System und Cambridger Platoniker: Unterschied zwischen den Seiten

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Ein '''System''' (von {{ELSalt|σύστημα}}, ''{{lang|grc-Latn|sýstema}}'', „das Gebilde“, „das Zusammengestellte“, „das Verbundene“) ist ein [[struktur]]iertes Gebilde, dessen Teile funktionell und in beständiger [[Wikipedia:Wechselwirkung|Wechselwirkung]] so aufeinander bezogen sind, dass sie als geordnete Glieder einer sinnvollen [[Ganzheit]] erscheinen. Es wird durch einen spezifischen Satz von [[Wikipedia:Systemeigenschaften|Systemeigenschaften]] wie [[Wikipedia:Systemeigenschaften#Dynamik|Dynamik]], [[Komplexität]], [[Wikipedia:Systemeigenschaften#Stabilität|Stabilität]] usw. charakterisiert. Die Eigenschaften und Verhaltensweisen von Systemen werden im Rahmen der [[Systemtheorie]] untersucht und in vereinfachten [[Theorie|theoretischen]] [[Modell (Wissenschaft)|Modellen]] [[Abbild|abgebildet]].
[[Datei:Henry More.jpg|mini|Henry More]]
[[Datei:Ralph Cudworth.jpg|mini|Ralph Cudworth]]
[[Datei:Benjamin Whichcote.jpg|mini|Benjamin Whichcote]]


In der Praxis hat man es nicht mit starren, sondern stets mit '''dynamischen Systemen''', oft auch [[Chaosforschung|chaotischen Systemen]] zu tun. Letztere sind '''nichtlineare Systeme''', bei denen das Ausgangssignal ''nicht immer'' dem Eingangssignal proportional ist wie bei '''linearen Systemen'''.  
Als '''Cambridger Platoniker''' (''Cambridge Platonists'') bezeichnet man eine einflussreiche Gruppe von englischen Philosophen und Theologen des 17. Jahrhunderts, die für einen [[Neuplatonismus|neuplatonisch]] geprägten christlichen [[Platonismus]] zur Abwehr [[Atheismus|atheistischer]] und [[Mechanistisches Weltbild|mechanistischer]] Lehren eintraten. Sie befürworteten Gewissensfreiheit und Toleranz in konfessionellen Fragen. Man spricht auch von der „Cambridger Schule“ oder „Schule von Cambridge“, denn die vier führenden Vertreter dieser Richtung lehrten an der [[w:University of Cambridge|Universität Cambridge]].
Die vier führenden Köpfe des Cambridger Platonismus waren [[Henry More]] (1614–1687), [[Ralph Cudworth]] (1617–1688), [[Benjamin Whichcote]] (1609–1683) und [[John Smith (Philosoph)|John Smith]] (1616–1652).


Nach dem Verhältnis zu ihrer [[Umwelt]] werden in der [[Physik]] '''offene Systeme''' (Materie- und Energieaustausch), '''geschlossene Systeme''' (nur Energieaustausch, kein Materieaustausch) und völlig isolierte '''abgeschlossene Systeme''' unterschieden.
== Lehre ==


