Aevum und Illuminationslehre: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 1: Zeile 1:
Als '''Aevum''' (von {{ELSalt|αἰών}}, ''aion''; [[lat.]] ursprünglich „Zeitalter, [[Aeon]], immerwährende [[Zeit]]“; auch '''Aevernität''', abgeleitet von ''aeviternitas'', einem [[Wikipedia:Neologismus|Neologismus]] des mittelalterlichen [[Latein]]s; {{EnS|aeviternity}}) wird in der [[Scholastik]] seit [[Albertus Magnus]]<ref>Albertus Magnus: ''De quattuor coaequaevis'', tract. 2, qu. 3.</ref> die [[Existenz]]weise der [[Hierarchien|Engelhierarchien]] und [[Heiliger|Heiligen]] im [[Himmel]] bezeichnet. Es ist ein Zustand, der gemäß der scholastischen [[Logik]] in der Mitte zwischen der [[Ewigkeit]] (Zeitlosigkeit) [[Gott]]es und dem zeitlichen [[Dasein]] der [[irdisch]]-[[materiell]]en [[Geschöpf]]e liegt und darum gelegentlich auch als „uneigentliche Ewigkeit“ aufgefasst wird. In diesem Sinn wird auch zwischen  [[Aeternität]] ([[Ewigkeit]], Dauer ohne Anfang und Ende<ref>Es ist allerdings falsch, sich die Ewigkeit als [[unendlich]]en linearen Zeitlauf ohne Anfang und Ende vorzustellen, obwohl diese Fehldeutung oftmals gemacht wurde. Vielmehr ist hier an eine zyklisch in sich selbst zurücklaufenden Zeitfolge zu denken, wie sie etwa durch die [[Ouroboros]]-Schlange symbolisiert wird, die ihren eigenen Schwanz verschlingt, was zugleich ein altes [[Symbol]] für das [[Wesen]] des [[Geist]]es überhaupt ist.</ref>) und Aevernität (Dauer ohne Ende, wohl aber mit einem Anfang, wie es für alles Geschaffene zutrifft) unterschieden, wobei sich allerdings ''beide'' Begriffe von {{ELSalt|αἰών}}, ''aion'' ableiten<ref>Wilhelm Traugott Krug: ''Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften nebst ihrer Literatur und Geschichte'', Band 5, Brockhaus, Leipzig 1838, S. 34</ref>. Die bekannteste Beschreibung dazu hat [[Thomas von Aquin]] in seiner «[[Summe der Theologie]]» gegeben. Als Beispiel nennt er die [[Himmelskörper]], die nach [[Wikipedia:mittelalter|mittelalter]]licher Auffassung ihrer [[Substanz]] nach ewig und unveränderlich seien, aber doch beständig ihren Ort verändern.
[[Datei:AugustineLateran.jpg|mini|Die älteste bekannte Darstellung von [[Augustinus]] ([[Wikipedia:Lateran|Lateran]]basilika, 6.&nbsp;Jahrhundert)]]
[[Datei:Vittore Crivelli - Saint Bonaventure.jpg|miniatur|Bonaventura ([[Wikipedia:Vittore Crivelli|Vittore Crivelli]])]]


