Staatsverschuldung

Aus AnthroWiki
Version vom 8. Dezember 2021, 09:44 Uhr von imported>Joachim Stiller

Als Staatsverschuldung bezeichnet man die zusammengefassten Schulden eines Staates, also die Verbindlichkeiten des Staates gegenüber Dritten. Die Staatsverschuldung wird in der Regel brutto ausgewiesen, das heißt, die Verbindlichkeiten des Staates werden nicht mit seinem Staatsvermögen (oder Teilen hiervon) saldiert.

Nach Eurostat ist der öffentliche Schuldenstand im Vertrag von Maastricht definiert als nominaler Brutto-Gesamtschuldenstand des Staatssektors nach Konsolidierung, also Verrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten innerhalb des Staatssektors. Der Staatssektor umfasst Zentralstaat und Extrahaushalte, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung.[1][2] Für EU-Mitglieder (und hier insbesondere Mitglieder des Euro-Systems) gilt gemäß den Maastrichter Konvergenzkriterien, dass der öffentliche Schuldenstand im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt (die sogenannte Schuldenquote) einen Wert von 60 % nicht überschreiten soll.

Allgemeines

Die Staatsverschuldung ist nicht nur ein Erkenntnisobjekt der Volkswirtschaftslehre, sondern beschäftigt auch die Wirtschaftsethik, Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft oder Öffentliche Betriebswirtschaftslehre. Als eines der Erkenntnisobjekte der Volkswirtschaftslehre befasst sich diese mit der Rolle des Wirtschaftssubjektes Staat als Schuldner. Geraten im Staatshaushalt die Staatseinnahmen und Staatsausgaben in ein Ungleichgewicht und führen zu einem Haushaltsdefizit, so kann dieses nur durch die Kreditaufnahme (etwa über Staatsanleihen) ausgeglichen werden, wenn entsprechende Kürzungen der Staatsausgaben kurzfristig nicht möglich und Steigerungen der Staatseinnahmen kurzfristig nicht zu erwarten sind. Als Staatsschulden gelten in Deutschland „alle in Geld zu erfüllenden Verpflichtungen des Bundes, soweit sie nicht der laufenden Haushaltswirtschaft angehören. Ausgenommen sind daher die im Rahmen der Kassen- und Haushaltsführung abzuwickelnden Verbindlichkeiten“.[3]

Geschichte

Die Staatsverschuldung verursachte in ihrer bis auf das Römische Reich zurückzuverfolgenden Geschichte immer wieder Krisen der Staatsfinanzen.[4] Während des römischen Reichs nahmen Regierungen jedoch nur ausnahmsweise Schulden auf, im Mittelalter hingegen begann die Hochphase der Staatsverschuldung. Insbesondere Kriegsausgaben trieben die Staatsschulden in die Höhe. Bereits im 12. Jahrhundert entwickelte sich der öffentliche Kredit, als im Jahre 1121 der italienische Stadtstaat Genua Darlehen von Bankiers zu einem Kreditzins von 25 % erhielt, der 1169 sogar auf 100 % anstieg.[5] Eduard III. nahm im Mai 1340 einen Staatskredit von einem Konsortium der Hanse gegen Verpfändung der Wollzölle aller englischen Häfen auf.[6] Der Gründung eines Marktes für Staatsschulden in Florenz im Jahre 1345 ging der Staatsbankrott der Stadt voraus. Spanien wandelte 1557 krisenbedingt seine Staatskredite einseitig in Staatsanleihen um und trieb dadurch mehrere Banken in den Konkurs.[7] Philipp II. erklärte am 29. November 1596 den Staatsbankrott Spaniens wegen übermäßiger Zinszahlungen und stellte die Zahlungen ein.[8]

