Starke Wechselwirkung und Kernphysik: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Gluon_coupling.svg|mini|400px|[[Feynman-Diagramm|Feynman-Diagramme]] zu den fundamentalen Kopplungsmöglichkeiten der starken Wechselwirkung, von links nach rechts: Abstrahlung eines Gluons, Aufspaltung eines Gluons und „Selbstkopplung“ der Gluonen.]]
Die '''Kernphysik''' (früher auch ''Atomwissenschaft'') ist der Teilbereich der [[Physik]], der sich mit dem Aufbau und dem Verhalten von [[Atomkern]]en beschäftigt. Während die [[Atomphysik]] sich mit der Physik der [[Atomhülle]] befasst, ist Gegenstand der Kernphysik die Aufklärung der Kern''struktur'', also der Einzelheiten des Aufbaus der Atomkerne. Hierzu werden beispielsweise spontane Umwandlungen der Kerne ([[Radioaktivität]]), [[Streuung (Physik)|Streuvorgänge]] an Kernen und [[Kernreaktion|Reaktionen]] mit Kernen untersucht.


Die '''starke Wechselwirkung''' (auch '''starke Kraft''', '''Gluonenkraft''', '''Farbkraft''', aus historischen Gründen '''Kernkraft''' oder '''starke Kernkraft''' genannt) ist eine der vier [[Fundamentale Wechselwirkung|Grundkräfte der Physik]]. Mit ihr wird die [[Gebundener Zustand|Bindung]] zwischen den [[Quark (Physik)|Quarks]] in den [[Hadron]]en erklärt. Ihre [[Austauschteilchen]] sind die [[Gluon]]en.
Die [[Hochenergiephysik]] und [[Elementarteilchenphysik]] haben sich aus der Kernphysik heraus gebildet und wurden daher früher mit zu ihr gezählt; die eigentliche Kernphysik wurde dann zur Unterscheidung manchmal als ''Niederenergie''-Kernphysik bezeichnet. Auch die [[Reaktorphysik]] ist aus der Kernphysik heraus entstanden.


Vor der Einführung des Quark-Modells wurde als starke Wechselwirkung die Anziehungskraft zwischen den [[Nukleon]]en ([[Proton]]en und [[Neutron]]en) des [[Atomkern]]s bezeichnet. Auch heute noch ist mit der starken Wechselwirkung oft nur diese ''Restwechselwirkung'' gemeint.
Die auf der [[Kernspaltung]] beruhenden Technologien (siehe [[Kerntechnik]]) zur Nutzung von [[Kernenergie]] und für Waffenzwecke haben sich aus bestimmten Forschungsergebnissen der Kernphysik entwickelt. Es ist aber irreführend, dieses technisch-wirtschaftlich-politische Gebiet als „die Kernphysik“ zu bezeichnen.


== Bindung zwischen Quarks ==
== Beschreibung ==
[[Datei:Neutron QCD Animation.gif|miniatur|150px|Wechselwirkung innerhalb eines Neutrons (Beispiel). Die Gluonen sind dargestellt als Punkte mit der [[Farbladung]] im Zentrum und der Antifarbe am Rand.]]
Kernphysik wird sowohl theoretisch als auch experimentell betrieben. Ihr wichtigstes theoretisches Hilfsmittel ist die [[Quantenmechanik]]. Experimentelle Werkzeuge sind z. B. [[Teilchendetektor]]en und [[Strahlungsdetektor]]en, [[Teilchenbeschleuniger]] und auch die [[Vakuumtechnik]].


Nach der [[Quantenchromodynamik]] (im Folgenden: QCD) wird die starke Wechselwirkung – wie die [[Elektromagnetische Wechselwirkung|elektromagnetische]] und die [[schwache Wechselwirkung]] – durch den Austausch von [[Eichboson]]en beschrieben. Die Austauschteilchen der starken Wechselwirkung werden als [[Gluon]]en bezeichnet, von denen es acht Sorten (unterschiedliche [[Farbladung]]s<nowiki />zustände) gibt. Die Gluonen übertragen eine Farbladung zwischen den Quarks. Ein Gluon kann dabei mit anderen Gluonen interagieren und Farbladungen austauschen.
Die Aufgabe der „reinen“ Kernphysik im Sinne von Grundlagenforschung ist die Aufklärung und Erklärung der Kern''struktur'', also der Einzelheiten des Aufbaus der Atomkerne.  


