Waldorfschule

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Waldorfschulen sind Schulen in freier Trägerschaft, an denen nach der von Rudolf Steiner begründeten Waldorfpädagogik unterrichtet wird. Die Waldorfpädagogik ist eine der bekanntesten praktischen Anwendungen der ebenfalls von Rudolf Steiner begründeten Anthroposophie. Vielen Waldorfschulen ist ein Waldorfkindergarten angegliedert. Bekannt sind sie auch unter den Bezeichnungen Rudolf-Steiner-Schule, englisch Waldorf School, Steiner School, französisch École Waldorf, niederländisch Vrijeschool.

Dr. phil. Rudolf Steiner (1861-1925), der erste Herausgeber von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften, Begründer der anthroposophischen Bewegung, Entwickler der Erziehungskunst, wie sie in den Waldorfschulen angewendet wird, und von 1919 bis 1925 Leiter der ersten Waldorfschulein Stuttgart

Geschichte

Die Waldorfschule ist in den sozialen Wirren nach dem Ersten Weltkrieg aus den Versuchen Rudolf Steiners und seiner Gesinnungsgenossen entstanden, ein vom Staat unabhängiges Geistesleben zu schaffen und Wissenschaft, Kunst und Religion zu ihrer als urtümlich angenommenen Einheit zurückzuführen, und hat sich letztlich aus allgemeinbildenden Kursen für die Arbeiter der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart herausentwickelt, die ihre Arbeitsvorgänge besser verstehen lernen und Steiners Ansätze einer Betriebskunde zu einer Schule für ihre Kinder ausbauen wollten. Für diese wurde 1919 durch den Inhaber der Fabrik, Emil Molt, die erste Schule gegründet und am 7. September feierlich eröffnet. An ihr unterrichteten Männer und Frauen der unterschiedlichsten beruflichen Herkunft, ein Offizier, ein Fabrikant, der Eisenbahningenieur Alexander Strakosch und der Autodidakt Ernst Uehli. Steiner wurde der erste Schulleiter, Herbert Hahn war zunächst der wichtigste Lehrer für die geisteswissenschaftlichen Fächer und rückte später immer mehr in Steiners Position. Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden in Deutschland eine Handvoll und im Ausland ein paar weitere Waldorfschulen gegründet; alle, die auf Gebiet standen, das irgendwann von Hitler erobert worden ist, mussten schließen. Nach dem Krieg sammelten sich die Waldorfleute rasch wieder, viele Schulen wurden gegründet. Nach dem schnellen Wachstum der Bewegung im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg wurden 1973 die Gründungen gestoppt, sie kamen jetzt nur noch auf Initiativen von Eltern hin zustande, weil man befürchtete, die junge Schulbewegung könnte sonst von der Überlast ihrer eigenen schnellen Ausbreitung erdrückt werden. Etwa seit Anfang der 90-er Jahre wird die Bewegung, die sich vorher bloß Zuspruchs erfreute, viel angegriffen, unter anderem durch die katholische Kirche. Mittlerweile hat ihre Ausbreitung in Deutschland innegehalten, es mangelt an Lehrern, während sich die Waldorfschulen im Ausland so rasch vermehren wie bisher noch nie.

Rudolf-Steiner-Schule Loheland

Zeit des Nationalsozialismus

Während der Zeit des Nationalsozialismus, stellten die deutschen Waldorfschulen, wie andere nichtstaatliche Schulen auch, spätestens nach 1937 ihren Lehrbetrieb durch Selbstauflösung oder Zwang ein. [1].

