Pablo Neruda

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Pablo Neruda

Pablo Neruda; eigentlich Ricardo Eliécer Neftalí Reyes Basoalto (* 12. Juli 1904 in Parral; † 23. September 1973 in Santiago de Chile), war ein chilenischer Dichter und Schriftsteller, der sich vor allem gegen den Faschismus in seinem Heimatland und in Spanien einsetzte. 1971 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Biografie

Kindheit und Jugend

Neruda war der Sohn des Lokomotivführers José del Carmen Reyes und der Volksschullehrerin Rosa Neftalí Basoalto. Die Mutter starb an Tuberkulose, als Neruda einen Monat alt war. Der Vater siedelte nach Temuco über und das Kind wuchs einsam in der Obhut des Großvaters auf.[1] Im Jahr 1906 holte der Vater seinen Sohn Pablo nach Temuco und heiratete ein zweites Mal: Trinidad Candia Marverde; Neruda bezeichnete sie in seinen Werken als mamadre. Er besuchte bis 1920 die Knabenschule von Temuco. In seiner Freizeit und in den Ferien machte er erste experimentelle Schreibübungen und er durfte regelmäßig mit seinem Vater im Zug mitfahren. Auch in seinen späten Gedichten entdeckt man häufig den Bezug auf Eindrücke seiner Jugend, geprägt von einer weiten ursprünglichen Landschaft.[2][3]

Im Jahr 1919 gewann er den dritten Preis der Blumenspiele von Maule (Juegos Florales de Maule) mit seinem Gedicht Ideelle Gemeinschaft (Comunión ideal).[4] Ab 1920 benutzte er, zunächst für die Literaturzeitschrift Selva Austral, das Pseudonym Pablo Neruda, der Legende nach in Anlehnung an den tschechischen patriotischen Dichter Jan Neruda, dessen sozialkritische Werke er sich, aus lateinamerikanischer Sicht, zum Vorbild für die eigene Arbeit nahm. Neueren Untersuchungen zufolge hatte aber der junge Neftalí Reyes einmal eine Partitur von Pablo de Sarasate gesehen, die der Violinistin Wilma Norman-Neruda gewidmet war. Es waren die Spanischen Tänze für Violine und Klavier in einer Ausgabe der Berliner Edition N. Simrock aus dem Jahr 1879. Das Deckblatt der Partitur vermerkte eine Widmung an „Frau Norman-Neruda“. Neftalí Reyes benutzte fortan den Vornamen des spanischen Komponisten und den Nachnamen der tschechischen Geigerin für sein Pseudonym. Anlass für die Wahl eines Pseudonyms war, der Missbilligung des Vaters über seine Dichtung zu entgehen.[5] Von 1921 bis 1926 studierte er Französisch und Pädagogik am Institut für Pädagogik an der Universidad de Chile in Santiago. Dort erhielt er den ersten Preis beim Frühlingsfest mit dem Gedicht La canción de fiesta. 1923 veröffentlichte er sein erstes selbstfinanziertes Buch.

Erster Aufenthalt in Asien und Europa

„La Casa de las Flores“. Hier wohnte Neruda, als er Konsul in Madrid war. Das Haus wurde bombardiert und schwer beschädigt und nach dem Bürgerkrieg wiederaufgebaut.

1927 trat er in den diplomatischen Dienst und verbrachte seine ersten Jahre als Honorarkonsul in Südostasien, in Rangun, Colombo, Singapur und Batavia (Jakarta). Im August 1933 wurde Neruda zum Honorarkonsul in Buenos Aires ernannt. Dort lernte er den spanischen Dichter Federico García Lorca kennen, der sich in der argentinischen Hauptstadt aufhielt. 1934 bekam er einen Posten als chilenischer Konsul in Spanien, zunächst in Barcelona und später in Madrid. Er freundete sich mit García Lorca an und brachte mit ihm und anderen Redakteuren die Zeitschrift Caballo verde para la poesia („Grünes Pferd für die Dichtung“) heraus. Bis 1936 erschienen fünf Ausgaben. Die sechste Ausgabe, bereits fertig geschrieben und redigiert, sollte am 19. Juli 1936 erscheinen; dazu kam es aber nicht. Am 17. Juli begann der Spanische Bürgerkrieg mit dem Putsch von General Francisco Franco. García Lorca wurde erschossen und Neruda beschloss, sich aktiver gegen die Putschisten zu engagieren, obwohl er als Konsul zur absoluten Neutralität verpflichtet war. Seine Werke wurden zunehmend politisch.

