imported>Joachim Stiller |
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| Das '''Erwachen am anderen Menschen''' ist ein Bedürfnis, das im gegenwärtigen [[Bewusstseinsseelenzeitalter]], namentlich seit Beginn des [[20. Jahrhundert]]s, immer stärker wird. [[Rudolf Steiner]] hat es auch als ein '''zweites Erwachen''' bezeichnet, das über das [[Erwachen]] zum alltäglichen [[Gegenstandsbewusstsein]] hinausführt.
| | == Beschreibung == |
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| Durch das Gegenstandsbewusstsein sieht sich der [[Mensch]] der äußeren [[Natur]] gegenübergestellt. Auch den anderen Menschen steht er zunächst äußerlich gegenüber. Er sieht ihre äußere [[Gestalt]], ihre [[Mimik]] und [[Gestik]], hört ihre [[Sprache]]. An diesem [[Erleben]] der [[sinnlich]]en [[Außenwelt]] entzündet sich zugleich sein [[Selbstbewusstsein]], indem er sich durch sein [[Denken]], [[Fühlen]] und [[Wollen]] seiner eigenen [[Seele|seelischen]] [[Innenwelt]] bewusst wird. Durch sein [[Mitgefühl]] findet er er bereits eine [[gefühl]]smäßige Brücke zu seinen Mitmenschen - eine Entwicklung, die bereits in der [[Griechisch-Lateinische Kultur|griechisch-lateinischen Zeit]] begann. Heute ist, als Steigerung dieser Fähigkeit, ein volles Erwachen am [[Geist]]igen und [[Seele|Seelischen]] des anderen Menschen möglich, ein Erwachen an dessen wirklichem [[Wesen]], mit dem man sich [[Karma|karmisch]] verbunden fühlt.
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| {{GZ|Mit dem Erwachen der Bewußtseinsseele, mit dem Entfalten der Bewußtseinsseele
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| ist in dieser Beziehung ein neues Element hereingetreten
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| ins Menschenleben. Da muß es nämlich noch ein zweites Erwachen
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| geben, und dieses zweite Erwachen wird immer mehr und mehr als ein
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| Bedürfnis der Menschheit auftreten: Das ist das Erwachen an Seele
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| und Geist der andern Menschen. Im gewöhnlichen wachen Tagesleben
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| erwacht man ja nur an der Natur des andern Menschen; aber an Seele
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| und Geist des andern Menschen will der Mensch erwachen, der selbständig,
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| der persönlich durch das Bewußtseinszeitalter geworden ist.
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| Er will an Seele und Geist des andern Menschen erwachen, er will dem
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| andern Menschen entgegentreten so, daß der andere Mensch in seiner
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| eigenen Seele einen solchen Ruck hervorbringt, wie es gegenüber dem
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| Traumleben das äußere Licht, das äußere Geräusch und so weiter hervorbringt.
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| Dieses Bedürfnis ist einmal ein ganz elementares seit dem Beginne
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| des 20. Jahrhunderts und wird immer stärker werden. Das ganze 20. Jahrhundert hindurch wird, trotz allem seinem chaotischen, tumultuarischen
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| Wesen, das die ganze Zivilisation durchsetzen wird, dieses als
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| Bedürfnis aufzeigen: es wird sich einstellen das Bedürfnis, daß Menschen
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| an dem andern Menschen in einem höheren Grade werden erwachen
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| wollen, als man erwachen kann an der bloßen natürlichen
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| Umgebung. Traumleben, es erwacht an der natürlichen Umgebung zum
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| wachen Tagesleben. Waches Tagesleben, es erwacht am andern Menschen,
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| an Seele und Geist des andern Menschen zu einem höheren Bewußtsein.