Der Merkantilismus stand spätestens seit 1689 wegen seiner positiven und umfassenden Einstellung zur Staatstätigkeit der Staatsverschuldung positiv gegenüber und betrieb eine systematische langfristige Staatsverschuldung.[9] Die merkantilistische Lehre verstand die Kreditaufnahme als legitimes staatliches Deckungsmittel, weil die auf Expansion ausgerichtete Wirtschaftspolitik nur mit Hilfe von Krediten zu finanzieren war. Merkantilist Jean Bodin zählte 1583 zwar den Staatskredit nicht zu seinen sieben Quellen der Staatseinnahmen,[10] auch wenn er den öffentlichen Kredit im Zusammenhang mit den Staatsschulden behandelte. Bereits Veit Ludwig von Seckendorff als Vertreter des Kameralismus – der deutschen Version des Merkantilismus – hielt 1655 den Staatskredit bei „richtigem Gebrauch“, nicht jedoch bei „chronischer Defizitwirtschaft“ für angebracht und trat für geordnete Staatsfinanzen ein. Er lehnte die Staatsanleihe nicht völlig ab. Der französische Theologe Jean-François Melon de Pradou behauptete 1734, dass die Schulden des Staats die Schulden der rechten Hand in die linke Hand seien, wobei der dazugehörige Körper dadurch überhaupt nicht geschwächt wird (franz. les dettes d'un Etat sont des dettes de la main droite à la main gauche, dont les corps ne se trouvera point affaibli).[11]

Die Physiokraten wandten sich vom schuldenfreundlichen Merkantilismus ab und bezogen die Gegenposition. In der Folge kam David Humes Staatsschulden-Pessimismus im Jahre 1752 zum Ausdruck, denn „entweder die Nation muss die Staatsschulden vernichten oder die Staatsschulden werden die Nation vernichten“ (eng. either the nation must destroy public credit, or public credit will destroy the nation).[12] Auch bei den klassischen Ökonomen gab es eine Abkehr von der merkantilistischen Schuldenpolitik. Für Adam Smith unterstützte der Staat mit seinen Schulden nur unproduktive Arbeit, wie er 1776 in seinem Buch Der Wohlstand der Nationen schildert. Er gilt als Begründer des Crowding-out, durch das private Nachfrage durch staatliche kreditfinanzierte Nachfrage verdrängt werde, weil der Staat durch sein zinsunempfindliches Verhalten private Marktteilnehmer vom Kapitalmarkt und Gütermarkt verdränge.[13] „Die enorme Zunahme der Staatsverschuldung, die gegenwärtig alle größeren Staaten erdrückt und wahrscheinlich ihren Ruin herbeiführen wird, ist überall von gleicher Gestalt“.[14] Am 6. September 1789 schrieb der spätere US-Präsident Thomas Jefferson an James Madison: „Keine Generation darf mehr Schulden aufnehmen, als sie während der Zeit ihrer Existenz zurückzahlen kann“ (eng. Then no generation can contract debts greater then maybe paid during the course of it’s own existance).[15] Immanuel Kant forderte in seiner Schrift Zum ewigen Frieden vom September 1795, „es sollen keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel gemacht werden“, weil er im Staatskredit die Ursache für Kriege sah. Denn Staaten könnten mit dem Kredit Kriege führen und Staaten, die durch Kredit bankrottgingen, würden besiegt werden.[16]

David Ricardo sah 1817 in Staatsschulden die schrecklichste Geißel, die je zur Plage der Nationen erfunden wurde.[17] Er lieferte eine kreislauftheoretische Erklärung für die Äquivalenz von Steuer- und Kreditfinanzierung, da die vom Staat zu bezahlenden Kreditzinsen durch Steuern finanziert werden, denn die Steuer „geht nur von denen, die sie bezahlen, auf diejenigen über, die sie empfangen, d. h. vom Steuerzahler zum Staatsgläubiger“.[18] Die Nichtigkeit von Staatsschulden (Repudiation) tauchte erstmals im Mai 1841 als Folge der Baumwollkrise von 1839 in Mississippi auf, weil die betroffene Staatsanleihe parlamentarisch nicht genehmigt worden sei.[19] In Deutschland hielt Friedrich List 1841 das Staatskreditsystem für eine „der schönsten Schöpfungen der neueren Staatskunst und ein Segen für die Nationen“.[20] Jahre später bezeichnete Karl Marx 1867 die Ansicht, dass ein Volk mit zunehmender Staatsverschuldung reicher würde, als „Credo des Kapitals“.[21] Lorenz von Stein schrieb 1875 in seinem Lehrbuch der Finanzwissenschaft: „Ein Staat ohne Staatsschuld tut entweder zu wenig für seine Zukunft oder er fordert zu viel von seiner Gegenwart“.[22] Auch Adolph Wagner befürwortete im Jahre 1879 die Staatsverschuldung, weil der Staat investieren solle und die hieraus resultierenden Staatsausgaben zu finanzieren habe.[23]

