Dichter

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Goethe diktiert in seinem Arbeitszimmer dem Schreiber John. Ölgemälde von Johann Joseph Schmeller, 1834
Carl Spitzweg: Der arme Poet (1839)
Zwei britische Volksdichter, Evan Jenkins und David Jones, diskutieren ihre Reime in der Werkstatt eines Schuhmachers

Dichter ist eine spezifisch deutsche Wortbildung für einen Verfasser von Dichtung im Sinne von sprachlicher und schriftstellerischer Kunst.

„Und ein wahrer Dichter zum Beispiel ist eigentlich nur derjenige, der für dieses Innerliche der Sprache ein feines Gefühl hat, ein feineres Gefühl als die anderen. Wer wirklich das Imaginative der Sprache miterlebt, der ist eigentlich erst ein Dichter, wie im Grunde genommen ein Künstler nicht derjenige ist, der malen oder bildhauern kann, sondern derjenige, der in Farben oder in Formen leben kann.“ (Lit.:GA 190, S. 84)

Der Dichter, der die gesamte Schaffensbreite von Lyrik über Kurzgeschichten und Erzählungen bis hin zum Schauspiel bzw. Theater beherrscht und damit Einfluss auf die Sprache und die Gesellschaft nimmt, wie es etwa in der klassischen Literatur um 1800 ausgeprägt war, ist eine Idealvorstellung, in der Wirklichkeit aber seltene Ausnahmeerscheinung.

„Nun ist etwas Eigentümliches beim gewöhnlichen Leben des Menschen vorhanden. Das Vollbewußtsein im vollen Wachen beim denkenden Erkennen, das kennen wir ja alle. Da sind wir sozusagen in der Helligkeit des Bewußtseins, darüber wissen wir Bescheid. Manchmal fangen dann die Menschen an, wenn sie über die Welt etwas nachdenken, zu sagen: Wir haben Intuitionen. Unbestimmt Gefühltes bringen die Menschen dann aus diesen Intuitionen heraus vor. Was sie da sagen, kann manchmal etwas sehr Verworrenes sein, aber es kann auch unbewußt geregelt sein. Und schließlich, wenn der Dichter von seinen Intuitionen spricht, so ist das durchaus richtig, daß er sie zunächst nicht herausholt aus dem Herd, wo sie ihm am nächsten liegen, aus den inspirierten Vorstellungen des Gefühlslebens, sondern er holt hervor seine ganz unbewußten Intuitionen aus der Region des schlafenden Wollens.

Wer in diese Dinge hineinsieht, der sieht selbst in scheinbaren Zufälligkeiten des Lebens tiefe Gesetzmäßigkeiten. Man liest zum Beispiel den zweiten Teil von Goethes «Faust», und man möchte sich ganz gründlich davon unterrichten, wie gerade diese merkwürdigen Verse in ihrem Bau hervorgebracht werden konnten. Goethe war schon alt, als er den zweiten Teil seines «Faust» schrieb, wenigstens den größten Teil davon. Er schrieb ihn so, daß John, sein Sekretär, am Schreibtische saß und das schrieb, was Goethe diktierte. Hätte Goethe selber schreiben müssen, so hätte er wahrscheinlich nicht so merkwürdig ziselierte Verse für den zweiten Teil seines «Faust» hervorgebracht. Goethe ging, während er diktierte, in seiner kleinen Weimarer Stube fortwährend auf und ab, und dieses Auf- und Abgehen gehört mit zur Konzeption des zweiten Teiles des «Faust». Indem Goethe dieses unbewußte wollende Tun im Gehen entwickelte, drängte aus seinen Intuitionen etwas herauf, und in seiner äußeren Tätigkeit offenbarte sich dann dasjenige, was er durch einen anderen auf das Papier schreiben ließ.“ (Lit.:GA 293, S. 102f)

„Denn in der Sprache fließt durch die menschliche Organisation zusammen das Gedankliche und dasjenige, was nicht bloß wie das Gedankliche aus dem Kopfe herauskommt, sondern was aus dem ganzen Menschen kommt: das Willensmäßige. Aber je mehr in irgendeinem Inhalte lebt das bloß Gedankliche, desto unkünstlerischer ist dieser Inhalt. Der Gedanke ertötet das Künstlerische. Und nur so viel, als durch die Sprache vom Willenselemente, das aus dem Ganzen, aus dem Vollmenschen herauskommt, übergehen kann, so viel ist wirklich Künstlerisch-Poetisches in der Sprache zu finden.