[[Datei:Strong Interaction Potential.svg|miniatur|Potential zwischen zwei Quarks in Abhängigkeit ihres Abstands. Zusätzlich sind die mittleren Radien verschiedener Quark-Antiquark-Zustände gekennzeichnet.]]
Aus der Untersuchung der Radioaktivität und von Reaktionen mit Kernen haben sich viele ''Anwendungen'' entwickelt, beispielsweise
Die Anziehungskraft zwischen Quarks bleibt auch bei steigender Entfernung konstant, anders als z.&nbsp;B. bei der [[Coulombsches Gesetz|Coulombkraft]], bei der es mit steigendem Abstand immer leichter wird, zwei sich anziehende Teilchen zu trennen. Sie ist damit grob vergleichbar mit einem Gummiseil oder einer [[Zugfeder]]. Wird der Abstand zu groß, „reißt“ das Seil in dieser Analogie und es wird ein [[Meson]] gebildet durch Erzeugung eines Quark-Antiquark-Paares aus dem Vakuum. Bei kleinem Abstand können die Quarks wie [[Freies Teilchen|freie Teilchen]] betrachtet werden ([[asymptotische Freiheit]]). Mit größerem Abstand bewirkt die zunehmende Wechselwirkungsenergie, dass die Quarks den Charakter selbstständiger Teilchen verlieren, weswegen sie nicht als freie Teilchen beobachtet werden können ([[Confinement]]).
* Energiegewinnung aus Kernreaktionen mittels [[Kernreaktor]]en und [[Kernfusionsreaktor]]en,
* medizinische Diagnose- und Therapieverfahren (etwa [[Szintigraphie]], [[Brachytherapie]]), zusammengefasst [[Nuklearmedizin]] genannt,
* chemische Anwendungen in der [[Radiochemie]] bzw. [[Kernchemie]],  
* Verfahren zur vorbeugenden Schadenserkennung in Rohrleitungen mittels [[Gammastrahlung]],
* Herstellung von Materialoberflächen mit besonderen Eigenschaften mittels [[Ionenimplantation]],
* Hilfsmethoden für andere Forschungsgebiete wie etwa die [[Radiokarbonmethode|Radiokohlenstoffdatierung]] in der Archäologie oder die [[Kosmochemie]].  
 
[[Datei:Nucleus drawing.svg|mini|Man stellt sich Kerne als eine – im einfachsten Fall kugelförmige – Ansammlung von Protonen und Neutronen vor.]]
Typische Größenordnungen im Bereich der Atomkerne und Kernprozesse sind
* Längen: 1&nbsp;[[Meter#Gebräuchliche dezimale Vielfache|Fermi]] = 1&nbsp;fm = 10<sup>−15</sup> m
* Energie: 100&nbsp;[[Elektronenvolt|keV]] bis 100&nbsp;[[Elektronenvolt|MeV]]


== Bindung zwischen Nukleonen ==
Die Bausteine der Kerne sind die [[Nukleon]]en: [[Neutron]]en und [[Proton]]en. Die Anzahl ''Z'' der Protonen in einem Kern ist gleich der Anzahl der [[Elektron]]en im neutralen Atom. ''Z'' bestimmt die [[Chemie|chemischen Eigenschaften]] der Atome und heißt deshalb [[Ordnungszahl]] (oder bezogen auf den Atomkern auch Kernladungszahl). Die Masse des Atomkerns wird durch die Anzahl ''A'' aller Nukleonen bestimmt und wird deshalb auch [[Massenzahl]] genannt. Wie man sehen kann, ist die Neutronenzahl ''N''&nbsp;=&nbsp;''A''&nbsp;-&nbsp;''Z''. Atomarten mit gleicher Ordnungszahl, aber unterschiedlicher Neutronenzahl werden [[Isotop]]e des jeweiligen Elements genannt. Die physikalischen Eigenschaften des Kerns hängen sowohl von der Ordnungszahl als auch von der Neutronenzahl ab, die chemischen Eigenschaften (fast) nur von der Ordnungszahl.
Obwohl Nukleonen immer die Farbladung null haben, gibt es zwischen ihnen eine ''Restwechselwirkung'' oder ''Kernkraft'' (entfernt vergleichbar den [[Van-der-Waals-Kräfte]]n, die man als elektromagnetische Restwechselwirkungen zwischen elektrisch neutralen [[Atom]]en und/oder [[Molekül]]en ansehen kann).


