Andrej Bely und Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Bild:Andrej Belyj.jpg|thumb|Andrej Bely]]
[[Datei:Marx EighteenthBrumaire.JPG|mini|Titelblatt der Erstausgabe]]
[[Bild:Bakst bely.jpg|thumb|right|Andrej Bely, Porträt von [[Wikipedia:Leon Bakst|Leon Bakst]].]]
'''Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte''', auch bekannt als '''Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon''', ist eine erstmals im Mai 1852 veröffentlichte Schrift von [[Karl Marx]] (1818–1883). Marx analysiert dort den Verlauf des [[Staatsstreich vom 2. Dezember 1851|Staatsstreichs]] [[Napoleon III.|Louis Napoleons]] (1808–1873) in [[Frankreich]] 1851. Dabei bildet die Analyse des konkreten, noch nicht abgeschlossenen historischen Ereignisses die Basis für Marx, um seine eigenen Theorien weiterzuentwickeln. Für ihn stellen die [[Februarrevolution 1848|Februarrevolution]] und der darauf folgende Staatsstreich gesellschaftliche [[Klassenkampf|Klassenkämpfe]] dar. Marx entwickelt sein Verständnis der [[Soziale Klasse#Die Klassengliederung im Kapitalismus bei Karl Marx|Klasse]] weiter wie seine [[Geschichtsphilosophie#Karl Marx und der Historische Materialismus|geschichtsphilosophischen]] Annahmen. Generell gilt das Werk als eine Darstellung [[Marxismus|marxistischer]] Gesellschaftsanalyse und Geschichtstheorie. Es finden sich in ihm einige der bekanntesten Marx-[[Zitat]]e.
'''Andrej Bely''', mit bürgerlichem Namen '''Boris Nikolajewitsch Bugajew''' ({{RuS|Андрей Белый}} (Pseudonym), eigentlich Борис {{lang|ru|Николаевич Бугаев}}/''{{lang|ru-Latn|Boris Nikolajewitsch Bugajew}}'', auch ''Andrej Belyj''; * {{JULGREGDATUM|26|10|1880|Link="false"}} in [[Wikipedia:Moskau|Moskau]], † [[Wikipedia:8. Januar|8. Januar]] [[Wikipedia:1934|1934]] ebenda) war ein [[Wikipedia:Russland|russischer]] Dichter und gilt als führender Vertreter und Theoretiker des [[Wikipedia:Symbolismus (Literatur)|Symbolismus]]. Für radikale Innovationen in der Literatur wird seit [[Wikipedia:1978|1978]] der mit nur einem symbolischen [[Wikipedia:Rubel|Rubel]] dotierte Andrej-Bely-Preis vergeben, der heute als der angesehenste nicht-staatliche russische Literaturpreis gilt.


== Leben ==
== Überblick ==
Andrej Bely wurde als ''Boris Nikolajewitsch Bugajew'' am {{JULGREGDATUM|26|10|1880|Link="false"}} in [[Wikipedia:Moskau|Moskau]] geboren. Sein Vater ''Nikolai Wassiljewitsch Bugajew'' war Professor für Mathematik an der [[Wikipedia:Universität Moskau|Universität Moskau]] und hatte für einige Jahre auch das Amt des Dekans der physikalisch-mathematischen Fakultät inne. Er war ein ebenso entschiedener [[Wikipedia:Positivismus|Positivist]], wie Belys Mutter ''Alexandra Dmitrijewna Bugajew'', geb. ''Jegorowa'', die die Musik und Literatur liebte und ausgezeichnete Klavier spielte, eine glühende [[Wikipedia:Idealismus|Idealistin]] war. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen zwei so unterschiedlichen Weltanschauungen und das reiche künstlerische und intellektuelle Umfeld, in das Bely bedingt durch sein Elternhaus schon früh eigetaucht war, prägte sein späteres Leben entscheidend.
=== Zum Titel der Schrift ===
Die Formulierung „der achtzehnte Brumaire“ ist eine Anspielung auf den 9. November 1799 (nach dem [[Französischer Revolutionskalender|Französischen Revolutionskalender]]). An diesem Tag wurde Louis Napoleons Onkel [[Napoléon Bonaparte]] durch einen Staatsstreich, bekannt als [[Staatsstreich des 18. Brumaire VIII]], zum Alleinherrscher mit [[Diktatur|diktatorischen]] Vollmachten. Der Titel ist ein ironischer Vergleich der beiden Staatsstreiche, dementsprechend liest sich der Einleitungssatz, der eines der bekanntesten Zitate des ''achtzehnten Brumaire'' darstellt:
{{Zitat|Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.|Karl Marx: ''Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte''. New York 1852, S. 1<ref>Marx-Engels-Gesamtausgabe Abteilung I. Band 11, S. 96</ref>}}


Bely besuchte das beste private Gymnasiaum Moskaus und studierte danach von [[Wikipedia:1899|1899]] bis [[Wikipedia:1903|1903]] an der naturwissenschaftlichen Abteilung der physikalisch-mathematischen Fakultät der Moskauer Universität. Nach seinem Abschluss studierte er weiter an der historisch-philologischen Fakultät auf, brach aber bereits nach einem Jahr ab, um sich von nun an völlig der Literatur zu widmen. Schon mit 16 Jahren hatte er, anfangs heimlich, begonnen, Gedichte und Prosa zu schreiben. Als er endlich seinen Vater damit konfrontierte, brachte ihm dieser aber nur Spott und Kritik entgegen. Belys einziger fester Halt in dieser Zeit war die Familie von [[Wladimir Sergejewitsch Solowjow|Wladimir Solowjow]], mit der er seit seinem 15. Lebensjahr verkehrte. Solowjows jüngerer Bruder Michail, Solowjows Frau und sein Sohn Sergej unterstützten lebhaft Belys philosophische und künstlerische Ambitionen und Solowjows Gedankenwelt hinterließ bei ihm einen bleibenden tiefen Eindruck. [[Wikipedia:1900|1900]] wohnte Bely einer Lesung Solowjows bei, wo dieser seine soeben beendete ''„Kurze Erzählung vom Antichrist“'' vortrug. Danach kam er mit ihm ins Gespräch und man plante weitere Zusammentreffen, doch starb Solowjow noch im selben Jahr, so dass es nicht mehr dazu kam.
=== Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte ===


