Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Philosophie: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:La scuola di Atene.jpg|miniatur|hochkant=1.5|Raffaels [[Schule von Athen]] mit den idealisierten Darstellungen der Gründerväter der abendländischen Philosophie. Obwohl seit Platon vor allem eine Sache der schriftlichen Abhandlung, ist das angeregte Gespräch bis heute ein wichtiger Bestandteil des philosophischen Lebens.]]
(porträtiert von Jakob Schlesinger, 1831)]]
'''Georg Wilhelm Friedrich Hegel''' (* 27. August 1770 in Stuttgart; † 14. November 1831 in Berlin) war ein deutscher [[Philosoph]], der als wichtigster Vertreter des [[Idealismus|deutschen Idealismus]] gilt.


Hegels Philosophie erhebt den Anspruch, die gesamte Wirklichkeit in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen einschließlich ihrer geschichtlichen Entwicklung zusammenhängend, systematisch und definitiv zu deuten. Sein philosophisches Werk zählt zu den wirkmächtigsten der neueren Philosophiegeschichte.
In der '''Philosophie''' ({{ELSalt|φιλοσοφία}}, [[lat.]] ''{{lang|grc-Latn|philosóphia}}'', wörtlich „[[Liebe]] zur [[Weisheit]]“) wird versucht, die Welt und die menschliche Existenz zu deuten und zu verstehen.


Hegels Werk gliedert sich in „Logik“, „Naturphilosophie“ und „Philosophie des Geistes“, die unter anderem auch eine Geschichtsphilosophie umfasst.
Von anderen [[Wissenschaft]]en unterscheidet sie sich dadurch, dass sie sich nicht auf ein spezielles Gebiet oder eine bestimmte [[Methodologie]] begrenzt, sondern durch die Art ihrer Fragestellungen und ihre besondere Herangehensweise an ihre vielfältigen Gegenstandsbereiche charakterisiert ist.


== Die Bedeutung Hegels für Rudolf Steiner ==
In diesem Artikel wird die westliche (auch: abendländische)  Philosophie, die im 6. Jahrhundert v. Chr. im [[Wikipedia:Antikes Griechenland|antiken Griechenland]] entstand, behandelt. Hier nicht behandelt werden die mit der abendländischen Philosophie in einem mannigfaltigen Zusammenhang stehenden Traditionen der [[Wikipedia:Jüdische Philosophie|jüdischen]] und der [[Wikipedia:Arabische Philosophie|arabischen Philosophie]] sowie die ursprünglich von ihr unabhängigen Traditionen der [[Wikipedia:afrikanische Philosophie|afrikanischen]] und der [[Wikipedia:östliche Philosophie|östlichen Philosophie]].


Schon 1894 schrieb Rudolf Steiner in einem Brief an [[Eduard von Hartmann]]:
In der [[Wikipedia:Philosophie der Antike|antiken Philosophie]] entfaltete sich das systematische und wissenschaftlich orientierte [[Denken]]. Im Lauf der Jahrhunderte differenzierten sich die unterschiedlichen Methoden und Disziplinen der Welterschließung und der Wissenschaften direkt oder mittelbar aus der Philosophie, zum Teil auch in Abgrenzung zu irrationalen oder religiösen Weltbildern oder [[Mythos|Mythen]].
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"Ich glaube mich von Hegel in gar nichts zu unterscheiden, sondern nur einzelne Konsequenzen seiner Lehre zu ziehen." {{Lit|{{G|039|227}}}}
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In einem späteren Vortrag heißt es anerkennend:
 
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"Hegel erscheint als derjenige unter den modernen Geistern, welcher das Erfahren des Innern zur höchsten Blüte gebracht hat. Er erscheint als derjenige, welcher in die Ätherhöhen, in die lichthellen Regionen des Denkens den Menschen heute führen kann, und für denjenigen, der sich befruchten lassen kann von Hegels kristallhellen und in Ätherhöhen schwebenden Gedankengängen, wird auch eine andere geistige Strömung, welche in der Menschheit gewaltet hat, verständlich. Denn Hegel lässt sich nur vergleichen, wenn wir durch die Wende der Zeiten mit unseren Empfindungen schweifen, mit jener morgenländischen Geistesblüte, die durch den reinen Gedanken am tiefsten hineingeführt hat in menschliches Geistesleben: mit der [[Vedanta|Vedanta-Philosophie]]. In gewisser Beziehung ist er derjenige, der innerhalb unseres Abendlandes das Luziferische von Indien ausgehend erneuert hat und doch wiederum in einer anderen Form." {{Lit|{{G|113|197}}}}
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Auch erwähnte Rudolf Steiner, an mehreren Stellen in seinem [[Rudolf Steiner Gesamtausgabe|Werk]], die positive Wirkung, welche aus der Beschäftigung mit Hegels [[Logik]] hervorgeht:
 
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"Es ist außerordentlich nützlich und stellt eine außerordentlich fruchtbare Meditation dar, in den kristallklaren Begriffen Hegels zu leben, es ist ein wichtiges Erziehungsmittel für die Seele. Zugleich ist es ein Erziehungsmittel gegen alle Lässigkeit und Lottrigkeit der Begriffe, die werden gründlich ausgetrieben durch die Hegelsche Dialektik. Wenn man den Geist an der Hegelschen Dialektik trainiert hat, so hat man bei der Lektüre von Büchern moderner Schriftsteller häufig den Eindruck lottriger Begriffe." {{Lit|{{G|108|247}}}}
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Kerngebiete der Philosophie sind die [[Logik]] (als die Wissenschaft des folgerichtigen Denkens), die [[Ethik]] (als die Wissenschaft des rechten Handelns) und die [[Metaphysik]] (als die Wissenschaft der ersten Gründe des Seins und der Wirklichkeit). Weitere Grunddisziplinen sind die [[Erkenntnistheorie|Erkenntnis-]] und [[Wissenschaftstheorie]], die sich mit den Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns im Allgemeinen bzw. speziell mit den Erkenntnisweisen der unterschiedlichen Einzelwissenschaften beschäftigen.
"Und wenn schon ein nicht geschultes Denken in der äußeren Wissenschaft recht viel Unheil anrichtet, so wird gerade in der anthroposophischen Bewegung mehr noch als durch unrichtige Beobachtungen dadurch Unheil angerichtet, daß bei vielen das Interesse für die übersinnlichen Dinge nicht Hand in Hand geht mit einem gleich starken Interesse für das logische Denken. Und dieses rein logische Denken kann gerade durch eine Betrachtung des Denkens von Georg Wilhelm Friedrich Hegel ganz besonders geschult werden."{{Lit|{{G|125|27}}}}
</div>


== Die dialektische Methode Hegels ==
== Rudolf Steiners philosophiegeschichtlicher Abriss in GA 108 (1908): Von Aristoteles bis Kant ==
In Hegels [[Philosophie]] geht es um die Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung (des [[Dualismus]]). Die Dialektik ist hierzu die Methode, um mithilfe des [[Spekulation_(Philosophie)#Hegel|spekulativen Geistes]], die Spaltung wieder aufzuheben.


