imported>Odyssee |
imported>Joachim Stiller |
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| Das '''Ding an sich''' ist nach der von [[Immanuel Kant]] (1724-1804) vertretenen Lehre des [[transzendental]]en [[Idealismus]] das absolute, [[für sich]] selbst bestehende [[transzendental]]e [[Sein]], das, jenseits und unabhängig von jeglicher [[Erfahrung]]smöglichkeit, als eigentliche [[Wirklichkeit]] der für den [[Mensch]]en einzig erfahrbaren [[Welt]] der [[Erscheinung]]en ([[Phänomen]]e) zugrunde liegt. Nach Kant ist die Wirklichkeit für uns nämlich nur durch die [[Anschauung]]sformen des [[Raum]]es und der [[Zeit]] und durch das [[Denken]] in [[Kategorien]] zugänglich, die aber nur in der Relation der Wirklichkeit zu dem erfahrenden [[Bewusstsein]] bestehen, aber nicht für das Sein an sich konstituierend sind. Das wahre [[Wesen]] der Wirklichkeit, das jenseits der sinnlich-kategorialen Erfahrbarkeit liegt, sei daher dem [[Mensch]]en grundsätzlich unzugänglich. Damit hatte Kant nicht nur wie zuvor schon [[John Locke]] die Wirklichkeit der [[Sekundäre Sinnesqualitäten|sekundären Sinnesqualitäten]], d.h. der [[Qualia]] wie [[Farbe]], [[Ton]], [[Geruch]] usw., verneint, sondern auch den [[Primäre Sinnesqualitäten|primären Sinnesqualitäten]], d.h. allen [[Raum|räumlichen]] und [[zeit]]lichen Erscheinungen ihren Wirklichkeitsgehalt abgesprochen.
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| {{Zitat|Daß man unbeschadet der wirklichen Existenz äußerer Dinge von
| | [[Kategorie:Kulturepochen]] |
| einer Menge ihrer Prädicate sagen könne: sie gehörten nicht zu diesen
| | [[Kategorie:Kulturgeschichte]] |
| Dingen an sich selbst, sondern nur zu ihren Erscheinungen und hätten
| |
| außer unserer Vorstellung keine eigene Existenz, ist etwas, was schon lange
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| vor Lockes Zeiten, am meisten aber nach diesen allgemein angenommen
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| und zugestanden ist. Dahin gehören die Wärme, die Farbe, der Geschmack etc..
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| Daß ich aber noch über diese aus wichtigen Ursachen die übrigen
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| Qualitäten der Körper, die man primarias nennt, die Ausdehnung,
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| den Ort und überhaupt den Raum mit allem, was ihm anhängig ist (Undurchdringlichkeit
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| oder Materialität, Gestalt etc.), auch mit zu bloßen Erscheinungen
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| zähle, dawider kann man nicht den mindesten Grund der Unzulässigkeit
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| anführen; und so wenig wie der, so die Farben nicht als Eigenschaften,
| |
| die dem Object an sich selbst, sondern nur den Sinn des Sehens
| |
| als Modificationen anhängen, will gelten lassen, darum ein Idealist heißen
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| kann: so wenig kann mein Lehrbegriff idealistisch heißen, blos deshalb
| |
| weil ich finde, daß noch mehr, ja alle Eigenschaften, die die Anschauung
| |
| eines Körpers ausmachen, blos zu seiner Erscheinung gehören;
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| denn die Existenz des Dinges, was erscheint, wird dadurch nicht
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| wie beim wirklichen Idealism aufgehoben, sondern nur gezeigt, daß wir
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| es, wie es an sich selbst sei, durch Sinne gar nicht erkennen können.|Immanuel Kant|''Kritik der reinen Vernunft'', 1. Auflage, 1781, [https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/Kant/aa04/289.html AA IV, S. 289]}}
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| Dieser Ansicht Kants hat [[Rudolf Steiner]] schon in seinen grundlegenden [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretischen]] Schriften entschieden widersprochen. Dass das „[[An sich]]“ der [[Ding]]e, ihr [[Wesen]], im [[mensch]]lichen [[Bewusstsein]] ergriffen werden kann, ist das Fundament der von ihm später begründeten [[Anthroposophie|anthroposophischen Geisteswissenschaft]].
