Kirchentonart

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Die Kirchentonarten (lat. modi, toni, tropi), auch Kirchentöne, Töne oder Modi genannt, bilden das tonale Ordnungsprinzip der abendländischen Musik vom frühen Mittelalter bis zum 16. Jahrhundert, mit unmittelbaren Nachwirkungen bis ins 17. und 18. Jahrhundert.[1]

Grundlage des Systems ist eine von den Griechen übernommene Tonreihe. Sie beginnt beim großen A (später G, mit dem griechischen Buchstaben Γ bezeichnet) und endet bei a1. Diese Tonreihe ist jedoch nicht als Tonleiter im heutigen Sinne zu verstehen, sondern als Tonsystem, das sich am Vorbild des altgriechischen Systema Téleion orientiert. Von diesem unterscheidet es sich im Wesentlichen dadurch, dass die Anordnung der teils verbundenen, teils getrennten Tetrachorde um einen Ton nach unten verschoben wurde, so dass die Finaltöne (d, e, f, g) der „alten“ Kirchentöne ein Tetrachord bilden. Auch die einzelnen Kirchentöne (Modi) sind keine Tonleitern im heutigen Sinne, sondern skalenartige Ausschnitte aus dem Tonsystem („Oktavgattungen“), die das Tonmaterial von verwandten Melodien enthalten.

Die einzelnen Modi (Richtmodelle) sind ursprünglich durch bestimmte, in den Melodien immer wiederkehrende Wendungen gekennzeichnet, zum Beispiel durch die Wendung, mit der die Melodien desselben Modus endgültig die Finalis erreichen. Ausschlaggebend für die Zuweisung einer Melodie zu einem Modus sind nicht wie im heutigen Dur und Moll die Anordnung der Ganz- und Halbtonschritte, sondern der Zielton (Finalis), der Hauptton (Repercussa, Ténor), der Umfang (Ambitus) der Melodie und bestimmte melodische Wendungen.[2]

Die Modi werden zwar auch mit den aus der altgriechischen Musiklehre stammenden Bezeichnungen dorisch, phrygisch usw. belegt; diese haben hier jedoch eine völlig andere Bedeutung und mit dem griechischen System nichts zu tun.

Geschichte

Modalität

Das älteste erhaltene Zeugnis für die Verwendung des Systems der acht Modi (Kirchentonarten) bei der tonartlichen Ordnung des Repertoires des gregorianischen Gesangs ist das wahrscheinlich kurz vor 800 verfasste Tonar von Centula/Saint-Riquier, dem weitere folgten.[3] Ab dem 9. Jahrhundert wurde das Tonmaterial des gregorianischen Gesangs darüber hinaus theoretisch untersucht und dargestellt, so beispielsweise in dem Alkuin zugeschriebenen Traktat Musica Albini.[4][5] In den vermeintlich vom Heiligen Geist den Menschen übergebenen Melodien vermuteten die mittelalterlichen Wissenschaftler der ars musica eine göttliche Ordnung. Diese Ordnung als Merkmal der Schönheit wurde in den melodischen Modi gesehen. Ihre Darstellung ermöglichte es dem kundigen Musicus, dem Cantor und der Schola für das Singen und Interpretieren des gregorianischen Gesangs bis in deren Einzeltöne hinein Anweisungen zu geben. Es ging darum, die gewohnheitsmäßige Musikpraxis rational zu fundieren.[6]

Darstellung des Deuterus (III. Modus) mit französischen Neumen und Tonbuchstaben aus der Tonreihe a bis p.
Erste Strophe des Johannes-Hymnus Ut queant laxis. Diastematische Darstellung mit Tonbuchstaben über dem Text und Solmisationssilben am Rand.
Die Hand als Hilfsmittel beim Erlernen der Modi. Oben die Namen von Noenoeane-Formeln

Bei den Untersuchungen, die vermehrt zwischen dem 10. und dem 12. Jahrhundert durchgeführt wurden, wurde die Boethius'sche Monochordlehre auf die Modalitätslehre, die Oktoechoslehre,[7] angewandt und dieser entsprechend verändert.[8]

Der von Guido von Arezzo um 1025 geschriebene Micrologus erwähnt diese Modalitätslehre zum Beispiel in den beiden Kapiteln

  • VII: Über die Verwandtschaft der Töne nach vier Tonarten und
  • XII: Über die Teilung der vier Tonarten in acht.

