht die Wahrheit, sondern es gibt die Vereinbarung.
== Bildung zu Geld ==


''Thomas Brunner'': Genau. Für Luhmann gibt es deshalb nur die Möglichkeit sich mit den bestehenden Systemen durch Kompromisse zu arrangieren. Realität haben für ihn nur der Markt und der Staat.
Die Demokratische Bank ist nicht nur eine ökonomische Basis- und Universaldienstleisterin, sondern auch eine Bildungsinstitution, die Bewusstsein zum Thema Geld schafft. Den KundInnen sagt sie nicht „Lassen Sie ihr Geld für sich arbeiten“, was zu Wegschauen, zur Verantwortungslosigkeit und Gier führt, sondern erzieht sie hin zu Verantwortungsübernahme nach dem Motto: „Schauen Sie hin, was Ihr Geld bewegt, und bestimmen Sie mit!“
Auch werden Produkte nicht „gepusht“, sondern im Gegenteil die KundInnen zur Vorsicht geraten und zusätzlich umfassend beraten. Die kreditvergebenden Angestellten der Demokratischen Bank erhalten neben der ökonomischen auch eine humanistische Ausbildung.


''Konrad Schily'': Ich halte den Luhmann für den Philosophen des Unwesentlichen, denn er macht ja alles Wesentliche zu einem Surrogat. Zu einem Vorgestellten. Und der Chomeni sagt, die Gemeinde in Allah ist einig und wer nicht einig ist, ist nicht bei Allah und den kann man umbringen. Und das macht der Westen auch. Der grenzt auch aus. Das ist die Vereinbarung. Ja, da gibt ´s mal Vereinbarungen hin und her. Also deutsche Rechtschreibung und so. Das ist dann wieder komisch. Aber manchmal ist es gar nicht komisch. Oder ich könnte auch sagen, Luhmann ist für mich jemand des „Dran vorbei“, ja? Ein Organismus ist etwas total anderes, als ein System. Aber alle Leute lieben heute das System. Das System tut. Na, das eignet sich wunderbar. Alle Moleküle versammeln sich im System und das System beschließt, ja? Das System beschließt also jetzt machen wir den aufrechten Menschen oder wir machen die Qualle oder so. Na, Unsinn ist das! Oder die Gehirnforscher sagen, das Gehirn überlegt. Ich sage, ja und heute Morgen kam ich ans Klavier. Da hat sich das Klavier Mozart überlegt. War wunderbar. Hab´s nur nicht gehört, weil da saß keiner, der Mozart spielt. Also da merkt man, wie man in die Täuschung gerät.
== Lobbying für Regulierung ==


''Ralf Gleide'': Ja, mal eine freie Frage dazwischen. Jetzt noch mal, wenn man jetzt unterscheidet: Individuelle Existenz und kollektive Existenz und sagen, wir sind mit dem Staat und mit den Verabredungen im Reich dieser kollektiven Existenz und im Geistesleben brauchen wir aber die Individualität mit ihrer Ursprünglichkeit, wie Sie das auch in Ihrem Buch nennen. Warum haben Sie vorhin davon gesprochen, dass es gegenüber der Klüngelei eine Aufsichtsfunktion des Staates braucht? Also warum sehen Sie den Staat als die Instanz an, die diese Aufsichtsfunktion übernehmen muss."<ref>Die Standardisierung ist genau das Mittel, um die Komplexität nicht mehr begreifbar zu machen, Konrad Schily, 8/2010          
Drittens setzt sich die Demokratische Bank für gesetzliche Regulierung und Konversion des gesamten Bankensektors ein. Hier können die Forderungen von Attac und anderen Organisationen und den alternativen Pionierbanken zusammenwirken. Eine mögliche Regulierung wäre, dass staatliche Unterstützungsleistungen wie a) Garantie der Spareinlagen, b) Refinanzierung durch die Zentralbank, c) Kreditaufnahme des Staates und d) Bankenrettung nur noch gemeinwohlorientierten Banken wie der Demokratischen Bank gewährt werden. Wenn die gewinnorientierten die Spareinlagen nicht garantieren könnten und keinen Zugang zur Zentralbank hätten, würde in Kürze die große Mehrheit aller Menschen zur Demokratischen Bank und vergleichbaren Instituten wechseln.  


Thomas Brunner, Ralf Gleide und Clara Steinkellner im Gespräch mit Dr. Konrad Schily, Witten, 17.8.2010. Eine gekürzte Fassung ist in Die Drei, Ausgabe 2011/1 erschienen. zitiert nach [http://www.dreigliederung.de/essays/2010-08-001.html]</ref></div>
== Demokratische Zentralbank ==


Die erwähnten "Vereinbarungen" sind aber aus systemtheoretischer Sicht nur eine Variante von ''Erwartbarkeit''. In dem Ausschnitt des Interviews ist die Fragestellung mit der Unterscheidung von individueller vs. kollektiver Existenz scharf herausgestellt: Darf eine Waldorfschule ''organisiert'' sein, wenn sie ihren Auftrag einer freiheitlichen Erziehung wahrnehmen können soll? Und wenn ja, wie unterscheidet sich dann solche Organisation von der üblichen Organisationsweise? Nicht nur auf der großen Ebene der drei Teilbereiche der Gesellschaft ist diese Frage gestellt: Eine Waldorfschule als sozialer Organismus ist etwas total anderes als ein soziales System. (Sinngemäß K. Schily) ''(oder sollte es sein, wozu der Unterschied genauer zu bestimmen wäre.)
Schließlich sollte auch die Zentralbank ein Teil des „demokratischen Bankensystems“  und viel demokratischer organisiert werden als heute. Das könnte dreierlei bedeuten:
''
*Die Entscheidungen in der Zentralbank fallen in demokratischen Gremien mit VertreterInnen aller Bevölkerungsschichten.
*Geld kommt nicht nur als (zinsfreier) Kredit an gemeinwohlorientierte Banken in Umlauf, sondern auch in geringem Umfang als „Schöpfungsgeschenk“ an den Staat, das sich dieser nicht mehr teuer gegen Zinsen ausleihen muss. Gleichzeitig wird den Geschäftsbanken jede weitere Geldschöpfung verboten („Vollgeld“-Ansatz nach [http://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Huber_%28Soziologe%29 Josef Huber]).
*Die demokratischen Zentralbanken könnten die Kontrolle über den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr – das so genannte Clearing – übernehmen. Das wäre das Ende von Steuerflucht, Zins-Arbitrage-Geschäften oder Ansteckung mit Instabilität durch finanziellen Giftmüllexport.
*Die Zentralbanken könnten eine globale Währungskooperation mit stabilen Wechselkursen eingehen, wie es John Maynard Keynes schon 1944 in Bretton Woods vorgeschlagen, sich damit aber nicht durchgesetzt hatte.  


