Mathematik und Benjamin Libet: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
imported>Odyssee
 
Zeile 1: Zeile 1:
Die '''Mathematik''' ([[Wikipedia:Altgriechische Sprache|griech.]] μαθηματική τέχνη ''mathēmatikē téchnē'': "die Kunst des Lernens, zum Lernen gehörig" oder μανθάνω ''manthánō'': "ich lerne") ist jene [[Wissenschaft]], die die Gesetzmäßigkeiten von [[Zahlen]] und [[Geometrie|geometrischen Figuren]] durch [[reines Denken]] mit innerer, sich selbst tragender Gewissheit zu ergründen sucht.
'''Benjamin Libet''' (* [[Wikipedia:12. April|12. April]] [[Wikipedia:1916|1916]] in [[Wikipedia:Chicago|Chicago]], [[Wikipedia:Illinois|Illinois]]; † [[Wikipedia:23. Juli|23. Juli]] [[Wikipedia:2007|2007]] in [[Wikipedia:Davis (Kalifornien)|Davis]], [[Wikipedia:Kalifornien|Kalifornien]]) war ein [[Amerika|US-amerikanischer]] [[Physiologe]] und gilt als Wegbereiter der [[experiment]]ellen [[Bewusstsein]]sforschung.  


Nach [[Rudolf Steiner]] ist die Mathematik die erste Stufe der [[Hellsehen|übersinnlichen Anschauung]]. Aus diesem Grund hatten die [[Gnostiker]] auch ihre [[Mystik]] als [[Mathesis]] aufgefasst, weil die selbe [[Gedanke]]nklarheit wie in der Mathematik auch in der [[geist]]igen [[Erkenntnis]] herrschen sollte.
== Libet-Experiment ==


<div style="margin-left:20px">
Bekannt wurde Libet vor allem für sein 1979 durchgeführtes und später nach ihm benanntes „'''Libet-Experiment'''“, bei dem er den zeitlichen Zusammenhang [[willkürlich]] eingeleiteter [[Handlung]]en mit der damit verbundenen [[neuronal]]en Aktivität studierte. Er kam dabei zu dem für ihn erstaunlichen Ergebnis, dass das die Handlung einleitende [[Bereitschaftspotential]] bereits deutlich ''vor'' der [[bewusst]] erlebten Entscheidung zu dieser Handlung aufgebaut wird.  
"Wer mit der richtigen Gesinnung an Mathematik sich
heranbegibt, der wird dazu kommen, gerade in dem
Verhalten des Menschen im Mathematisieren das Musterbild
zu sehen für alles dasjenige, was dann erreicht
werden soll für eine höhere, eine übersinnliche Anschauung.
Denn die Mathematik ist einfach die erste Stufe
übersinnlicher Anschauung. Dasjenige, was wir als mathematische
Strukturen des Raumes schauen, ist übersinnliche
Anschauung. Wir geben es nur nicht zu, weil
wir gewöhnt sind es hinzunehmen. Derjenige aber, der
die eigentliche Natur dieses Mathematisierens kennt, der
weiß, daß es zwar zunächst eine uns nicht sonderlich für
unsere ewige Menschennatur interessierende Wissenschaft
ist, was wir da mit der Raumesstruktur gegeben haben,
daß es aber durchaus den Charakter alles dessen vollständig
trägt, was man im anthroposophischen Sinne -
jetzt ohne nebulose Mystik, ohne verworrenen Okkultismus,
sondern einfach mit dem Ziele, in die übersinnlichen
Welten auf exakt-wissenschaftliche Weise hinaufzusteigen
-, was man im wahren Sinne des Wortes vom
Hellsehen verlangen kann.