Die Reichweite der Anziehung durch die Restwechselwirkung liegt bei etwa 2,5&nbsp;[[Femtometer]]n (fm). Bei diesem Wert des Abstands <math>r</math> ist sie vergleichbar stark wie die elektrische Abstoßung ([[Coulombsches Gesetz|Coulombkraft]]) zwischen den Protonen und bei kürzeren Abständen ist sie stärker als die Coulombkraft. Oberhalb dieses Abstandes dagegen nimmt die Anziehung schneller ab als die Coulombkraft, die proportional zu <math>1/r^2</math> sinkt. Dieses Zusammenspiel der beiden Grundkräfte erklärt den Zusammenhalt und die Größenordnung der Atomkerne, aber z.&nbsp;B. auch die [[Kernspaltung|Spaltung schwerer Kerne]].
Bei der Beschreibung von Kernreaktionen und Streuvorgängen ist der Begriff des [[Wirkungsquerschnitt]]s von Bedeutung. Der Wirkungsquerschnitt für einen bestimmten Vorgang ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Vorgang im Einzelfall eintritt.


Auf sehr kurze Abstände wirkt die Kernkraft abstoßend, entsprechend einem harten Kern (Hard Core) von 0,4 bis 0,5 fm. Außerdem ist sie Spin-abhängig: sie ist stärker bei parallelen Spins als bei antiparallelen, so dass das [[Deuteron]] (bestehend aus einem Neutron und einem Proton) nur für parallele Spins (Gesamtspin 1) gebunden ist, und [[Diproton]] und [[Dineutron]] (mit antiparallelen Spins aufgrund des [[Pauli-Prinzip]]s) nicht gebunden sind. Neben dem Zentralpotential-Anteil und dem Spin-Spin-Wechselwirkungsanteil hat sie auch einen Tensoranteil und einen Spin-Bahn-Anteil.
== Geschichte ==
[[Antoine Henri Becquerel]], [[Pierre Curie]] und [[Marie Curie]] erhielten für ihre Versuche zur Radioaktivität, die man als den historischen Beginn der modernen Kernforschung bezeichnen könnte, 1903 den [[Nobelpreis für Physik]].  


Vor der Einführung des Quark-Modells wurden die Restwechselwirkung und ihre geringe Reichweite mit einer [[Effektive Theorie|effektiven Theorie]] erklärt: durch den [[Pion #Das Pion-Austauschmodell|Austausch von Pionen zwischen den Nukleonen]] ([[Yukawa-Potential]]) und die Masse der Pionen. Außerdem wurde in den Nukleon-Nukleon-Potential-Modellen der Austausch weiterer Mesonen berücksichtigt (wie dem [[Rho-Meson]]). Da Berechnungen der Kernkraft mit der QCD bisher nicht möglich sind, benutzt man zum Beispiel in der Beschreibung der Nukleon-Nukleon-Streuung verschiedene phänomenologisch angepasste Potentiale, die auf Mesonenaustauschmodellen basieren (wie das Bonn-Potential).
Radioaktivität ist meist mit der Umwandlung eines [[Chemisches Element|chemischen Elements]] in ein anderes verbunden. Dies wurde von [[Ernest Rutherford]] entdeckt, wofür er 1908 den [[Nobelpreis für Chemie]] erhielt.


=== Erklärung der Restwechselwirkung ===
Der [[Rutherford-Streuung|Rutherfordsche Streuversuch]], bei dem [[Alpha-Teilchen]] an Goldfolie gestreut werden,
[[Datei:Pn scatter pi0.svg|miniatur|300px|[[Feynman-Diagramm]] einer starken [[Proton]]-[[Neutron]]-Wechselwirkung vermittelt durch ein neutrales [[Pion]]. Die Zeit-Achse verläuft von links nach rechts.]]
von [[Hans Geiger (Physiker)|Geiger]], [[Ernest Marsden|Marsden]] und Rutherford im Jahr 1909 markiert einen Wendepunkt in der Vorstellung vom Aufbau der Atome. Rutherfords Interpretation der Ergebnisse führte zur Vorstellung des [[Atomkern]]s. Im Kern ist fast die gesamte Masse des Atoms vereinigt, jedoch nimmt er nur einen sehr kleinen Volumenanteil des Atoms ein.


