Strafe

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Die Strafe (mhd. strāfe = „Tadel“, „Züchtigung“) für begangene Verfehlungen ist nur sinnvoll, wenn sie das Bewusstsein wecken und den Willen zur Besserung entzünden.

Rechtsleben

"Nun hat man über die Gründe, warum gestraft werden soll, viele Theorien aufgestellt. Die einzig mögliche findet man nur, wenn man weiß, daß es sich darum handelt, mit der Strafe die Kräfte der Seele so anzuspannen, daß das Bewußtsein sich erweitert über Kreise, über die es sich vorher nicht erstreckt hat. Und dies ist auch die Aufgabe der Reue. Die Reue soll gerade darinnen bestehen, die Tat so anzuschauen, daß sie durch ihre Gewalt ins Bewußtsein heraufgehoben wird, so daß das Bewußtsein nun den Zusammenhang so überschaut, daß es das nächste Mal nicht wiederum ausgeschaltet werden kann." (Lit.: GA 166, S. 88)

Die Notwendigkeit von Strafen, wie sie das Strafrecht fordert, liegt nach Rudolf Steiner letztlich in unsozialen Zuständen begründet.

"Es ist tatsächlich der Gedanke des Strafens einer der allerschwierigsten, und alle möglichen Antworten sind im Laufe der geschichtlichen Betrachtung gerade auf diese Frage gegeben worden. Auf einem solchen Boden, aus dem Ideen hervorgehen wie die der Dreigliederung des sozialen Organismus, ergeben sich auch gewisse Konsequenzen, die sich auf einem anderen Boden nicht ergeben. Alles einzelne, was innerhalb einer sozialen Ordnung geschieht, ist im Grunde genommen doch eine Konsequenz der ganzen sozialen Ordnung. So wie jedes Stück Brot, das ich erwerben kann, mit seinem Preis eine Konsequenz der ganzen sozialen Ordnung ist, so sind auch die Antriebe beim Strafen in der ganzen Struktur des sozialen Organismus drinnen begründet. Und gerade an dem Umstände, daß Strafen notwendig werden, gerade darinnen zeigt sich, daß im ganzen sozialen Organismus etwas ist, was eigentlich nicht drinnen sein soll. "Wenn man, ich sage jetzt nicht, den dreigliederigen sozialen Organismus als solchen vertritt, sondern überhaupt aus solchen Impulsen eine praktische Weltanschauung entwickelt, aus der heraus man die Idee vom dreigliederigen sozialen Organismus gewinnt, dann ergibt sich eigentlich die Anschauung, daß man allerdings mit Bezug auf Strafe und Strafvollzug zu anderen Dingen kommen wird, und die Notwendigkeit des Strafens wird viel weniger eintreten, wenn solche Dinge sozial wirklich sind, wie sie zum Beispiel gerade in dem heutigen Vortrage gefordert worden sind. Das Strafrecht, das wie der Schatten eigentlich unsoziale Zustände begleitet, wird in sozialen Zuständen auf ein Minimum herunter reduziert werden können. Daher werden die Fragen, die heute auftauchen gegenüber dem Strafrecht, ob es ein Überbleibsel ist und dergleichen, auf einen ganz neuen Boden gestellt werden, wenn eine solche Umwälzung wirklich geschieht. Ich möchte sagen: Wenn der Mensch krank ist, so tut er gewisse Dinge; wenn er gesund ist, tut er andere Dinge. So ist es auch hier. Es weist hin die Notwendigkeit, zu strafen, auf gewisse Krankheitssymptome innerhalb des ganzen sozialen Organismus." (Lit.: GA 332a, S. 107)

Pädagogik

Strafen - bis hin zu schweren Prügelstrafen - waren in der Pädagogik jahrhundertelang ein weitgehend unumstrittenes Mittel der Erziehung. Erst in den letzten Jahrzehnten hat in der westlichen Erziehungswissenschaft ein Umdenkprozess begonnen. Statt von Strafen spricht man nun von „Konsequenzen“, bei denen der Zusammenhang mit der begangenen Verfehlung klar nachvollziehbar sein soll und die soweit als möglich auf Wiedergutmachung ausgerichtet sind. Wirksam ist dabei vor allem die Konsequenz, die Unnachgiebigkeit, mit der die „Konsequenzen“ unermüdlich eingefordert werden, was eine entsprechende Selbstdisziplin und Selbsterziehung des Erziehers erfordert. Nur so können allmählich gute Gewohnheiten im Ätherleib verankert werden.

"Es muß unter allen Umständen vermieden werden, irgendeine Strafe zu geben, wobei man nachgeben muß. Man darf in einer disziplinarischen Maßregel absolut nicht nachzugeben brauchen." (Lit.: GA 300a, S. 159)

Die erteilten Sanktionen dienen der Heilung störender Einflüsse im Trieb- und Empfindungsleib, die sonst das Kind in seiner Entwicklung behindern. Das ist nur möglich, wenn der Erzieher seine eigenen Emotionen vollkommen im Zaum zu halten vermag. Niemals darf der Erzieher Sanktionen im Zorn erteilen, sondern nur in voller Besonnenheit. Vor allem aber kommt es darauf an, dass sich der Erzieher durch sein alltägliches liebevolles Interesse bestrebt, das Wesen des Kindes, seine ganz besondere, einzigartige Individualität kennenzulernen. Nur daraus ergeben sich die Intuitionen, wie im besonderen Fall zu handeln ist.

