Naturwissenschaften

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Als Naturwissenschaften werden zusammenfassend all jene Wissenschaften bezeichnet, die sich der Erforschung der belebten und unbelebten Natur widmen. Ihre Hauptdisziplinen sind: Physik, Chemie, Biologie und Geologie. Methodisch streben die gegenwärtigen Naturwissenschaften dabei, unter weitgehender Abstreifung der unmittelbar erfahrbaren Sinnesqualitäten, nach einer möglichst quantitativen Erfassung der Natur und ihrer Abbildung durch ein mathematisches Modell.

Die von Rudolf Steiner propagierten Goetheanistischen Naturwissenschaften streben demgegenüber nach einer rein qualitativen Erklärung der gesetzmäßigen Zusammenhänge der unmittelbar sinnlich gegebenen Naturphänomene. Komplexere Phänomene werden dabei entweder auf unmittelbar einsehbare grundlegende Urphänomene zurückgeführt oder durch Metamorphose ineinander übergeführt. Musterbeispiele dafür sind Goethes Farbenlehre und dessen Metamorphosenlehre.

Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft

„Also darum kann es sich nicht handeln, daß wir etwa einen Strich machen gegenüber der gewöhnlichen sinnenfälligen empirischen Wissenschaft und aus geistigen Wolkenkuckucksheimen herunter eine Geisteswissenschaft begründen. So ist es gar nicht gegenüber den empirischen Wissenschaften, das heißt demjenigen, was man heute empirische Wissenschaften nennt, was ich hier sinnenfällig-empirische Wissenschaft nennen möchte. So ist es gar nicht. Sie können zum Beispiel, wenn Sie geisteswissenschaftlich forschen, nicht etwa auf dasselbe kommen, was Sie mit dem Mikroskop erforschen. Sie können ruhig jemanden, der Ihnen den Glauben beibringen will, daß er aus der Geisteswissenschaft heraus dasselbe finden kann, was man unter dem Mikroskop findet, als einen Scharlatan auffassen. Das ist nicht so. Dasjenige, was empirische Forschung in heutigem Sinne gibt, besteht. Und um die Wissenschaft auch im Sinne geisteswissenschaftlicher Anthroposophie vollständig zu machen auf irgendeinem Gebiete, dazu ist nicht etwa ein Hinwegräumen des sinnenfällig Empirischen statthaft, sondern es ist durchaus ein Rechnen mit dieser sinnenfälligen Empirie notwendig. Nirgends wird derjenige, der, wenn ich mich dieses Ausdruckes bedienen darf, in anthroposophischer Geisteswissenschaft Fachmann ist, etwas anderes finden, als daß man dadurch, daß man Geisteswissenschaft treibt, erst recht sich im Sinne des sinnenfällig Empirischen mit den Erscheinungen der Welt befassen muß.“ (Lit.:GA 314, S. 81)

Naturwissenschaft und Mathematik

„Wir treiben heute Naturwissenschaft, indem wir uns bewusst sind, wir verbinden dasjenige, was wir im Raum und in der Zeit durch die Beobachtung und durch das Experiment erkunden, mit demjenigen, was uns die Mathematik durch reine Innenanschauung erkennen lässt, und gerade dadurch fühlen wir uns in der wissenschaftlichen Gewissheit, dass wir imstande sind, etwas, was so sehr menschliche Innenerkenntnis ist, menschliches Innenerlebnis ist wie das Mathematische, dass wir das gewissermaßen verweben mit demjenigen, was uns Beobachtung und Experiment gibt. Indem wir durch die mathematische Gewissheit, die uns gegeben ist im reinen Innenerleben, umspannen dasjenige, was uns von außen kommt, fühlen wir, dass wir in einer Verbindung stehen mit diesem Äußeren im Erkenntnisprozess, die uns genügt, um wissenschaftliche Gewissheit zu erleben.