Die schuldenfreundlichen Vertreter übersahen jedoch die negativen Auswirkungen, die zu Moratorien oder Staatsbankrott führen konnten. Argentinien stellte den Schuldendienst zwischen 1829 und 1857 ein, es folgte ein weiteres Moratorium im April 1987, im Januar 2001 schließlich rief das Land den Staatsnotstand aus, verbunden mit der Zahlungsunfähigkeit für Staatsanleihen im Februar 2001. Italiens Staatshaushalt ist seit Staatsgründung im Mai 1861 fast ununterbrochen durch eine hohe Staatsverschuldung gekennzeichnet.[24] Im Oktober 1861 kündigte Mexiko wegen der hohen Verschuldung ein Moratorium an, das Napoleon III. den Vorwand für eine französische Intervention im Dezember 1861 lieferte. Kolumbien erklärte zwischen 1820 und 1916 nicht weniger als 13 Staatbankrotte.[25]

John Maynard Keynes war 1936 in seinem Buch Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes davon überzeugt, dass der Staat einer Rezession mit erhöhten Staatsausgaben zu Lasten einer temporären Staatsverschuldung begegnen müsse und dadurch eine Konjunkturbelebung durch antizyklisch erhöhte staatliche Nachfrage (Defizitfinanzierung, eng. Deficit spending) bewirken könne.[26]

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Staatsverschuldung Ausmaße an, die die Ratingagenturen 1982 bewogen, die steigenden Länderrisiken mit einem Staatsrating zu bewerten. Exzessive Ausmaße erreichte die Staatsverschuldung zunächst ab März 1997 in Asien (Asienkrise), dann ab Mai 1998 während der Russlandkrise und schließlich in Europa. Sie erhöhte damit die Finanzrisiken für Gläubiger und beschwor die Gefahr von Finanzkrisen herauf. Somit waren Finanzkrisen nicht nur das Ergebnis von zunehmender Staatsverschuldung, sondern auch ihre Ursache: Die Staatsverschuldung stieg nach Finanzkrisen im Durchschnitt um 86 %.[27] Das traf auch auf die PIIGS-Staaten zu, die während der Eurokrise ab April 2010 infolge der nationalen Bankenrettung und struktureller Probleme am Rande der Zahlungsunfähigkeit standen (siehe Griechische Staatsschuldenkrise).

Volkswirtschaftliche Bedeutung

Die Bewertung der Staatsverschuldung ist in den Wirtschaftswissenschaften kontrovers: Während David Ricardo und viele seiner Zeitgenossen sie missbilligten, lässt sich aus keynesianischer Sicht eine vorübergehende Staatsverschuldung zur Glättung des Konjunkturverlaufs rechtfertigen.

Wirtschaftliche Grenzen

Staaten können sich nur begrenzt verschulden, da ab einem bestimmten Verschuldungsgrad Investoren und Gläubiger an der Rückzahlungsfähigkeit zu zweifeln beginnen. Die Einschätzung der Bonität hängt in erster Linie von der Primärüberschussquote ab, also dem Haushaltssaldo ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen, bezogen auf das BIP. Bei hoher Verschuldung sind vergleichsweise hohe Steuereinnahmen bzw. niedrige Staatsausgaben erforderlich, um die Zinszahlungen finanzieren zu können.

Für Staaten mit hoher Staatsverschuldung erhöhen sich im Allgemeinen nicht nur die Zinssätze, die die Investoren für ihre Kredite verlangen, sondern es verringert sich auch die Anzahl derjenigen Investoren, die überhaupt noch bereit sind, Geld zur Verfügung zu stellen. Ein hoch verschuldeter Staat kann in einen Teufelskreis aus immer höheren finanziellen Verpflichtungen (Zinsen und Tilgung bereits bestehender Schulden) und einem immer begrenzteren Zugang zum Finanzmarkt geraten. Dies kann mit dem Verlust der Kreditwürdigkeit oder gar mit der Zahlungsunfähigkeit des Staates (Staatsbankrott) enden, insbesondere wenn die Verschuldung in fremder Währung vorliegt.

