GA 331b und Existenzminimum: Unterschied zwischen den Seiten

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Das '''Existenzminimum''' umfasst jene Mittel, die zur Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse unerlässlich sind. Das ''physische Existenzminimum'' deckt dabei alle Bedürfnisse, die für das physische Überleben notwendig sind. Dazu zählen vor allem [[Nahrung]], [[Kleidung]], Wohnung und die medizinische Notversorgung. Das ''kulturelle'' bzw. ''soziokulturelle Existenzminimum'' soll darüber hinaus auch die geistig-kulturellen Mindestbedürfnisse befriedigen. Die Höhe des Existenzminimums ist in den verschiedenen [[Staat]]en gesetzlich unterschiedlich geregelt und ist von dem dort herrschenden [[Wikipedia:Lebensstandard|Lebensstandard]] und den allgemeinen [[wirtschaft]]lichen, [[recht]]lichen und [[kultur]]ellen Verhältnissen abhängig. Eine realistische und tragfähige Festlegung des Existenzminimums kann sich nach [[Rudolf Steiner]] nur aus den wirtschaftlichen Verhältnissen ergeben, insoferne sich dies auf das gründen, was Steiner als die [[Urzelle des Wirtschaftslebens]] bezeichnet hat. Das dabei realisierbare Existenzminimum ergibt sich dann nach Steiner aus der Grundrente, also dem volkswirtschaftlichen Wert des Grund und Bodens eines Territoriums, geteilt durch die Einwohnerzahl.
==  Kulturräte und Sozialisierung. Räteorganisation im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus ==


Dieser Band bildet die zweite Ergänzung zum bereits erschienenen Band 331 der Gesamtausgabe mit dem Titel «Betriebsräte und Sozialisierung», und 331a (Arbeiterräte).
{{GZ|Dasjenige, was man heute
ein Existenzminimum nennt, das ist noch immer auf das Lohnverhältnis
hin gedacht. Diese Art des Denkens, die wird beim selbständigen
Wirtschaftsleben nicht in derselben Weise stattfinden
können. Da wird die Frage reinlich aus dem Wirtschaftsleben heraus
gestellt werden müssen. Diese Frage wird sich dann so stellen,
daß der Mensch, indem er irgendeine Leistung vollbringt, indem er
irgend etwas hervorbringt, für diese Leistung so viel an anderen
Menschheitsleistungen durch Austausch wird zu bekommen haben,
als er nötig hat, um seine Bedürfnisse und die Bedürfnisse
derjenigen, die zu ihm gehören, zu befriedigen, bis er ein neues,
gleichartiges Produkt hervorgebracht hat. Dabei muß nur in Anrechnung
kommen all das, was der Mensch für seine Familie an
Arbeit und dergleichen zu leisten hat. Dann wird man eine gewisse,
ich möchte sagen Urzelle des Wirtschaftslebens finden. Und dasjenige,
was diese Urzelle des Wirtschaftslebens zu dem machen wird,
was eben den Menschen seine Bedürfnisse wird befriedigen lassen,
bis er ein gleichartiges, neues Produkt hervorbringt, das gilt für alle
Zweige des geistigen und materiellen Lebens. Das wird so zu ordnen
sein, daß die Assoziationen, die Koalitionen, die Genossenschaften
von der Art, wie ich sie vorhin dargestellt habe, zu sorgen
haben werden, daß diese Urzelle des Wirtschaftslebens bestehen
kann. Das heißt, daß ein jegliches Produkt im Vergleich mit anderen
Produkten denjenigen Wert hat, der gleichkommt den anderen
Produkten, die man braucht zu Befriedigung der Bedürfnisse bis
zur Herstellung eines neuen, gleichartigen Produkts. Daß diese
Urzelle des Wirtschaftslebens heute noch nicht besteht, das beruht
eben darauf, daß im Angebot und Nachfrage des heutigen Marktes
zusammenfließen Arbeit, Ware und Recht und daß diese drei
Gebiete in der Zukunft getrennt werden müssen im dreigeteilten,
gesunden sozialen Organismus.|337a|82f}}