Als Anfang November 1936 die Putschisten vor den Toren Madrids standen, musste Neruda flüchten; er ging zuerst nach Barcelona, dann nach Marseille und später nach Paris. Zu dieser Zeit schrieb er seinen Gedichtzyklus España en el corazón.

Er schloss sich mit einer Gruppe spanischer Politiker, Künstler und Journalisten zusammen, darunter auch Pablo Picasso. Mit Nancy Cunard arbeiteten sie daran, das Unrecht in Spanien in die Öffentlichkeit zu tragen, und brachten einen Lyrikband mit dem Titel Die Dichter der Welt verteidigen das spanische Volk heraus. Mangels Geld setzte und druckte Neruda die Gedichte selbst; allerdings fehlte ihm dazu das Geschick. Er setzte den Buchstaben p meist umgekehrt, so dass in einem Vers das Wort párpados („Augenlider“) zu dardapos wurde. Noch Jahre später soll Nancy Cunard ihn in Briefen mit „Mein lieber Dardapo“ angeredet haben.[6]

Rückkehr nach Chile

1938 kehrte Neruda nach Chile zurück und fand eine Anstellung als Redakteur bei der Zeitschrift Aurora de Chile. Viele seiner Artikel widmete er der verhängnisvollen Entwicklung des weltweiten Faschismus. Er organisierte eine Buchspende an die Nationalbibliothek in Form von über 500 Titeln von deutschen Schriftstellern, darunter Heinrich Heine, Thomas Mann, Arnold Zweig und Anna Seghers, deren Werke zum Teil in Deutschland vom Hitlerregime öffentlich verbrannt worden waren.[7] Das Nationalmuseum lehnte die Spende zunächst ab. Neruda blieb jedoch beharrlich und bat, unangekündigt während eines Staatsbanketts, den Außenminister Chiles, Don Miguel Cruchaga Tocarnal, die Buchspende anzunehmen, was dann auch tatsächlich geschah.

Als 1939 die Volksfront an die Regierung kam, wurde Neruda damit betraut, nach Paris zu reisen und spanische Emigranten, die vor Franco flüchten mussten, für die Einreise nach Chile zu begeistern. Er blieb mehrere Monate in Paris und brachte ca. 2.000 spanische Flüchtlinge mit dem Passagierdampfer Winnipeg nach Chile. Wieder in Chile, wurde er nach einer Reihe von politischen und literarischen Aktivitäten zum Generalkonsul in Mexiko ernannt, wo er den Posten am 20. August 1940 antrat. Nach drei Jahren bat Neruda um seine Entlassung aus dem diplomatischen Dienst; er wollte wieder zurück nach Chile und sich dem Schreiben und der Politik widmen. 1943 kehrte er nach Santiago de Chile zurück.[8]

Er trat im März 1945 als unabhängiger Kandidat für den Senat auf der Liste der Kommunistischen Partei Chiles an; nach seiner Wahl trat er am 8. Juli der Partei bei.

Kritik am Regime und Exil in Europa

Als González Videla nach seiner Wahl zum Präsidenten Chiles im Jahr 1946 seine politische Position aufgrund des beginnenden Kalten Krieges änderte, wurde Neruda zu einem der heftigsten Kritiker des Präsidenten. Als Senator genoss er parlamentarische Immunität – niemand konnte ihn vor Gericht stellen oder verhaften, solange er ein gewählter Volksvertreter war. Neruda nutzte diese Situation und seine Reden gegen González wurden immer angriffslustiger. Am Ende kritisierte er ihn in einer öffentlichen Rede aufs Schärfste: „Sie haben das Volk, durch dessen Stimme Sie Präsident geworden sind, belogen und betrogen. Statt die Armut zu bekämpfen, wie Sie es versprochen haben, festigen Sie nur die Macht der wenigen Reichen, die das Volk aussaugen wie Vampire.“

Pablo Neruda und Erich Honecker, Vorsitzender der FDJ, in Berlin, 1951

González war nicht gewillt, einen zweiten derartigen Auftritt Nerudas zuzulassen; die Mehrheit der Volksvertretung erließ das Gesetz zur permanenten Verteidigung der Demokratie, das mehr als 25.000 Menschen ihre politischen Rechte wegnahm. Sofort wurde ein Haftbefehl gegen Neruda erlassen. Wie in Madrid entkam Neruda in letzter Minute aus der Stadt. Die nächsten eineinhalb Jahre lang wechselte Neruda fast täglich seine Behausung. Obwohl die Polizei stets nach ihm fahndete, fand er immer Unterschlupf – die Bevölkerung, vor allem die einfachen Leute, liebten ihren Dichter, der im Parlament dem Präsidenten so mutig seine Meinung gesagt hatte. Während dieser Zeit schrieb Neruda wesentliche Teile seines bedeutendsten Werkes Canto General („Der große Gesang“) – 15.000 Verse, in denen er Wesen und Geschichte des amerikanischen Kontinents von der Vorzeit bis zur Gegenwart deutete.

