Humane Marktwirtschaft

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Die Humane Marktwirtschaft ist eine Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft. Sie stellt den Menschen in einem ganzheitlichen Ansatz in den Mittelpunkt aller wirtschaftlichen Aktivitäten und Betrachtungen. Dieses am Menschen orientierte Wirtschaftsmodell fokussiert weniger auf den Sozialausgleich am Ende des Marktprozesses, sondern auf

  • Bildung, Aus- und Weiterbildung der Menschen zu gleichberechtigten und eigenverantwortlichen Akteuren in Wirtschaft und Gesellschaft,
  • Schaffung und Sicherstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen für Menschen und Unternehmen als Marktteilnehmer, gemäß den Erkenntnissen der Freiburger Schule
  • Nachhaltiges Wirtschaften mit Ressourcenschonung und stärkerer Berücksichtigung von Umweltbelangen sowie Wirkungszusammenhängen und Interaktionen zwischen Gesellschaft, Unternehmen, Mensch und Umwelt, gemäß der Human-Ökologie und
  • Weniger Denken und Handeln in rein quantitativen Kategorien des Geld-Ökonomismus sowie Turbo-Kapitalismus, sondern Umdenken in Richtung einer an den wahren Bedürfnissen der Menschen orientierten Wirtschaftsweise mit qualitativem Wachstum und Verteilungs- sowie Generationengerechtigkeit.

Wurzeln der Humanen Marktwirtschaft

Wurzeln der „Humanen Marktwirtschaft“ sind der Humanismus z. B. eines (Erasmus von Rotterdam), der Ordo-Liberalismus der Freiburger Schule, (Walter Eucken, Franz Böhm), die christliche Soziallehre (Oswald von Nell-Breuning) sowie die auf diesen Elementen aufbauende, von Alfred Müller-Armack begrifflich geprägte und von Ludwig Erhard in die Politik umgesetzte, ursprüngliche Soziale Marktwirtschaft. Zusätzlich müssen Antworten auf neue Herausforderungen unserer Zeit, wie z. B. Globalisierung, Umwelt, Generationengerechtigkeit und demographische Entwicklung gefunden werden. Ziel dieses Wirtschaftsmodells ist, Menschen faire Lebenschancen und Freiheitsspielräume in Eigenverantwortung zu eröffnen sowie Menschen, Wirtschaft und Gesellschaft mit den Prinzipien der Freiheit, Nachhaltigkeit, Eigenverantwortung und Solidarität ein Leitbild zu schaffen.

Säulen

Schon Ludwig Erhard warnte 1963 vor den Fehlentwicklungen in der Sozialen Marktwirtschaft. Diese haben zu einer Überdehnung der Sozialsysteme geführt und gleichzeitig durch übermäßigen Abbau von Marktregulierungen und Aushöhlung der Grundsätze des Ordoliberalismus die Verschuldung Deutschlands mit derzeit (2011) rund 2 Billionen Euro dramatisch erhöht. Seit 1950 verdoppeln sich die deutschen Verbindlichkeiten statistisch alle 7,5 Jahre. Das hat zu einem „Pumpkapitalismus“ (Ralf Dahrendorf) geführt, der bereits ganze Staaten an den wirtschaftlichen Abgrund geführt hat. Durch Schwächung des Mittelstands und immer größerer Spreizung zwischen Reich und Arm droht langfristig auch eine Destabilisierung der Gesellschaft und damit Gefährdung der Demokratie.