{{Zitat|Die Ewigkeit ist das Maß des wesentlich dauernden, stets sich selber gleichbleibenden Seins. Soweit also etwas sich von der Dauer und der inneren Gleichförmigkeit entfernt, so weit steht es ab von der Ewigkeit. Manche Dinge entfernen sich nun dermaßen von dieser Dauer, und Gleichförmigkeit, daß ihr Sein selber substantiell der Veränderung unterliegt oder vielmehr in der Veränderung besteht. Derartiges wird von der Zeit gemessen, gleichwie jegliche Bewegung und auch das Sein des Vergänglichen. Andere Dinge entfernen sich weniger von der Dauer und Gleichförmigkeit. Ihr Sein der Substanz nach ist nicht Träger der Veränderung; und es besteht nicht im Entstehen oder Vergehen oder in beständiger Entwicklung nach der einen oder nach der anderen Seite hin. Jedoch ist mit ihnen Veränderlichkeit verbunden entweder in der thatsächlichen Lage oder dem Vermögen für die Existenz nach. So haben die Himmelskörper immer dasselbe substantiale Sein; jedoch dieses Sein ist verbunden mit dem thatsächlich beständigen Wechsel von Ort zu Ort. Und auch die reinen Geister gehen nicht von einer Substanz in die andere über; aber gemäß ihrer freien Wahl können sie vom Guten zum Bösen abfallen und ebenso den Ort wechseln, auf den die wirkende Kraft ihrer Natur sich richtet. Solche Substanzen also mißt das „Ävum" und deshalb steht es in der Mitte zwischen Ewigkeit und Zeit. Das substantiale Sein, welches von der Ewigkeit gemessen wird, ist weder in sich selber veränderlich noch mit Veränderlichkeit im Thätigsein verbunden. Die Zeit ist das Maß für das Veränderliche im substantialen Sein selber und hat deshalb ein Vorher und Nachher. Das „Ävum" aber hat kraft seines Wesens in sich selber kein Vorher und Nachher; aber nebensächlich kann mit Rücksicht auf die Thätigkeit das mit ihm verbunden werden. Die Ewigkeit hat weder in ihrem Sein ein Vorher und Nachher, noch duldet sie es an denselben.|Thomas von Aquin|''Summe der Theologie'', Erster Teil, Questio 10, Artikel 5|ref=[http://www.unifr.ch/bkv/summa/kapitel11-5.htm]}}
Die '''Illuminationslehre''' (von [[lat.]] ''illuminatio'' „Erleuchtung“), wie sie in der [[christlich]]en [[Philosophie]] und [[Theologie]] vor allem von [[Augustinus]] vertreten und in der Zeit der [[Scholastik]] von [[Bonaventura]] systematisch ausgearbeitet wurde, hat ihren Ursprung in der [[Ideenlehre]] [[Platon]]s, wie sie dieser in seiner [[Wikipedia:Politeia|Politeia]] in dem berühmten [[Höhlengleichnis]] und vorbereitend schon in dem [[Sonnengleichnis]] veranschaulicht hat. Die [[Erkenntnis]] der [[Wahrheit]] ist demnach nur möglich durch das höchste geistige Licht des [[Das Gute|Guten]], das die Seele erleuchtet, so wie die sinnlichen [[Ding]]e nur durch das [[Licht]] der [[Sonne]] sichtbar werden. Für [[Plotin]] und den an ihn anknüpfenden [[Neuplatonismus]] war die Quelle dieses geistigen Lichts „[[Das Eine]]“, das Augustinus im christlichen Sinn mit [[Gott]] gleichsetzte. Gott selbst ist die ewige Wahrheit, in dessen [[Geist]] die [[Ewigkeit|ewigen]] [[Idee]]n leben, aus denen er die sichtbare und unsichtbare [[Welt]] geschaffen hat. Der göttliche Weltgeist (''mundus intelligibilis'') strahlt diese Ideen aus und erleuchtet dadurch unmittelbar die menschliche [[Seele]], die, anders als sein [[Materie|materieller]] [[Leib]], als Ebenbild Gottes  ([[imago dei]]) geschaffen sei.


[[Wikipedia:Frank Sheed|Frank Sheed]], einer der bekanntesten und weithin populären englischsprachigen [[Wikipedia:Katholische Theologie|katholischen Theologen]] des [[Wikipedia:20. Jahrhundert|20. Jahrhundert]]s, sieht im Aevum auch, wie für alle erschaffenen [[Geistige Wesen|geistigen Wesen]] die Existenzweise der Heiligen im Himmel. In seinem Buch «Theology and Sanity» schreibt er: ''„Aeternität ist die Sphäre eines jeden geschaffenen Geistes und damit der menschlichen Seele ... Mit dem Tod, wenn die Beziehung [des Körpers] zur zeitlichen Materie aufhört, die Seele zu beeinflussen, kann sie die ihr gemäße Aeternität erleben.“'' <ref>„Aeviternity is the proper sphere of every created spirit, and therefore of the human soul... At death, [the body’s] distracting relation to matter’s time ceases to affect the soul, so that it can experience its proper aeviternity.“ Frank Sheed: ''Theology and Sanity'', 2nd ed., San Francisco: Ignatius Press, 1993</ref>
Auch für [[Bonaventura]] ist [[Gott]] die Quelle des geistigen [[Licht]]s. An dessen [[Existenz]] zu zweifeln sei völlig denkunmöglich. Das von Gott in die [[Seele]] des Menschen gestrahlte Licht ist ewig unwandelbar und wahrhaftig und gibt damit der [[Erkenntnis]] absolute [[Gewissheit]], wenn es die der Seele eingeborenen ebenso ewigen unveränderlichen [[Wahrheit]]en beleuchtet und dadurch ins [[Bewusstsein]] hebt. Das wäre nicht der Fall, wollte der Mensch diese ewigen Ideen nur mit dem unvollkommenen, wandelbaren Licht seines eigenen irdischen [[Intellekt]]s erhellen.  