In Sorge um Nerudas gesundheitliche Verfassung aufgrund der ständigen Flucht brachte sein Freund Ricardo Fonseca ihn mit Galo González zusammen, dem Parteiführer der inzwischen verbotenen Kommunisten, der ebenfalls im Untergrund lebte. Gonzáles organisierte die Flucht Nerudas über einen unbewachten Grenzabschnitt nach Argentinien. In Buenos Aires traf Neruda auf einen weiteren Freund, den guatemaltekischen Schriftsteller Miguel Ángel Asturias, dessen Pass er für die Auswanderung nach Europa nutzte.

Neruda suchte zum dritten Mal Paris auf, wo er von seinen alten Freunden begeistert aufgenommen wurde. Mit Hilfe von Pablo Picasso gelang es ihm, seine Anwesenheit in Europa zu regeln. In seinen Memoiren Confieso que he vivido erzählt Neruda mit großer Freude über die Anteilnahme Picassos, als er 1949 aus politischen Gründen aus Chile flüchten musste. Er drückt darin seinen Dank für die wertvolle Hilfe aus, die er von Picasso erhielt. Dieser hatte sich 1948 beim Friedenskongress in Breslau (Wrocław), an dem er mit Paul Éluard teilnahm, für den Dichter eingesetzt. Während Nerudas mehrmonatigen Aufenthaltes in Paris erschien sein Buch Toros, das von Jean Marcenac übersetzt und von Picasso illustriert wurde. Am zweiten Weltfriedenskongress in Warschau im November 1950 erhielten beide, Picasso und Neruda, zusammen mit anderen Künstlern den Friedenspreis des Weltfriedenskongresses, Neruda für sein Gedicht Holzfäller wach auf.[9] Darüber hinaus erhielt er Jahre später, 1953 und nach seiner Rückkehr nach Chile, den Stalinpreis für die Konsolidierung des Friedens unter den Völkern.[10] In den folgenden Jahren trat Neruda überall in Europa, aber auch in Indien und China bei Friedenskongressen und politischen Debatten auf. Anfang 1952 ließ die chilenische Regierung Neruda wissen, dass er nach Hause zurückkehren dürfe; und so kehrte er am 12. August 1952 nach Chile zurück.[11]

Erneute Rückkehr nach Chile

Demonstration für Salvador Allende, 1964
Pablo Neruda während einer Tonaufnahme, 1966
Pablo Neruda auf einer DDR-Briefmarke von 1974

1952 wurde Carlos Ibáñez del Campo, der schon in den 1920er Jahren an der Spitze des Staates gestanden und damals ein soziales Reformwerk begründet sowie die Staatsfinanzen saniert hatte, erneut zum Präsidenten gewählt. Neruda veröffentlichte 1953 den Canto General, der bereits 1950 in Mexiko erschienen war. Die nächsten fünf Jahre widmete er sich ausschließlich seinem dichterischen Schaffen, anschließend reiste er wieder um die Welt und nahm an Konferenzen und Debatten teil.

1969 wurde Neruda von der Kommunistischen Partei als Präsidentschaftskandidat nominiert, er verzichtete aber zu Gunsten des vom Wahlbündnis Unidad Popular favorisierten Sozialisten und Freundes Salvador Allende. 1970 gewann Allende die Präsidentschaftswahlen und überredete Neruda, Botschafter in Paris zu werden. Trotz seiner mittlerweile angegriffenen Gesundheit willigte er ein; er musste sich aber schon nach wenigen Monaten einer Operation unterziehen. Während seiner Genesung wurde ihm am 21. Oktober 1971 der Nobelpreis für Literatur „für eine Poesie, die mit der Wirkung einer Naturkraft Schicksal und Träume eines Kontinents lebendig macht“, zuerkannt. Wenige Tage nach der Verleihung des Preises kehrte Neruda nach Chile zurück; sein Gesundheitszustand verschlechterte sich stetig. Eine für den September 1973 geplante Serie von Aufführungen des Oratoriums Canto General von Mikis Theodorakis, beruhend auf Nerudas Text, bei der auch Nerudas Mitwirkung geplant war, musste wegen seiner Erkrankung und der sich überstürzenden politischen Ereignisse ohne ihn stattfinden.