'''Komplexe Systeme''' lassen sich ohne Zerstörung ihrer Funktionalität nicht weiter vereinfachen. Dazu zählen insbesondere '''komplexe adaptive Systeme''', die sich selbsttätig ohne äußere Steuerung an veränderte Umweltbedingungen anpassen können. Es handelt sich dabei um nichtlineare dynamische Systeme, deren zeitliches Verhalten nicht nur vom aktuellen Zustand, sondern auch von der Vorgeschichte abhängt (→ [[Wikipedia:Pfadabhängigkeit|Pfadabhängigkeit]]). Sie sind zur [[Selbstorganisation]] und [[Selbstregulation]] befähigt und entwickeln durch [[Emergenz]] neue Eigenschaften, die sich nicht aus denen ihrer konstituierenden Teile ableiten lassen. Meist verfügen sie auch über sogenannten '''Attraktoren''', indem sie bestimmte Zustände oder Zustandsfolgen unabhängig von den Anfangsbedingungen und den äußeren Einflüssen selbsttätig anstreben. Die Zustandsabfolgen können dabei durchaus auf dem Weg des [[Deterministisches Chaos|deterministischen Chaos]] erreicht werden; man spricht in diesem Fall von „seltsamen Attraktoren“.
Die Cambridger Platoniker stammen aus [[w:Puritanismus|puritanisch]]-[[w:Calvinismus|calvinistischem]] Milieu. Ihre philosophischen und theologischen Ansichten entwickeln sie in kritischer Auseinandersetzung mit dem puritanischen Denken, von dem sie sich mehr oder weniger deutlich distanzieren, da sie es für [[w:Rigorismus|rigoristisch]] halten. Sie berufen sich auf die Lehre [[Platon]]s, die sie – wie im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit allgemein üblich – im Sinne der [[Neuplatonismus|neuplatonischen]] Tradition auffassen. Dabei knüpfen sie sowohl an den antiken Neuplatoniker [[Plotin]] als auch an den Neuplatonismus des [[Renaissance-Humanismus|Renaissance-Humanisten]] [[Marsilio Ficino]] an. Außerdem sind sie von den griechischen [[w:Patristik|Kirchenvätern]] beeinflusst, unter denen sie [[Origenes]] bevorzugen. Ihr Verhältnis zu [[Aristoteles]]  hingegen ist distanziert. Innerhalb des Neuplatonismus bilden sie eine rationalistische Richtung, denn sie legen größten Wert auf eine rationale Begründung ihres christlichen Glaubens und auf die restlose Vereinbarkeit von Vernunft und Spiritualität. Die These der Übereinstimmung von Wissenschaft und Religion leiten sie aus der Annahme ab, dass Gott die Welt vernünftig geordnet hat. Gott handelt stets in Übereinstimmung mit der Vernunft, also nicht voraussetzungslos und willkürlich. Daher ist die menschliche Vernunft zur Erkenntnis der Weltordnung befähigt. Unter anderem durch Selbstbetrachtung kann die [[Seele]] Einsicht in die Natur und die Eigenschaften des Göttlichen gewinnen. Zwar halten die Cambridger Platoniker eine göttliche Offenbarung, die den Bereich der Vernunft übersteigt, für möglich, doch sind sie davon überzeugt, dass die Inhalte einer solchen Offenbarung der Vernunft nicht widersprechen können. Somit ist auch die Offenbarung einer gewissen Überprüfung durch die Vernunft unterworfen. Einen Glauben, der sich nicht mit vernünftigem Erkenntnisstreben verbindet, lehnen sie ab.  


Das trifft insbesondere auf [[Lebewesen]] zu, die aus [[Physik|physikalisch]]-[[Biochemie|biochemischer]] Sicht offene komplexe adaptive Systeme fern des [[Wikipedia:Thermodynamisches Gleichgewicht|thermodynamischen Gleichgewichts]] sind und in ständigem [[Stoff]]-, [[Energie]]- und [[Information]]saustausch mit ihrer Umgebung stehen.
Die Cambridger Platoniker legen besonderes Gewicht auf die Lehre von der [[Freier Wille|Willensfreiheit]] und der sich daraus ergebenden Verantwortung des Individuums. Die [[Fatalismus|fatalistische]] Vorstellung eines Verhängnisses, einer vorgegebenen schicksalhaften Notwendigkeit der Ereignisse und menschlichen Handlungen lehnen sie in jeder Form ab. Damit wenden sie sich einerseits theologisch gegen die [[w:Calvinismus|calvinistische]] Vorstellung einer "doppelten [[Prädestination]]" (Vorherbestimmung der nicht Auserwählten zur Hölle schon vor ihrer Geburt), andererseits philosophisch gegen mechanistische Weltbilder und einen [[Atheismus|atheistischen]] und [[Materialismus|materialistischen]] [[Determinismus]]. Insbesondere argumentieren sie gegen die Weltanschauung ihres Hauptgegners [[Thomas Hobbes]], der die Realität auf Körperliches reduziert, und gegen das System [[Baruch Spinoza|Spinozas]], das sie für atheistisch halten. Ihre antimechanistische Grundhaltung führt sie auch zur Kritik am [[Cartesianismus]], der Lehre von [[René Descartes]]. Sie schätzen Descartes' rationalistischen Ansatz, doch in der mechanistischen Naturauffassung der Cartesianer sehen sie einen letztlich zum Atheismus führenden Irrweg.  


