Musikpädagogik

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Musiklehrer vermittelt Wissen über Noten an die Schüler

Die Musikpädagogik befasst sich mit dem Zusammenhang von Musik und Mensch in Aneignungs- und Vermittlungsprozessen. Perspektiven der Erziehung, der Bildung, des Lehrens, des Lernens und des Unterrichts spielen eine Rolle. Die Musikpädagogik ist als Wissenschaft von der musikpädagogischen Praxis zu unterscheiden.

Begriffsbestimmungen

Musikunterricht in einem britischen Erziehungsheim

Früher hieß das Fach in Forscherkreisen und an pädagogischen Institutionen Musikerziehung. Der Begriff existiert nach wie vor, meist wird aber die Bezeichnung Musikpädagogik vorgezogen. Auch unter den Wissenschaftlern ist die Unterscheidung umstritten. Aus der Geschichte der Musikpädagogik heraus, im Zuge der musischen Erziehung, die im Dritten Reich auch missbraucht wurde, scheint der Begriff Pädagogik vielen angemessener.

Nur ein Teil der musikpädagogischen Wissenschaft umfasst wiederum die Didaktik des Faches Musik, wie es an den allgemeinbildenden Schulen unterrichtet wird. Andere Bereiche sind etwa die Instrumental- und Gesangspädagogik, die elementare Musikpädagogik, die Pädagogik des lebenslangen Musiklernens oder die vergleichende Musikpädagogik, welche sich mit Musik und ihrer Vermittlung in anderen Ländern beschäftigt.

In der Musikdidaktik wird grundsätzlich gefragt, wozu Musik vermittelt werden soll, welche Inhalte und Themen dabei am wichtigsten sind, und wie und mit welchen Mitteln und Medien dies optimal zu geschehen hat. Letzteres wird wiederum auch als die Methodik des Musikunterrichts bezeichnet und beschreibt damit ein weiteres Teilgebiet der Musikpädagogik.

Die Musikpädagogik ist andererseits zunächst auch ein Teil der Pädagogik im gesamten. Wissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse der Allgemeinen Pädagogik sind oftmals für die Musikpädagogik ebenso wertvoll und gültig, hierzu gehören z. B. Erkenntnisse darüber, dass sich Menschen etwas besonders dann gut aneignen, also lernen können, wenn sie motiviert sind und sich in positiver Grundhaltung befinden und wenn es sie ein wenig herausfordert, sie aber nicht überfordert werden.

Nachbardisziplinen wie die Psychologie, die Soziologie, die Anthropologie und die Medizin sowie die Musikwissenschaft, die Geschichtswissenschaft und die Kunstpädagogik liefern ebenfalls wichtige Erkenntnisse und Methoden für musikpädagogische Fragestellungen.

Geschichte

Bereits die antiken Hochkulturen kannten eine geregelte Musikerziehung. Sie nahm in Ägypten und im alten China eine feste Stellung innerhalb des öffentlichen Lebens ein. Die in den abendländischen Kulturen geltenden musischen Erziehungsvorstellungen sind griechischer Herkunft. Platon maß der Musik im dritten Buch seiner Politeia eine hohe Bedeutung zu, da sie Charakter und Seele bilde und als Ordnungsstruktur eine Analogie zum Staatswesen darstelle. Aristoteles betrachtete in seiner Poetik die Musik als mimetische Kunst; er billigte ihr gleichermaßen eine heilende und eine sittlich bildende Wirkung zu.

Die Musikerziehung des Mittelalters fand unter Aufsicht der Kirche vor allem in Kloster- und Domschulen statt. Ihre Lehrinhalte entsprachen der spekulativen Musiktheorie der Zeit, die zum zahlenorientierten Quadrivium innerhalb der Artes liberales gehörte. Die instrumentale sowie sämtliche weltliche Musik gehörte in den Bereich der Spielleute, die einen unehrlichen Beruf ausübten und einer sozial wenig geachteten Schicht angehörten.

