Die Vermessung der Welt und Effi Briest: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Die Vermessung der Welt''' ist ein 2005 im Rowohlt Verlag auf Deutsch erschienener [[Roman]] von [[Daniel Kehlmann]]. [[Wikipedia:Sujet|Thema]] ist die fiktive Doppelbiografie des [[Mathematik]]ers und [[Wikipedia:Geodät|Geodät]]en [[Wikipedia:Carl Friedrich Gauß|Carl Friedrich Gauß]] (1777–1855) und des Naturforschers [[Alexander von Humboldt]] (1769–1859). Der Roman erreichte in Deutschland schon bald Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste und stand für 37 Wochen auf dieser Position. Auch international war er ein großer Erfolg, die ''{{lang|en|New York Times}}'' führte ihn am 15.&nbsp;April 2007 an zweiter Stelle der weltweit meistverkauften Bücher des Jahres 2006. Bis Oktober 2012 wurden allein in Deutschland 2,3 Millionen Exemplare verkauft.<ref>[http://www.bild.de/unterhaltung/kino/kinostarts/die-vermessung-der-welt-26859516.bild.html Zwei Genies erforschen die Welt – in 3D!], bild.de.</ref> Die weltweite Auflage liegt bei etwa 6 Millionen.<ref> {{Webarchiv|text=DIE VERMESSUNG DER WELT |url=http://www.kulturexpress.de/wpo/index.php/kino/1056-die-vermessung-der-welt |wayback=20130722202351 |archiv-bot=2018-04-06 16:13:48 InternetArchiveBot }}, kulturexpress.de.</ref>
[[Datei:Fontane Effi Briest (1896).jpg|400px|mini|Original-Verlagseinband und Titelblatt der ersten Buchausgabe 1896]]


== Inhalt ==
'''Effi Briest''' ist ein Roman von [[Theodor Fontane]], der von Oktober 1894 bis März 1895 in sechs Folgen in der ''[[Deutsche Rundschau|Deutschen Rundschau]]'' abgedruckt wurde, bevor er 1896 als Buch erschien. Das Werk gilt als ein Höhe- und Wendepunkt des [[Realismus (Literatur)|poetischen Realismus]] der deutschen Literatur: Höhepunkt, weil der Autor kritische Distanz mit großer schriftstellerischer Eleganz verbindet; Wendepunkt, weil Fontane damit zum bedeutendsten Geburtshelfer des deutschen [[Gesellschaftsroman]]s wurde, der wenige Jahre später mit [[Thomas Mann]]s Roman ''[[Buddenbrooks]]'' erstmals Weltgeltung erlangen sollte. Thomas Mann verdankt Fontanes Stil zahlreiche Anregungen.<ref>Anselm Salzer, Eduard von Tunk: ''Theodor Fontane.'' In: Dies.: ''Illustrierte Geschichte der Deutschen Literatur.'' Band 4 (Vom Realismus zum Naturalismus), S. 227 f.</ref> Auch der Familienname der Buddenbrooks stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus ''Effi Briest'': In Kapitel 28 wird eine Person namens Buddenbrook erwähnt.
Der Roman beginnt 1828 mit einer Reise Gauß’, des „Fürsten der [[Mathematik]], von [[Göttingen]] nach [[Berlin]] zur historisch verbürgten 17. Tagung der [[Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte]],<ref> {{Webarchiv|text=''Wissenschaft zum Anfassen.'' |url=http://www.uni-leipzig.de/campus2009/jubilaeen/2004/weber.html |wayback=20081102081032 |archiv-bot=2018-04-06 16:13:48 InternetArchiveBot }}</ref> wohin ihn Humboldt eingeladen hat. Von dieser Reise an stehen die beiden Wissenschaftler in [[Korrespondenz]] miteinander und tauschen sich über ihre Projekte aus.


In diese Rahmenhandlung eingebunden sind die kapitelweise abwechselnd chronologisch erzählten Lebensläufe von Gauß und Humboldt.
Beschrieben wird das Schicksal Effi Briests, die als siebzehnjähriges Mädchen auf Zureden ihrer Mutter den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten heiratet. Dieser behandelt Effi nicht nur wie ein Kind, sondern vernachlässigt sie zugunsten seiner karrierefördernden Dienstreisen. Vereinsamt in dieser Ehe, geht Effi eine flüchtige Liebschaft mit einem Offizier ein. Als Innstetten Jahre später dessen Liebesbriefe entdeckt, ist er außerstande, Effi zu verzeihen. Zwanghaft einem überholten Ehrenkodex verhaftet, tötet er den verflossenen Liebhaber im Duell und lässt sich scheiden. Effi ist fortan gesellschaftlich geächtet und wird sogar von ihren Eltern verstoßen. Erst drei Jahre später sind diese bereit, die inzwischen todkranke Effi wieder aufzunehmen.


Carl Friedrich Gauß wächst unter großer Fürsorge seiner Mutter in ärmlichen Verhältnissen auf. Daher ist sein Frauenbild sehr von seiner Mutter geprägt. Durch seine guten Leistungen in der Schule bekommt Gauß ein Stipendium vom Herzog von Braunschweig. Da er mit weniger intelligenten Menschen kaum zurechtkommt, verbringt er seine Zeit meist allein. Aufgrund seiner Isolation widmet er sich der Mathematik. Seine ärmlichen Verhältnisse nötigen ihn dazu, den Beruf des Landvermessers auszuüben. Dabei lernt er seine zukünftige Frau Johanna kennen. Nebenbei vollendet er sein Lebenswerk, die [[Disquisitiones Arithmeticae]]. Außerdem leitet er eine Sternwarte, was ihn finanziell absichert. Völlig vertieft in seine Arbeit, verpasst er die Geburt seines ersten Sohnes. Als seine Frau Johanna bei der dritten Schwangerschaft stirbt, heiratet Gauß, um seinen Kindern eine Mutter zu geben, Minna, die beste Freundin Johannas.
[[Rechtsgeschichte|Rechtsgeschichtlich]] spiegelt der Roman die harten Konsequenzen wider, mit denen in der [[Wilhelminismus|Wilhelminischen Ära]] Übertretungen des bürgerlichen Moralkodex geahndet wurden.<ref>Gordon A. Craig: ''Deutsche Geschichte 1866–1945.'' Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber, 2. Aufl., Beck, München 1999, ISBN 3-406-42106-7, S. 236.</ref>


Mittlerweile ist er mit der Vermessung des Königreichs Westfalen betraut, bei der ihm sein Sohn Eugen zur Seite steht. Während der Arbeit gerät er immer wieder mit Eugen in Konflikt, den er als völlig beschränkten Nichtsnutz ansieht.
== Inhalt ==
 
''(Die Seitenzahlenangaben der folgenden Abschnitte beziehen sich auf die unten angegebene, im [[Goldmann Verlag|Goldmann-Verlag]] erschienene Romanausgabe.)''
Bereits in jungen Jahren wird Alexander von Humboldt, der in einem reichen Umfeld ohne seinen Vater aufwächst, in vielen Fächern intensiv unterrichtet. Früh wird klar, dass sein großes Interesse der Forschung gilt, der er sich nach dem Tod seiner Mutter vollständig verschreibt. Er reist nach Frankreich und lernt dort [[Aimé Bonpland]] kennen, mit dem er eine Forschungsreise in die spanischen Kolonien und Lateinamerika unternimmt. Auf der Suche nach dem Verbindungskanal zwischen [[Orinoko]] und [[Amazonas]] entdecken sie eine Höhle in Neuandalusien, in der Humboldts Zweifel an der Theorie des [[Neptunismus]] bekräftigt wird.


Humboldt macht sich zeit seines Lebens immer wieder selbst zum Versuchsobjekt, um seine Theorien zu verifizieren. So zeigt er etwa durch die Einnahme von [[Curare]], dass dieses Gift nur dann tödlich ist, wenn es direkt in die Blutbahn gelangt. In [[Ecuador]] besteigen die zwei Forscher den höchsten Berg der damals bekannten Welt, den [[Chimborazo]]. Die schlechten Wetterbedingungen verhindern aber den letzten Aufstieg bis zum Gipfel. Vor der Öffentlichkeit wird dieser Misserfolg allerdings verheimlicht, und so gelten die beiden als Weltrekordhalter. Sie reisen nach Mittelamerika weiter. Dort besichtigen sie die Ruinen von [[Teotihuacán]] und Humboldt entdeckt, dass die Anlage der Stadt einen riesigen Kalender darstellt. Die letzte Station der beiden beschreibt das Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten [[Thomas Jefferson]].
Der 38-jährige Baron von Innstetten, ein früherer Verehrer von Effis Mutter, hält zu Beginn des Romans um die Hand des 17-jährigen Mädchens an und zieht mit Effi, nach der Heirat und anschließenden Hochzeitsreise durch Italien, nach Kessin (fiktiv) in [[Hinterpommern]]. Effi wird dort nie richtig glücklich und leidet unter ihrer Angst vor einem angeblichen Spuk im geräumigen landrätlichen Haus: Sie ist davon überzeugt, dass in manchen Nächten ein Chinese erscheine, der einst in Kessin gelebt und ein sonderbares Ende gefunden haben soll. In dieser Angst wird Effi bestärkt von Innstettens Haushälterin Johanna. Trost und Schutz findet Effi nur bei Rollo, Innstettens Hund, der sie auf ihren einsamen Spaziergängen begleitet.


In den restlichen Kapiteln 11–16 knüpft die Handlung des Romans wieder an das erste Kapitel an. In Humboldts Anwesen tauschen Gauß und Humboldt ihre Lebenserfahrungen und Ansichten aus. Dabei erfährt Gauß, dass sein Selbstmordversuch durch das Gift Curare gescheitert wäre.
Freundschaft schließt Effi auch mit dem Apotheker Alonzo Gieshübler, der sie versteht und verehrt und ihr Halt gibt. Sie erhält von ihm täglich sorgsam präparierte Zeitungen und kleine Aufmerksamkeiten, die ihr ereignisloses Leben bereichern sollen,<ref>Beide Eigenschaften Gieshüblers, nämlich für Effi sowohl die Rolle des „Arztes“ und fürsorglichen Freundes als auch die des „Zeitungsredakteurs“ zu übernehmen, erinnern an den Autor Theodor Fontane selbst, der ja ebenfalls Apotheker und Journalist war und sich, laut eigenen Aussagen, in seinen Romanen wiederholt mit Hilfe mancher, meist älterer, weiser und menschenfreundlicher Figuren ein Sprachrohr seiner eigenen Überzeugungen zu schaffen verstand.</ref> ein Bedürfnis, das durch die formellen Landpartien und Anstandsbesuche, an denen sie mit ihrem Mann teilnimmt, kaum befriedigt wird. Im Gegenteil: die junge Dame langweilt sich in den steifen Adelskreisen zu Tode (98).<ref>Gleichzeitig verabsäumt es Effi allerdings aufgrund ihrer Jugend und Unreife, die Zügel in die Hand zu nehmen und die von ihr erhoffte Rolle als Gattin Innstettens zu erfüllen. Sowohl der Welt draußen, die von ihr gesellschaftlichen Umgang und gastliche Verpflichtungen erwartet, als auch der Welt innen, die von ihr als Frau des Hauses Innstetten aktive Gestaltung erfordern würden, bleibt sie nach anfänglichen Unsicherheiten passiv gegenüber. Stattdessen akzeptiert Effi in Kessin ihre Rolle als kindliche Ehegattin. Wie so häufig bei Fontane, sind es auch in ''Effi Briest'' Monotonie und Langeweile, die den Stein des Unglücks ins Rollen bringen. Dabei steht für Effi schon vor der Ehe fest, dass die Vermeidung von Langeweile durch Zerstreuung zu den unabdingbaren Zutaten einer „Musterehe“ (29) gehört: ''Liebe kommt zuerst, aber gleich dahinter kommt [sic] Glanz und Ehre, und dann kommt Zerstreuung – ja Zerstreuung, immer was Neues, immer was, daß ich lachen oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile.'' (30)</ref>
Eugen flüchtet aufgrund erneuter Beschimpfungen durch seinen Vater und wird während einer geheimen Studentenversammlung von der Polizei verhaftet.
Den Naturforscherkongress in Berlin verlässt Gauß, der derartige große Gesellschaften nicht gewohnt ist, vorzeitig und noch ehe er dem König vorgestellt werden kann. Anschließend kommt es zwischen ihm und Humboldt zu einem Disput über das wahre Wesen der Wissenschaft, bis man durch die Nachricht von der Verhaftung Eugens unterbrochen wird. Humboldt versucht, den Gendarmeriekommandanten Vogt zur Freilassung Eugens zu überreden, scheitert jedoch durch Gauß’ undiplomatisches Eingreifen. Eugen wird durch Humboldts Zutun später zwar wieder auf freien Fuß gesetzt, muss aber das Land verlassen und wandert nach Amerika aus.


Als die Wege der Forscher sich trennen, nimmt Humboldt die Einladung Russlands zu einer weiteren Forschungsreise an. Mit Gauß, der sich mittlerweile mit dem Magnetismus beschäftigt, steht er in engem Briefkontakt. Beide Männer erkennen, dass mit zunehmendem Alter ihre Lebenskräfte schwinden und sie von einer neuen Generation von Wissenschaftlern abgelöst werden.
Neun Monate nach der Hochzeit bekommt Effi eine Tochter, die auf den Namen Annie getauft wird. Während ihrer Schwangerschaft traf Effi auf einem ihrer Spaziergänge das katholische Hausmädchen Roswitha, das sie nun als Kindermädchen einstellt. Ungefähr zur gleichen Zeit taucht Major von Crampas in Kessin auf. Er hat zusammen mit Innstetten beim Militär gedient, ist aber charakterlich dessen ganzes Gegenteil: ein spontaner, leichtlebiger und erfahrener „Damenmann“. Verheiratet mit einer eifersüchtigen, „immer verstimmten, beinahe melancholischen“ Frau (101), begeistert er sich für Effis jugendliche Natürlichkeit und ermuntert sie zu Abwechslung und Leichtsinn. Anfangs widersteht Effi seinem Charme, dann jedoch, als Effi immer wieder von Innstetten allein gelassen wird und sich in ihrem eigenen Hause ängstigt und einsam fühlt, bahnt sich eine heimliche Affäre an, die Effi in immer bedrängendere Gewissenskonflikte stürzen wird: Effi lässt sich zunächst von Crampas dazu überreden, zum Zeitvertreib der langen Winterabende ein gemeinsames Theaterspiel mit dem bezeichnenden Titel „Ein Schritt vom Wege“ ([[Ernst Wichert]]) einzustudieren und in der Kessiner Ressource aufzuführen. Kurz vor Weihnachten kommt es unter der Regie von Major Crampas zu einer überaus erfolgreichen Vorstellung, und Effi wird als weibliche Heldin gefeiert – von den Herren bewundert, von den Damen beneidet. Eine Woche später begeben sich die Kessiner Honoratioren auf eine traditionelle Schlittenpartie zur Oberförsterei. Als man, schon etwas angeheitert, zu nächtlicher Stunde den Heimweg antritt, streiken unterwegs plötzlich die Pferde am sogenannten Schloon, einem unterirdischen Wasserlauf, der den Strand unpassierbar gemacht hat.<ref>Das Phänomen wird von dem Mineralogen Walter A. Franke genauer beschrieben. In: Walter A. Franke: [http://www.geo.fu-berlin.de/geol/fachrichtungen/geochemhydromin/mineralogie/pdf/Treibsand.pdf?1373747340 ''Was ist Treibsand? Abschnitt „Quicksand“'']</ref> Um zu vermeiden, dass die Schlitten im heimtückischen Sand versinken, muss man einen Umweg durch den finsteren Uferwald nehmen und „mitten durch die dichte Waldmasse“ (156) fahren. Crampas, der mit Effi im letzten Schlitten Platz genommen hat, nutzt den Schutz der Dunkelheit aus: Effi „fürchtete sich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus. – ‚Effi‘, klang es jetzt leis an ihr Ohr, und sie hörte, daß seine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löste die Finger, die sie noch immer geschlossen hielt, und überdeckte sie mit heißen Küssen. Es war ihr, als wandle sie eine Ohnmacht an.“ (157)


== Erzählweise ==
Von nun an treffen sich die beiden regelmäßig in den Dünen, und Effi ist gezwungen, ihrem Mann eine „Komödie“ vorzuspielen. Sie fühlt sich „wie eine Gefangene“, leidet schwer darunter und will sich befreien: „Aber wiewohl sie starker Empfindungen fähig war, so war sie doch keine starke Natur; ihr fehlte die Nachhaltigkeit, und alle guten Anwandlungen gingen wieder vorüber. So trieb sie denn weiter, heute, weil sie’s nicht ändern konnte, morgen, weil sie’s nicht ändern wollte. Das Verbotene, das Geheimnisvolle hatte seine Macht über sie.“ (164)<br />
Der Erzählrhythmus wird durch die schnelle Folge der mathematischen und geografischen Entdeckungen bestimmt. Eine [[Biografie]] rekonstruiert Daten, Taten, Aufenthalte – dieser Roman dagegen verzichtet darauf fast vollständig, erzählt aber dennoch sehr übersichtlich und zielstrebig: Sechzehn zwischen acht und vierzig Seiten lange Kapitel tragen treffende Titel (''Die Reise'', ''Das Meer'', usw.), die den Gestus der Transparenz wissenschaftlicher Abhandlungen imitieren.
Als Wochen später ihr Mann nach Berlin berufen wird, um dort im Ministerium Karriere zu machen, und Innstetten ihr stolz verkündet, dass sie Kessin demnächst verlassen und in die Hauptstadt umziehen werden, empfindet Effi eine riesige Erleichterung: „Effi sagte kein Wort, und nur ihre Augen wurden immer größer; um ihre Mundwinkel war ein nervöses Zucken, und ihr ganzer zarter Körper zitterte. Mit einem Male aber glitt sie von ihrem Sitz vor Innstetten nieder, umklammerte seine Knie und sagte in einem Tone, wie wenn sie betete: ‚Gott sei Dank!‘“ (176) – Endlich von allen Gewissensbissen erlöst, genießt Effi „ihr neues Leben“ in der Großstadt, wo sie die langweilige Zeit im ländlichen Kessin und das verbotene Verhältnis zu Crampas bald vergessen kann.


Der [[lakonisch]]e Stil kurzer Sätze ist die Basis für an das Deutsch des 19.&nbsp;Jahrhunderts erinnernde Wendungen und die ausschließlich in [[Indirekte Rede|indirekter Rede]] geschriebenen Dialoge, die mehr als nur eine historische Distanz des Autors zu seinen Figuren signalisieren.
Sechs Jahre später, während Effi gerade zur Kur in [[Bad Ems]] weilt, entdeckt Innstetten in einem Nähkästchen<ref>Fontane spielt hier an auf die Redewendung „aus dem Nähkästchen plaudern“, eine modernere Form der Redewendung „aus der Schule plaudern“ (= „von Dingen reden, die eigentlich Geheimnisse eines bestimmten Kreises sind“, s. Lutz Röhrich: ''Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten.'' Herder, Freiburg 1973, S. 898). Er verwendet also eine bereits existierende sprachliche Form, die schon vor ''Effi Briest'' üblich war, und kreiert sie nicht erst.</ref> durch Zufall Crampas’ Briefe, die ihm die Affäre der beiden enthüllen.<ref>Dieser Zufall wird bezeichnenderweise dadurch ausgelöst, dass sich die kleine Tochter Annie beim Spiel eine blutende Stirnwunde zuzieht, für die nun schnellstens ein Verband gesucht werden muss, der sich dann auch (un)glücklich in jenem verschlossenen Nähkästchen findet: nicht nur eine sehr verräterische Koinzidenz (vgl. dazu den obigen Abschnitt „Symbolische Motive“), sondern auch ein Beweis dafür, dass ihr Vater recht hat, wenn er bei ihr eine ursprünglich sehr große Ähnlichkeit mit ihrer temperamentvollen Mutter feststellt („Du bist so wild, Annie, das hast du von der Mama. Immer wie ein Wirbelwind“, 273), und ein vielsagender Hinweis darauf, wie massiv Innstetten später seine Tochter zum stillen und braven Püppchen umerzieht, das sich nur noch verlegen bewegt und mechanisch wiederholt, was man ihr eingetrichtert hat (265f.).</ref>
Aufgrund des −&nbsp;aus Innstettens Sicht zwar kritisch, aber doch noch als gesellschaftlich verbindlich betrachteten&nbsp;[[Ehrenkodex]]es beschließt er, den Major zu einem [[Duell]] zu fordern. Dabei wird Effis einstiger Liebhaber tödlich getroffen. Innstetten trennt sich trotz aller Selbstzweifel von seiner Frau und weiß, dass er damit auch sein eigenes privates Glück zerstört: „Ja, wenn ich voll tödlichem Haß gewesen wäre, wenn mir hier ein tiefes Rachegefühl gesessen hätte … Rache ist nichts Schönes, aber was Menschliches und hat ein natürlich menschliches Recht. So aber war alles einer Vorstellung, einem Begriff zuliebe, war eine gemachte Geschichte, eine halbe Komödie. Und diese Komödie muß ich nun fortsetzen und muß Effi wegschicken und sie ruinieren und mich mit.“ (236)


Im Mikrobereich der Abschnittswechsel sorgen z.&nbsp;B. [[Ellipse (Linguistik)|elliptische]] Überblendungen für Dynamik: {{"|Er [Humboldt] müsse Gauß unbedingt sagen, daß er jetzt besser verstehe.}} Und ohne dass Gauß über diesen Gedanken per Post informiert sein könnte, setzt dieser 1800&nbsp;Kilometer weiter westlich im direkt folgenden Absatz fort: {{"|Ich weiß, daß Sie verstehen.}}
Effis Eltern senden ihrer Tochter einen Brief, in dem sie erfährt, dass sie aufgrund der gesellschaftlichen Konventionen nicht mehr nach Hohen-Cremmen, dem elterlichen Anwesen und Haus ihrer glücklichen Kindheit, zurückkehren könne. Verstoßen von Ehemann und Eltern, zieht sie in eine kleine Wohnung in Berlin und fristet dort, zusammen mit der ihr nach wie vor in Treue verbundenen Haushälterin Roswitha, ein einsames und kümmerliches Dasein.<br />
Nach einem enttäuschenden Besuch ihrer kleinen Tochter Annie, die ihre Mutter lange Zeit nicht sehen durfte und ihr inzwischen völlig entfremdet ist, erleidet Effi einen Zusammenbruch. Ihre Eltern beschließen auf Anraten eines Arztes, ihr krankes Kind doch wieder zu sich zu nehmen. Effis gesundheitlicher Zustand verbessert sich nur kurzzeitig. Angesichts des nahenden Todes spricht sie ihren früheren Gatten von jeglicher Schuld frei (285). Effi Briest stirbt mit etwa 30 Jahren in ihrem Elternhaus. Effis Mutter glaubt, eine Mitschuld am Tod ihrer Tochter zu tragen, weil sie Effis früh eingegangener Ehe mit einem 21 Jahre älteren Mann zugestimmt hatte. Herr von Briest beendet jedoch jegliches weitere Grübeln mit seinen leitmotivisch im gesamten Roman immer wieder geäußerten Worten: „Ach, Luise, laß … das ist ein ‚zu‘ weites Feld.“<ref>Theodor Fontane: ''Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden.'' Band 8: ''Effi Briest.'' Goldmann, München 1966, S. 287; aber auch – teils als „weites“, teils als „zu weites Feld“ – auf den Seiten 35, 38 und 40 sowie auf Seite 116, wo diese Redensart gleich zweimal zitiert wird.</ref>


In dieser fiktiven Doppelbiografie haben die Lebensläufe der beiden Hauptfiguren keine weiteren Berührungspunkte außer den nur gelegentlichen Bezugnahmen des fast lebenslang daheim bleibenden Gauß auf Nachrichten von Humboldts Amerikareise lange vor ihrer Bekanntschaft und dem späteren Kontakt in der Rahmenhandlung. Ihre nur punktuellen Interaktionen lassen sie mehr zu Repräsentanten von Einstellungen als zu Trägern einer gemeinsamen Handlung werden. Das Gemeinsame ist ihre auf meist unterschiedlichen Gebieten sich entwickelnde frühe wissenschaftliche Kompetenz, die der Roman jedoch nur skizzenhaft andeutet.
== Form ==
''(Die Seitenzahlenangaben der folgenden Abschnitte beziehen sich auf die unten angegebene, im Goldmann-Verlag erschienene Romanausgabe.)''