=== Inhalt ===
{{GZ|Nicht wahr, man kann aus einer gewissen Lebenslage heraus sagen:
"Referate und Diskussionsvoten in Versammlungen
innerhalb dieser Lebenslage braucht der Mensch im Minimum so und
der Arbeiterräte Württembergs und anderer Arbeiterausschüssen
so viel an Werten - also sagen wir, an Geld, weil wir schon einmal die
sowie in Versammlungen des
Werte in Geld umgesetzt haben -, um sein Leben versorgen zu können.
Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus
Man kann von einem Existenzminimum reden in einer bestimmten
zur Begründung von Kulturräten in Stuttgart
Lebenslage. Aber man kann von diesem Existenzminimum so
zwischen 7. Mai 1919 und 22. März 1921
reden, daß man auf der einen Seite etwas scheinbar höchst Selbstverständliches
Dieser Band schließt an die unter GA 331 veröffentlichte
und auf der anderen Seite einen völligen Unsinn sagt. Das
Dokumentation über Betriebsräte
will ich Ihnen an einem Beispiel versuchen, klarzumachen.
und Sozialisierung an. Rudolf Steiner stand
Wenn Sie die gegebenen Lebensverhältnisse auf irgendeinem Territorium
der Rätebewegung nahe, sah er doch in den
nehmen, so können Sie vielleicht schon aus der Empfindung
Bemühungen, von der Basis her die wirtschaftlichen,
heraus, aus der instinktiven Empfindung heraus sagen: Derjenige, der
rechtlichen und kulturellen Angelegenheiten
einfach arbeitet, handarbeitet, der braucht so und so viel als Existenzminimum,
zu gestalten als ein für die Umsetzung
sonst kann er nicht leben in dieser Gemeinschaft. Das kann
der Dreigliederung förderliches System. Seine
ein scheinbar ganz selbstverständlicher Gedanke sein. Aber bedenken
Hoffnung ging auf die Etablierung von Kulturräten,
Sie, mag der Gedanke auch noch so selbstverständlich sein, wenn er
durch die es erst zu einer Erneuerung des
aber so, wie Sie ihn ausdenken müssen, nach den Voraussetzungen,
Geisteslebens kommen könne. Die versammelten
die ich eben angegeben habe, sich nicht verwirklichen läßt innerhalb
Vorträge, Besprechungsnotizen, ergänzt durch
des sozialen Organismus, in dem irgend jemand lebt; wenn ihn zu verwirklichen
Eintragungen aus Rudolf Steiners Notizbüchern,
eine Unmöglichkeit ist - was dann? Das ist es, was Sie sich
bieten reiches Quellenmaterial, sorgfältig ediert
vor allen Dingen beantworten müssen: was dann, wenn das zu verwirklichen
und ausführlich kommentiert. Die Lektüre vermittelt,
unmöglich ist?
wie intensiv sich Rudolf Steiner damals
 
engagiert hat, wie anfänglich auch weit über die
Es ist das eben, wenn man so überlegt, wie ich es jetzt eben dargestellt
anthroposophischen Betriebe hinaus seine neuen Ideen mit großem Interesse aufgenommen wurden.
habe, nicht ein primärer Gedanke. Man geht nicht an die fundamentalen
Deutlich wird aber auch, wie der enge Geist
Dinge zurück, sondern man knüpft an etwas Sekundäres an,
des Parteienwesens schließlich die Relevanz dieser
an etwas, was bloß eine Folgeerscheinung ist. Man muß immer in der
Bewegung zurückdrängte. Abgesehen vom historischen
Lage sein, zu seinem sozialen Verständnis an die fundamentalen Dinge
Wert dieses spannenden Bandes zeigt
anzuknüpfen. So ist eine fundamentale Sache, daß man sich eine Ansicht
der Blick auf die Gegenwart, wie sich Einiges
verschaffen kann, eine lebenfördernde Ansicht, wie gerade nach
von der damaligen Zeit zu wiederholen scheint.
den Lebensbedingungen des sozialen Organismus das Existenzminimum
Neue Kräfte von unten beginnen sich zu regen,
sein kann; und mit Leben-fordernd meine ich in diesem Falle
die sich der Allmacht der Kapitals und seiner
eine solche Ansicht, daß eine mögliche soziale Lage und ein mögliches
ungezügelten Dynamik entgegenstemmen. Eine
soziales Zusammenleben der Menschen daraus folgt. Das ist das Primäre.
Situation, die nach Ideen ruft." (Verlagsangabe)
Und nun kommt man da allerdings auf gewisse Vorstellungen,
die der heutigen Menschheit zum großen Teil recht unbequem sind,
weil versäumt worden ist in den letzten Jahrhunderten, die primitive
Schulbildung, die auf solche Dinge hingehen soll, nach solchen Dingen
wirklich hinzuleiten. Es dürfte heute schon bald den Menschen
klarwerden, daß man nicht bloß wissen soll, um ein halbwegs gebildeter
Mensch zu sein, daß drei mal neun siebenundzwanzig ist, sondern
daß man auch wissen sollte, was denn eigentlich zum Beispiel das
Ding ist, das man «Grundrente» nennt. Nun frage ich Sie, wieviele
Menschen heute eine deutliche Vorstellung haben von dem, was Grundrente
ist. Ohne aber den sozialen Organismus in bezug auf solche
Dinge zu überblicken, läßt sich überhaupt eine gedeihliche Fortentwickelung
der Menschheit nicht herbeiführen.
 