Luhmann selbst liefert mit seiner späteren Umstellung des Grundbegriffs seiner Systemtheorie von Handlung auf Kommunikation einen Aspekt: Diese Umstellung erfolgt nicht, weil sie "wahrer" ist, sondern weil die Phänomene des Sozialen so besser faßbar und adäquater zu beschreiben seien, womit Luhmann keine objektive Wahrheit beansprucht, sondern die Sichtweise seiner neuen Systemtheorie als ihm gutdünkende Bewältigung von "Irritationen" aus "Struktureller Kopplung" ansieht. Gemäß der hier näher zu untersuchenden frühen Systemtheorie, bezieht sich das auf die Funktionaliät von System und Strukturen in ihrem Umweltbezug.
== Mitmachen ==


Luhmann unterscheidet eine systemdifferentielle, nach Systemebenen differenzierte, und eine evolutionäre, auf gesellschaftliche Entwicklungsformationen bezogene Analyse von sozialen Systemtypen:<ref>Die folgenden Angaben beruhen auf Lit: Gabor Kiss, S.333ff. Kiss gibt als Quelle seiner Ausführungen an: "Die folgende Kurzfassung ist aufgrund eines unveröffentlichten Manuskriptes für fortgesetzte
Die Gründungsvorbereitungen für die Demokratische Bank Österreich haben im Mai 2011 begonnen. Innerhalb weniger Wochen wuchs der Kreis der Mitarbeitswilligen auf mehrere hundert an. Es wurden acht Arbeitskreise eingerichtet, die sich im Koordinierungskreis abstimmen. Ein gemeinsamer Visionsprozess wurde im Februar abgeschlossen, es folgen der Strategieprozess und die Erstellung des Geschäftsplans. Die Einreichung bei der Finanzmarktaufsicht ist noch im Jahr 2011 geplant, die Genehmigung kann sechs bis zwölf Monate in Anspruch nehmen. Ziel ist, die Bank noch im Jahr 2012 zu starten.
Veranstaltungen Luhmanns über „Gesellschaftstheorie" (Bielefeld  1973-1975) und meiner Teilnahme an diesen Veranstaltungen entstanden. Die Auswahl der - für ein Einfuhrungsbuch geeigneten - Schwerpunkte erfolgte nach Rücksprache mit Luhmann, dem ich für seine Bereitschaft, das Material verwenden zu dürfen, an dieser Stelle meinen besonderen Dank aussprechen möchte. (Lit.: Gabor Kiss, FN 2 Seite 333f.)</ref>


===== Interaktionssysteme =====
Die Bank möchte von Beginn an flächendeckend präsent sein – Ziel ist eine Filiale in jedem Bundesland. Von dort aus könnten mobile AußendienstmitarbeiterInnen in die Betriebe, Haushalte und Bauernhöfe kommen, um die Kredite vor Ort zu vergeben. Die Regionalgruppen erheben schon jetzt die Bedürfnisse der zukünftigen KundInnen der Demokratischen Bank via Marktforschung. Das wiederum lässt sich gut mit der Sammlung des Gründungskapitals verbinden, von dem ein Teil für den Aufbau der regionalen Infrastruktur verwendet werden könnte.  
* Die Systembildung setzt die »wahrgenommene Anwesenheit« von Personen voraus;
* Es besteht Handlungszwang (der sich zumindest in einem aufmerksamen Zuhören äußern muß);
* Interaktionssysteme sind zwar durch Sinngehalte - wie z. B. Tausch, Warteschlange, Gruß, Kampf und dgl. - identifizierbar, doch macht die Lebendigkeit wechselseitiger Erwartungserwartungen diese Systeme in hohem Maße unstabil, fluktuierend und enttäuschungsgefährdet;
* »Fließende Systemgrenzen« ermöglichen keine »zeitliche Ordnungsgarantien und sachliche Strukturierungsleistungen«;
* Es gibt keine gemeinsame Informationsverarbeitung noch ein »höheres Abstraktions- und Kontrollpotential« (= »ungeordnetes System«).
* „Für das Funktionieren des Systems ist zumindest ein »gemeinsames Thema« erforderlich, das als »minimaler« Bezugspunkt die Aufmerksamkeit der Beteiligten und deren gemeinsame »Zuwendung zu einem Mittelpunkt« erforderlich macht. Die Beteiligten steuern verschiedene Beiträge zum jeweils gemeinsamen Thema bei“;
* „In diesem Handlungszusammenhang bilden sich nach situationsrelevanten Eigenschaften - wie z.B. rednerische Dominanz, Schönheit und dgl. -Vorformen der Rollendifferenzierungen heraus“;
* „Diese Konstellationen können unter Umständen Interesse an der Wiederholung der Begegnung und der Festlegung von Verhaltensregeln bewirken und »Vorkehrungen für die Anschließbarkeit weiteren Handelns« treffen (z. B. Kartenspieler)“;
* „Die »Vorkehrungen« - auch z. B. aus dem Interesse einer gemeinsamen Gedächtnispflege - können einen gewissen Grad an Spezifikation (in der Verfestigung von Rollendifferenzierungen) hervorbringen, zu der aber das Interaktionssystem »von sich aus« nicht in der Lage ist: Es bedarf dazu der Strukturvorgaben einer gesellschaftlich geordneten Umwelt, die in die Verhaltensprämissen der Interaktionsbeziehungen eingehen müssen - (Luhmann nennt das Beispiel des Krankenbesuchs eines Pfarrers, der die Anerkennung dieser Situation für die Aufnahme von Beziehungen zur Voraussetzung hat)“.