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| {{GZ|Wer hinter den Dingen noch etwas sucht, das deren eigentliches
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| Wesen bedeuten soll, der hat sich nicht zum Bewusstsein
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| gebracht, dass alle Fragen nach dem Wesen der Dinge nur aus
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| einem menschlichen Bedürfnisse entspringen: das, was man
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| wahrnimmt, auch mit dem Gedanken zu durchdringen. Die
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| Dinge sprechen zu uns, und unser Inneres spricht, wenn wir die
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| Dinge beobachten. Diese zwei Sprachen stammen aus demselben
| |
| Urwesen, und der Mensch ist berufen, deren gegenseitiges
| |
| Verständnis zu bewirken. Darin besteht das, was man
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| Erkenntnis nennt. Und dies und nichts anderes sucht der, der die
| |
| Bedürfnisse der menschlichen Natur versteht. Wer zu diesem
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| Verständnisse nicht gelangt, dem bleiben die Dinge der
| |
| Außenwelt fremdartig. Er hört aus seinem Innern das Wesen der
| |
| Dinge nicht zu sich sprechen. Deshalb vermutet er, dass dieses
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| Wesen hinter den Dingen verborgen sei. Er glaubt an eine
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| Außenwelt noch hinter der Wahrnehmungswelt. Aber die
| |
| Dinge sind nur so lange äußere Dinge, so lange man sie bloß
| |
| beobachtet. Wenn man über sie nachdenkt, hören sie auf, außer
| |
| uns zu sein. Man verschmilzt mit ihrem inneren Wesen. Für den
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| Menschen besteht nur so lange der Gegensatz von objektiver
| |
| äußerer Wahrnehmung und subjektiver innerer Gedankenwelt,
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| als er die Zusammengehörigkeit dieser Welten nicht erkennt.
| |
| Die menschliche Innenwelt ist das Innere der Natur.|1|333|328}}
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| {{GZ|Der geistige Inhalt eines äußeren Dinges, der mir in meinem
| |
| Innern aufgeht, ist nichts zu der äußeren Wahrnehmung
| |
| Hinzugedachtes. Er ist dies ebensowenig, wie der
| |
| Geist eines anderen Menschen. Ich nehme durch den inneren
| |
| Sinn diesen geistigen Inhalt ebenso wahr, wie durch
| |
| die äußeren Sinne den physischen Inhalt. Und was ich mein
| |
| Innenleben in obigem Sinne nenne, ist gar nicht, im höheren Sinne, mein Geist. Dieses Innenleben ist nur das Ergebnis
| |
| rein sinnlicher Vorgänge, gehört mir nur als ganz
| |
| individuelle Persönlichkeit an, die nichts ist als das Ergebnis
| |
| ihrer physischen Organisation. Wenn ich dieses Innere
| |
| auf die äußeren Dinge übertrage, so denke ich tatsächlich
| |
| ins Blaue hinein. Mein persönliches Seelenleben, meine Gedanken,
| |
| Erinnerungen und Gefühle sind in mir, weil ich
| |
| ein so und so organisiertes Naturwesen bin, mit einem
| |
| ganz bestimmten Sinnesapparat, mit einem ganz bestimmten
| |
| Nervensystem. Diese meine ''menschliche'' Seele darf ich
| |
| nicht auf die Dinge übertragen. Ich dürfte das nur, wenn
| |
| ich irgendwo ein ähnlich organisiertes Nervensystem fände.
| |
| Aber meine individuelle Seele ist nicht das höchste Geistige
| |
| an mir. Dieses höchste Geistige muß in mir erst durch
| |
| den inneren Sinn erweckt werden. Und dieses erweckte
| |
| Geistige in mir ist zugleich ein und dasselbe mit dem Geistigen
| |
| in allen Dingen. Vor diesem Geistigen erscheint die
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| Pflanze unmittelbar in ihrer eigenen Geistigkeit. Ich brauche
| |
| ihr nicht eine Geistigkeit zu verleihen, die ähnlich meiner
| |
| eigenen ist. Für ''diese'' Weltanschauung verliert alles Reden
| |
| über das unbekannte «Ding an sich» jeglichen Sinn.