Was Hellsehen auf höherem Gebiete ist, studieren
Libet knüpfte an die Arbeiten von [[Wikipedia:Hans Helmut Kornhuber|Hans Helmut Kornhuber]] (1928-2009) und [[Wikipedia:Lüder Deecke|Lüder Deecke]] (* 1938) an, die das Bereitschaftspotential 1964 entdeckt hatten<ref name="Kornhuber">[[Wikipedia:Hans Helmut Kornhuber|Hans H. Kornhuber]], [[Wikipedia:Lüder Deecke|Lüder Deecke]]: ''Hirnpotentialänderungen bei Willkürbewegungen und passiven Bewegungen des Menschen: Bereitschaftspotential und reafferente Potentiale.'' In: ''[[Wikipedia:Pflügers Arch|Pflügers Arch]]'' 284, 1965, S. 1–17; {{doi|10.1007/BF00412364}} [https://www.researchgate.net/publication/36191975_Hirnpotentialanderungen_be_Willkurbewegungen_und_passiven_Bewegungen_des_Menschen_Bereitschaftspotential_und_reafferente_Potentiale online]</ref>. Kornhubers und Deeckers Versuche zeigten, dass das Bereitschaftspotential schon etwa 0,4 bis 4 Sekunden ''vor'' der Bewegung flach anzusteigen beginnt und seinen Höhepunkt meist etwa 50 msec (zwischen 30-90 msec) ''nach'' Beginn der Bewegung erreicht. Das widersprach Libets Alltagserfahrung, wonach ihm die subjektiv ''empfundene'' Zeit zwischen Handlungsabsicht und -ausführung sehr viel kürzer erschien. Er wollte daher empirisch möglichst exakt feststellen, ''wann'' die Versuchsperson eine bewusste Handlungsentscheidung trifft, ''wann'' die zugehörige einleitende Aktivität im [[Motorischer Cortex|motorischen Cortex]] beginnt, und ''wann'' die betreffenden Muskeln tatsächlich tätig werden.
kann es jeder Mensch am Mathematisieren." {{Lit|{{G|82|60f}}}}
</div>


{{GZ|In demjenigen, was in unserem Bewußtsein präsent ist mit den mathematischen Formeln, hat man keinen Seinsgehalt. Das hat für das gewöhnliche Leben und für die gewöhnliche Wissenschaft seine tiefe Berechtigung. Wenn wir in der mathematisch-empirischen Betrachtungsweise den Seinsgehalt schon vom Innern her dieser Außenwelt, die uns in der sinnlichen Beobachtung vorliegt, entgegenbringen würden, dann würden wir diese Außenwelt nicht erleben können. Wir würden sie nicht durchsichtig finden. Dieses Sein, das wir der Außenwelt zuschreiben, das ist uns nur dadurch gegeben, daß wir in dem, was wir methodisch dieser Außenwelt entgegenbringen, keinen Seinsgehalt haben, sondern daß wir uns bewußt sind, daß wir ihr nur einen Bildinhalt entgegenbringen. Wer sich einmal klar ist gerade über diesen Bildcharakter des Mathematischen, der wird in ihm das besonders Charakteristische finden in der naturwissenschaftlichen Methode der Gegenwart.
=== Schlussfolgerungen ===


[...]
Libets Erkenntnisse führten in den [[Neurowissenschaften]] und der [[Philosophie des Geistes]] zu heftigen Debatten über die [[Willensfreiheit]] des [[Mensch]]en. Viele Forscher sehen seitdem die [[Freiheit]] des menschlichen [[Wille]]ns als bloße Illusion an; in Wahrheit sei der Mensch durch seine [[Neuron|neurale]] Strukturen [[Determinismus|determiniert]]. So behauptet etwa der [[Neurophysiologe]] [[Wikipedia:Wolf Singer|Wolf Singer]]: „''Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen''“<ref>Wolf Singer in:  Christian Geyer (Hrsg.): ''Hirnforschung und Willensfreiheit'', 2004, S. 30ff.</ref> und fordert entsprechende [[Ethik|ethische]] und [[Rechtsleben|juristische]] Konsequenzen bezüglich der [[Schuld]]fähigkeit des Menschen. Libet selbst blieb in dieser Frage etwas vorsichtiger. Zwar ging auch davon aus, dass die von ihm untersuchten Bewegungen schon unbewusst neuronal angebahnt werden, doch gestand er - allerdings ohne [[Empirie|empirische]] Grundlage - dem Bewusstsein ein freies „Veto-Recht“ zu, durch das die angebahnte Handlung innerhalb eines kleinen Zeitfensters noch abgebrochen werden kann, ehe sie tatsächlich zur Ausführung kommen würde. Neuere Untersuchungen (2016) von [[Wikipedia:John-Dylan Haynes|John-Dylan Haynes]] (* 1971) scheinen das auch experimentell zu bestätigen<ref>Matthias Schultze-Kraft, Daniel Birman, Marco Rusconi, Carsten Allefeld, Kai Görgen, Sven Dähne, Benjamin Blankertz, [[Wikipedia:John-Dylan Haynes|John-Dylan Haynes]]: ''The point of no return in vetoing self-initiated movements'', Proceedings of the National Academy of Sciences January 2016, 113 (4) 1080-1085; {{doi|10.1073/pnas.1513569112}}</ref>.