Diese Dinge sind allmählich in große Verwirrung gekommen. Und
die verworrenen Verhältnisse, die führen heute die Menschen zu ihren
Vorstellungen, nicht dasjenige, was wahre Verhältnisse auf diesem
Gebiete sind. Sehen Sie, die Grundrente, die man irgendwie bewerten
kann nach der Produktivität, die auf irgendeinem Territorium ein
Stück Boden hat, diese Grundrente, die ergibt nun, sagen wir, eine
bestimmte Summe für ein staatlich begrenztes Territorium. Der Boden ist nach seiner Produktivität, das heißt, nach der Art oder nach
dem Grade der rationellen Ausnützung gegenüber der Gesamtwirtschaft
so und so viel wert. Für die Menschen ist es heute sehr schwierig,
diesen einfachen Bodenwert in klaren Begriffen zu denken, weil
sich im heutigen kapitalistischen Wirtschaftsleben der Kapitalzins
oder das Kapital überhaupt konfundiert hat mit der Bodenrente, weil
der wirkliche volkswirtschaftliche Wert der Bodenrente zu einem
Truggebilde gemacht worden ist durch das Hypothekenrecht, durch
das Pfandbriefwesen, durch das Obligationenwesen und dergleichen.
Dadurch ist alles im Grunde genommen in unmögliche, unwahre Vorstellungen
hineingetrieben worden. Es ist natürlich nicht möglich, im
Handumdrehen wirklich eine Vorstellung von dem zu bekommen,
was eigentlich Grundrente ist. Aber denken Sie einfach als Grundrente
den volkswirtschaftlichen Wert des Grund und Bodens eines
Territoriums, des Grund und Bodens als solchem, aber mit Bezug auf
seine Produktivität. Nun besteht ein notwendiges Verhältnis zwischen
dieser Grundrente und dem, was ich vorhin als Existenzminimum des
Menschen angegeben habe. Nicht wahr, es gibt heute manche Sozialreformer
und Sozialrevolutionäre, die träumen von einer Abschaffung
der Grundrente überhaupt, die glauben, daß zum Beispiel die Grundrente
abgeschafft ist, wenn man den gesamten Grund und Boden, wie
sie sagen, verstaatlicht oder vergesellschaftet. Dadurch, daß man
etwas in eine andere Form bringt, ist aber die Sache nicht abgeschafft.
Ob nun die ganze Gemeinschaft den Grund und Boden besitzt, oder
ob ihn so und so viele besitzen, das ändert gar nicht das Vorhandensein
der Grundrente. Sie maskiert sich nur, sie nimmt andere Formen
an. Grundrente so definiert, wie ich es vorhin definiert habe, ist eben
immer da. Wenn Sie auf einem bestimmten Territorium die Grundrente
nehmen, sie dividieren durch die Einwohnerzahl des betreffenden
Territoriums, so bekommen Sie einen Quotienten heraus, und
dieser Quotient ergibt das allein mögliche Existenzminimum. Das ist
ein Gesetz, das, wie meinetwillen das Boyle-Mariottesche Gesetz in
der Physik ein ganz bestimmtes Gesetz ist, das nicht anders sein kann.
Das ist aber eine primäre Tatsache, das ist etwas Fundamentales, daß
eigentlich niemand in Wirklichkeit mehr verdient in irgendeinem sozialen Organismus, als die gesamte Grundrente dividiert durch die Einwohnerzahl.
 