Bildung

Gute Bildung ist Schlüssel und Voraussetzung für Lebenschancen, Freiheitsspielräume und ein menschenwürdiges Leben. Ein Umdenken der Politik vom „Wohlfahrtsstaatlichen Denken und Handeln“ am Ende des Markt-Prozesses (Reparaturfunktion für Ergebnisgerechtigkeit) zu einer massiven Steigerung finanzieller Mittel für Bildung, Aus- und Weiterbildung der Akteure des Marktprozesses (Investition in Chancengerechtigkeit) ist zentrale Aufgabe des Staates und somit Schlüssel für individuellen Erfolg und Wohlergehen in Wirtschaft und Gesellschaft. „Bildung ist Bürgerrecht“. Ralf Dahrendorf

Ordnungsrahmen

Ordnungspolitik im Sinne der Freiburger Schule dient der Schaffung und Sicherung einer funktionsfähigen und menschenwürdigen Ordnung für Wirtschaft, Gesellschaft und Staat. Das bedingt einen starken Staat, der über den Einzelinteressen steht und den Ordnungsrahmen für den Leistungswettbewerb vorgibt sowie Monopole, Oligopole und ungerechtfertigte Vorteile von Sonder- und Partikularinteressen verhindert. Innerhalb dieses Ordnungsrahmens – vom Staat überwacht und Verstöße sanktioniert – räumt eine humane Marktwirtschaft den Menschen und Unternehmen möglichst große Freiheitsspielräume ein. Chancen und Gewinne müssen entsprechende Risiken und Haftungen gegenüberstehen.

Wertelandschaft

Der Marktprozess vollzieht sich nicht im wertfreien Raum. Neben dem Regelwerk des Ordoliberalismus kommt Ethik und Moral eine weitere Schlüsselrolle zu. Humanität, Solidarität und Eigenverantwortung, basierend auf dem liberalen Ideal eines mündigen und selbstbestimmten Menschen, sind wesentliche Prinzipien dieses ethisch orientierten Wirtschaftsmodells. Ihnen kommt laut „State of the Future“ des „Millennium Projects“ die Schlüsselrolle der zukünftigen globalen Ökonomie zu. Gut geführte Familienunternehmen mit dem Leitbild des ehrbaren Kaufmanns gelten als Prototyp einer gelebten humanen Marktwirtschaft.

Humanismus und Menschenbild

Das Modell geht vom humanistischen Menschenbild aus: Der Mensch ist im Grunde gut, muss aber ganzheitlich mit allen Stärken und Schwächen gesehen werden und kann nicht auf einen nur auf kurzfristigen Erfolg und Profit fixierten Homo oeconomicus reduziert werden. Das Recht auf Freiheit im Wirtschaftsprozeß muss gepaart sein mit der Verpflichtung in § 14 des Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet...“. Humane Marktwirtschaft bedingt nachhaltiges Wirtschaften und Verantwortung für Mitwelt, Umwelt und Nachwelt. Der Mensch darf also nicht nur als Individuum gesehen werden, sondern auch in seiner sozialen und gesellschaftlichen Bezogenheit. Mit entsprechender Ausbildung ist er fähig und bestrebt, sein Leben selbst zu bestimmen (Autonomie) und ihm Sinn und Ziel zu geben.

Die Humane Marktwirtschaft versucht auf Walter Eucken’s Frage, „Wie kann der modernen industrialisierten Wirtschaft eine funktionsfähige und menschenwürdige Ordnung gegeben werden?“ eine Antwort zu geben. Oberstes Prinzip dieses Wirtschaftsmodells ist daher neben Effizienz und Funktionsfähigkeit auch und besonders der finale Zweck des Wirtschaftens und die Berücksichtigung des Menschen.

Geschichte

Der Begriff Humane Marktwirtschaft wurde als Postulat erstmals 1978 bei einem Festvortrag von Erwin Nießlein (Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) verwendet. In der wissenschaftlichen Literatur fand er in dessen Buch Humane Marktwirtschaft. Ökonomische Aspekte der Umweltpolitik aus dem Jahr 1981 – mit der Forderung, die soziale Marktwirtschaft weiterzuentwickeln – Verwendung: „Wenn wir uns zu dem bekennen, was vor mehr als 30 Jahren mit der theoretischen Konzeption und der politischen Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland geleistet wurde, dann sind wir heute aufgerufen, einen weiteren Schritt in Richtung zu einer humanen Marktwirtschaft zu tun, um den menschlichen Positionen angesichts der gewandelten Bedingungen und der zunehmenden materiellen Verflechtungen den gebotenen Vorrang einzuräumen, um menschliche Freiheit als Ausgangspunkt für die Entwicklung in das 3. Jahrtausend zu erhalten“.