Inwiefern das [[Leben nach dem Tod]] als ein solcher [[Zwischenzustand]] des Aevums zwischen dem [[Tod]] und der [[Auferstehung]] beim [[Jüngstes Gericht|Jüngsten Gericht]] verstanden werden kann, gilt allerdings in der neueren [[Theologie]] als strittig. Angestoßen wurden solche Erwägungen namentlich auch durch das am [[Wikipedia:1. November|1. November]] [[Wikipedia:1950|1950]] durch [[Wikipedia:Papst|Papst]] [[Wikipedia:Pius XII.|Pius XII.]] verkündete [[Dogma]] der [[Leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel|leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel]]. So vertritt etwa der Theologe [[Wikipedia:Gisbert Greshake|Gisbert Greshake]], gleichsam in Verallgemeinerung dieses Dogmas, die mittlerweile theologisch weit verbreitete Anschauung einer unmittelbaren „Auferstehung im Tod“, d.h. eines unmittelbaren Eingehens in die Ewigkeit. Er stellt sich damit in Gegensatz zu der traditionellen, namentlich von [[Wikipedia:Benedikt XVI.|Joseph Kardinal Ratzinger (Benedikt XVI.)]] vehement vertretenen Ansicht. Diese von ihm abgelehnte Anschauung charakterisiert Ratzinger in seiner «[[Eschatologie]]» so:
[[Thomas von Aquin]] lehnte diese Illuminationslehre zwar nicht vollständig ab, stand ihr aber sehr zurückhaltend gegenüber. Diese für die [[Engelhierarchien]] vollgültige Erkenntnisart sei dem [[Mensch]]en nur mehr in geringem Maß möglich, da er als unterstes aller [[Geistige Wesen|geistigen Wesen]] bereits so weit von der Quelle des göttlichen Lichts entfernt sei, dass er dadurch die Wahrheit nur mehr in ihren allgemeinsten Zügen erkennen könne. Gott habe dafür aber dem Menschen einen Leib verliehen, mit dessen Hilfe er durch den [[Verstand]] die Ideen aus den sinnlichen Dingen herauslösen und diese dadurch in ihrem göttlichen Ursprung erkennen könne. So habe zwar auch die [[unsterbliche Seele]] nach dem [[Tod]] noch ein Erkenntnisvermögen, aber dieses sei - ganz im Gegensatz zur Ansicht Platons - nicht so klar und deutlich, wie die dem Menschen durch sein leibliches Werkzeug gegebene.


{{LZ|Das Anstößige der Behauptung, ein Mensch - Maria - sei jetzt schon dem Leib nach auferstanden, forderte förmlich dazu heraus, generell das Verhältnis von Tod und Zeit sowie das Wesen menschlicher Leiblichkeit neu zu bedenken. Wenn es möglich war, das marianische Dogma als Modellfall des menschlichen Geschicks überhaupt zu lesen, waren zwei Probleme zugleich bereinigt: Auf der einen Seite war dann der ökumenische und denkerische Skandal des Dogmas
{{Zitat|Nun ist es aber offenbar, daß unter den vernünftigen Substanzen die tiefste Stufe einnehmen die menschlichen Seelen. Die Vollkommenheit des All verlangte dies, daß verschiedene Abstufungen in den Geschöpfen bestehen. Wenn also die menschlichen Seelen so von Gott eingerichtet wären, daß sie erkannten in derselben Weise, wie dies den stofflosen Substanzen zukommt; so würden sie keine vollkommene Kenntnis haben, sondern nur eine allgemeine, verworrene. Nur die allgemeinsten Principien etwa würden sie erkennen. Damit sonach die Seelen eine vollkommene, die Eigenheiten der Dinge und damit deren wechselseitigen Unterschiede umfassende Kenntnis erhielten, wurde ihnen eine solche Natur gegeben, daß sie mit den Körpern verbunden wurden und daß sie so von den sichtbaren Körpern selber die ihren Eigenheiten entsprechende Kenntnis entnähmen; wie etwa wenig begabte oder ungebildete Menschen nur durch beständige Hinweisung auf Beispiele aus dem Sichtbaren zur vernunftgemäßen Kenntnis angeleitet werden können. So also ist die Seele zu ihrem Besten mit dem Körper verbunden, damit sie genaue und vollkommene Kenntnis schöpfe dadurch, daß sie sich zu den Phantasiebildern wendet; und trotzdem kann sie getrennt vom Körper bestehen und da eine andere Art und Weise zu erkennen besitzen [...]
überwunden, auf der anderen Seite hatte es selbst dazu geholfen, die bisherigen Vorstellungen über Unsterblichkeit und Auferstehung zugunsten
biblischerer und modernerer Auffassungen zu korrigieren. Deutliche und konsequente Durchführungen des neuen Gedankens sucht man freilich in der Literatur vergebens; man kann aber sagen, daß sich im großen und ganzen folgendes Bild durchsetzte: Zeit ist eine Form des leiblichen Lebens. Der Tod bedeutet das Heraustreten aus der Zeit in die Ewigkeit, in ihr einiges »Heute«. Folglich ist das Problem des »Zwischenzustandes« zwischen Tod und Auferstehung ein Scheinproblem. Das »Zwischen« gibt es nur in unserer Perspektive. In Wahrheit ist das »Ende der Zeiten« unzeitlich; wer stirbt tritt in die Gegenwart
des Jüngsten Tages, des Gerichtes, der Auferstehung und der Wiederkunft des Herrn hinein. »Damit kann dann auch die Auferstehung im Tod und nicht erst am >Jüngsten Tag< angesetzt werden« (Greshake, Auferstehung der Toten 387). Diese Auffassung, daß die Auferstehung im Augenblicke des Todes erfolge, hat sich inzwischen so weitgehend durchgesetzt, daß sie mit einigen Verklausulierungen auch in den Holländischen Katechismus aufgenommen wurde: »Das Leben nach dem Tode ist also schon so etwas wie die Auferweckung des neuen Leibes« (525). Das heißt: Was das Dogma von Maria sagt, gilt von jedem Menschen; aufgrund der Unzeitlichkeit, die jenseits des Todes herrscht, ist jedes Sterben Hineintreten in den neuen Himmel und die neue Erde, Eintreten in die Parusie und Auferstehung.|Ratzinger, S. 93f<ref>Benedikt Benedikt XVI./Joseph Ratzinger: ''Eschatologie - Tod und ewiges Leben'', 2. Aufl., Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2012, ISBN 978-3791720708</ref>}}


