Lukrez und Literarische Gattung: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Joachim Stiller
 
imported>Joachim Stiller
 
Zeile 1: Zeile 1:
'''Titus Lucretius Carus''' (deutsch '''Lukrez'''; * vermutlich zwischen 99 und 94 v. Chr.; † vermutlich um 55 oder 53 v. Chr.) war ein [[Römisches Reich|römischer]] Dichter und [[Philosophie der Antike|Philosoph]] in der Tradition des [[Epikureismus]].
Der Begriff der '''Gattung''' ordnet literarische Werke in inhaltlich oder formal bestimmte Gruppen. Das heutige Gattungssystem mit seiner klassischen Dreiteilung geht auf die ''[[Poetik (Aristoteles)|Poetik]]'' des [[Aristoteles]] zurück, die auch [[Johann Wolfgang von Goethe]] aufnahm. Die [[Literatur]] lässt sich demnach in die von Goethe auch „Naturformen“ genannten Großgattungen [[Epik]], [[Lyrik]] und [[Dramatik]] gliedern. Neuere Modelle nennen neben diesen drei Gattungen oft die [[Sachliteratur]] bzw. [[Sachtext]]e als vierte Gruppe. Innerhalb des Dramas wiederum werden oft [[Komödie]] und [[Tragödie]] als grundsätzliche Gattungen betrachtet.
Sein wahrscheinlich unvollendetes Werk ''[[De rerum natura]]'' ''(Über die Natur der Dinge)'' ist eine der Hauptquellen zur Philosophie [[Epikur]]s, die ansonsten nur in Fragmenten überliefert ist.


== Leben ==
Auch Werkgruppen, die im Laufe der Literaturgeschichte [[Tradition]]en mit jeweils typischen Merkmalen bildeten, werden oft als Gattungen bezeichnet, etwa der [[Schelmenroman]], der [[Witz]], das bürgerliche [[Trauerspiel]] oder die [[Märchen]]­novelle. Teilweise wird auch die Verwendung von [[Prosa]] oder [[Vers]] als Grundmerkmal eines Gattungssystems gesehen. Sachtexte treten in diesem System als „Gebrauchsprosa“ auf.


Über das Leben des Lukrez ist so gut wie nichts bekannt. Die spärlichen Angaben stammen großteils aus späten Quellen und sind widersprüchlich und zum Teil wenig glaubwürdig. Lukrez’ Herkunft und soziale Stellung sind nicht gesichert; Vermutungen, die von seinem [[Cognomen]] Carus auf eine niedrige Herkunft schließen, sind ebenso wenig zu belegen wie die Annahme, Lukrez habe der [[Nobilität]] angehört. Zumindest deutet sein Werk darauf hin, dass er über eine hohe Bildung verfügte.<ref>Erler (1994), S. 399f.</ref>
Da der Gattungsbegriff auf verschiedenen Ebenen verwendet wird und daher ungenau ist und keine Differenzierung für viele literarische Traditionen der Neuzeit bietet, wird auch oft von Genus oder Genos, [[Genre]], Textart und [[Textsorte]] gesprochen. Die Gattungsbestimmung eines Textes geschieht in der Weise, dass typische formale Aspekte eines Überlieferungsstücks mit anderen verglichen werden (Gattungsfrage). Ergeben sich Übereinstimmungen, so darf angenommen werden, dass die verglichenen Stücke der gleichen Gattung angehören.<ref>Lehnardt, Andreas  Qaddish. Untersuchungen zur Entstehung und Rezeption eines rabbinischen Gebetes, Mohr Siebeck GmbH & Co. KG, Tübingen, 2002, S. 64</ref>


Lukrez’ Lebensdaten müssen erschlossen werden: [[Hieronymus (Kirchenvater)|Hieronymus]] erwähnt in seiner ''Chronik'' dessen Geburt; jedoch überliefern die erhaltenen mittelalterlichen [[Manuskript|Handschriften]] dieses Ereignis teils für das Jahr 96, teils für 94 oder 93. Auch sein Todesjahr ist ungewiss. Nach Hieronymus starb Lukrez mit vierundvierzig Jahren, womit die Jahre 53/52, 51/50 und 50/49 in Betracht kommen. Allerdings überliefert der [[spätantike]] Grammatiker [[Aelius Donatus]], dass Lukrez am selben Tag verstorben sei, an dem [[Vergil]] mit siebzehn Jahren die [[Toga|Männertoga]] (''toga virilis'') angelegt habe, nämlich am 15. Oktober 53.<ref>Donatus: ''Vita Vergilii'' 6.</ref> Diese vermutlich auf [[Sueton]]s nur fragmentarisch erhaltenes Werk ''De viris illustribus'' zurückgehende Angabe ist fragwürdig; zudem datiert Donatus Vergils siebzehnten Geburtstag falsch, indem er die beiden [[Konsul]]n des Jahres 55 nennt. Die einzige sichere und zugleich früheste Angabe bietet ein Brief Ciceros an seinen Bruder [[Quintus Tullius Cicero|Quintus]] vom 10. oder 11. Februar 54. Darin meint er, Lukrez’ Werk enthalte zahlreiche geniale Glanzstücke und sei mit großer Kunstfertigkeit verfasst.<ref>Cicero: ''Ad Quintum fratrem'' 2,9,3.</ref> Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine Äußerung nach dem Tod des Lukrez. Man nimmt daher an, dass Lukrez zwischen 99 und 94 geboren wurde und Mitte der fünfziger Jahre, vielleicht 55 oder 53, verstarb.<ref>Zur Diskussion der Lebensdaten siehe Erler (1994), S. 397f.</ref>
== Geschichte ==
=== Gattungskonzepte und Optionen der Poesie sowie Literaturkritik ===
Der wichtigste Ort von Aussagen über die Gattungen waren bis weit in das 18.&nbsp;Jahrhundert hinein die impliziten [[Poetik]]en&nbsp;– Werke, die dem eigenen Vorgeben nach über die Regeln in der [[Poesie]] unterrichteten. Kunden dieser Werke sollten (so zahlreiche Vorreden) die Autoren poetischer Werke sein. Sie sollten hier Anleitungen erhalten, wie sie in den Gattungen zu arbeiten hätten. Von geringerem Belang war dagegen die Benennung von Gattungen auf den Titelblättern von Romanen und Dramen. Die Kunden poetischer Werke erhielten die weit genaueren Informationen darüber, was sie erwarben, in den Kurzabrissen der Handlungen auf den Titelblättern, in Aussagen zum Lesegenuss, den der Text erlaube, in Auskünften über den Stil, in dem der Autor schrieb. Titelblätter waren ausführlich in all diesen Punkten, die weit mehr sagten als ein Gattungsbegriff hätte sagen können.


Hieronymus überliefert zudem die legendenhafte Geschichte, dass Lukrez nach der Einnahme eines Liebestranks wahnsinnig geworden sei und schließlich Selbstmord begangen habe. In lichten Momenten ''(per intervalla insaniae)'' habe er sein Lehrgedicht verfasst. Dieser Bericht, der vermutlich auf einer im 4. Jahrhundert entstandenen Legende fußt, wurde in der Forschung sehr unterschiedlich beurteilt.<ref>Zur Forschungsgeschichte siehe Erler (1994), S. 383–385.</ref> Manche Gelehrte hielten die Nachricht von Lukrez’ Geisteskrankheit für glaubhaft und meinten, diese Hypothese durch Passagen seines Werkes stützen und daraus auf die Persönlichkeit des Dichters schließen oder umgekehrt Ungereimtheiten und Brüche im Werk vor dem Hintergrund seiner angeblichen geistigen Verwirrung erklären zu können.
Zwischen Poetiken und den poetischen Werken tat sich durchgängig eine Kluft auf: Poetiken notierten zwar, wie Tragödien und Komödien abzufassen seien&nbsp;– auf dem Markt bestand dagegen ein weitgehend ungeregeltes Spiel der Genres, das der Autor erlernte, indem er die laufende Produktion verfolgte. Poetiken und ihre Aussagen zu Gattungen erschienen demgegenüber unter Gesichtspunkten der Gelehrsamkeit. Ihre Aufgabe wurde effektiv die Kritik der laufenden, sich an die Vorgaben kaum haltenden Produktion.


