Physiognomik

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Die Physiognomik (von griech. φύσις, physis = "Natur, Gestalt, Körper" und γνώμη, gnōmē = "Erkenntnis, Wissen") versucht die äußere Erscheinung des Menschen in seinen weitgehend dauerhaft geprägten Formen, insbesondere die charakteristische individuelle Formung seiner Gesichtszüge, die Physiognomie, so zu lesen, dass sich dadurch grundlegende und wenig veränderliche seelische Eigenschaften offenbaren sollen. Sie unterscheidet sich dadurch von der Mimik, die den durch die Gesichtsmuskeln bedingten flüchtigen Ausdruck spontaner, schnell vergänglicher seelischer Regungen studiert.

Nachdem die Physigomik im 19. und 20. Jahrhundert häufig zur pseudowissenschaftlichen Fundierung des Rassismus missbraucht wurde, ist die Physignomik stark in Misskredit geraten. Tatsächlich kann es nach Rudolf Steiner keine Physiognomik als allgemeine Wissenschaft geben. Die Gestalt des Menschen ist individuell geprägt und lässt sich nicht in allgemeine Gesetze fassen. Dabei ist vor allem auch zu berücksichtigen, dass der Mensch durch wiederholte Erdenleben (Reinkarnation) hindurch geht. So ist etwa die Formung des Schädels sehr wesentlich durch die vorangegangene Inkarnation bestimmt:

"Was wir durchfeuert haben in der Empfindungsseele mit jener Leidenschaft, die erglühen kann für hohe sittliche Ideale, was wir so in die Empfindungsseele gegossen haben und was wir mitnehmen können durch die Pforte des Todes, das können wir hinübertragen in das neue Leben, und da kann es die mächtigste plastische Kraft entwickeln. Wir sehen im neuen Leben in der Schädelbildung, in den verschiedenen Erhöhungen und Vertiefungen des Schädels zum Ausdruck kommen, was wir an hohen sittlichen Idealen uns erarbeitet haben. - So sehen wir herüberleben bis in die Knochen hinein dasjenige, was der Mensch aus sich gemacht hat; daher müssen wir auch erkennen, daß alles, was sich auf die Erkenntnis der eigentlichen Knochenbildung des Schädels bezieht, auf die Erkenntnis der Erhöhungen und Vertiefungen im Schädelbau, daß das schließen läßt auf den Charakter, daß das individuell ist. Es ist Hohn, wenn man glaubt, allgemeine Schemen, allgemeine typische Grundsätze aufstellen zu können für die Schädelkunde. Nein, so etwas gibt es nicht. Für jeden Menschen gibt es eine besondere Schädelkunde; denn dasjenige, was er als Schädel mitbringt, bringt er sich aus vorhergehenden Leben mit, und das muß man bei jedem Menschen erkennen. So gibt es hierfür keine allgemeine Wissenschaft. Nur Abstraktlinge, die alles auf Schemen bringen wollen, die können Schädelkunde im allgemeinen Sinn begründen; wer da weiß, was den Menschen bis in die Knochen hinein formt, wie das eben geschildert wurde, der wird nur von einer individuellen Erkenntnis am Knochenbau des Menschen sprechen können. Damit haben wir auch etwas in dieser Schädelbildung, was bei jedem Menschen anders ist, und wofür wir den Grund nimmer im Einzelleben finden. In der Schädelbildung können wir greifen dasjenige, was man Wiederverkörperung nennt; denn in den Formen des menschlichen Schädels greifen wir, was der Mensch in früheren Leben aus sich gemacht hat. Da wird Reinkarnation oder Wiederverkörperung handgreiflich. Man muß nur erst wissen, wo man die Dinge in der Welt aufzugreifen hat." (Lit.: GA 058, S. 175f)

Eine gesunde künstlerische goetheanistische Physiognomik kann nur entstehen, wenn man sich ohne weitere begriffliche Bestimmung, d.h. völlig vorurteilslos, durch aufmerksame Beobachtung so lange in die reine Bildgestalt eines Menschen oder auch eines Tieres versenkt, bis sich das in den Formen gestaltend wirkende Wesen von selbst auszusprechen beginnt. Eine solche Betrachtung kann insbesonders für Pädagogen sehr fruchtbar sein.

"Es müßte eigentlich gerade unter Pädagogen eine gesunde künstlerische Physiognomik, nicht nur Physiognomik für Menschen, sondern zum Beispiel auch Physiognomik des Tierischen wieder aufleben, eine gesunde, nicht etwa die sentimentale Lavatersche Physiognomik und dergleichen, sondern eine gesunde Physiognomik, wo das Bildhafte aufgesucht wird, ohne daß man bis zur Abgeschlossenheit des Begriffes geht, daß man im Bilde bleibt, zufrieden ist damit, wenn man die Dinge bis zum Bilde gebracht hat, es müßte eine solche gesunde Physiognomik wiederum aufleben, und sie wird dann schon von selber in allerlei Vornahmen, in allerlei Prozesse, die der Lehrer während der Unterrichtsstunde entwickelt, eben übergehen. Nirgends so sehr soll ja gesehen werden auf das Wie und nicht so sehr auf das Was, als gerade beim Unterricht und der Erziehung." (Lit.: GA 302a, S. 97)

Siehe auch

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Metamorphosen des Seelenlebens – Pfade der Seelenerlebnisse. Erster Teil, GA 58 (1984), ISBN 3-7274-0585-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis, GA 302a (1993), ISBN 3-7274-3025-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.