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| Der Mensch muß mehr werden, als er dem Menschen immer
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| war. Er muß ihm zu einem weckenden Wesen werden. Die Menschen
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| müssen sich näherkommen, als sie sich bisher gestanden haben: zu
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| einem weckenden Wesen muß jeder Mensch, der einem andern entgegentritt,
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| werden. Dazu haben eben die modernen Menschen, die ins
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| Leben jetzt hereingetreten sind, viel zu viel Karma aufgespeichert, als
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| daß sie nicht ihr Schicksal verbunden fühlen würden, ein jeder mit
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| dem, der ihm im Leben als anderer Mensch entgegentritt. Wenn man in
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| frühere Zeitalter zurückgeht, da waren die Seelen jünger, da haben sie
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| weniger karmische Zusammenhänge gehabt. Jetzt tritt eben die Notwendigkeit
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| ein, daß man nicht nur durch die Natur erweckt wird,
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| sondern durch die Menschen, die mit einem karmisch verbunden sind
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| und die man suchen will.|257|176f}}
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| Dadurch wird heute eine neue Art von [[Gemeinschaft]]sbildung möglich, eine spirituelle Gemeinschaftsbildung, wie sie etwa in der [[GA 257|anthroposophischen Gemeinschaftsbildung]] gepflegt werden soll. Dadurch kann zugleich eine neue Form des [[Kultus]] entstehen, eine Art [[umgekehrter Kultus]], durch den sich eine gemeinsam geistig strebende Gemeinschaft so in die [[geistige Welt]] erhebt, dass in ihrer Mitte auch höhere [[geistige Wesen]] wirksam anwesend sein können.
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| {{GZ|Und so gibt es außer jenem Bedürfnis nach Erinnerung an die übersinnliche
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| Heimat, die durch den Kultus befriedigt werden kann, das
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| andere Bedürfnis, sich erwecken zu lassen zum Geistig-Seelischen durch
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| den andern Menschen. Und der Gefühlsimpuls, der da wirksam sein
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| kann, der ist der des neueren Idealismus. Wenn das Ideal aufhört, ein
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| bloßes abstraktes zu sein, wenn es lebendig verwurzelt sein wird wiederum
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| mit dem menschlich Seelisch-Geistigen, dann wird es eben die
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| Form annehmen: Ich will erwachen an dem andern Menschen. - Das
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| ist schließlich ganz im Unbestimmten das Gefühl, das durch die Jugend
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| heute sich einstellt: Ich will erwachen an dem andern Menschen. Und
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| das ist es, was als besonderes Gemeinschaftsleben in der Anthroposophischen
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| Gesellschaft gepflegt werden kann, was sich da auf die natürlichste
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| Weise von der Welt einstellt. Denn, wenn eine Menschengruppe
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| sich zusammenfindet, um gemeinsam zu erleben dasjenige, was aus der
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| übersinnlichen Welt heraus durch die Anthroposophie geoffenbart werden
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| kann, dann ist dieses Erleben in einer Menschengruppe eben etwas
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| anderes als das einsame Erleben. Daß man erwacht an der Seele des
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| andern in dem Momente, wo man zusammen ist, das gibt eine Atmosphäre
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| ab, die nicht etwa in die übersinnliche Welt hineinführt so, wie
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| es in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» beschrieben
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| ist, die aber das Verständnis der Ideen fördert, welche durch anthroposophische
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| Geisteswissenschaft von der übersinnlichen Welt gegeben
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| werden.|257|177f}}
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| [[Datei:GA257 179.jpg|center|600px|Zeichnung aus Rudolf Steiners Vortrag in Dornach, am 3. März 1923, Klartextnachschrift des 9. Vortrags aus GA 257, S. 20 (Tafel 1)]]
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| {{GZ|Durch den Kultus wird das Übersinnliche in Wort
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| und Handlung heruntergeholt in die physische Welt. Durch den anthroposophischen
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| Zweig werden die Gedanken und Empfindungen der
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| Anthroposophengruppe hinauferhoben in die übersinnliche Welt. Und
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| wenn in der richtigen Gesinnung erlebt wird der anthroposophische
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| Inhalt von einer Menschengruppe, wobei Menschenseele an Menschenseele
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| erwacht, wird tatsächlich diese Menschenseele erhoben zur Geistgemeinschaft.