Aber wenn man diesen Prozeß fortbildet, dann stellt sich etwas sehr Gewichtiges ein. Man erkennt: Nur in diesen eigentümlichen Gebilden, die wir als Mathematik im weitesten Sinne zusammenfassen können, ist es möglich, rein formal zu erleben. Es gibt kein anderes Gebiet innerhalb dessen, was unser gewöhnliches Bewußtsein erreichen kann, wo wir rein formal erleben können, als die Mathematik. Wenn daher dieser Prozeß weitergebildet wird über die Mathematik hinaus zu demjenigen, was ich die erste höhere Stufe der Erkenntnis nenne, dann tritt das ein, daß wir nicht mehr bloß formal, nicht mehr bloß bildhaft erleben, sondern daß wir in dem Erleben selber Seinsgehalt haben, wie wir Seinsgehalt haben, wenn wir Hunger oder Durst spüren oder wenn wir einen Willensimpuls, der auch verknüpft ist mit irgendeinem organischen Vorgang, in uns entwickeln. Wir können also nicht den Prozeß in der Entstehung mathematischer Gebilde über dieses Entstehen mathematischer Gebilde hinaus ausdehnen, ohne daß wir in das Sein eintreten. Dann aber vollzieht sich in polarischer Weise das, daß wir in demselben Maße, in dem wir im innerlichen Leben in das Sein hineingehen, im Bewußtsein präsent von diesem Sein nur Bilder haben. Deshalb nenne ich dieses Bewußtsein das [[Imagination|imaginative Bewußtsein]].|73a|258}}
=== Kritik ===


Die mathematische Begabung resultiert aus dem inneren [[Erleben]] der ''Knochenmechanik'', also des [[Gliedmaßen-System]]s bis in die [[Knochen]] hinein:
Grundsätzlich zu hinterfragen ist, ob Libets Versuchsbedingungen überhaupt geeignet sind, Aussagen über die Willensfreiheit zu machen. Einfache Fingerbewegungen, wie sie seinen Experimenten zugrunde liegen, scheinen dazu wenig geeignet, da die in solche elementaren Körperbewegungen involvierte [[Motorik]] selbst weitgehend unbewusst abläuft. Aber gerade auch komplexe, mühsam erlernte Bewegungmuster, etwa Radfahren, funktionieren nur dann gut, wenn sie weitestgehend [[automat]]isch ablaufen. Wir bestimmen zwar bewusst die Richtung unserer Fahrt, aber der Bewegungsablauf selbst vollzieht sich autonom und fast unbewusst. Dem [[Neurowissenschaftler]] [[Gerhard Roth]], der vehement die Willensfreit des Menschen bestreitet, ist insofern zuzustimmen, wenn er schreibt:


<div style="margin-left:20px">
{{Zitat|Bewußtsein tritt auf, wenn das Gehirn
"Ein Geometer wird einer, weil er das Gehirn deutlich erlebt. Und Mathematiker
mit kognitiven oder motorischen Aufgaben konfrontiert
werden wir dadurch, daß wir unsere Gliedmaßen bis ins Knochensystem
ist, für die noch keine „zuständigen“
erleben. Nicht aus dem Nervensystem kommt die mathematische Begabung, im
Nervennetze existieren. Dabei
Hirn ist nur die Spiegelung." {{Lit|{{G|217a|229}}}}
finden synaptische Reorganisationen in spezifischen Nervennetzen
</div>
statt. Dies kann mit bildgebenden Verfahren
sichtbar gemacht werden. Sobald sich diese Netze konsolidieren,
werden die kognitiven oder motorischen Leistungen
automatisiert, und Bewußtsein, zum Beispiel in Form von
Aufmerksamkeit, ist nicht mehr nötig.|[[Gerhard Roth]]|''Entstehen und Funktion von Bewußtsein''|ref=<ref>[[Gerhard Roth]]: ''Entstehen und Funktion von Bewußtsein'', in: Deutsches Ärzteblatt 1999; 96: A-1957–1961 [Heft 30]</ref>}}