Für die vier Tonarten verwendete Guido die griechischstämmigen aufzählenden Bezeichnungen Protus, Deuterus, Tritus und Tetrardus, und zur Unterscheidung der jeweils authentischen (originalen) und plagalen (abgeleiteten) Varianten dieser vier Tonarten die Nummerierung vom ersten bis zum achten Ton.

Es wurden zweierlei Systeme von Tonbuchstaben verwendet:

a b c d e f g h i i k l m n o p
Γ A B C D E F G a c d e f g a
a

Jede gregorianische Melodie kann einem von acht diatonischen Modi zugeordnet werden, die sich am besten als Melodiefamilien charakterisieren lassen. In jedem Modus gibt es ausgezeichnete Tonstufen, die als herausragend gehört werden und die bei der Melodiebildung wichtige Rollen spielen. Darüber hinaus gibt es Psalmtonformeln, die nicht in dieses Schema passen, wie zum Beispiel den Tonus peregrinus.

Die Melodie durchschreitet den Text Wort für Wort, Abschnitt für Abschnitt, dabei werden nach und nach verschiedene Tonstufen wirksam. Sie beherrschen dann ein gewisses, manchmal nur kurzes Stück der Melodie, um wieder von einer neuen Strukturstufe abgelöst zu werden. So entsteht eine Folge von Übergängen zwischen starken und schwachen Stufen, Spannungen und Entspannungen, die schließlich zur finalen Wendung führen. Die Modi konnten auch von leseunkundigen Sängern, die die Melodien mündlich beigebracht bekamen, unterschieden werden; denn die Modi waren für sie erfahrbar durch auswendig gelernte Intonationsformeln oder Noenoeane-Formeln (melodiae, formulae, moduli, neumae regulares oder ähnlich genannt), die in den Klang des jeweiligen Modus einführten.[9] Als Hilfe konnte der Lehrende auch seine Hand einsetzen.[10]

Symbolik

Seit dem Mittelalter wurde auch immer wieder das Ethos der Modi diskutiert, nach welchem die verschiedenen Modi wegen ihrer erkennbaren Eigenarten teilweise gehäuft für bestimmte Ausdrucksformen oder Zeiten im Kirchenjahr eingesetzt werden. Die Kirchentonarten hatten und haben daher auch symbolische Bedeutung, welche teilweise von den gleich benannten (aber strukturell abweichenden) Skalen der Antike übernommen wurde. So wurden etwa Marienverehrungen oft im lydischen Modus verfasst, aber auch der dritte Satz des Streichquartetts op. 132 von Ludwig van Beethoven trägt die Überschrift „Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart“. So galt Beethoven das Lydische auch als Ausdruck des Pastoralen, dies drückt sich allerdings lediglich in einem „pastoralen“ F-Dur in der VI. Sinfonie aus (F als lydische Stufe), mit einem gewissen Hang zu doppeldominantischen Kadenzen. In den Ruinen der Abtei Cluny wurden zwei Kapitelle mit je vier Reliefs gefunden, die die acht im Mittelalter verwendeten Kirchentöne in Form von Personen und Hexametern darstellen.[11]

Zusammenfassung

Kirchentonarten wurden in der frühchristlichen Liturgie verwendet – später sowohl in der West- wie auch in der Ostkirche – um das melodische Feld der Responsorien und Antiphonen zu definieren. Die Modi im Gregorianischen Gesang waren für die Entwicklung der abendländischen Musik von fundamentaler Bedeutung. Sie stellten zunächst die Gesamtheit der schon im frühen Mittelalter verwendeten Skalen dar und waren vor allem auf die einstimmige Musik fixiert. Sie bilden daher die Grundlage der Melodik. Siehe dazu: Guidonische Hand → Kontext. Guido von Arezzo hat im 11. Jahrhundert in seinen Schriften das System der Kirchentöne beschrieben.[12] Bei der Entwicklung der Mehrstimmigkeit treten nach und nach die übrigen modalen Skalen gegenüber Dur und Moll zurück. Darüber hinaus bilden sie aber durch die Quintenreinheit der Confinalis die Grundlage für die spätere Entwicklung der Klauseln und Kadenzen und damit auch der funktionsharmonischen Entwicklung der Stufentheorie im 18. Jahrhundert. In der U-Musik und auch in der Volksmusik tauchen die Modi ebenfalls auf, so bildet der dorische Modus die „neutrale Skalenbasis“ des Jazz. Auch in der Rockmusik, etwa bei Van Halen, Uli Jon Roth, Joe Satriani und Steve Vai, finden sich modale Skalen. Genauso bedient sich die Filmmusik gerne der Skalen oder Akkordprogressionen, welche auf die Kirchenmodalität gestützt sind. Dazu werden auch heute in vielen Kirchengemeinden Lieder gesungen, deren Melodien in den Kirchentonarten stehen (siehe unten „Beispiele“).

