Gotthold Ephraim Lessing und Kairos: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Gotthold Ephraim Lessing.PNG|miniatur|Gotthold Ephraim Lessing, Gemälde von [[wikipedia:Anna Rosina de Gasc|Anna Rosina de Gasc]] (Lisiewska), 1767/1768, Gleimhaus Halberstadt]]
[[Datei:Kairos-Relief von Lysippos, Kopie in Trogir.jpg|mini|300px|Kairos-Relief von [[Wikipedia:Lysippos|Lysippos]], Kopie in [[Wikipedia:Trogir|Trogir]]]]
[[Datei:Lysippos_Kairos.jpg|thumb|300px|[[Kairos]]-[[Relief]], römische  Kopie des Originals von [[Wikipedia:Lysippos|Lysippos]] (Museum von Turin)]]
'''Kairos''' ({{ELSalt|Καιρός}}), die Gunst der Stunde, der rechte [[Augenblick]] der [[Entscheidung]], das richtige Handeln zum rechten Zeitpunkt, wurde in der späteren [[Wikipedia:Griechische Mythologie|griechischen Mythologie]] als Gottheit angesehen, spielte aber, anders als [[Chronos]], keine bedeutende Rolle. Nachbildungen der Kairos-Statute von [[Wikipedia:Lysippos|Lysippos]] (siehe unten) belegen allerdings einen vom [[Wikipedia:Hellenismus]] bis in [[Wikipedia:Ostrom|oströmische Zeit]] weit verbreiteten Kairos-Kult.


'''Gotthold Ephraim Lessing''' (* 22. Januar 1729 in Kamenz, [[wikipedia:Oberlausitz|Markgraftum Oberlausitz]]; † 15. Februar 1781 in Braunschweig) war ein bedeutender Dichter der deutschen [[Aufklärung]]. Mit seinen Dramen und seinen theoretischen Schriften, die vor allem dem [[Toleranz]]gedanken verpflichtet sind, hat dieser [[Aufklärung|Aufklärer]] der weiteren Entwicklung des [[Theater]]s einen wesentlichen Weg gewiesen und die öffentliche Wirkung von Literatur nachhaltig beeinflusst. Lessing ist der erste deutsche Dramatiker, dessen Werk bis heute ununterbrochen in den Theatern aufgeführt wird.
Alle Kairos-Darstellungen leiten sich von der verschollenen, von [[Wikipedia:Pausanias|Pausanias]] beschriebenen Bronzestatue des [[Wikipedia:Lysippos|Lysippos]] ab, der auch der Hofbildhauer [[Alexander der Große|Alexanders des Großen]] gewesen war. Nach Pausanias soll Kairos als eilender nackter Jüngling mit Flügeln an den Knöcheln und langen Locken an Stirn und Schläfen (daher auch das Sprichwort: „Die Gelegenheit beim Schopf packen“) dargestellt worden sein. Sein Hinterkopf war kahl (von hinten ist Kairos nicht mehr zu fassen) und in der Hand hielt er ein spitzes Messer. Auf manchen Darstellungen trägt Kairos auch Flügel auf dem Rücken und eine [[Wikipedia:Balkenwaage|Balkenwaage]] in der Linken, so etwa auf einem Turiner [[Relief]].