Am 23. September 1973 erlag Neruda, zwölf Tage nach dem Putsch in Chile unter Führung von Augusto Pinochet, angeblich seinem Krebsleiden (siehe Der Streit um die Todesursache). Nach seinem Tod wurde sein Haus vom Militär geplündert und zerstört.

Nerudas Begräbnis[12], das in dieser Form wohl nur wegen der Anwesenheit ausländischer Kamerateams möglich war, wurde zum ersten großen öffentlichen Protest gegen die Militärjunta. Am 25. September 1973 wurden in Santiago de Chile Nerudas sterbliche Überreste zwischen zwei Reihen bewaffneter Soldaten zu Grabe getragen. Ein „Vorrufer“ rief laut in die Menge «¡Camarada Pablo Neruda!», die Menge antwortete mit «¡Presente!», dann wieder «¡Camarada Pablo Neruda!» – «¡Presente!» und schließlich «¡Camarada Pablo Neruda!» – «¡Presente, ahora y siempre!», also „Genosse Pablo Neruda!“ – „Anwesend!“, „Genosse Pablo Neruda!“ – „Anwesend!“, „Genosse Pablo Neruda!“ – „Anwesend, jetzt und immer!“. Das Spiel wiederholte sich mit «¡Camarada Salvador Allende!» und «¡Compañero Víctor Jara!». An seinem Grab wurde die Internationale gesungen. Die Schriftstellerin Isabel Allende beschreibt in ihrem Roman Das Geisterhaus folgerichtig das Begräbnis als „symbolisches Begräbnis der Freiheit“.

Stil

Das frühe lyrische Werk Nerudas ist von der europäischen Avantgarde, insbesondere vom Surrealismus, beeinflusst. Dieser Frühstil ist durch einen außerordentlichen Reichtum an Assoziationen sowie die Außerkraftsetzung der Regeln von Syntax und Zeichensetzung charakterisiert. Das gilt auch für seinen ersten avantgardistischen Roman El habitante y su esperanza, der 1926 erschien.[13] Im Laufe seiner schriftstellerischen Entwicklung nahm er immer mehr Einflüsse auf: Zu seinen stilistischen Vorbildern gehörten Arthur Rimbaud, Majakowski und vor allem Walt Whitman, dessen Porträt in allen seinen Häusern hing. Er betrachtete Whitmans Grashalme als Pionierleistung, die der amerikanischen Dichtung den Weg gewiesen habe. Neruda lehnte das Konzept einer „reinen“ Poesie, wie es z. B. Paul Valéry vertrat, entschieden ab und stellte sich in Whitmans Tradition einer „unreinen“ Poesie (Sobre una poesía sin pureza), die den Weltbezug vor Konstruktion und Musikalität setzt und das ganze Spektrum des Lebens einfangen soll, gleichgültig, ob moralisch, amoralisch oder gar trivial: Alle Objekte haben gleichermaßen ihre Berechtigung. Mit Whitman verbindet Neruda das Gefühl für den geographischen Raum, für die Weite des Kontinents. Nerudas Landschaften sind jedoch anders als Whitmans Räume historisch aufgeladen, sie haben eine Vorgeschichte und müssen quasi archäologisch erschlossen werden. Doch handle es sich nach Fernando Alegría[14] bei der Ähnlichkeit des Stils um eine optische Illusion: Beide würden das erotische Verhältnis zur Natur zwar teilen, Whitmans Mystizismus sei jedoch durch einen Abgrund von Nerudas Materialismus getrennt. Auch die Kategorisierung seines Stils (seit dem Canto General 1950) als sozialistisch-realistisch greift zu kurz, auch wenn sich dieser in Werken wie Las uvas y el viento (1954) manifestiert.[15]