Monetäre Staatsfinanzierung

Verfügt ein Staat oder Staatenverbund über eine eigene Währung und ist die Notenbank – anders als in Ländern mit unabhängigen Zentralbanken – verpflichtet, die Entscheidungen der Exekutive auszuführen, kann die Regierung geldpolitische Entscheidungen treffen, also beispielsweise die Geldmenge vermindern oder erhöhen. Durch staatlich gesteuerte Geldmengenerhöhung wurden wirtschaftsgeschichtlich gesehen häufig Schulden getilgt und Konjunktur- oder auch Rüstungsprogramme finanziert, etwa in der Wirtschaftspolitik der Weltwirtschaftskrise oder in Kriegszeiten. In extremen Ausnahmesituationen, die die Existenz eines Staates bedrohen, sind inflationäre Risiken durch Erhöhung der Geldmenge unvermeidbar (Reparationsforderungen nach dem Ersten Weltkrieg, Finanzierung von Kriegs- und Kriegsfolgekosten) und die Bezahlung von Kreditschulden aus Steuereinnahmen ist nach Kriegen meist unmöglich, außerdem ist in der prekären Situation keine ausreichende Bonität für erforderliche Kreditvolumen für durch Kriegseinwirkung wirtschaftlich geschwächte Volkswirtschaften gegeben.

Diese „Finanzierung über die Notenpresse“ kann zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit und Kreditwürdigkeit führen. Außerdem kann eine Inflation neben einer vielleicht gewünschten Wirkung der Abwertung des Außenwertes auch zu einer unerwünschten Entwertung des Geldvermögens in der betreffenden Währung führen. Wegen der inflationären Risiken ist nach Artikel 123 des AEU-Vertrages die monetäre Staatsfinanzierung in der Europäischen Union verboten, so wie seit dem Zweiten Weltkrieg allgemein Zentralbanken mehr und mehr als unabhängige Institutionen gestaltet wurden, die die Stabilität der Währung zu schützen haben.

Auch die Politik der Quantitativen Lockerung, die nach 2001 unter anderem von den Zentralbanken Japans, der Vereinigten Staaten und der Eurozone angewendet wurde[28], wird von Kritikern als eine Form der indirekten monetären Staatsfinanzierung betrachtet, die sich kaum noch von der direkten Finanzierung unterscheidet. Außerdem verfolgt die Geldpolitik der EZB seit 2013 das Ziel, bei Zinsen gegen Null eine moderate Inflation, also auch die langsame Entwertung des Geldvermögens, zu erzeugen.

Klassifizierungen der Staatsverschuldung

Die Staatsverschuldung kann unterschieden werden:

Nach internen und externen Gläubigern

Man kann die Verschuldung eines Staates danach klassifizieren, ob die Gläubiger inländische oder ausländische Wirtschaftssubjekte (Personen, Haushalte, Banken, Firmen) sind, auch interne und externe Verschuldung genannt.[29] Hinter dieser Klassifizierung steht der stark vereinfachende Gedanke, dass interne Schulden des Staates Schulden an sich selbst nahekommen. „Vereinfachend“ ist der Gedanke deswegen, weil nur bei einer theoretischen Gleichverteilung – also wenn ein Staat jedem seiner Bürger oder Haushalte den gleichen Betrag an Staatsverbindlichkeiten schulden würde und auch jeder Bürger oder Haushalt Steuerverbindlichkeiten in Höhe mindestens dieses gleichen Betrags an den Staat hätte – die Staatsschulden in der Art und Weise nur gegen sich selbst gerichtet wären, dass eine Konsolidierung oder Verrechnung möglich wäre und praktisch gar keine Staatsverschuldung bestünde. Eine externe Verschuldung belastet jedoch einen Staat, ohne dass der Staat diese mit seinen Bürgern oder Haushalten verrechnen könnte, weil tatsächliche Dritte die Gläubiger sind.[30]

Nach eigener und fremder Währung

Man kann die Verschuldung eines Staates nach der Währung klassifizieren, in der die Kapitaldienste (Zins und Tilgung) an die Gläubiger zu leisten sind. Hinter dieser Klassifizierung steht der Gedanke, ob ein Staat eventuell selbst die Währung beeinflussen kann, in der er seine Kapitaldienste zu leisten hat. Bei Schulden in einer nationalen Währung und einer hohen Abhängigkeit der nationalen Zentralbank von den Staatsregierungen wäre das der Fall. Schon bei einer Unabhängigkeit der Zentralbank nimmt dieses Beeinflussungspotential ab. Bei einer Gemeinschaftswährung wie dem Euro besteht nur ein schwacher Einfluss, während bei einer Verschuldung in einer wirklichen Drittwährung von keinem Einfluss mehr auszugehen ist.