Die [[Struktur]] des Systems ist umso schärfer ausgeprägt, aber auch umso starrer, je geringer die Anzahl der möglichen [[Wikipedia:Mikrozustand|Mikrozustände]] ist, durch die sich der beobachtete [[Wikipedia:Makrozustand|Makrozustand]] des gesamten Systems realisieren läßt, d.h. je geringer die [[Entropie]] S des Systems ist. Die Entropie ist proportional zum [[Logarithmus]] des  [[Wikipedia:Phasenraum|Phasenraum]]volumens {{polytonisch|Ω}}, als der Menge aller möglichen Mikrozustände, die das System einnehmen kann: '''<big>S = k<sub>B</sub>ln{{polytonisch|Ω}}</big>''' <ref>Der Proportionalitätsfaktor ist die [[Wikipedia:Boltzmann-Konstante|Boltzmann-Konstante]], in [[Wikipedia:Internationales Einheitensystem|SI-Einheiten]]:  '''k<sub>B</sub>''' = 1,3806504(24) · 10<sup>−23</sup> [[Wikipedia:Joule (Einheit)|J]]/[[Wikipedia:Kelvin (Einheit)|K]]</ref>
== Siehe auch ==


== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Cambridger Platoniker}}


* [[Entropie]]
== Literatur ==
* {{WikipediaDE|Entropie (Thermodynamik)|}}
* Gerald R. Cragg (Hrsg.): ''The Cambridge Platonists''. University Press of America, Lanham (MD) 1968, ISBN 0-8191-4347-2 (Auszüge aus Werken der Cambridger Platoniker)
* {{WikipediaDE|System|}}
* Graham Alan John Rogers: ''Die Cambridger Platoniker''. In: Jean-Pierre Schobinger (Hrsg.): ''[[w:Grundriss der Geschichte der Philosophie|Grundriss der Geschichte der Philosophie]]. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts'', Band 3: ''England'', 1. Halbband, Schwabe, Basel 1988, S. 240–290, ISBN 3-7965-0872-3 (mit umfangreicher Bibliographie)
* {{WikipediaDE|Systemtheorie|}}
* Graham Alan John Rogers u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''The Cambridge Platonists in Philosophical Context. Politics, Metaphysics and Religion''. Kluwer, Dordrecht 1997, ISBN 0-7923-4530-4
* [[Soziales System]]


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* {{UTB-Philosophie|Brigitte Wiesen|876|System}}
* Sarah Hutton: {{SEP|http://plato.stanford.edu/entries/cambridge-platonists}}
* {{Eisler|System}}
* Mark Goldie: [http://www.oxforddnb.com/templates/theme-print.jsp?articleid=94274 Eintrag] im [[w:Oxford Dictionary of National Biography|Oxford Dictionary of National Biography]]
* {{Kirchner|System}}
* [http://www.begriffsgeschichte.de/doku.php?id=system System - Literatur zur Begriffsgeschichte (Historisches Wörterbuch interdisziplinärer Begriffe)]


== Einzelnachweise ==
[[Kategorie:Neuplatonismus]]
<references/>
[[Kategorie:Platonismus]]


[[Kategorie:Grundbegriffe]]
{{Wikipedia}}
[[Kategorie:Philosophie]]
* Stefan Weyer: ''Die Cambridge Platonists. Religion und Freiheit in England im 17. Jahrhundert''. Peter Lang, Frankfurt a.&nbsp;M. 1993, ISBN 3-631-45684-0
[[Kategorie:Systemtheorie]]
[[Kategorie:System|!]]

Version vom 9. November 2018, 10:00 Uhr

Henry More
Ralph Cudworth
Benjamin Whichcote

Als Cambridger Platoniker (Cambridge Platonists) bezeichnet man eine einflussreiche Gruppe von englischen Philosophen und Theologen des 17. Jahrhunderts, die für einen neuplatonisch geprägten christlichen Platonismus zur Abwehr atheistischer und mechanistischer Lehren eintraten. Sie befürworteten Gewissensfreiheit und Toleranz in konfessionellen Fragen. Man spricht auch von der „Cambridger Schule“ oder „Schule von Cambridge“, denn die vier führenden Vertreter dieser Richtung lehrten an der Universität Cambridge.

Die vier führenden Köpfe des Cambridger Platonismus waren Henry More (1614–1687), Ralph Cudworth (1617–1688), Benjamin Whichcote (1609–1683) und John Smith (1616–1652).