[[Datei:Pn Scatter Quarks.svg|miniatur|300px|Dasselbe Diagramm mit den einzelnen Konstituenten-[[Quark (Physik)|Quarks]] gezeigt, um darzustellen, wie die ''fundamentale'' starke Wechselwirkung eine „Kernkraft“ erzeugt. Gerade Linien sind Quarks, vielfarbige Schleifen [[Gluonen]] (Träger der [[Grundkräfte der Physik|Grundkraft]]). Andere Gluonen, welche Proton, Neutron und Pion (im „Flug“) zusammenhalten, sind nicht dargestellt.]]
1917 gelang Rutherford durch Beschuss von [[Stickstoff]] mit [[Alphastrahlung]] die erste künstliche Elementumwandlung: es entstand [[Sauerstoff]]. Es handelte sich um die [[Kernreaktion]] <sup>14</sup>N(α,p)<sup>17</sup>O.<ref>Ernest Rutherford: ''Collision of α particles with light atoms. IV. An anomalous effect in nitrogen'', [[Philosophical Magazine]] 37, 1919, S. 581–587. ([http://web.lemoyne.edu/~giunta/rutherford.html Veröffentlichungstext])</ref>


[[Datei:Nuclear Force anim smaller.gif|miniatur|350px|Eine Animation der Wechselwirkung, die zwei kleinen farbigen Punkte sind Gluonen. Anti-Farben können [[:Datei:Quark Anticolours.png|diesem Diagramm]] entnommen werden. ([//upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/de/Nuclear_Force_anim.gif größere Version])]]
Das Verständnis der [[Bindungsenergie]] der Atomkerne, zuerst halbempirisch 1935 in der [[Bethe-Weizsäcker-Formel]] ausgedrückt, bedeutete einen entscheidenden Fortschritt. Grundlage für die Formel war das [[Tröpfchenmodell]] des Atomkerns (Bohr 1936). Mit Hilfe der Bethe-Weizsäcker-Formel konnte gezeigt werden, dass sowohl bei bestimmten [[Kernfusion]]en als auch bei bestimmten [[Kernspaltung]]en Energie freigesetzt wird. Das Tröpfchenmodell vermag z.&nbsp;B. die Kernspaltung gut zu erklären.


Zwischen Atomen ist das abstoßende [[Potential (Physik)|Potential]] bei kleinen Abständen eine Folge des [[Pauli-Prinzip]]s für die [[Elektron]]en<nowiki />zustände. Bei Annäherung zweier Nukleonen mit sechs Quarks hat jedes Quark aber erheblich mehr Freiheitsgrade im niedrigsten Zustand (Bahndrehimpuls l=0): neben [[Spin]] (2&nbsp;Zustände) noch eine Farbladung (3&nbsp;Zustände) und [[Isospin]] (2&nbsp;Zustände), zusammen also 12, auf die sich die sechs Quarks nach dem Pauli-Prinzip verteilen können.<ref>Die Gesamtwellenfunktion ist antisymmetrisch und damit muss, da der Farbanteil immer antisymmetrisch ist (Gesamtfarbladung Null) bei symmetrischer Raum-Wellenfunktion (Bahndrehimpuls 0) der Spin-Isospin-Anteil auch symmetrisch sein</ref> Das Pauli-Prinzip ist hier nicht unmittelbar für die Abstoßung verantwortlich, die sich unterhalb etwa 0,8 fm bemerkbar macht. Der Grund liegt vielmehr in der starken Spin-Spin-Wechselwirkung der Quarks, die sich augenfällig darin ausdrückt, dass die [[Delta-Resonanz]] (mit parallelen Spins der drei Quarks) eine um etwa ein Drittel höhere Masse als das Proton hat. Stehen also die Spins der Quarks parallel zueinander, so nimmt die [[potentielle Energie]] des Systems zu. Dies gilt auch bei sich überlappenden Nukleonen, und zwar umso stärker, je geringer der Abstand der Nukleonen voneinander ist. Versuchen die Quarks durch Umkehrung des Spins ihre ''chromomagnetische'' Energie zu minimieren, gelingt dies nur durch Übergang in einen energetisch höheren Bahndrehimpulszustand (l=1).<ref>Diskussion nach Povh, Rith, Schulze, Zetsche ''Teilchen und Kerne'', S. 250f, dort nach Amand Fäßler</ref>
Eine [[Quantenmechanik|quantenmechanische]] Beschreibung des Kernaufbaus, die insbesondere die mit Ordnungs- und Massenzahl systematisch wechselnde Stabilität der Kerne erklären kann, wurde erst später mit dem [[Schalenmodell (Kernphysik)|Schalenmodell]] (Wigner, Goeppert-Mayer und Jensen 1949) gefunden. Eine wichtige wissenschaftliche Zeitschrift auf diesem Gebiet ist [[Nuclear Physics]].  