Und so sind wir immer mehr und mehr dazu gelangt, gerade von naturwissenschaftlichen Voraussetzungen ausgehend, die Exaktheit des Wissenschaftlichen darinnen zu sehen, dass wir dasjenige, was wir in wissenschaftlicher Arbeit tun, mathematisch uns rechtfertigen.

Warum tun wir das? Warum wir es tun, das liegt eigentlich schon darinnen, meine sehr verehrten Anwesenden, meine verehrten Kommilitonen, das liegt eigentlich schon in dem, was ich eben gesagt habe, es liegt darinnen, dass wir, indem wir Mathematik treiben, lediglich mit dem Erleben unseres eigenen Seelischen betätigt sind, dass wir ganz in uns bleiben.

Ich glaube, dass diejenigen, welche sich im Speziellen den mathematischen Studien ergeben haben, mir recht geben werden, wenn ich sage: In bezug auf das innere Erlebnis ist das Mathematische, Mathematiktreiben etwas, was viel mehr für den, der es aus innerer Fähigkeit und Anlage, aus innerem Enthusiasmus, möchte ich sagen, treibt, viel mehr Befriedigung geben kann als alles übrige Erkennen der Außenwelt, einfach aus dem Grunde, weil man Schritt für Schritt unmittelbar verbunden ist mit demjenigen, was man als wissenschaftliches Ergebnis hat, und wenn man dann in der Lage ist, dasjenige, was einem von außen entgegentritt, zu verbinden mit demjenigen, dessen ganzen Aufbau man kennt, dessen ganzen Aufbau man selber gemacht hat, so fühlt man eben in dem, was zuletzt aus dem Verwobensein von äußerlich Gegebenem und mathematisch Erarbeitetem auftritt wissenschaftlich, in dem fühlt man dann das, was man als auf sicherer Grundlage fußend ansehen kann.

Deshalb also, weil unsere Wissenschaft uns gestattet, das Äußere mit einem innerlich Erlebten in der Mathematik zu verbinden, deshalb erkennen wir dieses Wissenschaftliche insofern an im Kantischen Sinne, als Mathematik darinnen ist.

Nun, meine verehrten Anwesenden, damit aber ist zu gleicher Zeit der Weg eröffnet für eine ganz bestimmte Auffassung der naturwissenschaftlichen Weltanschauung, und diese Auffassung der naturwissenschaftlichen Weltanschauung, sie wird eben gerade in ihren Konsequenzen verfolgt vom anthroposophischen Forschen. Denn was liegt denn eigentlich schon darinnen in dem, dass wir zu einer solchen Auffassung unseres wissenschaftlichen Erkennens gekommen sind? Darinnen liegt die Anerkennung dessen, dass wir unser Denken innerlich ausbilden wollen, und indem wir es innerlich ausbilden, zu einer Gewissheit kommen, und es dann verwenden, um die äußeren Phänomene, um die äußeren Tatsachen gesetzmäßig zu verfolgen.

Dieses Prinzip verfolgt nun auf dem Gebiete, wo es angemessen ist, gerade die Anthroposophie, indem sie sich hinwendet zu dem, was ich nennen möchte: den reinen Phänomenalismus in bezug auf ein gewisses Gebiet der äußeren Naturwissenschaft, in bezug auf Mechanik, Physik, Chemie, in bezug auf alles dasjenige, was zunächst nicht bis zum Leben heraufdringt. Im extremsten Sinne wird dieser Phänomenalismus von uns festgehalten auf den Gebieten, die über dem Leblosen liegen, aber wir werden gleich sehen, inwiefern er da ergänzt werden muss durch etwas wesentlich anderes.

Man kommt nämlich nach und nach dazu, indem man gerade das mathematische Verhältnis zur Außenwelt sich vergegenwärtigt, man kommt nach und nach dazu, sich zu sagen, dass das Denken überhaupt zunächst in unorganischen Wissenschaften nur einen dienenden Charakter haben kann, dass wir nirgends berechtigt sind, von unseren Gedanken auch selber etwas in die Welt hineinzutragen, wenn wir reine Wissenschaft haben wollen. Das aber führt zu dem, was Phänomenalismus genannt werden darf und was in seiner Art, wenn es auch im einzelnen vielfach getadelt werden kann, was in seiner Art am reinsten doch Goethe verfolgt hat.