Die neuere Forschung steht diesem ausschließlich bei Hieronymus überlieferten Zeugnis kritisch gegenüber.<ref>Erler (1994), S. 398 mit einer knappen Übersicht über die Forschungsmeinungen.</ref> Teils wird vermutet, dass sich die Stelle ursprünglich auf [[Lucius Licinius Lucullus|Lucullus]] bezogen habe, der am Ende seines Lebens geistig verwirrt gewesen sein soll;<ref>[[Plutarch]], ''Lucullus'' 43.</ref> in der Textüberlieferung seien die beiden Namen verwechselt worden. Teils sieht man in der Stelle einen Widerhall eines Gedichts von [[Publius Papinius Statius|Statius]], der Lukrez Leidenschaftlichkeit (''furor arduus'') zuschreibt.<ref>Statius: ''Silvae'' 2,7,76.</ref> Andere Forscher beziehen die Passage auf eine polemische Äußerung des Kirchenschriftstellers [[Lactantius]]; darin wendet er sich gegen die Lehre [[Epikur]]s, auf der all das beruhe, was Lukrez „zusammenspinnt“ (''delirat'').<ref>Lactantius: ''De opificio Dei'' 6,1.</ref> Außerdem nimmt man an, dass sich die Erzählung vom Liebestrank aus dem Schlussteil des vierten Buchs von ''De rerum natura'' herleitet; darin spottet Lukrez über die Liebe und die Verrücktheiten des Verliebten.<ref>Lukrez 4,1141–1191.</ref> Die Mehrheit der modernen Forschung hält Lukrez’ angeblichen Wahnsinn daher für eine christliche Legende, die bewusst in Umlauf gebracht wurde und ihn in Verruf bringen sollte.<ref>Siehe dazu [[Konrat Ziegler]], ''Der Tod des Lucretius''. In: ''Hermes'' 71, 1936, S. 421–440.</ref>
Der Kritik eröffneten sich mit den Gattungen und den zu ihr bestehenden Informationen flexible Optionen, mittels derer sie auf aktuelle Werke eingehen konnte: Stücke konnten


Außerdem behauptet Hieronymus, Cicero habe später Lukrez’ Schrift herausgegeben (''emendavit''). In der Forschung ist diese Nachricht äußerst umstritten. Ciceros Herausgebertätigkeit wird prinzipiell für möglich, jedoch nicht nachweisbar gehalten; auch bleibt unklar, in welcher Form Cicero den Text herausgegeben haben soll und ob er in den Text verbessernd eingriff.<ref>Erler (1994), S. 398f.</ref> Jedenfalls wird Lukrez in Ciceros philosophischen Schriften nie erwähnt oder benutzt, zumal Cicero dem Epikureismus negativ gegenüberstand. Jedoch lässt sich diese Frage aufgrund der Quellensituation nicht abschließend beantworten.
* die Regeln der Gattungen einhalten und deswegen gut sein,
* schlecht sein, obwohl sie die Regeln einhielten,
* schlecht sein, weil sie (derart sklavisch) Regeln befolgten, statt poetisches Talent zu beweisen, sie konnten endlich nicht minder
* gut sein, weil sie die Regeln verletzten, und einem poetischen Genie folgten.


== Werk ==
Die Kritik selbst konnte sich spalten zwischen Parteigängern, die eine Modifikation des Gattungskanons einklagten und Kritikern, die eine Rückkehr zu einem klassischen Gattungssystem verlangten.


Lukrez hat sein Werk möglicherweise nicht vollendet. Dies lässt vor allem ''De rerum natura'' 5,155 vermuten: Lukrez kündigt hier eine lange Abhandlung (''largus sermo'') über das Wesen der Götter an, die aber nicht zur Ausführung gelangt. Entweder ist Lukrez nicht mehr dazu gekommen, diese Abhandlung zu verfassen, oder er hat diese Absicht fallen gelassen und ist verstorben, bevor er den Vers tilgen konnte (die Mehrheit der Forscher neigt der zweiten Möglichkeit zu).
Während im 17. und 18.&nbsp;Jahrhundert Poetiken die Vorstellung verteidigten, dass die einzelnen Gattungen prinzipiell nach Regeln zu verstehen seien, setzte sich in der Literaturwissenschaft des 19.&nbsp;Jahrhunderts eine Historisierung des Gattungskanons und eine kulturelle Differenzierung durch: die Theorie, dass das Gattungsgefüge vielfältige kulturelle und historische Ausprägungen fand. Der Literaturkritik des 19.&nbsp;Jahrhunderts eröffnete diese Relativierung Freiräume: Werke konnten nun den Konventionen einer Zeit oder Kultur folgen&nbsp;– oder diese verletzen, das ließ sich von nun an mit Fortschrittsgedanken und Reflexionen der Literaturgeschichte verbinden. Werke konnten „antiquiert“ oder „epigonal“ alten Gattungskonventionen verpflichtet sein, sie konnten „Klassizität“ erlangen, indem sie Traditionen wiederbelebten, sie konnten in den Augen der Kritik ausländischen und fremden Vorbildern folgen oder unterliegen, sowie mit alten Vorgaben im Rahmen neuer „Bewegungen“ und „Strömungen“ brechen. Die Literaturkritik stellte im selben Moment zur Diskussion, wie sich das besprochene Werk in die Literaturgeschichte einordnete&nbsp;– innerhalb des Austauschs, der nun die [[Literatur]] schuf.


''De rerum natura'' besteht aus sechs Büchern mit insgesamt ca. 7800 Versen. Deutlich abgegrenzt sind jeweils die Einleitungen („[[Proömium|Prooemien]]“) und die Schlusspartien („Finalia“) der einzelnen Bücher. Festzustellen ist auch, dass sich die Bücher 1 und 2, 3 und 4 sowie 5 und 6 jeweils paarweise zu thematischen Einheiten zusammenfassen lassen. Die Bücher 1 und 2 behandeln die Grundlagen der epikureischen Naturphilosophie (Aufbau der Welt aus Atomen, Bewegung der Atome, Unendliche Vielzahl von Welten, Vergänglichkeit der Welt), die ihrerseits teilweise auf der Naturphilosophie Demokrits beruht. Die Bücher 3 und 4 wenden sich der Physiologie und Psychologie des Menschen zu. Buch 3 behandelt ausführlich die Sterblichkeit der Seele, für die Lukrez 28 Beweise präsentiert. Buch 4 befasst sich mit der Sinneswahrnehmung und im Finale auch mit Sexualität und Liebe. Um nicht dem Liebeskummer zu verfallen, empfiehlt Lukrez seinen Lesern dort den Bordellbesuch. Die Bücher 5 und 6 sind naturwissenschaftlichen Phänomenen gewidmet, wozu für Lukrez (im Finale des fünften Buches) auch die Kulturgeschichte gehört. Das Werk endet mit einer Beschreibung der Pest von Athen in den Jahren 430 bis 428. Die Ethik, die nach Epikur wichtigste philosophische Disziplin, wird zwar nicht eigens behandelt. Freilich finden sich immer wieder einzelne Bemerkungen über den Text verstreut (besonders in Prooemium zu Buch 2), die den Leser einladen, über seine Lebensführung nachzudenken und diese gegebenenfalls zu ändern.
=== Das Gefüge der Gattungen im Wandel ===
Das Spektrum der gegenwärtig von der Literaturwissenschaft verhandelten literarischen Gattungen bildete sich weitgehend im 19.&nbsp;Jahrhundert heraus. Vorangegangen war dem heutigen Spektrum der literarischen Gattungen das der poetischen Gattungen, das mit dem späten 17.&nbsp;Jahrhundert in eine intensive Diskussion geriet. In Frankreich beherrschte die von [[Nicolas Boileau]] herausgegebene Poetik die gelehrte Diskussion, im deutschen Sprachraum gewann in den 1730er Jahren [[Johann Christoph Gottsched]]s ''Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen'' (Leipzig 1730) eine größere Bedeutung mit der Forderung einer Rückkehr zum Schema der Gattungen nach [[Aristoteles]].