| |
| Denn es ist eben das «Ding an sich», das sich dem inneren
| |
| Sinn enthüllt. Alles Reden über das unbekannte «Ding an
| |
| sich» rührt nur davon her, daß diejenigen, die so reden,
| |
| nicht imstande sind, in den geistigen Inhalten ihres Innern
| |
| die «Dinge an sich» wieder zu erkennen. Sie glauben in
| |
| ihrem Innern wesenlose Schatten und Schemen, «bloße Begriffe
| |
| und Ideen» der Dinge zu erkennen. Da sie aber doch
| |
| eine ''Ahnung'' von dem «Ding an sich» haben, so glauben sie,
| |
| daß sich dieses «Ding an sich» verberge, und daß dem
| |
| menschlichen Erkenntnisvermögen Grenzen gesteckt seien.
| |
| Man kann solchen, die in diesem Glauben befangen sind,
| |
| nicht beweisen, daß sie das «Ding an sich» in ihrem Innern
| |
| ergreifen müssen, denn sie würden dieses «Ding an sich»,
| |
| wenn man es ihnen vorwiese, doch niemals anerkennen.
| |
| Um dieses ''Anerkennen'' aber handelt es sich.|7|44ff}}
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| Sehr erhellende Einblicke darüber, wie das [[Ich]] mit dem Ding an sich zusammenhängt, gab der deutsche Philosoph [[Paul Asmus]] (1842-1877) in seinem 1873 erschienen, auch von [[Rudolf Steiner]] sehr geschätzten Büchlein über «''Das Ich und das Ding an sich''». Ausgehend von einer grundlegenden Darstellung der «Identität des Denkens und Seins» und den prinzipiellen Möglichkeiten der [[Erkenntnis]], skizziert Asmus darin die Grundzüge der Philosophien von [[Immanuel Kant]], [[w:Gottlob Ernst Schulze|Aenesidemus]], [[w:Jacob Sigismund Beck|Jacob Sigismund Beck]], [[w:Friedrich Heinrich Jacobi|Friedrich Heinrich Jacobi]], [[Johann Gottlieb Fichte]], [[Novalis]], [[w:Friedrich Schlegel|Friedrich Schlegel]], [[Friedrich Schleiermacher]], [[Friedrich Wilhelm Joseph Schelling]], [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel]], [[Johann Friedrich Herbart]] und [[Arthur Schopenhauer]] und zeichnete damit zugleich durch das ihm eigene [[Lebendiges Denken|lebendige Denken]] ein dynamische Bild der modernen [[Bewusstsein]]sentwicklung.
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| {{GZ|Persönlichkeiten, welche durch Sich-Versenken in die Hegelsche
| |
| Ideenart eine Sicherheit suchten für das Verhältnis
| |
| einer Vorstellung über das selbstbewußte Ich zu dem allgemeinen
| |
| Weltbilde, gibt es in der zweiten Hälfte des
| |
| neunzehnten Jahrhunderts nur wenige. Einer der Besten
| |
| ist der zu früh verstorbene ''Paul Asmus'' (1842—1876), der
| |
| 1873 eine Schrift veröffentlichte «Das Ich und das Ding
| |
| an sich». Er zeigt, wie in der Art, in der Hegel das Denken
| |
| und die Ideenwelt ansah, ein Verhältnis des Menschen
| |
| zum Wesen der Dinge zu gewinnen ist. Er setzt in scharfsinniger
| |
| Weise auseinander, daß im Denken des Menschen
| |
| nicht etwas Wirklichkeitsfremdes, sondern etwas Lebensvolles,
| |
| Urwirkliches gegeben ist, in das man sich nur zu
| |
| versenken braucht, um zum Wesen des Daseins zu kommen.