Übersicht

Eine Kirchentonart (Kirchentonleiter) kann auf einem beliebigen Ton beginnen bzw. dorthin transponiert werden, sofern nur die intervallische Struktur des jeweiligen Modus beibehalten wird. Der Einfachheit halber werden bei den folgenden Notenbeispielen die Stammtöne der C-Dur-Tonleiter zugrunde gelegt:

c – d – e – f – g – a – h

Unterscheidung authentisch und plagal

Im Mittelalter waren die Modi u. a. durch ihren Tonumfang (Ambitus) bestimmt, so dass man Modi mit gleicher Finalis, aber unterschiedlichem Ambitus in authentische und plagale differenzierte. Bei den authentischen Modi ist in der Regel kein Ton tiefer als eine große Sekunde unter der Finalis. Bei den plagalen Modi ist der Tonumfang hingegen nach unten verschoben, so dass der tiefste Ton bis zu einer Quarte (hier Tetrachord genannt) unter der Finalis liegen kann; die Finalis liegt hier also eher in der Mitte des festgelegten Tonmaterials. Daher sind die plagalen Modi im Unterschied zu den authentischen an ihrem Präfix „Hypo-“ (altgriechisch unter) erkennbar.

Die Kirchentonleitern sind jedoch nicht identisch mit den gleichnamigen altgriechischen Tonleitern. Anders als bei den Kirchentönen lagen die plagalen Tonleitern im griechischen System nämlich nicht tiefer, sondern höher als die authentischen. Dies rührt daher, dass die altgriechische Tonvorstellung „hoch“ dem entsprach, was wir unter „tief“ verstehen, und umgekehrt; entsprechend wurden die griechischen Tonleitern von „oben“ nach „unten“ notiert.

Die heutigen Kirchentonarten
Die acht Oktavgattungen der alten griechischen Musik. Berücksichtigt man die Übereinstimmung von Hypomixolydisch mit Dorisch, so reduziert sich die Zahl der Tonarten auf sieben. Hypodorisch wird üblicherweise auch eine Oktave höher notiert.

Die rechts nebenstehende Übersicht über die Kirchentonarten enthält neben den ursprünglichen acht „alten“ Kirchentönen auch die von Glareanus 1547 eingeführten „neuen“ Kirchentöne Äolisch und Ionisch nebst ihren Hypovarianten.

In der neuzeitlichen Musik hat sich das Verständnis der Modi gewandelt. Sie werden heute als modale Skalen angesehen und verwendet, deren Tonumfang nach oben und unten prinzipiell unbegrenzt ist, wodurch eine Unterscheidung zwischen authentischen und plagalen Modi hinfällig geworden ist.

Systematik

Finalis und Confinalis

Jeder Modus endet üblicherweise auf der sogenannten Finalis, dem Schlusston oder, wie wir heute sagen würden, dem Grundton der Skala. Daneben gibt es einen weiteren besonderen Ton, die Confinalis, auch affinalis, der als Nebenschlusston dienen kann. Die Confinalis liegt bei den authentischen Modi eine Quinte oder Sexte über der Finalis. Bei den plagalen Modi liegt die Confinalis eine Terz unter der Confinalis des zugehörigen authentischen Modus, es sei denn, dieser Ton fällt auf ein H. In diesem Fall wird er auf ein C hoch verschoben. Analog wird die Stufe G auf A hoch verschoben.

Rezitationston

Ein besonderer Ton war der Hauptton (Rezitationston lateinisch repercussa, auch Reperkussionston, Tenor oder Tuba genannt), dem in mittelalterlichen Gesängen besonderes Gewicht zukam. Der Rezitationston wurde entweder für längere Strecken als Tonzentrum bevorzugt, um das der Umfang (Ambitus) der Melodie kreiste, oder auf ihm wurde nach Atemzäsuren wieder eingesetzt. In den Psalmtönen ist der Rezitationston der Ton, auf dem ein Großteil des Psalmtextes rezitiert wird. Bei den plagalen Modi liegt der Hauptton eine Terz oder Quarte über der Finalis, bei den authentischen Modi, mit Ausnahme des phrygischen Modus, entspricht dieser der Confinalis.