Mit noch größerem Abstand voneinander gelangen die Nukleonen in den anziehenden Teil der starken Wechselwirkung. Hierbei spielt weniger der Quark-Quark-Austausch (zwei Quarks sind gleichzeitig beiden beteiligten Nukleonen zugeordnet), den man in Analogie zur [[Kovalente Bindung|kovalenten Bindung]] erwartet, eine Rolle, als vielmehr der von farbneutralen Quark-Antiquark-Paaren (Mesonen) aus dem ''[[Seequark]]''-Anteil der Nukleonwellenfunktion in der QCD.  
=== Kernspaltung ===
[[Otto Hahn]] und sein Assistent [[Fritz Straßmann]] entdeckten im Dezember 1938, dass durch Bestrahlung mit Neutronen [[Uran]]kerne gespalten werden (induzierte [[Kernspaltung]]). Später wurde nachgewiesen, dass bei diesem Prozess ein großer Energiebetrag sowie weitere Neutronen freigesetzt werden, so dass eine Spaltungs-[[Kettenreaktion (Kernphysik)|Kettenreaktion]] und damit die Freisetzung technisch nutzbarer Energiemengen in kurzer Zeit, also bei hoher [[Leistung (Physik)|Leistung]], möglich ist. Darauf begannen, etwa gleichzeitig mit dem [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]], Forschungsarbeiten zur Nutzung dieser Energie für zivile oder militärische Zwecke. In Deutschland arbeiteten unter anderem [[Carl Friedrich von Weizsäcker]] und [[Werner Heisenberg]] an der Entwicklung eines [[Kernreaktor]]s; die Möglichkeit einer [[Kernwaffe]] wurde gesehen, aber nicht ernsthaft verfolgt, weil die voraussehbare Entwicklungsdauer für den herrschenden Krieg zu lang erschien. In [[Los Alamos (New Mexico)|Los Alamos]] forschten im [[Manhattan-Projekt]] unter der Leitung von [[Robert Oppenheimer]] die Physiker [[Enrico Fermi]], [[Hans Bethe]], [[Richard Feynman]], [[Edward Teller]], [[Felix Bloch (Physiker)|Felix Bloch]] und andere. Obwohl dieses Projekt von Anfang an der Waffenentwicklung diente, führten seine Erkenntnisse auch zum Bau der ersten zur Energiegewinnung genutzten Kernreaktoren.


Eine vollständige Beschreibung der Kernkraft aus der Quantenchromodynamik ist jedoch bisher nicht möglich.
=== Öffentliche Diskussion ===
Kaum ein Gebiet der Physik hat durch seine Ambivalenz der friedlichen als auch zerstörerischen Nutzung die öffentliche Diskussion mehr angeheizt: für Fortschrittskritiker war die Kernphysik die Büchse der [[Pandora]], für Fortschrittsgläubige eine der nützlichsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. Die Kernspaltungstechnik war der Auslöser einer neuen Wissenschaftsethik ([[Hans Jonas]], [[Carl Friedrich von Weizsäcker]]). Die politische Auseinandersetzung um den vernünftigen und verantwortbaren Umgang mit der Kernenergie findet bis heute in der Auseinandersetzung um den [[Atomausstieg]] Deutschlands statt.