Ebenfalls gemeinsam ist ihnen die Behandlung ihres Lebens durch den [[Typologisches Modell der Erzählsituationen#Auktoriale Erzählsituation|auktorialen Erzähler]], der von einem Standpunkt dicht neben seinen beiden Hauptfiguren spricht und dabei Gauß mehr von innen, Humboldt mehr von außen beschreibt. Der Erzähler kennt die Gefühle seiner Hauptfiguren zwar, was er aber von ihnen mitteilt, ist meist nur auf ihre wissenschaftlichen Projekte reduziert. Die Figuren bleiben daher ohne Tiefe: Humboldt und Gauß (der anfangs noch schwört, seine sibirische Prostituierte heiraten zu wollen) scheinen sich ausschließlich auf ein Leben für die [[Wissenschaft]] zu reduzieren. Gauß zum Beispiel springt schon in der Hochzeitsnacht eines mathematischen Einfalls wegen aus dem Bett und vergisst später den Geburtstermin seines ersten Sohnes; für den Kontinentdurchquerer Humboldt bleiben Frauen ein Leben lang ''{{lang|la|terra incognita}}''. In einem Dialog mit seinem Bruder wird die [[Alexander von Humboldt#Anfänge (1769–1790)|beim historischen Humboldt vermutete]] [[Homosexualität]] dargestellt als nicht ausgelebte gleichgeschlechtliche [[Pädophilie]].
Was Fontanes Werk unter anderem auszeichnet, ist sein Spannungen schaffendes Jonglieren mit den ästhetisierenden Elementen des [[Realismus (Literatur)|poetischen Realismus]] einerseits und den um größere Objektivität bemühten Mitteln des bürgerlichen [[Gesellschaftsroman]]s andererseits. Dazu zieht er virtuos alle Register literarischen Erzählens: vom [[auktorial]]en Plauderton über das [[Erzählperspektive|perspektivische]] Berichten mit wechselndem Fokus bis hin zur [[Erlebte Rede|erlebten Rede]], von der episch breiten Beschreibung über die dialogische Konversation bis hin zur monologischen Briefform – kein Mittel konventionellen literarischen Schreibens bleibt ungenutzt. „Das Geflecht der Verweisungen durch beziehungschaffende Bilder und Gegenbilder, [[Allusion]]en und Parallelen, [[Omen|Omina]], Signale, Echos und Spiegelungen, sich wiederholende, abbrevierende Bild- und Redeformeln – Fontane bedient sich ihrer so überlegt wie überlegen.“<ref>Kurt Wölfel: ''Nachwort.'' Zu: Theodor Fontane: ''Effi Briest.'' Reclam, Stuttgart 1991, S. 340.</ref>


Der Erzählton ist durchwegs ironisch. Die vielseitigen Einseitigkeiten der Hauptfiguren werden mit Humor vorgeführt und viele anekdotenhafte Ereignisse aus ihren Leben komisch überformt. Gauß erscheint schon auf den ersten Seiten wie ein großes Kind, und als Humboldt mit seinem Bruder Wilhelm (dessen Vorname im gesamten Buch nicht genannt wird) am Totenbett seiner Schwägerin sitzt, vergessen beide, {{"|geradezusitzen und klassische Dinge zu sagen.}} Der junge Eugen Gauß hat einige Schwierigkeiten, sich abends in dem für ihn unüberschaubaren Berlin zu orientieren: {{"|Immer neue Straßen, immer noch eine Kreuzung, und auch der Vorrat an umhergehenden Leuten schien unerschöpflich.}} Die dann folgende Verhaftungsszene der revolutionär-naiv-weinerlichen Studenten steigert noch einmal die durch den Erzählton vermittelte Distanz zu den Figuren.
Vater Briest ist teilweise Fontanes [[Alter Ego]] im Roman, insbesondere gilt das für seinen Spruch: „Das ist ein (zu) weites Feld.“, der zum [[Geflügeltes Wort|geflügelten Wort]] geworden ist. Ihm kommt schon insofern eine Schlüsselfunktion zu, als Fontane sie nicht nur zum stets wiederkehrenden [[Leitmotiv]], sondern darüber hinaus auch zum krönenden Schlusssatz seines Romans macht. Dem alten Briest erscheint diese Welt zu kompliziert, zu widersprüchlich und zu lästig, als dass er sie erklären wollte. Mit seinem Zitat lässt er (und sein Autor) immer wieder an entscheidender Stelle offen, wie er zu den Dingen steht, und spart aus, was jeder Leser für sich selbst ergänzen sollte.


Die Komik des Romans wird einerseits durch seine kontrastierenden Konfigurationen Gauß/Humboldt, Gauß/Eugen, Humboldt/Bonpland, andererseits hauptsächlich durch das weltfremde Auftreten der beiden Protagonisten erzeugt. Gauß wirkt vor allem durch seine geistige Arroganz, sein cholerisches Temperament und seine undiplomatische Direktheit rücksichtslos, ja inhuman. Humboldt dagegen erscheint durch seine kauzige Engstirnigkeit und allzu wissenschaftliche Nüchternheit in zwischenmenschlichen, alltäglichen Situationen unbeholfen – zum Beispiel, als er, nach der Aufforderung seiner südamerikanischen Expeditionskameraden, sie zu unterhalten, Goethes Gedicht ([[Wandrers Nachtlied]]) für sie ins Spanische übersetzt: {{"|Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den Bäumen kein Wind zu fühlen, auch die Vögel seien ruhig und bald werde man tot sein. Alle sahen ihn an. Fertig, sagte Humboldt.}} Außerdem verwendet Kehlmann viele Übertreibungen und weitet manche Details bis ins Lächerliche aus. Auch der schnelle Wechsel von Scherz zu Ernst trägt zur situationsbedingten Komik bei, was man z.&nbsp;B. deutlich an der „Lehrer-Szene“ erkennt: Der kleine Gauß wird von seinem Lehrer dazu verdonnert, ein Buch über „Höhere Arithmetik“ zu studieren. Als Gauß dem Lehrer das Buch am nächsten Tag zurückgeben will, glaubt ihm dieser nicht, dass er das Buch gelesen hat, und wirft ihm vor, es sei für einen kleinen Jungen unmöglich, so ein schwieriges Buch innerhalb kürzester Zeit zu lesen und zu verstehen. Gauß jedoch bestätigt, er habe das Buch gelesen, worauf sein Lehrer plötzlich ganz „weich“ wird.
Effi ist zu jung, zu naiv, zu ungezügelt; Innstetten ist zu alt, zu karrieresüchtig, zu eifersüchtig, zu humorlos und zu ehrpusselig; die beiden sind zu verschieden. Während Fontane durch die Wahl der Formulierung „zu weit“ durchaus auf eine Schwäche des alten Briest hinweisen will, betont er doch andererseits durch den Verzicht auf jede weitere Erläuterung die liberale Toleranz und Humanität dieser Vaterfigur. Immer aber, wenn Liebe und Menschlichkeit gefragt sind, beispielsweise als es darum geht, die sozial geächtete und verstoßene Tochter gegen den „Anspruch der Gesellschaft“ wieder nach Hause zu holen, ist der alte Briest durchaus gewillt, aus seiner Deckung zu kommen und seine Reserviertheit, auch gegen den Widerstand seiner Frau, aufzugeben: „Ach, Luise, komme mir mit Katechismus, soviel du willst; aber komme mir nicht mit ‚Gesellschaft‘ […] die ‚Gesellschaft‘, wenn sie nur will, kann ein Auge zudrücken. […] Ich werde ganz einfach telegraphieren: ‚Effi, komm.‘“ (269 f.) Mit seinem Aufbegehren und der Forderung danach, ein Auge zuzudrücken, verhält er sich entschieden mutiger als seine Frau, die ihre Tochter vor allem deswegen verstieß, weil sie meinte, „vor aller Welt Farbe bekennen“ (248) zu müssen. Trotzdem gilt für den alten Briest, dass es paradoxerweise gerade seine Zurückhaltung ist, die ihn, obwohl nur Randfigur, ähnlich wie den Apotheker Gieshübler zu einem der prägenden Charaktere des Romans werden lässt.


Unschwer zu erkennen sind auch die Parallelen zu [[Hermann Hesse]]s Roman [[Narziß und Goldmund]]: Auch dort wählen zwei Charaktere, die vieles gemeinsam haben, grundverschiedene Wege. In beiden Werken entscheidet sich der eine (Humboldt bzw. Goldmund) zu reisen, um die Welt kennenzulernen, während der andere (Gauß und Narziß) ausschließlich durch Denken Erfolg erzielen will. Besonders deutlich wird die Ähnlichkeit durch Humboldts letzte Reise nach Russland, wo er die Reise nicht „genießen“ kann und schließlich erkrankt. Die Kontrastierung eines vielreisenden Protagonisten mit einem, der sich nur in engen, heimischen Sphären bewegt, findet sich auch in [[Wilhelm Raabe]]s Roman [[Stopfkuchen]].
In gleicher Art verdanken noch verschiedene andere Hauptmotive des Romans ihren Reiz solchen Leerstellen: der Seitensprung mit Crampas, die Schuldfrage, die Kritik an der preußischen Gesellschaft und, nicht zuletzt, das Geheimnis um den Chinesen – sie alle werden nie explizit, sondern fast ausschließlich in [[Omission|omissiven]] Andeutungen dargestellt und gewinnen auf diese Weise erst den spannenden Schwebezustand, der den Roman von trivialer Salonliteratur unterscheidet.<ref>Vgl. zu Fontanes Omissionsstil auch die Arbeit von Dietrich Weber: ''„Effi Briest“: „Auch wie ein Schicksal“. Über den Andeutungsstil bei Fontane.'' In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts NF, 1966, S. 457–474.</ref>


== Deutung ==
== Symbole und Motive ==
Die ironische Entzauberung deutscher Intelligenzgeschichte ist ''eine'' der immanenten Deutungsmöglichkeiten: Gauß scheitert grandios an seiner Menschenrolle, der ältere Bruder Humboldts wehrt sich haarspalterisch gegen die Vorstellung, die Erfolge der Humboldtbrüder seien lediglich auf ihre Rivalität zurückzuführen: {{"|Weil es Dich gab, mußte ich Lehrer eines Staates, weil ich existierte, hattest Du der Erforscher eines Weltteils zu werden, alles andere wäre nicht angemessen gewesen.}}
''(Die Seitenzahlenangaben der folgenden Abschnitte beziehen sich auf die unten angegebene, im Goldmann-Verlag erschienene Romanausgabe.)''


Eine weitere Bedeutung erschließt sich aus der Antwort auf die Frage nach den Auswirkungen der Wissenschaft auf die sie tragende Gesellschaft. Gauß’ politisch reaktionäre Einstellung ist auch im Roman deutlich – er wird eine Verbesserung der Lage der Untertanen seines Herrn nicht einmal gewünscht haben. Anders der Franzosenfreund Humboldt, der im Roman Zweifel äußert, ob seine amerikanische Flussreise {{"|Wohlfahrt für den Kontinent gebracht}} habe, und damit anknüpft an [[Diogenes von Sinope]], der schon im 4.&nbsp;Jahrhundert vor Christus gefragt haben soll, ob alle Entdeckungen und Erfindungen etwas an der Mühsal der Mehrheit geändert hätten.
Alle zentralen Themen des Romans (Liebe, Ehe, Karriere, Angst, Schuld, Entsagung, Strafe, Zeit und Tod) klingen bereits im ersten Kapitel (S. 5–13) unüberhörbar an, die auffälligsten Dingsymbole (das Rondell, die Kirchhofsmauer, die Schaukel, der Teich und die alten Platanen) sogar schon im ersten Absatz des Romans, wo Fontane das „schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnte Herrenhaus zu Hohen-Cremmen“ mit seinem „kleinen Ziergarten“ ausführlich beschreibt und so für eine Bilderdichte sorgt, die er im Verlaufe seines Romans ständig weiter ausspinnt zu einer komplexen Textur von Vor- und Rückverweisen und die seinem Alterswerk jene anspruchsvolle Qualität verleiht, von der die Leichtigkeit seines Erzähltons nichts zu wissen scheint.


Einen dritten Aspekt offenbart das Kapitel, das die Russlandexpedition Humboldts von 1829 schildert. Der alte und schon etwas trottelige Forscher ist während der Reise von Lakaien umgeben, die im Auftrage des Zaren und des preußischen Königs verhindern, dass Humboldt mehr zu sehen bekommt, als er sehen soll. Der Forscher wird unfreiwillig zu einem ''{{lang|en|[[Wikipedia:Embedded Journalist|embedded scientist]]}}'' und die von ihm bereiste Welt zu seinem „[[Wikipedia:Potemkinsches Dorf|potemkinschen Dorf]]“. Was kann ein Wissenschaftler wirklich jenseits der Hauptstraßen der Macht erkennen? Hat Humboldt wirklich mehr von der Welt gesehen als Gauß? Humboldt selbst jedenfalls ist sich da am Ende nicht mehr so sicher, er habe {{"|auf einmal nicht mehr sagen können, wer von ihnen weit herumgekommen war und wer immer zu Hause geblieben.}} Die ''Vermessung'' der Welt darf daher auch als ihre ''Ver-Messung'' gelesen werden.
=== Das Rondell ===
Schon vor Effis Hochzeit erhält das Rondell im Garten von Hohen-Cremmen eine verweisende Funktion: „der in einem zierlichen Beet um die Sonnenuhr herumstehende [[Sonnenwenden|Heliotrop]] blühte noch, und die leise Brise, die ging, trug den Duft davon zu ihnen [Mutter und Tochter Briest] herüber. ‚Ach wie wohl ich mich fühle‘, sagte Effi, ‚so wohl und so glücklich; ich kann mir den Himmel nicht schöner denken. Und am Ende, wer weiß, ob sie im Himmel so wunderschönen Heliotrop haben.‘“ Dieser Vergleich macht die Idylle von Hohen-Cremmen zu einer geradezu überirdischen, „quasi jenseitigen Landschaft.“<ref>Cordula Kahrmann: ''Idyll im Roman: Theodor Fontane.'' Fink, München 1973, S. 340.</ref> Wie der Heliotrop (griech. „Sonnenwende“) sehnt auch Effi sich stets nach der Sonnenseite des Lebens, ein Bedürfnis, dem ihre Eltern noch nach ihrem Tode Rechnung tragen, wenn sie die Sonnenuhr in der Mitte des Rondells beseitigen und durch Effis Grabstein ersetzen, den Heliotrop um die ehemalige Sonnenuhr herum jedoch „verschonen“ und die weiße Marmorplatte „einrahmen“ lassen (286).
Auf diese Weise dient das Rondell zudem „der symbolischen Verschränkung von Tod und Leben“,<ref>Cordula Kahrmann: ''Idyll im Roman: Theodor Fontane.'' Fink, München 1973, S. 340.</ref> die auch die Mehrzahl der anderen Leitmotive Fontanes (s. u.) bestimmt.


== Charakterisierung der Hauptfiguren ==
=== Die Platanen ===
<small>Alle Seitenangaben beziehen sich auf die im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienene Ausgabe.</small>
„Zwischen Teich [s. u. ‚Wassermetaphorik‘] und Rondell aber und die Schaukel [s. u.] halb versteckend standen ein paar mächtige alte Platanen“ (5). Wenn wenig später der alte Briest und sein neuer Schwiegersohn „auf dem Kieswege zwischen den zwei Platanen auf und ab“ gehen und über die berufliche Zukunft Innstettens reden, deutet sich bereits an, dass diese alten Baumriesen Tradition und offizielles Leben repräsentieren. Den Garten an seiner offenen Seite abschließend und „etwas seitwärts stehend“ (14) kontrastieren sie mit der Kindheit und dem Privatleben Effis (Schaukel bzw. Rondell). Wie aus einer gewissen distanzierten Höhe begleiten sie ihren Lebenslauf und werfen buchstäblich ihre breiten Schatten auf ihr Glück. Als sich Effis Hochzeitstag jährt und sie nachts am offenen Fenster sitzt und ihre Schuld nicht vergessen kann, „legte sie den Kopf in ihre Arme und weinte bitterlich. Als sie sich wieder aufrichtete, war sie ruhiger geworden und sah wieder in den Garten hinaus. Alles war so still, und ein leiser, feiner Ton, wie wenn es regnete, traf von den Platanen her ihr Ohr. […] Aber es war nur die Nachtluft, die ging.“ (213) Da aber gerade „die Nachtluft und die Nebel, die vom Teich her aufstiegen“, sie gegen Ende des Romans „aufs Krankenbett warfen“ (283) und letztlich ihren Tod herbeiführen, klingt jener unablässige leise Ton der beiden Platanen gleichsam wie der ferne Todesgesang verführerischer Sirenen, die die junge Frau ins Totenreich hinüberlocken. In ihrer letzten Nacht setzt sich Effi wieder ans offene Fenster, „um noch einmal die kühle Nachtluft einzusaugen. Die Sterne flimmerten, und im Parke regte sich kein Blatt. Aber je länger sie hinaushorchte, je deutlicher hörte sie wieder, daß es wie ein feines Rieseln auf die Platanen niederfiel. Ein Gefühl der Befreiung überkam sie. ‚Ruhe, Ruhe.‘“ (286)
=== Alexander von Humboldt ===
Der Roman umfasst einen großen Teil des Lebens von Alexander von Humboldt, der aus adligem Hause stammt und von Kindesbeinen an in den Studien der Naturwissenschaften unterrichtet wird. Sein Bruder Wilhelm fühlt sich ihm geistig stets überlegen. Daraus entwickelt sich Alexanders Ehrgeiz, seinen Bruder zu übertreffen: „Von nun an wurden seine Noten besser. Er arbeitete konzentriert und nahm die Gewohnheit an, beim Nachdenken die Fäuste zu ballen, als müsse er einen Feind besiegen.“ (S. 25) Ein weiteres einschneidendes Erlebnis in seinem Leben ist der Tod seiner Mutter, weshalb er seine Tätigkeit als Bergwerksassessor beendet und sich der Wissenschaft zuwendet.


Humboldts Patriotismus spiegelt sich in seiner Kleidung und in seinem Verhalten wider: „Er sei Preuße, er könne nicht für ein anderes Land Dienst tun.“ (S. 203). Seine Persönlichkeit zeichnet sich durch seine Humorlosigkeit, Geradlinigkeit und sein zielgerichtetes Verhalten aus.
=== Die Schaukel ===
Er handelt meist respektvoll und freundlich. Jedoch kann er gegenüber Personen, die seine Ansichten nicht teilen, auch sehr direkt und unangenehm werden.
Das alte Spielgerät, „die Pfosten der Balkenlage schon etwas schief stehend“, symbolisiert nicht nur Effis unbeschwerte Kindheit im elterlichen Herrenhaus zu Hohen-Cremmen, sondern auch den von ihr so gern ausgekosteten Reiz des Gefährlichen, das Gefühl abzustürzen und doch immer wieder aufgefangen zu werden. Ihre Mutter meint denn auch, sie „hätte doch wohl Kunstreiterin werden müssen. Immer im Trapez, immer Tochter der Luft“ (7), womit Fontane möglicherweise auf [[Pedro Calderón de la Barca]]s Drama ''La hija del aire'' (''Die Tochter der Luft'', 1653) anspielt.