== Philosophie ==
Die Rufe, zum aristotelischen Gattungsspektrum zurückzukehren, standen von Anfang an im Zeichen einer scharfen Auseinandersetzung mit dem aktuellen Marktgeschehen. Angriffe zog hier vor allem die [[Oper]] auf sich, die unter Autoren des späten 17. und frühen 18.&nbsp;Jahrhunderts als das hohe Drama der Moderne im Raum stand. Der Debattenschub der ersten Hälfte des 18.&nbsp;Jahrhunderts bewegte die Oper erfolgreich aus der Poesiediskussion&nbsp;– sie gehört seitdem eher zur Musikgeschichte. Ein zweiter Diskussionsschub setzte Mitte des 18.&nbsp;Jahrhunderts ein und führte zum Bruch mit der aristotelischen Poetik: Mit dem [[Bürgerliches Trauerspiel|bürgerlichen Trauerspiel]] wurde die Position der antiken Tragödie im Gattungsschema relativiert: Das moderne Trauerspiel konnte anders als das der Antike durchaus auch in [[Prosa]], der Sprache der bislang „niederen“ Stilebene, verfasst sein. Gleichzeitig war mit dem neuen Trauerspiel das Gesetz der [[Fallhöhe (Drama)|Fallhöhe]] des tragischen Helden aufgehoben: Der Held oder die Heldin einer Tragödie konnte nun auch bürgerlichen Standes sein.
[[Datei:T. Lucretii Cari De rerum natura.tif|mini|hochkant|''De rerum natura'', hrsg. von [[Dionysius Lambinus]], 1570]]


Lukrez war ein Vertreter der [[Atomistik]]. Er berief sich vor allem auf die Lehre von [[Epikur]]. Sein Lehrer war wahrscheinlich [[Philodemos]].
Die Neudefinition auf dem Gebiet der Dramatik hatte Mitte des 18.&nbsp;Jahrhunderts Einfluss auf das Gebiet der Epik. Bislang lag hier ein Vakuum: Das Epos der Antike kannte ein hohes und ein satirisches Genus&nbsp;– in der Moderne hatten sich heroische Epen fast nur noch in der [[Panegyrik]] antreffen lassen. Anfang des 18.&nbsp;Jahrhunderts hatte man vorübergehend diskutiert, ob nicht der [[Roman]] das Epos der Moderne war&nbsp;– die Veröffentlichung von [[François Fénelon]]s ''Telemach'' (1699/1700) legte den Gedanken nahe: Fénelons Roman konkurrierte mit den Epen [[Vergil]]s und [[Homer]]s und überbot diese nach allgemeiner Sicht im Stilbewusstsein, wie in der Beachtung der Gattungsregeln; dem ''Telemach'' fehlte allein die Abfassung in Versen. Der Roman blieb am Ende weiterhin außerhalb des Spektrums poetischer Gattungen, da Fénelons Werk deutlich eine Ausnahme blieb. Diese Situation änderte sich in dem Moment, in dem das bürgerliche Trauerspiel Mitte des 18.&nbsp;Jahrhunderts als vollwertige Tragödie anerkannt wurde. Die Werke [[Gotthold Ephraim Lessing]]s zeigten sich dem Roman [[Samuel Richardson]]s verpflichtet. Wenn ''Sarah Sampson'' eine Tragödie war, dann waren die Romane der Gegenwart die korrespondierende epische Produktion. Der Roman verließ darauf hin das Feld der dubiosen Historien und wechselte in das Feld der poetischen Gattungen, das in den nächsten Jahrzehnten eine neue Benennung erhielt: aus ihm wurde das Feld der literarischen Gattungen.


Lukrez war überzeugt, dass die [[Seele]] sterblich sei (wofür er 28 „Beweise“ vorbrachte<ref>Nach Otto Danwerth in: Wulf Köpke; Bernd Schmelz (Hrsg.): ''Das Gemeinsame Haus Europa. Handbuch zur europäischen Kulturgeschichte.'' Frankfurt am Main 1999, S. 895–905. Der Wortlaut ist mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht unter [http://parapluie.de/archiv/sprung/tod/ Tod und Jenseits in Europa, Ein kulturhistorischer Abriß von der Antike bis in die Gegenwart - parapluie.de]</ref>) und dass es den Göttern nicht möglich sei, sich in das Leben der Menschen einzumischen. Seine Philosophie sollte dem Menschen [[Ataraxie|Gemütsruhe]] und Gelassenheit geben und ihm die Furcht vor dem Tode und den Göttern nehmen. Lukrez nimmt, im Gegensatz zu Epikur, Anteil an den gesellschaftlichen Ereignissen seiner Zeit, verurteilt den sittlichen Verfall des Adels, klagt den Krieg und seine Schrecken an.
Das 19.&nbsp;Jahrhundert brachte die klassische Neuaufteilung des Feldes in dramatische, epische und [[Lyrik|lyrische]] Gattungen. („Poetry“ wurde im Englischen und anderen umliegenden Sprachen der Dachbegriff für alle kleineren Gattungen in gebundener Sprache.) Das Feld des Dramatischen erweiterte sich mit der [[Farce (Theater)|Farce]] und dem [[Melodram (Theater)|Melodram]] um populäre Gattungen, das Feld der epischen Gattungen erweiterte sich mit der [[Novelle]], der [[Erzählung]] und der [[Kurzgeschichte]] um ungebundene Kleingattungen.


== Literaturgeschichtliche Bedeutung ==
Der Diskurs über die Gattungen, bislang Domäne der [[Poetik]]en wurde Aufgabenfeld der Literaturgeschichtsschreibung. Diese gestand den [[Kultur]]en und den [[Epoche (Literatur)|Epochen]] eigene Gattungsspektren zu. Das Sprechen von Gattungen verlor im selben Moment an Kontur, da von nun an beliebige Varianten von Gattungen definierbar waren. Literaturwissenschaftliche Arbeiten bündelten nach Belieben Werke und schufen dabei Gattungen wie den [[Artusroman]], die [[Spielmannsdichtung]] oder das [[Absurdes Theater|absurde Theater]]. Ein weiterer Diskurs über [[Genre]]s und [[Mode]]n erlaubte die eingehenderen Blicke auf den sich entwickelnden Markt und die flexible Auseinandersetzung mit dem Marktgeschehen.


Lukrez und [[Cicero]] waren Pioniere der „philosophischen Schriftstellerei“ in lateinischer Sprache. Sie mussten daher oft erst ein geeignetes Vokabular prägen (Lukrez spricht von der Dürftigkeit der Muttersprache ''patrii sermonis egestas'') und um Unabhängigkeit von der griechischen Sprache und Literatur ringen.
=== Aktuelle Interessen an einer Definition der Gattungen ===
Ein neues Interesse an der alten Gattungsdebatte kam im 20.&nbsp;Jahrhundert mit dem [[Wikipedia:Russischer Formalismus|russischen Formalismus]] und den von ihm ausgehenden Diversifikationen des [[Strukturalismus]] auf. Die Frage war und ist hier, ob nicht ungeachtet der Flexibilität, die sich im Sprechen über Gattungen hergestellt hatte, wissenschaftlich bestimmbare Kategorien bestanden. Prägend war hier unter anderem [[Jacques Derrida]], der darauf hinwies, dass das Merkmal literarischer Texte gerade auch die Transgression der von einer normativen Gattungslehre vorgegebenen Grenzen sei, die darin münde, dass Texte wohl an Gattungen „teilhaben“, ihnen jedoch nicht „angehören“.<ref>Jacques Derrida: ''La loi du genre''. In: ''Glyph'' 7, 1980, S. 176–201.</ref> [[Wikipedia:René Wellek|Wellek]] und [[Wikipedia:Austin Warren|Warren]] hatten literarische Gattungen zuvor als „institutionelle Imperative“ beschrieben, die zwar Zwang auf den Dichter ausübten, jedoch auch selbst von ihm geformt würden.<ref>René Wellek, Austin Warren: ''Theorie der Literatur''. Übers. Edgar und Marlene Lohner. Ullstein, Berlin 1963, S. 202.</ref>