== Die starke Wechselwirkung im Gefüge einer möglicherweise einmal gefundenen [[Weltformel]] ==
== Bedeutende Kernphysiker ==
{{Tabelle der Grundkräfte}}
* [[Aage Niels Bohr]] (1922–2009), dänischer Physiker; Nobelpreis für Physik 1975 (Theorie der kollektiven Bewegung der Atomkerne), Sohn von Niels Bohr
* [[Harriet Brooks]] (1876–1933), kanadische Atomphysikerin, [[Radioaktivität]], [[Radioaktiver Rückstoß]]
* [[James Chadwick]] (1891–1974), englischer Physiker; Nobelpreis für Physik 1935 (Entdeckung des [[Neutron]]s), Entwicklung der Atombombe, [[Manhattan-Projekt]]
* [[John Douglas Cockcroft]] (1897–1967), englischer Kernphysiker; Nobelpreis für Physik 1951 (Atomkernumwandlung durch beschleunigte Teilchen), [[Kernreaktion]]en, [[Cockcroft-Walton-Beschleuniger]]
* [[Klaus Fuchs]] (1911–1988), deutsch-britischer Kernphysiker; [[Manhattan-Projekt]], [[Atomspionage|Atomspion]]
* [[Otto Hahn]] (1879–1968), deutscher Chemiker; Pionier der [[Radiochemie]], u.&nbsp;a. Entdecker der [[Kernisomerie]] (Uran Z) und der [[Kernspaltung]] des Urans (Nobelpreis für Chemie 1944). Er gilt als „Vater der Kernchemie“
* [[Igor Kurtschatow]] (1903–1960), russischer Kernphysiker
* [[Heinz Maier-Leibnitz]] (1911–2000) Physiker und Präsident der [[Deutsche Forschungsgemeinschaft|Deutschen Forschungsgemeinschaft]].
* [[Lise Meitner]] (1878–1968), österreichische Physikerin; (erste physikalisch-theoretische Deutung der Kernspaltung, zusammen mit ihrem Neffen [[Otto Robert Frisch]]) 
* [[Ernest Walton]] (1903–1995), irischer Experimentalphysiker, Nobelpreis für Physik 1951, Hochspannungskaskade [[Cockcroft-Walton-Beschleuniger]], erste künstlich eingeleitete [[Kernreaktion]]
* [[Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker]] (1912–2007), deutscher Kernphysiker, Philosoph und Friedensforscher, [[Bethe-Weizsäcker-Zyklus]], [[Bethe-Weizsäcker-Formel]], Patente zur Atombombe, [[Göttinger Achtzehn]]


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Starke Wechselwirkung}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Kernphysik}}
 
* {{WikipediaDE|Kernphysik}}
== Literatur ==
* {{WikipediaDE|Subatomares Teilchen}}
* Manfred Böhm, Ansgar Denner, Hans Joos: ''Gauge theories of the strong and electroweak interaction'', Teubner-Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 978-3-519-23045-8 (deutsches Original: Becher-Böhm-Joos, ''Eichtheorien der starken und elektroschwachen Wechselwirkung'') – ein Standardwerk für die Theorie
* Bogdan Povh, Klaus Rith, Christoph Scholz, Frank Zetsche ''Teilchen und Kerne'', 8. Auflage, Springer Verlag 2009
* Wolfgang Wild ''Kernkräfte und Kernstruktur'', Teil 1,2, Physikalische Blätter 1977, S. 298, 356, [http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/phbl.19770330703/abstract Teil 1], [http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/phbl.19770330804/abstract Teil 2]


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* Marc Gänsler: [http://www.drillingsraum.de/4_grundkraefte_physik/4_grundkraefte_physik.html ''Die starke Wechselwirkung''.] In: ''Einführung: Die 4 Grundkräfte der Physik'', abgerufen 30. Januar 2009.
{{Wiktionary|Kernphysik}}
* [http://www.physicsmasterclasses.org/exercises/kworkquark/de/kennenlernen/artikel.teilchen-und-kraefte-3/9/1/index.html ''Gluonen und die starke Kraft''.] DESYs Kwork Quark, ''»Teilchenphysik für alle«''
* [http://cdsweb.cern.ch/ Dokumentenserver zur Kernphysik mit 360 000 Volltextdokumenten und 800 000 Einträgen]
* [http://www.nndc.bnl.gov/index.jsp National Nuclear Data Center (engl.)] umfangreiche Homepage des Brookhaven National Laboratory zu verschiedensten Aspekten der Kernphysik (inklusive "Nuclear Wallet Cards")
* [http://www.leifiphysik.de/kern-teilchenphysik Versuche und Aufgaben zur Kernphysik] auf Schülerniveau (LEIFI)
* [http://atom.kaeri.re.kr/ton/index.html Nuklidkarte mit Zerfallsarten, Massen, Bindungsenergien und anderen charakteristischen Werte für alle bekannten Nuklide]