Zusammen mit seinem Begleiter Aimé Bonpland scheut er keine noch so strapaziösen Mühen, die Natur in allen ihren Erscheinungsformen zu erforschen. Dadurch erhofft er sich den Ruhm und Anerkennung der Öffentlichkeit.
Angst kennt sie dabei nicht, im Gegenteil, „ich falle jeden Tag wenigstens zwei-, dreimal, und noch ist mir nichts gebrochen“ (9). Von ihrer gleichaltrigen Freundin Hulda wird sie daraufhin an das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall“ erinnert, wiederum symbolisch und nicht ganz zu Unrecht, wenn man berücksichtigt, dass Effi ein ausgesprochenes Faible für alles „Vornehme“ hat und den ungeliebten Geert von Innstetten nicht zuletzt deswegen heiratet, weil er doch Baron und Landrat ist. Effi will im wahrsten Sinne des Wortes hoch hinaus, allerdings nur deswegen, weil ihr die Mutter solches einredet: „wenn du nicht nein sagst, […] so stehst du mit zwanzig Jahren da, wo andere mit vierzig stehen“ (16). Ihr Vater hat ihr einen Klettermast, „einen Mastbaum versprochen, hier dicht neben der Schaukel, mit Rasen und einer Strickleiter. Wahrhaftig, das sollte mir gefallen, und den Wimpel oben selbst anzumachen, das ließe ich mir nicht nehmen“ (13). Im Grunde also bleibt Effi naiv und anspruchslos – ganz im Kontrast zum Ehrgeiz Innstettens, der „mit einem ‚wahren Biereifer‘“ (11) das „Höherhinaufklimmen auf der Leiter“ (277) seiner Karriere betreibt.


Während seiner Reisen deutet sich mehrmals seine Neigung zu gleichgeschlechtlicher Pädophilie an, besonders deutlich bei einer Kutschfahrt mit seinem Bruder: „Immer noch die Knaben? Das hast du gewusst? Immer.“ (S. 264).
Der Autor verfolgt mit seinem Schaukelsymbol darüber hinaus ein weiteres Ziel: „Wer, meint Fontane, seiner tiefsten Natur nach den Betörungen einer solchen Schwerelosigkeit notwendig zustrebt, der kann nicht zu Recht schuldig gesprochen werden. Effi unterliegt“ [als sie auf der nächtlichen Schlittenfahrt „im Fluge“ (156) den anderen Schlitten hinterherjagt und dabei von Crampas zum ersten Mal verführt wird (157)] „in einem Augenblick süßen Schauerns jenseits bewußter Verantwortung; deshalb darf sie Anspruch auf Milderungsgründe erheben. Effis Natur, an deren Zeichnung das Flugmotiv so entscheidenden Anteil hat, ist zugleich ihre Apologie. Da Fontane innerhalb der literarischen Konventionen eines ‚realistischen‘, d.&nbsp;h. ‚objektiv‘ dargestellten Geschehens nicht unmittelbar an den Leser appellieren darf, plädiert er metaphorisch.“<ref>Peter Demetz: ''Formen des Realismus: Theodor Fontane. Kritische Untersuchungen.'' Hanser, München 1964, S. 215.</ref>


Bei seiner letzten Expedition durch Russland werden ihm seine körperlichen und geistigen Grenzen klar und ihm wird bewusst, dass er sein Lebenswerk, die Welt vollständig zu vermessen, nicht vollenden kann. So antwortet Humboldt auf die Ankündigung, dass es nun Zeit sei, die Expedition abzubrechen und sich auf den Rückweg zu machen, mit den Worten: „Zurück wohin? Zunächst ans Ufer, sagte Rose, dann nach Moskau, dann nach Berlin. Also sei dies der Abschluß, sagte Humboldt, der Scheitelpunkt, die endgültige Wende? Weiter werde er nicht kommen? Nicht in diesem Leben, sagte Rose.(S. 288)
Später erfüllt sich Effi im schwerelosen Schaukeln vor allem den Wunsch, spielerisch über alle entstandenen Schwierigkeiten hinweg aufsteigen und davonfliegen zu können. Dieses Verlangen wird schließlich so stark, dass das anfängliche Symbol ihrer kindlichen Lebenslust letztlich der Verkörperung ihrer Todessehnsucht dient. Noch im Angesicht des eigenen Endes springt sie „mit einer Behendigkeit wie in ihren jüngsten Mädchentagen“ auf das Schaukelbrett, und „ein paar Sekunden noch, und sie flog durch die Luft, und bloß mit einer Hand sich haltend, riß sie sich mit der andern ein kleines Seidentuch von Brust und Hals und schwenkte es wie in Glück und Übermut […] ‚Ach, wie schön es war, und wie mir die Luft wohltat; mir war, als flög ich in den Himmel.‘“ (273)


=== Carl Friedrich Gauß ===
=== Der Chinese ===
Carl Friedrich Gauß, der aus der Arbeiterschicht Braunschweigs stammt, ist als Geodät, Astronom und Professor der Mathematik tätig. Seine Begabung bringt ihm Erfolg, beeinträchtigt jedoch seinen Charakter insofern, als er sich Menschen von geringerer mathematischer Intelligenz überlegen fühlt und so eine ausgeprägte Arroganz entwickelt.
Der Chinese, laut Fontane „ein Drehpunkt für die ganze Geschichte“,<ref>So Fontane in seinem Brief an Josef Viktor Widmann vom 19. November 1895. Zitiert nach: Theodor Fontane: ''Effi Briest.'' Mit Materialien. Ausgewählt und eingeleitet von Hanns-Peter Reisner und Rainer Siegle. Reclam, Stuttgart 1994, S. 347.</ref> gehört zu den auffällig zahlreich vertretenen exotischen Figuren Kessins, die Innstetten seiner frisch vermählten Frau noch vor ihrer Ankunft in ihrer neuen Heimat vorstellt und die dafür sorgen, dass Effi jene abgelegene Welt an der Ostsee zwar einerseits „aufs höchste interessiert“, andererseits aber auch von vornherein sehr verunsichert: der Pole Golchowski, der aussieht wie ein [[Starost]], in Wahrheit aber ein „widerlicher Wucherer“ (42) ist; die slawischen Kaschuben im Kessiner Hinterland; der Schotte Macpherson; der Barbier Beza aus Lissabon; der schwedische Goldschmied Stedingk; und der dänische Arzt Dr. Hannemann. Selbst Innstettens treuer Hund Rollo, ein Neufundländer (45), sowie der Apotheker Alonzo Gieshübler mit seinem „fremdartig klingenden Vornamen“ (48) reihen sich zunächst in diese Reihe internationaler Statisten ein.


Trotz seines respektlosen Verhaltens gegenüber Autoritäten macht er Bekanntschaft mit dem Adel und anderen Kapazitäten seiner Zeit. Dabei wird er aber vom gebrechlichen und senilen [[Immanuel Kant]] enttäuscht. Beim Zusammentreffen mit Alexander von Humboldt jedoch stellt er fest, dass sie sich zwar auf geistig gleichem Niveau befinden, aber völlig unterschiedliche Ziele verfolgen. Gauß’ Intention besteht darin, Wissen zu erlangen, sich aber nicht an dem dadurch entstehenden Ruhm zu bereichern. „Die Nächste halbe Stunde war eine Qual. […] [E]ine Hand nach der anderen fasste nach der seinen und gab sie an die nächste weiter, während Humboldt ihm mit Flüsterstimme eine sinnlose Reihe von Namen ins Ohr sagte. […] Er fühle sich nicht wohl, sagte Gauß, er müsse ins Bett.“ (S. 240 f.) Weltfremd zeigt er sich an den Belangen der Gesellschaft desinteressiert und verlässt seine gewohnte Umgebung nur ungern.
Eine herausragende Rolle unter ihnen nimmt allerdings der ehemalige Besitzer des Innstettenschen Hauses ein, der Südsee-Kapitän Thomsen, der von seinen Seeräuberfahrten bei [[Tonkin]] einst einen Chinesen als seinen Diener mit nach Hinterpommern brachte. Dessen geheimnisumwitterte Geschichte erzählt von der Freundschaft der beiden und davon, dass Thomsens Nichte oder Enkelin Nina, als sie verheiratet werden sollte, ebenfalls mit einem Kapitän, am Hochzeitabend mit allen Gästen tanzte, „zuletzt auch mit dem Chinesen. Da mit einem Male hieß es sie sei fort, die Braut nämlich. Und sie war auch wirklich fort, irgendwohin, und niemand weiß, was da vorgefallen. Und nach vierzehn Tagen starb der Chinese“ und bekam ein Grab zwischen den Dünen. „Man hätte ihn auch ruhig auf dem christlichen Kirchhof begraben können, denn der Chinese sei ein sehr guter Mensch gewesen und genauso gut wie die andern.“ (82) Offen, wie so vieles, bleibt, ob es sich dabei um eine glückliche oder unglückliche Liebesgeschichte (169) handelte. Sicher ist nur, dass es auch hier um eine verbotene Affäre ging und mit ihr ein zentraler Aspekt des Romanthemas vorweggenommen wird.


Zu seinem engen sozialen Umfeld gehört seine Mutter, zu der er eine sehr innige Beziehung pflegt: „Er würde sterben, stieße ihr etwas zu. So war es gewesen, als er drei Jahre alt war, und dreißig Jahre später war es nicht anders.“ (S. 53) Seine erste große Liebe ist Johanna. Nach deren Tod kann er keine neue Bindung mehr eingehen und heiratet Minna, die er im Grunde nicht ausstehen kann, nur aus Eigennutz, um für sich und seine Kinder zu sorgen. Die einzige Person, zu der er noch eine persönliche Verbindung eingeht, ist die Prostituierte Nina, bei der er sich geborgen fühlt. Die Beziehung zu seinem dritten Kind [[Eugen Gauß|Eugen]], das aus der Ehe mit Minna hervorgeht, ist bestimmt von Unverständnis, Strenge und abschätzigen Äußerungen gegenüber Eugens Intelligenz. „Eugen gab ihm das (Anm.: Buch), welches er gerade aufgeschlagen hatte: [[Friedrich Ludwig Jahn|Friedrich Jahns]] Deutsche Turnkunst. Es war eines seiner Lieblingsbücher. […] Der Kerl sei von Sinnen, sagte Gauß, öffnete das Fenster und warf das Buch hinaus.“ (S. 8 f.) Im Gegensatz zu Eugens liberaler politischer Haltung ist Gauß konservativ eingestellt, was sich unter anderem an seinen strikten Prinzipien und an seiner Loyalität gegenüber [[Napoléon Bonaparte|Napoleon]] erkennen lässt.
Wie sehr Innstetten, der Effi ja eigentlich nur mit den Kessinern und ihrer Umgebung vertraut machen will,<ref>Allerdings belässt es Innstetten verräterischerweise nicht bei der bloßen Feststellung, dass die „ganze Stadt aus solchen Fremden bestehe“ (S. 43), sondern deutet bereits vor der Ankunft in Kessin wiederholt an, dass dort „alles unsicher sei“ und man sich vor den Kessinern „vorsehen müsse“ (S. 43).</ref> mit seinen Geschichten das Gegenteil erreicht und seiner Frau ihr neues Heim auf diese Weise gerade „unheimlich“ macht, wird zusätzlich dadurch betont, dass Effi jener Chinese in den kommenden Wochen buchstäblich „auf dem Kopf herum tanzt“. Ihr Schlafzimmer liegt nämlich genau unter dem großen Dachraum, in dem einst der bewusste Hochzeitsball stattfand und dessen Gardinen, von Wind bewegt, allnächtlich über den Tanzboden schleifen und die schlaflose Effi an die junge Braut, den Chinesen und deren tragisches Ende erinnern. Da Innstetten trotz Effis flehentlichen Bittens nicht bereit ist, die „viel zu langen“ Vorhänge einfach abzuschneiden wie einen alten Zopf, bestätigt sich der Verdacht<ref>Crampas, der Innstetten und dessen Vorliebe für „Gruselgeschichten“ von früher her gut kennt, spricht diesen Verdacht offen aus. (S. 129)</ref>, dass er diesen Spuk absichtlich als „Erziehungsmittel“ einsetzt, das bei der häufigen Abwesenheit des Hausherrn „wie ein [[Cherub]] mit dem Schwert“ über die Tugend seiner jungen Frau wacht und als „eine Art Angstapparat aus Kalkül“ dafür sorgt, dass Effi immer ängstlicher vom Schutz ihres Mannes abhängig wird und dessen Rückkehr immer sehnsüchtiger erwartet.


== Leitmotive ==
Nimmt man das übrige düstere Mobiliar des Hauses und sein gespenstisches Inventar hinzu – den sonderbaren Haifisch, der als „riesiges Ungetüm“ schaukelnd an der Flurdecke hängt, das ausgestopfte Krokodil und nicht zuletzt die abergläubische Frau Kruse mit ihrem „schwarzen Huhn“ –, so wird verständlich, wie wenig anheimelnd Effi ihr neues Heim erscheinen muss und wie sehr es für sie vom ersten Augenblick an zum „Spukhaus“ (234) wird. Aber das kann Innstetten erst verstehen und nachvollziehen, als seine Ehe bereits gescheitert ist und er mit seinem Freund Wüllersdorf des Duells wegen noch einmal nach Kessin zurückkehrt: „[…] so führte denn der Weg unvermeidlich an Innstettens alter Wohnung vorüber. Das Haus lag noch stiller da als früher; ziemlich vernachlässigt sah’s in den Parterreräumen aus; wie mochte es erst da oben sein! Und das Gefühl des Unheimlichen, das Innstetten an Effi so oft bekämpft oder auch wohl belächelt hatte, jetzt überkam es ihn selbst, und er war froh, als sie dran vorüber waren.“ (233 f.)
Alle Seitenangaben beziehen sich auf die im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienene Ausgabe.


=== Der Wandel der Wissenschaft ===
=== Die Wassermetaphorik ===
Die Kirche und die Bevölkerung sahen die Forschung in der früheren Zeit als Hexerei und Zauberei an. Die Arbeiten von Humboldt und Gauß haben die moderne Wissenschaft stark beeinflusst und entscheidend geprägt. Durch ihre Forschungen konnte das Bild der Wissenschaftler weg von dem Mythischen hin zu einem angesehenen Beruf in der Bevölkerung verändert werden.
Wie das Schaukeln, Klettern und Fliegen, so verwendet Fontane auch seine Wassermetaphern vorwiegend zur Veranschaulichung von Effis unbekümmerter Leidenschaftlichkeit. Sie ist das übermütige „Naturkind“ (35), das alles Künstliche und Gekünstelte, alles Damenhafte<ref>Kokett klagt sie ihre Mutter an: „‚Du bist schuld […] Warum machst du keine Dame aus mir?‘“; Theodor Fontane: ''Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden.'' Band 8: ''Effi Briest.'' Goldmann, München 1966, S. 7</ref> und einer Dame Wertvolle gering achtet,<ref>„‚Er Innstetten will mir ja schon Schmuck schenken in Venedig. Er hat keine Ahnung davon, dass ich mir nichts aus Schmuck mache. Ich klettere lieber und ich schaukle mich lieber, und am liebsten immer in der Furcht, dass es irgendwo reißen oder brechen oder ich niederstürzen könnte. Den Kopf wird es ja nicht gleich kosten.‘“; Theodor Fontane: ''Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden.'' Band 8: ''Effi Briest.'' Goldmann, München 1966, S. 32</ref> aber alles Lebendige und Natürliche bedingungslos bejaht und darin „den Tod als Komplement des Lebens, ja sogar als Bedingung seines Wertes einschließt“.<ref>Cordula Kahrmann: ''Idyll im Roman: Theodor Fontane.'' Fink, München 1973, S. 126.</ref> Daher befindet sich auch „dicht neben“ der Schaukel und nicht weit von dem kleinen Rondell, das später Effis Grab sein wird, ein Teich, der die Gartenanlage zu Hohen-Cremmen, zusammen mit den „mächtigen alten Platanen“ – ebenfalls unübersehbare Lebens- und Todessymbole, die Fontane mehrfach als Leitmotive einsetzt – auf der offenen Seite seiner Hufeisenform abrundet.


Humboldt prägte das Prinzip des Forschens durch Sehen und Anfassen. Dies wird deutlich, als Humboldt plant, mit Bonpland eine Höhle zu erkunden (S. 72–75). Die Einheimischen bezeichnen diese Höhle als „Reich der Toten“ und glauben, dass sie etwas Mystisches in sich berge. Doch Humboldt lässt sich von solchen Theorien nicht abschrecken. Er geht ohne die abergläubischen Einwohner in die Höhle, um sich selbst ein Bild zu machen und um zu beweisen, dass ihm nichts Schlimmes widerfahren werde. Ein anderes Beispiel für den Drang, selbst sehen und erfahren zu müssen, ist die Widerlegung des [[Neptunismus]] (S. 29 f.). Diese Theorie wurde von früheren Wissenschaftlern aufgestellt, Humboldt will sich dieser jedoch nicht fügen, sondern stets selbst erfahren, messen und forschen. Ist es nun im Erdinneren kälter, wie es der Neptunismus beschreibt, oder wird es doch wärmer, wie Humboldt vermutet?
Während dieses eher idyllische Gewässer, der heilen Welt Hohen-Cremmens entsprechend, den Reigen der Wassermetaphern zu Beginn des Romans (5) auf recht harmlose Weise eröffnet, wird schon wenige Seiten später klar, dass der heimatliche Teich und die im Verlaufe des Romans immer bestimmender werdende Szenerie des „wilden Meeres“ durchaus in Zusammenhang miteinander stehen. Noch ist es nur ein Kinderspiel, wenn Effi und ihre drei Freundinnen ihre übrig gebliebenen Stachelbeerschalen (in einer mit einem Kieselstein beschwerten Tüte als Sarg) feierlich „langsam in den Teich niedergleiten“ lassen und so „auf offener See begraben“ (12). Doch wäre Fontanes an den Leser gerichteter Wink mit dem Zaunpfahl – Effi: „so vom Boot aus sollen früher auch arme unglückliche Frauen versenkt worden sein, natürlich wegen Untreue“ (13) – gar nicht nötig, um zu erkennen, wie der Autor schon hier mit dem theatralisch zeremoniellen „Versenken der Schuld“ (12) auf die Problematik seines eigentlichen Romanthemas anspielt:<br />
Unmittelbar vor ihrem Ehebruch, auf der Rückfahrt von Uvagla am Strand entlang, wird Effi von Sidonie ermahnt, sich nicht zu weit aus dem Schlitten zu lehnen, und antwortet: „‚Ich kann die Schutzleder nicht leiden; sie haben so was Prosaisches. Und dann, wenn ich hinausflöge, mir wär’ es recht, am liebsten gleich in die Brandung. Freilich, ein etwas kaltes Bad, aber was tut’s…‘“ Und im nächsten Augenblick bildet sich Effi ein, sie „hätte die Meerjungfrauen singen hören“ (152). „Die durch die beiden Symbolbereiche des Wassers und der Luft (Schaukel) versinnbildlichte Wesenskomponente wird für Effi zum Medium ihrer Verschuldung. Aber indem diese Symbole als Teil des idyllischen Bezirks von Hohen-Cremmen erscheinen und indem dieser Bezirk Verweisungsfunktion für Effis Tod erhält, wird jener Wesenszug gleichzeitig als Remedium [Heilmittel] der Schuld dargestellt.“<ref>Cordula Kahrmann: ''Idyll im Roman: Theodor Fontane.'' Fink, München 1973, S. 127.</ref>


Gauß ist im Vergleich zu Humboldt das extreme Gegenteil: Er beruft sich auf seine Theorien und Berechnungen, um seine Forschungen zu untermauern.
Wie Lebenslust und Todessehnsucht miteinander verschmelzen, macht Fontane auch am bereits erwähnten Motiv des „Versenkens“ klar, das, meist als intransitives „Versinken“, Effis Untergang sehr variantenreich antizipiert. Zunächst geschehen derartige Anspielungen wieder auf harmlose, ja banal-komische Weise, wenn nämlich zum Beispiel die Lebenskünstlerin Trippelli, „stark männlich und von ausgesprochen humoristischem Typus“, Effi während eines geselligen Abends im Hause Gieshüblers ihren allzu weichen „Sofa-Ehrenplatz“ überlässt: „Ich bitte Sie nunmehro, gnädige Frau, die Bürden und Fährlichkeiten ihres Amtes auf sich nehmen zu wollen. Denn von Fährlichkeiten –&nbsp;und sie wies auf das Sofa&nbsp;– wird sich in diesem Falle wohl sprechen lassen. […] Dies Sofa nämlich, dessen Geburt um wenigstens fünfzig Jahre zurückliegt, ist noch nach einem altmodischen Versenkungsprinzip gebaut, und wer sich ihm anvertraut […] sinkt ins Bodenlose“ (86f.).
In seinem Kopf spielen sich stets wissenschaftliche Prozesse und Überlegungen ab. Dies führt dazu, dass er sich sozial isoliert und nicht wahrnimmt, was sich um ihn herum abspielt. So kommt ihm z.&nbsp;B. in der Hochzeitsnacht ein wichtiger Gedanke (S. 150). Der Drang, diesen zu Papier zu bringen, führt so weit, dass er dafür sogar den Liebesakt unterbricht. Gauß bekommt auch nicht mit, dass Krieg in seiner Heimat ausgebrochen ist (S. 151). Dies bestätigt: Interesse und Aufmerksamkeit gelten bei ihm einzig der Wissenschaft.
Später, in unmittelbarer Nachbarschaft der ersten Liebesszene mit Crampas jedoch, werden die Bilder bedrohlicher und stecken voller Anspielungen. Als es darum geht, am Strand den gefürchteten „Schloon“ zu vermeiden, in dem die Schlitten der Heimkehrenden zu versinken drohen, fragt Effi: „Ist denn der Schloon ein Abgrund oder irgendwas, drin man mit Mann und Maus zugrunde gehen muß?“ und wird darüber aufgeklärt, dass der Schloon im Sommer „eigentlich nur ein kümmerliches Rinnsal“ sei, im Winter aber drücke „der Wind das Meerwasser in das kleine Rinnsal hinein, aber nicht so, dass man es sehen kann. Und das ist das Schlimmste von der Sache, darin steckt die eigentliche Gefahr. Alles geht nämlich unterirdisch vor sich und der ganze Strandsand ist dann bis tief hinunter mit Wasser durchsetzt und gefüllt. Und wenn man dann über solche Sandstelle wegwill, die keine mehr ist, dann sinkt man ein, als ob es ein Sumpf oder ein Moor wäre.“ (154)