Was sonst mehr verdient wird, wird verdient durch Koalitionen
und durch Assoziationen, wodurch Verhältnisse geschaffen
werden, durch die auf eine Persönlichkeit mehr Werte kommen als auf
die andere Persönlichkeit. Aber wahrhaftig, in den mobilen Besitz
eines einzigen Menschen übergehen kann gar nichts mehr als dasjenige,
was ich jetzt bezeichnete. Und aus diesem Minimum, das überall
wirklich existiert, wenn auch die realen Verhältnisse es zudecken,
geht alles wirtschaftliche Leben, insofern dieses wirtschaftliche Leben
sich bezieht auf dasjenige, was man als einzelner an mobilem Besitz
hat, hervor. Von dieser fundamentalen Tatsache muß ausgegangen
werden.|189|35ff}}


== Literatur ==
== Literatur ==
#Rudolf Steiner: ''Kulturräte und Sozialisierung. Räteorganisation im Sinne der Dreigliederung des sozialen Organismus'', [[GA 331b]] (2012), ISBN 978-3-7274-3315-3 <!--{{Vorträge|331b}}--> ;vergriffen oder noch nicht erschienen, kein pdf verfügbar
 
#Rudolf Steiner: ''Die soziale Frage als Bewußtseinsfrage'', [[GA 189]] (1980), ISBN 3-7274-1890-7 {{Vorträge|189}}
#Rudolf Steiner: ''Soziale Ideen – Soziale Wirklichkeit – Soziale Praxis. Band I: Frage- und Studienabende des Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus in Stuttgart'', [[GA 337a]] (1999), ISBN 3-7274-3371-X {{Vorträge|337a}}


{{GA}}
{{GA}}


[[Kategorie:GA]] [[Kategorie:GA (Dreigliederung)]] [[Kategorie:Gesamtausgabe]]
[[Kategorie:Soziales Leben]]

Version vom 28. Dezember 2015, 19:06 Uhr

Das Existenzminimum umfasst jene Mittel, die zur Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse unerlässlich sind. Das physische Existenzminimum deckt dabei alle Bedürfnisse, die für das physische Überleben notwendig sind. Dazu zählen vor allem Nahrung, Kleidung, Wohnung und die medizinische Notversorgung. Das kulturelle bzw. soziokulturelle Existenzminimum soll darüber hinaus auch die geistig-kulturellen Mindestbedürfnisse befriedigen. Die Höhe des Existenzminimums ist in den verschiedenen Staaten gesetzlich unterschiedlich geregelt und ist von dem dort herrschenden Lebensstandard und den allgemeinen wirtschaftlichen, rechtlichen und kulturellen Verhältnissen abhängig. Eine realistische und tragfähige Festlegung des Existenzminimums kann sich nach Rudolf Steiner nur aus den wirtschaftlichen Verhältnissen ergeben, insoferne sich dies auf das gründen, was Steiner als die Urzelle des Wirtschaftslebens bezeichnet hat. Das dabei realisierbare Existenzminimum ergibt sich dann nach Steiner aus der Grundrente, also dem volkswirtschaftlichen Wert des Grund und Bodens eines Territoriums, geteilt durch die Einwohnerzahl.

„Dasjenige, was man heute ein Existenzminimum nennt, das ist noch immer auf das Lohnverhältnis hin gedacht. Diese Art des Denkens, die wird beim selbständigen Wirtschaftsleben nicht in derselben Weise stattfinden können. Da wird die Frage reinlich aus dem Wirtschaftsleben heraus gestellt werden müssen. Diese Frage wird sich dann so stellen, daß der Mensch, indem er irgendeine Leistung vollbringt, indem er irgend etwas hervorbringt, für diese Leistung so viel an anderen Menschheitsleistungen durch Austausch wird zu bekommen haben, als er nötig hat, um seine Bedürfnisse und die Bedürfnisse derjenigen, die zu ihm gehören, zu befriedigen, bis er ein neues, gleichartiges Produkt hervorgebracht hat. Dabei muß nur in Anrechnung kommen all das, was der Mensch für seine Familie an Arbeit und dergleichen zu leisten hat. Dann wird man eine gewisse, ich möchte sagen Urzelle des Wirtschaftslebens finden. Und dasjenige, was diese Urzelle des Wirtschaftslebens zu dem machen wird, was eben den Menschen seine Bedürfnisse wird befriedigen lassen, bis er ein gleichartiges, neues Produkt hervorbringt, das gilt für alle Zweige des geistigen und materiellen Lebens. Das wird so zu ordnen sein, daß die Assoziationen, die Koalitionen, die Genossenschaften von der Art, wie ich sie vorhin dargestellt habe, zu sorgen haben werden, daß diese Urzelle des Wirtschaftslebens bestehen kann. Das heißt, daß ein jegliches Produkt im Vergleich mit anderen Produkten denjenigen Wert hat, der gleichkommt den anderen Produkten, die man braucht zu Befriedigung der Bedürfnisse bis zur Herstellung eines neuen, gleichartigen Produkts. Daß diese Urzelle des Wirtschaftslebens heute noch nicht besteht, das beruht eben darauf, daß im Angebot und Nachfrage des heutigen Marktes zusammenfließen Arbeit, Ware und Recht und daß diese drei Gebiete in der Zukunft getrennt werden müssen im dreigeteilten, gesunden sozialen Organismus.“ (Lit.:GA 337a, S. 82f)