Die acht Waldorfschulen waren den Nationalsozialisten von Anfang an ein besonderer Dorn im Auge gewesen. Anders als andere anthroposophische Institutionen, die lange Zeit von den Behörden unbemerkt weiterarbeiten konnten, hatten die Schulen eine große Außenwirkung. Um die Schulen zu retten, nahm Elisabeth Klein, die Dresdner Schulleiterin, die eine Schlüsselstellung in den Verhandlungen mit dem Regime innehatte, Kontakt zu führenden Nationalsozialisten auf. Sie suchte den Schulterschluss, während sich die Schule in Berlin 1936 ausdrücklich von diesen Kollaborationsversuchen distanzierte und die eigene Schließung selbst betrieb. Unter den Personen, die Klein kontaktierte, war auch Rudolf Heß, dem Sympathien für die Anthroposophie nachgesagt wurden. Auch Klein ging davon aus, dass Heß seine Aufgabe darin sehe, "alle Geistesrichtungen in Deutschland zu schützen, die noch aufbauend im Geistesleben wirken können".[2]


Am 1. November 1935 wurde die Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland per Dekret Reinhard Heydrichs verboten. Die Begründung nahm deutlich Bezug auf die antroposophische Pädagogik und lautete: „Nach der geschichtlichen Entwicklung der Anthroposophischen Gesellschaft ist diese international eingestellt und unterhält auch heute noch enge Beziehungen zu ausländischen Freimaurern, Juden und Pazifisten. Die auf der Pädagogik des Gründers Steiner aufgebauten und in den heute noch bestehenden anthroposophischen Schulen angewandten Unterrichtsmethoden verfolgen eine individualistische, nach dem Einzelmenschen ausgerichtete Erziehung, die nichts mit den nationalsozialistischen Erziehungsgrundsätzen gemein hat. Infolge der Gegensätze zwischen den Anschauungen der Anthroposophischen Gesellschaft und den vom Nationalsozialismus vertretenen völkischen Gedanken bestand die Gefahr, dass durch eine weitere Tätigkeit der Anthroposophischen Gesellschaft die Belange des nationalsozialistischen Staates geschädigt werden. Die Organisation ist daher wegen ihres staatsfeindlichen und staatsgefährdenden Charakters aufzulösen. i.V. gez. Heydrich.“[3]

Gemäß einer Anordnung von Rudolf Heß durften Waldorfschulen bis 1940 keine Einschulungen mehr vornehmen. Zwei Schulen wurden sogar verboten (1938 Stuttgart und 1941 Dresden). Die restlichen mussten aus finanziellen Gründen schließen. Von den acht anthroposophischen heilpädagogischen Heimen wurden drei massiv bedroht, davon zwei geschlossen.

Zielsetzung

Man will allgemein umfassender und natürlicher bilden und vor allem vermeiden, dass in der früheren Kindheit zu stark Wissen in einer Form aufgenommen wird, die sich eher für Erwachsene eignet, wenn sie den Überblick über Welt und Lebendiges schon haben. Der generelle Ansatz ist, den Hunger des jungen Menschen auf Bildung nicht zu stillen, sondern im Gegenteil ihn hungrig auf Bildung zu machen, der Lehrstoff wird in erster Linie als eine rein exemplarische Masse gesehen, über die das Lernen, Denken, Empfinden geschult bzw. entfaltet wird. Um dieses Ziel zu erreichen, hat man Maßnahmen ergriffen, die auf größere Menschengemäßheit und bessere seelische Entwicklungschancen angelegt sind: möglichst langes Zusammenbleiben einer Klassengemeinschaft und ihres Lehrers ähnlich wie in der Dorfschule von einst, kein Wettrennen um Noten, die traditionellen Arbeiten der Frauen und Männer, sogenannten "freichristlichen" Religionsunterricht für nicht getaufte Schüler, Eurythmie, um den ganzen Menschen formen und Einheit der seelischen und motorischen Entwicklung gewährleisten zu können, aber man hat auch beschlossen, dass noch viel anderweitige künstlerische Betätigung zur Ausbildung jedes Menschen gehört. Der Lehrplan der Waldorfschule geht vor allem in den unteren Jahren, die Steiner noch miterlebte, auf diesen zurück, stimmt den Stoff genau auf Zahnwechsel, Geschlechtsreife und andere Entwicklungsstufen des Menschen ab und wiederholt deshalb auch manches über die Schulzeit hinweg bis zu dreimal. Die Waldorfbewegung will auch allgemein sozial heilend wirken und unter anderem nationale Grenzen möglichst überwinden. Mit ihrem grundsätzlich anderen Lehrplan stehen die Schulen vor allem in den oberen Jahren in erheblichem Grade isoliert in der Bildungslandschaft.