Tonumfang

Der Tonumfang (Ambitus) der einzelnen Kirchentöne war im Rahmen des Systems grundsätzlich auf eine Oktave beschränkt. Allerdings wurde er schon bald aus praktischen Erwägungen um einige Stufen erweitert, die ausnahmsweise verwendet werden durften. Theoretisch wurde unterschieden zwischen dem regulären Ambitus und Tonstufen, die nur per licentiam erlaubt waren. So durften z. B. die authentischen Modi nach der Regel bis zur Oktave über der Finalis ansteigen, nach der Licentia jedoch auch bis zur None oder sogar Dezime. Bei den plagalen Modi war ein Anstieg bis zur Quinte (regula) oder Sexte (licentia) möglich. Bereits regulär war bei den authentischen Modi ein Unterschreiten des Finaltons um eine Sekunde erlaubt, außer bei Lydisch (5. Ton), wo die Finalis als absolute Untergrenze des Ambitus galt. Bei den plagalen Modi war der erlaubte Abstieg durch die Unterquarte oder -quinte begrenzt.[1]

Grenzen der Systematik

Für manche Kirchentonarten veränderte sich die Position der Confinalis oder des Rezitationstones auch im Verlauf der Jahrhunderte.

Zusätzlich waren den verschiedenen Kirchentonarten in früherer Zeit auch jeweils eigene rhythmische, melodische und artikulatorische Aspekte zugeordnet. Einige Varianten der Modi, besonders in ostkirchlichen Formen, enthalten Drittel- und Vierteltöne.

Ändert sich die Tonart innerhalb eines Stückes, bezeichnet man den Modus auch als Tonus peregrinus („Fremder Ton“).

Die acht alten Kirchentonarten

Westkirchlicher Name Ostkirchlicher Name
(gregorianischer Name[13])
Finalis Repercussa
(Ténor)
Tiefster Ton
Dorisch Erster Ton (Protus authenticus[14]) d a d
Hypodorisch Zweiter Ton (Protus plagalis) d f A
Phrygisch Dritter Ton (Deuterus authenticus) e (h) c e
Hypophrygisch Vierter Ton (Deuterus plagalis) e (g) a H
Lydisch Fünfter Ton (Tritus authenticus) f c f
Hypolydisch Sechster Ton (Tritus plagalis) f a c
Mixolydisch Siebter Ton (Tetrardus authenticus) g d g
Hypomixolydisch Achter Ton (Tetrardus plagalis) g c d

Die vier neuen Kirchentonarten

Diese entsprechen den späteren Tongeschlechtern Natur-Moll (äolisch) und Dur (ionisch). Bemerkenswert ist, dass diese in der heutigen Musik so verbreiteten Skalen im mitteleuropäischen Mittelalter zunächst nur als Varianten von anderen, teilweise transponierten Kirchentonarten angesehen wurden: Im dorischen Modus kann schon im Mittelalter der Ton b vorkommen. Transponiert man diesen Modus diatonisch so, dass sein Grundton a ist, so erhält man die Skala, die später als „äolisch“ bezeichnet wird. Ähnlich erhält man die später als „ionisch“ bezeichnete Skala als Variante der lydischen Tonart mit tiefalteriertem b. Diese Alterationen wurden aber nur in Zweifelsfällen notiert, ansonst musste der Ausführende die richtige Alteration selber finden. Bei der Aufführung von mehrstimmigen Werken des Spätmittelalters, die auf einer lydischen Skala basieren, stößt man darauf, dass die tiefe Alteration des b sogar eher die Regel als die Ausnahme gewesen sein muss. Die ionische (Dur-) und die äolische (Moll-) Skala wurden also schon im Mittelalter benutzt, aber erst in der Renaissancezeit wurden sie in der Musiktheorie als eigenständige Skalen beschrieben. Eine bedeutende Abhandlung über diese Modi ist bei Glarean zu finden (1547).