„Nicht wahr, man kann aus einer gewissen Lebenslage heraus sagen: innerhalb dieser Lebenslage braucht der Mensch im Minimum so und so viel an Werten - also sagen wir, an Geld, weil wir schon einmal die Werte in Geld umgesetzt haben -, um sein Leben versorgen zu können. Man kann von einem Existenzminimum reden in einer bestimmten Lebenslage. Aber man kann von diesem Existenzminimum so reden, daß man auf der einen Seite etwas scheinbar höchst Selbstverständliches und auf der anderen Seite einen völligen Unsinn sagt. Das will ich Ihnen an einem Beispiel versuchen, klarzumachen. Wenn Sie die gegebenen Lebensverhältnisse auf irgendeinem Territorium nehmen, so können Sie vielleicht schon aus der Empfindung heraus, aus der instinktiven Empfindung heraus sagen: Derjenige, der einfach arbeitet, handarbeitet, der braucht so und so viel als Existenzminimum, sonst kann er nicht leben in dieser Gemeinschaft. Das kann ein scheinbar ganz selbstverständlicher Gedanke sein. Aber bedenken Sie, mag der Gedanke auch noch so selbstverständlich sein, wenn er aber so, wie Sie ihn ausdenken müssen, nach den Voraussetzungen, die ich eben angegeben habe, sich nicht verwirklichen läßt innerhalb des sozialen Organismus, in dem irgend jemand lebt; wenn ihn zu verwirklichen eine Unmöglichkeit ist - was dann? Das ist es, was Sie sich vor allen Dingen beantworten müssen: was dann, wenn das zu verwirklichen unmöglich ist?

Es ist das eben, wenn man so überlegt, wie ich es jetzt eben dargestellt habe, nicht ein primärer Gedanke. Man geht nicht an die fundamentalen Dinge zurück, sondern man knüpft an etwas Sekundäres an, an etwas, was bloß eine Folgeerscheinung ist. Man muß immer in der Lage sein, zu seinem sozialen Verständnis an die fundamentalen Dinge anzuknüpfen. So ist eine fundamentale Sache, daß man sich eine Ansicht verschaffen kann, eine lebenfördernde Ansicht, wie gerade nach den Lebensbedingungen des sozialen Organismus das Existenzminimum sein kann; und mit Leben-fordernd meine ich in diesem Falle eine solche Ansicht, daß eine mögliche soziale Lage und ein mögliches soziales Zusammenleben der Menschen daraus folgt. Das ist das Primäre. Und nun kommt man da allerdings auf gewisse Vorstellungen, die der heutigen Menschheit zum großen Teil recht unbequem sind, weil versäumt worden ist in den letzten Jahrhunderten, die primitive Schulbildung, die auf solche Dinge hingehen soll, nach solchen Dingen wirklich hinzuleiten. Es dürfte heute schon bald den Menschen klarwerden, daß man nicht bloß wissen soll, um ein halbwegs gebildeter Mensch zu sein, daß drei mal neun siebenundzwanzig ist, sondern daß man auch wissen sollte, was denn eigentlich zum Beispiel das Ding ist, das man «Grundrente» nennt. Nun frage ich Sie, wieviele Menschen heute eine deutliche Vorstellung haben von dem, was Grundrente ist. Ohne aber den sozialen Organismus in bezug auf solche Dinge zu überblicken, läßt sich überhaupt eine gedeihliche Fortentwickelung der Menschheit nicht herbeiführen.