=== Die Bestandteile des dialektischen Denkens ===
<div style="margin-left:20px">
"Philosophie müssen Sie überhaupt nicht als etwas ansehen, was
Sie absolut nehmen dürfen. Philosophie ist etwas, was im Laufe der
Menschheitsentwickelung erst entstanden ist, und wir können sozusagen
sehr leicht die Geburtsstunde der Philosophie angeben, denn
diese Geburtsstunde der Philosophie ist im Grunde genommen
eigentlich in jeder Geschichte der Philosophie mehr oder weniger
richtig angegeben. Man hat in neuerer Zeit manches eingewendet gegen
die Tatsache, daß jede Philosophiegeschichte mit [[Thales]] beginnt,
also mit dem ersten Aufleuchten der Philosophie in Griechenland;
und man hat gemeint, daß man auch die Philosophie über diese Zeit
hinaus nach rückwärts verfolgen könne. Das ist nicht richtig. Was
man mit Fug und Recht «Philosophie» nennt, beginnt in Wirklichkeit
mit der griechischen Philosophie. Morgenländische Weisheit
und morgenländisches Wissen sind nicht das, was man im eigentlichen
Sinne mit «Philosophie» bezeichnen sollte. Wenn wir von den
großen philosophischen Intuitionen, wie sie bei [[Heraklit]], bei Thales,
später bei [[Sokrates]] in einer anderen Weise auftreten, absehen und
gleich gehen auf die Philosophie, soweit sie uns in einem geschlossenen
Weltgebäude, in einem geschlossenen Gedankengebäude entgegentritt,
so ist nicht etwa [[Pythagoras von Samos|Pythagoras]] der erste Philosoph. Denn
Pythagoras ist in einer gewissen Beziehung noch ein intuitiver Seher,
der zwar vielfach in philosophischen Formen ausdrückt, was er zu
sagen hat; aber im eigentlichen Sinne ein philosophisches System ist
das pythagoräische System nicht, ebensowenig wie das [[Platon|platon]]ische.
Ein philosophisches System im wahren Sinne des Wortes ist erst das
große System - als philosophisches System -, welches [[Aristoteles]] im
4. Jahrhundert vor Christus aufgebaut hat. Man muß sich über diese
Dinge erst einmal orientieren.


<div style="margin-left: 20px;">
Wenn Aristoteles als der erste Philosoph bezeichnet wird und
"Im Allgemeinen beschreibt Hegel den Vorgang der Dialektik mit den Begriffen wie An-sich-Sein, Für-andere-Sein und letzten Endes mit dem Begriff Für-sich-Sein, in selteneren Fällen mit An-und-Für-sich-Sein, vor allem dann, wenn die Synthese wiederum zum Ausgangspunkt eines neuen dialektischen Prozesses wird.(Ludwig, 2003, S.39)
Plato noch als halber Seher angesehen wird, so geschieht das deshalb,
Diese Begriffe lassen sich an einem einfachen Beispiel verdeutlichen:
weil Aristoteles der erste ist, der bloß aus der Quelle der Philosophie
heraus schöpfen muß, nämlich aus der Quelle des Denkens in Begriffen.
Das war natürlich alles lange Zeit vorbereitet; es war nicht
so, daß er nun alle Begriffe erst selber hätte schaffen müssen; seine
Vorläufer haben ihm in dieser Beziehung nicht unerheblich vorgearbeitet.
Aber in Wahrheit gibt Aristoteles in einer gewissen Beziehung
gerade das, was zum Beispiel Gegenstand der Mysterien war,
zum ersten Male nicht in der alten seherischen Form, sondern er
gibt alles, was er gibt, in der begrifflichen Form. Und so wird auch
der, der in der Philosophie sich orientieren will, zurückgehen müssen
bis zu Aristoteles. Er wird bei ihm alle die Begriffe finden, die
aus anderen Erkenntnisquellen der früheren Zeiten gewonnen worden
sind, aber sie verarbeitet und aufgearbeitet finden zu einem begrifflichen
System. Vor allen Dingen ist bei Aristoteles der Ausgangspunkt
zu suchen einer - nennen wir es «Wissenschaft» -, einer
Wissenschaft, welche in dieser Gestalt innerhalb der Menschheitsentwickelung
früher nicht existiert hat und auch nicht hätte entstehen
können. Wer die Menschheitsentwickelung in dieser Weise
verfolgen kann mit den Mitteln der Geisteswissenschaft, der weiß,
daß vor Aristoteles - natürlich ist das alles mit dem berühmten
Gran Salz zu verstehen - eine aristotelische Logik so nicht denkbar
war, weil erst Aristoteles eine entsprechende Denktechnik, eine
Logik, geschaffen hat. Solange in den Mysterien die höhere
Weisheit direkt mitgeteilt wurde, bedurfte man keiner Logik. Aristoteles
ist nun in einer gewissen Weise auch der unerreichte Meister
der Logik. Im Grunde hat trotz aller Anstrengungen des
19. Jahrhunderts die Logik in allen wesentlichen Punkten nicht
viele Fortschritte gemacht über das hinaus, was Aristoteles bereits
gegeben hat.


a) Den Ausgangspunkt bildet ein vorhandener Gegenstand, beispielsweise ein Tisch, der An-sich ist. Das bedeutet, dass dieser Gegenstand, in diesem Fall der Tisch, ein Sein hat, dass unabhängig von mir und meiner Erkenntnis ist.
Es würde heute zu weit führen, wollte ich Sie auf die Gründe hinweisen,
warum Philosophie erst in dieser Zeit, in der Zeit des Aristoteles,
in die Menschheit eintreten konnte. Durch die Anthroposophie
wird es für viele allmählich begreiflich werden, warum ein
ganz bestimmtes Zeitalter für die Begründung der Philosophie notwendig
war.