Kontroversen

Der Streit um die Todesursache

Die chilenische Justiz ordnete für den 8. April 2013 die Exhumierung des Leichnams an und gab damit einem Antrag der Kommunistischen Partei Chiles (Partido Comunista de Chile) statt.[16][17] Als offizielle Todesursache war Herzversagen festgestellt worden; es sollten nun aber Gerüchte über eine mögliche Ermordung Nerudas ausgeräumt werden, die seit seinem Tod von verschiedenen Seiten aufgekommen waren. Neruda selbst trug dazu bei, da er vor seinem Tod angegeben hatte, man habe ihm im Krankenhaus, wo er sich aufhielt und schlief, eine Spritze verabreicht. Der Dichter soll an Krebs gelitten haben, als er starb, und deswegen im Krankenhaus behandelt worden sein. Seine Witwe hielt bis zu ihrem Tode jedoch an der Meinung fest, ihr Mann sei nicht an Krebs gestorben, ohne zu behaupten, er sei ermordet worden. Sein Fahrer und Diener Manuel Araya hält an der These der Ermordung Nerudas im Krankenhaus fest. Die Krankenakten Nerudas, die über die Krankengeschichte und den Inhalt der Spritze Aufklärung geben könnten, sind nicht mehr auffindbar.[18] Ein internationales Forensikerteam, das die sterblichen Überreste untersuchte, kam in dem im November 2013 vorgestellten Abschlussbericht zu der Feststellung, dass Neruda nicht vergiftet wurde, sondern tatsächlich an Prostatakrebs gestorben sei.[19] Im Januar 2015 wurde bekanntgegeben, dass es eine neue Untersuchung zur Todesursache geben solle. Francisco Ugas, der Leiter der Menschenrechtsabteilung der chilenischen Regierung sagte, es gäbe einen begründeten Anfangsverdacht, dass der Dichter vergiftet worden sei. Die neue Untersuchung sollte nach anorganischen Substanzen oder Schwermetallen suchen sowie feststellen, ob es Zell- oder Eiweißschädigungen durch chemische Wirkstoffe gegeben habe. Die bisherigen Untersuchungen konzentrierten sich darauf, nach direkt nachweisbaren Giften zu suchen.[20] Im November 2015 gab das chilenische Innenministerium in einer Erklärung bekannt, dass es „offensichtlich möglich und sehr wahrscheinlich“ war, dass Nerudas Tod durch Fremdeinwirkung verschuldet wurde. Damit wurde ein bereits im März des Jahres in der spanischen Zeitung El País veröffentlichtes Dokument des Innenministeriums bestätigt. Das Ministerium wies jedoch warnend darauf hin, dass eine Expertenkommission zu keinem abschließenden Urteil gekommen sei.[21]

Nerudas Leichnam sollte nach zwei Umbettungen und einer Exhumierung am 25. April 2016 in Isla Negra ein viertes Mal beerdigt werden.[22]

Der Streit um das dichterische Werk

In der DDR gab es bereits 1949 eine erste Veröffentlichung von Gedichten (Beleidigtes Land). Wegen der ausdrücklich politischen (kommunistischen) Aspekte in seinem Werk und seiner zeitweise positiven Haltung zu Stalin, dem er nach dessen Tod (1953) eine fast hymnische Ode widmete,[23][24] wurde Neruda, der sich selbst als Dichter des Volkes bezeichnete, in vielen westlichen europäischen Ländern bis in die 1960er Jahre ignoriert. Die Stimmung änderte sich erst im Zuge der großen, weltweiten Sympathie für Chile nach dem Militärputsch 1973. Bis dahin gab es keine vollständige Ausgabe der Gedichte Nerudas in der Bundesrepublik Deutschland.

Sein Leben wurde unter anderem in Antonio Skármetas halbbiografischem Roman Mit brennender Geduld bedacht (der Roman wurde von Michael Radford mit Philippe Noiret als Neruda unter dem Titel Der Postmann verfilmt). Skármetas Roman diente als Vorlage für die 2010 durch Plácido Domingo uraufgeführte Oper Il Postino des mexikanischen Komponisten Daniel Catán.

Werke (Auswahl)