==Einzelnachweise==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


[[Kategorie:Artikel mit Animation]]
{{Normdaten|TYP=s|GND=4030340-8}}
[[Kategorie:Quantenfeldtheorie]]
 
[[Kategorie:Quantenphysik]]
[[Kategorie:Physik nach Fachgebiet]]
[[Kategorie:Kernphysik]]
[[Kategorie:Physikalisches Fachgebiet]]
[[Kategorie:Physik]]
[[Kategorie:Kernphysik|!]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 1. Januar 2019, 04:32 Uhr

Die Kernphysik (früher auch Atomwissenschaft) ist der Teilbereich der Physik, der sich mit dem Aufbau und dem Verhalten von Atomkernen beschäftigt. Während die Atomphysik sich mit der Physik der Atomhülle befasst, ist Gegenstand der Kernphysik die Aufklärung der Kernstruktur, also der Einzelheiten des Aufbaus der Atomkerne. Hierzu werden beispielsweise spontane Umwandlungen der Kerne (Radioaktivität), Streuvorgänge an Kernen und Reaktionen mit Kernen untersucht.

Die Hochenergiephysik und Elementarteilchenphysik haben sich aus der Kernphysik heraus gebildet und wurden daher früher mit zu ihr gezählt; die eigentliche Kernphysik wurde dann zur Unterscheidung manchmal als Niederenergie-Kernphysik bezeichnet. Auch die Reaktorphysik ist aus der Kernphysik heraus entstanden.

Die auf der Kernspaltung beruhenden Technologien (siehe Kerntechnik) zur Nutzung von Kernenergie und für Waffenzwecke haben sich aus bestimmten Forschungsergebnissen der Kernphysik entwickelt. Es ist aber irreführend, dieses technisch-wirtschaftlich-politische Gebiet als „die Kernphysik“ zu bezeichnen.

Beschreibung

Kernphysik wird sowohl theoretisch als auch experimentell betrieben. Ihr wichtigstes theoretisches Hilfsmittel ist die Quantenmechanik. Experimentelle Werkzeuge sind z. B. Teilchendetektoren und Strahlungsdetektoren, Teilchenbeschleuniger und auch die Vakuumtechnik.

Die Aufgabe der „reinen“ Kernphysik im Sinne von Grundlagenforschung ist die Aufklärung und Erklärung der Kernstruktur, also der Einzelheiten des Aufbaus der Atomkerne.

Aus der Untersuchung der Radioaktivität und von Reaktionen mit Kernen haben sich viele Anwendungen entwickelt, beispielsweise

Man stellt sich Kerne als eine – im einfachsten Fall kugelförmige – Ansammlung von Protonen und Neutronen vor.

Typische Größenordnungen im Bereich der Atomkerne und Kernprozesse sind

  • Längen: 1 Fermi = 1 fm = 10−15 m
  • Energie: 100 keV bis 100 MeV

Die Bausteine der Kerne sind die Nukleonen: Neutronen und Protonen. Die Anzahl Z der Protonen in einem Kern ist gleich der Anzahl der Elektronen im neutralen Atom. Z bestimmt die chemischen Eigenschaften der Atome und heißt deshalb Ordnungszahl (oder bezogen auf den Atomkern auch Kernladungszahl). Die Masse des Atomkerns wird durch die Anzahl A aller Nukleonen bestimmt und wird deshalb auch Massenzahl genannt. Wie man sehen kann, ist die Neutronenzahl N = A - Z. Atomarten mit gleicher Ordnungszahl, aber unterschiedlicher Neutronenzahl werden Isotope des jeweiligen Elements genannt. Die physikalischen Eigenschaften des Kerns hängen sowohl von der Ordnungszahl als auch von der Neutronenzahl ab, die chemischen Eigenschaften (fast) nur von der Ordnungszahl.

Bei der Beschreibung von Kernreaktionen und Streuvorgängen ist der Begriff des Wirkungsquerschnitts von Bedeutung. Der Wirkungsquerschnitt für einen bestimmten Vorgang ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Vorgang im Einzelfall eintritt.

Geschichte

Antoine Henri Becquerel, Pierre Curie und Marie Curie erhielten für ihre Versuche zur Radioaktivität, die man als den historischen Beginn der modernen Kernforschung bezeichnen könnte, 1903 den Nobelpreis für Physik.