b) Der nächste Schritt bildet der Bezug dieses Gegenstandes zum wahrnehmenden Bewusstsein. Dabei entsteht, ohne dass das An-Sich dadurch falsch wird, ein Gegensatz zu dem, was der Gegenstand An-Sich ist. Der Tisch besitzt ein für mich- bzw. Für-andere-Sein. Dies ist möglich aufgrund der Wahrnehmung, die ein Etwas erkennt, dass die Eigenschaft eines Tisches besitzt, wie beispielsweise eine große waagerechte Platte etc.  
Wir sehen sodann, wie Aristoteles für lange Zeiten der tonangebende
Philosoph ist und mit kurzen Unterbrechungen - die für den
heutigen Menschen mehr als Unterbrechungen erscheinen, als daß
sie es wirklich waren - es bis zum heutigen Tage bleibt. Alle, die auf
anderen Gebieten tätig sind, sagen wir im Gnostizismus, Platonismus,
oder in den Kirchenlehren des ersten Christentums, sie verarbeiteten
die aristotelischen Gedankenkünste. Und in wunderbarer
Weise breitet sich das, was Aristoteles der Menschheit gegeben hat
als das formale Element des Denkens, auch im Abendlande aus, wo
das, was die Kirche zu sagen hat, mehr oder weniger in die Formen
gekleidet wird, die Aristoteles in seiner Denktechnik gegeben hat.
Wenn auch in den ersten Jahrhunderten der Ausbreitung des Christentums
die Philosophie des Aristoteles noch in sehr mangelhafter
Form im Abendlande verbreitet war, so liegt das im wesentlichen
daran, daß man die Schriften des Aristoteles nicht in der Ursprache
hatte. Aber man dachte im Sinne der von Aristoteles ausgearbeiteten
Denktechnik.


c) Im letzten Schritt, in der Synthese, ist der vermeintlich neue Gegenstand „der alte (an-sich-seiende) Gegenstand zusammen mit der neuen Erfahrung, die mein Bewusstsein gemacht hat“. (Ludwig, 2003, S.40) So ist aus dem An-sich-Sein des Tisches ein Für-sich-Sein geworden." <ref>Markus Morfis: ''Die Dialektik Hegels bei der Bildung des Individuums in der Beziehung zu Familie, Schule und Gesellschaft'', GRIN Verlag (2005), Seite 9. [http://books.google.de/books?id=Q96Tc5_d9VMC&pg=PA9&dq=Im+Allgemeinen+beschreibt+Hegel+den+Vorgang+der+Dialektik&hl=de&sa=X&ei=oLZvUe35HcrTtAaBvoCQDA&ved=0CDMQ6AEwAA#v=onepage&q=Im%20Allgemeinen%20beschreibt%20Hegel%20den%20Vorgang%20der%20Dialektik&f=false Text] oder Irena Danilovic: ''G.W.F. Hegels Bildungstheorie - Eine Untersuchung'', Grin Verlag; Auflage: 1. (5. März 2012), Seite 40. [http://books.google.de/books?id=1o6A2ZpelWMC&pg=PA40&dq=Im+Allgemeinen+beschreibt+Hegel+den+Vorgang+der+Dialektik&hl=de&sa=X&ei=oLZvUe35HcrTtAaBvoCQDA&ved=0CDgQ6AEwAQ#v=onepage&q=Im%20Allgemeinen%20beschreibt%20Hegel%20den%20Vorgang%20der%20Dialektik&f=false Text]</ref>
In anderer Art hat Aristoteles im Morgenlande Verbreitung gefunden,
</div>
um dann, auf dem Umwege über die Araber, wiederum in
das Abendland zu kommen. So ist Aristoteles auf zwei Arten im
Abendlande heimisch geworden: erstens durch die christliche Strömung
und zweitens durch die Strömung, die nach und nach durch
die Araber in die Kultur des Abendlandes eingeflossen ist.
In diese Zeit hinein fällt jene große Pflege des aristotelischen Denkens,
welche den eigentlichen Höhepunkt in der Philosophie des
Mittelalters darstellt, nämlich die erste Form dessen, was man
«Scholastik» nennt, speziell «Frühscholastik». Die [[Scholastik]] ist im
wesentlichen dazu dagewesen, eine Philosophie des Christentums zu
sein. Sie war aus zwei Gründen genötigt, den Aristoteles in sich aufzunehmen:
Erstens aus den alten Traditionen heraus, weil man
überhaupt gewohnt war, Aristoteles zu kennen; auch die Platoniker
und [[Neuplatoniker]] waren mehr dem Inhalt nach Platoniker; in ihrer
Gedankentechnik waren sie vielfach Aristoteliker. Aber auch
aus einem anderen Grunde war es notwendig, daß sich die Scholastik
auf Aristoteles stützte, nämlich weil die Scholastik in die Notwendigkeit
versetzt war, gegen die Einflüsse des Arabismus und damit
gegen die morgenländische Mystik aufzutreten, so daß wir also
im elften, zwölften, dreizehnten Jahrhundert innerhalb der Scholastik
die Aufgabe finden, das Christentum gegenüber der arabischen
Gedankenwelt philosophisch zu rechtfertigen. Es kamen die arabischen
Gelehrten mit dem wunderbar ausziselierten aristotelischen
Wissen und versuchten von den verschiedensten Positionen aus, das
Christentum anzugreifen. Wollte man das Christentum verteidigen,
so mußte man zeigen, daß sich die Araber der Instrumente, deren sie
sich bedienten, in einer unrichtigen Weise bedienten. Es handelte
sich dabei darum, daß die Araber sich den Anschein gaben, daß nur
sie allein die richtige Denkweise des Aristoteles hatten und deshalb
von dieser richtigen Denkweise des Aritoteles aus ihre Angriffe gegen
das Christentum richteten. In der Auslegung der Araber erschien
es so, als ob der, der auf dem Boden des Aristoteles stehe,
notwendig ein Gegner des Christentums sein müsse.


=== Rudolf Steiner über die dialektische Methode ===
Diesem Bestreben gegenüber erhob sich die Philosophie des [[Thomas von Aquino]]. Diesem handelte es sich darum, zu zeigen, daß,
wenn man den Aristoteles richtig versteht, man gerade mit Hilfe des
aristotelischen Denkens das Christentum rechtfertigen kann. So war
es nach der einen Seite die Tradition, in aristotelischer Denktechnik
zu verfahren, auf der anderen Seite die Notwendigkeit, gegen das anstürmende
Arabertum gerade diese Denktechnik des Aristoteles in
der richtigen Weise zu handhaben, was sich in der Philosophie des
Thomas von Aquino ausdrückte.