=== Der Kritiker und Aufklärer ===
Von [[Wikipedia:Pittakos|Pittakos]] von [[Wikipedia:Mytilene|Mytilene]] ([[Wikipedia:Lesbos|Lesbos]]) stammt der Ausspruch: {{polytonisch|Γίγνωσκε καιρόν.}} ({{ELSalt|Gignōske kairon.}}, „Erkenne den rechten Zeitpunkt!“).
In seinen religionsphilosophischen Schriften argumentierte Lessing gegen den Glauben an die Offenbarung und gegen das Festhalten an den „Buchstaben“ der Bibel durch die herrschende Lehrmeinung. Dem gegenüber vertraute er auf ein „Christentum der Vernunft“, das sich am Geist der Religion orientierte. Er glaubte, dass die menschliche [[Vernunft]], angestoßen durch Kritik und Widerspruch, sich auch ohne die Hilfe einer göttlichen Offenbarung entwickeln werde. Um eine öffentliche Diskussion gegen die orthodoxe „Buchstabenhörigkeit“ anzuregen, veröffentlichte er in den Jahren 1774 bis 1778 sieben ''Fragmente eines Ungenannten'', die zum so genannten [[wikipedia:Fragementenstreit|Fragmentenstreit]] führten. Sein Hauptgegner in diesem Streit war der Hamburger Hauptpastor [[wikipedia:Johann Melchior Goeze|Johann Melchior Goeze]], gegen den Lessing unter anderem als ''[[wikipedia:Anti-Goeze|Anti-Goeze]]'' benannte Schriften von [[wikipedia:Hermann Samuel Reimarus|Hermann Samuel Reimarus]] herausgab.


Außerdem trat er in den zahlreichen Auseinandersetzungen mit den Vertretern der herrschenden Lehrmeinung (z.B. im ''Anti-Goeze'') für Toleranz gegenüber den anderen Weltreligionen ein. Diese Haltung setzte er auch dramatisch um in dem Drama ''Nathan der Weise'', als ihm weitere theoretische Veröffentlichungen verboten wurden. In der Schrift ''[[Die Erziehung des Menschengeschlechts]]'' legte er seine Position zusammenhängend dar.
Das Wort ''kairos'' ist über ''keiro'' („abschneiden“) verwandt mit ''krinein'' bzw. ''krisis'' (Substantiv), was soviel wie „scheiden, trennen, unterscheiden“, aber auch „entscheiden, ein Urteil fällen“ bedeutet<ref>Christoph Lange: ''Alles hat seine Zeit. Zur Geschichte des Begriffs kairos.'' [http://archiv.fridericianum-kassel.de/ausst/chronos/chronos-text1.html]</ref>


=== Religionskritik ===
[[Wikipedia:Poseidippos|Poseidippos]] (3.&nbsp;Jahrhundert v.&nbsp;Chr.) hat ein Epigrammen auf Kairos verfasst:
[[Datei:Gotthold Ephraim Lessing.jpg|thumb|upright|Gotthold Ephraim Lessing]]
[[Gotthold Ephraim Lessing|Lessing]] (1729–1781) betrachtet Religion in Gestalt von [[Judentum]], [[Christentum]] und [[Islam]] einerseits als historischen Ursprung, andererseits als zu überwindende Vorstufe einer selbständigen [[Vernunftreligion]]. Dazu veröffentlichte er 1777 auch die ''Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes'' von [[Hermann Samuel Reimarus]] (1699–1768) als ''Fragmente eines Ungenannten''.


Der Orientalist Reimarus hatte das Christentum zu Lebzeiten zwar als Vernunftreligion gegen die radikaleren französischen Aufklärer verteidigt, in dieser posthum veröffentlichten Spätschrift aber begonnen, mithilfe der [[Kontroversen um die Bibel|Bibelkritik]] christliche Theologie und Dogmen als Priesterbetrug zur Unterdrückung des armen Volkes zu bekämpfen. Er griff darin vor allem den Glauben an die [[Wunder Jesu]], die [[Auferstehung Jesu Christi]] und die damals auch von Protestanten dogmatisierte Lehre der [[Verbalinspiration]] als frommen Betrug der [[Apostel]] an.  
{{Zitat|''Wer bist du?''<br />
Ich bin Kairos, der alles bezwingt!<br />
''Warum läufst du auf Zehenspitzen?''<br />
Ich, der Kairos, laufe unablässig.<br />
''Warum hast du Flügel am Fuß?<br />
Ich fliege wie der Wind.<br />
''Warum trägst du in deiner Hand ein spitzes Messer?''<br />
Um die Menschen daran zu erinnern, dass ich spitzer bin als ein Messer.<br />
''Warum fällt dir eine Haarlocke in die Stirn?''<br />
Damit mich ergreifen kann, wer mir begegnet.<br />
''Warum bist du am Hinterkopf kahl?''<br />
Wenn ich mit fliegendem Fuß erst einmal vorbeigeglitten bin,<br />
wird mich auch keiner von hinten erwischen<br />
so sehr er sich auch bemüht.<br />
''Und wozu schuf Euch der Künstler?''<br />
Euch Wanderern zur Belehrung.|Gründel 1996. Sp. 1131}}