Er ist der Meinung, dass das Forschen mehr auf Theorie basiere als auf Praxis. Er hält strikt an der Erkenntnistheorie von [[Immanuel Kant]] fest. Um zu überleben und finanzielle Unterstützung vom Staat zu erhalten, verschiebt sich sein Arbeitsschwerpunkt von der Mathematik zur Astronomie, da sich diese als lukrativer herausstellt (S. 143). So wird deutlich, dass Gauß, genauso wie heutige Wissenschaftler, auf Geldgeber und Unterstützung angewiesen ist und folglich in deren Interesse forscht.
Dann, wenige Sekunden vor Crampas’ Übergriff auf Effi, heißt es: „Ein Zittern überkam sie, und sie schob die Finger fest ineinander, um sich einen Halt zu geben. Gedanken und Bilder jagten sich, und eines dieser Bilder war das Mütterchen in dem Gedichte, das die ‚Gottesmauer‘ hieß“ (156). Dieses Gedicht<ref>Hierbei handelt es sich um das 1814 entstandene Gedicht „Draus bei Schleswig vor der Pforte“ von Clemens Brentano. Das bald vertonte Gedicht fand u. a. Eingang in die seit 1836 bei Bertelsmann erscheinende „Kleine Missionsharfe im Kirchen- und Volkston für festliche und außerfestliche Kreise“, die im 19. Jahrhundert über zwei Millionen Mal verkauft wurde. Vgl. Wolf-Rüdiger Wagner: ''Effi Briest und ihr Wunsch nach einem japanischen Bettschirm. Ein Blick auf die Medien- und Kommunikationskultur in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.'' München: kopaed  2016, S. 128</ref> erzählt „eine kleine Geschichte, nur ganz kurz. Da war irgendwo Krieg, ein Winterfeldzug, und eine alte Witwe, die sich vor dem Feinde mächtig fürchtete, betete zu Gott, er möge doch eine Mauer um sie bauen, um sie vor dem Landesfeinde zu schützen. Und da ließ Gott das Haus einschneien, und der Feind zog daran vorüber“ (146f.). Rettung kommt dort folglich dadurch zustande, dass Gott Witwe und Haus buchstäblich klaftertief im Schnee versinken lässt. Das Versinken ist also, wie die meisten Bilder Fontanes, durchaus doppeldeutiger Natur: ob Untergang oder Rettung, oder Rettung durch Untergang (wie hier und am Ende des Romans), das entscheidet der jeweilige Kontext. Auch diese Ambivalenz begegnet dem Leser bereits im ersten Kapitel des Romans: „‚Flut, Flut, mach alles wieder gut‘“ singen die drei Mädchen, während sie ihre Stachelbeertüte „auf offener See begraben“, und Effi konstatiert zufrieden: „‚Hertha, nun ist deine Schuld versenkt.‘“ (12)


Auch Humboldt ist auf die Hilfe der Wohlhabenden angewiesen und hält stets Kontakt zur Krone, damit diese hinter seiner Arbeit steht.<ref>Johannes Diekhans (Hrsg.): Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt. Unterrichtsmodell. Schöningh Schulbuchverlag, Paderborn 2007, S. 44–59.</ref>
Am Morgen nach der ersten Liebesszene mit Crampas schließlich berichtet der inzwischen argwöhnisch gewordene Innstetten von einem (angeblichen) Traum, den er in derselben Nacht gehabt habe: „Ich träumte, daß du mit dem Schlitten im Schloon verunglückt seist, und Crampas mühte sich, dich zu retten; ich muß es so nennen, aber er versank mit dir.(157) Dass er mit dieser Vision Effis schlechtes Gewissen und ihre ohnehin schon vorhandene Schuldgefühle noch verstärkt, versteht sich von selbst. Aber wieder winkt Rettung durchs Versinken, wenn auch nur vorübergehend, denn eine Woche nach jener Nacht kommt vom Kessiner Hafen die Nachricht, dass ein Schiff in Seenot geraten sei und vor der Mole zu versinken drohe. Effi und Innstetten eilen zum Strand und beobachten, wie man ein Fangseil zu den Schiffbrüchigen hinüberschießt und diese mit einem Korb einzeln an Land zu hieven beginnt. „Alle wurden gerettet, und Effi hätte sich, als sie nach einer halben Stunde mit ihrem Mann wieder heimging, in die Dünen werfen und sich ausweinen mögen. Ein schönes Gefühl hatte wieder Platz in ihrem Herzen gefunden, und es beglückte sie unendlich, dass es so war.“ (163)


=== Alter und Tod ===
=== Die Kreatur ===
Humboldt selbst beschreibt den Tod nicht „als das Verlöschen und die Sekunden des Übergangs“, sondern als „das lange Nachlassen davor, jene sich über Jahre dehnende Erschlaffung […], in der er [der Mensch], ist auch seine Größe lange dahin, noch vorgeben kann, es gäbe ihn.“ (S. 263) Vor diesem Hintergrund ist auch Humboldts spätere Karriere zu betrachten. Seine Indienexpedition ist gescheitert, seine Methoden sind veraltet, „als wäre man in einem Geschichtsbuch versetzt“ (S. 275), und während der Russlandreise habe er stets „bei der Eskorte zu bleiben“ (S. 284). Durch Humboldts wissenschaftlichen Niedergang wird sein Tod metaphorisch vorweggenommen, Humboldt betrachtet sein Lebenswerk als beendet: „Ihm fiel ein, daß Gauß von einer absoluten Länge gesprochen hatte, einer Gerade der nichts mehr hinzugefügt werden konnte […]. Für ein paar Sekunden, im Zwischenreich von Wachen und Schlaf, hatte er das Gefühl, daß diese Gerade etwas mit seinem Leben zu tun hatte.“ (S. 280) Die Gerade, als Analogie zu Humboldts Leben, deckt sich mit seiner resignierenden Lebensbilanz. Auf die Frage, in welche Richtung man fahren müsse, da man drohe, „nie zurück[zu]kehren“ (S. 289), möchte Humboldt „am Höhepunkt des Lebens“ „einfach verschwinden“ (ebd.) und zeigt bewusst in die falsche Richtung (vgl. S. 290).
Dem „Naturkind“ (35) Effi hat Fontane zur Illustrierung ihrer Natürlichkeit nicht nur eine Vielzahl von Naturbildern gewidmet, sondern mit dem Neufundländer Rollo und dem Kindermädchen Roswitha auch zwei Wesen an die Seite gestellt, deren Kreatürlichkeit sich wohltuend von der Affektiertheit der sonstigen Kessiner Gesellschaft abhebt. Wie sehr beide funktional tatsächlich zusammengehören, versucht der Autor durch mehrere Parallelen zu verdeutlichen.


Das Motiv des Todes und des Alterns begegnet an mehreren Stellen und ist für die Protagonisten stets von zentraler Bedeutung. Humboldt ist erst nach dem Tod seiner Mutter (vgl. S. 34 ff.) befreit, kann sich bereit für seine Reise machen und kontrastiert in dieser Hinsicht mit Gauß, der seine Mutter „unsagbar“ (S. 53) liebt. Auch dieser stellt an sich selbst schon früh die Zeichen des Alters fest, seine „Fähigkeit zur Konzentration nachließ“ (S. 155), und die Begegnung mit dem senilen Kant (vgl. S. 96 f.) lässt in Gauß den Wunsch nach einem Entgrenzungsversuch durch [[Suizid]] aufkommen. Letztlich erkennt auch er, dass der ihm einst unterlegene Martin Bartels ihn „überflügelt“ (S. 299) hat, und so gelangt Gauß, ähnlich wie Humboldt, zu einer resignierenden Lebensbilanz und sehnt seinen Tod herbei, denn „der Tod würde kommen, als eine Erkenntnis von Unwirklichkeit. Dann würde er begreifen […]“ (S. 282).
Das beginnt schon beim [[Wikipedia:Anapher|anaphorischen]] Gleichklang ihrer Namen, die im nordischen Kessin obendrein beide recht „sonderbar“ (108) klingen.<ref>Roswitha selbst thematisiert dies, als sie zum ersten Mal von Rollo hört: „Rollo; das ist sonderbar […] Ich habe auch einen sonderbaren Namen […] Ich heiße Roswitha.“ (108).[[Datei:Banquo.jpg|mini|''Macbeth erblickt Banquos Geist'' (von Théodore Chassériau)]]</ref> Es geht weiter mit der vom Autor immer wieder betonten Mittlerrolle, die beide zwischen Effi und Innstetten wahrnehmen,<ref>Rollo ist zunächst ausschließlich Innstettens Tier, das ihn liebt. Es wird aber auch Effi lieben (45) und später ganz zu „ihrem“ Hund werden. Und Roswitha wird diejenige sein, die den Brief an Innstetten schreibt (278), um für die verstoßene Effi darum zu bitten, ihr den alten Rollo als Mittel gegen Furcht und Einsamkeit zu schicken.</ref> und endet mit der Schutzfunktion<ref>Eine Funktion, die ihm Innstetten von vornherein zuteilt: „solange du den [Rollo] um dich hast, so lange bist du sicher und kann nichts an dich heran, kein Lebendiger und kein Toter.“ (45)</ref> und bedingungslosen Loyalität, die beide Effi gegenüber üben und die auch in schweren Zeiten nicht endet: Als Effi in ärmlichen Verhältnissen lebt und Roswitha nur mehr spärlich entlohnen kann, ist jene dennoch bereit, zu ihr zu stehen und bei ihr zu bleiben. Nachdem Effi gestorben ist und Rollo sein Fressen verweigert und täglich auf ihrem Grabstein liegt, findet sich auch zu diesem Verhalten eine fast wörtliche (wenn auch der Intention nach gegensätzliche) Parallele zu Roswitha: Als diese erklären will, warum sie nach dem Tod ihrer früheren Herrin, die „zänkisch und geizig“ war, nicht einfach auf dem Friedhof „sitzen bleiben und warten wolle, bis sie tot umfalle“, sagt sie: „dann würden die Leute noch denken, ich hätte die Alte so geliebt wie ein treuer Hund und hätte von ihrem Grabe nicht weggewollt und wäre dann gestorben.“ (106)
Bezeichnenderweise ist es Roswitha, die gleichsam instinktiv als erste bemerkt, dass es mit Effi zu Ende geht  –&nbsp;„ich weiß nicht, mir ist, als ob es jede Stunde vorbei sein könnte“&nbsp;(284)&nbsp;–, und bezeichnenderweise ist es Rollo, der ihr selbst über den Tod hinaus die Treue hält. So findet der alte Briest seine alte Vermutung („mitunter ist mir’s doch, als ob die Kreatur besser wäre als der Mensch“, 116) endgültig bestätigt: „Ja, Luise, die Kreatur. Das ist ja, was ich immer sage. Es ist nicht so viel mit uns, wie wir glauben. Da reden wir immer von Instinkt. Am Ende ist es doch das Beste.“ (286) Ähnliches hatte schon Innstettens Freund über Roswitha gesagt, als er deren Bittbrief gelesen hatte: „‚Ja‘, sagte Wüllersdorf, als er das Papier wieder zusammenfaltete, ‚die ist uns über.‘“ (278)
[[Datei:Barbebleue.jpg|Gustave Doré: Blaubart mit seiner Frau|mini]]
Wie die meisten Motive Theodor Fontanes hat auch Rollo ein Pendant, das seine Funktion bestätigt und zusätzlich unterstreicht. Als Crampas Effi die Eifersuchtsgeschichte vom spanischen [[Blaubart]]skönig [[Peter I. (Kastilien)|Pedro dem Grausamen]] und dem schönen „Kalatrava-Ritter“ erzählt, „den die Königin natürlich heimlich liebte“ (135) und den der König aus Rache prompt und heimlich köpfen lässt, erwähnt Crampas auch dessen „wunderschönen Hund, einen Neufundländer“, vergleicht ihn mit Rollo, ja tauft ihn für seine Geschichte sogar auf denselben Namen. Dieser sei wie ein treuer Schutzpatron und Racheengel seines Herrn nach dessen heimlicher Ermordung auf dem festlichen Bankett erschienen, das Pedro, angeblich zu Ehren des Kalatrava-Ritters gegeben habe:<ref>Die Ähnlichkeit dieser Figur mit William Shakespeares Macbeth ist nicht zu übersehen. Dieser hatte bekanntlich seinen Rivalen Banquo heimlich ermorden und heuchlerisch gleichzeitig ein großes Bankett für ihn ausrichten lassen, auf dem ihm dann Banquos blutiger Geist als entlarvendes Menetekel erschien.</ref>
„Und denken Sie, meine gnädigste Frau“, so Crampas zu Effi, „wie der König, dieser Pedro, sich eben erheben will, um gleisnerisch sein Bedauern auszusprechen, dass sein lieber Gast noch immer fehle, da hört man auf der Treppe draußen einen Aufschrei der entsetzten Dienerschaften, und ehe noch irgendwer weiß, was geschehen ist, jagt etwas an der langen Festtafel entlang, und nun springt es auf den Stuhl und setzt ein abgeschlagenes Haupt auf den leergebliebenen Platz, und über eben dieses Haupt hinweg starrt Rollo auf sein Gegenüber, den König. Rollo hatte seinen Herrn auf seinem letzten Gang begleitet und im selben Augenblicke, wo das Beil fiel, hatte das treue Tier das fallende Haupt gepackt, und da war er nun, unser Freund Rollo, an der langen Festtafel und verklagte den königlichen Mörder.“ (136)


Am Sterbebett von Humboldts Schwägerin thematisieren die beiden Brüder ihre Ängste und Gefühle. Wilhelm spielt auf Alexanders latente homosexuelle Pädophilie an (vgl. S. 263 ff.). Dieses Gespräch markiert eine neue Intimität zwischen den beiden Brüdern und eine Abkehr von den Rivalitäten im Jugendalter hin zu einer innigen freundschaftlichen Beziehung, die auf der Anerkennung des Anderen beruht.
Dass Crampas mit der grausigen Geschichte von „seinem Rollo“ unbewusst den echten Rollo für Effi vom Schutzengel zur Spukgestalt umzufunktionieren droht, rückt ihn ungewollt in die Nähe Innstettens, der ja Spuk als „Angstapparat aus Kalkül“ (129) einsetzt und von dessen Erziehungsmitteln Crampas sich gerade distanzieren und Effi befreien will. Effi war denn auch bei jener Erzählung „ganz still geworden“, bevor sie sich wieder „ihrem Rollo“ zuwendet: „Komm, Rollo! Armes Tier, ich kann dich gar nicht mehr ansehen, ohne an den Kalatrava-Ritter zu denken, den die Königin heimlich liebte“ (136). So muss ihr ständiger Begleiter Rollo, das Symbol der Treue, ihr von nun an paradoxerweise zugleich als Mahnung an ihre eigene Untreue erscheinen.


Nicht weniger wichtig erscheint auch der Tod Johannas (vgl. S. 164), der für Gauß nicht nur bedeutet, „sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass er wieder heiraten mußte“ (ebd.), sondern seinen ohnehin schon stark ausgeprägten Hang zur Melancholie verschlimmerte.<ref>Wolfgang Pütz: Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ (= Oldenbourg Interpretationen).</ref>
== Figurenübersicht ==
[[Datei:Figurenuebersicht Effi Briest.svg|zentriert|Figurenübersicht zu Fontanes ''Effi Briest'']]


== Die Frage der Authentizität ==
== Literarisches Umfeld ==
Um das Buch entzündeten sich schon bald nach Erscheinen Debatten um inhaltliche Unstimmigkeiten. Im Roman finden sich zahlreiche Abweichungen von der historischen Realität, die jedoch überwiegend von Kehlmann so beabsichtigt gewesen seien. Er habe sich dabei an der Tatsache orientiert, dass verschiedene deutsche Klassiker in biographischen Dramen sehr frei mit der historischen Wahrheit umgegangen seien (etwa [[Friedrich Schiller|Schiller]] in ''[[Die Jungfrau von Orleans (Schiller)|Die Jungfrau von Orléans]]'', [[Johann Wolfgang von Goethe|Goethe]] in ''[[Egmont (Goethe)|Egmont]]'' oder [[Heinrich von Kleist|Kleist]] in ''[[Prinz Friedrich von Homburg oder die Schlacht bei Fehrbellin|Prinz Friedrich von Homburg]]''). Aus diesem Grund habe er beispielsweise in der ''Vermessung der Welt'' die [[Daguerreotypie]] in die Handlung eingebaut, obwohl diese zu jener Zeit (1828) noch nicht existierte. Obwohl Goethe damals bereits geadelt war, wird er im Roman noch mit seinem bürgerlichen Namen bezeichnet – in der damaligen Zeit ein Faux-pas. Die von Gauß entdeckte [[Gaußsche Osterformel|Osterformel]] zur Berechnung des Osterfestes wird im Roman fälschlicherweise schon in dessen Jugendzeit gelegt und unter falschem Namen veröffentlicht, ein Phänomen, das in der Literaturkritik als ''Brombacher-Effekt'' bekannt wurde, nach der fiktiven Begegnung Humboldts mit einem Deutschen im südamerikanischen Urwald. Dass solche Erfindungen nicht kenntlich gemacht sind, hat bereits dazu geführt, dass Kehlmanns Zitate teilweise als originäre Humboldt-Äußerungen missverstanden wurden.<ref>Gunther Nickel: Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“. Materialien, Dokumente, Interpretationen. Mit Beiträgen von Stephanie Catani, Ulrich Fröschle, Manfred Geier, Ijoma Mangold, Hubert Mania, [[Friedhelm Marx]], Marius Meller, Uwe Wittstock, Klaus Zeyringer u.&nbsp;a. Reinbek bei Hamburg 2008.</ref><ref>[http://www.scienceblogs.de/mathlog/2008/06/materialien-dokumente-interpretationen-zu-die-vermessung-der-welt.php 'Die Vermessung der Welt'] Materialien, Dokumente, Interpretationen auf scienceblogs.de vom 23. Juni 2008.</ref> Selbst der Humboldt-Biograf Thomas Richter hat sich von den Kehlmann’schen Erfindungen in die Irre führen lassen. In seiner 2009 erschienenen Rororo-Monographie schreibt Richter: „Die historischen Ereignisse sind in diesem Roman exakt wiedergegeben“.<ref>Thomas Richter: Alexander von Humboldt. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2009, S. 126.</ref>
''Effi Briest'' gehört in die lange Reihe fontanescher [[Gesellschaftsroman]]e, die ihre literarische Besonderheit dem leichten Ton der Erzählung und dem Verzicht auf Anklage oder Schuldzuweisung bei gleichzeitig scharfem Blick auf die gesellschaftliche und historische Situation verdanken. Wenn Innstetten den Verführer Crampas in einem Duell tötet, das nur noch sinnentleertes Ritual ist, und seine Frau wegen der selbst für ihn bedeutungslosen Liaison aus „Prinzipienreiterei“ (236) verstößt, darf man darin keine einseitige Verurteilung des preußischen Adligen oder gar der Gesellschaft sehen. Wie differenziert der Autor diese Frage beurteilt, ist unter anderem an Innstettens diesbezüglichem Gespräch mit seinem Freund Wüllersdorf abzulesen.
Effi verzeiht ihrem Mann, und ihre Mutter mutmaßt, sie sei bei der von ihr forcierten und protegierten Heirat „doch vielleicht zu jung“ (287) gewesen. So entsteht ein komplexes Lebens- und Sittenbild der untergehenden altpreußischen Gesellschaft. Fontanes Werk kann auch unabhängig von preußischen Gegebenheiten als allgemeinere Betrachtung des Konfliktes zwischen Individuum und gesellschaftlichem Zwang betrachtet werden. Dies alles offenbart sich in Plaudereien der Figuren und einem fast beiläufigen Erzählton, bei dem es gilt, zwischen den Zeilen zu lesen, denn Fontane bekannte, es komme ihm nicht auf das „Was“, sondern auf das „Wie“ an.