Cover der Autobiografie, 2003


  • 1923 CrepuscularioDämmerung
  • 1924 Veinte poemas de amor y una canción desesperadaZwanzig Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung. (Deutsch von Fritz Vogelgsang), Luchterhand. ISBN 978-3-630-62150-0.
  • 1926 El habitante y su esperanza
  • 1926 mit Thomas Lago: Anillos (Santiago: Editorial Nasciment, 1926)
  • 1933 Residencia en la tierraAufenthalt auf Erden. (Deutsch von Erich Arendt und Stephan Hermlin, mit 18 Farbholzschnitten von HAP Grieshaber, Berlin (Ost), Volk und Welt, 1974)
  • 1937 España en el corazónSpanien im Herzen
  • 1948 Obras poéticasPoetische Arbeiten
  • 1950 Canto generalDer große Gesang. (Deutsch von Erich Arendt, Berlin (Ost), Volk und Welt,1953)
  • 1953 Los versos del capitánDie Verse des Kapitäns
  • 1953 Poesía políticaPolitische Poesie
  • 1954 Las uvas y el vientoDie Trauben und der Wind. (Deutsch von Fritz Arendt, Volk und Welt, Berlin-Ost, 1955)
  • 1960 Poesías: Las piedras de ChilePoesien: Die Steine Chiles
  • 1964 Memorial de Isla NegraMemorial von Isla Negra. (Deutsch von Erich Arendt, Volk und Welt, Berlin-Ost, 1976)
  • 1970 Las piedras del cieloDie Steine des Himmels
  • 1972 Geografía infructuosaUnfruchtbare Geographie. (Deutsch von Hans-Jürgen Schmitt/Ute Steinbicker). Zürich. ISBN 978-3-908126-37-9.
  • 1973 SatrapasDie Satrapen
  • 1973 Confieso que he vividoIch bekenne, ich habe gelebt. (Autobiographie, Deutsch von Curt Meyer-Clason). Neuwied: Luchterhand. ISBN 3-630-62041-8
  • 1974 Libro de las preguntasBuch der Fragen

Siehe auch

Literatur

Deutsch
  • Roberto Ampuero: Der Fall Neruda (Kriminalroman), Bloomsbury, Berlin 2010. ISBN 978-3-8270-0866-4.[25]
  • Maren Gottschalk: Es brennt das Leben. Die Lebensgeschichte des Pablo Neruda. Beltz & Gelberg, Weinheim 2003. ISBN 978-3-407-80914-8.
  • Eberhard Hungerbühler: Pioniere für den Frieden. 1983. ISBN 3-8000-3188-4.
  • David Schidlowsky: Pablo Neruda und Deutschland. Eine kurze Biographie des chilenischen Dichters und seine Beziehung zu Deutschland. Wissenschaftlicher Verlag Berlin, Berlin 2008. ISBN 978-3-86573-391-7.
  • David Schidlowsky: Pablo Neruda: Leben und Tod eines Dichters, wvb Wissenschaftlicher Verlag, Berlin 2014. ISBN 978-3-86573-784-7.
  • David Schidlowsky: Maruca Reyes. Die Frau des chilenischen Dichters Pablo Neruda. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2008. ISBN 978-3-639-01917-9.
  • Jochen Trebesch: Diener zweier Herren. Diplomaten-Autoren des 20. Jahrhunderts: Pablo Neruda 1904–1973. Nora Verlagsgemeinschaft Dyck & Westerheide, Berlin 2005. ISBN 3-86557-043-7.
  • Hans-Jürgen Schmitt: Pablo Neruda. Der universelle Dichter (Werkmonographie), edition text + kritik, München 2009. ISBN 978-3-86916-018-4.
  • Hagar Peeters: Malva, Roman, aus dem Niederländischen von Arne Braun, Göttingen 2018, ISBN 978-3-8353-3341-3.
  • Helmut J. Psotta: Unruhe stiften – über Pablo Neruda, Berlin 2013. ISBN 978-3-87956-376-0.
  • Michael Rössner (Hrsg.): Lateinamerikanische Literaturgeschichte. Stuttgart 2002.
Spanisch
  • Matilde Urrutia: Mi vida junto a Pablo Neruda. Fundación Pablo Neruda 1986 (Deutsch von Ursula Roth: Mein Leben mit Pablo Neruda, Berlin und Weimar 1989, ISBN 3-351-01528-3)
  • Bernardo Reyes: Neruda. Retrato de familia. 1904–1920. San Juan, Puerto Rico 1996. ISBN 0-8477-0222-7.
  • David Schidlowsky: Pablo Neruda y su tiempo. Las furias y las penas. RIL editores, 2 Bände. Santiago de Chile 2008. ISBN 978-956-284-629-5.
  • Volodia Teitelboim: Neruda. Ediciones BAT, Santiago de Chile 1994.
Französisch

Filme über Neruda

  • Ebbo Demant: Neruda. Dokumentarfilm, Deutschland 2003, 120 Minuten.
  • Michael Radford: Il postino (deutsch: Der Postmann). Spielfilm, Italien 1994, 108 Minuten.
  • Pablo Larrain: Neruda. Spielfilm, Chile 2016, 107 Minuten.