Methodisch-Didaktisches

Die wichtigsten anthroposophischen Ansätze sind schwer zu fassen und können auch nicht von jedem Lehrer in gleich ernsthafter Weise umgesetzt werden, da sie viel Einfühlungsvermögen erfordern. Sie gründen auf Steiners Menschenkunde bzw. der Entwicklung des Kindes sowie in der Charakterologie.

Steiners Menschenkunde

Der Kern der Anthroposophie ist es, dass man Religionen und andere Lehren von Innerlichem nicht bloß als Wille und Vorstellung abtut, sondern ernst nimmt.

So hat Steiner denn in einem Teil seiner Lehrerkurse zunächst ausführlich den Menschen als psychisch-physische Leibeinheit dargestellt. Für ihn ist die Seele, das Ich des Menschen eine Kugel, die sich um den Kopf herumspannt und über den Körper hinausragt. Das ist vereinfacht, hilft aber dem Waldorflehrer, die Aura der Schüler wahrzunehmen und dadurch in fachgerechter Weise mit ihnen in Austausch treten zu können. Es entsteht eine wesentlich privatere Lage, Streitereien werden aus dem Lehralltag ausgeschieden. Dieses eigentümlich waldorfschulhafte Liebe und Innige lässt sich schwer in Worte kleiden und zieht dadurch nur umso wirksamer die Menschen zu Steiners Schulen hin.

Steiner hat zu allen Lebensaltern des Kindes Hinweise gegeben. Es entwickelt sich gemäß ihm bis zum siebten Lebensjahr zunächst als ein ungeschlechtliches Wesen und steht noch ganz im Kosmos drinnen. In dieser Zeit lernt es vor allem durch Nachahmung. (Seine Nachahmungskräfte werden dann in den ersten Schuljahren durch den früh beginnenden Fremdsprachenunterricht noch so stark wie möglich ausgebeutet; bis zur sechsten Klasse sollen die Schüler die Fremdsprachen fließend beherrschen.) Vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife macht das Kind bewusst nach, was die Erwachsenen ihm vormachen; das ist das anthroposophische Verständnis von Autorität. Schon ab 14 stellt der Lehrer darauf ab, dass sich der Schüler frei zu entscheiden vermag. Strafarbeiten und Nachsitzen gibt es jetzt nicht mehr, ein uneinsichtiger Schüler soll gegebenenfalls lieber gleich die Schule verlassen.

Die Charaktere

Der Waldorflehrer kennt die vier Ausdrücke cholerisch, melancholisch, phlegmatisch und sanguinisch – zornig, traurig, nachgiebig und fröhlich. Er soll bei jedem Schüler herausfinden, welcher der vier Charaktere vorherrscht, und ist es das Traurige oder Nachgiebige, muss es ins Fröhliche bzw. Zornig-Drauflosgehende umgewandelt werden. Auch wird streng unterschieden, welchen Wesenszug der Schüler nur von den Eltern übernommen hat und welcher sein ur-eigener ist.

Der Lehrplan

Freie Waldorfschule Vordertaunus Oberursel

Die Klassenlehrerzeit

Ein Klassenlehrer behält seine Klasse vom ersten bis zum achten Schuljahr, also durch die ganze Unter- und Mittelstufe. Er unterrichtet alle Epochenfächer über etwa drei Wochen hinweg jeden Tag in den ersten beiden, zusammenhängenden Stunden bis zur großen Pause, dem sogenannten Hauptunterricht. Damit der Klassenlehrer noch enger mit seiner Klasse zusammenwächst, soll er auch möglichst noch mehrere andere Fächer geben, die er studiert hat. Ab der ersten Klasse gibt es zwei Fremdsprachen - in Deutschland natürlich eine davon Englisch, die andere meistens Russisch, z.T. auch Französich -, Handarbeiten, Musik, Eurythmie, Religion (der am Ort vorherrschenden Kirchen und manchmal auch der Christengemeinschaft), Turnen. Die Schüler folgen in den unteren Klassen häufig der Tafelgestaltung des Lehrers und gestalten ihr Epochenheft auch mit eigenen Beiträgen.

