Anthroposophie-basierte Psychotherapie

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Anthroposophie-basierte Psychotherapie (AbP) ist ein psychotherapeutisches Konzept, das von den Psychiatern und Psychotherapeuten Markus Treichler und Dr.med. Johannes Reiner entwickelt wurde. Die wesentlichen Grundlagen sind die Anthroposophie Rudolf Steiners, die philosophische Anthropologie und die Anthropologische Psychiatrie (V. E. v. Gebsattel, H. Tellenbach, W. Blankenburg u. a.)[1][2][3], die Phänomenologie und die Hermeneutische Philosophie von Hans-Georg Gadamer[4]; außerdem Jahrzehnte an reflektierter und weiter entwickelter beruflicher Erfahrung in Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der beiden Autoren.

Anthroposophie-basierte Psychotherapie ist eine seelenspezifische Psychotherapie. Sie orientiert und richtet sich primär an die Seele des zur Therapie kommenden Menschen. Sie ist insofern nicht störungsspezifisch. Jedes Leiden hat ein Beschwerdebild und eine Entstehungsgeschichte, es ereignet sich innerhalb der Biografie. Im Laufe der Biografie entfaltet sich die sich dynamisch entwickelnde innere Haltung des Menschen.

Neben den allgemeinen Wirkfaktoren der therapeutischen Beziehung und Haltung gibt es in der Anthroposophie-basierten Psychotherapie spezifische Interventionen, die am Beschwerdebild orientiert sind und dieses therapeutisch beeinflussen. Sie sind Teil der Therapie und eingebettet in einen psychotherapeutischen Weg, der sich aus Begegnung und Beziehung, aus Gespräch, Besinnung und Haltung bildet und im Patienten Einsichten, Motive und Veränderungen ermöglichen kann.

Diese neue psychotherapeutische Richtung kann in Kursen am Anthroposophie-basierte Psychotherapie IAbP in Stuttgart erlernt werden. Die Ausbildung umfasst Unterricht und Schulung der TherapeutInnen in Grund- und Aufbaukursen mit Fallbesprechungen, Intervision, Introvision (meditative Übungen, Spiritualität) und Supervision.

Grundlagen

In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelten sich im deutschen Sprachraum die Richtungen der Analytischen Psychologie (C. G. Jung), der Individualpsychologie (A. Adler) und der Tiefenpsychologie/Psychoanalyse (S. Freud), sowie in den USA die Verhaltenspsychologie (J. B. Watson). Aus diesen vier Psychologie-Richtungen entwickelten sich die großen Psychotherapien des 20. Jahrhunderts mit wichtigen Weiterentwicklungen und Ergänzungen im gegenwärtigen Jahrhundert. Rudolf Steiner bezeichnete es 1924 im Anschluss an den Heilpädagogischen Kurs als eine anthroposophische Aufgabe, die Psychologie aus der Bewusstseinsseele heraus neu zu begründen, sie sollte aber keine neue Theorie, sondern eine spirituelle Betätigung werden. Die Anthroposophie-basierte Psychotherapie stellt erstmals ein vollständiges Konzept einer eigenständigen Psychotherapie vor, die von ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten als Ergänzung ihres psychotherapeutischen Spektrums erlernt und angewendet werden kann.

Methoden

Für Psychotherapie ist das Gespräch das Medium der therapeutischen Arbeit, die therapeutische Beziehung ein wesentlicher allgemeiner therapeutischer Wirkfaktor. Anthroposophie-basierte Psychotherapie ist eine Psychotherapie aus der Bewusstseinsseele und damit primär eine Therapie der inneren Haltung, die dem Erleben und dem Verhalten des Menschen vorausgeht. Innere Haltung veranlasst, prägt und bewertet unser Erleben und Verhalten. Dies geschieht zwar oft unbewusst, ist aber immer bewusstseinsfähig und insofern ein angemessener Ansatzpunkt für eine Psychotherapie, die das reflektierende Welt- und Selbstbewusstsein des Menschen ansprechen möchte.

Neben Sprache und Gespräch als Elemente des Erkennens und Reflektierens und neben der therapeutischen Beziehung als Gestaltungselement der therapeutischen Situation ist für die Anthroposophie-basierte Psychotherapie die therapeutische Haltung ein wesentlicher Wirkfaktor. Sie gründet sich auf

  1. die annehmende, vorurteilsfreie, ganzheitliche phänomenologische Wahrnehmung des Patienten
  2. der empathische, anerkennende Einfühlung in seine Situation
  3. dem (hermeneutischen) Verstehen und
  4. dem Vertrauen in die Fähiegkeit zur Entwicklung und Reflexion

Anthroposophie-basierte Psychotherapie will den Menschen, der zur Therapie kommt, nach Möglichkeit in seiner Ganzheit wahrnehmen und ihm therapeutisch gerecht werden. Dazu lassen sich in der Anthroposophie-basierten Psychotherapie verschiedene methodische Vorgehensweisen in der Therapie beschreiben mit fünf therapeutischen Ansätzen, die alleine oder in Kombination miteinander oder nacheinander, sich jeweils ergänzend, im Lauf einer Therapie angewandt werden können. Im Einzelnen sind dabei wieder verschiedene therapeutische Methoden oder Interventionen einsetzbar, die dem Therapeuten zur Verfügung stehen und dem Patienten in seiner Situation angemessen sind.