Vertonungen

  • Kalevi Aho: Kysymysten kirja (Das Buch der Fragen. Suite für Mezzosopran und Kammerorchester; El libro de las preguntas in Finnischer Übersetzung von Katja Kallio; die Suite bildet Teil 1 des dreiteiligen Konzert[s] für Kammerorchester; sie kann unabhängig vom Konzert für Viola und Orchester bzw. der abschließenden 14. Sinfonie gespielt werden), UA: Rovaniemi, 27. November 2007 (Monica Groop, Mezzosopran; Lapland Chamber Orchestra; Leitung: John Storgårds)
  • Volker Blumenthaler: Poem oder 11. September 1973 (1988) für Sopran und Horn
  • Nikolaus Brass: Emerge tu… (1991). Madrigal für 4 Stimmen. UA 1991 Graz (Musikprotokoll im Steirischen Herbst; Ensemble <belcanto>, Leitung: Dietburg Spohr)
  • Alan Bush: De Plenos Poderes (From Fully Empowered) op. 86 (1977), für Bariton und Klavier. Nr. 3: El perezoso („Continuarán viajando cosas…“)
  • Enrique González-Medina (* 1954): Me gustas cuando callas op. 3 (1990/96) für Tenor, Altsaxophon (oder Klarinette), Violoncello und Klavier
  • Carlos Guastavino (1912–2000): Esta iglesia no tiene (1948) für mittlere oder hohe Stimme und Klavier
  • Rodolfo Holzmann: Tres madrigales (1944) für hohe Stimme und Klavier
1. Lamento lento – 2. Fantasma – 3. Madrigal escrito en invierno
  • Nicolaus A. Huber: Banlieue – Schauplätze der Revolution (1973), I. Almería, UA Witten 1974
  • Peter Lieberson: Five Neruda Songs (2005) für Mezzosoprano und Orchester. Texte aus den Cien Sonetos de Amor (1959)
1. Sonnet VIII („Si no fuera porque tus ojos tienen color de luna…“) – 2. Sonnet XXIV („Amor, amor, las nubes a la torre del cielo…“) – 3. Sonnet XLV („No estés lejos de mí un solo día, porque cómo…“) – 4. Sonnet LXXXI („Ya eres mía. Reposa con tu sueño en mi sueño…“) – 5. Sonnet XCI („Amor mío, si muero y tú no mueres…“)
  • John Mitchell: Four Songs in Spanish. Nr. 4: La United Fruit Co. („Cuando sonó la trompeta, estuvo…“; aus dem Canto general)
  • Allan Pettersson:
  • De döda på torget (Sinfonie Nr. 12; 1974) für gemischten Chor und Orchester
  • Vox Humana (1974) für Soli, gemischten Chor und Streichorchester. Texte: Manuel Bandeira, Daniel Laínez, Roberto Fernández Retamar, César Vallejo, Murilo Mendes, Nicolás Guillén, Cassiano Ricardo, Miguel Barnet, Pablo Neruda
  • Tobias Picker: Tres sonetos de amor (2000) für mittlere oder hohe Stimme und Klavier / für Bariton und Orchester. Texte aus den Cien Sonetos de Amor
1. Sonnet XVII – No te amo („No te amo como si fueras rosa de sal, topacio…“) – 2. Sonnet III – Áspero amor („Áspero amor, violeta coronada de espinas…“) – 3. Sonnet XLV – No estés lejos („No estés lejos de mí un solo día, porque cómo…“)
  • Leon Schidlowsky: Tres versos del capitán (1966) für Tenor und 6 Schlagzeuge
  • Roland Schmidt: Neruda-Lieder (2005/07) für Mezzosopran, Klarinette, Klavier und Percussion
1. Como cenizas, como mare – 2. Cantares – 3. Barcarola – 4. Jinete en la lluvia – 5. Oceano – 6. Mares de Chile
  • Yvette Souviron (* 1914): Poema de Neruda für Singstimme und Klavier
  • Mikis Theodorakis: Canto General (1970–81). Oratorium für Mezzosopran, Bariton, gemischten Chor und Orchester
  • Los Jaivas: Alturas de Machu Picchu (Progressive Rock-Album; 1981). Text: Teile von Alturas de Machu Picchu aus dem Canto General
  • José Carlos Amaral Vieira (* 1952): Veinte poemas de amor y una canción desesperada op. 179b (1983) für Mezzosopran und Klavier
1. Cuerpo de mujer – 2. En su llama mortal – 3. Ah vastedad de pinos – 4. Es la mañana llena de tempestad – 5. Para mi corazón basta tu pecho – 6. Puedo escribir los versos – 7. La canción desesperada
  • Samuel Barber: 1971 Zwanzig Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung vertont als The Lovers, für Bariton, Orchester und gemischtes Chor, Op. 43, eine Bestellung der Girard Bank von Philadelphia.