Die Wahl der Form des „[[Lehrgedicht]]s“ (in [[Hexameter]]n) unterscheidet Lukrez von Cicero. Für diese Gattung der lateinischen Literatur kommt Lukrez Pionierrang zu: Zwar scheint es vor Lukrez Versuche gegeben zu haben, lateinische Lehrgedichte zu verfassen, doch waren diese nach Ciceros Urteil ungenießbar. Unter diesen Voraussetzungen ist verständlich, dass Lukrez' Verse nicht die Eleganz der späteren lateinischen Hexameter-Dichtung (insbesondere [[Vergil]], [[Ovid]]) erreichen.
Die hier einsetzende Debatte erwies sich in Brückenschlägen in die [[Linguistik]] und die linguistische [[Texttheorie]] fruchtbar. Moderne Richtungen der [[Computerphilologie]] unterstellen heute, dass die automatische [[Spracherkennung]] eines Tages in die Lage kommen könnte, literarische Sprechweisen zu erkennen. Eine allenfalls neue Gliederung der textlichen Produktion in Textsorten oder, konventioneller ausgedrückt, in Gattungen würde dann mit statistischen Verfahren wie [[Wikipedia:Hauptkomponentenanalyse|PCA]] automatisch passieren. Die resultierenden Gattungen könnten vom Menschen benannt und verwendet werden. Eine Gattung wäre dann vielmehr eine Dimension, und ein Text könnte zugleich zu verschiedenen Gattungen gehören. Ähnliche Bemühungen gibt es bereits in der Musik, wo Musikstücke dann von einer Gattung oder [[Stilistik]] (vgl. [[Wikipedia:Stil#Stil in der Musik|Stil in der Musik]]) in eine andere transformiert werden können. Aus einem Jazzstück wird eine klassische Oper, aus einem Popsong eine Symphonie.


Als [[Epikureismus|Epikureer]] hielt Lukrez sich von der Politik seiner Zeit fern. Es wird gern als „Wagnis seiner Dichtung“ bezeichnet, dass er Epikurs Lehre, zumal dessen Physik, in einem Gedicht zu verkünden suchte (s.&nbsp;o.) – obwohl Epikur selbst sagte, dass ein Epikureer nicht dichte bzw. nicht dichten solle, doch diese Aussage bezog sich möglicherweise eher auf den „Stoff“ des Mythos (''{{lang|la|fabulae}}'') und nicht so sehr auf die „Form“ eines Gedichtes an sich. Da Lukrez nun eine Wahrheit, eine Lehre, eigentlich gar eine (epikureische) ''Heilslehre'' verkündet, durfte er dies trotz der Aussage seines Lehrers Epikur dichterisch tun. Frühere Versuche philosophischer Dichtung anderer Autoren scheiterten v.&nbsp;a. an ästhetisch-stilistischen Problemen (vgl. Cic. Ac. II,5,6 und Tusc. I,6; II,7 u. IV,6f.).
Ein etwas anders gelagertes Interesse an den Gattungen besteht demgegenüber in den historischer ausgerichteten Zweigen der Literaturwissenschaft wie der [[Buchgeschichte]] und den Forschungsfeldern des [[New Historicism]]: Hier interessieren vor allem Produktionsbedingungen, Rezeptionshaltungen des Publikums, Modalitäten im Austausch zwischen der Kritik und dem sich entwickelnden Buchmarkt und Bühnenbetrieb. Die Gattungen und Genres interessieren dabei als Konzepte, über die Ware ins Angebot kam und kommt, mittels deren Erwartungshaltungen angesprochen werden und Konfrontationen zwischen Autoren, Kritikern und Lesern stattfinden.  


Die lukrezische Sprache wird von ihm selbst als eine ''daedala lingua'' bezeichnet, als eine erfinderische und künstlerische Sprache. Er stellt die kreative Fähigkeit seiner Sprache neben den mythischen Erfinder ([[Minotauros|Labyrinth des Minotaurus]]) und Künstler [[Dädalus]].<ref>{{Cite web| title = Bibel der Aufklärer| work = Jakob Moser| accessdate = 2016-11-17| url = http://sciencev2.orf.at/stories/1737546/index.html}}</ref>
== Einteilung der literarischen Gattungen von Joachim Stiller ==


Lukrez will Lehrer sein, und zwar als erklärter Jünger Epikurs (vgl. die ''Außenproömien'' [Einleitungen der Bücherpaare] mit ihren Hymnen auf Epikur). Ziel ist, den Menschen durch ''Erkenntnis'' vom Aberglauben zu befreien. Er will sich in einer chaotischen Zeit fernhalten von der Sinn- und Wertlosigkeit, nicht zuletzt durch den Hinweis auf die Natürlichkeit und Vergänglichkeit aller Dinge – auch der vermeintlich göttlichen.
Hier einmal die Einteilung der literarischen Gattungen von [[Joachim Stiller]]


== Rezeption ==
{|align="center" width="600px"
[[Datei:Burg Reichenstein - Epitaph Haym 4a Sockel Sarg.jpg|mini|Grabrelief (1571) mit Lukrez-Zitat: „VITAQUE MANCIPIO NULLI DATUR OMNIBUS USU“,<ref>VITAQUE MANCIPIO NULLI DATUR OMNIBUS USU „Das Leben ist niemandem als Besitz, sondern allen nur zum Gebrauch gegeben.“ (''De rerum natura'' III, 971)</ref> Burg Reichenstein/Oberösterreich]]
|-
Lukrez gilt als der [[Archeget]] des lateinischen Lehrgedichts. Sein Einfluss ist nicht auf die weitere römische Lehrdichtung (z.&nbsp;B. [[Vergil]]s ''{{lang|la|Georgica}}'', [[Ovid]]s ''{{lang|la|Ars Amatoria}}'', [[Marcus Manilius|Manilius’]] ''{{lang|la|Astronomica}}'', das anonyme ''Aetna''-Gedicht) beschränkt, sondern wirkt über Vergils ''Aeneis'' auf das gesamte lateinische Epos ab der augusteischen Zeit.
! [[Epik]] !! [[Wikipedia:Drama|Dramatik]] !! [[Lyrik]]
 
|-
Da die von Lukrez propagierten Lehren der epikureischen Philosophie (Verneinung  göttlicher Vorsehung und göttlichen Eingreifens ins Weltgeschehen, Endlichkeit der Welt, Sterblichkeit der Seele) mit der christlichen Religion unvereinbar sind, setzt in der Spätantike ab Arnobius eine scharfe Distanzierung von Lukrez ein. Gleichzeitig wird (z.&nbsp;B. von [[Lactantius|Laktanz]]) Lukrez als rationalistischer Zeuge für die Albernheit des heidnischen Götterkults herangezogen. Die Häufigkeit der Lukrez-Zitate bei den christlichen Schriftstellern zeigt außerdem, dass diese die literarische Qualität von ''{{lang|la|[[De rerum natura]]}}'' sehr wohl anerkannten.
| [[Epos]] || [[Drama]] || [[Versepos]]
 
|-
[[Datei:Lucretius De Rerum Natura 1675 page 1.jpg|mini|hochkant|Die erste Seite der Lukrez-Ausgabe von [[Tanaquil Faber]] (1675)]]
| [[Roman]] ||  ||  
Im Mittelalter war Lukrez in nahezu völlige Vergessenheit geraten, bis der Humanist [[Poggio Bracciolini]] 1417 in einem nicht näher benannten deutschen Kloster – vermutlich der [[Kloster Fulda|Benediktinerabtei Fulda]]<ref>Markus C. Schulte von Drach: ''[http://www.sueddeutsche.de/kultur/jahre-wiederentdeckung-von-de-rerum-natura-feiert-lukrez-statt-luther-1.3723464 Feiert Lukrez statt Luther. 600 Jahre Wiederentdeckung von „De rerum natura“].'' sueddeutsche.de, 30. Oktober 2017, abgerufen am 1. November 2017</ref> – die womöglich letzte erhaltene Abschrift von ''De rerum natura'' entdeckte.<ref>Stephen Greenblatt: ''Die Wende. Wie die Renaissance begann.'' Siedler, München 2012, ISBN 978-3-88680-848-9.</ref> Nach dem Erscheinen der ersten gedruckten Lukrez-Ausgabe im Jahre 1473 setzte in der Renaissance eine rege Rezeption ein, in der Dichter lukrezische Themen in lateinischen Lehrgedichten behandeln (z.&nbsp;B. [[Aonio Paleario]] (hingerichtet 1570) ''De Animorum Immortalitate'' (1536), [[Scipione Capece]] (1480–1551) ''De Principiis Rerum'' (1546), [[Daniel Heinsius]] ''De Contemptu Mortis'' (1621)). Hochkonjunktur hatte die Produktion von lateinischen Lehrgedichten mit lukrezischen Themen auch im 18.&nbsp;Jahrhundert. Kardinal [[Melchior de Polignac]] dichtete einen ''{{lang|la|Anti-Lucretius sive De Deo et Natura}}'' („Anti-Lukrez oder Über Gott und die Natur“), den [[Goethe]] sehr schätzte, und Bernardo Zamagna schrieb ein Lehrgedicht mit dem Titel ''{{lang|la|De Nave Aeria}}'' („Das Luftschiff“) über die [[Montgolfière]].
|-
 