"Alles soziale Handeln »muß faktisch durch dieses Nadelöhr hindurch und wird durch die Eigengesetzlichkeit der Interaktionssysteme deformiert« - und obgleich die »Flüchtigkeit des Systembestandes« kein Verlaß bietet, ist gerade diese Unbeständigkeit das Normale und Sinnvolle an diesem Typus von Systemen. Die dominante Bedeutung »intermittierender Interaktionssysteme« ist vor allem - aber nicht allein! - für archaische Gesellschaften (vgl. unten) typisch. Infolge der zunehmenden Verflechtung intermittierender Interaktionssysteme kann ihr Spezifikationsgrad durch Schichten- und Rollendifferenzierung erhöht werden, was dann die »Ausdehnung der Möglichkeit von Strukturvorgaben« bewirkt. Zwischen die elementaren Interaktionssysteme schiebt sich dann eine »neuartige Ebene der Systembildung dazwischen« - die Ebene der Organisation." (Gabor Kiss: Seite 334f)
Ab April werden Menschen aus dem In- und Ausland gesucht, die sich mit 1000 Euro am Gründungskapital der Bank beteiligen sowie mit einer Spende den Aufbau in den nächsten 1,5 Jahren finanzieren.


===== Organisationssysteme =====
Die Demokratische Bank ist ein Strukturelement der „[http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/ Gemeinwohl-Ökonomie]“, eines alternativen Wirtschaftsmodells zu Kapitalismus und Kommunismus, das von einer wachsenden Gruppe von UnternehmerInnen ausgearbeitet wurde und bereits von rund 250 Unternehmen in sechs Staaten unterstützt wird. Mindestens 70 werden heuer die Gemeinwohl-Bilanz, das Herzstück des Modells, erstellen. Wer eine gute Gemeinwohl-Bilanz vorweisen kann, erhält bei der Demokratischen Bank einen günstigeren Kredit ...  
"Die wichtigste Funktion von Organisationssystemen kann in der »Festlegung« (= Spezifikation) spontaner, flukturierender und relativ »ungeordneter« Interaktionsprozesse auf berechenbare Abläufe strategisch wichtiger Handlungsprozesse gesehen werden. Luhmann betont, daß nur ein Teil des gesellschaftlichen und interaktionellen Handelns innerhalb organisierter Sozialsysteme verläuft: Organisation bezeichnet einen Systemtyp, der »um besonderer Leistung willen eingerichtet ist«. Das Wesentliche an diesen spezifischen Leistungen sollte nicht in erster Linie an der »Ausrichtung an Zielen« (vgl. oben, S. 213 [Bezug auf [[Parsons]]]), sondern an der spezifischen Art der Regelungen von Umweltverhältnissen gesehen werden:


»Das bedeutet unter anderem, daß ein organisiertes Sozialsystem stets mindestens zwei Umwelten unterscheiden muß: seine Mitglieder und Nichtmitglieder. Der Leistungsgewinn, der durch Organisation erzielt werden kann, beruht sehr wesentlich darauf, daß diese beiden Umwelten verschieden behandelt werden können, daß in beiden Richtungen verschiedenartige Einflußmittel zur Verfügung stehen und daß die unterschiedlichen Strategien beiden Umwelten gegenüber aufeinander abgestimmt werden; typisch in der Form, daß die Mitglieder arbeiten müssen, um eine Leistung zu erstellen, die Nichtmitglieder schätzen; diese aber dafür mit Geld, Prestigezuweisung oder sonstwie zahlen müssen, um es dem System zu ermöglichen, die Mitgliedschaft attraktiv zu erhalten« (Luhmann, Gesellschaftliche Organisation, in: Erziehungswissenschaftliches Handbuch, hrsg. Th. Ellwein, H. Groothoff u.a., Berlin 1969, I, (S. 387 - 405), S. 394. Zitiert nach Gabor Kiss: S. 335)". (Gabor Kiss: S. 335)
--[[Benutzer:AKP-Redaktion|AKP-Redaktion]] 14:05, 11. Jan. 2013 (CET)


Die Zitate werden hier ungekürzt wiedergegeben, weil es kaum möglich ist, eine verständliche kürzere Zusammenfassung zu geben. Hervorzuheben an der Aussage des letzten Zitates von Luhmann (alles in diesem Referat nach Gabor Kiss, was in Interklammern steht, ist Originalton Luhmann) ist, daß die Mitglieder sowie Nichtmitglieder einer Organisation ''Umwelt'' für dieses Organisationssystem sind. In dieser Phase seiner Systemtheorie gibt es noch Menschen bzw. Personen, hier in der Rolle von Mitgliedschaft, die aber nicht mit zum System dazugehören, sondern außenvor sind, nur ihre Handlungen sind zum System zugehörig. In seiner späteren Systemtheorie wird dies zu einem Verhältnis von "psychischen Systemen", die mit sozialen Systemen (=Kommunikationssystemen) "strukturell gekoppelt" sind. [[wikipedia:Strukturelle Kopplung|Strukturelle Kopplung]] meint da in etwa ein Verhältnis von [[Autopoiesis|autopoietischen]] Systemen, bzw. von einem System zur Umwelt, wo ein Austausch nur durch sog. "Irritationen" stattfindet. Was man sich in etwa so vorstellen kann, wie die Reibung zwischen zwei welligen Pappstücken (das eine Pappstück = System, das andere = Umwelt), aus der das System Information zieht. Bei diesem späteren Systementwurf ist der "Mensch" für Luhmann lediglich noch ein "semantisches Konstrukt".
== Quellen ==


Im Gegensatz zu Interaktionssystemen können sich in Organisationssystemen (statt segmentäre) funktional differenzierte Teilsysteme zur Erledigung spezifischer Aufgaben herausbilden. Obwohl Organisationen aus Interaktionen bestehen, gehen ihre Strukturbildungen über diese hinaus (insb. in der Stellenbildung mit Austauschbarkeit des Personals). Organisationsstrukturen können Interaktionsstrukturen "sprengen", und sie können zu Strukturänderungen in der gesellschaftlichen Umwelt führen. (vgl. Gabor Kiss, S.335ff)
*[http://www.christian-felber.at/ Christian Felber] ist freier Publizist, Universitätslektor und Mitbegründer von Attac Österreich. Letzte Buchveröffentlichung: „Die Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft.
(aus AKP 3/2011, S. 39-41)


===== Gesellschaftssysteme =====
== Weblinks ==
Während der Begriff Organisation ganz allgemein eine gewisse Faßlichkeit hat, auch wenn die näheren Bestimmungen umstritten sein mögen, gilt dies so keineswegs für den Begriff der "Gesellschaft". Es ist überaus unklar, was mit Gesellschaft gemeint sein soll, und oftmals entpuppt sich die Rede von Gesellschaft als leeres Wort, mit einem Platzhalter, der für alles und nichts stehen kann, wie "Gott".
*[http://www.demokratische-bank.at/ Demokratische Bank]
 