Westkirchlicher Name Ostkirchlicher Name Finalis Repercussa
(Ténor)[15]
Tiefster Ton
Äolisch Neunter Ton a e a
Hypoäolisch Zehnter Ton a c e
Ionisch Elfter Ton c g c
Hypoionisch Zwölfter Ton c e G

Neuzeitliche Erweiterungen

Lokrisch

Hauptartikel: Lokrischer Modus

Zur Vervollständigung wurde Lokrisch und sein plagales Gegenstück Hypolokrisch als letzte Modi eingeführt. In der Musik des Mittelalters und der Renaissance wird dieser Modus weder theoretisch bezeichnet noch praktisch verwendet. Lokrisch ist der einzige Modus, der auf der fünften Stufe eine dissonante verminderte Quinte enthält. In der Musikpraxis wird diese Skala selten als Basis verwendet.

Im Evangelischen Gesangbuch findet sich ein neuzeitliches Beispiel für die Verwendung des Lokrischen: die 1986 von Hans Georg Bertram verfasste Melodie des Liedes 533 Du kannst nicht tiefer fallen. Beim Begleiten dieses Liedes merkt man, dass der verminderte Dreiklang über dem Grundton zum Ausweichen in eine andere Tonart zwingt.

Westkirchlicher Name Finalis Repercussa
(Ténor)
Tiefster Ton
Lokrisch h keine h
Hypolokrisch h keine f

Heptatonia Prima und Secunda

Sieht man die Kirchentonarten als ein System verschiedener heptatonischer (also siebenstufiger) Modi, die auf derselben Skala basieren, so lässt sich analog dazu ein ebenfalls siebenstufiges System auf Basis der akustischen Skala bilden, das auch als Heptatonia Secunda bezeichnet wird. Dementsprechend können die Kirchentonarten und deren Modi auch als Heptatonia Prima bezeichnet werden.

Modi in der Mehrstimmigkeit

Da die Kirchenmodi von ihrem Tonumfang (Ambitus) her auf ungefähr eine Oktave beschränkt waren, wurde für den mehrstimmigen Gesang ein solches Dispositionsschema verwendet (idealtypisches Beispiel für den 1. Modus, Dorisch):[16]

Stimme Ambitus und Finalis (fettgedruckt) Modus
Cantus (Sopran) d′ – a′ - d′′ Dorisch
Altus a – d′ – a′ Hypodorisch
Tenor d – a – d′ Dorisch
Bassus A – d – a Hypodorisch

Cantus und Tenor singen in Dorisch, Altus und Bassus in Hypodorisch. Sowohl Dorisch als auch Hypodorisch haben dieselbe Finalis. Sie unterscheiden sich lediglich im Ambitus. Cantus und Tenor werden als „herrschende Stimmen“ bezeichnet. Dementsprechend passen sich die Stimmen Altus und Bassus unter Berücksichtigung der Kontrapunktregeln als „dienende Stimmen“ den beiden anderen an.

Der Ambitus der Stimme konnte im Rahmen bestimmter „Lizenzen“ auch über- oder unterschritten werden.

Herleitung mittels Klaviatur

Klaviatur im 7-2-3-System

Die Tonarten lassen sich auf einer Klavier-Klaviatur durch eine Halbtonformel bestimmen. Verwendet man beispielsweise die ionische Tonleiter mit der Formel „2 2 1 2 2 2 1“ mit C als Grundnote, so geht man am Piano erst um 2 Halbtöne nach rechts und erhält damit die Note D, erhöht erneut um 2 Halbtöne um auf die Note E zu gelangen, einen Halbton um auf F zu gelangen usw. Hieraus ergibt sich, dass die ionische Tonleiter in C aus den Noten C, D, E, F, G, A, H und C besteht.

Bei einer Klaviatur im modernen 7-2-3-System handelt es sich in diesem Fall um die weißen Tasten auf dem Klavier, die natürlichen Noten. Umgekehrt lässt sich also die Halbtonformel für den ionischen Modus dadurch bestimmen, dass man bei der Note C beginnt, die Anzahl der Halbtöne bis zur jeweils nächsten weißen Taste zu zählen.