| ------------- || ------------- || -------------
Auf Lukrez beriefen sich insbesondere die [[Materialismus|materialistischen]] Philosophen späterer Zeiten, so etwa [[Julien Offray de La Mettrie|de la Mettrie]] in der Mitte des 18. Jahrhunderts. [[Denis Diderot]] setzte in seiner ''[[Zur Interpretation der Natur (1754)|Zur Interpretation der Natur]]'' einen einführenden Satz aus ''De rerum natura'' von Titus Lucretius Carus an den Anfang. [[Karl Marx]], Mitbegründer des [[Marxismus|marxistischen]] [[Sozialismus]], verfasste 1841 seine Dissertation zum Thema ''Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie,'' worin er auf Lukrez Bezug nimmt. Auch [[Michel de Montaigne]] las ausgiebig in ''De rerum natura'' und markierte in der in seinem Besitz befindlichen Ausgabe viele Passagen und fügte Randbemerkungen an. In seinen [[Essay]]s finden sich viele Zitate aus dem Werk Lukrez’ oder er nahm auf dieses Bezug.
|-
 
| [[Erzählung]] || [[Tragödie]] || [[Wikipedia:Ballade|Ballade]]
In seiner [[Wahrnehmung#Wahrnehmungstheorie|Wahrnehmungstheorie]] prägte Lukrez den für die [[postmoderne]] Philosophie einflussreichen Begriff des [[Simulakrum]]s.
|-
 
| [[Novelle]] || || [[Gedicht]]
Erst im 19. Jahrhundert erschien, angeregt von Goethe, die erste deutsche Lukrez-Übersetzung durch den [[Karl Ludwig von Knebel|Freiherrn von Knebel]]. Fasziniert von Lukrez war auch [[Albert Einstein]], der zu der Lukrez-Übersetzung von [[Hermann Diels]] ein Vorwort beisteuerte.
|-
 
| [[Short-Story]] ||  || [[Wikipedia:Sonett|Sonett]]
Unter den einzelnen Passagen von ''{{lang|la|De rerum natura}}'' dürfte das Ende des Werks am intensivsten rezipiert worden sein. Die dort gegebene Beschreibung der Pest in Athen zu Beginn des Peloponnesischen Krieges, die ihrerseits eng an die des Thukydides (2,47–53) angelehnt ist, wird ebenso von Vergil, Ovid, Manilius, Seneca und anderen antiken Autoren imitiert wie von Autoren der Neuzeit (z.&nbsp;B. im ''[[Decamerone|Dekameron]]'' von [[Giovanni Boccaccio|Giovanni Bocaccio]]<ref>[[Theo Kobusch]]: ''Geschichte der Philosophie Bd. 5: Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters.'' München 2017, [https://books.google.de/books?id=SqoyDwAAQBAJ&pg=PA472 S. 472]</ref>, im Lehrgedicht ''[[Syphilis]]'' des [[Girolamo Fracastoro]] oder in [[Albert Camus]]’ ''{{lang|fr|La peste}}'') rezipiert.
|-
 
| ------------- || ------------- || -------------
== Ausgaben und Übersetzungen ==
|-
'''Gesamtausgaben'''
| [[Kurzgeschicthe]] || [[Komödie]] || [[Wikipedia:Tanka|Tanka]]
* ''Titi Lucreti Cari De rerum natura libri sex''. Hrsg. und übers. von Cyril Bailey. 3 Bände, Clarendon Press, Oxford 1947 (kritische Ausgabe mit englischer Übersetzung und Kommentar; zahlreiche Nachdrucke)
|-
** Band 1: Vorwort, Text, kritischer Apparat und Übersetzung.
| ||  || [[Wikipedia:Vierzeiler|Vierzeiler]]
** Band 2: Kommentar Bücher 1–3.
|-
** Band 3: Kommentar Bücher 4–6, Addenda, Indices und Bibliographie.
|  ||  || [[Wikipedia:Haiku|Haiku]]
* ''T. Lucreti Cari De rerum natura libri sex''. Hrsg. Conrad Müller. Rohr, Zürich 1975.
|-
* ''T. Lucreti Cari De rerum natura libri sex''. Hrsg. Josef Martin. Teubner, Leipzig 1953 (zahlreiche Nachdrucke).
| ------------- || ------------- || -------------
* Titus Lucretius Carus: ''Welt aus Atomen''. Lateinisch und deutsch. Textgestaltung, Einl. und Übers. von Karl Büchner. Zürich: Artemis 1956. (Die Bibliothek der Alten Welt. Römische Reihe). - Überarb. Neuausg.: Stuttgart: Reclam 1973 (Universal-Bibliothek; 4257) ISBN 3-15-004257-7 (zahlreiche Nachdrucke).
|-
* Titus Lucretius Carus: ''Von der Natur''. Hrsg. und übers. von Hermann Diels, mit einer Einführung und Erläuterungen von Ernst Günther Schmidt. Artemis & Winkler, München 1993, ISBN 3-7608-1564-2.
| [[Aphorismus]] || [[Wikipedia:Lustspiel|Lustspiel]] || [[Wikipedia:Zweizeiler (Verslehre)|Zweizeiler]]
* Titus Lucretius Carus: ''Über die Natur der Dinge. Lateinisch und deutsch'' (= ''Schriften und Quellen der Alten Welt'' 32). Hrsg. und übers. von Josef Martin. Akademie-Verlag, Berlin 1972.
|-
* Titus Lucretius Carus: ''Vom Wesen des Weltalls''. Übers. von Dietrich Ebener. Leipzig: Reclam 1989. (Reclams Universal-Bibliothek. 1292) ISBN 3-379-00434-0. - Neuausg.: Berlin: Aufbau 1994 (Bibliothek der Antike. Römische Reihe) ISBN 3-351-02279-4
| [[Weisheit]] || [[Satire]] || [[Vers]]
* Lukrez: ''Über die Natur der Dinge''. Neu übersetzt und reich kommentiert von Klaus Binder. Mit einem Vorwort von Stephen Greenblatt. Berlin: Galiani 2014. ISBN 978-3-86971-095-2
|-
 
| [[Sinnpruch]] || [[Wikipedia:Farce (Theater)|Farce]] ||
* Lucretius, ''On the nature of things.'' Translated, with introduction and notes, by Martin Ferguson Smith. Hackett Publishing Company, Indianapolis / Cambridge 1969, revised edition 2001, [https://books.google.de/books?id=iKdij3ErDnMC&printsec=frontcover&hl=de#v=onepage&q&f=false (Auszüge online)]. – Rez. von: Robert Todd, Bryn Mawr Classical Review [http://bmcr.brynmawr.edu/2002/2002-02-08.html 2002.02.08]
|}
* Lucretius, ''De rerum natura.'' With an English Translation by W. H. D. Rouse (zuerst 1924). Revised by Martin Ferguson Smith. Harvard University Press, Cambridge, Ma., London 1975, second edition 1982, reprinted with revisions 1992 (Loeb Classical Library 181).
 