"Im Leben zeigt sich gerade das falsche Materialistische der Erziehung dann, wenn der Mensch nicht kann in sich sein ewiges Teil spüren, einfach innerlich erfahren. Er wird es erfahren, wie der Tod ein Ereignis ist im Leben, nicht ein Ende des Lebens, wenn er nur methodisch richtig erzogen wird, das heißt, wenn die Grundsätze der Erziehung abgelesen werden aus der Menschennatur selber. Dann aber kommt man dazu, das ganze Verhältnis des Erziehers zum Kinde, zum späteren jungen Menschen so aufzufassen, daß man weiß: da wirkt nicht bloß die Äußerlichkeit, da wirken eben - für das ganz kleine Kind habe ich das schon erörtert - Imponderabilien, da wirkt Unwägbares und Unanschaubares.

Das muß man berücksichtigen, wenn es sich um so etwas handelt, wie da auch bei einer Frage gesagt worden ist, um die Strafe als Erziehungsmittel. Nicht wahr, da kann es sich nicht wiederum darum handeln: soll man strafen oder soll man nicht strafen. Wie will man gewissen Dingen, die die Kinder ausfressen, beikommen, wenn man etwa die Strafen ganz abstellt? Das ist eine, ich möchte sagen, ganz individuelle Frage, ob man strafen soll oder nicht. Es gibt Kinder, denen kommt man mit ganz etwas anderem bei als mit Strafe, und es gibt Kinder, denen kommt man überhaupt nicht bei ohne Strafe. Nur wird immer die Art des Strafens schon ein wenig abhängen davon, ob der Lehrer dieses oder jenes Temperament hat. Man muß sich klar darüber sein, daß man es mit Menschen zu tun hat, nicht mit Schnitzereien eines Bildhauers; man muß ihre Wesenheit berücksichtigen. Aber auch die Kinder müssen da berücksichtigt werden. Und man braucht eigentlich gar nicht so viel zu reden, ob manchmal ein Klaps mehr oder weniger verabreicht werden soll. Da kommt das Wie viel mehr in Betracht als das Was. Alles handelt sich darum, daß nur eine Strafe, die verhängt wird in voller Besonnenheit, in voller innerer Ruhe des Lehrers, eigentlich wirkt, wahrend, wenn sie erteilt wird aus der Zornmütigkeit des Lehrers heraus, sie gar nicht wirken kann. Da kann der Lehrer durch Selbsterziehung natürlich ungeheuer viel machen. Sonst kann es so kommen, daß, wenn ein Kind einen Klecks gemacht hat, der Lehrer wütend wird und das Nachbarkind anfängt auszuzanken, das auch über dieses Kind wütend geworden ist: Du sollst nicht gleich wütend werden! - Da sagt das Kind: Es werden ja auch erwachsene Menschen wütend, wenn ihnen Unannehmlichkeiten begegnen. - Sagt der Lehrer: Wütend darfst du nicht werden, sonst schmeiße ich dir das Tintenfaß an den Kopf. - Wenn in dieser Weise gestraft wird aus der Zornmütigkeit heraus, dann kommt endlich auch das zustande, was einmal in einer Erziehung da war: Eine Erzieherin kam unter ihre zu erziehenden Kinder, die ein mäßiges Alter noch hatten. Die Kinder spielten. Die Erzieherin sagte: Aber was macht ihr da für einen Krakeel, was treibt ihr da, warum seid ihr denn so laut, warum schreit ihr denn so viel? - Bis dann ein Kind sich aufraffte und sagte: Sie sind ja die einzige, die schreit. - Es kommt durchaus darauf an, daß die Seelenverfassung des Strafenden, des Ermahnenden im Strafen und im Ermahnen die allergrößte Rolle spielt. Daher kann sogar die Vorsicht angewendet werden, wenn das Kind etwas ausgefressen hat: zunächst es ignorieren vor dem Kinde, eine Nacht darüber schlafen. Am nächsten Tage wird die Sache vorgenommen. Dann ist bei dem Erzieher mindestens die nötige innere Ruhe eingetreten. Da wird - ob eine Ermahnung oder eine Strafe eintreten soll - unter allen Umständen eine richtigere Wirkung erzielt werden, als wenn die Sache in Zornmütigkeit erledigt worden wäre. Gewiß, auch das hat seine Schattenseiten, aber man muß bei den Dingen abwägen und nicht in Einseitigkeit verfallen." (Lit.: GA 309, S. 82ff)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Notwendigkeit und Freiheit im Weltengeschehen und im menschlichen Handeln, GA 166 (1982), ISBN 3-7274-1660-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Konferenzen mit den Lehrern der Freien Waldorfschule 1919 bis 1924, GA 300 a-c (1995), ISBN 3-7274-3000-1 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Anthroposophische Pädagogik und ihre Voraussetzungen, GA 309 (1981), ISBN 3-7274-3090-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  4. Rudolf Steiner: Soziale Zukunft, GA 332a (1977), ISBN 3-7274-3325-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org