Sogar in einem seiner nicht-fiktiven Texte vermischt Kehlmann Fiktion und Realität, indem er eines seiner erfundenen Humboldt-Zitate als reales ausgibt. In der Einleitung zu [[Charles Darwin]]s Tagebuch ''Die Fahrt der Beagle'' schreibt Kehlmann: „Die zweitgrößte Beleidigung des Menschen sei die Sklaverei, hatte Humboldt ausgerufen, die größte aber die Behauptung, er stamme vom Affen ab.“<ref>Daniel Kehlmann: Die Finken und die Wilden. Einleitung. In: Charles Darwin: Die Fahrt der Beagle. Tagebuch mit Erforschungen der Naturgeschichte und Geologie der Länder, die auf der Fahrt von HMS Beagle unter dem Kommando von Kapitän Fitz Roy, RN, besucht wurden. Hamburg: marebuchverlag 2006, S. 15.</ref> Das tatsächliche Humboldt-Zitat lautet: „Ohne Zweifel ist die Sklaverei das größte aller Übel, welche die Menschheit gepeinigt haben.“<ref>Alexander von Humboldt: Essai politique sur l’île de Cuba (Politischer Versuch über die Insel Cuba), zit. nach der deutschen Übersetzung: Alexander von Humboldt: Cuba-Werk. Hg. von Hanno Beck. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft 1992, S. 156.</ref> Humboldt, der tatsächlich einmal mit Darwin zusammengetroffen war, aber vor der Publikation von Darwins ''[[Die Entstehung der Arten]]'' starb, konnte weder dessen [[Evolutionstheorie]] kennen (die Humboldt laut dem Publizisten [[Martin Rasper]] vermutlich eher positiv aufgenommen hätte) noch die erst in den 1860er-Jahren aufgekommene Diskussion um die Abstammung des Menschen vom Affen. Sein Engagement gegen die Sklaverei jedoch war Humboldt so wichtig, dass er, als in den USA eine Ausgabe seines Berichts über Kuba ohne das Kapitel über die Sklaverei erschienen war, sowohl in den USA als auch in Deutschland einen scharfen Protest veröffentlichte (er legte darauf, so schrieb er, „eine weit größere Wichtigkeit als auf die mühevollen Arbeiten astronomischer Ortsbestimmungen, magnetischer Intensitäts-Versuche oder statistischer Angaben“). Auch aus diesem Grund wirft Rasper Kehlmann „nicht nur eine Beleidigung Darwins und Humboldts, sondern auch des Lesers“ vor.<ref>Martin Rasper: ''«No Sports» hat Churchill nie gesagt. Das Buch der falschen Zitate.'' Ecowin, Salzburg/München 2017, S. 42–48</ref>
Das heißt allerdings nicht, dass der Erzähler alles gutheiße, was seine Figuren tun. Der Ehrbegriff der Zeit zum Beispiel, der sich im [[Motiv (Literatur)|literarischen Motiv]] des sinnlosen und illegalen [[Duell]]s äußert, wird im Werk Fontanes immer wieder in verschiedenen Spielarten aufgegriffen. Mit dem Duell-Motiv findet sich Fontane in Gesellschaft [[Arthur Schnitzler]]s, der die Sinnlosigkeit des Ehrbegriffes in ''[[Leutnant Gustl]]'' (1900) satirisch zuspitzt, während für den jungen Offizier Zosima in [[Fjodor Michailowitsch Dostojewski|Dostojewskis]] ''[[Die Brüder Karamasow]]'' (1879–80) das Duell geradezu zum Wendepunkt seines Lebens wird: Er verzichtet darauf zu schießen und wird zum frommen Einsiedler.


Die Widersprüche zwischen der tatsächlichen historischen Person und der Kehlmann’schen Romanfigur hat der Historiker Frank Holl untersucht. Er zieht das Fazit: „Alexander von Humboldt war kein klein gewachsener, roboterhaft in Uniform und mit Degen den Urwald untersuchender, pädophiler, überheblicher, humorloser, fast immer schlecht gelaunter, chauvinistischer Forscher. Er war auch nicht der positivistische Läusezähler, als den Kehlmann ihn hinstellt.“<ref>Frank Holl: „Die zweitgrößte Beleidigung des Menschen sei die Sklaverei …“ Daniel Kehlmanns neu erfundener Alexander von Humboldt. In HiN – Humboldt im Netz. Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien XIII, 25 (2012), S. 61, http://www.uni-potsdam.de/u/romanistik/humboldt/hin/hin25/holl.htm</ref> Holl bemängelt besonders, dass der politisch engagierte Humboldt, der sich ein Leben lang für die [[Menschenrechte]] einsetzte, im Roman keine Beachtung finde. Für ihn ist das Buch „nicht mehr als ein sinnfreier historischer Spaß“.<ref>Ebd. S. 61.</ref> Er kommt zu dem Schluss, „dass alle, die etwas für ihre Allgemeinbildung tun möchten, bei ''Die Vermessung der Welt'' an der falschen Adresse sind.“<ref>Ebd. S. 46.</ref>
Literaturwissenschaftlich gesehen steht Fontanes ''Effi Briest'' auch in der speziellen [[Tradition]] des [[Liebesroman|Liebes-]] oder [[Verführungsroman]]s, vergleichbar mit ''[[Madame Bovary]]'' von [[Gustave Flaubert]] oder ''[[Anna Karenina]]'' von [[Lew Nikolajewitsch Tolstoi|Leo Tolstoi]].<ref>Einen Vergleich der drei Romane bietet Josef Peter Stern: ''Effi Briest – [[Madame Bovary]] – [[Anna Karenina]].'' In: Modern Language Review 52 (1957), S. 363–375.</ref> Der Name „Effi Briest“ stellt eine [[Allusion]] auf den Namen der Protagonistin ''[[Euphemia]] „Effie“ Deans'' in [[Walter Scott]]s 1818 erstmals veröffentlichtem Roman ''The Heart of Midlothian'' dar.


== Rezeption ==
== Rezeption ==
Zwar überwiegt die positive Kritik im Rahmen der deutschsprachigen Rezeption, doch werden auch vereinzelt kritische Töne laut: So schreibt etwa Hubert Winkels (Die Zeit, 3. September 2009): „Die literarische Intelligenz tut sich seit jeher schwer mit Mathematik und theoretischer Physik.“ Trotz dieser Problematik hat Daniel Kehlmann es geschafft, „eine Doppelbiografie in Romanform“ zu verfassen, die „unterhaltsam ist, klug und gut gemacht, aus der man zudem einiges lernt“. Dennoch relativiert Winkels, dass „es ihm an literarischem Mut, an Spiellaune, Erfindungsfreude und Gegenwartsbezug“ fehle.<ref>{{Literatur|Autor=Hubert Winkels|Titel=Daniel Kehlmann: Als die Geister müde wurden|Sammelwerk=Die Zeit|Nummer=42/2005|Online=[https://www.zeit.de/2005/42/L-Kehlmann online]}}</ref>
Bernd W. Seiler beschreibt die Reaktionen von Oberstufenschülern auf Fontanes Roman um 2000: „Siebzehnjährige Schülerinnen und Schüler, gegen den Jugendcharme Effis weitgehend immun, finden sie leicht ein bisschen skrupellos: schon in der Art, wie sie sich zu verheiraten bereit ist – Hauptsache, der Mann ist von Adel, hat eine gute Stellung und sieht gut aus, selbst der vormalige Verehrer der Mutter darf es dann sein –, dann aber auch, wie sie sich auf Crampas einlässt und raffiniert genug ist, das Verhältnis vor ihrem Mann vollständig zu verbergen. Jungen nehmen hier, wenn sie die Zusammenhänge erst einmal realisiert haben, notwendig einen Abgrund von Tücke wahr, sodass Fontanes Mitleid mit ihr doch so ganz nicht gerechtfertigt erscheint. Und wie soll man sich zu ihrer Großmut stellen, mit der sie am Ende von Innstetten sagt, er sei ‚so edel, wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe ist‘? Wann – für wen – empfindet sie selbst die ‚rechte Liebe‘? Für Rollo, ihren Hund, so ließe sich böse feststellen, und es fällt schwer zu begreifen, warum Fontane der ‚armen Effi‘ nicht wenigstens an dieser Stelle ins Wort fällt.“<ref>Bernd W. Seiler: [http://www.uni-bielefeld.de/lili/personen/seiler/drucke/effi/briest.html ''Beliebt, doch nicht ganz einwandfrei: Fontanes Effi Briest (1894).''] In: ''(K) ein Kanon. 30 Schulklassiker neu gelesen''. Hrsg. von K.-M. Bogdal und C. Kammler. München 2000. S. 84 f.</ref>
 
In der Kritik „Doppelleben, einmal anders“ äußert sich Martin Lüdke (Frankfurter Rundschau, 28. September 2005) überwiegend positiv. Kehlmann verfüge „so souverän über seinen Stoff“, dass ihm „genialische Züge kaum abzusprechen sind“. Der Roman „ist nicht nur ein schönes, packendes und spannendes“ Werk, sondern wird von Lüdke augenzwinkernd als „Alterswerk eines jungen Schriftstellers“ bezeichnet. Martin Lüdke lobt außerdem, dass es sich trotz des „eher trockenen Stoff[es]“ um einen spannenden Abenteuerroman handle. Dabei behält Daniel Kehlmann „stets den Blick für die Komik einer Situation“.<ref>http://www.fr-online.de/literatur/doppelleben--einmal-anders,1472266,3209018.html</ref>
 
Der Spiegel (39/2005) beurteilt die Geschichte der beiden Forscher Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humboldt anerkennend als „völlig prunklos“ und „in legendenhafter Schlichtheit“ erzählt. Kehlmann nutze dazu ironische Stilmittel, verzichte „auf große historische Pointen – und setze kleine poetische“, was in der Kritik durchaus positiv aufgenommen werde. Ein Problem der Konzeption sei jedoch, dass er „in der Beiläufigkeit auch dort stecken [bleibt], wo es das Crescendo braucht“.<ref name="spiegel-41939366">{{Der Spiegel|ID=41939366 |Titel=LITERATUR: Giganten unter sich |Autor= |Jahr=2005 |Nr=39 |Datum=26.&nbsp;September 2005 |Seiten=}}</ref>
 
Auch die englischsprachige Presse widmet sich Kehlmanns Roman: Tom LeClaire (New York Times, 5. November 2006) lobt zwar die Grundintention von Kehlmanns Werk, kritisiert aber, dass dessen geschichtliche Ausarbeitung nur unpräzise ausgeführt werde: „The novel is like one of Humboldt’s maps or Gauss’s formulas, the work of a probable prodigy but not prodigious, large-minded but not as large as its materials required.“<ref>http://www.nytimes.com/2006/11/05/books/review/LeClair.t.html</ref>
 
In einer Rezension, die in der Fachzeitschrift der American Mathematical Society im Juli 2008 erschien, kritisierte der Mathematiker Frans Oort die zahlreichen historischen Fehler zu Humboldt und Gauss. Kehlmann reduziere „diese zwei höchst interessanten Figuren zu ziemlich oberflächlichen und einfach zu durchschauenden Charakteren“. Die Charaktere der Protagonisten seien „in einer grob beleidigenden Weise falsch dargestellt“ (''the character of the main protagonists is misrepresented in a most offensive manner'') und der Eindruck, den das Buch von Gauss’ Persönlichkeit vermittle, sei „höchst ungerecht und voreingenommen“ (''… the impression the book gives of Gauss’ personality is highly unjust and biased''). Auch hätten die historischen Personen im Buch wohl kaum in einer solch derben Sprache gesprochen, wie sie der Autor ihnen zum Teil in den Mund lege. Insgesamt sei das Bedenklichste an dem Buch, dass es den falschen Eindruck einer gut recherchierten historischen Erzählung hinterlasse und damit einem breiten Publikum ein falsches Bild der Persönlichkeiten von Gauss und Humboldt vermittle. Der Autor habe wohl einen Lieblingsausspruch von Gauss nicht zu Herzen genommen: ''pauca sed matura'' („Weniges, aber dafür Ausgereiftes“).<ref>Book Review: Measuring the World. Reviewed by Frans Oort. In: Notices of the AMS. Volume 55, Number 6 [http://www.ams.org/notices/200806/tx080600681p.pdf pdf]</ref>
 
== Hörbuch ==
Bereits im September 2005 erschien der Roman als Hörbuch auf 5 CDs (ca. 345 Minuten), gelesen von Ulrich Matthes.
 
== Hörspiel ==
Das Buch wurde 2007 vom Norddeutschen Rundfunk als Hörspiel (ca. 172 Minuten) produziert und ist auch im Handel auf 3 CDs erhältlich.
: Bearbeitung und Regie: Alexander Schuhmacher.
: Musik: Claudio Puntin.
: Darsteller: Michael Rotschopf ''(Humboldt)'', Udo Schenk ''(Gauß)'', Jens Wawrczeck ''(Bonpland)'', Patrick Güldenberg ''(Eugen)'' u.&nbsp;v.&nbsp;a.
 
== Schauspiel ==
Das Staatstheater Braunschweig hat am 26.&nbsp;September 2008 eine Bühnenversion dieses literarischen Werkes in einer Inszenierung von Dirk Engler uraufgeführt. Gauß wirkte selbst lange Jahre in Braunschweig, auch eine Schule in der Stadt wurde nach ihm benannt.


In Freiberg feierte das Theaterstück am 19. Oktober 2010 seine Premiere.<ref>[http://tu-freiberg.de/presse/aktuelles/aktuelles_detail.html?Datensatz=1084 Pressemitteilung der TU Bergakademie].</ref> Der Senatsaal der TU Bergakademie gab dabei die Kulisse für das Schauspiel des Mittelsächsischen Theaters. Humboldt selbst hatte sein Diplom und die Berguniform am Ort dieser Aufführung erhalten.
== Zu den Verfilmungen siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Effi Briest}}


2014 wurde das Theaterstück im Stadttheater Fürth aufgeführt.<ref> {{Webarchiv|text=Stadttheater Fürth |url=http://www.stadttheater.fuerth.de/stf/home.nsf/contentview/75A840B26D99A35AC1257B60003EBB9F |wayback=20140407094319 |archiv-bot=2018-04-06 16:13:48 InternetArchiveBot }}.</ref>
== DVD-Veröffentlichungen ==
* Effi Briest. Fernsehspielfilm nach dem gleichnamigen Roman von Theodor Fontane. DDR 1968–1970, DEFA 125 Minuten, Farbe, Regie: Wolfgang Luderer. DVDplus (mit Materialien in klassischen Computer-Formaten). Matthias-Film Stuttgart (ca. 2011)


Am 3. Oktober 2014 kam das Stück am Salzburger Landestheater zu seiner österreichischen Erstaufführung.
== Textausgaben ==
* Theodor Fontane: ''Effi Briest. Roman.'' [Vorabdruck] In: ''Deutsche Rundschau.'' Band 81, Oktober bis Dezember 1894, S. 1–32, 161–191, 321–354, Band 82, Januar bis März 1895, S. 1–35, 161–196, 321–359.
* Theodor Fontane: ''Effi Briest. Roman.'' Fontane, Berlin 1896. ({{DTAW|fontane_briest_1896}})
* Theodor Fontane: ''Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden.'' Band 8: ''Effi Briest.'' Goldmann, München 1966.
* Theodor Fontane: ''Effi Briest.'' Mit einem Nachwort von Kurt Wölfel. Reclam, Stuttgart 1969/1991, ISBN 3-15-006961-0.
* Theodor Fontane: ''Effi Briest.'' Mit Materialien. Ausgewählt und eingeleitet von Hanns-Peter Reisner und Rainer Siegle. Klett, Stuttgart/Düsseldorf/Berlin/Leipzig 1984, ISBN 3-12-351810-8.
* Theodor Fontane: ''Effi Briest. Roman.'' Hrsg. von Christine Hehle. Berlin 1998 (Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 15), ISBN 3-351-03127-0.
* Theodor Fontane: ''Effi Briest. Text, Kommentar und Materialien.'' Hrsg. von Helmut Nobis. Oldenbourg, München 2008, ISBN 978-3-637-00591-4. (Oldenbourg Textausgaben für Schüler und Lehrer).
* Theodor Fontane: ''Effi Briest.'' Mit einem Nachwort von Julia Franck. Ullstein, Berlin 2009, ISBN 978-3-548-26979-5.


== Film ==
== Siehe auch ==
Die [[Wikipedia:Literaturverfilmung|Romanverfilmung]] ''[[Wikipedia:Die Vermessung der Welt (Film)|Die Vermessung der Welt]]'' unter der Regie von Detlev Buck mit Florian David Fitz und Albrecht Schuch in den Hauptrollen startete am 25. Oktober 2012 in den deutschen Kinos. Kehlmann selbst leiht dem Erzähler seine Stimme und hat ebenso wie Buck einen [[Wikipedia:Cameo-Auftritt|Cameo-Auftritt]].<ref>[http://www.dievermessungderwelt-derfilm.de/ Offizielle Website des Films „Die Vermessung der Welt“].</ref>
* {{WikipediaDE|Effi Briest}}
 
*[[Wikipedia:ZEIT-Bibliothek der 100 Bücher#ZEIT-Schülerbibliothek|ZEIT-Schülerbibliothek]]
== Ausgaben ==
* {{Literatur
  |Autor=[[Daniel Kehlmann]]
  |Titel=Die Vermessung der Welt
  |Verlag=Rowohlt
  |Ort=Reinbek bei Hamburg
  |Datum=2005
  |ISBN=3-498-03528-2}} (Gebundene Ausgabe) (37 Wochen lang in den Jahren 2006 und 2007 auf dem [[Wikipedia:Liste der meistverkauften Belletristikbücher in Deutschland#2001 ff|Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste]])
* {{Literatur
  |Autor=[[Daniel Kehlmann]]
  |Titel=Die Vermessung der Welt
  |Verlag=Universal Music
  |Ort=Berlin
  |Datum=2005
  |ISBN=3-8291-1540-7}} (Hörbuch 5 CDs)
* {{Literatur
  |Autor=[[Daniel Kehlmann]]
  |Titel=Die Vermessung der Welt
  |Verlag=Universal Music
  |Ort=Berlin
  |Datum=2005
  |ISBN=3-8291-2270-5}} (Hörbuch 1 mp3-CD)
* {{Literatur
  |Autor=[[Daniel Kehlmann]]
  |Titel=Die Vermessung der Welt
  |Verlag=Rowohlt Taschenbuch Verlag
  |Ort=Reinbek bei Hamburg
  |Datum=2008
  |ISBN=978-3-499-24100-0}} (Taschenbuch)
* {{Literatur
  |Autor=[[Daniel Kehlmann]]
  |Titel=Die Vermessung der Welt
  |Verlag=Rowohlt Taschenbuch Verlag
  |Ort=Reinbek bei Hamburg
  |Datum=2009
  |ISBN=978-3-499-25303-4}} (Gebundene Sonderausgabe)


== Literatur ==
== Literatur ==
* {{Literatur
* Josef Peter Stern: ''Effi Briest – Madame Bovary – Anna Karenina.'' In: Modern Language Review 52 (1957), S. 363–375.
  |Autor=Wolfgang Pütz
* Peter Demetz: ''Formen des Realismus: Theodor Fontane. Kritische Untersuchungen.'' Hanser, München 1964.
  |Titel=Daniel Kehlmann – Die Vermessung der Welt
* Dietrich Weber: ''„Effi Briest“: „Auch wie ein Schicksal“. Über den Andeutungsstil bei Fontane.'' In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts NF, 1966, S. 457–474.
  |Verlag=Oldenbourg Interpretationen
* Richard Brinkmann: ''Theodor Fontane. Über die Verbindlichkeit des Unverbindlichen.'' Piper, München 1967.
  |Ort=München
* Ingrid Mittenzwei: ''Die Sprache als Thema. Untersuchungen zu Fontanes Gesellschaftsromanen.'' Gehlen, Bad Homburg 1970.
  |Datum=2008
* Walter Schafarschik (Hrsg.): ''Theodor Fontane. Effi Briest. Erläuterungen und Dokumente.'' Reclam, Stuttgart 1972, ISBN 3-15-008119-X.
  |ISBN=978-3-486-00110-5}}
* Cordula Kahrmann: ''Idyll im Roman: Theodor Fontane.'' Fink, München 1973.
* {{Literatur
* Carl Liesenhoff: ''Fontane und das literarische Leben seiner Zeit.'' Bouvier, Bonn 1976.
  |Autor=Wolfgang Pütz
* Anselm Salzer, Eduard v. Tunk: ''Theodor Fontane.'' In: Dies.: ''Illustrierte Geschichte der Deutschen Literatur.'' Band 4 (Vom Realismus zum Naturalismus), Naumann & Göbel, Köln 1984, ISBN 3-625-10421-0, S. 227–232.
  |Titel=„Die Vermessung der Welt“ – Ein „Geniestreich“ der Gegenwartsliteratur als Unterrichtsgegenstand
* Horst Budjuhn: ''Fontane nannte sie „Effi Briest“: das Leben der Elisabeth von Ardenne.'' Ullstein/Quadriga, Berlin 1985.
  |Sammelwerk=Deutschmagazin
* Bernd W. Seiler: ''„Effi, du bist verloren!“ Vom fragwürdigen Liebreiz der Fontaneschen Effi Briest.'' In: ''Diskussion Deutsch'' 19 (1988), S. 586–605. Online: [http://www.uni-bielefeld.de/lili/personen/seiler/drucke/effi/uebersicht.html]
  |Nummer=1
* Manfred Franke: ''Leben und Roman der Elisabeth von Ardenne, Fontanes „Effi Briest“.'' Droste, Düsseldorf 1994 (DNB: http://d-nb.info/94361838X)
  |Verlag=Oldenbourg
* Elsbeth Hamann: ''Theodor Fontane, Effi Briest. Interpretation.'' 4. Auflage, Oldenbourg, München 2001, ISBN 3-486-88602-9.
  |Ort=München
* Norbert Berger: ''Stundenblätter Fontane „Effi Briest“.'' Klett, Stuttgart 2004, ISBN 3-12-927473-1.
  |Datum=2008
* Jörg Ulrich Meyer-Bothling: ''Klausurtraining Effi Briest.'' Klett, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-12-352445-5.
  |ISSN=1613-0693
* Manfred Mitter: ''Theodor Fontane, Effi Briest, Interpretationsimpulse.'' Merkur, Rinteln. Textheft: ISBN 978-3-8120-0849-5, CD-ROM: ISBN 978-3-8120-2849-3.
  |Seiten=53–58}}
* Heide Rohse: ''„Arme Effi!“ Widersprüche geschlechtlicher Identität in Fontanes „Effi Briest“.'' In dies.: ''Unsichtbare Tränen. Effi Briest – Oblomow – Anton Reiser – Passion Christi. Psychoanalytische Literaturinterpretationen zu Theodor Fontane, Iwan A. Gontscharow, Karl Philipp Moritz und Neuem Testament.'' Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, S. 17–31, ISBN 3-8260-1879-6.
* {{Literatur
* Thomas Brand: ''Theodor Fontane: Effi Briest.'' Königs Erläuterungen: Textanalyse und Interpretation, 253. C. Bange Verlag, Hollfeld 2011, ISBN 978-3-8044-1951-3.
  |Hrsg=Gunther Nickel
* Petra Lihocky: ''Lektürehilfe „Effi Briest“.'' Medienkombination, Fach Deutsch, Niveau Abitur. Hörbuch und Booklet, beides eine Interpretation. Stimmen: Thomas Wedekind, Michelle Tischer, Marcus Michalski. Pons Lektürehilfe, Stuttgart 2011, 5. Aufl.; Booklet 60 Seiten, dialogisches Fachgespräch auf der CD 93 Min.
  |Titel=Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“. Materialien, Dokumente, Interpretationen
* Denise Roth: ''Das literarische Werk erklärt sich selbst. Theodor Fontanes „Effi Briest“ und Gabriele Reuters „Aus guter Familie“ poetologisch entschlüsselt.'' Wissenschaftlicher Verlag Berlin WVB, Berlin 2012, ISBN 978-3-86573-679-6.
  |Verlag=Rowohlt Taschenbuch Verlag
* Clemens Freiherr Raitz von Frentz: ''Die Geschichte der wahren Effi Briest.'' In: ''Deutsches Adelsblatt.'' 52 (2013), 7, S. 10–13
  |Ort=Reinbek
* Magdalena Kißling: ''Effi Briest zwischen Handlungsfähigkeit und Ohnmacht. Fontane, Fassbinder und Huntgeburth im intermedialen Vergleich.'' In: Michael Eggers/Christof Hamann (Hrsg.): ''Komparatistik und Didaktik.'' Aisthesis Verlag, Bielefeld 2018, ISBN 978-3-8498-1164-8.
  |Datum=2008
  |ISBN=978-3-499-24725-5}}
* {{Literatur
  |Hrsg=Johannes Diekhans
  |Titel=Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt. Unterrichtsmodell
  |Verlag=Schöningh Schulbuchverlag
  |Ort=Paderborn
  |Datum=2007
  |ISBN=978-3-14-022392-8}}
* {{Literatur
  |Autor=Gerhard Kaiser
  |Titel=Zu Daniel Kehlmanns Roman „Die Vermessung der Welt“
  |Sammelwerk=Sinn und Form
  |Nummer=62
  |Verlag=Akademie der Künste
  |Ort=Berlin
  |Datum=2010
  |ISSN=0037-5756
  |Seiten=122-134}}
* Boris Hoge: ''„nicht bloß vermessen, sondern erfunden“: Die Relativierung ‚russischer Weite‘ in Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt".'' In: Ders.: ''Schreiben über Russland. Die Konstruktion von Raum, Geschichte und kultureller Identität in deutschen Erzähltexten seit 1989.'' Heidelberg: Winter 2012, S. 105–120.
* Boris Hoge-Benteler: ''Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt. Roman.'' In: Bönnighausen, Marion; Vogt, Jochen (Hrsg.): ''Literatur für die Schule. Ein Werklexikon zum Deutschunterricht.'' Paderborn: W. Fink 2014, S. 447–448.
* Wolf Dieter Hellberg: ''Lektüreschlüssel. Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt.'' Reclam, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-15-015435-9.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* Interview mit Daniel Kehlmann über den Roman: [http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/bucherfolg-ich-wollte-schreiben-wie-ein-verrueckt-gewordener-historiker-1304944.html ''Ich wollte schreiben wie ein verrückt gewordener Historiker.''] ''FAZ.'' 9. Februar 2006, mit Foto
* {{Zeno-Werk|nid/20004774701|Effi Briest|Theodor Fontane}}
* ''[http://gutenberg.spiegel.de/fontane/effi/effi001.xml Effi Briest]'' als Online-Volltext bei Projekt Gutenberg-DE
* [http://literaturlexikon.uni-saarland.de/index.php?id=6789 Figurenlexikon zu ''Effi Briest''] von Anke-Marie Lohmeier im Portal [http://literaturlexikon.uni-saarland.de/index.php?id=1 Literaturlexikon online].
* {{PGIW|5323}}
* [http://lehrerfortbildung-bw.de/faecher/deutsch/projekte/epik/effi_briest/index.html Unterrichtsprojekt Effi Briest]
* [http://librivox.org/effi-briest-by-theodor-fontane/ ''Effi Briest'' als freies Hörbuch] bei LibriVox
* [http://literaturen.net/effi-briest-zusammenfassung-und-inhaltsangabe-637/ ''Effi Briest'' Zusammenfassung und Inhaltsangabe]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
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Version vom 26. Juni 2018, 02:35 Uhr