*Projektpapier: [http://www.demba.at/fileadmin/media/Demokratische_Bank_Projektpapier.pdf Die Demokratische Bank], Mai 2010 (pdf-Format, 6 Seiten)
"Unter Gesellschaft versteht Luhmann einen »Sonderhorizont«, der »für sinnhaftes Erleben und Handeln konstitutiv ist«" (Kiss: S. 337)
*[http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/ Gemeinwohl-Ökonomie]
 
*[http://www.christian-felber.at/ Christian Felber] (Homepage des Autors)
"Gesellschaft, ist das jeweils umfassendste System menschlichen Zusammenlebens. Über weitere einschränkende Merkmale besteht kein Einverständnis". (in: Lexikon zur Soziologie, 1973, Opladen. S. 235)
*[http://derstandard.at/1342948118248/Wie-Bankengegner-eine-Bank-gruenden Wie Bankengegner eine Bank gründen], Der Standard, 30.07.2012
 
Moderne soziale Systeme sind nach Luhmann nicht mehr mittels des Schemas "Das Ganze ist mehr als seine Teile" zu verstehen, im Gegenteil:
 
"Die Anwendung dieses traditional ganzheitlich konzipierten Gesellschaftsbegriffs auf moderne Systeme hält Luhmann für falsch: Er meint, daß das »Ganze« — nämlich das Gesellschaftliche — weniger ist als die Summe seiner Teile und, daß das Handeln im Gesellschaftssystem nicht mit der Totalität sozialer Beziehungen gleichgesetzt werden kann, sondern - neben den Handlungen in Interaktions- und Organisationssystemen - nur einen Teil jener Systembildungsprozesse umfaßt, die nur zur Erhaltung der Gesellschaft als des umfassenderen Systems menschlichen Zusammenlebens beitragen. Das Sozialsystem schließt also dieser Konzeption nach das Gesellschaftssystem ein: Seine dominierenden Steuerungsfunktionen werden aber trotz dieser einschränkenden Begriffsbezeichnung keinesfalls geleugnet." (Kiss, S. 338)
 
Man hat sich also einen Systemzusammenhang des Sozialen zu denken, in dem es Handeln in Interaktionsystemen, Organisationssystemen und dem Gesellschaftssystem quasi nebeneinander gibt. Gesellschaft ist ein Teilsystem des umfassenden sozialen Systems. Die Funktion des Gesellschaftssystems und das Prinzip seiner Bildung ist die Konstitution von Sinn:
 
"»nämlich dadurch, daß jeder Sinngehalt auf mögliche Auffassungen und Anschlußselektionen fremden Erlebens und Handelns verweist« und [es] garantiert dadurch eine geordnete Umwelt aller übrigen Sozialsysteme - also auch für Interaktions- und Organisationssysteme —;" (ebend.)
 
Das Gesellschaftssystem reguliert Sinngrenzen mit seinen zentralen Funktionen
* Generalisierung von Sinn (zeitlich, sachlich, sozial),
* Systemdifferenzierung (Bildung von Systemen in Systemen, z.B. funktionale Differenzierung)
* Evolutionssteuerung (zentrale Mechanismen, die Systembildung bewirken)
 
Diese Funktionen dienen jedoch der eigentlichen primären Funktion der Gesellschaft: Stabilisierung.
 
»Von allen Typen sozialer Systeme ist nur die Gesellschaft selbst mitsamt ihren funktionalen Subsystemen eine selbstsubstitutive Ordnung. Interaktionen können mit oder ohne Ersatz abgebrochen, Organisationen können aufgelöst und neu gegründet werden. Über den Wechsel befinden externe Instanzen, zum Beispiel einzelne Personen. Die Kontinuität der Gesellschaft ist jedoch eine unerläßliche Voraussetzung für das Diskontinuieren dieser anderen Systeme« (MS. Bielefeld 1974, S. 174, zitiert nach Kiss: 341)
 
Aus diesen Auffassungen Luhmanns mit der Konzeption von Subsystemen Wirtschaft, Politik usw. des Gesellschaftsystems, das selbst jedoch nur ein Teilsystem des sozialen Systems sei (in der Darstellung Gabor Kiss'), läßt sich folgern, daß es soziale Handlungen geben können muß, die nicht einem Subsystem der Gesellschaft zuzuordnen sind. Sie setzen allerdings das Gesellschaftssystem als Bedingung ihrer Möglichkeit  voraus, insofern jede soziale Handlung sinnorientiert ist.
 
Was es mit diesem umfassenden Sozialsystem auf sich hat, wird in der Darstellung Kiss' nicht ganz klar, nicht mal, ob das Luhmann explizit so sieht, oder es eine Interpretation Kiss' ist. In den genannten Zitaten ist nur von "geordneter Umwelt" die Rede. Wenn es dieses umfassende Sozialsystem gibt, wo wären dann dessen Grenzen, und warum bekommt dann nicht dieses umfassende Sozialsystem den ''Namen'' Gesellschaft, und das Gesellschaftssystem etwa die Bezeichnung Kultursystem, was doch auch passen würde, wo das Gesellschaftssystem doch "Sinn konstituiert"?
 
==== Die Weltgesellschaft und ihre Sybsysteme ====
 
"Geht man aus von einem Begriff der Gesellschaft als einem System, das alles kommunikativ erreichbare Handeln einschließt, dann ist kein Zweifel daran möglich, daß die soziokulturelle Evolution heute die Weltgesellschaft realisiert hat." (Luhmann, Bielefelder Manuskripte 1974, S. 209, zit. n. Kiss)
 