Das rhythmische Element

Der Hauptunterricht beginnt mit einem vitalisierenden rhythmischen Teil, der physiologische Rhythmen wie Atmung und Herzschlag aktiviert und harmonisiert und dadurch zugleich aufweckend und gesundheitsfördernd (Salutogenese) wirkt[4]. Es werden Gedichte gesprochen und Lieder gesungen, zu denen rhythmisch geklatscht oder gestampft wird. Erst danach folgt der eigentlichen Unterricht, wobei die am Vortag behandelten Inhalte in der Regel zuvor kurz wiederholt werden.

Der Morgenspruch

Jede Klasse beginnt den Tag mit dem immer gleichen, seit 1919 unveränderten sogenannten Morgenspruch von Rudolf Steiner, der sie gemeinsam darauf einstimmen soll, in der Schule in feierlicher Weise Erkenntnisse aufzunehmen, die fürs Leben wichtig sind. Er lautet:

  Der Sonne liebes Licht,
  es hellet mir den Tag;
  der Seele Geistesmacht,
  sie gibt den Gliedern Kraft;
  im Sonnen-Lichtes-Glanz
  verehre ich, o Gott,
  die Menschenkraft, die du
  in meine Seele mir
  so gütig hast gepflanzt,
  dass ich kann arbeitsam
  und lernbegierig sein.
  von dir stammt Licht und Kraft,
  zu dir ström' Lieb' und Dank.
Die Zeugnissprüche

Ab der zweiten Klasse muss jeder Schüler einmal pro Woche an dem Wochentag, an dem er geboren ist, neben den anderen stehend, die dran sind, vor der Klasse einen Spruch sagen, den ihm der Klassenlehrer unter das lange - ganzseitige - Zeugnis geschrieben hat und den er sowohl selbst erdacht wie von einem anderen - oft von bedeutenden Dichtern - übernommen haben kann.

Die Lehrinhalte

Es wird mit Wasserfarben gemalt und zunächst vor allem gelernt, die Farbe gleichmäßig auf dem Blatt zu verteilen und Zebrastreifen wie von Anstreichern zu vermeiden. Das Rechnen wird auf anschauliche Weise mit irgendwelchen Bohnen oder anderen zählbaren Gegenständen erlernt. Die Schrift übernimmt der Schüler Buchstabe für Buchstabe von Dingen in der Natur, die mit dem jeweiligen Laut anfangen und ihm gleichsehen, so wird z.B. das W rund mit blauer Farbe als eine Welle gemalt. Es kann vorkommen, dass man noch in der vierten Klasse dem Nebensitzer beim Vorlesen aus dem speziellen Waldorflesebuch vorsagen muss. Den Inhalt des Unterrichts, der allgemein in die Welt des Wissens einführt, bilden zunächst lange zu einem großen Teil Sagen und Märchen, und zwar zuerst die des Mittelalters und erst dann die der Germanen. In der vierten Klasse führt man ein Stück auf, das in der germanischen Heldenwelt spielt. Die Epochen führen zum Teil in besondere Abschnitte der menschlichen kulturellen Entwicklung, wie den ägyptischen, ein. Der Gartenbau und die anderen handwerklichen Fächer treten als regelmäßige Fachstunden hinzu: Schreinern, Plastizieren, Metalltreiben, Malerei oder Steinmetzen (Mittel- und Oberstufe). In der siebten Klasse gibt es eine Stereoskopie-, in der achten eine Goethe-und-Schiller-Epoche. Der Geschichtsunterricht erreicht erst jetzt die neueste Zeit. Die Klassenlehrerzeit wird normalerweise mit einem großen Klassenspiel, einer weiten gemeinsamen Klassenfahrt und manchmal auch mit obligatorischen praktisch-theoretischen Einzelleistungen (Jahresarbeiten) beendet.

Die Oberstufe

Nach der achten Klasse werden auch die Epochen von Fachlehrern übernommen, es bleibt der Hauptunterricht, in dem sie erteilt werden. Die Schüler schreiben sich ihre Lehrbücher auch jetzt noch selbst, ihre Aufsätze, die auf dem Mitschreiben während des Unterrichts beruhen, bekommen sie nach dem Ende der Epoche in Einem korrigiert ausgehändigt. Der Lehrer kann das traditionelle Epochenheft auch in der Form eines Ordners führen lassen, so dass sich besonders leicht zusätzliche Texte und Grafiken darin unterbringen lassen. Der Unterricht gleicht sich mehr und mehr dem an einer Universität an.