| |
| Er stellte in lichtvoller Weise den Gang dar, den die
| |
| Weltanschauungsentwickelung genommen hat, um von
| |
| Kant, der das «Ding an sich» als etwas dem Menschen
| |
| Fremdes, Unzugängliches angesehen hatte, zu Hegel zu
| |
| kommen, welcher meinte, daß der Gedanke nicht nur sich
| |
| selbst als ideelle Wesenheit, sondern auch das «Ding an
| |
| sich» umspanne. Solche Stimmen fanden aber kaum Gehör.|18|472}}
| |
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| {{GZ|Weniges ist über Kant geschrieben worden, das an Wert
| |
| dem gleich kommt, was Paul Asmus über ihn in seiner
| |
| Schrift «Das Ich und das Ding an sich» ausgeführt hat. Er
| |
| wird Kant vollkommen gerecht; aber er zeigt zugleich, wie
| |
| unmöglich es ist, bei ihm stehenzubleiben, und wie der
| |
| große Anstoß, den der Königsberger Philosoph dem deutschen
| |
| Denken gegeben hat, notwendig zu den Auffassungen
| |
| Fichtes, Schellings, Hegels, Schopenhauers und anderer hat
| |
| führen müssen. Kant hatte gezeigt, und diese Tat ist eine der
| |
| geistesgeschichtlich bedeutsamsten im modernen Denken,
| |
| daß die gewöhnlichen wissenschaftlichen Denkmethoden
| |
| niemals zu einer Erkenntnis des «Dinges an sich» führen,
| |
| sondern immer nur dazu, die Welt der dem Menschen gegebenen
| |
| ''Erscheinungen'' erkennend zu beherrschen. Auf das
| |
| «Ding an sich» aber hat Kant in einer ganz eigentümlichen
| |
| Weise hingedeutet. Er nahm an, daß in dem kategorischen
| |
| Imperativ, der in dem Pflichtgebot zu dem Menschen spricht,
| |
| ein Ruf ertönt aus der Welt des «Dinges an sich». Aber dieser
| |
| Ruf liefere keine Erkenntnis des Höchsten, sondern nur
| |
| einen ''Glauben'' an dasselbe, der dem Menschen die Richtung
| |
| gibt nach dem moralischen Leben. Will der Mensch sich für
| |
| ein moralisches Wesen halten und sich in der Richtung der
| |
| Moralität immer weiter und weiter entwickeln, so muß er an
| |
| die Wirklichkeit dessen glauben, was ihm den kategorischen
| |
| Imperativ zusendet. Erkennen kann er aber nicht, was ihn so
| |
| moralisch trägt.
| |
| | |
| Nun hat Fichte versucht, diesen im Innern des Menschen
| |
| ertönenden Ruf zu untersuchen, und er kam so zu seiner
| |
| «Ich-Philosophie». Im «Ich» geht, nach Fichte, dem Menschen
| |
| eine höhere Welt auf, die ebenso wirklich, ja viel wirklicher
| |
| ist, als die äußere Erscheinungswelt. Denn diese äußere
| |
| Erscheinungswelt erhält erst Sinn und Bedeutung, wenn das
| |
| menschliche Ich sein eigenes Licht auf dieselbe leuchten
| |
| läßt. Diesen Hervorgang von Fichtes Denken aus dem Kantschen
| |
| stellt Paul Asmus in scharfsinniger Weise dar. Und
| |
| ebenso, wie dann Hegel und Schelling aus dem «Ich» heraus,
| |
| aus dem Menschengeiste die Antworten suchen auf die großen
| |
| Rätselfragen des Daseins, die keine äußere Sinnesanschauung
| |
| lösen kann.
