Chinesische Sprachen

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Die chinesischen oder sinitischen Sprachen bilden einen der beiden Primärzweige der sinotibetischen Sprachfamilie, der andere Primärzweig sind die tibetobirmanischen Sprachen. Chinesische Sprachen werden heute von ca. 1,3 Milliarden Menschen gesprochen, von denen die meisten in der Volksrepublik China und der Republik China (Taiwan) leben. In vielen Ländern, vor allem in Südostasien, gibt es größere chinesischsprachige Minderheiten. Die chinesische Sprache mit der größten Anzahl an Sprechern ist das Hochchinesische, das auch als „Mandarin“ oder einfach als „chinesische Sprache“ oder „das Chinesische“ bzw. „Chinesisch“ bezeichnet wird.

Die räumliche Verteilung der verschiedenen sinitischen Sprachen in China und Taiwan

Mehrere chinesische Sprachen, eine chinesische Schrift

In der Regel bezeichnet der Begriff „chinesische Sprache“ die Standardsprache Hochchinesisch (chin. 普通話 / 普通话, Pǔtōnghuà in China, 國語 / 国语, Guóyǔ in Taiwan), die auf der größten sinitischen Sprache, dem Mandarin (官話 / 官话, Guānhuà), basiert und im Wesentlichen dem Mandarin-Dialekt von Peking (北京話 / 北京话, Běijīnghuà) entspricht. Daneben gibt es neun weitere chinesische Sprachen, die ihrerseits in viele Einzeldialekte zerfallen. Diese Sprachen werden gemäß der traditionellen chinesischen Terminologie als Dialekte (方言, fāngyán) bezeichnet, obwohl der Grad ihrer Abweichungen untereinander nach westlichem Maßstab eine Klassifikation als Sprache rechtfertigen würde.

Selbst innerhalb einer großen sinitischen Sprache ist die Verständigung von Sprechern unterschiedlicher Dialekte nicht immer möglich, insbesondere der nordöstliche Dialekt (東北話 / 东北话, Dōngběihuà, 東北方言 / 东北方言, Dōngběi Fāngyán) und die südlichen Dialekte (南方話 / 南方话, Nánfānghuà, 南方方言 / 南方方言, Nánfāng Fāngyán) von Mandarin sind untereinander nicht verständlich. Für die Verständigung über Sprachgrenzen hinaus wird in China überwiegend das von den meisten Chinesen gesprochene Hochchinesisch angewendet; regional begrenzter dienen auch andere Sprache wie das Kantonesische als Verständigungsmittel.

Die chinesische Schrift fungiert auch in eingeschränktem Maß als dialektübergreifendes Verständigungsmittel, da etymologisch verwandte Morpheme trotz unterschiedlicher Aussprache im Allgemeinen in allen Dialekten mit dem gleichen chinesischen Schriftzeichen geschrieben werden. Das folgende Beispiel möge dies illustrieren. Im Altchinesischen war das gewöhnliche Wort für „essen“ *Ljɨk, das mit dem Zeichen geschrieben wurde. Die heutige Aussprache für das Wort „essen“ shí (Hochchinesisch), sɪk˨˨ (Yue, kantonesischer Dialekt), st˥ (Hakka, Meixian-Dialekt), sit˦ (Südliches Min, Xiamen-Dialekt) stammen alle davon ab und werden daher ebenfalls geschrieben.

Somit dient die logographische chinesische Schrift – jedes Zeichen steht im Prinzip für ein Wort – als einigendes Band, das die Sprecher der sehr unterschiedlichen chinesischen Sprachvarianten zu einer großen kulturellen Gemeinschaft mit einer Jahrtausende alten schriftlichen Tradition verbindet. Bei einer Alphabetschrift oder einer anderen Lautschrift wäre diese einigende Funktion nicht vorhanden.

Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die chinesischen Dialekte nur phonologisch unterscheiden. So wird für „essen“ im Hochchinesischen gewöhnlich nicht shí, sondern chī benutzt, das nicht von *Ljɨk stammt und daher mit einem eigenen Zeichen, , chī, geschrieben wird. Die Dialekte des Chinesischen verfügen, sofern sie geschrieben werden, für viele Wörter über eigene Zeichen, wie das Kantonesische , mǎo, mou˩˧, „nicht haben“. Daher, aber auch aufgrund grammatikalischer Abweichungen, sind auch geschriebene Texte dialektübergreifend nur eingeschränkt verständlich.

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts übte aber die Verwendung des klassischen Chinesisch, dessen schriftliche Form dialektunabhängig war und in ganz China und auch Japan, Korea und Vietnam verwendet wurde, auf der Ebene der Schriftsprache eine einigende Funktion aus.