Bely wandte sich nun vorübergehend dem [[Buddhismus]] zu und studierte die Philosophie [[Wikipedia:Arthur Schopenhauer|Arthur Schopenhauers]], was ihn allerdings nicht endgültig befriedigen konnte, um schließlich in [[Wikipedia:Friedrich Nietzsche|Friedrich Nietzsche]]s Denken neben Solowjow eine zweite tragende Säule für seine Weltanschauung zu finden, die von der geradezu mystischen Ahnung beseelt war, dass schon bald ein neues geistiges Zeitalter anbrechen würde, für das er seinen Beitrag leisten wollte. Das Jahr [[Wikipedia:1901|1901]] erlebte Bely sehr intensiv und erfüllt mit höchster schöpferischer Spannkraft. In diesem Jahr fand er die Grundlage für sein späteres künstlerisches Schaffen. Unter dem starken Einfluss [[Wikipedia:Richard Wagner|Richard Wagner]]s und [[Alexander Nikolajewitsch Skrjabin]]s, der Mitglied der [[Theosophische Gesellschaft Adyar|Theosophischen Gesellschaft Adyar]] in [[Wikipedia:Belgien|Belgien]] war, schuf Belyj eine neue eigenständige literarische Gattung, die er als ''"Dramatische Symphonie"'' bezeichnete. Das sind Prosadichtungen, die mit durchgehenden Themen, wiederkehrenden Leitmotiven und einem besonderen Handlungsverlauf ähnlich streng gebaut sind, wie musikalischen Kompositionen. Erstmals lernte Bely nun auch die [[Theosophie]] kennen, ohne sich aber näher mit dieser Geistesströmung zu verbinden.
Verfasst wurde ''Der achtzehnte Brumaire'' von Mitte Dezember 1851 bis zum 25. März 1852. Der etwa 100 Seiten lange und in sieben Kapitel gegliederte Text erschien unter dem Titel ''Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon'' erstmals am 18. Mai 1852 im ersten Heft der in [[New York City]] ([[USA]]) veröffentlichten monatlichen Zeitschrift ''Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften'' von [[Joseph Weydemeyer]] mit einer Auflage von 500 Exemplaren.<ref name="Rosalux">[http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/141_142_hoff.pdf Klassen–Revolution–Demokratie. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte.] (PDF; 67&nbsp;kB) - Hoff, Jan: in: UTOPIE kreativ, H. 141/142 (Juli/August 2002), S. 743–745</ref>  Eine Übersetzung durch [[Wilhelm Pieper (Revolutionär)|Wilhelm Pieper]], damals Sekretär von Marx, ins Englische fand keinen Verlag.<ref>[[Internationales Institut für Sozialgeschichte|IISG]] Marx Engels Nachlass Q 16 Wilhelm Pieper: „Übersetzung des ‚18. Brumaire‘, Kap. II u. III.  ca September 1852, 51 Seiten“ und eine von [[Jenny Marx]] gefertigte „Abschrift von Kap. VI“ (RGASPI, Moskau Fond 1 opis 1 delo 703).</ref> Nur ein kleiner Auszug aus dem ersten Kapitel erschien in der Zeitung „Peoples Paper“ innerhalb des Artikels „A Review of the Literature on the Coup d'Etat“ am 18. Dezember 1852, der von [[Johann Georg Eccarius]] mit Hilfe von Marx geschrieben wurde.<ref>Marx-Engels-Gesamtausgabe Abteilung I, Bd. 11, S. 515–521.</ref> Eine zweite, überarbeitete Auflage wurde 1869 in [[Hamburg]] mit einem Vorwort von Marx veröffentlicht<ref>Marx führt im Vorwort zur zweiten Auflage aus, dass Druckfehler korrigiert wurden und eine Streichung „nicht mehr verständlicher Anspielungen“ erfolgte. [http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/vorwort2.htm Quelle]</ref>, die dritte Auflage nach Marx’ Tod unter der Redaktion und mit einem Vorwort von [[Friedrich Engels]] 1885.<ref>[[Friedrich Engels|Engels]] nahm auf Basis der zweiten Auflage stilistische Veränderungen vor. [http://www.mlwerke.de/me/me08/me08_111.htm Quelle]</ref> Beide Neuauflagen erschienen mit dem Titel ''Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte''. Die französische Erstausgabe erschien nach einer Zusammenarbeit Engels mit Édouard Fautin zwischen Januar und Oktober 1891 in einer Artikelreihe der Zeitschrift ''Socialiste''.<ref name="Rosalux" /> In der [[Marx-Engels-Werke|MEW]]-Ausgabe ist der Aufsatz in Band 8 veröffentlicht (S. 111–207). In der [[Marx-Engels-Gesamtausgabe]] ist der Text mit allen Varianten in der Abteilung I. Bd. 11, S. 96–189 veröffentlicht.


[[Bild:Alexander_Blok.jpg|thumb|left|[[Wikipedia:Alexander Alexandrowitsch Blok|Alexander Alexandrowitsch Blok]] (1880-1921)]]
=== Historischer Hintergrund ===
Mit der [[Wikipedia:1902|1902]] veröffentlichten zweiten "Sinfonie" gelang Bely der erhoffte literarische Durchbruch. Das Werk fand weithin große Anerkennung, ganz besonders bei den [[Wikipedia:Symbolismus|Symbolisten]], denen sich Bely von nun an als bedeutender Vertreter zuzählen durfte. Einige der bekanntesten russischen Schriftsteller und Schriftstellerinnen seiner Zeit zählen nun zu seinen Bekannten, so [[Wikipedia:Dmitri Sergejewitsch Mereschkowski|Dmitri Sergejewitsch Mereschkowski]], [[Wikipedia:Sinaida Hippius|Sinaida Hippius]], [[Wikipedia:Waleri Jakowlewitsch Brjussow|Waleri Jakowlewitsch Brjussow]] und [[Wikipedia:Konstantin Dmitrijewitsch Balmont|Konstantin Dmitrijewitsch Balmont]]. Am bedeutendsten für Bely wurde aber die sehr wechselhafte Freundschaft mit dem Dichter [[Wikipedia:Alexander Alexandrowitsch Blok|Alexander Blok]], die die beiden von [[Wikipedia:1903|1903]] bis zu Bloks Tod [[Wikipedia:1921|1921]] verband. Diese Freundschaft ging durch alle Höhen und Tiefen und schwankte immer wieder zwischen tiefem gegenseitigen Verständnis und offen ausgetragener Feindschaft - bis hin zu einer zweimaligen Forderung zum Duell.


Schon [[Wikipedia:1904|1904]] wandelt sich Belys Höhenflug zur inneren Krise; er beginnt an seinen neuen Dichterfreunden zu zweifeln. Sie scheinen ihm zu abgehoben, blasiert und allzu sehr der [[Wikipedia:Décadence|Décadence]] verfallen. Eine wirklich tragfähige geistige Basis scheint ihrem Wirken zu mangeln. Bely sucht nach einer neuen geistigen Stütze und wendet sich der nüchternen, aber exakten, wissenschaftlich gründlichen Philosophie [[Wikipedia:Immanuel Kant|Immanuel Kant]]s zu. Daneben interessiert er sich für [[Wikipedia:Psychologie|Psychologie]] und arbeitet intensiv an der theoretischen Begründung des [[Wikipedia:Symbolismus (Literatur)|Symbolismus]]. In der führenden symbolistischen Zeitschrift «Wessy» (Waage) erscheinen zahlreiche Artikel Belys, in denen er ein mystisch-poetische Bild Russlands zeichnet, das zu einem zentralen und bleibenden Thema seines künstlerischen Schaffens wird. Im selben Jahr liest Bely erstmals [[Rudolf Steiner]]s [[GA 8|Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums]], ohne dass davon zunächst ein bleibender Eindruck zurückbleibt.
[[Datei:Horace Vernet-Barricade rue Soufflot.jpg|mini|''Barrikadenkampf in der Rue Soufflot, Paris, 25. Juni 1848'' ([[Februarrevolution 1848#Juniaufstand und Konterrevolution|Juniaufstand]])<ref>[http://www.dhm.de/ausstellungen/bildzeug/qtvr/DHM/n/BuZKopie/raum_21.01.htm Deutsches Historisches Museum]</ref>]][[Datei:Napoleon-III-karikatur.jpg|mini|130px|[[Napoléon III.|Louis Napoleon]], zeitgenössische Karikatur]]
[[Napoléon III.|Louis Napoleon]], auch bekannt als Napoléon III., der zuvor schon 1836 und 1840 gescheiterte [[Putsch]]versuche beging, kehrte nach der [[Februarrevolution 1848]] gegen den [[Ludwig Philipp (Frankreich)|„Bürgerkönig“ Louis-Philippe von Orléans]] ins Frankreich der [[Zweite Französische Republik|Zweiten Französischen Republik]] zurück, und gewann im Dezember die Präsidentschaftswahlen gegen den bisherigen Präsidenten [[Louis-Eugène Cavaignac]]. Drei Jahre später erzwang er sich durch einen Staatsstreich am 2. Dezember 1851 diktatorische Vollmachten und ließ sich, nach einem [[Plebiszit]] (Volksbeschluss), im Dezember 1852 zum [[Kaiser]] des [[Zweites Kaiserreich|Zweiten Kaiserreichs]] ausrufen.  