Lehrbücher soll es auch in der Oberstufe nicht geben, sie werden nur benutzt, um auf die staatlichen Prüfungen vorzubereiten. Bis zu diesen wird das Wissen der Schüler von außen nicht kontrolliert.

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), ein Mann, der für die Waldorfschule von großer Bedeutung ist

Das rhythmische Element

In der Oberstufe gibt es keine Zeugnissprüche mehr, aber dafür einen - anderen - Morgenspruch:

  Ich schaue in die Welt, 
  in der die Sonne leuchtet, 
  in der die Sterne funkeln, 
  in der die Steine lagern. 
  Die Pflanzen lebend wachsen, 
  die Tiere fühlend leben, 
  in der der Mensch beseelt 
  dem Geiste Wohnung gibt. 
  Ich schaue in die Seele, 
  die mir im Innern lebt, 
  der Gottesgeist, er webt 
  im Sonn- und Seelenlichte, 
  im Weltenraum da draußen, 
  in Seelentiefen drinnen.
  Zu dir, o Gottes Geist,
  will ich bittend mich wenden,
  dass Kraft und Segen mir
  zum Lernen und zur Arbeit
  in meinem Innern wachse.
     (Rudolf Steiner 1861-1925)

An die Stelle des gemeinsamen Singens tritt in der Oberstufe zu einem großen Teil das gemeinsame Musizieren im Schulorchester, das es an jeder Waldorfschule gibt.

Die Lehrinhalte

In der neunten Klasse, nach dem Eintritt in die Pubertät, wird dem Schüler geholfen, sich bewusst enger mit dem Irdischen zu verbinden, indem man ihn durch eine Geologie-Epoche führt, die von einer Zeitreise bis zurück zum Anfang des Lebens gekrönt werden kann. Auch blicken die Schüler in der Goethe-Epoche mehrere Wochen lang auf den Lebenslauf des Dichters, der Deutschlehrer kann durch den "Götz" ergänzen. Die Schüler beginnen jetzt, das Zusammenfassen literarischer Werke und die Formen des Aufsatzes und des Protokolls zu üben.

Die Oberstufe ist auch die Zeit der Praktika. In der neunten Klasse arbeitet man zusammen oder in kleineren Einheiten auf dem Bauernhof, jetzt oder in der Zehn geht man ein Stück Land vermessen, dann folgt ein Praktikum in einer sozialen Einrichtung, an manchen Schulen muss auch ein Handwerks- oder sogar ein Industriepraktikum absolviert werden.

In der zehnten Klasse werden die Schüler mittels der Poetik-Epoche in die wichtigsten Regeln der Metrik eingeführt, jetzt lesen sie auf mittelhochdeutsch das Nibelungenlied. Ein Jahr später führt man sie durch eine Parzival-, im letzten Jahr der Waldorfschule schließlich durch eine Faust-Epoche noch tiefer in die Literatur ein.

In der zehnten oder elften Klasse ist ein Fremdsprachenspiel üblich, in der zwölften ein großes gemeinsames Klassenspiel nebst Abschlussfahrt und - mancherorts - auch Jahresarbeiten, die als Waldorfabschluss anerkannt werden können.

Die Beurteilung der Leistungen

Noten werden an Waldorfschulen bis zur Oberstufe nicht hochoffiziell vergeben, statt dessen einmal im Jahr Zeugnisse aus Texten. Im Zeugnis steht, was der Schüler kann bzw. noch nicht kann, was bei ihm psychologisch von Belang ist und wie er sich in den Unterricht eingebracht hat.