== Anmerkungen ==
Die vom Leibe getrennte Seele erkennt nicht durch eingeborene Ideen; und nicht durch Ideen, welche sie loslöst vom Stoffe; und auch nicht durch solche Ideen allein, welche sie früher losgelöst hat und bei sich bewahrt. Vielmehr erkennt sie durch Ideen, welche der Einfluß des göttlichen Lichtes ihr mitteilt, so wie dies bei den anderen geistigen Substanzen der Fall ist, wenn auch in minder hervorragender Weise. Somit wendet sie sich, sobald es mit der Zuwendung zu den körperlichen Phantasiebildern ein Ende hat, sogleich zum höheren Sein. Und deshalb hört ihre Art und Weise zu erkennen nicht auf, naturgemäß zu sein. Denn Gott ist der erste Urheber nicht nur des unverdienten Gnadeneinflusses, sondern auch des natürlichen Einflusses.|Thomas von Aquin|''Die Summe der Theologie'', Erster Teil, Questio 89, Articulus 1|ref=[http://www.unifr.ch/bkv/summa/kapitel90-1.htm]}} 


<references />
== Siehe auch ==


[[Kategorie:Christentum]] [[Kategorie:Theologie]] [[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Scholastik]]
* {{UTB-Philosophie|Dr. Thomas Blume|429|Illuminationslehre}}
 
[[Kategorie:Christentum]] [[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Theologie]] [[Kategorie:Erkenntnistheorie]]

Version vom 14. Juli 2016, 17:24 Uhr

Die älteste bekannte Darstellung von Augustinus (Lateranbasilika, 6. Jahrhundert)
Bonaventura (Vittore Crivelli)

Die Illuminationslehre (von lat. illuminatio „Erleuchtung“), wie sie in der christlichen Philosophie und Theologie vor allem von Augustinus vertreten und in der Zeit der Scholastik von Bonaventura systematisch ausgearbeitet wurde, hat ihren Ursprung in der Ideenlehre Platons, wie sie dieser in seiner Politeia in dem berühmten Höhlengleichnis und vorbereitend schon in dem Sonnengleichnis veranschaulicht hat. Die Erkenntnis der Wahrheit ist demnach nur möglich durch das höchste geistige Licht des Guten, das die Seele erleuchtet, so wie die sinnlichen Dinge nur durch das Licht der Sonne sichtbar werden. Für Plotin und den an ihn anknüpfenden Neuplatonismus war die Quelle dieses geistigen Lichts „Das Eine“, das Augustinus im christlichen Sinn mit Gott gleichsetzte. Gott selbst ist die ewige Wahrheit, in dessen Geist die ewigen Ideen leben, aus denen er die sichtbare und unsichtbare Welt geschaffen hat. Der göttliche Weltgeist (mundus intelligibilis) strahlt diese Ideen aus und erleuchtet dadurch unmittelbar die menschliche Seele, die, anders als sein materieller Leib, als Ebenbild Gottes (imago dei) geschaffen sei.