Darüber hinaus ist auch der [[Gleichgewichtssinn]] von großer Bedeutung für die mathematischen [[Fähigkeiten]]:
Wenn ich etwa den Entschluss fasse, spazieren zu gehen, so kann ich hingegen sehr wohl die Frage stellen, ob ich zu diesem Entschluss aus freier bewusster Entscheidung gekommen bin, oder etwa nur rein gewohnheitsmäßig spazierengehe. Die eigentlichen motorischen Bewegungen, durch die ich dann einen Schritt vor den anderen setze, haben mit der vorangegangenen Entscheidung, wie sie auch gefallen sein mag, frei oder unfrei, nicht das Geringste zu tun. Entscheidend ist hier nicht, wie die Bewegung ausgeführt wird, sondern wie der Entschluss zustande kommt, sie auszuführen. Es geht nicht darum ''wie'' und ''wann'' ich eine bestimmte Handlungsfolge ablaufen lasse, sondern ''warum''.


<div style="margin-left:20px">
Dass eine Tat, bei der ich nicht weiß, warum ich sie ausführe, nicht frei ist, versteht sich von selbst. Wie ist es aber um eine Handlung bestellt, deren [[Grund|Gründe]] ich vollkommen überschauen kann? Ob ein Willensakt wirklich frei ist, werde ich nur beurteilen können, wenn ich klar erkenne, welche [[Triebfeder]] und welches [[Motiv]] mein Tun leitet. Alle damit zusammenhängenden Fragen hat [[Rudolf Steiner]] in seiner 1894 erschienen «[[Philosophie der Freiheit]]» ausführlich besprochen.
"Da zeigte sich mir nämlich, daß das mathematische Denken, das ganze mathematische
Vorstellen etwas viel Objektiveres ist, als man eigentlich gewöhnlich
denkt; daß das ganze mathematische Vorstellen eigentlich etwas ist, was wie eine
Art Automat wirkt, und zwar so: die Gründe für dieses mathematische Vorstellen
sind, daß das gesamte mathematische Vorstellen in der Konstitution der ganzen
Erde liegt. Die Erde ist nämlich nicht jenes undifferenzierte Wesen, als welches
die Menschen theoretisch sich die Erde vorstellen. Sie ist außerordentlich
fein gegliedert und wirkt von innen heraus auf die Wesen, die sie bewohnen.


Nun hängt beim Menschen die mathematische Begabung vorzugsweise ab
== Literatur ==
von den drei Kanälen im Mittelohr, die mit dem Gleichgewicht etwas zu tun
haben, und es besteht für den Menschen eine Art Verbindung zwischen diesem
Organ im Ohr und zwischen dem gesamten das Rückenmark konstituierenden
Nervensystem. Wenn der Mensch nämlich mathematische Urteile fällt, so können
wir sehen, daß er viel mehr, als man gewöhnlich glaubt, Zuschauer ist. Die
mathematischen Urteile machen sich viel mehr selber, und der Mensch ist gerade
auf dem Gebiete der Mathematik mehr eine Art Automat. Daher gehört es
auch zu den Eigentümlichkeiten der Mathematik, daß man wirklich den Drang
hat, die ganze Mathematik zu einer Art Automat zu gestalten. Man zählt nur bis
zehn in unserem Zahlensystem, dann zählt man die Zehner und so weiter. Dadurch
wird das ganze Rechnen innerlich automatisiert. Es besteht wirklich eine
innere Gesetzmäßigkeit in den Zahlen, die in einer Art mathematischen Automatismus
an die Erde gebunden ist. Beim Menschen wirkt dieser Automatismus
nicht so stark, weil der Mensch herausgehoben ist aus diesem Automatismus
und die Urteilskraft doch eintritt und niederhält den ganzen mathematischen
Automatismus." {{Lit|Beiträge 114/115, S 66}}
</div>


Mathematische Fähigkeiten, ja die Schlagfertigkeit des [[Denken]]s überhaupt, schult man daher am besten über die Geschicklichkeit der Gliedmaßen-Tätigkeit - ein Prinzip, das in der [[Waldorfpädagogik]] besondere Beachtung findet:
* Libet, Benjamin; Gleason, Curtis A.; Wright, Elwood W.; Pearl, Dennis K.: ''Time of Conscious Intention to Act in Relation to Onset of Cerebral Activity (Readiness-Potential) - The Unconscious Initiation of a Freely Voluntary Act'', in: Brain 106 (1983), S. 623–642, {{doi|10.1093/brain/106.3.623}} [http://www.trans-techresearch.net/wp-content/uploads/2015/05/Brain-1983-LIBET.pdf pdf]
 
