Sprechakt und Leben heißt sterben und philosophieren heißt sterben lernen: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Sprechakt''' ist ein Fachausdruck der [[Sprachwissenschaft]]. Er stammt aus der [[Pragmatik]], dem Teilgebiet der Sprachwissenschaft, das sich mit dem sprachlichen Handeln beschäftigt.
Ich möchte einmal einen kurzen Abschnitt aus dem ersten Text des zweiten Hauptstücks des Werkes "Wieviel Wahrheit braucht der Mensch" von Rüdiger Safranski folgen lassen: Dort lesen wir auf den Seiten Seite 93-94 (Der Tod des Sokrates):


Sieht man von einer nicht geläufigen Nebenbedeutung bei [[Karl Bühler]] ab,<ref>Glück, Helmut (Hrsg.): ''Metzler Lexikon Sprache.'' 4.&nbsp;Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2010: ''Sprechakt.''</ref> ist ''Sprechakt'' ursprünglich eine Eindeutschung des englischen Ausdrucks ''speech act'' von [[John Searle]].  
"Sokrates ist verurteilt, den Schierlingsbecher zu trinken. Am Tage seines Todes versammeln sich noch einmal seine Schüler um ihn. Die Ehefrau und das Kind schickt er weg: mit Philosophieren will er auch seine letzten Stunden hinbringen. Der Gefängnisdiener mahnt: das viel Reden erhitze, so werde das Gift in seiner Wirkung gehemmt und er deshalb vielleicht seine Qual vermehren, weil er mehr davon trinken müsse. Sokrates nimmt dies in Kauf, nichts soll ihn in den letzen Augenblicken vom Philosophieren abbringen. Einem anderen Philosophen, der nicht zugegen ist, lässt er einen Gruß ausrichten. Euenos, so heißt dieser Mann, möge aufhören, ihn zu bedauern und, wenn er klug ist, ihm nachfolgen in den Tod. Die Schüler sind erschrocken. Dass eine philosophische Gesinnung helfen kann, getrost zu sterben, davon sind auch sie überzeugt, aber Sokrates radikalisiert seine Position: "Diejenigen, die sich auf rechte Art mit der Philosophie befassen, mögen wohl, ohne dass es freilich die anderen merken, nach gar nichts anderem streben als nur zu sterben und tot zu sein." Vorausgesetzt, es verhält sich so mit dem Philosophieren, dann würde der Philosoph unglaubwürdig, wenn er in der Stunde des Todes, im Ernstfall also, schwach und ängstlich würde, sich an sein Leben klammerte, und nicht gelassen oder sogar frohen Herzens davonginge. Sokrates argumentiert im dem Ethos der Philosophie: recht betrieben, bereite sie nicht nur aufs Sterben vor, sondern sei bereits ein Akt des Sterbens im Leben." (Safranski, S.93-94)


Der Ausdruck ''[[Performativität|Sprechhandlung]]'' wird entweder gleichbedeutend verwendet oder bezeichnet in terminologisch kritischer Distanz vom Ausdruck ''Sprechakt'' spezifisch eine Handlungseinheit, während die Ausdrücke ''Akt'' beziehungsweise ''act'' terminologisch irreführend nur Dimensionen, Aspekte einer sprachlichen Handlung bedeuten.<ref>Vgl. Glück, Helmut (Hrsg.): ''Metzler Lexikon Sprache.'' 4.&nbsp;Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2010: ''Sprechhandlung.''</ref>
Und weiter heißt es:


In einem weiteren Sinn soll der Ausdruck ''Sprechakt'' verwendet werden allgemein für „das Sprechereignis unter bestimmten situativen Bedingungen“<ref>Volmert: ''Sprache und Sprechen: Grundbegriffe und sprachwissenschaftliche Konzepte.'' Iin: Volmert (Hrsg.): ''Grundkurs Sprachwissenschaft.'' 5.&nbsp;Auflage (2005), S.&nbsp;15.</ref> oder als „sprachliche Äußerung als sozialer Handlungsvollzug in gegebenem situativen Kontext“.<ref>Ulrich: ''Linguistische Grundbegriffe.'' 5.&nbsp;Auflage (2002)/Sprechakt.</ref>
"Nicht nur unserem heutigen antimetaphysischen Denken kommt diese Empfindung masochistisch vor. Auch die Schüler des Sokrates protestieren. Deshalb versucht Sokrates ihnen begreiflich zu machen, dass das philosophische "Sterben" nicht eine Verminderung, sondern eine Steigerung der Lebendigkeit bedeutet." (Safranski, S.94-95)


In seiner spezifischen Verwendung ist der Ausdruck ''Sprechakt'' ein Fachausdruck der [[Sprechakttheorie]] und bezeichnet dort
Der Ausspruch: "Philosophieren heißt sterben" geht also bis auf Platon zurück. Es sollte aber klar sein, dass Platon selbst diese Formulierung noch nicht gebraucht hat. Sie stammt erst aus späterer Zeit.  
* im weiteren Sinn eine sprachliche Handlung, bestehend aus „einem Äußerungsakt, einem propositionalen, illokutionären und perlokutionären Akt“,<ref>Meibauer: ''Einführung in die germanistische Linguistik.'' 2.&nbsp;Auflage (2007), S.&nbsp;356.</ref> oder
* in einem engeren Sinn nur den [[Illokutionärer Akt|illokutionären Akt]].