| |
| | |
| Und von hier aus fand dann Paul Asmus den Zugang zum
| |
| Verständnis der Religionen, dieser mannigfaltigen Versuche
| |
| der Menschheit, aus der Tiefe des Menscheninnern heraus
| |
| die wirkenden Geistkräfte des Universums zu erfassen. Es
| |
| wird vielen nicht leicht, Paul Asmus' bedeutsamen Auseinandersetzungen
| |
| über «die indogermanischen Religionen» zu
| |
| folgen, da er sich in einer Gipfelhöhe des menschlichen Denkens
| |
| bewegt. Wer aber durch Selbstschulung seines Denkens
| |
| das Buch zu lesen lernt, der wird eine Aufklärung der reinsten
| |
| Art über die Formen menschlichen Wahrheitsstrebens
| |
| empfangen. Unser Philosoph sieht überall durch den Bildergehalt
| |
| der Religionen auf die geistigen Gedankenkerne hindurch
| |
| und zeigt den Zusammenhang und die Verwandtschaft
| |
| dieser Kerne. Sein Buch ist daher eine Auslegung ''eines''
| |
| großen ''Urgedankens'' der indogermanischen Völker. Niemand
| |
| wird es studieren, ohne davon den tiefsten Eindruck zu empfangen,
| |
| und sich darüber klar werden, was Entwickelung des
| |
| religiösen Lebens ist. Damit aber gehört Paul Asmus unter
| |
| diejenigen, die im Sinne der Theosophie die Wesenheit der
| |
| Religionen und Philosophien der Menschheit verfolgen.|34|489ff}}
| |
| | |
| {{GGZ|Daß Paul Asmus in der Ätherhöhe des reinen Denkens die
| |
| Geheimnisse des Daseins suchte, macht den Grundcharakter
| |
| seines Forschens aus. Was den Dingen als ihr Wesen zugrunde
| |
| liegt, das enthüllt sich in dem denkenden Menschen.
| |
| Diese Grundanschauung des deutschen philosophischen Idealismus
| |
| ist auch diejenige Paul Asmus'. Die ''[[Gedanke]]n'', die
| |
| sich der Mensch über den Sternenhimmel macht: sie sind
| |
| auch zugleich die Ordnung, die innere Gesetzmäßigkeit
| |
| selbst, die diesem Sternenhimmel zugrunde liegt. Wenn ich
| |
| denke, spreche nicht nur ''[[ich]]'', sondern die Dinge sprechen in
| |
| mir ihre Wesenheit, das, was sie eigentlich sind, aus. Die sinnlichen
| |
| Dinge sind gewissermaßen nur Gleichnisse ihres ideellen
| |
| Wesens; und der menschliche Gedanke ''ergreift'' dieses ihr
| |
| Wesen. In seiner Schrift «Das Ich und das Ding an sich» sagt
| |
| Paul Asmus: «Stellen wir uns ein Stück Zucker vor; es ist
| |
| rund, süß, undurchdringlich usw., dies sind lauter Eigenschaften,
| |
| die wir begreifen; nur eins dabei schwebt uns als
| |
| ein schlechthin anderes vor, das wir nicht begreifen, das so
| |
| verschieden von uns ist, daß wir nicht hineindringen können,
| |
| ohne uns selbst zu verlieren; von dessen bloßer Oberfläche
| |
| der Gedanke scheu zurückprallt. Dies eine ist der uns unbekannte
| |
| Träger aller jener Eigenschaften; das Ansich, welches
| |
| das innerste Selbst dieses Gegenstandes ausmacht. So sagt
| |
| Hegel richtig, daß der ganze Inhalt unserer Vorstellung sich
| |
| nur als Accidens zu jenem dunklen Subjekte verhalte, und
| |
| wir, ohne in seine Tiefen zu dringen, nur Bestimmungen an
| |
| dieses Ansich heften - die schließlich, weil wir es selbst nicht
| |
| kennen, auch keinen wahrhaft objektiven Wert haben, subjektiv
| |
| sind. Das begreifende Denken hingegen hat kein solch
| |
| unerkennbares Subjekt, an dem seine Bestimmungen nur Accidenzen
| |
| wären, sondern ''das gegenständliche Subjekt fällt innerhalb des Begriffes''. Begreife ich etwas, so ist es in seiner ganzen
| |
| Fülle meinem Begriffe präsent; im innersten Heiligtum seines
| |
| Wesens bin ich zu Hause, nicht deshalb, weil es kein eigenes
| |
| Ansich hätte, sondern weil es mich durch die über uns beiden
| |
| schwebende Notwendigkeit des Begriffes, der in mir subjektiv,
| |
| in ihm objektiv erscheint, zwingt, seinen Begriff ''nach''zudenken.