* Libet, Benjamin: ''Unconscious Cerebral Initiative and the Role of Conscious Will in Voluntary Action'', in: The Behavioral and Brain Sciences 8 (1985), S. 529–566, {{doi|10.1017/s0140525x00044903}} [http://selfpace.uconn.edu/class/ccs/Libet1985UcsCerebralInitiative.pdf pdf]
<div style="margin-left:20px">
* Benjamin Libet: ''Mind Time: The Temporal Factor in Consciousness'', Harvard University Press, Cambridge/Mass. 2004, ISBN 978-0674018464
"Aber man muß wissen, wie eng ein
** deutsch: Benjamin Libet, Jürgen Schröder (Übers.): ''Mind Time: Wie das Gehirn Bewusstsein produziert'', Suhrkamp Verlag 2005, ISBN 978-3518584279
ordentliches Denken nicht bloß mit dem Gehirn und
*[[Peter Heusser]]: ''Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin'', Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686
dem Kopf des Menschen zusammenhängt, sondern mit
* Rudolf Steiner: ''Die Philosophie der Freiheit'', [[GA 4]] (1995), ISBN 3-7274-0040-4 {{Schriften|004}}
dem ganzen Menschen. Es hängt von der Art und Weise,
wie jemand denken gelernt hat, ab, welche Geschicklichkeit
er in den Fingern hat. Denn der Mensch denkt ja in
Wirklichkeit mit dem ganzen Leibe. Man glaubt nur
heute, er denke mit dem Nervensystem, in Wahrheit
denkt er mit dem ganzen Organismus. Und auch umgekehrt
ist es: Wenn man in richtiger Weise dem Kinde
Schlagfertigkeit im Denken, sogar bis zu einem gewissen
Grade Geistesgegenwart auf natürliche Weise beibringen
kann, arbeitet man für die körperliche Geschicklichkeit,
und wenn man bis in die Körperlichkeit hinein diese
Denkgeschicklichkeit treibt, dann kommt einem auch
die Geschicklichkeit der Kinder zu Hilfe. Es ist viel
wichtiger, was wir jetzt in der Waldorfschule eingerichtet
haben, daß die Kinder statt des gewöhnlichen
Anschauungsunterrichts im Handfertigkeitsunterricht
übergehen zum Selbstformen, wodurch sie in die Empfindung
hineinbekommen die künstlerische Gestaltung
der Fläche. Das leitet dann wiederum hinüber zur mathematischen
Auffassung der Fläche in späteren Jahrgängen.
Dieses Sich-Hineinleben in die Sachen nicht durch
bloßen Anschauungsunterricht für die Sinne, sondern
durch einen Zusammenlebe-Unterricht mit der ganzen
Umwelt, der für den ganzen Menschen erzielt wird, das
ist es, worauf hingearbeitet werden muß." {{Lit|{{G|77a|93}}}}
</div>
 
== Siehe auch ==
{{Portal|Mathematik}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Mathematik}}
* {{WikipediaDE|Mathematik}}
 
== Literatur ==
#''Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe'', Heft 114/115, Dornach 1995
#Rudolf Steiner: ''Fachwissenschaften und Anthroposophie'', [[GA 73a]] (2005), ISBN 3-7274-0735-2 {{Vorträge|073a}}
#Rudolf Steiner: ''Die Aufgabe der Anthroposophie gegenüber Wissenschaft und Leben'', [[GA 77a]] (1997), ISBN 3-7274-0771-9 {{Vorträge|077a}}
#Rudolf Steiner: ''Damit der Mensch ganz Mensch werde'', [[GA 82]] (1994), ISBN 3-7274-0820-0 {{Vorträge|082}}
#Rudolf Steiner: ''Die Erkenntnis-Aufgabe der Jugend'', [[GA 217a]] (1981), ISBN 3-7274-2175-4 {{Vorträge|217a}}
#Ernst Schuberth: ''Der Anfangsunterricht in der Mathematik an Waldorfschulen. Aufbau, fachliche Grundlagen und menschenkundliche Gesichtspunkte'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-7725-2563-6
#Ernst Schuberth: ''Der Mathematikunterricht in der 6. Klasse an Waldorfschulen. Teil 1: Vom Rechnen zur Algebra'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1995, ISBN 978-3772502668
#Ernst Schuberth: ''Der Mathematikunterricht in der 3.Klasse'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-7725-2592-6
#Arnold Bernhard: ''Algebra: Für die siebte und achte Klasse an Waldorfschulen'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1996, ISBN 978-3772502521
#Bengt Ulin: ''Der Lösung auf der Spur. Ziele und Methoden des Mathematikunterrichts. Erfahrungen aus der Waldorfpädagogik'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1987, ISBN 978-3772502484