<div style="margin-left: 20px;">
So finden wir eine eigentümliche Synthese des aristotelischen
"Dieses Bewegen in reinen Begriffen nennt man nun im Sinne des großen Philosophen Hegel die «dialektische Methode», wobei der Mensch nur in Begriffen lebt und sich fähig macht, einen Begriff aus dem anderen hervorgehen, gleichsam hervorwachsen zu lassen. So lebt der Mensch in einer Sphäre, in der er absieht von der äußeren, sinnlichen Welt, und wo er absieht von dem, was hinter ihr steht, von der übersinnlichen Welt. Es bewegt sich die Seele von Begriff zu Begriff, und die Kraft, die ihn forttreibt von Begriff zu Begriff, läßt den einen Begriff aus dem anderen hervorgehen. Diese Methode nennt man die dialektische Methode, die Methode des sich selbst bewegenden Begriffes." {{Lit|{{G|108|245}}}}
Denkens in dem, was in der ersten Zeit das Wesen der scholasti-
</div>
sehen Philosophie ausmacht, einer Philosophie, die viel verlästert,
heute aber wenig mehr verstanden wird. Sehr bald kam dann die
Zeit, in der man die scholastische Philosophie nicht mehr verstand.
Und dann kamen alle möglichen Ausartungen der Scholastik, zum
Beispiel diejenige Ausartung, die man gewöhnlich bezeichnet als die
Geistesströmung des «Nominalismus», während die frühe Scholastik
«Realismus» war. Diesem Nominalismus ist es zuzuschreiben,
daß die Scholastik sich bald überlebte und in Mißkredit und Vergessenheit
geriet. Der Nominalismus ist in einem gewissen Sinne der
Vater alles modernen Skeptizismus.


<div style="margin-left: 20px;">
Es ist ein merkwürdiges Gewirr von philosophischen Strömungen,
"Wir müssen die Möglichkeit haben, ein Begriffssystem zu gewinnen, indem wir Begriff aus Begriff herauswachsen lassen. Wie finden wir einen Anhaltspunkt dazu? Diesen Anhaltspunkt finden wir eben in der dialektischen Methode, und zwar wenn wir uns darüber klar werden, wie ein jeder Begriff in sich selber noch etwas anderes enthält, als das, als was er zunächst erscheint. Es ist mit dem Begriff wie mit einer Wurzel. Die Wurzel enthält eigentlich die ganze Pflanze, die noch nicht herausgewachsen, sondern noch in ihr drinnen ist. Wenn wir die Wurzel anschauen, haben wir noch nicht alles, was da ist. Die Pflanze selber, die drin ist in der Wurzel, sehen wir nicht. Wenn wir nur mit äußeren Augen die Wurzel anschauen, sehen wir gerade nicht, was die Pflanze aus der Wurzel heraustreibt. So steckt auch in jedem Begriff etwas drin, was aus ihm herauswachsen kann, ebenso wie in der Wurzel etwas steckt, was aus ihr herauswachsen kann, und zwar steckt im Begriff des Seins das Gegenteil, das Nichts drin. Wenn wir den Begriff des Seins fassen, so umfaßt er alles Mögliche, was in der sinnlichen und in der übersinnlichen Welt auftauchen kann. Dadurch, daß er alles umfaßt, umfaßt er zugleich das «Nichts». Das «Nichts» steckt darinnen im «Sein», es sproßt heraus aus dem «Sein»." {{Lit|{{G|108|247}}}}
die wir heraufkommen sehen gegen unsere neuere Zeit hin, die
</div>
alle im Grunde gegen die Scholastik strömen. Wir sehen noch einige
Geister, die fest und tüchtig in der aristotelischen Gedankentechnik
stehen, die aber gegen das anstürmende Neuzeitliche nicht mehr
ganz geschützt sind. Zu diesen gehört [[wikipedia:Nikolaus Cusanus|Nikolaus Cusanus]].
Wir sehen dann aber, wie das letzte, was sich retten läßt von dieser
philosophisch-methodischen Grundlage, [[Cartesius]] rettet. Und
wir sehen auf der anderen Seite, wie alle die guten Elemente des Arabismus
- jener Art von Philosophieen, welche mehr west-orientalisches
Sehen verknüpft haben mit dem Aristotelismus -, sich verschränkt
haben mit jener Denktechnik, die wir die «kabbalistische»
nennen. Zu den Vertretern dieser Richtung zählt [[Spinoza]], der nicht
anders zu verstehen ist, als wenn man ihn angliedert einerseits an
den Westorientalismus und andererseits an den Kabbalismus. Alles
andere Reden über Spinoza ist ein Reden, bei dem man keinen
Boden unter den Füßen hat.


== Die Grenzen der Hegelschen Philosophie zur Geisteswissenschaft ==
Dann aber machte sich der «Empirismus» mit Macht breit, besonders
unter der Ägide [[wikipedia:Locke|Locke]]s und [[wikipedia:Hume|Hume]]s. Und dann sehen wir, wie
die Philosophie sich immer mehr gegenübergestellt findet den rein
äußeren materiellen Forschungen - der Naturwissenschaft -, und
wie sie stückweise vor dieser Art des Forschens zurückweicht. Wir
sehen dann, wie sich die Philosophie verfängt in einem Netz, aus
dem sie sich fast nicht mehr herauszuwinden vermag. Das ist ein
wichtiger Punkt, an dem sich die Philosophie der neueren Zeit ver-
fängt, nämlich bei [[Kant]]! Und wir sehen in der nachkantischen Zeit,
wie große Philosophen auftreten, wie [[Fichte]], [[Schelling]], [[Hegel]] wie
eine Art Meteore auftreten, wobei sie aber von ihrem eigenen Volke
am schlechtesten verstanden werden. Und wir sehen, wie ein kurzes,
seltsames Herumbalgen in den Gedanken stattfindet, um herauszukommen
aus dem Netz, in das der Kantianismus die Philosophen
hineinverfangen hat, wie unmöglich es für die Philosophie ist,
da herauszukommen, und wie gerade das deutsche Denken an einem
in den verschiedensten Varianten auftretenden Kantianismus krankt,
wie sogar auch alle schönen und großen Ansätze, die gemacht werden,
an dem Kantianismus kranken. So sehen wir in der ganzen neueren
Philosophie einen Mangel auftreten, der zwei Quellen hat: Die
eine zeigt sich darin, daß bei unseren philosophischen Lehrstühlen,
die glauben, sich mehr oder weniger von dem Kantianismus freigemacht
zu haben, die Leute doch immer noch in den Schlingen Kants
zappeln; die andere zeigt sich darin, daß die Philosophie an einer gewissen
Unmöglichkeit leidet, ihre Position, die sie als Philosophie
verteidigen müßte, gegen die sehr kurzsichtige Naturwissenschaft
zu behaupten.