'''Teilausgaben und Kommentare'''
* Titus Lucretius Carus: ''De rerum natura I''. Hrsg. P. Michael Brown, Bristol Classical Press, Bristol 1984, ISBN 0-86292-076-0 (mit englischer Einleitung und Kommentar).
* Titus Lucretius Carus: ''Lucretius on atomic motion. A commentary on De rerum natura book two, lines 1–332''. Hrsg. Don Paul Fowler, postum hg. v. Peta Fowler, Oxford: Oxford University Press 2002, ISBN 0-19-924358-1 (Kommentar)
* Titus Lucretius Carus: ''De rerum natura III''. Hrsg. und übers. von P. Michael Brown, Aris & Phillips, Warminster/Wiltshire 1997, ISBN 0-85668-695-6 (mit englischer Übersetzung und Kommentar).
* Titus Lucretius Carus: ''De rerum natura. Book III''. Hrsg. Edward J. Kenney, Cambridge University Press, Cambridge 1971, ISBN 0-521-08142-4 (mit englischem Kommentar).
* Titus Lucretius Carus: ''De rerum natura IV''. Hrsg. und übers. von John Godwin, Aris & Phillips, Warminster/Wiltshire 1986, ISBN 0-85668-308-6 (mit englischer Übersetzung und Kommentar).
* Titus Lucretius Carus: ''Lucretius on love and sex. A commentary on De rerum natura IV, 1030–1287''. Hrsg. und übers. von Robert D. Brown, Brill, Leiden 1987, ISBN 90-04-08512-2 (kritische Ausgabe mit englischer Übersetzung und Kommentar).
* Titus Lucretius Carus: ''De rerum natura V''. Hrsg. C. D. N. Costa, Oxford University Press, Oxford 1984, ISBN 0-19-814457-1 (mit englischem Kommentar).
* Titus Lucretius Carus: ''De rerum natura VI''. Hrsg. und übers. von John Godwin, Aris & Phillips, Warminster/Wiltshire 1991, ISBN 0-85668-500-3 (mit englischer Übersetzung und Kommentar).


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Lukrez}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Literaturgattung}}
* {{WikipediaDE|Gattung (Literatur)}}


== Literatur ==
== Literatur ==
'''Übersichtsdarstellungen'''
* Otto Knörrich: ''Lexikon lyrischer Formen''. Kröner Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-47902-8.
* Michael von Albrecht: ''Geschichte der römischen Literatur von Andronicus bis Boethius und ihr Fortwirken''. Band 1. 3., verbesserte und erweiterte Auflage. De Gruyter, Berlin 2012, ISBN 978-3-11-026525-5, S. 240–272
* Rüdiger Zymner: ''Gattungstheorie''. Mentis Verlag, Paderborn 2003, ISBN 3-89785-377-9.
* Marcus Deufert: ''Lucretius.'' In: ''Reallexikon für Antike und Christentum''. Band 23, Hiersemann, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-7772-1013-1, Sp. 603–620
* Dieter Lamping (Hrsg.): ''Handbuch der literarischen Gattungen''. Kröner Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 3-520-84101-0.
* Michael Erler: ''Die hellenistische Philosophie'' (= ''Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike'', Bd. 4/1). Schwabe, Basel 1994, ISBN 3-7965-0930-4, S. 381–490
* Udo Kindermann, „Gattungensysteme im Mittelalter“, in: Kontinuität und Transformation der Antike im Mittelalter, hrsg. von Willi Erzgräber, Sigmaringen 1989, S. 303–313.
* José Kany-Turpin: ''Lucretius Carus (T.).'' In: Richard Goulet (Hrsg.): ''Dictionnaire des philosophes antiques''. Band 4, CNRS Éditions, Paris 2005, ISBN 2-271-06386-8, S. 174–191
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_methodenlehre.pdf Methodenlehre - Listenmethode] PDF
'''Untersuchungen'''
* Carl Joachim Classen (Hrsg.): ''Probleme der Lukrezforschung''. Olms, Hildesheim/ Zürich/ New York 1986, ISBN 3-487-07660-8.
* Diskin Clay: ''Lucretius and Epicurus''. Cornell University Press, Ithaca (New York) 1983, ISBN 0-8014-1559-4.
* Donald Reynolds Dudley (Hrsg.): ''Lucretius''. 2. Auflage. Routledge & Kegan Paul, London 1967.
* Baldur Gabriel: ''Bild und Lehre. Studien zum Lehrgedicht des Lukrez''. Frankfurt 1970.
* Monica R. Gale (Hrsg.): ''Lucretius''. Oxford University Press, Oxford 2007, ISBN 0-19-926034-6.
* James H. Nichols: ''Epicurean Political Philosophy. The De rerum natura of Lucretius''. Cornell University Press, Ithaca (New York) 1976, ISBN 0-8014-0993-4.
* Petrus H. Schrijvers: ''Horror ac divina voluptas. Études sur la poétique et la poésie de Lucrèce''. Hakkert, Amsterdam 1970, ISBN 90-256-0991-0.
* Charles Segal: ''Lucretius on Death and Anxiety. Poetry and Philosophy in De Rerum Natura''. Princeton University Press, Princeton (New Jersey) 1990, ISBN 0-691-06826-7.
* David West: ''The Imagery and Poetry of Lucretius''. University Press, Edinburgh 1969.
 
'''Rezeption'''
* Alison Brown: ''The Return of Lucretius to Renaissance Florence.'' In: ''I Tatti Studies in Italian Renaissance History.'' Harvard University Press, Harvard (Massachusetts) 2010, ISBN 978-0-674-05032-7.
* Stephen Greenblatt: ''The Swerve: How the World Became Modern''. Norton, 2011, ISBN 978-0-393-06447-6; deutsch: ''Die Wende. Wie die Renaissance begann.'' Siedler, München 2012, ISBN 978-3-88680-848-9.
* David Norbrook u. a. (Hrsg.): ''Lucretius and the Early Modern.'' Oxford University Press, Oxford 2016, ISBN 978-0-19-871384-5
 
'''Konkordanz'''
* Manfred Wacht: ''Concordantia in Lucretium'' (= ''Alpha – Omega. Reihe A'' 122). Olms-Weidmann, Hildesheim u. a. 1991, ISBN 3-487-09404-5.
 
'''Bibliographien'''
* Alexander Dalzell: ''A Bibliography of Work on Lucretius, 1945–1972''. In: ''The Classical World.'' Bd. 66, 1972/1973, S. 389–427 und ''The Classical World.'' Bd. 67, 1973/1974, S. 65–112.
* Cosmo Alexander Gordon: ''A Bibliography of Lucretius'' (= ''The Soho Bibliographies'' 12). Hart-Davis, London 1962 (nur Ausgaben und Übersetzungen)
* Petrus H. Schrijvers: ''Lucretius (Bibliographie)''. In: ''Lampadion.'' Bd. 7, 1966–1968, S. 5–32.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Wikiquote}}
{{Wiktionary|Literaturgattung}}
{{Commonscat|Lucretius}}
* [http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/db/wiss/epoche/jaeger_gattungsproblem.pdf Georg Jäger: Das Gattungsproblem in der Ästhetik und Poetik von 1780 bis 1850] (PDF-Datei; 383 kB)
{{Wikisource|Scriptor:Titus Lucretius Carus|Lukrez|lang=la}}
{{Wikisource}}
 
'''Textausgaben'''
* [http://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lsante01/Lucretius/luc_intr.html Werk] bei Bibliotheca Augustana (Originaltext)
* [http://www.perseus.tufts.edu/hopper/collection?collection=Perseus%3Acorpus%3Aperseus%2Cauthor%2CLucretius Werk] bei Perseus Project (lateinisch und englisch)
* [http://www.textlog.de/lukrez-natur-dinge.html Werk] bei Textlog.de (deutsche Übersetzung von Hermann Diels)
* [http://www.zeno.org/Philosophie/M/Lukrez Werk] bei Zeno.org (deutsche Übersetzung)
* [http://onlinebooks.library.upenn.edu/webbin/gutbook/lookup?num=785 Werk] bei Project Gutenberg (englische Übersetzung von William Ellery Leonard)
 