Kiss nennt folgende besondere Merkmale der Weltgesellschaft (S. 346f. Lit.a.a.O.):
* "Die Welt bildet heute ein - alle Gesellschaftssysteme tangierendes - »GloS balsystem«, das durch allmähliches Verschwinden von territorialen Grenzen und kommunikativen Limitationen gekennzeichnet ist."
* Die Entwicklung ist nach Luhmann 1974 abgeschlossen, es gibt kaum noch "weiße Flecken", die "die nicht in das »internationale System« der Kommunikationen, Interdependenzen und Kontingenzen mit ein¬bezogen wären." Die [[Globalisierung]] des Gesellschaftssystems erfordere die Generalisierung des Gesellschaftskonzepts und dessen Überhöhung in Form einer Supertheorie.
* Die wichtigste evolutionäre Errungenschaft der Moderne ist die Ausdifferenzierung des Teilsystems Wirtschaft (Primat der Ökonomie). Die industrielle Produktionsweise hat ein neuartiges Niveau funktionaler Differenzierung erzwungen, das nun nur noch als Weltgesesllschaftssystem "stabilisiert" werden kann. (Bielefelder Manuskripte 1974 a.a.O. S. 211)
* Die Dynamisierung der Entwicklung durch die Expansion des Ökonomischen erlaubt die Integration primärer Teilsysteme der Gesellschaft nicht mehr auf der Basis "substanzieller" Gleichheit, sondern »nur noch in der Interdependenz ihrer Funktionen und in der Kompatibilität ihrer Möglichkeiten integriert werden«, durch das Tempo werden Integrationsmöglichkeiten problematisch. (Kiss: 347)
* Es entstehen durch die Dynamik des Wandels "Grenzunsicherheiten", »was gehört noch und nicht mehr zum System?«:


»Die '''Wirtschaft''' erfordert nach ihrer Eigenlogik und nach ihren optimalen Verwirklichungsbedingungen andere Grenzen als die '''Politik''', die '''Religion''' andere als die '''Wissenschaft''', und deren Grenzen sind nicht identisch mit dem Spielraum der Wahl von Partnern für '''Intimbeziehungen'''. Der noch sozialisierbare Nachwuchs mag einen anderen Umfang haben als der Bedarf für Arbeitskräfte, das touristische Interesse andere Grenzen haben als das militärische. Sobald einige Teilsysteme der Gesellschaft, etwa das für '''wissenschaftliche Forschung''', das für '''öffentliche Kommunikation''' und mindestens einige Bereiche der Wirtschaft, weltweite Relevanz erfordern und gewinnen, kann ein Konvergieren der Grenzen nur noch durch ein '''einheitliches Weltgesellschaftssystem''' gewährleistet werden. ''Teilsysteme, die eine solche Reichweite nicht erlangen können, müssen dann innerhalb eines weltweit relevanten Funktionsbereichs segmentär rekonstruiert werden - so die '''Familien''', die '''Staaten''', die '''Einrichtungen für medizinische Versorgung''' und anderes mehr.'' Wie immer ausbalanciert, kann die Einheit dieses neuen Zusammenhangs von funktionaler und segmentärer Differenzierung nur noch welteinheitlich realisiert werden. Das hat durchgreifende Folgen für die Autonomiechancen und die Anpassungsproblerne, die sich in allen Teilsystemen stellen, und ist insofern bestimmend für einen neuartigen Gesellschaftstypus« (MS. Bielefeld 1974, S. 213, a.a.O., Hervorh. anthrowiki).
[[Kategorie:Soziale Dreigliederung]]  
 
[[Kategorie:Gemeinwohl-Ökonomie]]
Als Teilsysteme neben der dominanten Wirtschaft, die das Primat der Politik abgelöst hat, nennt Luhmann neben der Politik/den Staaten die Religion, die Wissenschaft, Intimbeziehungen (Familie), öffentliche Kommunikation, medizinische Versorgung. Das Politiksystem bringt es nicht zur globalen funktionalen Ausdifferenzierung, die Staaten bleiben weiter segmentär differenziert, ebenso das Teilsystem Familie/Intimbeziehungen. Wissenschaft hingegen differenziert sich im vollen Maße weltgesellschaftlich funktional aus.
[[Kategorie:Christian Felber]]
[[Kategorie:Genossenschaft]]  
Im Kontrast zur [[Soziale Dreigliederung|Dreigliederungsidee]] Rudolf Steiners gibt es als Teilbereiche der Gesellschaft also nicht Wirtschaft, Politik und Kultur, sondern vornehmlich der Kulturbereich ist von Luhmann anders konzipiert, ein eigentliches Kultursystem gibt es für ihn nicht, sondern es gibt die Teilsysteme Religion, Wissenschaft, Familie usw. In der späteren Systemtheorie Luhmanns werden noch weitere auch als [[Autopoiesis|autopoietisch]] geschlossene System beschrieben, wie das Kunstsystem. Schüler Luhmanns identifizieren weitere Systeme, wie ein System "Soziale Hilfe". [[wikipedia:Dirk Baecker|Dirk Baecker]] beklagt, daß das Erziehungsystem bisher noch keinen klaren binären Code entwickeln konnte, um seine Ausdifferenzierung (und damit autopoietische Eigenständigkeit) ausreichend voranzutreiben und sieht darin eine Ursache für seine mangelnde Leistungsfähigkeit.<ref> xy </ref>
[[Kategorie:Bank]]
 