Da Hegel den [[Begriff]] als Erstes setzt und nicht die [[Denktätigkeit]] (wie Steiner), ist es ihm nicht möglich zu einer produktiven und lebendigen Geistigkeit vorzudringen. Er kann mit seinem [[Denken]] nur das Gewordene begreifen.
Nicht früher, als bis sich unsere Philosophie befreit haben wird
von den Netzen des Kantianismus und von all dem, wodurch die
Philosophie Halt macht vor der anstürmenden Naturwissenschaft,
nicht früher, als bis unsere besser gesinnten Elemente erkennen, wie
sie über diese beiden Klippen, die sich ihnen in den Weg stellen, hinwegkommen
können, ist irgendein Heil auf philosophischem Felde
zu erwarten. Daher bietet auch das philosophische Feld insbesondere
innerhalb Deutschlands ein wirklich trauriges Bild, und es ist im
höchsten Grade jammervoll zu sehen, wie zum Beispiel die Psychologie
Stück für Stück zurückweicht, wie zum Beispiel heute Menschen,
die eigentlich nicht imstande sind, anderes zu tun, als elementare
Dinge ein wenig in philosophischer Weise zu verarbeiten, aber
dabei nicht über gewisse Trivialitäten hinauskommen, ein riesiges
Ansehen haben, wie zum Beispiel [[wikipedia:Wundt|Wundt]]. Auf der anderen Seite
wieder muß man sehen, daß Geister wie zum Beispiel [[wikipedia:Fechner|Fechner]] - der
anregend sein könnte, wenn die Menschen ein Urteil dafür hätten -,
daß ein solcher von denen, die die reinen Dilettanten sind, angesehen
wird wie ein neuer Messias. Das mußte notwendig so kommen
und soll keine Kritik sein.


<div style="margin-left: 20px;">
Ausgehen möchte ich nun von einem Begriff, der so recht zusammenhängt
"Durch das bloße Denken gewinnt man eine Art Überschau, eine Art größere Rückschau über das, was der Menschengeist im welthistorischen Werdegang produziert hat. Man kann von einem gewissen Mittelpunkt aus Umschau über die produzierten Gedanken halten. Man kann aber nicht neuen Erkenntnisinhalt gewinnen."
mit dem Netz, worin sich die Philosophie seit Kant verfangen
{{Lit|{{G|125|74}}}}
hat, der das Grundübel des philosophischen Geistes ist, ein
Übel, das mit den Worten gekennzeichnet werden kann: Die Philosophie
ist ganz und gar dem Subjektivismus verfallen!" {{Lit|{{G|108|169ff}}}}
</div>
</div>


Das [[Denken]] Hegels gleicht so einer [[Pflanze]], die mit der Keimbildung ihre [[Entwicklung]] abgeschlossen hat:
Der Vortrag setzt fort mit einer Besprechung der Philosophie [[Kant]]s.
 
<div style="margin-left: 20px;">
"Wer den Blick auf den Sinn der Hegelschen Philosophie richtet, dem kann diese so erscheinen, dass in ihr das ganze Bild, welches sich der Mensch von der Welt macht, sich gleich einer Pflanze entfaltet; dass diese Entfaltung bis zu dem Keime, dem Gedanken, gebracht wird, dann aber abgeschlossen wird wie das Leben einer Pflanze, deren Keim nicht im Sinne des Pflanzenlebens weiterentwickelt wird, sondern zu etwas verwandt wird, was diesem Leben äußerlich gegenübersteht, wie die menschliche Ernährung.
 
In der Tat: Sobald Hegel zu dem Gedanken gekommen ist, setzt er den Weg nicht fort, der ihn bis zu dem Gedanken geführt hat." {{Lit|{{G|018|337}}}}
</div>
 
== Hegel und seine Schule ==
<div style="margin-left: 20px;">
"Kaum war Hegel selber hinweggegangen, so zerfiel seine Schule. Und man konnte sehen, wie diese Hegelsche Schule ganz die Gestalt eines neuen Parlamentes annahm. Es gab da eine Linke, eine Rechte, eine äußerste Rechte, eine äußerste Linke, einen radikalsten, einen konservativsten Flügel. Es gab ganz radikale Menschen mit einer radikalen wissenschaftlichen, mit einer radikalen sozialen Weltanschauung, die sich als die richtigen geistigen Abkömmlinge von Hegel fühlten. Es gab auf der andern Seite vollgläubige positive Theologen, die nun wiederum ihren theologischen Urkonservativismus auf Hegel zurückzuführen wußten. Es gab das Hegel-Zentrum mit dem liebenswürdigen Philosophen Karl Rosenkranz, und alle, alle diese Persönlichkeiten, sie behaupteten jeder für sich, sie hätten die richtige Hegelsche Lehre. Einer derjenigen, die innerlich am energischsten Hegel studiert haben, die Hegel ganz in sich lebendig gemacht haben, ist [[Karl Marx]], Und was tritt uns in Karl Marx entgegen? Ein merkwürdiges Hegeltum! Hegel auf dem höchsten Gipfel des Ideenbildes droben, auf dem äußersten Gipfel des Idealismus – der treue Schüler Karl Marx das Bild sogleich ins Gegenteil wendend, mit derselben Methode, wie er glaubt, indem er gerade dasjenige, was in Hegel die Wahrheit ist, herauszubilden glaubte, und es wird daraus der historische Materialismus, jener Materialismus, der für breite Massen diejenige Weltanschauung oder Lebensauffassung sein soll, die sich nun wirklich hineintragen lassen soll in das soziale Leben. So begegnet uns in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der große Idealist, der nur im Geistigen, in seinen Ideen lebte, Hegel; so begegnet uns in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sein Schüler Karl Marx, der nur im Materiellen drinnen forschte, der nur im Materiellen drinnen eine Wirklichkeit sehen wollte, der in alledern, was in idealen Höhen lebte, nur Ideologie sah. Man sollte nur einmal durchempfinden diesen Umschlag der Welt- und Lebensauffassungen im Laufe des 19. Jahrhunderts, und man wird die ganze Stärke desjenigen in sich fühlen, was heute dazu treibt, eine solche Naturerkenntnis zu gewinnen, die, wenn wir sie haben, in uns ein Urteil loslöst, das sozial lebensfähig ist." {{Lit|{{G|322|22ff}}}} </div>
 
Heute erleben wir die Hegel-Rezeption am intensivsten in der neo-marxistischen kritischen Theorie ("[[Wikipedia:Frankfurter Schule|Frankfurter Schule]]"). Deren moderater Vertreter [[Jürgen Habermas|Jürgen Habermas]] gilt als der derzeit weltweit wirkmächtigste deutsche Philosoph.
 