Johann Adam Hillers Anweisungen gaben im 18. Jahrhundert Anstöße zur Entstehung der Instrumentalpädagogik. Zeitgenössisches Porträt

Der Humanismus und die Reformationszeit befassten sich mit vermehrt mit musikerzieherischen Fragen, so dass sich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine theoretisch fundierte Wissenschaft entwickelte. Anregungen stammten von Johann Heinrich Pestalozzi, Johann Gottfried Herder, Jean-Jacques Rousseau, Johann Adam Hiller und Johann Wolfgang von Goethe. Das 19. Jahrhundert stellte in der ersten Hälfte die fachlich-künstlerische Ausbildung heraus und die – im heutigen Sinne pädagogische – soziale Ausrichtung des Faches. In der zweiten Jahrhunderthälfte folgten unter der Wirkung des Neuhumanismus staatliche Bestimmungen, die jedoch die Schulmusik nicht zu einem etablierten und eigenständigen Fach erheben konnten. Dies gelang erst im 20. Jahrhundert mit der einsetzenden pädagogischen Reflexion über ästhetische, psychologische und soziologische Fragen, über Sinn und Wirkung von Musik und über Kunstrezeption verschiedenster Musikformen.

Wie auch bei anderen Schulfächern hat die kritische Aufarbeitung der Vergangenheit des Faches in der Zeit des Nationalsozialismus spät angefangen.[1]

Musikpädagogische Forschung

Die musikpädagogische Forschung lässt sich methodisch in drei Richtungen gliedern:

  1. In der historischen Forschung wird z. B. untersucht, wie sich die Musikerziehung in der Weimarer Republik, im Dritten Reich in der Nachkriegs-BRD sowie der DDR entwickelt hat. Ideengeschichte, Institutionengeschichte, Wissenschaftsgeschichte und Begriffsgeschichte wären einige Teilgebiete hierbei.
  2. Die systematische Forschung fragt unter Zuhilfenahme theologischer, philosophischer und pädagogischer Gedankenzusammenhänge grundsätzlich nach den Zielen der Musikpädagogik, nach ihren Werten und Normen, ihren gesellschaftlichen Bedingungen und ihrem Sinn.
  3. Der empirisch-analytische Ansatz versucht musikbezogene Lernprozesse zu beschreiben, zu erklären und zu verbessern.

Angesichts neuerer interdisziplinärer Forschungen aus den Bereichen Hirnforschung, Psychologie und Pädagogik darf jedoch z. B. vermutet werden, dass der Umgang mit Musik so früh wie möglich in der Lebensspanne und auf allen Ebenen der Aneignung am sinnvollsten, nachhaltigsten und effektivsten ist.

Hermeneutisch wird versucht, die gegenwärtige Realität der musikpädagogischen Praxis zu verstehen und vor dem Hintergrund ihrer geschichtlichen Entwicklung zu deuten.

Grundlage für diese Forschung ist immer auch die künstlerisch-praktische, die musiktheoretisch-analytische und die historische Beschäftigung mit Musik. Ohne musikalische Fähigkeiten und Kenntnisse fehlt einer solchen Forschung naturgemäß die fachliche Grundlage.

Ausgangspunkt für eine Erforschung ist bereits die Frage, „Was ist Musik?“. „Wie wirkt Musik?“, „Was bedeutet Musik?“ und „Welche Funktion hat Musik?“ (in der Werbung, in politischen Kontexten, im Fußballstadion, in der Disco …) sind weitere zentrale Fragen, ohne deren Beantwortung man kaum Aussagen darüber treffen kann, wie welche Musik am besten vermittelt und gelernt werden kann und soll.

Neben der Ausbildung musikpraktischer Fähigkeiten im Singen und im Instrumentalspiel ist der Begriff der „Ästhetischen Bildung“ für die Musikpädagogik wichtig geworden. Hiermit wird Musik als ein Verständnis der Welt berücksichtigt, als Kultur, als Sprache und als Lebenssinn. Musikalische Bildung ist wiederum nur dann möglich – so die herrschende Lehrmeinung der Musikpädagogen –, wenn musikalische Erfahrungen gemacht werden. Musik zu erfahren schließt die Musikpraxis, das Fühlen (resp. Hören) von Musik und das Nachdenken über Musik mit ein. Musik soll dabei auch verstanden werden.

Musikpädagogische Praxis

Status quo

Solche musikbezogenen Erfahrungen und dieses Verstehen von Musik finden an den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland und Österreich immer weniger statt: Die Praxis der Musikpädagogik hat in diesem Bereich eine deutliche Krise.[2] Zum Teil ist dies selbstverschuldet, etwa aufgrund einer immer noch starken Fixierung auf „klassische“ Bildungsinhalte oder durch die Anbiederungsversuche an die Schüler mit einem reinen Pop-Hit-Unterricht.