| |
| Durch dies ''Nach''denken offenbart sich uns, wie
| |
| Hegel sagt - ebenso wie dies unsere subjektive Tätigkeit ist-,
| |
| zugleich die wahre Natur des Gegenstandes. -»
| |
| | |
| Wer in solch einem Satze sein Bekenntnis ausspricht, der
| |
| hat sich und sein Denken in ein wahres Verhältnis zur Welt
| |
| und Wirklichkeit gesetzt. Durch ''[[Beobachtung|Beobachten]]'' lernen wir den
| |
| ''Umkreis'' der Welt kennen; durch das ''[[Denken]]'' dringen wir in
| |
| ihren ''Mittelpunkt''. Die Versenkung in das eigene Innere löst
| |
| uns die Rätsel des Daseins. Der in mir aufleuchtende Gedanke
| |
| geht nicht nur mich an, sondern die Dinge, über die er
| |
| mich aufklärt. Und meine Seele ist nur der Schauplatz, auf
| |
| dem die Dinge sich über sich selbst aussprechen.
| |
| | |
| Um das zu begreifen, muß der Mensch allerdings es dahin
| |
| bringen, in dem Denken ein Lebenselement zu haben, etwas,
| |
| das für ihn ebenso Wirklichkeit, Tatsache ist, wie für den
| |
| unentwickelten Menschen die Dinge eine Wirklichkeit sind,
| |
| an denen er sich stößt, die er mit Händen greifen kann. Wer
| |
| in seinen Vorstellungen nicht anderes erfassen kann, als schemenhafte
| |
| Nachbilder dessen, was ihm die Sinne sagen, der
| |
| versteht nicht, was Denken ist. Denn, um zur Wesenheit der
| |
| Dinge vorzudringen, muß sich das Denken mit einem Inhalte
| |
| erfüllen, den kein äußerer Sinn geben kann, der aus dem
| |
| Geiste selbst fließt. Das Denken muß produktiv, intuitiv sein.
| |
| Wenn es dann nicht willkürlich in phantastischen Gebilden
| |
| lebt, sondern in der hellen Klarheit des inneren Anschauens,
| |
| dann lebt und webt in ihm das Weltgesetz selbst. Man könnte
| |
| von einem solchen Denken ganz gut sagen: die Welt denkt
| |
| sich in den Gedanken des Menschen. Notwendig ist aber dazu,
| |
| daß der Mensch in sich die ewigen Gesetze erlebt, die sich
| |
| das Denken selbst gibt. Was die Menschen gewöhnlich «Denken» nennen, ist ja nur ein wirres Vorstellen.|34|493f}}
| |
| | |
| == Literatur ==
| |
| | |
| *Jens Heisterkamp: ''Gegen das Dogma vom "Ding an sich"''. In: Zeitschrift INFO3, Februar 2017, S. 47 - 49
| |
| *Dietrich Rapp: ''TATORT Erkenntnisgrenze: Die Kritik Rudolf Steiners an Immanuel Kant'', Menon Verlag., 2013
| |
| *[[Paul Asmus]]: ''Das Ich und das Ding an sich. Geschichte ihrer begrifflichen Entwickelung in der neuesten Philosophie'', Verlag C. E. M. Pfeffer, Halle 1873 {{MDZ|11163813-5}}
| |
| ** neu herausgegeben und eingeleitet von [[Thomas Brunner]], [https://www.edition-immanente.de/alle-buecher/das-ich-und-das-ding-an-sich.html edition immanente], Berlin 2014, ISBN 978-3-942754-30-9
| |
| *Rudolf Steiner: ''Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften'', [[GA 1]] (1987), ISBN 3-7274-0011-0 {{Schriften|001}}
| |
| *Rudolf Steiner: ''Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung'', [[GA 7]] (1990), ISBN 3-7274-0070-6 {{Schriften|007}}
| |
| *Rudolf Steiner: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X {{Schriften|018}}
| |
| *Rudolf Steiner: ''Lucifer – Gnosis'', [[GA 34]] (1987), ISBN 3-7274-0340-3 {{Vorträge|034}}
| |
| | |
| {{GA}}
| |
| | |
| [[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Kritischer Idealismus]] [[Kategorie:Erkenntnistheorie]] [[Kategorie:Kantianismus]] [[Kategorie:Kant]] [[Kategorie:Substanz|204]]
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