== Siehe auch ==
[[:Kategorie:Dialektik|Themen zur Dialektik]], [[Dasein|Das Dasein bei Hegel]], [[Wirklichkeit]], [[Werden]], [[Spekulation_(Philosophie)#Hegel|Spekulation]], [[Idealismus]], [[wikipedia:An_sich#An_und_f.C3.BCr_sich_bei_Hegel|An und für sich bei Hegel]]


== Literatur ==
== Literatur ==
#Rudolf Steiner: ''Briefe Band II: 1890 – 1925'', [[GA 39]] (1987), ISBN 3-7274-0390-X {{Briefe|038}}
Rudolf Steiner: ''Die Beantwortung von Welt- und Lebensfragen durch Anthroposophie'', [[GA 108]] (1986), ISBN 3-7274-1081-7 {{Vorträge|108}}
#Rudolf Steiner: ''Der Orient im Lichte des Okzidents'', [[GA 113]] (1982), ISBN 3-7274-1130-9 {{Vorträge|113}}
#Rudolf Steiner: ''Die Beantwortung von Welt- und Lebensfragen durch Anthroposophie'', [[GA 108]] (1986), ISBN 3-7274-1081-7 {{Vorträge|108}}
#Rudolf Steiner: ''Wege und Ziele des geistigen Menschen. Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft.'', [[GA 125]] (1992), ISBN 3-7274-1250-X {{Vorträge|125}}
#Rudolf Steiner: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X; '''Tb 610/11''', ISBN 978-3-7274-6105-7 {{Schriften|018}}
#Rudolf Steiner: ''Grenzen der Naturerkenntnis'', [[GA 322]] (1981), ISBN 3-7274-3220-9 {{Vorträge|322}}
#Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Heft 30: ''Rudolf Steiner und der deutsche Idealismus Zum 200. Geburtstag von Hegel'' {{BE|30}}
# [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_hegel_logik.pdf Hegel: Wissenschaft der Logik - Kritische Betrachtungen] PDF
 


{{GA}}
{{GA}}
== Weblinks ==
* {{Zeno-Autor|Philosophie/M/Hegel,+Georg+Wilhelm+Friedrich}}
* [http://gutenberg.spiegel.de/autor/253 Werke von Georg Wilhelm Friedrich Hegel] als Online-Texte im Projekt Gutenberg-DE (mit Einführung)
{{wikipedia}}
{{wikipedia}}
[[Kategorie:Mann]][[Kategorie:Philosoph]][[Kategorie:Philosophie]][[Kategorie:Idealismus]][[Kategorie:Deutscher_Idealismus]][[Kategorie:Philosophie und Anthroposophie]]
[[Kategorie:Philosophie]][[Kategorie:Philosophie und Anthroposophie]]

Version vom 10. September 2015, 13:26 Uhr

Raffaels Schule von Athen mit den idealisierten Darstellungen der Gründerväter der abendländischen Philosophie. Obwohl seit Platon vor allem eine Sache der schriftlichen Abhandlung, ist das angeregte Gespräch bis heute ein wichtiger Bestandteil des philosophischen Lebens.

In der Philosophie (griech. φιλοσοφία, lat. philosóphia, wörtlich „Liebe zur Weisheit“) wird versucht, die Welt und die menschliche Existenz zu deuten und zu verstehen.

Von anderen Wissenschaften unterscheidet sie sich dadurch, dass sie sich nicht auf ein spezielles Gebiet oder eine bestimmte Methodologie begrenzt, sondern durch die Art ihrer Fragestellungen und ihre besondere Herangehensweise an ihre vielfältigen Gegenstandsbereiche charakterisiert ist.

In diesem Artikel wird die westliche (auch: abendländische) Philosophie, die im 6. Jahrhundert v. Chr. im antiken Griechenland entstand, behandelt. Hier nicht behandelt werden die mit der abendländischen Philosophie in einem mannigfaltigen Zusammenhang stehenden Traditionen der jüdischen und der arabischen Philosophie sowie die ursprünglich von ihr unabhängigen Traditionen der afrikanischen und der östlichen Philosophie.

In der antiken Philosophie entfaltete sich das systematische und wissenschaftlich orientierte Denken. Im Lauf der Jahrhunderte differenzierten sich die unterschiedlichen Methoden und Disziplinen der Welterschließung und der Wissenschaften direkt oder mittelbar aus der Philosophie, zum Teil auch in Abgrenzung zu irrationalen oder religiösen Weltbildern oder Mythen.

Kerngebiete der Philosophie sind die Logik (als die Wissenschaft des folgerichtigen Denkens), die Ethik (als die Wissenschaft des rechten Handelns) und die Metaphysik (als die Wissenschaft der ersten Gründe des Seins und der Wirklichkeit). Weitere Grunddisziplinen sind die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, die sich mit den Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns im Allgemeinen bzw. speziell mit den Erkenntnisweisen der unterschiedlichen Einzelwissenschaften beschäftigen.

Rudolf Steiners philosophiegeschichtlicher Abriss in GA 108 (1908): Von Aristoteles bis Kant

"Philosophie müssen Sie überhaupt nicht als etwas ansehen, was Sie absolut nehmen dürfen. Philosophie ist etwas, was im Laufe der Menschheitsentwickelung erst entstanden ist, und wir können sozusagen sehr leicht die Geburtsstunde der Philosophie angeben, denn diese Geburtsstunde der Philosophie ist im Grunde genommen eigentlich in jeder Geschichte der Philosophie mehr oder weniger richtig angegeben. Man hat in neuerer Zeit manches eingewendet gegen die Tatsache, daß jede Philosophiegeschichte mit Thales beginnt, also mit dem ersten Aufleuchten der Philosophie in Griechenland; und man hat gemeint, daß man auch die Philosophie über diese Zeit hinaus nach rückwärts verfolgen könne. Das ist nicht richtig. Was man mit Fug und Recht «Philosophie» nennt, beginnt in Wirklichkeit mit der griechischen Philosophie. Morgenländische Weisheit und morgenländisches Wissen sind nicht das, was man im eigentlichen Sinne mit «Philosophie» bezeichnen sollte. Wenn wir von den großen philosophischen Intuitionen, wie sie bei Heraklit, bei Thales, später bei Sokrates in einer anderen Weise auftreten, absehen und gleich gehen auf die Philosophie, soweit sie uns in einem geschlossenen Weltgebäude, in einem geschlossenen Gedankengebäude entgegentritt, so ist nicht etwa Pythagoras der erste Philosoph. Denn Pythagoras ist in einer gewissen Beziehung noch ein intuitiver Seher, der zwar vielfach in philosophischen Formen ausdrückt, was er zu sagen hat; aber im eigentlichen Sinne ein philosophisches System ist das pythagoräische System nicht, ebensowenig wie das platonische. Ein philosophisches System im wahren Sinne des Wortes ist erst das große System - als philosophisches System -, welches Aristoteles im 4. Jahrhundert vor Christus aufgebaut hat. Man muß sich über diese Dinge erst einmal orientieren.