Beim Bestimmen bestimmter Tonleitern landet man teilweise auf schwarzen Tasten, den enharmonischen Noten. Beginnt man etwa im Grundton C im äolischen Modus zu zählen, so fällt die dritte Note (zwischen D und E), sechste Note (zwischen G und A) und siebente Note (zwischen B und C) auf eine schwarze Taste. Aufgrund der Enharmonischen Verwechslung werden die Namen dieser Noten so gewählt, dass sie keinen bereits für eine andere Taste bestimmten Buchstaben erhalten. Da z. B. der Buchstabe D bereits für die zweite Note vergeben wurde, wird die dritte Note somit nicht als D♯, sondern als E♭ bezeichnet, denn der Buchstabe E wird in der Tonleiter nicht anderweitig vergeben. Eine Moll-Tonleiter zeichnet sich hierbei, sofern man mit der Note C zu zählen beginnt, dadurch aus, dass die dritte Note mit ♭ bezeichnet wird. Die dritte Note ist somit in Moll-Tonleitern mit der Grundnote aharmonisch (d. h. nicht periodisch), wodurch ein in Moll verfasstes Stück von einem Zuhörer als „traurig“ wahrgenommen wird. Umgekehrt wird ein in Dur verfasstes Stück als „fröhlich“ wahrgenommen.

Die Modi besitzen zudem noch eine weitere, von der Grundnote unabhängige, Schreibweise, welche auf der Durchnummerierung der Töne basiert. Die Noten werden, anhand ihrer relativen Position zur entsprechenden Note im ionischen Modus, mit vorangestelltem ♭ oder ♯ bezeichnet.

Beginnt man bei der sechsten Note einer Dur-Tonleiter zu zählen, so erhält man die zugehörige Moll-Tonleiter. Beginnt man in einer Moll-Tonleiter an der dritten Note zu zählen, so erhält man die zugehörige Dur-Tonleiter. So erhält man etwa aus der C-Dur-Tonleiter die A-Moll-Tonleiter, während man aus der D-Moll-Tonleiter die F-Dur-Tonleiter erhält.

Modus Typ Formel
(in Halbtönen)
Beispiel[a 1]
(Grundnote derart gewählt,
dass man natürliche Noten erhält)
Beispiel[a 1]
(mit Grundnote C)
Schreibweise
Ionisch Dur 2 2 1 2 2 2 1 C → D → E → F → G → A → B → C C → D → E → F → G → A → B → C 1 2 3 4 5 6 7
Dorisch Moll 2 1 2 2 2 1 2 D → E → F → G → A → B → C → D C → D → E♭ → F → G → A → B♭ → C 1 2 ♭3 4 5 6 ♭7
Phrygisch Moll 1 2 2 2 1 2 2 E → F → G → A → B → C → D → E C → D♭ → E♭ → F → G → A♭ → B♭ → C 1 ♭2 ♭3 4 5 ♭6 ♭7
Lydisch Dur 2 2 2 1 2 2 1 F → G → A → B → C → D → E → F C → D → E → F♯ → G → A → B → C 1 2 3 ♯4 5 6 7
Mixolydisch Dur 2 2 1 2 2 1 2 G → A → B → C → D → E → F → G C → D → E → F → G → A → B♭ → C 1 2 3 4 5 6 ♭7
Äolisch Moll 2 1 2 2 1 2 2 A → B → C → D → E → F → G → A C → D → E♭ → F → G → A♭ → B♭ → C 1 2 ♭3 4 5 ♭6 ♭7
Lokrisch Moll 1 2 2 1 2 2 2 B → C → D → E → F → G → A → B C → D♭ → E♭ → F → G♭ → A♭ → B♭ → C 1 ♭2 ♭3 4 ♭5 ♭6 ♭7
  1. 1,0 1,1 Zur einfacheren Zählbarkeit wurde hier der im englischen Sprachraum übliche Buchstabe B, statt des im deutschen Sprachraum üblichen Buchstabens H, verwendet.

Beispiele

Auch in den heutigen Kirchengesangbüchern – z. B. im katholischen Gotteslob (GL) von 2013 bzw. 1975 (GL1975) oder im Evangelischen Gesangbuch (EG) – findet sich eine Reihe von Liedern, die in den alten Modi stehen. Das Sigel „ö“ (für „ökumenisch“) kennzeichnet dabei Fassungen, die durch die Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut erarbeitet worden sind.