{{GA}}
{{GA}}


== Weblinks ==
== Einzelnachweise ==


* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/mathematik.html Projekt Mathematik] Website
<references />


[[Kategorie:Wissenschaft]] [[Kategorie:Formalwissenschaften]] [[Kategorie:Mathematik|!]]
[[Kategorie:Mediziner]]  
[[Kategorie:Physiologe]]
[[Kategorie:US-Amerikaner]]
[[Kategorie:Mann]]
[[Kategorie:Geboren 1916]]
[[Kategorie:Gestorben 2007]]

Version vom 18. Juni 2018, 22:00 Uhr

Benjamin Libet (* 12. April 1916 in Chicago, Illinois; † 23. Juli 2007 in Davis, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Physiologe und gilt als Wegbereiter der experimentellen Bewusstseinsforschung.

Libet-Experiment

Bekannt wurde Libet vor allem für sein 1979 durchgeführtes und später nach ihm benanntes „Libet-Experiment“, bei dem er den zeitlichen Zusammenhang willkürlich eingeleiteter Handlungen mit der damit verbundenen neuronalen Aktivität studierte. Er kam dabei zu dem für ihn erstaunlichen Ergebnis, dass das die Handlung einleitende Bereitschaftspotential bereits deutlich vor der bewusst erlebten Entscheidung zu dieser Handlung aufgebaut wird.

Libet knüpfte an die Arbeiten von Hans Helmut Kornhuber (1928-2009) und Lüder Deecke (* 1938) an, die das Bereitschaftspotential 1964 entdeckt hatten[1]. Kornhubers und Deeckers Versuche zeigten, dass das Bereitschaftspotential schon etwa 0,4 bis 4 Sekunden vor der Bewegung flach anzusteigen beginnt und seinen Höhepunkt meist etwa 50 msec (zwischen 30-90 msec) nach Beginn der Bewegung erreicht. Das widersprach Libets Alltagserfahrung, wonach ihm die subjektiv empfundene Zeit zwischen Handlungsabsicht und -ausführung sehr viel kürzer erschien. Er wollte daher empirisch möglichst exakt feststellen, wann die Versuchsperson eine bewusste Handlungsentscheidung trifft, wann die zugehörige einleitende Aktivität im motorischen Cortex beginnt, und wann die betreffenden Muskeln tatsächlich tätig werden.

Schlussfolgerungen

Libets Erkenntnisse führten in den Neurowissenschaften und der Philosophie des Geistes zu heftigen Debatten über die Willensfreiheit des Menschen. Viele Forscher sehen seitdem die Freiheit des menschlichen Willens als bloße Illusion an; in Wahrheit sei der Mensch durch seine neurale Strukturen determiniert. So behauptet etwa der Neurophysiologe Wolf Singer: „Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen[2] und fordert entsprechende ethische und juristische Konsequenzen bezüglich der Schuldfähigkeit des Menschen. Libet selbst blieb in dieser Frage etwas vorsichtiger. Zwar ging auch davon aus, dass die von ihm untersuchten Bewegungen schon unbewusst neuronal angebahnt werden, doch gestand er - allerdings ohne empirische Grundlage - dem Bewusstsein ein freies „Veto-Recht“ zu, durch das die angebahnte Handlung innerhalb eines kleinen Zeitfensters noch abgebrochen werden kann, ehe sie tatsächlich zur Ausführung kommen würde. Neuere Untersuchungen (2016) von John-Dylan Haynes (* 1971) scheinen das auch experimentell zu bestätigen[3].