Original-Verlagseinband und Titelblatt der ersten Buchausgabe 1896

Effi Briest ist ein Roman von Theodor Fontane, der von Oktober 1894 bis März 1895 in sechs Folgen in der Deutschen Rundschau abgedruckt wurde, bevor er 1896 als Buch erschien. Das Werk gilt als ein Höhe- und Wendepunkt des poetischen Realismus der deutschen Literatur: Höhepunkt, weil der Autor kritische Distanz mit großer schriftstellerischer Eleganz verbindet; Wendepunkt, weil Fontane damit zum bedeutendsten Geburtshelfer des deutschen Gesellschaftsromans wurde, der wenige Jahre später mit Thomas Manns Roman Buddenbrooks erstmals Weltgeltung erlangen sollte. Thomas Mann verdankt Fontanes Stil zahlreiche Anregungen.[1] Auch der Familienname der Buddenbrooks stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Effi Briest: In Kapitel 28 wird eine Person namens Buddenbrook erwähnt.

Beschrieben wird das Schicksal Effi Briests, die als siebzehnjähriges Mädchen auf Zureden ihrer Mutter den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten heiratet. Dieser behandelt Effi nicht nur wie ein Kind, sondern vernachlässigt sie zugunsten seiner karrierefördernden Dienstreisen. Vereinsamt in dieser Ehe, geht Effi eine flüchtige Liebschaft mit einem Offizier ein. Als Innstetten Jahre später dessen Liebesbriefe entdeckt, ist er außerstande, Effi zu verzeihen. Zwanghaft einem überholten Ehrenkodex verhaftet, tötet er den verflossenen Liebhaber im Duell und lässt sich scheiden. Effi ist fortan gesellschaftlich geächtet und wird sogar von ihren Eltern verstoßen. Erst drei Jahre später sind diese bereit, die inzwischen todkranke Effi wieder aufzunehmen.

Rechtsgeschichtlich spiegelt der Roman die harten Konsequenzen wider, mit denen in der Wilhelminischen Ära Übertretungen des bürgerlichen Moralkodex geahndet wurden.[2]

Inhalt

(Die Seitenzahlenangaben der folgenden Abschnitte beziehen sich auf die unten angegebene, im Goldmann-Verlag erschienene Romanausgabe.)

Der 38-jährige Baron von Innstetten, ein früherer Verehrer von Effis Mutter, hält zu Beginn des Romans um die Hand des 17-jährigen Mädchens an und zieht mit Effi, nach der Heirat und anschließenden Hochzeitsreise durch Italien, nach Kessin (fiktiv) in Hinterpommern. Effi wird dort nie richtig glücklich und leidet unter ihrer Angst vor einem angeblichen Spuk im geräumigen landrätlichen Haus: Sie ist davon überzeugt, dass in manchen Nächten ein Chinese erscheine, der einst in Kessin gelebt und ein sonderbares Ende gefunden haben soll. In dieser Angst wird Effi bestärkt von Innstettens Haushälterin Johanna. Trost und Schutz findet Effi nur bei Rollo, Innstettens Hund, der sie auf ihren einsamen Spaziergängen begleitet.

Freundschaft schließt Effi auch mit dem Apotheker Alonzo Gieshübler, der sie versteht und verehrt und ihr Halt gibt. Sie erhält von ihm täglich sorgsam präparierte Zeitungen und kleine Aufmerksamkeiten, die ihr ereignisloses Leben bereichern sollen,[3] ein Bedürfnis, das durch die formellen Landpartien und Anstandsbesuche, an denen sie mit ihrem Mann teilnimmt, kaum befriedigt wird. Im Gegenteil: die junge Dame langweilt sich in den steifen Adelskreisen zu Tode (98).[4]

Neun Monate nach der Hochzeit bekommt Effi eine Tochter, die auf den Namen Annie getauft wird. Während ihrer Schwangerschaft traf Effi auf einem ihrer Spaziergänge das katholische Hausmädchen Roswitha, das sie nun als Kindermädchen einstellt. Ungefähr zur gleichen Zeit taucht Major von Crampas in Kessin auf. Er hat zusammen mit Innstetten beim Militär gedient, ist aber charakterlich dessen ganzes Gegenteil: ein spontaner, leichtlebiger und erfahrener „Damenmann“. Verheiratet mit einer eifersüchtigen, „immer verstimmten, beinahe melancholischen“ Frau (101), begeistert er sich für Effis jugendliche Natürlichkeit und ermuntert sie zu Abwechslung und Leichtsinn. Anfangs widersteht Effi seinem Charme, dann jedoch, als Effi immer wieder von Innstetten allein gelassen wird und sich in ihrem eigenen Hause ängstigt und einsam fühlt, bahnt sich eine heimliche Affäre an, die Effi in immer bedrängendere Gewissenskonflikte stürzen wird: Effi lässt sich zunächst von Crampas dazu überreden, zum Zeitvertreib der langen Winterabende ein gemeinsames Theaterspiel mit dem bezeichnenden Titel „Ein Schritt vom Wege“ (Ernst Wichert) einzustudieren und in der Kessiner Ressource aufzuführen. Kurz vor Weihnachten kommt es unter der Regie von Major Crampas zu einer überaus erfolgreichen Vorstellung, und Effi wird als weibliche Heldin gefeiert – von den Herren bewundert, von den Damen beneidet. Eine Woche später begeben sich die Kessiner Honoratioren auf eine traditionelle Schlittenpartie zur Oberförsterei. Als man, schon etwas angeheitert, zu nächtlicher Stunde den Heimweg antritt, streiken unterwegs plötzlich die Pferde am sogenannten Schloon, einem unterirdischen Wasserlauf, der den Strand unpassierbar gemacht hat.[5] Um zu vermeiden, dass die Schlitten im heimtückischen Sand versinken, muss man einen Umweg durch den finsteren Uferwald nehmen und „mitten durch die dichte Waldmasse“ (156) fahren. Crampas, der mit Effi im letzten Schlitten Platz genommen hat, nutzt den Schutz der Dunkelheit aus: Effi „fürchtete sich und war doch zugleich wie in einem Zauberbann und wollte auch nicht heraus. – ‚Effi‘, klang es jetzt leis an ihr Ohr, und sie hörte, daß seine Stimme zitterte. Dann nahm er ihre Hand und löste die Finger, die sie noch immer geschlossen hielt, und überdeckte sie mit heißen Küssen. Es war ihr, als wandle sie eine Ohnmacht an.“ (157)

Von nun an treffen sich die beiden regelmäßig in den Dünen, und Effi ist gezwungen, ihrem Mann eine „Komödie“ vorzuspielen. Sie fühlt sich „wie eine Gefangene“, leidet schwer darunter und will sich befreien: „Aber wiewohl sie starker Empfindungen fähig war, so war sie doch keine starke Natur; ihr fehlte die Nachhaltigkeit, und alle guten Anwandlungen gingen wieder vorüber. So trieb sie denn weiter, heute, weil sie’s nicht ändern konnte, morgen, weil sie’s nicht ändern wollte. Das Verbotene, das Geheimnisvolle hatte seine Macht über sie.“ (164)
Als Wochen später ihr Mann nach Berlin berufen wird, um dort im Ministerium Karriere zu machen, und Innstetten ihr stolz verkündet, dass sie Kessin demnächst verlassen und in die Hauptstadt umziehen werden, empfindet Effi eine riesige Erleichterung: „Effi sagte kein Wort, und nur ihre Augen wurden immer größer; um ihre Mundwinkel war ein nervöses Zucken, und ihr ganzer zarter Körper zitterte. Mit einem Male aber glitt sie von ihrem Sitz vor Innstetten nieder, umklammerte seine Knie und sagte in einem Tone, wie wenn sie betete: ‚Gott sei Dank!‘“ (176) – Endlich von allen Gewissensbissen erlöst, genießt Effi „ihr neues Leben“ in der Großstadt, wo sie die langweilige Zeit im ländlichen Kessin und das verbotene Verhältnis zu Crampas bald vergessen kann.

Sechs Jahre später, während Effi gerade zur Kur in Bad Ems weilt, entdeckt Innstetten in einem Nähkästchen[6] durch Zufall Crampas’ Briefe, die ihm die Affäre der beiden enthüllen.[7] Aufgrund des − aus Innstettens Sicht zwar kritisch, aber doch noch als gesellschaftlich verbindlich betrachteten – Ehrenkodexes beschließt er, den Major zu einem Duell zu fordern. Dabei wird Effis einstiger Liebhaber tödlich getroffen. Innstetten trennt sich trotz aller Selbstzweifel von seiner Frau und weiß, dass er damit auch sein eigenes privates Glück zerstört: „Ja, wenn ich voll tödlichem Haß gewesen wäre, wenn mir hier ein tiefes Rachegefühl gesessen hätte … Rache ist nichts Schönes, aber was Menschliches und hat ein natürlich menschliches Recht. So aber war alles einer Vorstellung, einem Begriff zuliebe, war eine gemachte Geschichte, eine halbe Komödie. Und diese Komödie muß ich nun fortsetzen und muß Effi wegschicken und sie ruinieren und mich mit.“ (236)

Effis Eltern senden ihrer Tochter einen Brief, in dem sie erfährt, dass sie aufgrund der gesellschaftlichen Konventionen nicht mehr nach Hohen-Cremmen, dem elterlichen Anwesen und Haus ihrer glücklichen Kindheit, zurückkehren könne. Verstoßen von Ehemann und Eltern, zieht sie in eine kleine Wohnung in Berlin und fristet dort, zusammen mit der ihr nach wie vor in Treue verbundenen Haushälterin Roswitha, ein einsames und kümmerliches Dasein.
Nach einem enttäuschenden Besuch ihrer kleinen Tochter Annie, die ihre Mutter lange Zeit nicht sehen durfte und ihr inzwischen völlig entfremdet ist, erleidet Effi einen Zusammenbruch. Ihre Eltern beschließen auf Anraten eines Arztes, ihr krankes Kind doch wieder zu sich zu nehmen. Effis gesundheitlicher Zustand verbessert sich nur kurzzeitig. Angesichts des nahenden Todes spricht sie ihren früheren Gatten von jeglicher Schuld frei (285). Effi Briest stirbt mit etwa 30 Jahren in ihrem Elternhaus. Effis Mutter glaubt, eine Mitschuld am Tod ihrer Tochter zu tragen, weil sie Effis früh eingegangener Ehe mit einem 21 Jahre älteren Mann zugestimmt hatte. Herr von Briest beendet jedoch jegliches weitere Grübeln mit seinen leitmotivisch im gesamten Roman immer wieder geäußerten Worten: „Ach, Luise, laß … das ist ein ‚zu‘ weites Feld.“[8]

Form

(Die Seitenzahlenangaben der folgenden Abschnitte beziehen sich auf die unten angegebene, im Goldmann-Verlag erschienene Romanausgabe.)

Was Fontanes Werk unter anderem auszeichnet, ist sein Spannungen schaffendes Jonglieren mit den ästhetisierenden Elementen des poetischen Realismus einerseits und den um größere Objektivität bemühten Mitteln des bürgerlichen Gesellschaftsromans andererseits. Dazu zieht er virtuos alle Register literarischen Erzählens: vom auktorialen Plauderton über das perspektivische Berichten mit wechselndem Fokus bis hin zur erlebten Rede, von der episch breiten Beschreibung über die dialogische Konversation bis hin zur monologischen Briefform – kein Mittel konventionellen literarischen Schreibens bleibt ungenutzt. „Das Geflecht der Verweisungen durch beziehungschaffende Bilder und Gegenbilder, Allusionen und Parallelen, Omina, Signale, Echos und Spiegelungen, sich wiederholende, abbrevierende Bild- und Redeformeln – Fontane bedient sich ihrer so überlegt wie überlegen.“[9]

Vater Briest ist teilweise Fontanes Alter Ego im Roman, insbesondere gilt das für seinen Spruch: „Das ist ein (zu) weites Feld.“, der zum geflügelten Wort geworden ist. Ihm kommt schon insofern eine Schlüsselfunktion zu, als Fontane sie nicht nur zum stets wiederkehrenden Leitmotiv, sondern darüber hinaus auch zum krönenden Schlusssatz seines Romans macht. Dem alten Briest erscheint diese Welt zu kompliziert, zu widersprüchlich und zu lästig, als dass er sie erklären wollte. Mit seinem Zitat lässt er (und sein Autor) immer wieder an entscheidender Stelle offen, wie er zu den Dingen steht, und spart aus, was jeder Leser für sich selbst ergänzen sollte.

Effi ist zu jung, zu naiv, zu ungezügelt; Innstetten ist zu alt, zu karrieresüchtig, zu eifersüchtig, zu humorlos und zu ehrpusselig; die beiden sind zu verschieden. Während Fontane durch die Wahl der Formulierung „zu weit“ durchaus auf eine Schwäche des alten Briest hinweisen will, betont er doch andererseits durch den Verzicht auf jede weitere Erläuterung die liberale Toleranz und Humanität dieser Vaterfigur. Immer aber, wenn Liebe und Menschlichkeit gefragt sind, beispielsweise als es darum geht, die sozial geächtete und verstoßene Tochter gegen den „Anspruch der Gesellschaft“ wieder nach Hause zu holen, ist der alte Briest durchaus gewillt, aus seiner Deckung zu kommen und seine Reserviertheit, auch gegen den Widerstand seiner Frau, aufzugeben: „Ach, Luise, komme mir mit Katechismus, soviel du willst; aber komme mir nicht mit ‚Gesellschaft‘ […] die ‚Gesellschaft‘, wenn sie nur will, kann ein Auge zudrücken. […] Ich werde ganz einfach telegraphieren: ‚Effi, komm.‘“ (269 f.) Mit seinem Aufbegehren und der Forderung danach, ein Auge zuzudrücken, verhält er sich entschieden mutiger als seine Frau, die ihre Tochter vor allem deswegen verstieß, weil sie meinte, „vor aller Welt Farbe bekennen“ (248) zu müssen. Trotzdem gilt für den alten Briest, dass es paradoxerweise gerade seine Zurückhaltung ist, die ihn, obwohl nur Randfigur, ähnlich wie den Apotheker Gieshübler zu einem der prägenden Charaktere des Romans werden lässt.

In gleicher Art verdanken noch verschiedene andere Hauptmotive des Romans ihren Reiz solchen Leerstellen: der Seitensprung mit Crampas, die Schuldfrage, die Kritik an der preußischen Gesellschaft und, nicht zuletzt, das Geheimnis um den Chinesen – sie alle werden nie explizit, sondern fast ausschließlich in omissiven Andeutungen dargestellt und gewinnen auf diese Weise erst den spannenden Schwebezustand, der den Roman von trivialer Salonliteratur unterscheidet.[10]

Symbole und Motive

(Die Seitenzahlenangaben der folgenden Abschnitte beziehen sich auf die unten angegebene, im Goldmann-Verlag erschienene Romanausgabe.)

Alle zentralen Themen des Romans (Liebe, Ehe, Karriere, Angst, Schuld, Entsagung, Strafe, Zeit und Tod) klingen bereits im ersten Kapitel (S. 5–13) unüberhörbar an, die auffälligsten Dingsymbole (das Rondell, die Kirchhofsmauer, die Schaukel, der Teich und die alten Platanen) sogar schon im ersten Absatz des Romans, wo Fontane das „schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnte Herrenhaus zu Hohen-Cremmen“ mit seinem „kleinen Ziergarten“ ausführlich beschreibt und so für eine Bilderdichte sorgt, die er im Verlaufe seines Romans ständig weiter ausspinnt zu einer komplexen Textur von Vor- und Rückverweisen und die seinem Alterswerk jene anspruchsvolle Qualität verleiht, von der die Leichtigkeit seines Erzähltons nichts zu wissen scheint.

Das Rondell

Schon vor Effis Hochzeit erhält das Rondell im Garten von Hohen-Cremmen eine verweisende Funktion: „der in einem zierlichen Beet um die Sonnenuhr herumstehende Heliotrop blühte noch, und die leise Brise, die ging, trug den Duft davon zu ihnen [Mutter und Tochter Briest] herüber. ‚Ach wie wohl ich mich fühle‘, sagte Effi, ‚so wohl und so glücklich; ich kann mir den Himmel nicht schöner denken. Und am Ende, wer weiß, ob sie im Himmel so wunderschönen Heliotrop haben.‘“ Dieser Vergleich macht die Idylle von Hohen-Cremmen zu einer geradezu überirdischen, „quasi jenseitigen Landschaft.“[11] Wie der Heliotrop (griech. „Sonnenwende“) sehnt auch Effi sich stets nach der Sonnenseite des Lebens, ein Bedürfnis, dem ihre Eltern noch nach ihrem Tode Rechnung tragen, wenn sie die Sonnenuhr in der Mitte des Rondells beseitigen und durch Effis Grabstein ersetzen, den Heliotrop um die ehemalige Sonnenuhr herum jedoch „verschonen“ und die weiße Marmorplatte „einrahmen“ lassen (286). Auf diese Weise dient das Rondell zudem „der symbolischen Verschränkung von Tod und Leben“,[12] die auch die Mehrzahl der anderen Leitmotive Fontanes (s. u.) bestimmt.