In der Zeit von [[Wikipedia:1906|1906]] bis [[Wikipedia:1907|1907]] bricht Bely zu ersten Auslandsreisen auf, die ihn nach [[Wikipedia:München|München]] und [[Wikipedia:Paris|Paris]] führen. In München trifft er die in [[Wikipedia:Russland|russischen]] Intellektuellenkreisen weithin bekannte und in [[Theosophie|theosophischen]] und später [[anthroposophisch]]en Kreisen aktive [[Okkultist]]in [[Anna Minzlowa]], die ihm rät, Vorträge [[Rudolf Steiner]]s zu besuchen, was Bely jedoch ablehnt. Minzlowa hatte zweifellos bemerkenswerte [[okkult]]e Fähigkeiten, doch mangelte es ihr an Klarheit, Objektivität und Selbstbeherrschung. Bely  hat sie in seinen autobiographischen Schriften zuerst noch als "unsere Inspiratrice", später jedoch als "vermutlich geisteskrank" bezeichnet. Trotz dieser ihm letztlich zweifelhaft erscheinenden Fürsprecherin erwachte in Bely in den folgenden Jahren ein wachsendes Interesse für Steiners Wirken und er studierte alle Nachrichten, die darüber zu ihm vordrangen.
Im Rahmen einer Schlacht des [[Deutsch-Französischer Krieg|Deutsch-Französischen Krieges]] (1870–1871) wurde er im September 1870 gefangen genommen und zwei Tage später durch die Ausrufung der [[Dritte Französische Republik|Dritten Republik]] gänzlich entmachtet.


Von [[Wikipedia:1908|1908]] an arbeitete Bely vorwiegend an seinen beiden Gedichtbänden ''"Asche"'' und ''"Die Urne"''. [[Wikipedia:1909|1909]] veröffentlicht er seinen Roman ''"Die silberne Taube"''. Im selben Jahr heiratet er auch die Grafikerin [[Assja Turgenieff]], eine Großnichte des Dichters [[Wikipedia:Iwan Turgenieff|Iwan Turgenieff]]s, die er in [[Wikipedia:Paris|Paris]] kennengelernt hatte. Ihr geistiger Einfluss gibt seinem Schaffen unverkennbar neue Impulse.
=== Inhalt und Erkenntnisinteresse ===


[[Bild:Andrej Belyj und Assja Turgenieff.jpg|thumb|left|Andrej Bely mit seiner Gattin [[Assja Turgenieff]].]]
Wie Friedrich Engels in seinem Vorwort ausführt, setzte sich Marx in besonderem Maß mit der Geschichte Frankreichs auseinander, da sie für ihn, wie Engels schreibt, eine Geschichte von [[Klassenkampf|Klassenkämpfen]] „in den schärfsten Umrissen ausgeprägt“ darstelle.<ref>[http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/vorwort3.htm ''Vorwort zur 3. Auflage'', Friedrich Engels  1885]</ref> Marx verfasste zuvor schon 1850 die Schrift „[[Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848–1850]]“ und setzte sich mit weiten Teilen der Geschichte Frankreichs zur Zeit der [[Zweite Französische Republik|Zweiten Französischen Republik]] auseinander. Die Ausrufung Louis Napoleons zum Kaiser, und damit das Ende der Republik, fand wenige Monate nach der Veröffentlichung des ''achtzehnten Brumaire'' statt. Marx merkte diesbezüglich später im Vorwort zur zweiten Auflage an: „''Der Schlußsatz meiner Schrift: ‚Aber wenn der Kaisermantel endlich auf die Schultern Louis Bonapartes fällt, wird das eherne Standbild Napoleons von der Höhe der Vendôme-Säule herabstürzen‘, hat sich bereits erfüllt.''“<ref name="Vorwort 2. Auflage">[http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/vorwort2.htm ''Vorwort zur 2. Auflage'', Karl Marx 1869]</ref> Marx’ Interesse war es, den Verlauf des Staatsstreichs und der Februarrevolution als ''Klassenkämpfe'' zu durchschauen, um auf Basis dieser Erkenntnisse Handlungsmöglichkeiten zu erschließen, sich einer nach seinen philosophischen Theorien gerechteren, [[Klassenlose Gesellschaft|klassenlosen Gesellschaft]] anzunähern. So wurde diese Studie eine seiner ‚soziologischsten‘ Schriften.
[[Wikipedia:1910|1910]] veröffentlichte Bely seine programmatische Schrift ''"Der Symbolismus"''. Danach unternahm mit seiner Gattin Assja ausgedehnte Reisen nach Sizilien, Griechenland, Palästina und Ägypten, wo sie gemeinsam die alten Kulturen im Spiegel iherer Kunstwerke studieren wollten. Im Frühjahr [[Wikipedia:1912|1912]] gingen beide nach [[Wikipedia:Brüssel|Brüssel]], wo Assja bei dem bedeutenden Grafiker und Graveurmeister Michel Danse Unterricht nahm. Bely arbeitete indessen schon seit Herbst [[Wikipedia:1911|1911]] an seinem für den Symbolismus wegweisenden Roman ''"Petersburg"''.  


Die geistige Suche und mehrere merkwürdige Erfahrungen in [[okkult]]en Zusammenhängen warfen für Assja und Andrej Belyj viele grundlegende Fragen auf. Schließlich etschlossen sie sich, Rat bei [[Rudolf Steiner]] zu suchen. Sie trafen ihn erstmals am [[Wikipedia:7. Mai|7. Mai]] [[Wikipedia:1912|1912]] in [[Wikipedia:Köln|Köln]]. Diese Begegnung war für Bely von einschneidender Bedeutung. Er fand in der [[Anthroposophie]] die wahre Grundlage seines künstlerischen Schaffens und sah in ihr die von ihm ersehnte Verwirklichung des Symbolismus. Mystische Tiefe verband sich darin, wie er meinte, mit größter wissenschaftlicher Strenge - und genau das war es, wonach er schon lange gesucht hatte. Bely wurde esoterischer Schüler Steiners und schon bald begleitete das Ehepaar Rudolf Steiner auf seinen zahlreichen Vortragsreisen. [[Wikipedia:1912|1912]] und [[Wikipedia:1913|1913]] sahen sie die Aufführungen von Steiners [[Mysteriendramen]] in [[Wikipedia:München|München]]. Sie hörten auch die dort gehaltenen Vortragszyklen  und andere in [[Wikipedia:Kopenhagen|Kopenhagen]] und tief beeindruckt von den im Oktober [[Wikipedia:1913|1913]] in [[Wikipedia:Kristiania|Kristiania]] ([[Wikipedia:Oslo|Oslo]]) gehaltenen Vorträgen über "[[GA 148|Das Fünfte Evangelium]]" schrieb Bely an Rudolf Steiner einen Brief, in dem er ihm seine unverbrüchliche Treue gelobte und schwor, sein ganzes weiteres Leben der [[Anthroposophie]] zu weihen. Bis [[Wikipedia:1916|1916]] hat Bely insgesamt etwa 400 Vorträge Steiners miterlebt.
In der Schrift wird der Staatsstreich Louis Napoleons 1851 aus historischer, aber vor allem aus [[Gesellschaft (Soziologie)|gesellschaftsanalytischer]] Sichtweise betrachtet.<ref>Kenntnisse der historischen Personen und Ereignisse konnten im ''achtzehnten Brumaire'' seiner damaligen Aktualität halber vom Autor weitgehend vorausgesetzt werden.</ref> Marx erklärt den Verlauf der Februarrevolution anhand seiner Theorien und entwickelt diese konkretisierend weiter. Welche Klasse trug überhaupt Louis Bonaparte empor? Nicht die Bourgeoisie.<ref>Hier lässt sich Marx auf subtile Analysen der damaligen [[Sozialstruktur]] vor allem auch des ländlichen Frankreich ein.</ref> Aber warum verzichtete diese auch nach der Februarrevolution auf den Griff nach der unmittelbaren Herrschaft und [[Repräsentation (Politik)|politischen Repräsentation]] zu Gunsten einer [[Autoritarismus|autoritären]] Herrschaft Napoleons?<ref name="Stammen97">[[Theo Stammen]], [[Gisela Riescher]], Wilhelm Hofmann (Hrsg.): ''Hauptwerke der politischen Theorie'' (= ''[[Kröners Taschenausgabe]].'' Band 379). Kröner, Stuttgart 1997, ISBN 3-520-37901-5, S. 320–322.</ref><ref name="Marxists.org">Vgl. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/index.htm</ref> In diesem Sinne schreibt er in seinem Vorwort zur zweiten Auflage, dass er nachzuweisen versuche, „''wie der Klassenkampf in Frankreich Umstände und Verhältnisse schuf, welche einer mittelmäßigen und grotesken Personage'' [Louis Napoleon] ''das Spiel der Heldenrolle ermöglichen.''“<ref name="Vorwort 2. Auflage" />