Kritik

Grundsätzlich zu hinterfragen ist, ob Libets Versuchsbedingungen überhaupt geeignet sind, Aussagen über die Willensfreiheit zu machen. Einfache Fingerbewegungen, wie sie seinen Experimenten zugrunde liegen, scheinen dazu wenig geeignet, da die in solche elementaren Körperbewegungen involvierte Motorik selbst weitgehend unbewusst abläuft. Aber gerade auch komplexe, mühsam erlernte Bewegungmuster, etwa Radfahren, funktionieren nur dann gut, wenn sie weitestgehend automatisch ablaufen. Wir bestimmen zwar bewusst die Richtung unserer Fahrt, aber der Bewegungsablauf selbst vollzieht sich autonom und fast unbewusst. Dem Neurowissenschaftler Gerhard Roth, der vehement die Willensfreit des Menschen bestreitet, ist insofern zuzustimmen, wenn er schreibt:

„Bewußtsein tritt auf, wenn das Gehirn mit kognitiven oder motorischen Aufgaben konfrontiert ist, für die noch keine „zuständigen“ Nervennetze existieren. Dabei finden synaptische Reorganisationen in spezifischen Nervennetzen statt. Dies kann mit bildgebenden Verfahren sichtbar gemacht werden. Sobald sich diese Netze konsolidieren, werden die kognitiven oder motorischen Leistungen automatisiert, und Bewußtsein, zum Beispiel in Form von Aufmerksamkeit, ist nicht mehr nötig.“

Gerhard Roth: Entstehen und Funktion von Bewußtsein[4]

Wenn ich etwa den Entschluss fasse, spazieren zu gehen, so kann ich hingegen sehr wohl die Frage stellen, ob ich zu diesem Entschluss aus freier bewusster Entscheidung gekommen bin, oder etwa nur rein gewohnheitsmäßig spazierengehe. Die eigentlichen motorischen Bewegungen, durch die ich dann einen Schritt vor den anderen setze, haben mit der vorangegangenen Entscheidung, wie sie auch gefallen sein mag, frei oder unfrei, nicht das Geringste zu tun. Entscheidend ist hier nicht, wie die Bewegung ausgeführt wird, sondern wie der Entschluss zustande kommt, sie auszuführen. Es geht nicht darum wie und wann ich eine bestimmte Handlungsfolge ablaufen lasse, sondern warum.

Dass eine Tat, bei der ich nicht weiß, warum ich sie ausführe, nicht frei ist, versteht sich von selbst. Wie ist es aber um eine Handlung bestellt, deren Gründe ich vollkommen überschauen kann? Ob ein Willensakt wirklich frei ist, werde ich nur beurteilen können, wenn ich klar erkenne, welche Triebfeder und welches Motiv mein Tun leitet. Alle damit zusammenhängenden Fragen hat Rudolf Steiner in seiner 1894 erschienen «Philosophie der Freiheit» ausführlich besprochen.

Literatur

  • Libet, Benjamin; Gleason, Curtis A.; Wright, Elwood W.; Pearl, Dennis K.: Time of Conscious Intention to Act in Relation to Onset of Cerebral Activity (Readiness-Potential) - The Unconscious Initiation of a Freely Voluntary Act, in: Brain 106 (1983), S. 623–642, doi:10.1093/brain/106.3.623 pdf
  • Libet, Benjamin: Unconscious Cerebral Initiative and the Role of Conscious Will in Voluntary Action, in: The Behavioral and Brain Sciences 8 (1985), S. 529–566, doi:10.1017/s0140525x00044903 pdf
  • Benjamin Libet: Mind Time: The Temporal Factor in Consciousness, Harvard University Press, Cambridge/Mass. 2004, ISBN 978-0674018464
    • deutsch: Benjamin Libet, Jürgen Schröder (Übers.): Mind Time: Wie das Gehirn Bewusstsein produziert, Suhrkamp Verlag 2005, ISBN 978-3518584279
  • Peter Heusser: Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin, Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686
  • Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit, GA 4 (1995), ISBN 3-7274-0040-4 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Hans H. Kornhuber, Lüder Deecke: Hirnpotentialänderungen bei Willkürbewegungen und passiven Bewegungen des Menschen: Bereitschaftspotential und reafferente Potentiale. In: Pflügers Arch 284, 1965, S. 1–17; doi:10.1007/BF00412364 online
  2. Wolf Singer in: Christian Geyer (Hrsg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 2004, S. 30ff.
  3. Matthias Schultze-Kraft, Daniel Birman, Marco Rusconi, Carsten Allefeld, Kai Görgen, Sven Dähne, Benjamin Blankertz, John-Dylan Haynes: The point of no return in vetoing self-initiated movements, Proceedings of the National Academy of Sciences January 2016, 113 (4) 1080-1085; doi:10.1073/pnas.1513569112
  4. Gerhard Roth: Entstehen und Funktion von Bewußtsein, in: Deutsches Ärzteblatt 1999; 96: A-1957–1961 [Heft 30]