'''Literatur'''
* Annick Monet: [http://bsa.biblio.univ-lille3.fr/lucretius.htm ''Lucretius. Une bibliographie introductive au livre 3 du'' De rerum natura]
* Reinhold F. Glei: [http://www.ruhr-uni-bochum.de/klass-phil/Projekte/anti_lucretius.htm''Über Gott und die Welt. Kardinal Melchior de Polignacs lateinisches Lehrgedicht'' Anti-Lucretius]
* Lukrez: [http://lucretius.de/''De rerum natura. Das dritte Buch über die Sterblichkeit der Seele'']
* [http://www.ruhr-uni-bochum.de/klass-phil/Projekte/anti_lucretius.htm Reinhold F. Glei: ''Über Gott und die Welt. Kardinal Melchior de Polignacs lateinisches Lehrgedicht Anti-Lucretius'' auf www.ruhr-uni-bochum.de; abgerufen am 15. September 2015]
 
'''Essay'''
* Georg Diez: [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-85586218.html ''Die Methode Lukrez.''] in: Der Spiegel 19/2012, S. 108ff, mit Bezug zu: [[Stephen Greenblatt]]: ''Die Wende. Wie die Renaissance begann.'' München 2012


== Anmerkungen ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


{{Normdaten|TYP=p|GND=118575236|LCCN=n/79/33010|VIAF=100197598}}
{{Normdaten|TYP=s|GND=4074285-4}}


[[Kategorie:Philosoph
[[Kategorie:Literatur]]
[[Kategorie:Römische Philosophie]]
[[Kategorie:Literarische Gattung|!]]
[[Kategorie:Autor]]
[[Kategorie:Römer]]
[[Kategorie:Geboren im 1. Jahrhundert v. Chr.]]
[[Kategorie:Gestorben im 1. Jahrhundert v. Chr.]]
[[Kategorie:Mann]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 12. Juni 2018, 10:51 Uhr

Der Begriff der Gattung ordnet literarische Werke in inhaltlich oder formal bestimmte Gruppen. Das heutige Gattungssystem mit seiner klassischen Dreiteilung geht auf die Poetik des Aristoteles zurück, die auch Johann Wolfgang von Goethe aufnahm. Die Literatur lässt sich demnach in die von Goethe auch „Naturformen“ genannten Großgattungen Epik, Lyrik und Dramatik gliedern. Neuere Modelle nennen neben diesen drei Gattungen oft die Sachliteratur bzw. Sachtexte als vierte Gruppe. Innerhalb des Dramas wiederum werden oft Komödie und Tragödie als grundsätzliche Gattungen betrachtet.

Auch Werkgruppen, die im Laufe der Literaturgeschichte Traditionen mit jeweils typischen Merkmalen bildeten, werden oft als Gattungen bezeichnet, etwa der Schelmenroman, der Witz, das bürgerliche Trauerspiel oder die Märchen­novelle. Teilweise wird auch die Verwendung von Prosa oder Vers als Grundmerkmal eines Gattungssystems gesehen. Sachtexte treten in diesem System als „Gebrauchsprosa“ auf.

Da der Gattungsbegriff auf verschiedenen Ebenen verwendet wird und daher ungenau ist und keine Differenzierung für viele literarische Traditionen der Neuzeit bietet, wird auch oft von Genus oder Genos, Genre, Textart und Textsorte gesprochen. Die Gattungsbestimmung eines Textes geschieht in der Weise, dass typische formale Aspekte eines Überlieferungsstücks mit anderen verglichen werden (Gattungsfrage). Ergeben sich Übereinstimmungen, so darf angenommen werden, dass die verglichenen Stücke der gleichen Gattung angehören.[1]

Geschichte

Gattungskonzepte und Optionen der Poesie sowie Literaturkritik

Der wichtigste Ort von Aussagen über die Gattungen waren bis weit in das 18. Jahrhundert hinein die impliziten Poetiken – Werke, die dem eigenen Vorgeben nach über die Regeln in der Poesie unterrichteten. Kunden dieser Werke sollten (so zahlreiche Vorreden) die Autoren poetischer Werke sein. Sie sollten hier Anleitungen erhalten, wie sie in den Gattungen zu arbeiten hätten. Von geringerem Belang war dagegen die Benennung von Gattungen auf den Titelblättern von Romanen und Dramen. Die Kunden poetischer Werke erhielten die weit genaueren Informationen darüber, was sie erwarben, in den Kurzabrissen der Handlungen auf den Titelblättern, in Aussagen zum Lesegenuss, den der Text erlaube, in Auskünften über den Stil, in dem der Autor schrieb. Titelblätter waren ausführlich in all diesen Punkten, die weit mehr sagten als ein Gattungsbegriff hätte sagen können.

Zwischen Poetiken und den poetischen Werken tat sich durchgängig eine Kluft auf: Poetiken notierten zwar, wie Tragödien und Komödien abzufassen seien – auf dem Markt bestand dagegen ein weitgehend ungeregeltes Spiel der Genres, das der Autor erlernte, indem er die laufende Produktion verfolgte. Poetiken und ihre Aussagen zu Gattungen erschienen demgegenüber unter Gesichtspunkten der Gelehrsamkeit. Ihre Aufgabe wurde effektiv die Kritik der laufenden, sich an die Vorgaben kaum haltenden Produktion.

Der Kritik eröffneten sich mit den Gattungen und den zu ihr bestehenden Informationen flexible Optionen, mittels derer sie auf aktuelle Werke eingehen konnte: Stücke konnten

  • die Regeln der Gattungen einhalten und deswegen gut sein,
  • schlecht sein, obwohl sie die Regeln einhielten,
  • schlecht sein, weil sie (derart sklavisch) Regeln befolgten, statt poetisches Talent zu beweisen, sie konnten endlich nicht minder
  • gut sein, weil sie die Regeln verletzten, und einem poetischen Genie folgten.

Die Kritik selbst konnte sich spalten zwischen Parteigängern, die eine Modifikation des Gattungskanons einklagten und Kritikern, die eine Rückkehr zu einem klassischen Gattungssystem verlangten.

Während im 17. und 18. Jahrhundert Poetiken die Vorstellung verteidigten, dass die einzelnen Gattungen prinzipiell nach Regeln zu verstehen seien, setzte sich in der Literaturwissenschaft des 19. Jahrhunderts eine Historisierung des Gattungskanons und eine kulturelle Differenzierung durch: die Theorie, dass das Gattungsgefüge vielfältige kulturelle und historische Ausprägungen fand. Der Literaturkritik des 19. Jahrhunderts eröffnete diese Relativierung Freiräume: Werke konnten nun den Konventionen einer Zeit oder Kultur folgen – oder diese verletzen, das ließ sich von nun an mit Fortschrittsgedanken und Reflexionen der Literaturgeschichte verbinden. Werke konnten „antiquiert“ oder „epigonal“ alten Gattungskonventionen verpflichtet sein, sie konnten „Klassizität“ erlangen, indem sie Traditionen wiederbelebten, sie konnten in den Augen der Kritik ausländischen und fremden Vorbildern folgen oder unterliegen, sowie mit alten Vorgaben im Rahmen neuer „Bewegungen“ und „Strömungen“ brechen. Die Literaturkritik stellte im selben Moment zur Diskussion, wie sich das besprochene Werk in die Literaturgeschichte einordnete – innerhalb des Austauschs, der nun die Literatur schuf.

Das Gefüge der Gattungen im Wandel

Das Spektrum der gegenwärtig von der Literaturwissenschaft verhandelten literarischen Gattungen bildete sich weitgehend im 19. Jahrhundert heraus. Vorangegangen war dem heutigen Spektrum der literarischen Gattungen das der poetischen Gattungen, das mit dem späten 17. Jahrhundert in eine intensive Diskussion geriet. In Frankreich beherrschte die von Nicolas Boileau herausgegebene Poetik die gelehrte Diskussion, im deutschen Sprachraum gewann in den 1730er Jahren Johann Christoph Gottscheds Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen (Leipzig 1730) eine größere Bedeutung mit der Forderung einer Rückkehr zum Schema der Gattungen nach Aristoteles.