Schulabschluss

Klassenraum in der Unterstufe

Die Regelschulzeit beträgt zwölf Jahre, unabhängig von dem individuell angestrebten staatlichen Schulabschluss. Am Ende der 12. Klasse steht der Waldorfschulabschluss, der als gleichwertig mit einem staatlichen Schulabschluss (z.B. Realschulabschluss) anerkannt werden kann. Der Waldorfschulabschluss ist keine Abschlussprüfung, sondern zieht sich als ein modularer Prozess durch die gesamte Oberstufe (Klasse 9 bis 12) hindurch und umfasst neben einer abschließenden Bewertung der schulischen Leistungen diverse Praktika (Landwirtschaftspraktikum, Betriebspraktikum, Sozialpraktikum), eine Facharbeit oder die so genannte Jahresarbeit mit einem theoretischen und einem praktischen Teil, die Teilnahme an einem Theaterprojekt der ganzen Klasse, den Eurythmieabschluss und meist auch eine Studienfahrt mit künstlerisch/kunstgeschichtlicher Ausrichtung.

Der Waldorfschulabschluss ist in Deutschland im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern staatlich nicht anerkannt, gilt den Anhängern der Waldorfpädagogik aber als wichtiger Nachweis erworbener Sozial- und Persönlichkeitskompetenzen (Teamfähigkeit, Selbstständigkeit, Durchhaltevermögen, Kreativität, Lernkompetenz usw.). Das Waldorfschulabschlusszeugnis dokumentiert auch ausführlich die erbrachten praktischen Leistungen.

Obwohl die Waldorfpädagogik nicht auf staatliche Schulabschlüsse ausgerichtet ist, bieten die Waldorfschulen meist eine dreizehnte Jahrgangsstufe an, um die Schüler auf das Abitur oder die Fachhochschulreife vorzubereiten. Statt des waldorftypischen fachpraktischen Unterrichts erhalten sie einen vertiefenden Unterricht in den abiturrelevanten Fächern. In Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und seit 2006 auch in Niedersachsen wird das gleiche Zentralabitur wie an allen Schulen, an denen das Abitur abgelegt werden kann, geschrieben, mit dem Unterschied, dass für die Abiturnote nur die Prüfungsergebnisse und nicht die Jahresleistung zählen. In Brandenburg wird in einem Prüfungsfach die Möglichkeit der Portfolioprüfung genutzt. Aufgrund meist geringer Schülerzahlen der in der Regel einzügigen Waldorfschulen können die Prüfungsfächer nicht frei gewählt werden. Schule und Schüler müssen sich auf ein konkretes Fächerangebot einigen. Die Prüfung wird durch vom Landeskultusminister beauftragte staatliche Prüfer begleitet.

Im Jahre 2002 legten in Deutschland 49 Prozent der ca. 4.500 Waldorfschul-Abgänger das Abitur ab, 33 Prozent die mittlere Reife, 7 Prozent die Fachhochschulreife und 11 Prozent den Hauptschulabschluss.

Vorreiter- und Nachzüglerrolle

Die 1919 gegründete erste Waldorfschule in Stuttgart brachte für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Ideen mit sich. Während die Mehrheit der Kinder in Deutschland nur acht Jahre zur Schule ging, wurden ihnen an der Waldorfschule 12 Jahre Schulbildung garantiert.

Ab dem ersten Schuljahr wurden bereits zwei Fremdsprachen unterrichtet, die Freie Waldorfschule war in Deutschland die erste Gesamtschule und auch die erste Schule, die regulär koedukativ unterrichtete. Des Weiteren waren Praktika schon immer fester Bestandteil des Lehrplans.

Die Waldorfschule in Kapstadt (Südafrika) konnte noch während der Apartheid das Recht erkämpfen, in gemischten Klassen unterrichten zu dürfen. Während der Rassentrennung in Eisenbahnwagen wurde speziell für die Schüler dieser Schule ein "Gemischtwagen" eingeführt.

Die Freie Waldorfschule Innsbruck (Österreich) war die erste Schule, die das Fach Menschenrechte in der Oberstufe zum Pflichtfach machte.