Nach Abgrenzung der staatlichen Schuldnerinstitutionen

Pro-Kopf-Verschuldung der baden-württembergischen Stadt- und Landkreise

Insbesondere in einem föderalen Staat kann es verschiedene Körperschaften, z. B. Bund, Länder, Städte und Gemeinden geben, die eine Verschuldung aufgenommen haben. Genauso können mit mehreren Staaten gemeinschaftlich Schulden aufgenommen werden, wie dies auch für Projekte in der EU der Fall ist. Des Weiteren ist zu unterscheiden, ob Schulden im Kernhaushalt einer Gebietskörperschaft oder in einem Extrahaushalt aufgenommen worden sind. In diesem Kontext kann differenziert werden zwischen der Staatsverschuldung der öffentlichen Kernhaushalte sowie der Staatsverschuldung des öffentlichen Gesamthaushalts (Kernhaushalte + Extrahaushalte).

Nach unterschiedlichen Messkonzepten

Zu unterscheiden sind etwa in Europa die veröffentlichten Kreditmarktschulden der öffentlichen Haushalte in finanzstatistischer Abgrenzung, der Maastricht-Schuldenstand und der umgangssprachliche Schuldenstand. In Abhängigkeit vom praktizierten Rechnungsstil kann das angewendete Messkonzept grundsätzlich auf kameralen (Höhe der Verbindlichkeiten) oder doppischen Daten (Verbindlichkeiten + Rückstellungen) basieren. Nicht zuletzt aufgrund fehlender gesamtstaatlicher Daten können doppische Schuldenstände i. d. R. jedoch nur für einen Teil der Gebietskörperschaften bestimmt werden.

Nach der Entstehungsursache

Hier wird zumeist nach der Finanzierung der konjunkturellen und der strukturellen Haushaltsdefizite durch Staatsverschuldung klassifiziert. Konjunkturelle Defizite halten sich per Definition langfristig mit konjunkturellen Überschüssen in der Waage, das heißt konjunkturellen Defiziten im Konjunkturabschwung stehen konjunkturelle Überschüsse im Konjunkturaufschwung gegenüber. Ist das Bruttoinlandsprodukt gleich dem Produktionspotenzial, ist also die Produktionslücke null, dann ist das konjunkturelle Defizit gemäß seiner Definition null.[31][32] Im Einzelnen ist das strukturelle Defizit in Prozent des potenziellen Bruttoinlandsprodukts definiert als das Gesamtdefizit abzüglich des konjunkturellen Defizits. Das konjunkturelle Defizit ist die Produktionslücke multipliziert mit der Differenz der Elastizitäten der Staatseinnahmen und der Staatsausgaben bezüglich der automatischen Stabilisatoren.[33] Die Unterscheidung zwischen konjunkturellem und strukturellem Staatsdefizit geht in die Regelungen zur Schuldenbremse und zum Europäischen Fiskalpakt ein.

Nach expliziter und impliziter Staatsverschuldung

Bei der bisher dargestellten Staatsverschuldung handelt es sich um die explizite Staatsverschuldung. Das sind sämtliche aus dem Staatshaushalt unmittelbar erkennbaren Verbindlichkeiten wie etwa Staatsanleihen. Es gibt jedoch auch künftig entstehende Ausgaben und Verbindlichkeiten, die aus dem aktuellen Staatshaushalt oft nicht ersichtlich sind, jedoch spätere Haushalte belasten können oder werden (implizite Staatsverschuldung oder Schattenverschuldung). Dies betrifft insbesondere künftige Zahlungsverpflichtungen wie die Beamtenversorgung. Diese Intransparenz wird durch die Kameralistik der meisten Staatshaushalte begünstigt. Zudem wird der Substanzverzehr des Staatsvermögens nur bei der Veränderung des Kapitalvermögens abgebildet, während der weitaus größere Abschreibungsbedarf bei der öffentlichen Infrastruktur unberücksichtigt bleibt. Dagegen verlangt die Doppik, dass für künftig entstehende Ausgaben und für übernommene Eventualverbindlichkeiten unter bestimmten Voraussetzungen in der Bilanz Rückstellungen zu bilden sind.