Wenn Aristoteles als der erste Philosoph bezeichnet wird und Plato noch als halber Seher angesehen wird, so geschieht das deshalb, weil Aristoteles der erste ist, der bloß aus der Quelle der Philosophie heraus schöpfen muß, nämlich aus der Quelle des Denkens in Begriffen. Das war natürlich alles lange Zeit vorbereitet; es war nicht so, daß er nun alle Begriffe erst selber hätte schaffen müssen; seine Vorläufer haben ihm in dieser Beziehung nicht unerheblich vorgearbeitet. Aber in Wahrheit gibt Aristoteles in einer gewissen Beziehung gerade das, was zum Beispiel Gegenstand der Mysterien war, zum ersten Male nicht in der alten seherischen Form, sondern er gibt alles, was er gibt, in der begrifflichen Form. Und so wird auch der, der in der Philosophie sich orientieren will, zurückgehen müssen bis zu Aristoteles. Er wird bei ihm alle die Begriffe finden, die aus anderen Erkenntnisquellen der früheren Zeiten gewonnen worden sind, aber sie verarbeitet und aufgearbeitet finden zu einem begrifflichen System. Vor allen Dingen ist bei Aristoteles der Ausgangspunkt zu suchen einer - nennen wir es «Wissenschaft» -, einer Wissenschaft, welche in dieser Gestalt innerhalb der Menschheitsentwickelung früher nicht existiert hat und auch nicht hätte entstehen können. Wer die Menschheitsentwickelung in dieser Weise verfolgen kann mit den Mitteln der Geisteswissenschaft, der weiß, daß vor Aristoteles - natürlich ist das alles mit dem berühmten Gran Salz zu verstehen - eine aristotelische Logik so nicht denkbar war, weil erst Aristoteles eine entsprechende Denktechnik, eine Logik, geschaffen hat. Solange in den Mysterien die höhere Weisheit direkt mitgeteilt wurde, bedurfte man keiner Logik. Aristoteles ist nun in einer gewissen Weise auch der unerreichte Meister der Logik. Im Grunde hat trotz aller Anstrengungen des 19. Jahrhunderts die Logik in allen wesentlichen Punkten nicht viele Fortschritte gemacht über das hinaus, was Aristoteles bereits gegeben hat.

Es würde heute zu weit führen, wollte ich Sie auf die Gründe hinweisen, warum Philosophie erst in dieser Zeit, in der Zeit des Aristoteles, in die Menschheit eintreten konnte. Durch die Anthroposophie wird es für viele allmählich begreiflich werden, warum ein ganz bestimmtes Zeitalter für die Begründung der Philosophie notwendig war.

Wir sehen sodann, wie Aristoteles für lange Zeiten der tonangebende Philosoph ist und mit kurzen Unterbrechungen - die für den heutigen Menschen mehr als Unterbrechungen erscheinen, als daß sie es wirklich waren - es bis zum heutigen Tage bleibt. Alle, die auf anderen Gebieten tätig sind, sagen wir im Gnostizismus, Platonismus, oder in den Kirchenlehren des ersten Christentums, sie verarbeiteten die aristotelischen Gedankenkünste. Und in wunderbarer Weise breitet sich das, was Aristoteles der Menschheit gegeben hat als das formale Element des Denkens, auch im Abendlande aus, wo das, was die Kirche zu sagen hat, mehr oder weniger in die Formen gekleidet wird, die Aristoteles in seiner Denktechnik gegeben hat. Wenn auch in den ersten Jahrhunderten der Ausbreitung des Christentums die Philosophie des Aristoteles noch in sehr mangelhafter Form im Abendlande verbreitet war, so liegt das im wesentlichen daran, daß man die Schriften des Aristoteles nicht in der Ursprache hatte. Aber man dachte im Sinne der von Aristoteles ausgearbeiteten Denktechnik.

In anderer Art hat Aristoteles im Morgenlande Verbreitung gefunden, um dann, auf dem Umwege über die Araber, wiederum in das Abendland zu kommen. So ist Aristoteles auf zwei Arten im Abendlande heimisch geworden: erstens durch die christliche Strömung und zweitens durch die Strömung, die nach und nach durch die Araber in die Kultur des Abendlandes eingeflossen ist. In diese Zeit hinein fällt jene große Pflege des aristotelischen Denkens, welche den eigentlichen Höhepunkt in der Philosophie des Mittelalters darstellt, nämlich die erste Form dessen, was man «Scholastik» nennt, speziell «Frühscholastik». Die Scholastik ist im wesentlichen dazu dagewesen, eine Philosophie des Christentums zu sein. Sie war aus zwei Gründen genötigt, den Aristoteles in sich aufzunehmen: Erstens aus den alten Traditionen heraus, weil man überhaupt gewohnt war, Aristoteles zu kennen; auch die Platoniker und Neuplatoniker waren mehr dem Inhalt nach Platoniker; in ihrer Gedankentechnik waren sie vielfach Aristoteliker. Aber auch aus einem anderen Grunde war es notwendig, daß sich die Scholastik auf Aristoteles stützte, nämlich weil die Scholastik in die Notwendigkeit versetzt war, gegen die Einflüsse des Arabismus und damit gegen die morgenländische Mystik aufzutreten, so daß wir also im elften, zwölften, dreizehnten Jahrhundert innerhalb der Scholastik die Aufgabe finden, das Christentum gegenüber der arabischen Gedankenwelt philosophisch zu rechtfertigen. Es kamen die arabischen Gelehrten mit dem wunderbar ausziselierten aristotelischen Wissen und versuchten von den verschiedensten Positionen aus, das Christentum anzugreifen. Wollte man das Christentum verteidigen, so mußte man zeigen, daß sich die Araber der Instrumente, deren sie sich bedienten, in einer unrichtigen Weise bedienten. Es handelte sich dabei darum, daß die Araber sich den Anschein gaben, daß nur sie allein die richtige Denkweise des Aristoteles hatten und deshalb von dieser richtigen Denkweise des Aritoteles aus ihre Angriffe gegen das Christentum richteten. In der Auslegung der Araber erschien es so, als ob der, der auf dem Boden des Aristoteles stehe, notwendig ein Gegner des Christentums sein müsse.