Daher muß der Dichter, der wirklich ein Künstler ist, einen fortwährenden Kampf gegen das Prosa-Element der Sprache führen. Das ist ja insbesondere bei zivilisierten Sprachen der Fall, wo die Sprache immer mehr und mehr zum Ausdruck des erkennenden Gedankens auf der einen Seite oder des für die soziale Konvention geeigneten Gedankens auf der anderen Seite ist. Indem die Sprachen gerade in die Zivilisation hineinwachsen, werden sie ein immer unbrauchbareres und unbrauchbareres Element für den Ausdruck jenes Geistigen, das der künstlerische Dichter wirklich suchen muß. Daher muß der Dichter über den Prosa-Inhalt hinausgehend die Sprache durch Rhythmus, Reim, durch Harmonien, durch Takt, durch das Musikalisch- oder Imaginativ- Thematische gewissermaßen wiederum zurückführen zu demjenigen Elemente, in dem der Mensch tonlich oder lautlich sich zum Offenbarer eines Geistigen macht und dadurch dieses Tonliche oder Lautliche wirklich in das Geistig-Künstlerische heraufheben kann.“ (Lit.:GA 77b, S. 144f)

„Nun muß aber, damit die Dichtung, das Tonliche wirkliche Kunst sei, von dem bloßen Inhalt des zu Hörenden zurückgegangen werden zu der tieferliegenden Behandlung des Tones, des Lautes, des Wortes, der Wortzusammenhänge und so weiter. Man muß zurückgehen zu dem, was Rhythmus, Takt, was Reimbehandlung ist, was das musikalische oder das imaginative Thema ist und so weiter. Aus welchem Grunde muß man von dem wortwörtlichen Inhalt oder von dem musikalischen Gehalt, was ja im Grunde genommen eben nur ein unsichtbares Eurythmisches ist, zu diesem Eurythmischen zurückgehen? Weil alle Kunst, meine sehr verehrten Anwesenden, hinauftragen muß dasjenige, was erlebt werden kann, in das Gebiet des Übersinnlichen, des Geistigen. Und gerade dadurch ist man in der Lage, zum Beispiel das Sprachliche hinaufzutragen in das Geistige, daß man dieses Formelle - das Rhythmische und so weiter - in die Sprachbehandlung hineinträgt.“ (S. 149f)

Der Begriff „Dichter“ fand im 18. und 19. Jahrhundert im Deutschen den Vorzug gegenüber dem des Poeten (von griech. ποιείν poiein „erzeugen, herstellen, komponieren“), der von da an für den belächelten Liebhaber von Versen stand, den „Kauz“, der keine Beachtung des modernen Marktes fand. Ihm gegenüber war der „Dichter“ der Autor hoher Literatur, der in Emphasen des Sturm und Drang, der Romantik und des Nationalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zum Seher, Genie und, im herausragenden Fall, geistigen Führer der Nation stilisiert wurde. Textproduzenten ohne diesen Anspruch waren lediglich „Schriftsteller“, die von ihrem Schreiben im Sinne einer (handwerklichen) Berufsausübung lebten, während der Dichter am Ende anerkannt, von der Würdigung leben würde, die ihm die Nation zukommen ließ. Die Einrichtung von Dichterpreisen bzw. Dichterlesungen der Preußischen, heute Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung entspricht diesem Begriffsverständnis.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts verlor der Begriff „Dichter“ an Rang gegenüber den Bezeichnungen „Autor“ (lat. auctorUrheber, Schöpfer, Förderer, Veranlasser“) und „Schriftsteller“. Dies resultierte aus einer Konzentration des literarischen Feldes auf publikumswirksame Sparten wie beispielsweise Romanliteratur, Kriminalliteratur, Bühnenliteratur und indirekt aus technischen Entwicklungen, die höhere und preiswerte Auflagen von Büchern (später auch die Verbreitung durch Rundfunk, Film und Fernsehen) ermöglichte – Formate, in denen die Persönlichkeit des Verfassers (im Unterschied zu klassischen Formaten des Vortrags und der Autorenlesung) in den Hintergrund trat. Weiter verwendet wurde der Begriff lediglich für Autoren von Gedichten und sprachlich anspruchsvollen Texten, die sich weitgehend außerhalb des (kommerziellen) Marktes bewegen; aber auch in dieser Verwendung ist er heute hauptsächlich bei historischen Autoren anzutreffen (etwa bei Rainer Maria Rilke, weniger schon bei Paul Celan und kaum noch bei Durs Grünbein).

Siehe auch

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Kunst und Anthroposophie, GA 77b (1996), ISBN 3-7274-0772-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Vergangenheits- und Zukunftsimpulse im sozialen Geschehen, GA 190 (1980), ISBN 3-7274-1900-8 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik, GA 293 (1992), ISBN 3-7274-2930-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

 Wiktionary: Dichter – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen


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