Zum Teil ist das gesellschaftliche Umfeld hierfür verantwortlich, denn das Fach Musik hat bei Eltern, Schülern und Politikern einen zunehmend geringen Stellenwert: Stunden werden gestrichen, Lehrer fehlen, das Fach Musik wird abgewählt oder nicht mehr angeboten. Musikalische Sozialisation beschränkt sich zunehmend auf den Konsum eines kleinen Ausschnittes populärer Musik.

Dies dokumentiert sich auch im Bereich der Musikschulen (privat und öffentlich), die (in Deutschland) häufig von Schließungen bedroht sind. Hier ist selbstverständlich die wirtschaftliche Gesamtsituation mitverantwortlich.

Verbesserungsversuche

Positive Ansätze zur Verbesserung der Situation der Musikpädagogik sind z. B. zu erwarten durch:

  • die Rückbesinnung auf die Vermittlung grundlegender Inhalte und Kompetenzen,
  • die frühe Förderung von Kindern, insbesondere durch häufiges, freudiges Singen,
  • Modelle zum gemeinsamen Musizieren in der Gruppe bzw. Klasse auf verschiedenen Instrumenten, beispielsweise in Bläserklassen,
  • den Einbezug neuer Medien (z. B. komponieren am Computer),
  • fächerverbindende Ansätze (Musik im Kontext von Bildern, Geschichten, historischen oder gesellschaftlichen Themen …),
  • interkulturelle Themenstellungen,
  • die pädagogisch nachhaltige Weiterentwicklung durch flexible Unterrichtsformen,
  • durch Besinnung der Lehrer auf ihre pädagogische Aufgabe, auf eine kritische Reflexion insbesondere ihrer Werturteile in dem Prozess der Vermittlung.[3]

Instrumental- und Gesangspädagogik

Die Instrumental- und Gesangspädagogik beschäftigt sich mit dem instrumentalen und vokalen Musikunterricht an Musikschulen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Neben dem traditionellen Einzelunterricht im instrumentalen Hauptfach gibt es an Musikschulen mittlerweile ein breites Fächerangebot, das in verschiedenen Unterrichtsformen angeboten wird.

Musikpädagogik und Transfereffekte

Im Kontext des öffentlichen Diskurses über Musikpädagogik wird häufig auf mögliche Transfereffekte einer Beschäftigung mit Musik verwiesen. Die Entwicklung von positiven Persönlichkeitsmerkmalen sowie Teamfähigkeit und eine Steigerung der Intelligenz sind nur einige wenige positive Effekte, die der Beschäftigung mit Musik zugeschrieben werden. Ergebnisse aus Forschungsprojekten, in denen ein Nachweis für die Förderung von außermusikalischen Fähigkeitsbereichen oder für einen positiven Einfluss der Musikpädagogik auf die Persönlichkeitsentwicklung erbracht werden soll, werden teilweise über die Medien populistisch aufbereitet verbreitet. Insbesondere die Verbesserung der Intelligenz durch den so genannten Mozart-Effekt wurde mehrfach in der Öffentlichkeit diskutiert. Nach derzeitigem Forschungsstand können entsprechende Transfereffekte als widerlegt gelten.[4] Aus musikpädagogischer Sicht wird teilweise generell bezweifelt, dass Transfereffekte zum Gegenstand der Musikpädagogik gehören: Diese beschäftige sich mit Auswirkungen auf das Lernen von Musik.

Studium der Musikpädagogik

Deutschland

Die Befähigung zum Musiklehrer an Musikschulen und anderen nicht staatlichen Bildungseinrichtungen setzt die mittlere Reife voraus. Das Studium wird meist mit Bachelor oder Master abgeschlossen, teilweise endet es auch – wie vor dem Bologna-Prozess üblich – mit einem hochschulinternen oder staatlichen Diplom.[5] Voraussetzung dafür, im Bereich Schulmusik zu arbeiten, ist die allgemeine Hochschulreife, d. h. Abitur, Matura oder ein vergleichbarer Schulabschluss sowie ein Lehramtsstudium. Dieses endet je nach Bundesland mit einem Staatsexamen, mit einem Bachelor- oder einem Masterabschluss.[6] Daneben lässt sich Musikpädagogik auch als wissenschaftliches Studium an Universitäten studieren.