[[Wikipedia:1913|1913]] vollendete Bely sein literarisches Hauptwerk, den Roman ''"Petersburg"''. Bely selbst sah darin sein "vielleicht bestes" Werk. Ein Meisterwerk des Symbolismus ist es zweifellos, wenn auch die meisten zeitgenössischen Kritiker dem Roman zunächst völlig ratlos gegenüberstanden. Farben, Orte, Begegnungen, literarischen und musikalische Anspielungen, jede Kleinigkeit nimmt darin in einem geradezu [[Wikipedia:psychedelisch|psychedelisch]] anmutenden Rausch einen mysterienhaft symbolischen Charakter an. Eine geordnete Harmonie ist nirgends zu erkennen, alles erscheint chaotisch und sprunghaft traumverloren. Die dramatische Handlung beginnt am Vorabend der [[Russische Revolution 1905|Petersburger Revolution von 1905]] und schildert in vielfach [[Wikipedia:kaleidoskop|kaleidoskop]]artig ineinander verwobenen Erzählsträngen, geprägt von einer rhythmisch schwebenden Sprache, die Geschichte des Senators ''Apollon Apollonwitsch Ableuchow'', der von seinem eigenen Sohn ''Nikolaj Apollonowitsch'', der sich den sozialistischen Verschwören angeschlossen hatte, in seinem eigenen Haus durch einen Bombenanschlag ermordet werden soll. [[Wikipedia:Wladimir Nabokow|Wladimir Nabokow]] zählte diesen Roman in einem Atemzug mit ''[[Wikipedia:Ulysses|Ulysses]]'' von [[Wikipedia:James Joyce|James Joyce]] und [[Wikipedia: Franz Kafka|Kafkas]] ''[[Wikipedia:Die Verwandlung|Verwandlung]]'' zu den drei bedeutensten Meisterwerken der Prosaliteratur des [[Wikipedia:20. Jahrhundert|20. Jahrhundert]]s.
=== Theorie ===


Sehr bedeutsam Bely für wurden Rudolf Steiners Vorträge über ''"[[GA 149|Christus und die geistige Welt. Von der Suche nach dem heiligen Gral.]]"'', die zur Weihnachtszeit [[Wikipedia:1913|1913]]/[[Wikipedia:1914|14]] in [[Wikipedia:Leibzig|Leibzig]] stattfanden. Hier lernte er den bereits schwer von seiner Lungenkrankheit gezeichneten Dichter [[Christian Morgenstern]] und einige seiner Freunde, insbesondere [[Michael Bauer]], kennen. Auch mit dem späteren Mitbegründer der [[Christengemeinschaft]] [[Friedrich Rittelmeyer]] wurde Bely näher bekannt. Christian Morgensterns Gattin [[Margareta Morgenstern|Margareta]] sorgte noch 1914 für die erste deutsche Übersetzung von Belys Roman ''"Petersburg"''.
Um den Verlauf des Staatsstreichs zu erklären, erweitert Marx in seiner Analyse das betrachtete [[Klasse (Soziologie)|Klassenspektrum]] neben den Hauptklassen einer bürgerlich-[[Kapitalismus|kapitalistischen]] Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat, um die [[Bauernstand|Bauernschaft]] und das [[Lumpenproletariat]], in denen er entscheidende Kräfte für die Machterlangung Louis Napoleons ausmacht. Dies begründet er sowohl mit materiellen wie [[Ideologie|ideologischen]] Momenten. So sei zum Beispiel die Klasse des Lumpenproletariats durch die Zusicherung sozialer und politischer Reformen auf die Seite Louis Napoleons gezogen worden. Der ländlichen Bauernschaft konstatiert Marx eine traditionelle Napoleonverehrung, auch könne diese Klasse aufgrund ihrer [[Produktionsweise]] in einzelnen [[Parzelle]]n kein gemeinsames [[Klassenbewusstsein]] entwickeln, da ihre Mitglieder voneinander schon räumlich weitestgehend getrennt seien. Ebenso wenig könne sie daher ihre Interessen ''als Klasse'' durchsetzen und bedürfe für diesen Zweck einer starken [[Loyalität|loyalen]] Autorität, die sie in Louis Napoleon sehen.<ref name="Stammen97" />


Im Frühjahr 1914 übersiedelten Assja Turgenieff und Andrej Belyj nach [[Wikipedia:Dornach SO|Dornach]], wo sie gemeinsam an der Errichtung des ersten [[Goetheanum]]s mitwirkten. Zahlreiche führende Anthroposophen, wie etwa [[Mathilde Scholl]], [[Carl Unger]] und [[Sophie Stinde]], zählten nun zum engeren Bekanntenkreis Belys. Ganz besonders aber fühlte er sich [[Marie Steiner]] verbunden. Assja half beim Zeichnen der Baupläne für das Goetheanum und leitete eine Gruppe von Schnitzern, die an den Säulenkapitelen und Architraven arbeitete. Dieser Gruppe gehörte auch Bely an, der am Marskapitel und dem zugehörigen [[Wikipedia:Architrav|Architrav]]en mitschnitzte.
Marx stellt fest, dass neben der Macht des [[Wirtschaft|Ökonomischen]] und des Politischen (des [[Militär]]s und des [[Staat]]sapparats) ebenso die Zustimmung beziehungsweise Gewinnung der Massen für die eigenen, zumindest vorgegebenen Ziele entscheidend seien, um gesellschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen. So legitimierte und erweiterte Louis Napoleon seine autoritäre Herrschaft auch durch Wahlverfahren und Plebiszite.<ref name="Stammen97" />