Diese Dinge sind allmählich in große Verwirrung gekommen. Und die verworrenen Verhältnisse, die führen heute die Menschen zu ihren Vorstellungen, nicht dasjenige, was wahre Verhältnisse auf diesem Gebiete sind. Sehen Sie, die Grundrente, die man irgendwie bewerten kann nach der Produktivität, die auf irgendeinem Territorium ein Stück Boden hat, diese Grundrente, die ergibt nun, sagen wir, eine bestimmte Summe für ein staatlich begrenztes Territorium. Der Boden ist nach seiner Produktivität, das heißt, nach der Art oder nach dem Grade der rationellen Ausnützung gegenüber der Gesamtwirtschaft so und so viel wert. Für die Menschen ist es heute sehr schwierig, diesen einfachen Bodenwert in klaren Begriffen zu denken, weil sich im heutigen kapitalistischen Wirtschaftsleben der Kapitalzins oder das Kapital überhaupt konfundiert hat mit der Bodenrente, weil der wirkliche volkswirtschaftliche Wert der Bodenrente zu einem Truggebilde gemacht worden ist durch das Hypothekenrecht, durch das Pfandbriefwesen, durch das Obligationenwesen und dergleichen. Dadurch ist alles im Grunde genommen in unmögliche, unwahre Vorstellungen hineingetrieben worden. Es ist natürlich nicht möglich, im Handumdrehen wirklich eine Vorstellung von dem zu bekommen, was eigentlich Grundrente ist. Aber denken Sie einfach als Grundrente den volkswirtschaftlichen Wert des Grund und Bodens eines Territoriums, des Grund und Bodens als solchem, aber mit Bezug auf seine Produktivität. Nun besteht ein notwendiges Verhältnis zwischen dieser Grundrente und dem, was ich vorhin als Existenzminimum des Menschen angegeben habe. Nicht wahr, es gibt heute manche Sozialreformer und Sozialrevolutionäre, die träumen von einer Abschaffung der Grundrente überhaupt, die glauben, daß zum Beispiel die Grundrente abgeschafft ist, wenn man den gesamten Grund und Boden, wie sie sagen, verstaatlicht oder vergesellschaftet. Dadurch, daß man etwas in eine andere Form bringt, ist aber die Sache nicht abgeschafft. Ob nun die ganze Gemeinschaft den Grund und Boden besitzt, oder ob ihn so und so viele besitzen, das ändert gar nicht das Vorhandensein der Grundrente. Sie maskiert sich nur, sie nimmt andere Formen an. Grundrente so definiert, wie ich es vorhin definiert habe, ist eben immer da. Wenn Sie auf einem bestimmten Territorium die Grundrente nehmen, sie dividieren durch die Einwohnerzahl des betreffenden Territoriums, so bekommen Sie einen Quotienten heraus, und dieser Quotient ergibt das allein mögliche Existenzminimum. Das ist ein Gesetz, das, wie meinetwillen das Boyle-Mariottesche Gesetz in der Physik ein ganz bestimmtes Gesetz ist, das nicht anders sein kann. Das ist aber eine primäre Tatsache, das ist etwas Fundamentales, daß eigentlich niemand in Wirklichkeit mehr verdient in irgendeinem sozialen Organismus, als die gesamte Grundrente dividiert durch die Einwohnerzahl.

Was sonst mehr verdient wird, wird verdient durch Koalitionen und durch Assoziationen, wodurch Verhältnisse geschaffen werden, durch die auf eine Persönlichkeit mehr Werte kommen als auf die andere Persönlichkeit. Aber wahrhaftig, in den mobilen Besitz eines einzigen Menschen übergehen kann gar nichts mehr als dasjenige, was ich jetzt bezeichnete. Und aus diesem Minimum, das überall wirklich existiert, wenn auch die realen Verhältnisse es zudecken, geht alles wirtschaftliche Leben, insofern dieses wirtschaftliche Leben sich bezieht auf dasjenige, was man als einzelner an mobilem Besitz hat, hervor. Von dieser fundamentalen Tatsache muß ausgegangen werden.“ (Lit.:GA 189, S. 35ff)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Die soziale Frage als Bewußtseinsfrage, GA 189 (1980), ISBN 3-7274-1890-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Soziale Ideen – Soziale Wirklichkeit – Soziale Praxis. Band I: Frage- und Studienabende des Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus in Stuttgart, GA 337a (1999), ISBN 3-7274-3371-X pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.