Diesem Bestreben gegenüber erhob sich die Philosophie des Thomas von Aquino. Diesem handelte es sich darum, zu zeigen, daß, wenn man den Aristoteles richtig versteht, man gerade mit Hilfe des aristotelischen Denkens das Christentum rechtfertigen kann. So war es nach der einen Seite die Tradition, in aristotelischer Denktechnik zu verfahren, auf der anderen Seite die Notwendigkeit, gegen das anstürmende Arabertum gerade diese Denktechnik des Aristoteles in der richtigen Weise zu handhaben, was sich in der Philosophie des Thomas von Aquino ausdrückte.

So finden wir eine eigentümliche Synthese des aristotelischen Denkens in dem, was in der ersten Zeit das Wesen der scholasti- sehen Philosophie ausmacht, einer Philosophie, die viel verlästert, heute aber wenig mehr verstanden wird. Sehr bald kam dann die Zeit, in der man die scholastische Philosophie nicht mehr verstand. Und dann kamen alle möglichen Ausartungen der Scholastik, zum Beispiel diejenige Ausartung, die man gewöhnlich bezeichnet als die Geistesströmung des «Nominalismus», während die frühe Scholastik «Realismus» war. Diesem Nominalismus ist es zuzuschreiben, daß die Scholastik sich bald überlebte und in Mißkredit und Vergessenheit geriet. Der Nominalismus ist in einem gewissen Sinne der Vater alles modernen Skeptizismus.

Es ist ein merkwürdiges Gewirr von philosophischen Strömungen, die wir heraufkommen sehen gegen unsere neuere Zeit hin, die alle im Grunde gegen die Scholastik strömen. Wir sehen noch einige Geister, die fest und tüchtig in der aristotelischen Gedankentechnik stehen, die aber gegen das anstürmende Neuzeitliche nicht mehr ganz geschützt sind. Zu diesen gehört Nikolaus Cusanus. Wir sehen dann aber, wie das letzte, was sich retten läßt von dieser philosophisch-methodischen Grundlage, Cartesius rettet. Und wir sehen auf der anderen Seite, wie alle die guten Elemente des Arabismus - jener Art von Philosophieen, welche mehr west-orientalisches Sehen verknüpft haben mit dem Aristotelismus -, sich verschränkt haben mit jener Denktechnik, die wir die «kabbalistische» nennen. Zu den Vertretern dieser Richtung zählt Spinoza, der nicht anders zu verstehen ist, als wenn man ihn angliedert einerseits an den Westorientalismus und andererseits an den Kabbalismus. Alles andere Reden über Spinoza ist ein Reden, bei dem man keinen Boden unter den Füßen hat.

Dann aber machte sich der «Empirismus» mit Macht breit, besonders unter der Ägide Lockes und Humes. Und dann sehen wir, wie die Philosophie sich immer mehr gegenübergestellt findet den rein äußeren materiellen Forschungen - der Naturwissenschaft -, und wie sie stückweise vor dieser Art des Forschens zurückweicht. Wir sehen dann, wie sich die Philosophie verfängt in einem Netz, aus dem sie sich fast nicht mehr herauszuwinden vermag. Das ist ein wichtiger Punkt, an dem sich die Philosophie der neueren Zeit ver- fängt, nämlich bei Kant! Und wir sehen in der nachkantischen Zeit, wie große Philosophen auftreten, wie Fichte, Schelling, Hegel wie eine Art Meteore auftreten, wobei sie aber von ihrem eigenen Volke am schlechtesten verstanden werden. Und wir sehen, wie ein kurzes, seltsames Herumbalgen in den Gedanken stattfindet, um herauszukommen aus dem Netz, in das der Kantianismus die Philosophen hineinverfangen hat, wie unmöglich es für die Philosophie ist, da herauszukommen, und wie gerade das deutsche Denken an einem in den verschiedensten Varianten auftretenden Kantianismus krankt, wie sogar auch alle schönen und großen Ansätze, die gemacht werden, an dem Kantianismus kranken. So sehen wir in der ganzen neueren Philosophie einen Mangel auftreten, der zwei Quellen hat: Die eine zeigt sich darin, daß bei unseren philosophischen Lehrstühlen, die glauben, sich mehr oder weniger von dem Kantianismus freigemacht zu haben, die Leute doch immer noch in den Schlingen Kants zappeln; die andere zeigt sich darin, daß die Philosophie an einer gewissen Unmöglichkeit leidet, ihre Position, die sie als Philosophie verteidigen müßte, gegen die sehr kurzsichtige Naturwissenschaft zu behaupten.

Nicht früher, als bis sich unsere Philosophie befreit haben wird von den Netzen des Kantianismus und von all dem, wodurch die Philosophie Halt macht vor der anstürmenden Naturwissenschaft, nicht früher, als bis unsere besser gesinnten Elemente erkennen, wie sie über diese beiden Klippen, die sich ihnen in den Weg stellen, hinwegkommen können, ist irgendein Heil auf philosophischem Felde zu erwarten. Daher bietet auch das philosophische Feld insbesondere innerhalb Deutschlands ein wirklich trauriges Bild, und es ist im höchsten Grade jammervoll zu sehen, wie zum Beispiel die Psychologie Stück für Stück zurückweicht, wie zum Beispiel heute Menschen, die eigentlich nicht imstande sind, anderes zu tun, als elementare Dinge ein wenig in philosophischer Weise zu verarbeiten, aber dabei nicht über gewisse Trivialitäten hinauskommen, ein riesiges Ansehen haben, wie zum Beispiel Wundt. Auf der anderen Seite wieder muß man sehen, daß Geister wie zum Beispiel Fechner - der anregend sein könnte, wenn die Menschen ein Urteil dafür hätten -, daß ein solcher von denen, die die reinen Dilettanten sind, angesehen wird wie ein neuer Messias. Das mußte notwendig so kommen und soll keine Kritik sein.

Ausgehen möchte ich nun von einem Begriff, der so recht zusammenhängt mit dem Netz, worin sich die Philosophie seit Kant verfangen hat, der das Grundübel des philosophischen Geistes ist, ein Übel, das mit den Worten gekennzeichnet werden kann: Die Philosophie ist ganz und gar dem Subjektivismus verfallen!" (Lit.: GA 108, S. 169ff)

Der Vortrag setzt fort mit einer Besprechung der Philosophie Kants.

Literatur

Rudolf Steiner: Die Beantwortung von Welt- und Lebensfragen durch Anthroposophie, GA 108 (1986), ISBN 3-7274-1081-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org

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