Ziele

Die innere Haltung ist das Spezifikum der Anthroposophie-basierten Psychotherapie. Haltung ist eine wesentliche Qualität des menschlichen Daseins. Haltungen sind immer, auch wenn sie nicht in jedem Moment reflektiert werden, prinzipiell bewusstseinsfähig und der Reflexion zugänglich. Von der Haltung aus können daher auch Einstellungen über die bewusste Reflexion wieder korrigiert werden.

Die Entwicklung der Seelenglieder, der Empfindungsseele, der Verstandesseele und der Bewusstseinsseele erfolgt in Entwicklungsschritten, die nacheinander vollzogen werden und dann als Fähigkeiten zur Verfügung stehen.

Empfindungsseele ist die Fähigkeit eines weltoffenen, weltinteressierten, emotional- empfindungsmäßig betonten Seelenlebens. Die Verstandesseele entspricht einer Seelenfähigkeit des erkenntnisoffenen, wahrheitsinteressierten, rational- kritischen Weltbezuges. Die Bewusstseinsseele wird zur Fähigkeit eines gefühlvollen, klardenkenden und bewusst- intentional gestalteten Weltbezugs unter Berücksichtigung von Selbst und Welt in der jeweiligen Begegnung.

Das Leben ereignet sich in Bezügen zu Ereignissen, zu Situationen oder Dingen der Welt, wie auch in Beziehungen zu Menschen und Lebewesen allgemein. In diesen Bezügen und Beziehungen zeigt sich unsere innere Haltung. Die innere Haltung lässt sich nach der Ausprägung von Denken, Wollen und Fühlen, sowie nach der Ausprägung des Weltbezugs, des Selbstbezugs und des Sinnbezugs erleben und beschreiben.

Indikationen

Anthroposophie-basierte Psychotherapie ist nicht auf eine Methode hin spezialisiert, vielmehr orientiert sie sich patientenzentriert an der Situation des zur Therapie kommenden Menschen: seinen Anliegen und Bedürfnissen, seinem Krankheits- und Beschwerdebild, seinem Lebensalter und seiner Lebenssituation, seinen Reflexions- und Bewältigungsmöglichkeiten, seinen Ressourcen und seinen persönlichen Erwartungen und Zielen. Diese geben den therapeutischen Weg vor, nicht die Absichten des Therapeuten oder gesellschaftliche Normen.

Anthroposophie-basierte Psychotherapie kann bei den meisten psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, bei allen Formen von Krisen (biografische und zwischenmenschliche Krisen) und unterstützend auch bei körperlichen Erkrankungen angewendet werden. Ausnahmen sind akute psychotische Situationen, akute Suchterkrankungen, dementielle Syndrome, schwere Persönlichkeitsstörungen. Voraussetzungen sind Motivation, Krankheitseinsicht, Wunsch nach Verständnis oder Veränderung und Reflexionsfähigkeit der Patienten.

Ausbildung

Das Konzept Anthroposophie-basierte Psychotherapie kann in Grund- und Aufbaukursen erlernt und in Fallbesprechungen erübt werden. Zudem finden Supervisionen statt. Die Schulung des Therapeuten in Anthroposophie-basierter Psychotherapie wird ergänzt durch die Selbstschulung durch Introvision in Form von Kontemplation als meditativem Erkenntnisweg, der die Entwicklung des Denkens zur Imagination, des Fühlens zur Inspiration und des Wollens zur Intuition anregt. Diese neue psychotherapeutische Richtung kann in den Kursen am Anthroposophie-basierte Psychotherapie IAbP in Stuttgart erlernt werden.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Blankenburg, Wolfgang, 1928-2002.: Der Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit ein Beitrag zur Psychopathologie symptomarmer Schizophrenien. Parodos, 2012, ISBN 978-3-938880-57-9 (worldcat.org, abgerufen am 10. März 2019).
  2. Hubert Tellenbach: Melancholie. 1961, doi:10.1007/978-3-662-12458-1 (abgerufen am 10. März 2019).
  3. Gion Condrau: Gebsattel, Victor Emil Freiherr von. In: Personenlexikon der Psychotherapie. Springer-Verlag, Vienna, ISBN 3-211-83818-X, S. 169–170 (doi:10.1007/3-211-29396-5_94d, abgerufen am 10. März 2019).
  4. Gadamer, Hans-Georg, 1900-2002.: Truth and method. Bloomsbury Academic, 2014, ISBN 978-1-78093-624-6 (worldcat.org, abgerufen am 10. März 2019).