Siehe auch

Literatur

  • The New Handbook of Research on Music Teaching and Learning. A Project of the Music Educators National Conference, hrsg. von Richard Colwell und Carol Richardso, Oxford University Press, 2002
  • Peter Bubmann, Michael Landgraf: Musik in Schule und Gemeinde. Grundlagen – Methoden – Ideen. Stuttgart 2006, ISBN 3-7668-3929-2.
  • Michael Dartsch, Jens Knigge, Anne Niessen, Friedrich Platz & Christine Stöger (Hg.) (2018): Handbuch Musikpädagogik. Grundlagen – Forschung – Diskurse. Münster: Waxmann. ISBN 9783825250409.
  • Rudolf-Dieter Kraemer: Musikpädagogik – eine Einführung in das Studium. Forum Musikpädagogik – Band 55, Wißner-Verlag Augsburg, ISBN 978-3-89639-380-7.
  • Ernst Klusen: Gefahr und Elend einer neuen Musikdidaktik. Gerig, Köln 1973.
  • Ernst Klusen: Singen. Materialien zu einer Theorie. Regensburg 1989, ISBN 3-7649-2336-9.
  • Wilfried Gruhn: Geschichte der Musikerziehung. Wolke, Hofheim 2003, ISBN 3-936000-11-5.
  • Siegmund Helms, Reinhard Schneider, Rudolf Weber (Hrsg.): Lexikon der Musikpädagogik. Sachteil, Bosse, Mainz 2005, ISBN 3-7649-2540-X.
  • Werner Jank (Hrsg.): Musik-Didaktik – Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Cornelsen, Berlin 2005, ISBN 3-589-22050-3.
  • Hermann J. Kaiser, Eckhard Nolte: Musikdidaktik. Schott, Mainz 1989, ISBN 3-7957-0202-X.
  • Alexandra Kertz-Welzel: Every Child For Music: Musikpädagogik und Musikunterricht in den USA. Musikwissenschaft/Musikpädagogik in der Blauen Eule, Band 74., Verlag Die Blaue Eule, Essen 2006, ISBN 3-89924-169-X.
  • Ulrich Mazurowicz: Gegenstände des Musiklernens und Methoden des Musiklehrens. Ein Leitfaden für das Studium der Musikpädagogik und zur Prüfungsvorbereitung. Fernwald 2005, ISBN 3-929379-13-9.
  • Hans-Christian Schmidt (Hrsg.): Geschichte der Musikpädagogik, in: Handbuch der Musikpädagogik, Bärenreiter, Kassel 1986, ISBN 3-7618-0781-3.
  • Kristin Thielemann: Jedes Kind ist musikalisch. Der Musik-Ratgeber für Eltern. Schott Music 2016 ISBN 9783795711702.
  • Hans Hermann Wickel: Musikpädagogik in der sozialen Arbeit – eine Einführung. Waxmann; Münster, New York, München, Berlin 1998, ISBN 3-89325-694-6.

Weblinks

Commons: Musikpädagogik - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wiktionary: Musiklehrer – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wiktionary: Musikunterricht – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Arnd Krüger: "Es gab im Grunde keine Sportstunde, die, von Gesten abgesehen, anders verlaufen wäre als vor- und nachher". Realität und Rezeption des nationalsozialistischen Sports. In: Mechthild von Schoenebeck (Hrsg.): Vom Umgang des Faches Musikpädagogik mit seiner Geschichte. Essen: Verl. Die Blaue Eule (2001) S. 19–41.
  2. Dissertation von Daniel Mark Eberhard zu "Ursachen von Unterrichtsstörungen im Fach Musik auf uni-augsburg.de, abgerufen am 27. Oktober 2013
  3. Vgl. hierzu: Müller, Renate (1998). Erfolgstyp Musiklehrer. Dimensionen der Interaktionskompetenz (2., überarbeitete Fassung). In: Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung, Abt. Grund- und Hauptschule. Musikunterricht in der Hauptschule. Handreichung für Musiklehrer. (9-16). München
  4. Mythos entzaubert: Musik von Mozart macht doch nicht klüger, Bericht des Spiegel.
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