Auch für Bonaventura ist Gott die Quelle des geistigen Lichts. An dessen Existenz zu zweifeln sei völlig denkunmöglich. Das von Gott in die Seele des Menschen gestrahlte Licht ist ewig unwandelbar und wahrhaftig und gibt damit der Erkenntnis absolute Gewissheit, wenn es die der Seele eingeborenen ebenso ewigen unveränderlichen Wahrheiten beleuchtet und dadurch ins Bewusstsein hebt. Das wäre nicht der Fall, wollte der Mensch diese ewigen Ideen nur mit dem unvollkommenen, wandelbaren Licht seines eigenen irdischen Intellekts erhellen.

Thomas von Aquin lehnte diese Illuminationslehre zwar nicht vollständig ab, stand ihr aber sehr zurückhaltend gegenüber. Diese für die Engelhierarchien vollgültige Erkenntnisart sei dem Menschen nur mehr in geringem Maß möglich, da er als unterstes aller geistigen Wesen bereits so weit von der Quelle des göttlichen Lichts entfernt sei, dass er dadurch die Wahrheit nur mehr in ihren allgemeinsten Zügen erkennen könne. Gott habe dafür aber dem Menschen einen Leib verliehen, mit dessen Hilfe er durch den Verstand die Ideen aus den sinnlichen Dingen herauslösen und diese dadurch in ihrem göttlichen Ursprung erkennen könne. So habe zwar auch die unsterbliche Seele nach dem Tod noch ein Erkenntnisvermögen, aber dieses sei - ganz im Gegensatz zur Ansicht Platons - nicht so klar und deutlich, wie die dem Menschen durch sein leibliches Werkzeug gegebene.

„Nun ist es aber offenbar, daß unter den vernünftigen Substanzen die tiefste Stufe einnehmen die menschlichen Seelen. Die Vollkommenheit des All verlangte dies, daß verschiedene Abstufungen in den Geschöpfen bestehen. Wenn also die menschlichen Seelen so von Gott eingerichtet wären, daß sie erkannten in derselben Weise, wie dies den stofflosen Substanzen zukommt; so würden sie keine vollkommene Kenntnis haben, sondern nur eine allgemeine, verworrene. Nur die allgemeinsten Principien etwa würden sie erkennen. Damit sonach die Seelen eine vollkommene, die Eigenheiten der Dinge und damit deren wechselseitigen Unterschiede umfassende Kenntnis erhielten, wurde ihnen eine solche Natur gegeben, daß sie mit den Körpern verbunden wurden und daß sie so von den sichtbaren Körpern selber die ihren Eigenheiten entsprechende Kenntnis entnähmen; wie etwa wenig begabte oder ungebildete Menschen nur durch beständige Hinweisung auf Beispiele aus dem Sichtbaren zur vernunftgemäßen Kenntnis angeleitet werden können. So also ist die Seele zu ihrem Besten mit dem Körper verbunden, damit sie genaue und vollkommene Kenntnis schöpfe dadurch, daß sie sich zu den Phantasiebildern wendet; und trotzdem kann sie getrennt vom Körper bestehen und da eine andere Art und Weise zu erkennen besitzen [...]

Die vom Leibe getrennte Seele erkennt nicht durch eingeborene Ideen; und nicht durch Ideen, welche sie loslöst vom Stoffe; und auch nicht durch solche Ideen allein, welche sie früher losgelöst hat und bei sich bewahrt. Vielmehr erkennt sie durch Ideen, welche der Einfluß des göttlichen Lichtes ihr mitteilt, so wie dies bei den anderen geistigen Substanzen der Fall ist, wenn auch in minder hervorragender Weise. Somit wendet sie sich, sobald es mit der Zuwendung zu den körperlichen Phantasiebildern ein Ende hat, sogleich zum höheren Sein. Und deshalb hört ihre Art und Weise zu erkennen nicht auf, naturgemäß zu sein. Denn Gott ist der erste Urheber nicht nur des unverdienten Gnadeneinflusses, sondern auch des natürlichen Einflusses.“

Thomas von Aquin: Die Summe der Theologie, Erster Teil, Questio 89, Articulus 1[1]

Siehe auch