{{Wikipedia}}
== Exkurs: Die Grenzen von Systemen und der intersystemische Austausch ==
Zu dem scheinbar leicht faßbaren Begriff des Systems gehört der Begriff der "Grenze". Ein System ist abgegrenzt zu seiner Umwelt, hat aber Beziehungen zur Umwelt. Diese Beziehungswirklichkeit ist auch bei Annahme [[Autopoiesis|autopoietisch]] geschlossener Systeme nicht aufgehoben.
Wie sich etablierte oder sich etablierende Systeme zur Umwelt verhalten ist wichtiges Forschungsgebiet der Sozialwissenschaften.
Die besondere Schwierigkeit für die Forschung auf dem Gebiet ist die Verquickung von Begriff und Wahrnehmung mit dem aktiven Handeln und der realitätsbewirkenden Macht des Handelns, auch des sozialen Verhaltens ohne Handlungsintention. Der amerikanische [[Pragmatismus]] hat diesen <ref>Dies entspricht nicht dem populären Verständnis von "Pragmatismus". Die erkenntnistheoretische Position ist darüber hinaus, daß Wahrheit ein Produkt des Wollens ist, des Ja-Sagens zu einer zukünftigen Realität, die aber natürlich nur aus dem schon gegebenen gesetzmäßig hervorgehen kann, wobei die Freiheit der Fortsetzung dann zukünftige Realität schafft.</ref><ref>Der amerikanische Pragmatismus ist eine originäre Schöpfung des invasiven Amerikas, ist nicht 'anglo-amerikanisch', sondern Ergebnis des Kulturbedürfnisses entwurzelter Auswanderer, sich in einer fremden Welt zurecht zu finden, in der die mitgebrachten kulturellen Traditionen nutzlos waren. (nach [[wikipedia:George Herbert Mead|George Herbert Mead]])</ref>Aspekt zum Prinzip seiner Philosophie erhoben, und es ist in der Tat wahr, daß die soziale Realität ''mit''(?)<ref>Hieraus ergibt sich eine sehr schwierige Fragestellung mit Bezug auf das Eigentliche der Dreigliederungsidee Rudolf Steiners, die an anderer Stelle ausführlich zu erörtern ist.</ref> ein Ergebnis davon ist, wie Menschen über sie denken, und wie sie entsprechend handeln.
Dies gilt natürlich auch für die Wahrnehmung von Grenzen, und ihre Bestätigung oder ''Überschreitung'' im sozialen Handeln. Der Grenzbegriff ist in sich widersprüchlich. Eine Grenze ist eine Grenze und zugleich keine. Man kann zum Beispiel [[wikipedia:Korruption|Korruption]] als eine ''unerlaubte'' Überschreitung einer rechtlich bestimmten oder sozial anerkannten Grenze ansehen. In der implizit gegebenen Anerkennung des Verbots bei seiner Mißachtung wird die Grenze zwar bestätigt, aber mit einer massenhaften Überschreitung ist oft die Beschädigung oder gar Auflösung verbunden. Es gibt Länder oder Regionen, oder es gibt solche Verhältnisse zu Zeiten, in denen ohne Bestechung sich von den zuständigen Beamten nichts erreichen läßt, ihr Verhalten ökonomisch manipuliert ist, statt dem Prinzip der Gleichbehandlung zu folgen. Ähnlich im Verhältnis zwischen Wissenschaft (Kultursystem) und dem Ökonomischen, wenn z.B. ein von der Zigarettenindustrie bezahlter Wissenschaftler Forschungsergebnisse bezügl. der Schädlichkeit des Rauchens manipuliert.
Der Übergang von einem erlaubten oder erwünschten Verhalten bei Grenzüberschreitungen zu einem unerlaubten oder jedenfalls nicht wünschenswerten, oder unter anderem Aspekt objektiv schädlichen Verhalten kann fließend sein, wie beim [[wikipedia:Lobbyismus|Lobbyismus]], dessen grassierende Auswüchse demokratische Prinzipien zu untergraben drohen.
 
== Einzelnachweise ==
<references/>
== Werke (Auswahl) ==
*''Funktionen und Folgen formaler Organisation'' (1964)
*''Zweckbegriff und Systemrationalität'' (1968) ''(Ein Klassiker der [[wikipedia:Organisationssoziologie|Organisationssoziologie]]; [http://www.suhrkamp.de/buecher/zweckbegriff_und_systemrationalitaet-niklas_luhmann_27612.pdf Suhrkamp Klappentext])''
*''Rechtssoziologie'' (1980)
* ''Soziologische Aufklärung.'' (Bd. 1, Heute Bd. 1 - 6 Sammelband), Westdeutscher Verlag, Opladen 1970
* ''Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung? ''(zus. mit [[Jürgen Habermas]]), Frankfurt am Main 1971, ISBN 978-3-518-06358-3.
 
''Geeignete Einstiegsliteratur:''
*Liebe als Passion: Zur Codierung von Intimität Suhrkamp, 1982 ''(Luhmanns schönstes Buch, heißt es. Untersucht die Genese (bzw. die Genese des Ideals) der romantischen Liebe)''
*Ökologische Kommunikation: Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 1986 ''(An einem populären Thema stellt Luhmann alle wesentlichen Aspekte seiner späteren Systemtheorie vor. Das Buch ist von ihm möglichst einfach und verständlich gehalten, und insofern als Einführung geeignet)''
 
== Literatur ==
* Gabor Kiss: ''Einführung in die soziologischen Theorien II'' (Studienbücher zur Sozialwissenschaft 27), 3. Aufl. 1977, Westdeutscher Verlag, Opdaden, ISBN 3531211498
 
== Weblinks ==
*[http://bildungsforschung.org/index.php/bildungsforschung/article/download/104/pdf Michael Reder 2010: Habermas-Luhmann Debatte  "revisited" (mit Aspekt auf Religionstheorie) (''Reder ist Professor für [[Sozialphilosophie]] an der [[wikipedia:Hochschule für Philosophie München|Hochschule für Philosophie München]]'')]
*[http://www.ndr.de/geschichte/koepfe/luhmann130.html NDR.de Notiz 2008 Die Habermas-Luhmann-Kontroverse]
[[Kategorie: Soziologie und Anthroposophie]]
*[http://www.ndr.de/geschichte/koepfe/luhmann100.html NDR.de Niklas Luhmann. Der Mann mit dem Zettelkasten. Portrait 2008]
*[http://geloggd.alexander-filipovic.de/category/allgemein Einblicke in die frühe Phase gibt ein Luhmann-Interview von Ulrich Boehm aus dem Jahr 1973 (Video)]
{{wikipedia}}

Version vom 16. April 2021, 22:48 Uhr

Ausgehend von einem Attac-Modell bereitet eine wachsende Zahl engagierter Personen aus der Zivilgesellschaft in Österreich die Gründung der „Demokratische Bank“ vor. Geld soll als öffentliches Gut neu gedacht werden und der Wirtschaft und der Gesellschaft dienen. Die Bank wird nur Kernaufgaben wahrnehmen und im Eigentum der Bevölkerung stehen.

Eine Bank fürs Gemeinwohl

Im Kern der Fehlentwicklung, die zur Krise geführt hat, steht die schleichende Umwandlung des Finanzsystems von einem dem Gemeinwohl dienenden (Infrastruktur-)Sektor hin zu einem Markt mit gewinnorientierten Unternehmen. Banken haben ihre ursprüngliche Funktion – die kostengünstige Umwandlung von Spar- in Kreditgeld sowie die serviceorientierte Abwicklung des Zahlungsverkehrs – verlassen und zunehmend neue Aufgaben angenommen: Vermögensverwaltung, Investmentbanking, Devisenspekulation, Kredithandel, Derivate-Entwicklung. Die Wirtschaft wurde durch diese „Innovationen“ nicht effizienter, sondern ungerechter und instabiler: Wenn Geld vom Mittel zur Ware wird, sind Arbeitsplätze, Wirtschaft und Wohlstand in Gefahr.