Die Platanen

„Zwischen Teich [s. u. ‚Wassermetaphorik‘] und Rondell aber und die Schaukel [s. u.] halb versteckend standen ein paar mächtige alte Platanen“ (5). Wenn wenig später der alte Briest und sein neuer Schwiegersohn „auf dem Kieswege zwischen den zwei Platanen auf und ab“ gehen und über die berufliche Zukunft Innstettens reden, deutet sich bereits an, dass diese alten Baumriesen Tradition und offizielles Leben repräsentieren. Den Garten an seiner offenen Seite abschließend und „etwas seitwärts stehend“ (14) kontrastieren sie mit der Kindheit und dem Privatleben Effis (Schaukel bzw. Rondell). Wie aus einer gewissen distanzierten Höhe begleiten sie ihren Lebenslauf und werfen buchstäblich ihre breiten Schatten auf ihr Glück. Als sich Effis Hochzeitstag jährt und sie nachts am offenen Fenster sitzt und ihre Schuld nicht vergessen kann, „legte sie den Kopf in ihre Arme und weinte bitterlich. Als sie sich wieder aufrichtete, war sie ruhiger geworden und sah wieder in den Garten hinaus. Alles war so still, und ein leiser, feiner Ton, wie wenn es regnete, traf von den Platanen her ihr Ohr. […] Aber es war nur die Nachtluft, die ging.“ (213) Da aber gerade „die Nachtluft und die Nebel, die vom Teich her aufstiegen“, sie gegen Ende des Romans „aufs Krankenbett warfen“ (283) und letztlich ihren Tod herbeiführen, klingt jener unablässige leise Ton der beiden Platanen gleichsam wie der ferne Todesgesang verführerischer Sirenen, die die junge Frau ins Totenreich hinüberlocken. In ihrer letzten Nacht setzt sich Effi wieder ans offene Fenster, „um noch einmal die kühle Nachtluft einzusaugen. Die Sterne flimmerten, und im Parke regte sich kein Blatt. Aber je länger sie hinaushorchte, je deutlicher hörte sie wieder, daß es wie ein feines Rieseln auf die Platanen niederfiel. Ein Gefühl der Befreiung überkam sie. ‚Ruhe, Ruhe.‘“ (286)

Die Schaukel

Das alte Spielgerät, „die Pfosten der Balkenlage schon etwas schief stehend“, symbolisiert nicht nur Effis unbeschwerte Kindheit im elterlichen Herrenhaus zu Hohen-Cremmen, sondern auch den von ihr so gern ausgekosteten Reiz des Gefährlichen, das Gefühl abzustürzen und doch immer wieder aufgefangen zu werden. Ihre Mutter meint denn auch, sie „hätte doch wohl Kunstreiterin werden müssen. Immer im Trapez, immer Tochter der Luft“ (7), womit Fontane möglicherweise auf Pedro Calderón de la Barcas Drama La hija del aire (Die Tochter der Luft, 1653) anspielt.

Angst kennt sie dabei nicht, im Gegenteil, „ich falle jeden Tag wenigstens zwei-, dreimal, und noch ist mir nichts gebrochen“ (9). Von ihrer gleichaltrigen Freundin Hulda wird sie daraufhin an das Sprichwort „Hochmut kommt vor dem Fall“ erinnert, wiederum symbolisch und nicht ganz zu Unrecht, wenn man berücksichtigt, dass Effi ein ausgesprochenes Faible für alles „Vornehme“ hat und den ungeliebten Geert von Innstetten nicht zuletzt deswegen heiratet, weil er doch Baron und Landrat ist. Effi will im wahrsten Sinne des Wortes hoch hinaus, allerdings nur deswegen, weil ihr die Mutter solches einredet: „wenn du nicht nein sagst, […] so stehst du mit zwanzig Jahren da, wo andere mit vierzig stehen“ (16). Ihr Vater hat ihr einen Klettermast, „einen Mastbaum versprochen, hier dicht neben der Schaukel, mit Rasen und einer Strickleiter. Wahrhaftig, das sollte mir gefallen, und den Wimpel oben selbst anzumachen, das ließe ich mir nicht nehmen“ (13). Im Grunde also bleibt Effi naiv und anspruchslos – ganz im Kontrast zum Ehrgeiz Innstettens, der „mit einem ‚wahren Biereifer‘“ (11) das „Höherhinaufklimmen auf der Leiter“ (277) seiner Karriere betreibt.

Der Autor verfolgt mit seinem Schaukelsymbol darüber hinaus ein weiteres Ziel: „Wer, meint Fontane, seiner tiefsten Natur nach den Betörungen einer solchen Schwerelosigkeit notwendig zustrebt, der kann nicht zu Recht schuldig gesprochen werden. Effi unterliegt“ [als sie auf der nächtlichen Schlittenfahrt „im Fluge“ (156) den anderen Schlitten hinterherjagt und dabei von Crampas zum ersten Mal verführt wird (157)] „in einem Augenblick süßen Schauerns jenseits bewußter Verantwortung; deshalb darf sie Anspruch auf Milderungsgründe erheben. Effis Natur, an deren Zeichnung das Flugmotiv so entscheidenden Anteil hat, ist zugleich ihre Apologie. Da Fontane innerhalb der literarischen Konventionen eines ‚realistischen‘, d. h. ‚objektiv‘ dargestellten Geschehens nicht unmittelbar an den Leser appellieren darf, plädiert er metaphorisch.“[13]

Später erfüllt sich Effi im schwerelosen Schaukeln vor allem den Wunsch, spielerisch über alle entstandenen Schwierigkeiten hinweg aufsteigen und davonfliegen zu können. Dieses Verlangen wird schließlich so stark, dass das anfängliche Symbol ihrer kindlichen Lebenslust letztlich der Verkörperung ihrer Todessehnsucht dient. Noch im Angesicht des eigenen Endes springt sie „mit einer Behendigkeit wie in ihren jüngsten Mädchentagen“ auf das Schaukelbrett, und „ein paar Sekunden noch, und sie flog durch die Luft, und bloß mit einer Hand sich haltend, riß sie sich mit der andern ein kleines Seidentuch von Brust und Hals und schwenkte es wie in Glück und Übermut […] ‚Ach, wie schön es war, und wie mir die Luft wohltat; mir war, als flög ich in den Himmel.‘“ (273)

Der Chinese

Der Chinese, laut Fontane „ein Drehpunkt für die ganze Geschichte“,[14] gehört zu den auffällig zahlreich vertretenen exotischen Figuren Kessins, die Innstetten seiner frisch vermählten Frau noch vor ihrer Ankunft in ihrer neuen Heimat vorstellt und die dafür sorgen, dass Effi jene abgelegene Welt an der Ostsee zwar einerseits „aufs höchste interessiert“, andererseits aber auch von vornherein sehr verunsichert: der Pole Golchowski, der aussieht wie ein Starost, in Wahrheit aber ein „widerlicher Wucherer“ (42) ist; die slawischen Kaschuben im Kessiner Hinterland; der Schotte Macpherson; der Barbier Beza aus Lissabon; der schwedische Goldschmied Stedingk; und der dänische Arzt Dr. Hannemann. Selbst Innstettens treuer Hund Rollo, ein Neufundländer (45), sowie der Apotheker Alonzo Gieshübler mit seinem „fremdartig klingenden Vornamen“ (48) reihen sich zunächst in diese Reihe internationaler Statisten ein.

Eine herausragende Rolle unter ihnen nimmt allerdings der ehemalige Besitzer des Innstettenschen Hauses ein, der Südsee-Kapitän Thomsen, der von seinen Seeräuberfahrten bei Tonkin einst einen Chinesen als seinen Diener mit nach Hinterpommern brachte. Dessen geheimnisumwitterte Geschichte erzählt von der Freundschaft der beiden und davon, dass Thomsens Nichte oder Enkelin Nina, als sie verheiratet werden sollte, ebenfalls mit einem Kapitän, am Hochzeitabend mit allen Gästen tanzte, „zuletzt auch mit dem Chinesen. Da mit einem Male hieß es sie sei fort, die Braut nämlich. Und sie war auch wirklich fort, irgendwohin, und niemand weiß, was da vorgefallen. Und nach vierzehn Tagen starb der Chinese“ und bekam ein Grab zwischen den Dünen. „Man hätte ihn auch ruhig auf dem christlichen Kirchhof begraben können, denn der Chinese sei ein sehr guter Mensch gewesen und genauso gut wie die andern.“ (82) Offen, wie so vieles, bleibt, ob es sich dabei um eine glückliche oder unglückliche Liebesgeschichte (169) handelte. Sicher ist nur, dass es auch hier um eine verbotene Affäre ging und mit ihr ein zentraler Aspekt des Romanthemas vorweggenommen wird.

Wie sehr Innstetten, der Effi ja eigentlich nur mit den Kessinern und ihrer Umgebung vertraut machen will,[15] mit seinen Geschichten das Gegenteil erreicht und seiner Frau ihr neues Heim auf diese Weise gerade „unheimlich“ macht, wird zusätzlich dadurch betont, dass Effi jener Chinese in den kommenden Wochen buchstäblich „auf dem Kopf herum tanzt“. Ihr Schlafzimmer liegt nämlich genau unter dem großen Dachraum, in dem einst der bewusste Hochzeitsball stattfand und dessen Gardinen, von Wind bewegt, allnächtlich über den Tanzboden schleifen und die schlaflose Effi an die junge Braut, den Chinesen und deren tragisches Ende erinnern. Da Innstetten trotz Effis flehentlichen Bittens nicht bereit ist, die „viel zu langen“ Vorhänge einfach abzuschneiden wie einen alten Zopf, bestätigt sich der Verdacht[16], dass er diesen Spuk absichtlich als „Erziehungsmittel“ einsetzt, das bei der häufigen Abwesenheit des Hausherrn „wie ein Cherub mit dem Schwert“ über die Tugend seiner jungen Frau wacht und als „eine Art Angstapparat aus Kalkül“ dafür sorgt, dass Effi immer ängstlicher vom Schutz ihres Mannes abhängig wird und dessen Rückkehr immer sehnsüchtiger erwartet.

Nimmt man das übrige düstere Mobiliar des Hauses und sein gespenstisches Inventar hinzu – den sonderbaren Haifisch, der als „riesiges Ungetüm“ schaukelnd an der Flurdecke hängt, das ausgestopfte Krokodil und nicht zuletzt die abergläubische Frau Kruse mit ihrem „schwarzen Huhn“ –, so wird verständlich, wie wenig anheimelnd Effi ihr neues Heim erscheinen muss und wie sehr es für sie vom ersten Augenblick an zum „Spukhaus“ (234) wird. Aber das kann Innstetten erst verstehen und nachvollziehen, als seine Ehe bereits gescheitert ist und er mit seinem Freund Wüllersdorf des Duells wegen noch einmal nach Kessin zurückkehrt: „[…] so führte denn der Weg unvermeidlich an Innstettens alter Wohnung vorüber. Das Haus lag noch stiller da als früher; ziemlich vernachlässigt sah’s in den Parterreräumen aus; wie mochte es erst da oben sein! Und das Gefühl des Unheimlichen, das Innstetten an Effi so oft bekämpft oder auch wohl belächelt hatte, jetzt überkam es ihn selbst, und er war froh, als sie dran vorüber waren.“ (233 f.)

Die Wassermetaphorik

Wie das Schaukeln, Klettern und Fliegen, so verwendet Fontane auch seine Wassermetaphern vorwiegend zur Veranschaulichung von Effis unbekümmerter Leidenschaftlichkeit. Sie ist das übermütige „Naturkind“ (35), das alles Künstliche und Gekünstelte, alles Damenhafte[17] und einer Dame Wertvolle gering achtet,[18] aber alles Lebendige und Natürliche bedingungslos bejaht und darin „den Tod als Komplement des Lebens, ja sogar als Bedingung seines Wertes einschließt“.[19] Daher befindet sich auch „dicht neben“ der Schaukel und nicht weit von dem kleinen Rondell, das später Effis Grab sein wird, ein Teich, der die Gartenanlage zu Hohen-Cremmen, zusammen mit den „mächtigen alten Platanen“ – ebenfalls unübersehbare Lebens- und Todessymbole, die Fontane mehrfach als Leitmotive einsetzt – auf der offenen Seite seiner Hufeisenform abrundet.

Während dieses eher idyllische Gewässer, der heilen Welt Hohen-Cremmens entsprechend, den Reigen der Wassermetaphern zu Beginn des Romans (5) auf recht harmlose Weise eröffnet, wird schon wenige Seiten später klar, dass der heimatliche Teich und die im Verlaufe des Romans immer bestimmender werdende Szenerie des „wilden Meeres“ durchaus in Zusammenhang miteinander stehen. Noch ist es nur ein Kinderspiel, wenn Effi und ihre drei Freundinnen ihre übrig gebliebenen Stachelbeerschalen (in einer mit einem Kieselstein beschwerten Tüte als Sarg) feierlich „langsam in den Teich niedergleiten“ lassen und so „auf offener See begraben“ (12). Doch wäre Fontanes an den Leser gerichteter Wink mit dem Zaunpfahl – Effi: „so vom Boot aus sollen früher auch arme unglückliche Frauen versenkt worden sein, natürlich wegen Untreue“ (13) – gar nicht nötig, um zu erkennen, wie der Autor schon hier mit dem theatralisch zeremoniellen „Versenken der Schuld“ (12) auf die Problematik seines eigentlichen Romanthemas anspielt:
Unmittelbar vor ihrem Ehebruch, auf der Rückfahrt von Uvagla am Strand entlang, wird Effi von Sidonie ermahnt, sich nicht zu weit aus dem Schlitten zu lehnen, und antwortet: „‚Ich kann die Schutzleder nicht leiden; sie haben so was Prosaisches. Und dann, wenn ich hinausflöge, mir wär’ es recht, am liebsten gleich in die Brandung. Freilich, ein etwas kaltes Bad, aber was tut’s…‘“ Und im nächsten Augenblick bildet sich Effi ein, sie „hätte die Meerjungfrauen singen hören“ (152). „Die durch die beiden Symbolbereiche des Wassers und der Luft (Schaukel) versinnbildlichte Wesenskomponente wird für Effi zum Medium ihrer Verschuldung. Aber indem diese Symbole als Teil des idyllischen Bezirks von Hohen-Cremmen erscheinen und indem dieser Bezirk Verweisungsfunktion für Effis Tod erhält, wird jener Wesenszug gleichzeitig als Remedium [Heilmittel] der Schuld dargestellt.“[20]

Wie Lebenslust und Todessehnsucht miteinander verschmelzen, macht Fontane auch am bereits erwähnten Motiv des „Versenkens“ klar, das, meist als intransitives „Versinken“, Effis Untergang sehr variantenreich antizipiert. Zunächst geschehen derartige Anspielungen wieder auf harmlose, ja banal-komische Weise, wenn nämlich zum Beispiel die Lebenskünstlerin Trippelli, „stark männlich und von ausgesprochen humoristischem Typus“, Effi während eines geselligen Abends im Hause Gieshüblers ihren allzu weichen „Sofa-Ehrenplatz“ überlässt: „Ich bitte Sie nunmehro, gnädige Frau, die Bürden und Fährlichkeiten ihres Amtes auf sich nehmen zu wollen. Denn von Fährlichkeiten – und sie wies auf das Sofa – wird sich in diesem Falle wohl sprechen lassen. […] Dies Sofa nämlich, dessen Geburt um wenigstens fünfzig Jahre zurückliegt, ist noch nach einem altmodischen Versenkungsprinzip gebaut, und wer sich ihm anvertraut […] sinkt ins Bodenlose“ (86f.). Später, in unmittelbarer Nachbarschaft der ersten Liebesszene mit Crampas jedoch, werden die Bilder bedrohlicher und stecken voller Anspielungen. Als es darum geht, am Strand den gefürchteten „Schloon“ zu vermeiden, in dem die Schlitten der Heimkehrenden zu versinken drohen, fragt Effi: „Ist denn der Schloon ein Abgrund oder irgendwas, drin man mit Mann und Maus zugrunde gehen muß?“ und wird darüber aufgeklärt, dass der Schloon im Sommer „eigentlich nur ein kümmerliches Rinnsal“ sei, im Winter aber drücke „der Wind das Meerwasser in das kleine Rinnsal hinein, aber nicht so, dass man es sehen kann. Und das ist das Schlimmste von der Sache, darin steckt die eigentliche Gefahr. Alles geht nämlich unterirdisch vor sich und der ganze Strandsand ist dann bis tief hinunter mit Wasser durchsetzt und gefüllt. Und wenn man dann über solche Sandstelle wegwill, die keine mehr ist, dann sinkt man ein, als ob es ein Sumpf oder ein Moor wäre.“ (154)

Dann, wenige Sekunden vor Crampas’ Übergriff auf Effi, heißt es: „Ein Zittern überkam sie, und sie schob die Finger fest ineinander, um sich einen Halt zu geben. Gedanken und Bilder jagten sich, und eines dieser Bilder war das Mütterchen in dem Gedichte, das die ‚Gottesmauer‘ hieß“ (156). Dieses Gedicht[21] erzählt „eine kleine Geschichte, nur ganz kurz. Da war irgendwo Krieg, ein Winterfeldzug, und eine alte Witwe, die sich vor dem Feinde mächtig fürchtete, betete zu Gott, er möge doch eine Mauer um sie bauen, um sie vor dem Landesfeinde zu schützen. Und da ließ Gott das Haus einschneien, und der Feind zog daran vorüber“ (146f.). Rettung kommt dort folglich dadurch zustande, dass Gott Witwe und Haus buchstäblich klaftertief im Schnee versinken lässt. Das Versinken ist also, wie die meisten Bilder Fontanes, durchaus doppeldeutiger Natur: ob Untergang oder Rettung, oder Rettung durch Untergang (wie hier und am Ende des Romans), das entscheidet der jeweilige Kontext. Auch diese Ambivalenz begegnet dem Leser bereits im ersten Kapitel des Romans: „‚Flut, Flut, mach alles wieder gut‘“ singen die drei Mädchen, während sie ihre Stachelbeertüte „auf offener See begraben“, und Effi konstatiert zufrieden: „‚Hertha, nun ist deine Schuld versenkt.‘“ (12)

Am Morgen nach der ersten Liebesszene mit Crampas schließlich berichtet der inzwischen argwöhnisch gewordene Innstetten von einem (angeblichen) Traum, den er in derselben Nacht gehabt habe: „Ich träumte, daß du mit dem Schlitten im Schloon verunglückt seist, und Crampas mühte sich, dich zu retten; ich muß es so nennen, aber er versank mit dir.“ (157) Dass er mit dieser Vision Effis schlechtes Gewissen und ihre ohnehin schon vorhandene Schuldgefühle noch verstärkt, versteht sich von selbst. Aber wieder winkt Rettung durchs Versinken, wenn auch nur vorübergehend, denn eine Woche nach jener Nacht kommt vom Kessiner Hafen die Nachricht, dass ein Schiff in Seenot geraten sei und vor der Mole zu versinken drohe. Effi und Innstetten eilen zum Strand und beobachten, wie man ein Fangseil zu den Schiffbrüchigen hinüberschießt und diese mit einem Korb einzeln an Land zu hieven beginnt. „Alle wurden gerettet, und Effi hätte sich, als sie nach einer halben Stunde mit ihrem Mann wieder heimging, in die Dünen werfen und sich ausweinen mögen. Ein schönes Gefühl hatte wieder Platz in ihrem Herzen gefunden, und es beglückte sie unendlich, dass es so war.“ (163)

Die Kreatur

Dem „Naturkind“ (35) Effi hat Fontane zur Illustrierung ihrer Natürlichkeit nicht nur eine Vielzahl von Naturbildern gewidmet, sondern mit dem Neufundländer Rollo und dem Kindermädchen Roswitha auch zwei Wesen an die Seite gestellt, deren Kreatürlichkeit sich wohltuend von der Affektiertheit der sonstigen Kessiner Gesellschaft abhebt. Wie sehr beide funktional tatsächlich zusammengehören, versucht der Autor durch mehrere Parallelen zu verdeutlichen.

Das beginnt schon beim anaphorischen Gleichklang ihrer Namen, die im nordischen Kessin obendrein beide recht „sonderbar“ (108) klingen.[22] Es geht weiter mit der vom Autor immer wieder betonten Mittlerrolle, die beide zwischen Effi und Innstetten wahrnehmen,[23] und endet mit der Schutzfunktion[24] und bedingungslosen Loyalität, die beide Effi gegenüber üben und die auch in schweren Zeiten nicht endet: Als Effi in ärmlichen Verhältnissen lebt und Roswitha nur mehr spärlich entlohnen kann, ist jene dennoch bereit, zu ihr zu stehen und bei ihr zu bleiben. Nachdem Effi gestorben ist und Rollo sein Fressen verweigert und täglich auf ihrem Grabstein liegt, findet sich auch zu diesem Verhalten eine fast wörtliche (wenn auch der Intention nach gegensätzliche) Parallele zu Roswitha: Als diese erklären will, warum sie nach dem Tod ihrer früheren Herrin, die „zänkisch und geizig“ war, nicht einfach auf dem Friedhof „sitzen bleiben und warten wolle, bis sie tot umfalle“, sagt sie: „dann würden die Leute noch denken, ich hätte die Alte so geliebt wie ein treuer Hund und hätte von ihrem Grabe nicht weggewollt und wäre dann gestorben.“ (106) Bezeichnenderweise ist es Roswitha, die gleichsam instinktiv als erste bemerkt, dass es mit Effi zu Ende geht – „ich weiß nicht, mir ist, als ob es jede Stunde vorbei sein könnte“ (284) –, und bezeichnenderweise ist es Rollo, der ihr selbst über den Tod hinaus die Treue hält. So findet der alte Briest seine alte Vermutung („mitunter ist mir’s doch, als ob die Kreatur besser wäre als der Mensch“, 116) endgültig bestätigt: „Ja, Luise, die Kreatur. Das ist ja, was ich immer sage. Es ist nicht so viel mit uns, wie wir glauben. Da reden wir immer von Instinkt. Am Ende ist es doch das Beste.“ (286) Ähnliches hatte schon Innstettens Freund über Roswitha gesagt, als er deren Bittbrief gelesen hatte: „‚Ja‘, sagte Wüllersdorf, als er das Papier wieder zusammenfaltete, ‚die ist uns über.‘“ (278)

Gustave Doré: Blaubart mit seiner Frau

Wie die meisten Motive Theodor Fontanes hat auch Rollo ein Pendant, das seine Funktion bestätigt und zusätzlich unterstreicht. Als Crampas Effi die Eifersuchtsgeschichte vom spanischen Blaubartskönig Pedro dem Grausamen und dem schönen „Kalatrava-Ritter“ erzählt, „den die Königin natürlich heimlich liebte“ (135) und den der König aus Rache prompt und heimlich köpfen lässt, erwähnt Crampas auch dessen „wunderschönen Hund, einen Neufundländer“, vergleicht ihn mit Rollo, ja tauft ihn für seine Geschichte sogar auf denselben Namen. Dieser sei wie ein treuer Schutzpatron und Racheengel seines Herrn nach dessen heimlicher Ermordung auf dem festlichen Bankett erschienen, das Pedro, angeblich zu Ehren des Kalatrava-Ritters gegeben habe:[25] „Und denken Sie, meine gnädigste Frau“, so Crampas zu Effi, „wie der König, dieser Pedro, sich eben erheben will, um gleisnerisch sein Bedauern auszusprechen, dass sein lieber Gast noch immer fehle, da hört man auf der Treppe draußen einen Aufschrei der entsetzten Dienerschaften, und ehe noch irgendwer weiß, was geschehen ist, jagt etwas an der langen Festtafel entlang, und nun springt es auf den Stuhl und setzt ein abgeschlagenes Haupt auf den leergebliebenen Platz, und über eben dieses Haupt hinweg starrt Rollo auf sein Gegenüber, den König. Rollo hatte seinen Herrn auf seinem letzten Gang begleitet und im selben Augenblicke, wo das Beil fiel, hatte das treue Tier das fallende Haupt gepackt, und da war er nun, unser Freund Rollo, an der langen Festtafel und verklagte den königlichen Mörder.“ (136)

Dass Crampas mit der grausigen Geschichte von „seinem Rollo“ unbewusst den echten Rollo für Effi vom Schutzengel zur Spukgestalt umzufunktionieren droht, rückt ihn ungewollt in die Nähe Innstettens, der ja Spuk als „Angstapparat aus Kalkül“ (129) einsetzt und von dessen Erziehungsmitteln Crampas sich gerade distanzieren und Effi befreien will. Effi war denn auch bei jener Erzählung „ganz still geworden“, bevor sie sich wieder „ihrem Rollo“ zuwendet: „Komm, Rollo! Armes Tier, ich kann dich gar nicht mehr ansehen, ohne an den Kalatrava-Ritter zu denken, den die Königin heimlich liebte“ (136). So muss ihr ständiger Begleiter Rollo, das Symbol der Treue, ihr von nun an paradoxerweise zugleich als Mahnung an ihre eigene Untreue erscheinen.