Siehe auch

Literatur

Allgemeines

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  • S. Robert Ramsey: The Languages of China. 2. Auflage. Princeton University Press, Princeton 1987. ISBN 0-691-06694-9, ISBN 0-691-01468-X.
  • Graham Thurgood und Randy J. LaPolla: The Sino-Tibetan Languages. Routledge, London 2003. (zum Chinesischen: Seite 57-166)

Sprachgeschichte und historische Sprachen

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  • И. С. Гуревич. И. Т. Зограф: Хрестоматия по истории китайского языка III-XV вв. (Chrestomatie für die Geschichte der chinesischen Sprache vom 3. bis 15. Jahrhundert), Moskau 1984
  • Robert H. Gassmann, Wolfgang Behr: Antikchinesisch – Ein Lehrbuch in zwei Teilen. (= Schweizer Asiatische Studien 19). 3. durchgesehene und korrigierte Auflage, Peter Lang, Bern 2011, ISBN 978-3-0343-0637-9.
  • Alain Peyraube: Recent issues in chinese historical syntax. In: C.-T. James Huang und Y.-H. Audrey Li: New Horizons in Chinese Linguistics, 161-214. Kluwer, Dordrecht 1996
  • Edwin G. Pulleyblank: Outline of a Classical Chinese Grammar (Vancouver, University of British Columbia Press 1995); ISBN 0-7748-0505-6, ISBN 0-7748-0541-2.
  • Wang Li (王力): 漢語史稿 (Skizze der Geschichte des Chinesischen). Peking 1957.
  • Dan Xu: Typological change in Chinese syntax. Oxford University Press, Oxford 2007, ISBN 0-19-929756-8.
  • Yang Bojun (杨伯峻) und He Leshi (何乐士): 古汉语语法及其发展 (Die Grammatik und Entwicklung des antiken Chinesisch). Yuwen Chubanshe, Peking 2001

Moderne Sprachen

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  • Huang Borong (黄伯荣) (Hrsg.): 汉语方言语法类编 (Kompendium der Grammatik der chinesischen Dialekte). Qingdao Chubanshe, Qingdao 1996, ISBN 7-5436-1449-9.
  • Mataro J. Hashimoto: The Hakka Dialect. A linguistic study of Its Phonology, Syntax and Lexicon. University Press, Cambridge 1973, ISBN 0-521-20037-7.
  • Nicholas Bodman: Spoken Amoy Hokkien. 2 Bände, Charles Grenier, Kuala Lumpur 1955–1958 (behandelt das südliche Min)
  • Ping Chen: Modern Chinese. History and Sociolinguistics. Cambridge University Press, Cambridge 1999
  • Stephen Matthews und Virginia Yip: Cantonese. A Comprehensive Grammar. Routledge, London/New York 1994
  • Yinji Wu: A synchronic and diachronic study of the grammar of the Chinese Xiang dialects. Mouton de Gruyter, Berlin 2005
  • Yuan Jiahua (袁家骅): 汉语方言概要 (Abriss der chinesischen Dialekte). Wenzi gaige chubanshe, Peking 1960
  • Anne O. Yue-Hashimoto: Comparative Chinese Dialectal Grammar – Handbook for Investigators (Collection des Cahiers de Linguistique d'Asie Orientale, Band 1). Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, Paris 1993, ISBN 978-2-910216-00-9.
  • Yuen Ren Chao: A grammar of spoken Chinese. University of California Press, Berkeley 1968 (behandelt den Mandarin-Dialekt von Peking)

Lexika

  • Instituts Ricci (Hrsg.): Le Grand Dictionnaire Ricci de la langue chinoise. Desclée de Brouwer, Paris 2001, ISBN 2-220-04667-2.
  • Robert Henry Mathews: Mathews’ Chinese-English dictionary. China Inland Mission, Shanghai 1931; Nachdrucke: Harvard University Press, Cambridge 1943 etc.
  • Werner Rüdenberg, Hans Otto Heinrich Stange: Chinesisch-deutsches Wörterbuch. Cram, de Gruyter & Co., Hamburg 1963.
  • Li Rong (李荣): 现代汉语方言大词典 (Großes Wörterbuch der modernen chinesischen Dialekte.). Jiangsu jiaoyu chubanshe, Nanjing 2002, ISBN 7-5343-5080-8.

Weblinks

 Wiktionary: Chinesisch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wiktionary: Kategorie:Chinesisch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wikibooks: Chinesisch – Lern- und Lehrmaterialien
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