Vor dem Hintergrund der Eurokrise warnte inzwischen die Europäische Zentralbank (EZB) vor den Folgen der Schattenverschuldung in den Euroländern. Die Garantien für andere EU-Mitgliedstaaten und eigene Kreditinstitute könnten die Schulden Deutschlands um 11,2 % auf eine Staatsschuldenquote von rund 90 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anwachsen lassen.[34]

Kritik am Messkonzept

Kritisiert wird an den amtlichen Darstellungen der Staatsschuld, dass neben der veröffentlichten Verschuldung weitere Verbindlichkeiten existieren können, die nicht, nur begrenzt oder in anderen Zusammenhängen veröffentlicht werden, obwohl sie wirtschaftlich in vollem Umfang vom Staat zu tragen sind. Solch eine Verschuldung, die von einem staatlichen Haushalt veranlasst wird, aber nicht in diesem Haushalt (z. B. Auslagerung in Nebenhaushalte) ausgewiesen wird, wird als verdeckte Staatsverschuldung bezeichnet.

Daneben wird teils der Begriff der impliziten Staatsschuld verwendet, der vor allem künftige Pensions- und Rentenzahlungen umfasst. Bernd Raffelhüschen vertritt die Auffassung, dass die veröffentlichten Staatsschulden im Gegensatz zu dem der Privatwirtschaft auferlegten Vorsichts- und Vollständigkeitsprinzip in der Regel eine zu günstige Darstellung der tatsächlichen Verschuldungslage ergeben, da in der Messung der Staatsschuld keine zukünftigen Pensionsausgaben (als Pensionsrückstellung) ausgewiesen werden.[35]

Staatliche Extrahaushalte und Sondervermögen werden nach dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen als Teil der staatlichen Gesamthaushalte diesen zugerechnet.[2]

Rechtliche Begrenzung der Staatsverschuldung

Hauptartikel: Schuldenbremse

Verschiedene Länder haben in den letzten Jahren gesetzliche Begrenzungen für staatliche Neuverschuldung implementiert:

Siehe auch

Literatur

  • Hans Apel: Staat ohne Maß. Finanzpolitik in der Sackgasse. Econ, Düsseldorf/München 1997, ISBN 3-430-11066-1.
  • Horst Böttcher: Mühlsteine. Staatsschulden und Zinslasten. Servicia, Bad Soden 1996, ISBN 3-9804200-0-0.
  • David Graeber: Debt: The First 5,000 Years, Melville House 2011, ISBN 978-1-933633-86-2.
  • Friedrich Halstenberg: Staatsverschuldung. Eine gewagte Finanzstrategie gefährdet unser Gemeinwesen. Klartext Verlag, 2001, ISBN 3-88474-966-8.
  • Kai A. Konrad, Holger Zschäpitz: Schulden ohne Sühne. Warum der Absturz der Staatsfinanzen uns alle trifft. C. H. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-60688-5.
  • Ralf Kronberger: Staatsschulden(Krise) (PDF), Arbeitsgemeinschaft für Wirtschaft und Schule, Wien 2012, ISBN 978-3-9502430-8-6.

Weblinks

 Wiktionary: Staatsverschuldung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Government debt - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wikisource: Staatsschulden – Quellen und Volltexte

International:

Deutschland:

Österreich:

Schweiz:

Einzelnachweise

  1. Eurostat, Staatsschuldenstand in Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die einschlägigen Definitionen enthält die Ratsverordnung 479/2010, geändert durch die Ratsverordnung 679/2010.
  2. 2,0 2,1 Statistisches Bundesamt: Begriffserläuterungen für den Bereich Finanzen, Steuern, Öffentlicher Dienst
  3. Bundesfinanzministerium, Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2006, Jahresrechnung 2006, S. 1
  4. Ein als historischer Beleg für die Forderung nach einem schuldenfreien Staatshaushalt oft benutztes angebliches Cicero-Zitat ist jedoch eine Erfindung. Das vermeintliche Zitat lautet: „Der Staatshaushalt muss ausgeglichen sein. Die öffentlichen Schulden müssen abgebaut, … die Unterstützungen an ausländische Regierungen müssen verringert werden, wenn der Staat nicht Bankrott gehen soll. Die Leute sollen wieder lernen zu arbeiten, statt auf öffentliche Rechnung zu leben“ (Wikiquote, Cicero: Fälschlich zugeschrieben). Zitiert z. B. bei Bodo Leibinger/Reinhard Müller/Herbert Wiesner, Öffentliche Finanzwirtschaft, 2014, S. VI oder in der FAZ vom 28. Dezember 1990, S. 3. Es handelt sich tatsächlich um eine Stelle aus einem fiktionalen Cicero-Roman von Taylor Cadwell: A Pillar of Iron, Doubleday, 1965, ch. 51, p. 483 (deutsch: Eine Säule aus Erz, 1965). S. tulliana.eu.
  5. Alfred Manes, Staatsbankrotte, 1919, S. 26
  6. Institut für Bankhistorische Forschung/Ernst Klein, Deutsche Bankengeschichte: Von den Anfängen bis zum Ende des alten Reiches (1806), Band 1, 1982, S. 73
  7. Gerald Braunberger/Benedikt Fehr, Crash: Finanzkrisen gestern und heute, 2008, S. 18
  8. Alfred Manes, Staatsbankrotte, 1919, S. 55
  9. Fernand Braudel, Sozialgeschichte des 15. bis 18. Jahrhunderts, Band III, 1985, S. 338 f.
  10. Jacob Peter Mayer, Fundamental Studies on Jean Bodin, 1979, S. 33
  11. Jean-François Melon de Pradou, Economistes Financiers du 18me Siecle, 1734, S. 95
  12. David Hume, Essay on Public Credit, 1752, S. 360 f.
  13. Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, Buch V, Kapitel 3: On Public Debts, 1776/1974, S. 798
  14. Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, Buch V, Kapitel 3: On Public Debts, 1776/1974, S. 911
  15. Thomas Jefferson/Lyman Henry Butterfield/Charles T. Cullen, The Papers of Thomas Jefferson: March 1789 to 30 November 1789, 1958, S. 393
  16. Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, 1795, S. 7 f.
  17. David Ricardo, Grundsätze der Politischen Ökonomie, Band 1, 1817/1959, S. 233 ff.
  18. David Ricardo, Grundsätze der Politischen Ökonomie, Band 1, 1817/1959, S. 233 ff.
  19. Alfred Manes, Staatsbankrotte, 1919, S. 57
  20. Friedrich List, Das nationale System der Politischen Ökonomie, S. 265
  21. Karl Marx, Das Kapital, Band 1, 1867, S. 782 f.
  22. Lorenz von Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 1875, S. 716
  23. Adolph Wagner, Finanzwissenschaft, 1890, S. 229
  24. Peter Lippert, Staatsverschuldung in Deutschland, Italien und Griechenland, 2014, S. 36
  25. Ernst Löschner, Souveräne Risiken und internationale Verschuldung, 1983, S. 44 ff.
  26. John Maynard Keynes, The General Theory of Employment, Interest, And Money, 1936, S. 211
  27. Carmen Reinhart/Kenneth Rogoff, This Time is different, 2009, S. 232
  28. Kjell Hausken, Mthuli Ncube, Quantitative Easing and Its Impact in the US, Japan, the UK and Europe, Springer Science & Business Media, 2013, ISBN 978-1-4614-9646-5, S. 1
  29. Gareth D. Myles: Public Economics. Cambridge University Press, 2008, ISBN 9780521497695, S. 486 ff.
  30. Hugh Dalton: Principles of Public Finance. Allied Publishers, 1997, 4. Auflage, ISBN 9788170231332, S. 180 ff.
  31. Eine Verordnung dazu findet sich bei Bundesministerium der Justiz: „Verordnung über das Verfahren zur Bestimmung der Konjunkturkomponente nach § 5 des Artikel 115-Gesetzes (Artikel 115-Verordnung – Art115V)“
  32. Bundesministerium der Finanzen:Öffentliche Finanzen – Produktionspotential und Konjunkturkomponenten – Berechnungsergebnisse und Datengrundlagen vom 24. April 2012
  33. Vgl. Achim Truger, Henner Will, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (Januar 2012): „Gestaltungsanfällig und pro-zyklisch: Die deutsche Schuldenbremse in der Detailanalyse“
  34. Franz Schuster: Europa im Wandel, 2013, S. 89
  35. Handelsblatt 19. Mai 2010:„Verdeckte Schulden – Dem Staat fehlen Billionen“; NZZ, 25. Jan. 2013 „Der Staatsschulden-Eisberg“
Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Staatsverschuldung aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.