Figurenübersicht

Figurenübersicht zu Fontanes Effi Briest
Figurenübersicht zu Fontanes Effi Briest

Literarisches Umfeld

Effi Briest gehört in die lange Reihe fontanescher Gesellschaftsromane, die ihre literarische Besonderheit dem leichten Ton der Erzählung und dem Verzicht auf Anklage oder Schuldzuweisung bei gleichzeitig scharfem Blick auf die gesellschaftliche und historische Situation verdanken. Wenn Innstetten den Verführer Crampas in einem Duell tötet, das nur noch sinnentleertes Ritual ist, und seine Frau wegen der selbst für ihn bedeutungslosen Liaison aus „Prinzipienreiterei“ (236) verstößt, darf man darin keine einseitige Verurteilung des preußischen Adligen oder gar der Gesellschaft sehen. Wie differenziert der Autor diese Frage beurteilt, ist unter anderem an Innstettens diesbezüglichem Gespräch mit seinem Freund Wüllersdorf abzulesen. Effi verzeiht ihrem Mann, und ihre Mutter mutmaßt, sie sei bei der von ihr forcierten und protegierten Heirat „doch vielleicht zu jung“ (287) gewesen. So entsteht ein komplexes Lebens- und Sittenbild der untergehenden altpreußischen Gesellschaft. Fontanes Werk kann auch unabhängig von preußischen Gegebenheiten als allgemeinere Betrachtung des Konfliktes zwischen Individuum und gesellschaftlichem Zwang betrachtet werden. Dies alles offenbart sich in Plaudereien der Figuren und einem fast beiläufigen Erzählton, bei dem es gilt, zwischen den Zeilen zu lesen, denn Fontane bekannte, es komme ihm nicht auf das „Was“, sondern auf das „Wie“ an.

Das heißt allerdings nicht, dass der Erzähler alles gutheiße, was seine Figuren tun. Der Ehrbegriff der Zeit zum Beispiel, der sich im literarischen Motiv des sinnlosen und illegalen Duells äußert, wird im Werk Fontanes immer wieder in verschiedenen Spielarten aufgegriffen. Mit dem Duell-Motiv findet sich Fontane in Gesellschaft Arthur Schnitzlers, der die Sinnlosigkeit des Ehrbegriffes in Leutnant Gustl (1900) satirisch zuspitzt, während für den jungen Offizier Zosima in Dostojewskis Die Brüder Karamasow (1879–80) das Duell geradezu zum Wendepunkt seines Lebens wird: Er verzichtet darauf zu schießen und wird zum frommen Einsiedler.

Literaturwissenschaftlich gesehen steht Fontanes Effi Briest auch in der speziellen Tradition des Liebes- oder Verführungsromans, vergleichbar mit Madame Bovary von Gustave Flaubert oder Anna Karenina von Leo Tolstoi.[26] Der Name „Effi Briest“ stellt eine Allusion auf den Namen der Protagonistin Euphemia „Effie“ Deans in Walter Scotts 1818 erstmals veröffentlichtem Roman The Heart of Midlothian dar.

Rezeption

Bernd W. Seiler beschreibt die Reaktionen von Oberstufenschülern auf Fontanes Roman um 2000: „Siebzehnjährige Schülerinnen und Schüler, gegen den Jugendcharme Effis weitgehend immun, finden sie leicht ein bisschen skrupellos: schon in der Art, wie sie sich zu verheiraten bereit ist – Hauptsache, der Mann ist von Adel, hat eine gute Stellung und sieht gut aus, selbst der vormalige Verehrer der Mutter darf es dann sein –, dann aber auch, wie sie sich auf Crampas einlässt und raffiniert genug ist, das Verhältnis vor ihrem Mann vollständig zu verbergen. Jungen nehmen hier, wenn sie die Zusammenhänge erst einmal realisiert haben, notwendig einen Abgrund von Tücke wahr, sodass Fontanes Mitleid mit ihr doch so ganz nicht gerechtfertigt erscheint. Und wie soll man sich zu ihrer Großmut stellen, mit der sie am Ende von Innstetten sagt, er sei ‚so edel, wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe ist‘? Wann – für wen – empfindet sie selbst die ‚rechte Liebe‘? Für Rollo, ihren Hund, so ließe sich böse feststellen, und es fällt schwer zu begreifen, warum Fontane der ‚armen Effi‘ nicht wenigstens an dieser Stelle ins Wort fällt.“[27]

Zu den Verfilmungen siehe auch

DVD-Veröffentlichungen

  • Effi Briest. Fernsehspielfilm nach dem gleichnamigen Roman von Theodor Fontane. DDR 1968–1970, DEFA 125 Minuten, Farbe, Regie: Wolfgang Luderer. DVDplus (mit Materialien in klassischen Computer-Formaten). Matthias-Film Stuttgart (ca. 2011)

Textausgaben

  • Theodor Fontane: Effi Briest. Roman. [Vorabdruck] In: Deutsche Rundschau. Band 81, Oktober bis Dezember 1894, S. 1–32, 161–191, 321–354, Band 82, Januar bis März 1895, S. 1–35, 161–196, 321–359.
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Roman. Fontane, Berlin 1896. (Digitalisat und Volltext)
  • Theodor Fontane: Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden. Band 8: Effi Briest. Goldmann, München 1966.
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Mit einem Nachwort von Kurt Wölfel. Reclam, Stuttgart 1969/1991, ISBN 3-15-006961-0.
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Mit Materialien. Ausgewählt und eingeleitet von Hanns-Peter Reisner und Rainer Siegle. Klett, Stuttgart/Düsseldorf/Berlin/Leipzig 1984, ISBN 3-12-351810-8.
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Roman. Hrsg. von Christine Hehle. Berlin 1998 (Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 15), ISBN 3-351-03127-0.
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Text, Kommentar und Materialien. Hrsg. von Helmut Nobis. Oldenbourg, München 2008, ISBN 978-3-637-00591-4. (Oldenbourg Textausgaben für Schüler und Lehrer).
  • Theodor Fontane: Effi Briest. Mit einem Nachwort von Julia Franck. Ullstein, Berlin 2009, ISBN 978-3-548-26979-5.

Siehe auch

Literatur

  • Josef Peter Stern: Effi Briest – Madame Bovary – Anna Karenina. In: Modern Language Review 52 (1957), S. 363–375.
  • Peter Demetz: Formen des Realismus: Theodor Fontane. Kritische Untersuchungen. Hanser, München 1964.
  • Dietrich Weber: „Effi Briest“: „Auch wie ein Schicksal“. Über den Andeutungsstil bei Fontane. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts NF, 1966, S. 457–474.
  • Richard Brinkmann: Theodor Fontane. Über die Verbindlichkeit des Unverbindlichen. Piper, München 1967.
  • Ingrid Mittenzwei: Die Sprache als Thema. Untersuchungen zu Fontanes Gesellschaftsromanen. Gehlen, Bad Homburg 1970.
  • Walter Schafarschik (Hrsg.): Theodor Fontane. Effi Briest. Erläuterungen und Dokumente. Reclam, Stuttgart 1972, ISBN 3-15-008119-X.
  • Cordula Kahrmann: Idyll im Roman: Theodor Fontane. Fink, München 1973.
  • Carl Liesenhoff: Fontane und das literarische Leben seiner Zeit. Bouvier, Bonn 1976.
  • Anselm Salzer, Eduard v. Tunk: Theodor Fontane. In: Dies.: Illustrierte Geschichte der Deutschen Literatur. Band 4 (Vom Realismus zum Naturalismus), Naumann & Göbel, Köln 1984, ISBN 3-625-10421-0, S. 227–232.
  • Horst Budjuhn: Fontane nannte sie „Effi Briest“: das Leben der Elisabeth von Ardenne. Ullstein/Quadriga, Berlin 1985.
  • Bernd W. Seiler: „Effi, du bist verloren!“ Vom fragwürdigen Liebreiz der Fontaneschen Effi Briest. In: Diskussion Deutsch 19 (1988), S. 586–605. Online: [1]
  • Manfred Franke: Leben und Roman der Elisabeth von Ardenne, Fontanes „Effi Briest“. Droste, Düsseldorf 1994 (DNB: http://d-nb.info/94361838X)
  • Elsbeth Hamann: Theodor Fontane, Effi Briest. Interpretation. 4. Auflage, Oldenbourg, München 2001, ISBN 3-486-88602-9.
  • Norbert Berger: Stundenblätter Fontane „Effi Briest“. Klett, Stuttgart 2004, ISBN 3-12-927473-1.
  • Jörg Ulrich Meyer-Bothling: Klausurtraining Effi Briest. Klett, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-12-352445-5.
  • Manfred Mitter: Theodor Fontane, Effi Briest, Interpretationsimpulse. Merkur, Rinteln. Textheft: ISBN 978-3-8120-0849-5, CD-ROM: ISBN 978-3-8120-2849-3.
  • Heide Rohse: „Arme Effi!“ Widersprüche geschlechtlicher Identität in Fontanes „Effi Briest“. In dies.: Unsichtbare Tränen. Effi Briest – Oblomow – Anton Reiser – Passion Christi. Psychoanalytische Literaturinterpretationen zu Theodor Fontane, Iwan A. Gontscharow, Karl Philipp Moritz und Neuem Testament. Königshausen & Neumann, Würzburg 2000, S. 17–31, ISBN 3-8260-1879-6.
  • Thomas Brand: Theodor Fontane: Effi Briest. Königs Erläuterungen: Textanalyse und Interpretation, 253. C. Bange Verlag, Hollfeld 2011, ISBN 978-3-8044-1951-3.
  • Petra Lihocky: Lektürehilfe „Effi Briest“. Medienkombination, Fach Deutsch, Niveau Abitur. Hörbuch und Booklet, beides eine Interpretation. Stimmen: Thomas Wedekind, Michelle Tischer, Marcus Michalski. Pons Lektürehilfe, Stuttgart 2011, 5. Aufl.; Booklet 60 Seiten, dialogisches Fachgespräch auf der CD 93 Min.
  • Denise Roth: Das literarische Werk erklärt sich selbst. Theodor Fontanes „Effi Briest“ und Gabriele Reuters „Aus guter Familie“ poetologisch entschlüsselt. Wissenschaftlicher Verlag Berlin WVB, Berlin 2012, ISBN 978-3-86573-679-6.
  • Clemens Freiherr Raitz von Frentz: Die Geschichte der wahren Effi Briest. In: Deutsches Adelsblatt. 52 (2013), 7, S. 10–13
  • Magdalena Kißling: Effi Briest zwischen Handlungsfähigkeit und Ohnmacht. Fontane, Fassbinder und Huntgeburth im intermedialen Vergleich. In: Michael Eggers/Christof Hamann (Hrsg.): Komparatistik und Didaktik. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2018, ISBN 978-3-8498-1164-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Anselm Salzer, Eduard von Tunk: Theodor Fontane. In: Dies.: Illustrierte Geschichte der Deutschen Literatur. Band 4 (Vom Realismus zum Naturalismus), S. 227 f.
  2. Gordon A. Craig: Deutsche Geschichte 1866–1945. Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber, 2. Aufl., Beck, München 1999, ISBN 3-406-42106-7, S. 236.
  3. Beide Eigenschaften Gieshüblers, nämlich für Effi sowohl die Rolle des „Arztes“ und fürsorglichen Freundes als auch die des „Zeitungsredakteurs“ zu übernehmen, erinnern an den Autor Theodor Fontane selbst, der ja ebenfalls Apotheker und Journalist war und sich, laut eigenen Aussagen, in seinen Romanen wiederholt mit Hilfe mancher, meist älterer, weiser und menschenfreundlicher Figuren ein Sprachrohr seiner eigenen Überzeugungen zu schaffen verstand.
  4. Gleichzeitig verabsäumt es Effi allerdings aufgrund ihrer Jugend und Unreife, die Zügel in die Hand zu nehmen und die von ihr erhoffte Rolle als Gattin Innstettens zu erfüllen. Sowohl der Welt draußen, die von ihr gesellschaftlichen Umgang und gastliche Verpflichtungen erwartet, als auch der Welt innen, die von ihr als Frau des Hauses Innstetten aktive Gestaltung erfordern würden, bleibt sie nach anfänglichen Unsicherheiten passiv gegenüber. Stattdessen akzeptiert Effi in Kessin ihre Rolle als kindliche Ehegattin. Wie so häufig bei Fontane, sind es auch in Effi Briest Monotonie und Langeweile, die den Stein des Unglücks ins Rollen bringen. Dabei steht für Effi schon vor der Ehe fest, dass die Vermeidung von Langeweile durch Zerstreuung zu den unabdingbaren Zutaten einer „Musterehe“ (29) gehört: Liebe kommt zuerst, aber gleich dahinter kommt [sic] Glanz und Ehre, und dann kommt Zerstreuung – ja Zerstreuung, immer was Neues, immer was, daß ich lachen oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile. (30)
  5. Das Phänomen wird von dem Mineralogen Walter A. Franke genauer beschrieben. In: Walter A. Franke: Was ist Treibsand? Abschnitt „Quicksand“
  6. Fontane spielt hier an auf die Redewendung „aus dem Nähkästchen plaudern“, eine modernere Form der Redewendung „aus der Schule plaudern“ (= „von Dingen reden, die eigentlich Geheimnisse eines bestimmten Kreises sind“, s. Lutz Röhrich: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Herder, Freiburg 1973, S. 898). Er verwendet also eine bereits existierende sprachliche Form, die schon vor Effi Briest üblich war, und kreiert sie nicht erst.
  7. Dieser Zufall wird bezeichnenderweise dadurch ausgelöst, dass sich die kleine Tochter Annie beim Spiel eine blutende Stirnwunde zuzieht, für die nun schnellstens ein Verband gesucht werden muss, der sich dann auch (un)glücklich in jenem verschlossenen Nähkästchen findet: nicht nur eine sehr verräterische Koinzidenz (vgl. dazu den obigen Abschnitt „Symbolische Motive“), sondern auch ein Beweis dafür, dass ihr Vater recht hat, wenn er bei ihr eine ursprünglich sehr große Ähnlichkeit mit ihrer temperamentvollen Mutter feststellt („Du bist so wild, Annie, das hast du von der Mama. Immer wie ein Wirbelwind“, 273), und ein vielsagender Hinweis darauf, wie massiv Innstetten später seine Tochter zum stillen und braven Püppchen umerzieht, das sich nur noch verlegen bewegt und mechanisch wiederholt, was man ihr eingetrichtert hat (265f.).
  8. Theodor Fontane: Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden. Band 8: Effi Briest. Goldmann, München 1966, S. 287; aber auch – teils als „weites“, teils als „zu weites Feld“ – auf den Seiten 35, 38 und 40 sowie auf Seite 116, wo diese Redensart gleich zweimal zitiert wird.
  9. Kurt Wölfel: Nachwort. Zu: Theodor Fontane: Effi Briest. Reclam, Stuttgart 1991, S. 340.
  10. Vgl. zu Fontanes Omissionsstil auch die Arbeit von Dietrich Weber: „Effi Briest“: „Auch wie ein Schicksal“. Über den Andeutungsstil bei Fontane. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts NF, 1966, S. 457–474.
  11. Cordula Kahrmann: Idyll im Roman: Theodor Fontane. Fink, München 1973, S. 340.
  12. Cordula Kahrmann: Idyll im Roman: Theodor Fontane. Fink, München 1973, S. 340.
  13. Peter Demetz: Formen des Realismus: Theodor Fontane. Kritische Untersuchungen. Hanser, München 1964, S. 215.
  14. So Fontane in seinem Brief an Josef Viktor Widmann vom 19. November 1895. Zitiert nach: Theodor Fontane: Effi Briest. Mit Materialien. Ausgewählt und eingeleitet von Hanns-Peter Reisner und Rainer Siegle. Reclam, Stuttgart 1994, S. 347.
  15. Allerdings belässt es Innstetten verräterischerweise nicht bei der bloßen Feststellung, dass die „ganze Stadt aus solchen Fremden bestehe“ (S. 43), sondern deutet bereits vor der Ankunft in Kessin wiederholt an, dass dort „alles unsicher sei“ und man sich vor den Kessinern „vorsehen müsse“ (S. 43).
  16. Crampas, der Innstetten und dessen Vorliebe für „Gruselgeschichten“ von früher her gut kennt, spricht diesen Verdacht offen aus. (S. 129)
  17. Kokett klagt sie ihre Mutter an: „‚Du bist schuld […] Warum machst du keine Dame aus mir?‘“; Theodor Fontane: Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden. Band 8: Effi Briest. Goldmann, München 1966, S. 7
  18. „‚Er Innstetten will mir ja schon Schmuck schenken in Venedig. Er hat keine Ahnung davon, dass ich mir nichts aus Schmuck mache. Ich klettere lieber und ich schaukle mich lieber, und am liebsten immer in der Furcht, dass es irgendwo reißen oder brechen oder ich niederstürzen könnte. Den Kopf wird es ja nicht gleich kosten.‘“; Theodor Fontane: Ausgewählte Werke. Romane und Erzählungen in 10 Bänden. Band 8: Effi Briest. Goldmann, München 1966, S. 32
  19. Cordula Kahrmann: Idyll im Roman: Theodor Fontane. Fink, München 1973, S. 126.
  20. Cordula Kahrmann: Idyll im Roman: Theodor Fontane. Fink, München 1973, S. 127.
  21. Hierbei handelt es sich um das 1814 entstandene Gedicht „Draus bei Schleswig vor der Pforte“ von Clemens Brentano. Das bald vertonte Gedicht fand u. a. Eingang in die seit 1836 bei Bertelsmann erscheinende „Kleine Missionsharfe im Kirchen- und Volkston für festliche und außerfestliche Kreise“, die im 19. Jahrhundert über zwei Millionen Mal verkauft wurde. Vgl. Wolf-Rüdiger Wagner: Effi Briest und ihr Wunsch nach einem japanischen Bettschirm. Ein Blick auf die Medien- und Kommunikationskultur in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. München: kopaed 2016, S. 128
  22. Roswitha selbst thematisiert dies, als sie zum ersten Mal von Rollo hört: „Rollo; das ist sonderbar […] Ich habe auch einen sonderbaren Namen […] Ich heiße Roswitha.“ (108).
    Macbeth erblickt Banquos Geist (von Théodore Chassériau)
  23. Rollo ist zunächst ausschließlich Innstettens Tier, das ihn liebt. Es wird aber auch Effi lieben (45) und später ganz zu „ihrem“ Hund werden. Und Roswitha wird diejenige sein, die den Brief an Innstetten schreibt (278), um für die verstoßene Effi darum zu bitten, ihr den alten Rollo als Mittel gegen Furcht und Einsamkeit zu schicken.
  24. Eine Funktion, die ihm Innstetten von vornherein zuteilt: „solange du den [Rollo] um dich hast, so lange bist du sicher und kann nichts an dich heran, kein Lebendiger und kein Toter.“ (45)
  25. Die Ähnlichkeit dieser Figur mit William Shakespeares Macbeth ist nicht zu übersehen. Dieser hatte bekanntlich seinen Rivalen Banquo heimlich ermorden und heuchlerisch gleichzeitig ein großes Bankett für ihn ausrichten lassen, auf dem ihm dann Banquos blutiger Geist als entlarvendes Menetekel erschien.
  26. Einen Vergleich der drei Romane bietet Josef Peter Stern: Effi Briest – Madame BovaryAnna Karenina. In: Modern Language Review 52 (1957), S. 363–375.
  27. Bernd W. Seiler: Beliebt, doch nicht ganz einwandfrei: Fontanes Effi Briest (1894). In: (K) ein Kanon. 30 Schulklassiker neu gelesen. Hrsg. von K.-M. Bogdal und C. Kammler. München 2000. S. 84 f.


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