Weblinks

Commons: Pablo Neruda - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise

  1. Erich Arendt (Herausgeber, Übersetzer): Pablo Neruda Dichtungen 1919–1965 (Werktitel: Poemas), Luchterhand Neuwied und Berlin 1967, Vorwort von Erich Arendt S. 6.
  2. Eberhard Hungerbühler: Pioniere für den Frieden, 1983.
  3. Pablo Neruda: Vorwort, in: Guidoni, Enrico: Inka. Grandi Monumenti, Civiltà andine, Reihe: Monumente großer Kulturen, Ebeling Wiesbaden 1974.
  4. David Schidlowsky: Pablo Neruda y su tiempo. Las furias y las penas, Santiago de Chile 2008, Bd. 1, S. 39.
  5. David Schidlowsky: Pablo Neruda und Deutschland, Berlin 2008, S. 14–15.
  6. Ich bekenne, ich habe gelebt, Darmstadt 1977, S. 132.
  7. Ich bekenne, ich habe gelebt, Darmstadt 1977, S. 144.
  8. David Schidlowsky: Pablo Neruda und Deutschland, Berlin 2008, S. 35–70.
  9. David Schidlowsky: Pablo Neruda und Deutschland, Berlin 2008, S. 75.
  10. David Schidlowsky: Pablo Neruda und Deutschland, Berlin 2008, S. 85.
  11. David Schidlowsky: Pablo Neruda und Deutschland, Berlin 2008, S. 75–84.
  12. vgl. hierzu auch: Kiu Eckstein: Ein Leben – Zwei Welten. Biografische Notizen in Zeiten des Wandels. Hamburg 2017, ISBN 978-3-7439-3297-5, S. 114, 116.
  13. Rössner 2002, S. 245.
  14. Fernando Alegría: Walt Whitman en Hispanoamérica. México: Ediciones Studium, 1954, S. 315–334.
  15. Delphine Rumeau: Walt Whitman and Pablo Neruda, American Camerados. In: Revue Française d´Études Américaines. Nr. 108 (2006), S. 47–62.
  16. Zweifel an der Todesursache von Pablo Neruda. In: Zeit Online. 11. Februar 2013.
  17. War es Mord? sueddeutsche.de, 25. März 2013
  18. Unravelling the mystery of Pablo Neruda’s death. BBC News, 8. April 2013, abgerufen am 3. Mai 2013.
  19. Keine Vergiftung: Neruda starb an Krebs. Badische Zeitung, abgerufen am 11. November 2013.
  20. Chile reopens Pablo Neruda death investigation to test for poisoning. The Guardian, 21. Januar 2015, abgerufen am 22. Januar 2015.
  21. Chile admits Pablo Neruda might have been murdered by Pinochet Regime. The Guardian, 6. November 2015, abgerufen am 6. November 2015.
  22. http://orf.at/#/stories/2336497/ Nach Exhumierung: Neruda wird zum vierten Mal beerdigt. orf.at, 25. April 2016, abgerufen am 25. April 2016.
  23. NZZ, 12. Juli 2004 (Memento vom 11. März 2012 im Internet Archive) i Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft (bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis) von Leopold Federmair.
  24. Fritz Rudolf Fries über Pablo Neruda in Lateinamerika-Nachrichten.
  25. Kriminalroman „Der Fall Neruda“: So viele Länder wie Geliebte., Rezension auf Spiegel Online, 26. April 2010.
  26. Das Handelsschiff Winnipeg, voller Spanien-Flüchtlinge aus allen politischen Lagern, nach dem Franco-Hitler-Krieg gegen die Republik geflohen, legte am 4. August 1939 von Bordeaux ab. Die Flüchtlinge stammten aus den französischen „Lagern der Schande“, aus Argelès-sur-Mer, Barcarès, Saint-Cyprien, und dem Camp de Gurs. Die Überfahrt nach Südamerika dauerte einen Monat. Als das Schiff am 2. September 1939 in Valparaíso ankam, wurden die Spanier von einer Delegation unter Führung Nerudas begrüßt, im Namen der chilenischen Volksfrontregierung. Sie wurden als Helden empfangen. Der Zweite Weltkrieg begann.


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