Deshalb bedarf es einer „radikalen“ (wurzeltiefen) Umkehr: Geld und Kredit zählen zur Grundinfrastruktur der Wirtschaft und sollten als öffentliches Gut definiert und unter demokratische Kontrolle gebracht werden. Die „Demokratische Bank“ würde folgende, in der Verfassung festgeschriebene Kernaufgaben erfüllen:

  • Kostenloses Girokonto;
  • Sicheres Sparkonto mit staatlicher Einlagengarantie;
  • Bester Service in flächendeckendem Filialnetz;
  • Kostengünstige Kredite für Unternehmen und Haushalte;
  • Kostengünstige Kredite an den Staat.

Die „Demokratische Bank“ ist die Ad-hoc-Antwort von Attac Österreich auf die Forderung von Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann nach „Bad Banks“ im Dezember 2008. Ackermann, der sich jahrelang für den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft stark gemacht hatte, wollte plötzlich, dass den profitorientierten Banken der finanzielle Giftmüll, an dem sie sich verschluckt hatten, teuer von den SteuerzahlerInnen abgekauft werde. Attac Deutschland und Attac Österreich forderten postwendend stattdessen die Einrichtung von „Good Banks“. So kam ein Nachdenkprozess in Gang, wie die ideale Bank eigentlich aussehen und funktionieren sollte. Nach 18 Monaten interner Diskussion wurde im April 2010 das Positionspapier „Die Demokratische Bank“ verabschiedet.

Im Attac-Papier ist die Demokratische Bank in der Endausbaustufe eine öffentliche Bank, jedoch im Unterschied zu traditionellen „Staatsbanken“ von der Regierung unabhängig. Ihre Leitungs- und Aufsichtsgremien kommen durch direkte Wahl auf kommunaler Ebene zustande; der kontrollierende Bankenrat setzt sich aus Beschäftigten, SparkundInnen, KreditnehmerInnen, Gender-, Umwelt- und ZukunftsanwältInnen zusammen. Alle gewählten Positionen können jederzeit vom Souverän abgewählt werden. Parteien, Parlament und Regierung haben keine Mitspracherecht: Die Bank gehört der souveränen Bevölkerung.

Diese Idealvorstellung hat einen Schönheitsfehler: Ihre Umsetzung ist von der Zustimmung im Parlament oder von einer Volksabstimmung abhängig. Beides ist unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Machtverhältnissen nicht sehr wahrscheinlich. Deshalb hat Attac Österreich beschlossen, die souveräne Bevölkerung aufzurufen, diese Bank in der ersten Umsetzungsstufe selbst zu gründen – als private Genossenschaftsbank. Diese sollte bereits alle Charakteristika der idealtypischen Demokratischen Bank vorleben, die unter den gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen möglich sind.

Gemeinwohlmaximierung

Die Demokratische Bank betreibt nicht Gewinnmaximierung, sondern Gemeinwohlmaximierung. Das bedeutet dreierlei:

  1. Sie beschränkt sich auf das Bankenkerngeschäft: Verwaltung der regionalen Sparvermögen, Abwicklung des Zahlungsverkehrs, Ausgabe kostengünstiger Kredite in der Region. Spekulation, Wertpapierhandel und Derivate sind tabu: Die Demokratische Bank beteiligt sich nicht am globalen Finanzcasino und schmäht Steueroasen.
  2. Sie schüttet keine Gewinne aus – genauso wenig wie eine Volksschule, ein kommunaler Trinkwasserversorgungsbetrieb oder ein öffentliches Krankenhaus.
  3. Sie fördert mit allfälligen Überschüssen, die nicht für Rücklagen benötigt werden, gemeinnützige Projekte.

Ausstieg aus dem Zinssystem

Auch lockt die Demokratische Bank nicht mit hohen Sparzinsen, sie lädt vielmehr ihre KundInnen ein, aus dem Zinsanspruchsdenken auszusteigen, indem sie Bewusstsein dafür schafft, dass Sparzinsen systemisch negativ wirken und der großen Mehrheit der Menschen direkt Nachteile bringen. Die drei wichtigsten Gründe dafür sind:

  1. Zinsen sind langfristig gar nicht möglich, weil das Finanzvermögen der privaten Haushalte im Verhältnis zur realen Wirtschaft (BIP) immer größer wird. Verzinsung ist aber nur möglich, wenn das Finanzkapital in die reale Wirtschaft investiert und daraus verzinst wird. Schon heute beträgt das globale Finanzvermögen des 3,5-fache des Welt-BIP. Erreicht das Geldvermögen die zehnfache Größe der realen Wirtschaftsleistung, bräuchte es für eine fünfprozentige Verzinsung bereits die Hälfte der Wirtschaftsleistung (50% des BIP). Ist das Finanzvermögen dereinst 100mal so groß, würde ein Verzinsungsanspruch von nur einem Prozent erfordern, dass die gesamte Weltwirtschaftsleistung für die Vermögensverzinsung aufgewendet werden müsste – es bliebe kein Cent für Löhne, Gehälter und Steuern.
  2. führen Sparzinsen zu ungerechter Verteilung, und das umso stärker, je höher sie sind, weil die große Mehrheit der Menschen weniger Sparzinsen erhält, als sie an Kreditzinsen bezahlt – über den Konsum von Produkten und Dienstleistungen, in denen die Kreditzinsen vollständig enthalten sind. Während alle konsumieren (je geringer das Einkommen, desto höher die Konsumneigung), fließen die Sparzinsen jenen zu, die das Vermögen besitzen. Berechnungen von Helmut Creutz zufolge bezahlen 80 bis 90 Prozent der Haushalte mehr – unsichtbare – Kreditzinsen über den Konsum, als sie an – sichtbaren - Sparzinsen erhalten.
  3. wirken Sparzinsen auch volkswirtschaftlich negativ, weil sie die Kredite verteuern. Systemisch vorteilhafter sind niedrige Spar- und Kreditzinsen, weil Unternehmen mehr (real) investieren, was mehr Arbeitsplätze schafft und die Arbeitseinkommen stärker steigen (weil die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften steigt). Systemisch und für die meisten Menschen sind Arbeitsplätze und Einkommen wichtiger als Sparzinsen.