Die Rufe, zum aristotelischen Gattungsspektrum zurückzukehren, standen von Anfang an im Zeichen einer scharfen Auseinandersetzung mit dem aktuellen Marktgeschehen. Angriffe zog hier vor allem die Oper auf sich, die unter Autoren des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts als das hohe Drama der Moderne im Raum stand. Der Debattenschub der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bewegte die Oper erfolgreich aus der Poesiediskussion – sie gehört seitdem eher zur Musikgeschichte. Ein zweiter Diskussionsschub setzte Mitte des 18. Jahrhunderts ein und führte zum Bruch mit der aristotelischen Poetik: Mit dem bürgerlichen Trauerspiel wurde die Position der antiken Tragödie im Gattungsschema relativiert: Das moderne Trauerspiel konnte anders als das der Antike durchaus auch in Prosa, der Sprache der bislang „niederen“ Stilebene, verfasst sein. Gleichzeitig war mit dem neuen Trauerspiel das Gesetz der Fallhöhe des tragischen Helden aufgehoben: Der Held oder die Heldin einer Tragödie konnte nun auch bürgerlichen Standes sein.

Die Neudefinition auf dem Gebiet der Dramatik hatte Mitte des 18. Jahrhunderts Einfluss auf das Gebiet der Epik. Bislang lag hier ein Vakuum: Das Epos der Antike kannte ein hohes und ein satirisches Genus – in der Moderne hatten sich heroische Epen fast nur noch in der Panegyrik antreffen lassen. Anfang des 18. Jahrhunderts hatte man vorübergehend diskutiert, ob nicht der Roman das Epos der Moderne war – die Veröffentlichung von François Fénelons Telemach (1699/1700) legte den Gedanken nahe: Fénelons Roman konkurrierte mit den Epen Vergils und Homers und überbot diese nach allgemeiner Sicht im Stilbewusstsein, wie in der Beachtung der Gattungsregeln; dem Telemach fehlte allein die Abfassung in Versen. Der Roman blieb am Ende weiterhin außerhalb des Spektrums poetischer Gattungen, da Fénelons Werk deutlich eine Ausnahme blieb. Diese Situation änderte sich in dem Moment, in dem das bürgerliche Trauerspiel Mitte des 18. Jahrhunderts als vollwertige Tragödie anerkannt wurde. Die Werke Gotthold Ephraim Lessings zeigten sich dem Roman Samuel Richardsons verpflichtet. Wenn Sarah Sampson eine Tragödie war, dann waren die Romane der Gegenwart die korrespondierende epische Produktion. Der Roman verließ darauf hin das Feld der dubiosen Historien und wechselte in das Feld der poetischen Gattungen, das in den nächsten Jahrzehnten eine neue Benennung erhielt: aus ihm wurde das Feld der literarischen Gattungen.

Das 19. Jahrhundert brachte die klassische Neuaufteilung des Feldes in dramatische, epische und lyrische Gattungen. („Poetry“ wurde im Englischen und anderen umliegenden Sprachen der Dachbegriff für alle kleineren Gattungen in gebundener Sprache.) Das Feld des Dramatischen erweiterte sich mit der Farce und dem Melodram um populäre Gattungen, das Feld der epischen Gattungen erweiterte sich mit der Novelle, der Erzählung und der Kurzgeschichte um ungebundene Kleingattungen.

Der Diskurs über die Gattungen, bislang Domäne der Poetiken wurde Aufgabenfeld der Literaturgeschichtsschreibung. Diese gestand den Kulturen und den Epochen eigene Gattungsspektren zu. Das Sprechen von Gattungen verlor im selben Moment an Kontur, da von nun an beliebige Varianten von Gattungen definierbar waren. Literaturwissenschaftliche Arbeiten bündelten nach Belieben Werke und schufen dabei Gattungen wie den Artusroman, die Spielmannsdichtung oder das absurde Theater. Ein weiterer Diskurs über Genres und Moden erlaubte die eingehenderen Blicke auf den sich entwickelnden Markt und die flexible Auseinandersetzung mit dem Marktgeschehen.

Aktuelle Interessen an einer Definition der Gattungen

Ein neues Interesse an der alten Gattungsdebatte kam im 20. Jahrhundert mit dem russischen Formalismus und den von ihm ausgehenden Diversifikationen des Strukturalismus auf. Die Frage war und ist hier, ob nicht ungeachtet der Flexibilität, die sich im Sprechen über Gattungen hergestellt hatte, wissenschaftlich bestimmbare Kategorien bestanden. Prägend war hier unter anderem Jacques Derrida, der darauf hinwies, dass das Merkmal literarischer Texte gerade auch die Transgression der von einer normativen Gattungslehre vorgegebenen Grenzen sei, die darin münde, dass Texte wohl an Gattungen „teilhaben“, ihnen jedoch nicht „angehören“.[2] Wellek und Warren hatten literarische Gattungen zuvor als „institutionelle Imperative“ beschrieben, die zwar Zwang auf den Dichter ausübten, jedoch auch selbst von ihm geformt würden.[3]

Die hier einsetzende Debatte erwies sich in Brückenschlägen in die Linguistik und die linguistische Texttheorie fruchtbar. Moderne Richtungen der Computerphilologie unterstellen heute, dass die automatische Spracherkennung eines Tages in die Lage kommen könnte, literarische Sprechweisen zu erkennen. Eine allenfalls neue Gliederung der textlichen Produktion in Textsorten oder, konventioneller ausgedrückt, in Gattungen würde dann mit statistischen Verfahren wie PCA automatisch passieren. Die resultierenden Gattungen könnten vom Menschen benannt und verwendet werden. Eine Gattung wäre dann vielmehr eine Dimension, und ein Text könnte zugleich zu verschiedenen Gattungen gehören. Ähnliche Bemühungen gibt es bereits in der Musik, wo Musikstücke dann von einer Gattung oder Stilistik (vgl. Stil in der Musik) in eine andere transformiert werden können. Aus einem Jazzstück wird eine klassische Oper, aus einem Popsong eine Symphonie.

Ein etwas anders gelagertes Interesse an den Gattungen besteht demgegenüber in den historischer ausgerichteten Zweigen der Literaturwissenschaft wie der Buchgeschichte und den Forschungsfeldern des New Historicism: Hier interessieren vor allem Produktionsbedingungen, Rezeptionshaltungen des Publikums, Modalitäten im Austausch zwischen der Kritik und dem sich entwickelnden Buchmarkt und Bühnenbetrieb. Die Gattungen und Genres interessieren dabei als Konzepte, über die Ware ins Angebot kam und kommt, mittels deren Erwartungshaltungen angesprochen werden und Konfrontationen zwischen Autoren, Kritikern und Lesern stattfinden.

Einteilung der literarischen Gattungen von Joachim Stiller

Hier einmal die Einteilung der literarischen Gattungen von Joachim Stiller

Epik Dramatik Lyrik
Epos Drama Versepos
Roman
------------- ------------- -------------
Erzählung Tragödie Ballade
Novelle Gedicht
Short-Story Sonett
------------- ------------- -------------
Kurzgeschicthe Komödie Tanka
Vierzeiler
Haiku
------------- ------------- -------------
Aphorismus Lustspiel Zweizeiler
Weisheit Satire Vers
Sinnpruch Farce

Siehe auch

Literatur

  • Otto Knörrich: Lexikon lyrischer Formen. Kröner Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-47902-8.
  • Rüdiger Zymner: Gattungstheorie. Mentis Verlag, Paderborn 2003, ISBN 3-89785-377-9.
  • Dieter Lamping (Hrsg.): Handbuch der literarischen Gattungen. Kröner Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 3-520-84101-0.
  • Udo Kindermann, „Gattungensysteme im Mittelalter“, in: Kontinuität und Transformation der Antike im Mittelalter, hrsg. von Willi Erzgräber, Sigmaringen 1989, S. 303–313.
  • Joachim Stiller: Methodenlehre - Listenmethode PDF

Weblinks

 Wiktionary: Literaturgattung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Lehnardt, Andreas Qaddish. Untersuchungen zur Entstehung und Rezeption eines rabbinischen Gebetes, Mohr Siebeck GmbH & Co. KG, Tübingen, 2002, S. 64
  2. Jacques Derrida: La loi du genre. In: Glyph 7, 1980, S. 176–201.
  3. René Wellek, Austin Warren: Theorie der Literatur. Übers. Edgar und Marlene Lohner. Ullstein, Berlin 1963, S. 202.


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Literarische Gattung aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.