== Sprechakt bei Bühler ==
Ich selber habe bereits in jungen Jahren die beiden folgenden Sätze gesagt:
Nach Bühlers zweitem Axiom seiner Axiomatik der Sprachwissenschaft (etwa 1933) besteht Sprache aus Sprachhandlungen und Sprachgebilden/Erzeugnissen. Weiter gegliedert in seinem Vierfelderschema sieht er 4 Teile: Sprechhandlung, Sprechakt, Sprachgebilde, Sprachwerk. Sprechakt ist also einer der Teile.<ref>„Im Kontext des Bühlerschen Vierfelderschemas (des dritten [sic zweiten!] seiner vier Axiome der Sprachwissenschaft; […])[…] gebrauchter Ausdruck für »subjektsbezogene« Sprachphänomene“ ''[Lexikon Sprache: Sprechakt. Metzler Lexikon Sprache, S. 9188 (vgl. MLSpr, S. 678) (c) J.B. Metzler Verlag]''</ref><ref>Bühler: ''Sprachtheorie.''</ref>


== Siehe auch ==
:'''Leben heißt sterben.'''
* {{WikipediaDE|Sprechakt}}


== Weblinks ==
Und:
{{Wiktionary}}


== Einzelnachweise ==
:'''Leben heißt sterben, und Philosophieren heißt sterben lernen.'''
<references/>


{{Normdaten|TYP=s|GND=4077747-9}}
Beide Sätze gehen auf Platon und Montaigne zurück…


[[Kategorie:Pragmatik]]
(von [[Joachim Stiller]])
[[Kategorie:Sprachphilosophie]]
[[Kategorie:Sprechakttheorie|!]]


{{Wikipedia}}
[[Kategorie:Philosophische Weisheiten]]

Version vom 13. November 2018, 21:30 Uhr

Ich möchte einmal einen kurzen Abschnitt aus dem ersten Text des zweiten Hauptstücks des Werkes "Wieviel Wahrheit braucht der Mensch" von Rüdiger Safranski folgen lassen: Dort lesen wir auf den Seiten Seite 93-94 (Der Tod des Sokrates):

"Sokrates ist verurteilt, den Schierlingsbecher zu trinken. Am Tage seines Todes versammeln sich noch einmal seine Schüler um ihn. Die Ehefrau und das Kind schickt er weg: mit Philosophieren will er auch seine letzten Stunden hinbringen. Der Gefängnisdiener mahnt: das viel Reden erhitze, so werde das Gift in seiner Wirkung gehemmt und er deshalb vielleicht seine Qual vermehren, weil er mehr davon trinken müsse. Sokrates nimmt dies in Kauf, nichts soll ihn in den letzen Augenblicken vom Philosophieren abbringen. Einem anderen Philosophen, der nicht zugegen ist, lässt er einen Gruß ausrichten. Euenos, so heißt dieser Mann, möge aufhören, ihn zu bedauern und, wenn er klug ist, ihm nachfolgen in den Tod. Die Schüler sind erschrocken. Dass eine philosophische Gesinnung helfen kann, getrost zu sterben, davon sind auch sie überzeugt, aber Sokrates radikalisiert seine Position: "Diejenigen, die sich auf rechte Art mit der Philosophie befassen, mögen wohl, ohne dass es freilich die anderen merken, nach gar nichts anderem streben als nur zu sterben und tot zu sein." Vorausgesetzt, es verhält sich so mit dem Philosophieren, dann würde der Philosoph unglaubwürdig, wenn er in der Stunde des Todes, im Ernstfall also, schwach und ängstlich würde, sich an sein Leben klammerte, und nicht gelassen oder sogar frohen Herzens davonginge. Sokrates argumentiert im dem Ethos der Philosophie: recht betrieben, bereite sie nicht nur aufs Sterben vor, sondern sei bereits ein Akt des Sterbens im Leben." (Safranski, S.93-94)

Und weiter heißt es:

"Nicht nur unserem heutigen antimetaphysischen Denken kommt diese Empfindung masochistisch vor. Auch die Schüler des Sokrates protestieren. Deshalb versucht Sokrates ihnen begreiflich zu machen, dass das philosophische "Sterben" nicht eine Verminderung, sondern eine Steigerung der Lebendigkeit bedeutet." (Safranski, S.94-95)

Der Ausspruch: "Philosophieren heißt sterben" geht also bis auf Platon zurück. Es sollte aber klar sein, dass Platon selbst diese Formulierung noch nicht gebraucht hat. Sie stammt erst aus späterer Zeit.

Ich selber habe bereits in jungen Jahren die beiden folgenden Sätze gesagt:

Leben heißt sterben.

Und:

Leben heißt sterben, und Philosophieren heißt sterben lernen.

Beide Sätze gehen auf Platon und Montaigne zurück…

(von Joachim Stiller)