Im August [[Wikipedia:1916|1916]] wurde Bely zum Kriegsdienst einberufen und kehrte mit Zwischenstationen in [[Wikipedia:Paris|Paris]] und [[Wikipedia:London|London]] nach [[Wikipedia:Moskau|Moskau]] zurück. Die Ehe mit Assja war zu diesem Zeitpunkt schon in eine schwere Krise geraten.
=== Wirkung ===


Nach dem Ausbruch der [[Wikipedia:Februarrevolution 1917|Februarrevolution 1917]] und der Rückkehr [[Wikipedia:Lenin|Lenin]]s trat [[Wikipedia:Russland|Russland]] aus dem [[Wikipedia:Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]] aus. Bely beurteilte die Revolution zunächst positiv, da sie alte, verkrustete Strukturen aufbrach, und blieb in [[Wikipedia:Moskau|Moskau]], wo er trotz der [[Wikipedia:Bolschewismus|bolschwistischen]] Machtergreifung unermüdlich Vorträge und Zusammentreffen zu anthroposophischen Themen organisierte und auch oftmals in der Anthroposophischen Gesellschaft in Russland auftrat. Insbesondere seine Vorträge im ''Moskauer Polytechnischen Museum'' waren sehr gut besucht und hatten oft mehrere hundert Zuhörer und in der ''"Wolnaja Filosofskaja Assoziazija"'', deren Mitbegründer Bely war, hielt er mehr als 300 Vorträge. Für mehrere literarische Zeitschriften schrieb Bely zahlreiche Artikel.
''Der achtzehnte Brumaire'' übte Einfluss auf die [[Totalitarismus]]- und [[Faschismus]]forschung aus (siehe auch: [[Bonapartismus]]). In der [[Politikwissenschaft]] gilt die Schrift als ein bedeutendes Werk der [[Politische Theorie|politischen Theorie]]. Die Rezeption innerhalb des [[Marxismus]] und [[Marxismus-Leninismus]], der dem Werk einen bedeutenden Stellenwert zuweist, betonte vor allem die Aussage des Textes, dass eine siegreiche proletarische [[Revolution]] den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen müsse, anstatt ihn zu übernehmen.<ref>Diese Aussage bezieht sich auf eine Ausgabe des [[DDR]] Verlages Dietz. Quelle: Theo Stammen, Gisela Riescher, Wilhelm Hofmann (Hrsg.): ''Hauptwerke der politischen Theorie.'' Kröner, Stuttgart 1997, ISBN 3-520-37901-5, S. 322.</ref> Generell gilt ''Der achtzehnte Brumaire'' als eine Darstellung marxistischer Gesellschafts- und Geschichtstheorie.<ref name="Stammen97" /><ref name="Marxists.org" />
Nach Ansicht des Philosophen Urs Lindner verbinden sich in Marx’ Aufsatz „Struktur- und Ereignisgeschichte, sozialwissenschaftliche Erklärung und historische Narration“.<ref>Urs Lindner: ''Marx und die Philosophie. Wissenschaftlicher Realismus, ethischer Perfektionismus und kritische Sozialtheorie.'' Stuttgart 2013, S.&nbsp;217.</ref>


Quälende Seelenschmerzen bereitet Bely zu dieser Zeit das zerrüttete Verhältnis zu seiner in [[Wikipedia:Dornach SO|Dornach]] verbliebenen Gattin Assja. [[Wikipedia:1921|1921]] entschließt er sich endlich, sie in [[Wikipedia:Berlin|Berlin]] zu einer Aussprache zu treffen, doch das besiegelte nur die endgültige Trennung. Bely ist tief verzweifelt und als auch noch eine kurze Begegnung mit Rudolf Steiner sehr unglücklich verläuft, ist er dem völligen seelischen Zusammenbruch nahe. Verletzt und enttäuscht wendet er sich von Steiner ab und kritisiert ihn heftig. Erst als die Anthroposophin [[Klawdija Nikolajewna Wassiljewa]], die gemeinsam mit Bely Steiners [[Wikipedia:Basel|Basler]] Vortragszyklus über das [[GA 139|Markus-Evangelium]] gehört hatte, extra aus Moskau anreist, um ihn wieder zu besänftigen, glätten sich die Wogen in Belys aufgewühltem Gemüt. Klawdija Wassiljewa bewegt ihn zur Rückkehr nach Moskau und bevor Bely abreist, trifft er ein letztes Mal Rudolf Steiner. Dieser gibt ihm Ratschläge für seine weitere geistige Entwicklung, segnet sein künftiges Wirken in Russland und küsst ihn zum Abschied auf die Stirn. Klawdija Nikolajewna Wassiljewa wurde später Belys zweite Frau.
== Bekannte Zitate ==


[[Bild:Michail_Tschechow.jpg|thumb|Michael Tschechow (1891-1955)]]
{{Zitat|Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorhandenen, gegebenen und überlieferten Umständen.|[http://www.mlwerke.de/me/me08/me08_115.htm Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, 1. Kapitel]|Karl Marx 1852}}
In Moskau widmete sich Bely wieder der anthroposophischen Arbeit, doch die Bedingungen wurden zunehmend schwieriger. Schon [[Wikipedia:1923|1923]] wurde die [[Anthroposophischen Gesellschaft in Russland]] verboten und die russischen Anthroposophen litten zunehmend unter den Repressionen des bolschwistischen Regimes, dessen dämonische Schattenseiten Bely nun immer deutlicher bewusst wurden. Klawdija Wassiljewa wurde mehrmals verhaftet und das anthroposophische Leben in Moskau verlagerte sich immer mehr in den Untergrund.
{{Zitat|Die Tradition aller todten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüme, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen.|[http://www.mlwerke.de/me/me08/me08_115.htm Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, 1. Kapitel]|Karl Marx 1852}}
{{Zitat|Aber die Revolution ist gründlich. Sie ist noch auf der Reise durch das Fegefeuer begriffen. Sie vollbringt ihr Geschäft mit Methode. Bis zum 2. Dezember 1851 [Anm. Staatsstreich Louis Napoleons] hatte sie die eine Hälfte ihrer Vorbereitung absolviert, sie absolviert jetzt die andre. Sie vollendete erst die parlamentarische Gewalt, um sie stürzen zu können. Jetzt, wo sie dies erreicht, vollendet sie die Exekutivgewalt, reduziert sie auf ihren reinsten Ausdruck, isoliert sie, stellt sie sich als einzigen Vorwurf gegenüber, um alle ihre Kräfte der Zerstörung gegen sie zu konzentrieren. Und wenn sie diese zweite Hälfte ihrer Vorarbeit vollbracht hat, wird Europa von seinem Sitze aufspringen und jubeln: Brav gewühlt, alter Maulwurf!|[http://www.mlwerke.de/me/me08/me08_194.htm Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, 7. Kapitel]|Karl Marx 1852}}


[[Wikipedia:1924|1924]] wurde Bely mit dem hochtalentierten [[Theaterwiki:Schauspieler|Schauspieler]] und [[Theaterwiki:Regisseur|Regisseur]] [[Michael Tschechow]], der gerade an seiner legendären [[Wikipedia:Hamlet|Hamlet]]-Inszenierung arbeitete, näher bekannt. Tschechow, der auch [[Anthroposoph]] war und Rudolf Steiner [[Wikipedia:1922|1922]] und [[Wikipedia:1924|1924]] persönlich kennengelernt und von ihm entscheidende Impulse für seine künstlerische Arbeit empfangen hatte, spielte [[Wikipedia:1925|1925]] mit großer Genialität die Rolle des ''Senators Ableuchov'' in der dramatisierten Fassung von Belys Roman ''"Petersburg"''. Bely und Tschechow wurden Freunde und organisierten gemeinsam anthroposophische Zusammenkünfte und Vorträge. Der offen bekundete geistige Hintergrund seiner Theaterarbeit brachte allerdings Michail Tschechow immer wieder in Konflikt mit der materialistischen Gesinnung des herrschenden Sowjetregimes, bis er schließlich [[Wikipedia:1928|1928]] emigrierte.
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte}}
* {{WikipediaDE|Klasse (Soziologie)#Die Klassentheorie im Marxismus|Die Klassentheorie von Karl Marx}}
* {{WikipediaDE|Historischer Materialismus}}