Als Zielsetzung für eine am Menschen ausgerichtete Wirtschaftspolitik wurde der Begriff Humane Marktwirtschaft dann in der Rede des Präsidenten der Wirtschaftskammer Österreich, Christoph Leitl, anlässlich der konstituierenden Sitzung des Wirtschaftsparlaments am 23. Juni 2005 mit dem Titel: Humane Marktwirtschaft – Zukunftsperspektive 2010 verwendet. Erstmals als Ansatz eines geschlossenen Wirtschaftsmodells wurde der Begriff Humane Marktwirtschaft von Maximilian Erlmeier, Vorsitzender der Freiburger Denkfabrik, 2008 und 2010 im Rahmen einer Vortragsreihe des Colloquium politicum der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit den Vorträgen: Humane Marktwirtschaft – Wirtschaftsordnung für eine menschliche Zukunft und Humane Marktwirtschaft – Ein Gegenentwurf zur sozialen Marktwirtschaft und zügellosem Kapitalismus in die Diskussion eingeführt. Facetten dieses Wirtschaftsmodells wurden dann seit 2008 von Vertretern aus Wirtschaft (z. B. Claus Hipp, Klaus Endress, Präsident WVIB), Horst Kary, Ehrensenator der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Wissenschaft (z. B. Viktor J. Vanberg, Leiter Walter Eucken Institut, Arnold Weissman, Eberhard Schockenhoff, Mitglied im Nationalen Ethikrat, Rudolf Hickel, Bernd Raffelhüschen, Lars Feld (Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; Leiter des Walter Eucken Instituts), Rolf Stürner (Juristische Fakultät, Universität Freiburg) sowie Journalisten (Hans-Ulrich Jörges)) und Politikern (Christian Lindner) in Vorträgen im Colloquium politicum der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg erörtert und diskutiert.

Verwendet wurde der Begriff auch als Untertitel im Buch von Franz Alt und Peter Spiegel: Gute Geschäfte – Humane Marktwirtschaft als Ausweg aus der Krise, erschienen 2009 sowie in den von der Wirtschaftskammer Salzburg 2009 verabschiedeten Prinzipien im ersten Kapitel: „Von der Sozialen zur Humanen Marktwirtschaft“.

Siehe auch

Literatur

  • Peter Haisenko, Hubert von Brunn: Die Humane Marktwirtschaft: Das Wirtschafts- und Finanzsystem zum Wohle aller Menschen. Anderwelt Verlag, München 2015, ISBN 978-3-940321-13-8.
  • Erwin Niesslein: Humane Marktwirtschaft. Ökonomische Aspekte der Umweltpolitik. Hochschul-Verlag, Freiburg (Breisgau) 1981, ISBN 3-810768-01-4.
  • Wolfgang Jäger: Einführung „Humane Marktwirtschaft – Wirtschaftsordnung für eine menschliche Zukunft“. Colloquium politicum, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Vortragsserie Humane Marktwirtschaft, 6. November 2008.
  • Franz Alt, Peter Spiegel: Gute Geschäfte. Humane Marktwirtschaft als Ausweg aus der Krise. 2009.
  • Christoph Leitl: Zukunftsperspektive 2010: Eine humane Marktwirtschaft! Rede des Präsidenten der Wirtschaftskammer Österreich anlässlich der konstituierenden Sitzung des Wirtschaftsparlamentes am 23. Juni 2005.
  • Arnold Weissman: Humane Marktwirtschaft. Publikationen Weissman Gruppe, 2009.
  • Für Verantwortung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Prinzipien der Wirtschaftskammer Salzburg, 2009.
    • 1. Kapitel: Humane Marktwirtschaft – Wirtschaftsordnung für eine menschliche Zukunft. Von der Sozialen zur Humanen Marktwirtschaft. online
  • Humane Marktwirtschaft am Oberrhein – eine Perspektive für die Metropolregion? 3 Ufer/Rives, 2011.

Weblinks

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