Radioaktivität ist meist mit der Umwandlung eines chemischen Elements in ein anderes verbunden. Dies wurde von Ernest Rutherford entdeckt, wofür er 1908 den Nobelpreis für Chemie erhielt.

Der Rutherfordsche Streuversuch, bei dem Alpha-Teilchen an Goldfolie gestreut werden, von Geiger, Marsden und Rutherford im Jahr 1909 markiert einen Wendepunkt in der Vorstellung vom Aufbau der Atome. Rutherfords Interpretation der Ergebnisse führte zur Vorstellung des Atomkerns. Im Kern ist fast die gesamte Masse des Atoms vereinigt, jedoch nimmt er nur einen sehr kleinen Volumenanteil des Atoms ein.

1917 gelang Rutherford durch Beschuss von Stickstoff mit Alphastrahlung die erste künstliche Elementumwandlung: es entstand Sauerstoff. Es handelte sich um die Kernreaktion 14N(α,p)17O.[1]

Das Verständnis der Bindungsenergie der Atomkerne, zuerst halbempirisch 1935 in der Bethe-Weizsäcker-Formel ausgedrückt, bedeutete einen entscheidenden Fortschritt. Grundlage für die Formel war das Tröpfchenmodell des Atomkerns (Bohr 1936). Mit Hilfe der Bethe-Weizsäcker-Formel konnte gezeigt werden, dass sowohl bei bestimmten Kernfusionen als auch bei bestimmten Kernspaltungen Energie freigesetzt wird. Das Tröpfchenmodell vermag z. B. die Kernspaltung gut zu erklären.

Eine quantenmechanische Beschreibung des Kernaufbaus, die insbesondere die mit Ordnungs- und Massenzahl systematisch wechselnde Stabilität der Kerne erklären kann, wurde erst später mit dem Schalenmodell (Wigner, Goeppert-Mayer und Jensen 1949) gefunden. Eine wichtige wissenschaftliche Zeitschrift auf diesem Gebiet ist Nuclear Physics.

Kernspaltung

Otto Hahn und sein Assistent Fritz Straßmann entdeckten im Dezember 1938, dass durch Bestrahlung mit Neutronen Urankerne gespalten werden (induzierte Kernspaltung). Später wurde nachgewiesen, dass bei diesem Prozess ein großer Energiebetrag sowie weitere Neutronen freigesetzt werden, so dass eine Spaltungs-Kettenreaktion und damit die Freisetzung technisch nutzbarer Energiemengen in kurzer Zeit, also bei hoher Leistung, möglich ist. Darauf begannen, etwa gleichzeitig mit dem Zweiten Weltkrieg, Forschungsarbeiten zur Nutzung dieser Energie für zivile oder militärische Zwecke. In Deutschland arbeiteten unter anderem Carl Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg an der Entwicklung eines Kernreaktors; die Möglichkeit einer Kernwaffe wurde gesehen, aber nicht ernsthaft verfolgt, weil die voraussehbare Entwicklungsdauer für den herrschenden Krieg zu lang erschien. In Los Alamos forschten im Manhattan-Projekt unter der Leitung von Robert Oppenheimer die Physiker Enrico Fermi, Hans Bethe, Richard Feynman, Edward Teller, Felix Bloch und andere. Obwohl dieses Projekt von Anfang an der Waffenentwicklung diente, führten seine Erkenntnisse auch zum Bau der ersten zur Energiegewinnung genutzten Kernreaktoren.

Öffentliche Diskussion

Kaum ein Gebiet der Physik hat durch seine Ambivalenz der friedlichen als auch zerstörerischen Nutzung die öffentliche Diskussion mehr angeheizt: für Fortschrittskritiker war die Kernphysik die Büchse der Pandora, für Fortschrittsgläubige eine der nützlichsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts. Die Kernspaltungstechnik war der Auslöser einer neuen Wissenschaftsethik (Hans Jonas, Carl Friedrich von Weizsäcker). Die politische Auseinandersetzung um den vernünftigen und verantwortbaren Umgang mit der Kernenergie findet bis heute in der Auseinandersetzung um den Atomausstieg Deutschlands statt.

Bedeutende Kernphysiker

Siehe auch

Weblinks

 Wiktionary: Kernphysik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Ernest Rutherford: Collision of α particles with light atoms. IV. An anomalous effect in nitrogen, Philosophical Magazine 37, 1919, S. 581–587. (Veröffentlichungstext)


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