Gemeinsam mit seiner zweiten Frau Klawdija Wassiljewa wurde Bely wegen ihrer anthroposophischen Geisteshaltung zunehmend in die  Isolation getrieben. Bely, bald öffentlich zum dekatenten [[Wikipedia:Bourgeois|Bourgeois]]schriftsteller gestempelt, hatt von nun an keine Möglichkeit mehr, seine Werke zu veröffentlichen. Doch erwiesen sich die folgenden Jahre als schriftstellerisch sehr fruchtbar. [[Wikipedia:1928|1928]] vollendete Bely seine Schrift ''"Warum ich Symbolist wurde"'' und würdigte darin auch die Bedeutung Rudolf Steiners für seine künstlerische Entwicklung. Zugleich arbeitete er an seinen ''"Erinnerungen an Steiner"'', die [[Wikipedia:1929|1929]] fertig wurden und ein Zeugnis seiner tiefen Dankbarkeit ablegen, dass er Steiner begegnen durfte. Der [[Anthroposophische Gesellschaft|Anthroposophischen Gesellschaft]], wie sie sich namentlich nach Steiners Tod [[Wikipedia:1925|1925]] entwickelt hatte, stand er allerdings sehr kritisch gegenüber.  
== Ausgaben ==
* Karl Marx: ''Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte.'' 2. Auflage. Otto Meißner, Hamburg 1869 ({{DTAW|marx_bonaparte_1869}})
* Karl Marx. ''Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte''. Neue ergänzte Ausgabe mit einem Vorwort von Friedrich Engels. Hrsg. und eingeleitet von David Rjazanov. Verlag für Literatur und Politik, Wien 1927.
* ''Karl Marx. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte''. Eingeleitet von Jakob Peter Mayer. Neuausgabe 6. Aufl. J. H. W. Dietz, Berlin 1932. (=''Kleine Bibliothek'' 31)
* ''Karl Marx. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte''. Vorwort von Otto Bauer. Prager, Bratislava 1936 (=''Sozialische Bücherei'')
* ''Karl Marx. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte''. Nachwort von Herbert Marcuse. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1965 (=sammlung insel 9)
* Natalja Kudrjaschowa: ''Zur Geschichte der zweiten deutschen Ausgabe von Karl Marx' Schrift ‚Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte‘ von 1869''. In: ''Marx-Engels-Jahrbuch'' 6. Dietz Verlag, Berlin 1983, S. 251–264.
* Marx-Engels-Gesamtausgabe. Abteilung I. Band 11. Dietz Verlag, Berlin 1983, S.&nbsp;96–189 und S.&nbsp;679–761.


In seinen letzten Schaffensjahren arbeitete Bely an seiner Memoirentriologie und an einer kulturhistorischen Monographie über die ''"Geschichte der Herausbildung der Bewusstseinsseele"''. Dieses auf drei Bände angelegte, äußerst umfangreiche Werk, war erst kurz vor Belys Tod in den wesentlichen Zügen vollendet. Das abschließenden Kapitel über das Wesen und die kulturgeschichtliche Bedeutung der [[Anthroposophie]] konnte Bely allerdings nicht mehr schreiben. Im Alter von nur 54 Jahren starb er am [[Wikipedia:8. Januar|8. Januar]] [[Wikipedia:1934|1934]] in [[Wikipedia:Moskau|Moskau]].
== Literatur ==
* ''Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2002. Klassen - Revolution - Demokratie. Zum 150. Jahrestag der Erstveröffentlichung von Marx' Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte''. Argument, Hamburg 2003 ISBN 3-88619-689-5 <small>Enthält neun Referate zum Thema.</small>
* ''Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte''. Kommentar von Hauke Brunkhorst. suhrkamp, Frankfurt am Main 2007. ISBN 978-3-518-27003-5.


== Werke (Auswahl) ==
== Weblinks ==
* ''Die silberne Taube'',Roman (1909)
;Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (digitaler Text):
* ''Der Symbolismus'' (1910)
* [http://books.google.com/books?id=OdlBAAAAcAAJ&printsec=frontcover&dq=Karl+Marx&hl=de&ei=Luo7TYnKNITxsgbb0LnzBg&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CCcQ6AEwAA#v=onepage&q&f=false ''Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte'' 2. Auflage. Otto Meißner,  Hamburg 1869], bei google books
* ''Petersburg'', Roman (1913)
* [http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/dms/werkansicht/?PPN=PPN633609536 ''Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte'' 3. Auflage. Otto Meißner,  Hamburg 1885], Staatsbibliothek Berlin
* ''Erinnerungen an A. A. Block'' (1922)
*[http://www.mlwerke.de/me/me08/me08_111.htm ''Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte'' bei mlwerke.de], Marx-Engels-Werke (MEW) Bd. 8, S. 111–207.
* ''Kotik Letajew'', autobiographischer Roman (1922)
*[http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/vorwort2.htm ''Vorwort zur 2. Auflage'', Karl Marx 1869], MEW Bd. 8, S. 559–560.
* ''Warum ich Symbolist wurde'' (1928)
*[http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/vorwort3.htm ''Vorwort zur 3. Auflage'', Friedrich Engels 1885], MEW Bd. 8, S. 561–562.
* ''Erinnerungen an Steiner'' (1929)
 
* ''Geschichte der Herausbildung der Bewußtseinsseele'', unvollendet (1934)
;Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (Werkscan):
*[http://www.archive.org/details/theeighteenthbru00marxuoft ''The eighteenth Brumaire of Louis Bonaparte''], Charles H. Kerr, Chicago, 1907. (englisch)
*[http://www.archive.org/details/eighteenthbrumai017766mbp ''The Eighteenth Brumaire Of Louis Bonaparte''], International Publishers, New York, 1963. (englisch)
 
;Weiterführende Links:
*[http://www.lateinamerika-studien.at/content/wirtschaft/ipo/ipo-340.html Vom Kommunistischen Manifest zum 18. Brumaire des Louis Bonaparte] - Novy, Andreas: Internationale Politische Ökonomie - [http://www.lateinamerika-studien.at lateinamerika-studien.at]
*[http://www.marxforschung.de/docs/marxhaus.pdf Nachdenken über eine >Ungeheuerlichkeit<] (PDF; 17&nbsp;kB) - Marxhausen, Thomas: Klassen–Revolution–Demokratie. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte - [http://www.marxforschung.de/ www.marxforschung.de] (PDF-Datei; 16 kB)
*[http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/141_142_hoff.pdf Klassen–Revolution–Demokratie. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte.] (PDF; 67&nbsp;kB) - Hoff, Jan: in: UTOPIE kreativ, H. 141/142 (Juli/August 2002), S. 743–745 - [http://www.rosalux.de www.rosalux.de] (PDF-Datei; 66 kB)


Eine Gesamtausgabe des insgesamt sehr umfangreichen literarischen Werks von Andrej Bely steht noch aus.
== Einzelnachweise ==
<references />