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| Nur handelt es sich darum, daß dieses Bewußtsein wirklich
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| vorhanden ist. Wenn dieses Bewußtsein vorhanden ist und solche
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| Gruppen in der Anthroposophischen Gesellschaft auftreten, dann ist in
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| diesem, wenn ich so sagen darf, umgekehrten Kultus, in dem andern
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| Pol des Kultus, etwas Gemeinschaftsbildendes im eminentesten Sinne
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| vorhanden. Man möchte sagen, wenn man bildlich sprechen will: Die
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| Kultgemeinde versucht die Engel des Himmels zu veranlassen, herunterzugehen
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| in den Kultraum, damit sie unter den Menschen seien.
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| Die anthroposophische Gemeinde versucht, die Menschenseelen zu erheben
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| in die übersinnliche Welt, damit sie unter die Engel kommen.
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| Das ist in beiden das gemeinschaftsbildende Element.
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| Aber wenn Anthroposophie dem Menschen etwas sein soll, was
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| wirklich in die übersinnliche Welt führt, dann darf sie nicht Theorie,
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| nicht Abstraktion sein. Dann darf man nicht bloß von geistigen Wesen
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| reden, sondern man muß die nächsten, die unmittelbarsten Gelegenheiten
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| aufsuchen, um mit geistigen Wesen zusammenzusein. Die Arbeit
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| einer anthroposophischen Gruppe besteht nicht bloß darin, daß eine
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| Anzahl von Menschen über anthroposophische Ideen reden, sondern
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| daß sie sich als Menschen so vereinigt fühlen, daß Menschenseele an
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| Menschenseele erwacht und die Menschen hinaufversetzt werden in die
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| geistige Welt, so daß sie wirklich unter geistigen Wesen sind, wenn
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| auch vielleicht ohne Schauen. Auch wenn das in der Anschauung nicht
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| da ist, im Erleben kann es da sein. Und das ist dann das Stärkende, das
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| Kräftigende, das aus den Gruppen hervorgehen kann, die mit richtiger
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| Gemeinschaftsbildung eben entstanden sind innerhalb der Anthroposophischen
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| Gesellschaft.|257|179f}}
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| == Literatur == | |
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| * [[Friedrich Benesch]]: ''Das Religiöse der Anthroposophie. Der kosmische, der umgekehrte Kultus'', Die Pforte, Basel 1985, ISBN 978-3856360696
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| * Gerhard von Beckerath: ''Gespräch als Kultus: Wiederkunft, Christlicher Einweihungsweg, Bruderschaft'', Verlag am Goetheanum, Dornach 2005, ISBN 978-3723512388
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| * [[Günter Röschert]]: ''Das freie Erkenntnisgespräch als umgekehrter Kultus'', Verlag für Anthroposophie, Dornach 2010, ISBN 978-3037690277
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| * [[Herbert Ludwig]]: ''Das anthroposophische Erkenntnisgespräch als "umgekehrter Kultus"'', Verlag Ch. Möllmann, Borchen 2011, ISBN 978-3899791334
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| * [[Rudolf Steiner]]: ''Anthroposophische Gemeinschaftsbildung'', [[GA 257]] (1989), ISBN 3-7274-2570-9 {{Geschichte|257}} {{Vorträge1|144}}
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| * [[Rudolf Steiner]]: ''Vortrag'' in Dornach, am 3. März 1923, Klartextnachschrift des 9. Vortrags aus [[GA 257]] [http://www.steiner-klartext.net/pdfs/19230303b-01-01.pdf pdf]
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| {{GA}}
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| [[Kategorie:Anthroposophie]] [[Kategorie:Bewusstsein]] [[Kategorie:Bewusstseinsseele]] [[Kategorie:Intuitionsseele]]
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| [[Kategorie:Kultus]]
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