Beim Entfall von Sparzinsen wären Kreditzinsen nur noch in dem Ausmaß nötig, dass die Bank ihre Betriebskosten und Kreditverluste decken kann. Bei ausreichender Größe könnte dies mit durchschnittlichen Kreditkosten von rund zwei Prozent erreicht werden.

Gemeinwohlprüfung

Bei der Kreditvergabe wird nicht nur die ökonomische Bonität der Kreditwerber geprüft, sondern auch der soziale und ökologische Mehrwert der Investitionsvorhaben. Während ökologisch und sozial wenig sensible Investitionen die höchsten Kreditkosten zu berappen haben, erhalten Projekte mit dem höchsten sozialen und ökologischen Mehrwert, z. B. Fair Trade oder Erneuerbare Energien, die günstigen Konditionen bis hin zum Null- oder sogar einem geringen Negativzinssatz. So entfaltet die Bank eine effektive Lenkungswirkung in Richtung nachhaltige Entwicklung.

Bildung zu Geld

Die Demokratische Bank ist nicht nur eine ökonomische Basis- und Universaldienstleisterin, sondern auch eine Bildungsinstitution, die Bewusstsein zum Thema Geld schafft. Den KundInnen sagt sie nicht „Lassen Sie ihr Geld für sich arbeiten“, was zu Wegschauen, zur Verantwortungslosigkeit und Gier führt, sondern erzieht sie hin zu Verantwortungsübernahme nach dem Motto: „Schauen Sie hin, was Ihr Geld bewegt, und bestimmen Sie mit!“ Auch werden Produkte nicht „gepusht“, sondern im Gegenteil die KundInnen zur Vorsicht geraten und zusätzlich umfassend beraten. Die kreditvergebenden Angestellten der Demokratischen Bank erhalten neben der ökonomischen auch eine humanistische Ausbildung.

Lobbying für Regulierung

Drittens setzt sich die Demokratische Bank für gesetzliche Regulierung und Konversion des gesamten Bankensektors ein. Hier können die Forderungen von Attac und anderen Organisationen und den alternativen Pionierbanken zusammenwirken. Eine mögliche Regulierung wäre, dass staatliche Unterstützungsleistungen wie a) Garantie der Spareinlagen, b) Refinanzierung durch die Zentralbank, c) Kreditaufnahme des Staates und d) Bankenrettung nur noch gemeinwohlorientierten Banken wie der Demokratischen Bank gewährt werden. Wenn die gewinnorientierten die Spareinlagen nicht garantieren könnten und keinen Zugang zur Zentralbank hätten, würde in Kürze die große Mehrheit aller Menschen zur Demokratischen Bank und vergleichbaren Instituten wechseln.

Demokratische Zentralbank

Schließlich sollte auch die Zentralbank ein Teil des „demokratischen Bankensystems“ und viel demokratischer organisiert werden als heute. Das könnte dreierlei bedeuten:

  • Die Entscheidungen in der Zentralbank fallen in demokratischen Gremien mit VertreterInnen aller Bevölkerungsschichten.
  • Geld kommt nicht nur als (zinsfreier) Kredit an gemeinwohlorientierte Banken in Umlauf, sondern auch in geringem Umfang als „Schöpfungsgeschenk“ an den Staat, das sich dieser nicht mehr teuer gegen Zinsen ausleihen muss. Gleichzeitig wird den Geschäftsbanken jede weitere Geldschöpfung verboten („Vollgeld“-Ansatz nach Josef Huber).
  • Die demokratischen Zentralbanken könnten die Kontrolle über den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr – das so genannte Clearing – übernehmen. Das wäre das Ende von Steuerflucht, Zins-Arbitrage-Geschäften oder Ansteckung mit Instabilität durch finanziellen Giftmüllexport.
  • Die Zentralbanken könnten eine globale Währungskooperation mit stabilen Wechselkursen eingehen, wie es John Maynard Keynes schon 1944 in Bretton Woods vorgeschlagen, sich damit aber nicht durchgesetzt hatte.

Mitmachen

Die Gründungsvorbereitungen für die Demokratische Bank Österreich haben im Mai 2011 begonnen. Innerhalb weniger Wochen wuchs der Kreis der Mitarbeitswilligen auf mehrere hundert an. Es wurden acht Arbeitskreise eingerichtet, die sich im Koordinierungskreis abstimmen. Ein gemeinsamer Visionsprozess wurde im Februar abgeschlossen, es folgen der Strategieprozess und die Erstellung des Geschäftsplans. Die Einreichung bei der Finanzmarktaufsicht ist noch im Jahr 2011 geplant, die Genehmigung kann sechs bis zwölf Monate in Anspruch nehmen. Ziel ist, die Bank noch im Jahr 2012 zu starten.

Die Bank möchte von Beginn an flächendeckend präsent sein – Ziel ist eine Filiale in jedem Bundesland. Von dort aus könnten mobile AußendienstmitarbeiterInnen in die Betriebe, Haushalte und Bauernhöfe kommen, um die Kredite vor Ort zu vergeben. Die Regionalgruppen erheben schon jetzt die Bedürfnisse der zukünftigen KundInnen der Demokratischen Bank via Marktforschung. Das wiederum lässt sich gut mit der Sammlung des Gründungskapitals verbinden, von dem ein Teil für den Aufbau der regionalen Infrastruktur verwendet werden könnte.

Ab April werden Menschen aus dem In- und Ausland gesucht, die sich mit 1000 Euro am Gründungskapital der Bank beteiligen sowie mit einer Spende den Aufbau in den nächsten 1,5 Jahren finanzieren.

Die Demokratische Bank ist ein Strukturelement der „Gemeinwohl-Ökonomie“, eines alternativen Wirtschaftsmodells zu Kapitalismus und Kommunismus, das von einer wachsenden Gruppe von UnternehmerInnen ausgearbeitet wurde und bereits von rund 250 Unternehmen in sechs Staaten unterstützt wird. Mindestens 70 werden heuer die Gemeinwohl-Bilanz, das Herzstück des Modells, erstellen. Wer eine gute Gemeinwohl-Bilanz vorweisen kann, erhält bei der Demokratischen Bank einen günstigeren Kredit ...

--AKP-Redaktion 14:05, 11. Jan. 2013 (CET)

Quellen

  • Christian Felber ist freier Publizist, Universitätslektor und Mitbegründer von Attac Österreich. Letzte Buchveröffentlichung: „Die Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft.“

(aus AKP 3/2011, S. 39-41)

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