== Weblinks ==
{{Normdaten|TYP=w|GND=4725887-1|VIAF=215082323}}
{{PND|118508806}}
*[http://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=53 Biografischer Eintrag] in der Online-Dokumentation der anthroposophischen ''Forschungsstelle Kulturimpuls''
* [http://imwerden.de/cat/modules.php?name=books&pa=showbook&pid=248 Die Stimme vom Andrei Bely in mp3 «Голос прошлого - Stimme der Vergangenheit»] in [http://imwerden.de ELibrary "ImWerden"];


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Version vom 14. September 2019, 02:48 Uhr

Titelblatt der Erstausgabe

Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, auch bekannt als Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon, ist eine erstmals im Mai 1852 veröffentlichte Schrift von Karl Marx (1818–1883). Marx analysiert dort den Verlauf des Staatsstreichs Louis Napoleons (1808–1873) in Frankreich 1851. Dabei bildet die Analyse des konkreten, noch nicht abgeschlossenen historischen Ereignisses die Basis für Marx, um seine eigenen Theorien weiterzuentwickeln. Für ihn stellen die Februarrevolution und der darauf folgende Staatsstreich gesellschaftliche Klassenkämpfe dar. Marx entwickelt sein Verständnis der Klasse weiter wie seine geschichtsphilosophischen Annahmen. Generell gilt das Werk als eine Darstellung marxistischer Gesellschaftsanalyse und Geschichtstheorie. Es finden sich in ihm einige der bekanntesten Marx-Zitate.

Überblick

Zum Titel der Schrift

Die Formulierung „der achtzehnte Brumaire“ ist eine Anspielung auf den 9. November 1799 (nach dem Französischen Revolutionskalender). An diesem Tag wurde Louis Napoleons Onkel Napoléon Bonaparte durch einen Staatsstreich, bekannt als Staatsstreich des 18. Brumaire VIII, zum Alleinherrscher mit diktatorischen Vollmachten. Der Titel ist ein ironischer Vergleich der beiden Staatsstreiche, dementsprechend liest sich der Einleitungssatz, der eines der bekanntesten Zitate des achtzehnten Brumaire darstellt:

„Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.“

Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. New York 1852, S. 1[1]

Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte

Verfasst wurde Der achtzehnte Brumaire von Mitte Dezember 1851 bis zum 25. März 1852. Der etwa 100 Seiten lange und in sieben Kapitel gegliederte Text erschien unter dem Titel Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon erstmals am 18. Mai 1852 im ersten Heft der in New York City (USA) veröffentlichten monatlichen Zeitschrift Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften von Joseph Weydemeyer mit einer Auflage von 500 Exemplaren.[2] Eine Übersetzung durch Wilhelm Pieper, damals Sekretär von Marx, ins Englische fand keinen Verlag.[3] Nur ein kleiner Auszug aus dem ersten Kapitel erschien in der Zeitung „Peoples Paper“ innerhalb des Artikels „A Review of the Literature on the Coup d'Etat“ am 18. Dezember 1852, der von Johann Georg Eccarius mit Hilfe von Marx geschrieben wurde.[4] Eine zweite, überarbeitete Auflage wurde 1869 in Hamburg mit einem Vorwort von Marx veröffentlicht[5], die dritte Auflage nach Marx’ Tod unter der Redaktion und mit einem Vorwort von Friedrich Engels 1885.[6] Beide Neuauflagen erschienen mit dem Titel Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Die französische Erstausgabe erschien nach einer Zusammenarbeit Engels mit Édouard Fautin zwischen Januar und Oktober 1891 in einer Artikelreihe der Zeitschrift Socialiste.[2] In der MEW-Ausgabe ist der Aufsatz in Band 8 veröffentlicht (S. 111–207). In der Marx-Engels-Gesamtausgabe ist der Text mit allen Varianten in der Abteilung I. Bd. 11, S. 96–189 veröffentlicht.

Historischer Hintergrund

Barrikadenkampf in der Rue Soufflot, Paris, 25. Juni 1848 (Juniaufstand)[7]
Louis Napoleon, zeitgenössische Karikatur

Louis Napoleon, auch bekannt als Napoléon III., der zuvor schon 1836 und 1840 gescheiterte Putschversuche beging, kehrte nach der Februarrevolution 1848 gegen den „Bürgerkönig“ Louis-Philippe von Orléans ins Frankreich der Zweiten Französischen Republik zurück, und gewann im Dezember die Präsidentschaftswahlen gegen den bisherigen Präsidenten Louis-Eugène Cavaignac. Drei Jahre später erzwang er sich durch einen Staatsstreich am 2. Dezember 1851 diktatorische Vollmachten und ließ sich, nach einem Plebiszit (Volksbeschluss), im Dezember 1852 zum Kaiser des Zweiten Kaiserreichs ausrufen.

Im Rahmen einer Schlacht des Deutsch-Französischen Krieges (1870–1871) wurde er im September 1870 gefangen genommen und zwei Tage später durch die Ausrufung der Dritten Republik gänzlich entmachtet.

Inhalt und Erkenntnisinteresse

Wie Friedrich Engels in seinem Vorwort ausführt, setzte sich Marx in besonderem Maß mit der Geschichte Frankreichs auseinander, da sie für ihn, wie Engels schreibt, eine Geschichte von Klassenkämpfen „in den schärfsten Umrissen ausgeprägt“ darstelle.[8] Marx verfasste zuvor schon 1850 die Schrift „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848–1850“ und setzte sich mit weiten Teilen der Geschichte Frankreichs zur Zeit der Zweiten Französischen Republik auseinander. Die Ausrufung Louis Napoleons zum Kaiser, und damit das Ende der Republik, fand wenige Monate nach der Veröffentlichung des achtzehnten Brumaire statt. Marx merkte diesbezüglich später im Vorwort zur zweiten Auflage an: „Der Schlußsatz meiner Schrift: ‚Aber wenn der Kaisermantel endlich auf die Schultern Louis Bonapartes fällt, wird das eherne Standbild Napoleons von der Höhe der Vendôme-Säule herabstürzen‘, hat sich bereits erfüllt.[9] Marx’ Interesse war es, den Verlauf des Staatsstreichs und der Februarrevolution als Klassenkämpfe zu durchschauen, um auf Basis dieser Erkenntnisse Handlungsmöglichkeiten zu erschließen, sich einer nach seinen philosophischen Theorien gerechteren, klassenlosen Gesellschaft anzunähern. So wurde diese Studie eine seiner ‚soziologischsten‘ Schriften.