Lehre

Die Cambridger Platoniker stammen aus puritanisch-calvinistischem Milieu. Ihre philosophischen und theologischen Ansichten entwickeln sie in kritischer Auseinandersetzung mit dem puritanischen Denken, von dem sie sich mehr oder weniger deutlich distanzieren, da sie es für rigoristisch halten. Sie berufen sich auf die Lehre Platons, die sie – wie im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit allgemein üblich – im Sinne der neuplatonischen Tradition auffassen. Dabei knüpfen sie sowohl an den antiken Neuplatoniker Plotin als auch an den Neuplatonismus des Renaissance-Humanisten Marsilio Ficino an. Außerdem sind sie von den griechischen Kirchenvätern beeinflusst, unter denen sie Origenes bevorzugen. Ihr Verhältnis zu Aristoteles hingegen ist distanziert. Innerhalb des Neuplatonismus bilden sie eine rationalistische Richtung, denn sie legen größten Wert auf eine rationale Begründung ihres christlichen Glaubens und auf die restlose Vereinbarkeit von Vernunft und Spiritualität. Die These der Übereinstimmung von Wissenschaft und Religion leiten sie aus der Annahme ab, dass Gott die Welt vernünftig geordnet hat. Gott handelt stets in Übereinstimmung mit der Vernunft, also nicht voraussetzungslos und willkürlich. Daher ist die menschliche Vernunft zur Erkenntnis der Weltordnung befähigt. Unter anderem durch Selbstbetrachtung kann die Seele Einsicht in die Natur und die Eigenschaften des Göttlichen gewinnen. Zwar halten die Cambridger Platoniker eine göttliche Offenbarung, die den Bereich der Vernunft übersteigt, für möglich, doch sind sie davon überzeugt, dass die Inhalte einer solchen Offenbarung der Vernunft nicht widersprechen können. Somit ist auch die Offenbarung einer gewissen Überprüfung durch die Vernunft unterworfen. Einen Glauben, der sich nicht mit vernünftigem Erkenntnisstreben verbindet, lehnen sie ab.

Die Cambridger Platoniker legen besonderes Gewicht auf die Lehre von der Willensfreiheit und der sich daraus ergebenden Verantwortung des Individuums. Die fatalistische Vorstellung eines Verhängnisses, einer vorgegebenen schicksalhaften Notwendigkeit der Ereignisse und menschlichen Handlungen lehnen sie in jeder Form ab. Damit wenden sie sich einerseits theologisch gegen die calvinistische Vorstellung einer "doppelten Prädestination" (Vorherbestimmung der nicht Auserwählten zur Hölle schon vor ihrer Geburt), andererseits philosophisch gegen mechanistische Weltbilder und einen atheistischen und materialistischen Determinismus. Insbesondere argumentieren sie gegen die Weltanschauung ihres Hauptgegners Thomas Hobbes, der die Realität auf Körperliches reduziert, und gegen das System Spinozas, das sie für atheistisch halten. Ihre antimechanistische Grundhaltung führt sie auch zur Kritik am Cartesianismus, der Lehre von René Descartes. Sie schätzen Descartes' rationalistischen Ansatz, doch in der mechanistischen Naturauffassung der Cartesianer sehen sie einen letztlich zum Atheismus führenden Irrweg.

Siehe auch

Literatur

  • Gerald R. Cragg (Hrsg.): The Cambridge Platonists. University Press of America, Lanham (MD) 1968, ISBN 0-8191-4347-2 (Auszüge aus Werken der Cambridger Platoniker)
  • Graham Alan John Rogers: Die Cambridger Platoniker. In: Jean-Pierre Schobinger (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Band 3: England, 1. Halbband, Schwabe, Basel 1988, S. 240–290, ISBN 3-7965-0872-3 (mit umfangreicher Bibliographie)
  • Graham Alan John Rogers u. a. (Hrsg.): The Cambridge Platonists in Philosophical Context. Politics, Metaphysics and Religion. Kluwer, Dordrecht 1997, ISBN 0-7923-4530-4

Weblinks


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  • Stefan Weyer: Die Cambridge Platonists. Religion und Freiheit in England im 17. Jahrhundert. Peter Lang, Frankfurt a. M. 1993, ISBN 3-631-45684-0