1. Ton (Dorisch)

Rorate, Gregorianische Melodie (lateinisch gesungen)
Ostersequenz Victimae paschali laudes, Gregorianische Melodie (lateinisch gesungen)
  • Victimae paschali laudes (Dem Osterlamm, das geopfert wurde; Ostersequenz, GL 320, 11. Jahrhundert)
  • Herr, send herab uns deinen Sohn (GL 222, 1608)
  • Gottes Lamm, Herr Jesu Christ (GL1975 161, 1945)
  • Wir danken dir, Herr Jesu Christ (EG 107, GL 297, 1560)
Pfingstsequenz Veni Sancte Spiritus, Gregorianische Melodie (lateinisch gesungen)
Sequenz der Totenmesse Dies irae

2. Ton (Hypodorisch)

3. Ton (Phrygisch)

Te Deum (gregorianische Melodie)

4. Ton (Hypophrygisch)

Das Weizenkorn muss sterben

5. Ton (Lydisch)

6. Ton (Hypolydisch)

Ecce lignum Crucis
  • Ecce lignum crucis (Seht das Kreuz; GL 308,2, 9. Jahrhundert)
  • Nun bitten wir den Heiligen Geist (GL 348, EG 124)
  • Österliches Halleluja (GL 175,2)
  • Kyrie XVII C, Advent und Fastenzeit (GL 117)

7. Ton (Mixolydisch)

Introitus Puer natus est, Gregorianischer Gesang

8. Ton (Hypomixolydisch)

Pfingsthymnus Veni creator spiritus

Siehe auch

Literatur

  • Charles M. Atkinson (Übs. I. Misch): Modus. In: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Bd. 4, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller, Schriftleitung Markus Bandur, Steiner, Stuttgart 1972–2006 (Digitalisat).
  • Daniel Saulnier: Les Modes Grégoriens. la Froidfontaine, Solesmes 1997, ISBN 2-85274-193-8 (Englische Übersetzung: The Gregorian modes. Translated by Edward Schaefer. Abbaye Saint-Pierre, Solesmes 2002, ISBN 2-85274-220-9).
  • Modus Musicus. In: Johann Gottfried Walther: Musicalisches Lexicon […]. Wolffgang Deer, Leipzig 1732, S. 409–415

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Willibald Gurlitt, Hans Heinrich Eggebrecht (Hrsg.): Riemann Musik Lexikon, Sachteil, Mainz: Schott 1967, S. 455 f
  2. Karl H. Wörner: Geschichte der Musik, Göttingen 1965, S. 80
  3. Hartmut Möller, Rudolph Stephan (Hrsg.): Die Musik des Mittelalters. Laaber 1991, S. 152 f.
  4. Lateinischer Text aus Martin Gerbert (Hrsg.): Scriptores ecclesiastici de musica sacra potissimum. 3 vols. Typis San-Blasianis, St. Blaise 1784; reprint Olms, Hildesheim 1963, Band 1, S. 26–27
  5. Margaretha Landwehr von Pragenau: Schriften zur ARS MUSICA. Wilhelmshaven 1986, S. 7 ff.
  6. Margaretha Landwehr von Pragenau: Schriften zur ARS MUSICA. Wilhelmshaven 1986, S. 97–103, Capitum XIX (Neunzehntes Kapitel) aus Aurelian von Réomé: Musica Diciplina. Siehe auch Aurelians Unterscheidung von Musicus und Cantor im Capitulum VII, S. 94–97. Der Gegensatz Musicus-Cantor wurde gerade im 8. und 9. Jahrhundert von Theoretikern – aufbauend auf dem Schlusskapitel des ersten Buches von Boethius’ De [institutione] musica libri quinque – häufig erörtert.
  7. Begriff des 12. Jahrhunderts
  8. Joseph Smits van Waesberghe: Musikerziehung. Lehre und Theorie der Musik im Mittelalter. Leipzig 1969, S. 90
  9. Terence Bailey: The Intonation Formulas of Western Chant. Toronto 1974
  10. Joseph Smits van Waesberghe: Musikerziehung. Lehre und Theorie der Musik im Mittelalter. Leipzig 1969, S. 122f., siehe auch Abb. rechts
  11. Über das Ethos der Kirchentöne
  12. Brief Guidos an den Mönch Michael über einen unbekannten Gesang
  13. Luigi Agustoni, Johannes Berchmans Göschl: Einführung in die Interpretation des Gregorianischen Chorals, Band 1: Grundlagen, Kapitel 1.3.2: Die acht Modi des Oktoechos. Gustav Bosse Verlag, Kassel (1995)
  14. Neben der korrekten Schreibweise authenticus findet sich in der Literatur auch recht häufig die Falschschreibung authentus.
  15. Markus Gorski: Kirchentonarten II. In: lehrklänge.de. Abgerufen am 12. Januar 2018.
  16. Bernhard Meier: Alte Tonarten, dargestellt an der Instrumentalmusik der 16. und 17. Jahrhunderts. Bärenreiter, Basel 1992, S. 20–25


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