In der Schrift wird der Staatsstreich Louis Napoleons 1851 aus historischer, aber vor allem aus gesellschaftsanalytischer Sichtweise betrachtet.[10] Marx erklärt den Verlauf der Februarrevolution anhand seiner Theorien und entwickelt diese konkretisierend weiter. Welche Klasse trug überhaupt Louis Bonaparte empor? Nicht die Bourgeoisie.[11] Aber warum verzichtete diese auch nach der Februarrevolution auf den Griff nach der unmittelbaren Herrschaft und politischen Repräsentation zu Gunsten einer autoritären Herrschaft Napoleons?[12][13] In diesem Sinne schreibt er in seinem Vorwort zur zweiten Auflage, dass er nachzuweisen versuche, „wie der Klassenkampf in Frankreich Umstände und Verhältnisse schuf, welche einer mittelmäßigen und grotesken Personage [Louis Napoleon] das Spiel der Heldenrolle ermöglichen.[9]

Theorie

Um den Verlauf des Staatsstreichs zu erklären, erweitert Marx in seiner Analyse das betrachtete Klassenspektrum neben den Hauptklassen einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, der Bourgeoisie und dem Proletariat, um die Bauernschaft und das Lumpenproletariat, in denen er entscheidende Kräfte für die Machterlangung Louis Napoleons ausmacht. Dies begründet er sowohl mit materiellen wie ideologischen Momenten. So sei zum Beispiel die Klasse des Lumpenproletariats durch die Zusicherung sozialer und politischer Reformen auf die Seite Louis Napoleons gezogen worden. Der ländlichen Bauernschaft konstatiert Marx eine traditionelle Napoleonverehrung, auch könne diese Klasse aufgrund ihrer Produktionsweise in einzelnen Parzellen kein gemeinsames Klassenbewusstsein entwickeln, da ihre Mitglieder voneinander schon räumlich weitestgehend getrennt seien. Ebenso wenig könne sie daher ihre Interessen als Klasse durchsetzen und bedürfe für diesen Zweck einer starken loyalen Autorität, die sie in Louis Napoleon sehen.[12]

Marx stellt fest, dass neben der Macht des Ökonomischen und des Politischen (des Militärs und des Staatsapparats) ebenso die Zustimmung beziehungsweise Gewinnung der Massen für die eigenen, zumindest vorgegebenen Ziele entscheidend seien, um gesellschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen. So legitimierte und erweiterte Louis Napoleon seine autoritäre Herrschaft auch durch Wahlverfahren und Plebiszite.[12]

Wirkung

Der achtzehnte Brumaire übte Einfluss auf die Totalitarismus- und Faschismusforschung aus (siehe auch: Bonapartismus). In der Politikwissenschaft gilt die Schrift als ein bedeutendes Werk der politischen Theorie. Die Rezeption innerhalb des Marxismus und Marxismus-Leninismus, der dem Werk einen bedeutenden Stellenwert zuweist, betonte vor allem die Aussage des Textes, dass eine siegreiche proletarische Revolution den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen müsse, anstatt ihn zu übernehmen.[14] Generell gilt Der achtzehnte Brumaire als eine Darstellung marxistischer Gesellschafts- und Geschichtstheorie.[12][13] Nach Ansicht des Philosophen Urs Lindner verbinden sich in Marx’ Aufsatz „Struktur- und Ereignisgeschichte, sozialwissenschaftliche Erklärung und historische Narration“.[15]

Bekannte Zitate

„Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorhandenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“

„Die Tradition aller todten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüme, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen.“

„Aber die Revolution ist gründlich. Sie ist noch auf der Reise durch das Fegefeuer begriffen. Sie vollbringt ihr Geschäft mit Methode. Bis zum 2. Dezember 1851 [Anm. Staatsstreich Louis Napoleons] hatte sie die eine Hälfte ihrer Vorbereitung absolviert, sie absolviert jetzt die andre. Sie vollendete erst die parlamentarische Gewalt, um sie stürzen zu können. Jetzt, wo sie dies erreicht, vollendet sie die Exekutivgewalt, reduziert sie auf ihren reinsten Ausdruck, isoliert sie, stellt sie sich als einzigen Vorwurf gegenüber, um alle ihre Kräfte der Zerstörung gegen sie zu konzentrieren. Und wenn sie diese zweite Hälfte ihrer Vorarbeit vollbracht hat, wird Europa von seinem Sitze aufspringen und jubeln: Brav gewühlt, alter Maulwurf!“

Siehe auch

Ausgaben

  • Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Auflage. Otto Meißner, Hamburg 1869 (Digitalisat und Volltext)
  • Karl Marx. Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Neue ergänzte Ausgabe mit einem Vorwort von Friedrich Engels. Hrsg. und eingeleitet von David Rjazanov. Verlag für Literatur und Politik, Wien 1927.
  • Karl Marx. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. Eingeleitet von Jakob Peter Mayer. Neuausgabe 6. Aufl. J. H. W. Dietz, Berlin 1932. (=Kleine Bibliothek 31)
  • Karl Marx. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. Vorwort von Otto Bauer. Prager, Bratislava 1936 (=Sozialische Bücherei)
  • Karl Marx. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. Nachwort von Herbert Marcuse. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1965 (=sammlung insel 9)
  • Natalja Kudrjaschowa: Zur Geschichte der zweiten deutschen Ausgabe von Karl Marx' Schrift ‚Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte‘ von 1869. In: Marx-Engels-Jahrbuch 6. Dietz Verlag, Berlin 1983, S. 251–264.
  • Marx-Engels-Gesamtausgabe. Abteilung I. Band 11. Dietz Verlag, Berlin 1983, S. 96–189 und S. 679–761.

Literatur

  • Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2002. Klassen - Revolution - Demokratie. Zum 150. Jahrestag der Erstveröffentlichung von Marx' Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. Argument, Hamburg 2003 ISBN 3-88619-689-5 Enthält neun Referate zum Thema.
  • Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Kommentar von Hauke Brunkhorst. suhrkamp, Frankfurt am Main 2007. ISBN 978-3-518-27003-5.

Weblinks

Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (digitaler Text)
Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (Werkscan)
Weiterführende Links

Einzelnachweise

  1. Marx-Engels-Gesamtausgabe Abteilung I. Band 11, S. 96
  2. 2,0 2,1 Klassen–Revolution–Demokratie. Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. (PDF; 67 kB) - Hoff, Jan: in: UTOPIE kreativ, H. 141/142 (Juli/August 2002), S. 743–745
  3. IISG Marx Engels Nachlass Q 16 Wilhelm Pieper: „Übersetzung des ‚18. Brumaire‘, Kap. II u. III. ca September 1852, 51 Seiten“ und eine von Jenny Marx gefertigte „Abschrift von Kap. VI“ (RGASPI, Moskau Fond 1 opis 1 delo 703).
  4. Marx-Engels-Gesamtausgabe Abteilung I, Bd. 11, S. 515–521.
  5. Marx führt im Vorwort zur zweiten Auflage aus, dass Druckfehler korrigiert wurden und eine Streichung „nicht mehr verständlicher Anspielungen“ erfolgte. Quelle
  6. Engels nahm auf Basis der zweiten Auflage stilistische Veränderungen vor. Quelle
  7. Deutsches Historisches Museum
  8. Vorwort zur 3. Auflage, Friedrich Engels 1885
  9. 9,0 9,1 Vorwort zur 2. Auflage, Karl Marx 1869
  10. Kenntnisse der historischen Personen und Ereignisse konnten im achtzehnten Brumaire seiner damaligen Aktualität halber vom Autor weitgehend vorausgesetzt werden.
  11. Hier lässt sich Marx auf subtile Analysen der damaligen Sozialstruktur vor allem auch des ländlichen Frankreich ein.
  12. 12,0 12,1 12,2 12,3 Theo Stammen, Gisela Riescher, Wilhelm Hofmann (Hrsg.): Hauptwerke der politischen Theorie (= Kröners Taschenausgabe. Band 379). Kröner, Stuttgart 1997, ISBN 3-520-37901-5, S. 320–322.
  13. 13,0 13,1 Vgl. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/index.htm
  14. Diese Aussage bezieht sich auf eine Ausgabe des DDR Verlages Dietz. Quelle: Theo Stammen, Gisela Riescher, Wilhelm Hofmann (Hrsg.): Hauptwerke der politischen Theorie. Kröner, Stuttgart 1997, ISBN 3-520-37901-5, S. 322.
  15. Urs Lindner: Marx und die Philosophie. Wissenschaftlicher Realismus, ethischer Perfektionismus und kritische Sozialtheorie. Stuttgart 2013, S. 217.


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