Heute wird den Waldorfschulen oftmals eher eine Nachzüglerrolle zugeschrieben, weil sich ihre pädagogischen Leitlinien nur sehr wenig weiterentwickelt haben. Da die Waldorfschulen nicht von zentraler Stelle aus geleitet werden, sondern Entscheidungen des Kollegiums einstimmig getroffen werden müssen, wird eine einheitliche Entwicklung und Qualitätssicherung gebremst. Infolgedessen gehörten beispielsweise manche Waldorfschulen zu den ersten Schulen in Deutschland, die Programmierkenntnisse vermittelten, während auch heute noch an anderen Waldorfschulen Informatik für unwichtig erachtet wird.

Laut einer in der Zeitschrift Capital veröffentlichten Studie zählen dagegen überproportional viele Waldorfschulen zu den 100 besten Schulen Deutschlands (10 Schulen bei 1 % Gesamtanteil).

Ausbreitung der Waldorfbewegung

Heute sind die reichen Länder im nördlicheren Europa am dichtesten mit Waldorfschulen bestückt: am dichtesten Liechtenstein und Norwegen, ihnen folgten um die Jahrtausendwende Island, Estland, Niederlande, Schweiz, Schweden, Finnland, Dänemark, Neuseeland, Belgien, Luxemburg, Deutschland, Lettland, Australien, Österreich mit einer Dichte von einer Waldorfschule auf ca. 30.000 (Liechtenstein) bis ca. 600.000 Einwohner (Österreich). In Japan gibt es (2002) drei, in Israel vier, in Russland um die zwanzig, in den USA über hundert Waldorfschulen. Die Bewegung ist aber auch schon bis nach Kenia, Namibia, Südafrika, in die Moldau, nach Armenien, Georgien, Kirgistan, Brasilien, Argentinien, Chile, Peru, Mexiko und in andere Entwicklungsländer vorgedrungen, wobei man dem Gedanken in solchen Ländern nicht immer gleich treu bleibt und die Schulen z.T. auch nach kurzer Zeit wieder schließen. Nach Angaben aus dem Jahr 2006 existieren in Deutschland 193 Waldorfschulen, in ganz Europa 643 und weltweit 903 sowie 2000 Kindergärten und Fördereinrichtungen.

Waldorfschulen im deutschen Rechtsrahmen

Waldorfschulen sind öffentliche, allgemeinbildende Schulen in freier Elternträgerschaft im Rahmen der Schulgesetzgebung der Bundesländer auf der Grundlage des Grundgesetzartikels 7 (Schulwesen). Die Anerkennung der Waldorfschulen als Ersatzschulen (siehe auch Privatschule) führt u.a. zu staatlichen Zuschüssen. Ergänzend wird zur Finanzierung Schulgeld von den Eltern erhoben. Im Jahr 2002 betrug das Schulgeld nach Angaben des Bundes der Freien Waldorfschulen durchschnittlich 125 Euro monatlich.

Dem Grundgesetz entsprechend darf die Erhebung von Schulgeld nicht dazu führen, dass einem Kind der Besuch einer bestimmten Schule aus finanziellen Gründen verwehrt wird (siehe Sonderungsverbot).

Anmerkungen

  1. vgl. Detlef Hardorp: Die deutsche Waldorfbewegung in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Inge Hansen-Schaberg, Bruno Schonig: Basiswissen Pädagogik. Reformpädagogische Schulkonzepte Band 6: Waldorf-Pädagogik. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler 2002. ISBN 3-89676-503-5, S.132ff.
  2. In ihren Erinnerungen hatte sie geschrieben: »Beim Zusammensein mit Hess und Leitgen im Hotel Vier Jahreszeiten in München stellte er [=Hans Erdmenger] die Frage: 'Was ist eigentlich die Aufgabe des Amtes Hess?' Herr Leitgen antwortete: 'Wenn Sie es für sich behalten, will ich es Ihnen sagen. Wir sehen unsere Aufgabe darin, alle Geistesrichtungen in Deutschland zu schützen, die noch aufbauend im Geistesleben wirken können und die von anderen Stellen des Nationalsozialismus ausradiert würden' Klein, Erinnerungen, 1978, S. 126. Zitiert nach Jens Heisterkamp, Schatten der Vergangenheit - Anthroposophen und ihre Institutionen im Nationalsozialismus, info3, April 1999 (Internet). Die Frau von Rudolf Heß teilte rückblickend mit: "Mein Mann hat durch die Verbindung mit Frau Dr. Klein s. Zt. seine schützende Hand über die Waldorf-Schulen gehalten mit dem Hinweis, dass er dafür sei, diesen pädagogischen Versuch arbeiten zu lassen." Brief Ilse Heß an Reinhard G., 21.07.1984, zitiert nach Arfst Wagner, Dokumente und Briefe zur Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft und Bewegung in der Zeit des Nationalsozialismus, 1993 (Internet)
  3. Preußische Geheime Staatspolizei Berlin, 1. November 1935, StAM LR 17 134354, BAD Z/B 1 904, BAK R 43 II/822, zitiert nach Walter Kugler, Feindbild Steiner, 2001, S. 11f.
  4. Tatsächlich ergab eine Vergleichsstudie, dass ehemalige Waldorfschüler in der zweiten Lebenshälfte mit signifikant geringerer Häufigkeit an chronischen Erkrankungen wie Arthrose, Bluthochdruck, entzündliche Gelenkerkrankungen und Diabetes leiden.
    vgl. dazu: Barz, H/Randoll, D. (Hrsg.): Absolventen von Waldorfschulen, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007