Was ist dieser Phänomenalismus? Er besteht darin, dass man die Phänomene, gleichgültig ob durch Beobachtung oder durch Experiment, rein auffasst, so wie sie sich sinnenfällig ergeben, und dass man das Denken nur dazu verwendet, um die Phänomene in gewissem Zusammenhang zu schauen, die Phänomene aufzureihen und so dazu zu kommen, dass sich die Phänomene selber erklären.

Damit aber wird ausgeschaltet zunächst aus der reinen Naturwissenschaft alles dasjenige, was Hypothesen nicht bloß als Hilfskonstruktionen auffasst, sondern was Hypothesen so auffasst, als ob sie etwas geben könnten über das Wirkliche. Wenn man bei dem reinen Phänomenalismus stehenbleibt. So ist man zwar berechtigt, dasjenige, was einen aus der Beobachtung und dem Experiment heraus selber dazu führt, eine atomistische Struktur, sei es in der materiellen, sei es in der Kräftewelt, anzunehmen, aber diese Tendenz zur atomistischen Struktur nur insoweit gelten zu lassen, als man sie phänomenalistisch verfolgen kann, als man sie an dem Phänomen beschreiben kann.

Gegen dieses Prinzip sündigt diejenige wissenschaftliche Weltanschauung, welche eine Atomistik konstruiert, die hinter den sinnlich verfolgbaren Phänomenen Tatsächliches konstatiert, das nicht in die Welt der Phänomene selbst hereinfallen kann, in dem Augenblick, wo man die Welt der Farben, zum Beispiel, die vor uns ausgebreitet ist, nicht einfach so verfolgt, dass man die Farbenerscheinung selber an die andere Farbenerscheinung reiht, um dadurch zum gesetzmäßigen Zusammenhang des Farbigen zu kommen, sondern wenn man von dem Phänomen auf etwas Dahinterliegendes geht, das eben nicht bloß etwa eine Hilfskonstruktion sein kann, sondern ein Reales statuieren soll, wenn man dazu übergeht, Schwingungen oder dergleichen im Äther anzunehmen, dann dehnt man das Denken über das Phänomen aus, gewissermaßen man durchstößt aus einer gewissen Trägheit des Denkens heraus den Sinnesteppich und man statuiert hinter dem Sinnesteppich eine Art von wirbelnden Atomen oder dergleichen, wozu gar keine Veranlassung bei einem sich selbst verstehenden Denken vorliegt, das nur Diener sein will für die Aufreihung der Phänomene aneinander, für den immanenten gesetzmäßigen Zusammenhang in den Phänomenen, das aber nicht kann irgendetwas aussagen gegenüber der äußeren Sinnenwelt, was hinter dieser Sinnenwelt liegen würde.

So aber zieht gerade die Anthroposophie die letzte Konsequenz, zu der eigentlich alles hintendiert in der modernen Naturwissenschaft. Wir sind sogar in dieser modernen Naturwissenschaft in der letzten Zeit in hohem Masse zu einer zwar theoretisch noch wenig zugegebenen, aber praktisch angewandten Ausbildung dieses Phänomenalismus gekommen, indem man sich einfach um die hypothetischen Atomwelten und dergleichen nicht kümmert und innerhalb der Phänomene stehenbleibt.“ (Lit.: Steiner 1922)

Siehe auch

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Agnostizismus in der Wissenschaft und Anthroposophie, öffentlicher Vortrag, 11. Mai 1922, Leipzig [1] [2]
  2. Rudolf Steiner: Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft. Zur Therapie und Hygiene, GA 314 (1989), ISBN 3-7274-3141-5 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

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