Literatur

  • Bußmann, Hildegard und Jochen: Unser Kind geht auf die Waldorfschule. Erfahrungen und Ansichten. Rowohlt, 1990. ISBN 3-499-18736-1
  • Carlgren, Frans: Erziehung zur Freiheit. Verlag Freies Geistesleben, 2005. ISBN 3-7725-1619-X
  • Kiersch, Johannes: Die Waldorfpädagogik. Eine Einführung in die Pädagogik Rudolf Steiners. Reihe Praxis Anthroposophie 47, Verlag Freies Geistesleben, 1997. ISBN 3-7725-1247-X
  • Leber, Stefan (Hg.): Waldorfschule heute. Einführung in die Lebensformen einer Pädagogik. Mit Beiträgen von Michaela Glöckler, Christoph Gögelein, Wenzel Götte, Freya Jaffke, Ernst-Michael Kranich, Helmut von Kügelgen, Stefan Leber, Manfred Leist, Christoph Lindenberg, Walter Riethmüller, Christian Rittelmeyer und Hartwig Schiller. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2001. ISBN 3-7725-1221-6
  • Richter, Tobias: Pädagogischer Auftrag und Unterrichtsziele. Vom Lehrplan der Waldorfschule. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2002. ISBN 3-7725-0269-5
  • Schad, Wolfgang: Erziehung ist Kunst. Pädagogik aus Anthroposophie. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 1994. (Vergriffen, Neuauflage steht noch nicht fest.) ISBN: 3-7725-1204-6
  • Steiner, Rudolf: Praxis der Waldorfpädagogik (10 Vorträge, Themen aus dem Gesamtwerk Band 21). Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2004. ISBN 3-7725-0091-9
  • Iwan, Rüdiger: Die neue Waldorfschule: Ein Erfolgsmodell wird renoviert, Rowohlt, Reinbek, Nachdruck 2007, ISBN 3498032283

Kritische Literatur

  • Bierl, Peter: Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik. 1999. ISBN 3-89458-171-9
  • Jacob, Sybille-Christin und Drewes, Detlef: Aus der Waldorf-Schule geplaudert. Warum die Steiner-Pädagogik keine Alternative ist. Aschaffenburg: Alibri, 2001. ISBN 3-932710-28-2
  • Prange, Klaus: Erziehung zur Anthroposophie - Darstellung und Kritik der Waldorfpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhard, 2000. ISBN 3-7815-1089-1
  • Rudolph, Charlotte: Waldorf-Erziehung: Wege zur Versteinerung. DTV, 1988. ISBN 3-472-61727-6
  • Wagemann, Paul-Albert und Kayser, Martina: Wie frei ist die Waldorfschule? W. Heyne Verlag, 2002. ISBN 3-453-09147-7
  • Weibring, Juliane: Die Waldorfschule und ihr religiöser Meister - Waldorfpädagogik aus feministischer und religionskritischer Perspektive. ATHENA, 1998. ISBN 3-932740-21-1

Weblinks

Waldorfpädagogik
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