Obwohl Lessing selbst keine prinzipiell christentumsfeindliche Haltung vertrat, löste seine Veröffentlichung den jahrelangen [[Fragmentenstreit]] mit Vertretern der [[Lutherische Orthodoxie|Lutherischen Orthodoxie]] aus, in dessen Verlauf Lessing ein Publikationsverbot erhielt. Er verfasste daraufhin 1779 das Drama [[Nathan der Weise]], in dem er [[Toleranz]] und gegenseitige Achtung von den drei monotheistischen Religionen fordert und seinem Freund, dem jüdischen Religionsphilosophen [[Moses Mendelssohn]], ein Denkmal setzte. Nach der [[Ringparabel]] ist von Menschen nicht zu entscheiden, wer Gott in der besten Form verehrt.
== Anmerkungen ==


Andererseits fordert Lessing die Aufklärung des in Religionssystemen gefesselten Kinderglaubens zu Gunsten eines zukünftigen sittlichen Humanismus ohne spezifisch biblische Gottesoffenbarung („[[Die Erziehung des Menschengeschlechts]]“ 1780).
.<ref>Siehe auch Artikel [[wikipedia:Religionskritik#Gotthold Ephraim Lessing|Religionskritik]]</ref>
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Kategorie:Gotthold Ephraim Lessing}}
* {{WikipediaDE|Gotthold Ephraim Lessing}}
== Einzelnachweise ==
<references/>
<references/>


{{Navigationsleiste Theaterstücke, Gedichte und Schriften von Gotthold Ephraim Lessing}}
== Literatur ==
 
* [[Wikipedia:Johannes Gründel|Johannes Gründel]]: ''Kairos''. In: ''Lexikon für Theologie und Kirche.'' Bd 5. Freiburg 1996, Sp. 1129–1131.
{{DEFAULTSORT:Lessing, Gotthold Ephraim}}
[[Kategorie:Schriftsteller (Aufklärung)]]
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[[Kategorie:Aufklärung in Deutschland]]
[[Kategorie:Philosoph (Aufklärung)]]
[[Kategorie:Evangelischer Theologe]]
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[[Kategorie:Dichter]]
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[[Kategorie:Geboren 1729]]
[[Kategorie:Gestorben 1781]]
[[Kategorie:Mann]]


{{wikipedia}}
[[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Mythologie]] [[Kategorie:Griechische Mythologie]]

Version vom 20. Mai 2013, 01:11 Uhr

Kairos-Relief von Lysippos, Kopie in Trogir
Kairos-Relief, römische Kopie des Originals von Lysippos (Museum von Turin)

Kairos (griech. Καιρός), die Gunst der Stunde, der rechte Augenblick der Entscheidung, das richtige Handeln zum rechten Zeitpunkt, wurde in der späteren griechischen Mythologie als Gottheit angesehen, spielte aber, anders als Chronos, keine bedeutende Rolle. Nachbildungen der Kairos-Statute von Lysippos (siehe unten) belegen allerdings einen vom Wikipedia:Hellenismus bis in oströmische Zeit weit verbreiteten Kairos-Kult.

Alle Kairos-Darstellungen leiten sich von der verschollenen, von Pausanias beschriebenen Bronzestatue des Lysippos ab, der auch der Hofbildhauer Alexanders des Großen gewesen war. Nach Pausanias soll Kairos als eilender nackter Jüngling mit Flügeln an den Knöcheln und langen Locken an Stirn und Schläfen (daher auch das Sprichwort: „Die Gelegenheit beim Schopf packen“) dargestellt worden sein. Sein Hinterkopf war kahl (von hinten ist Kairos nicht mehr zu fassen) und in der Hand hielt er ein spitzes Messer. Auf manchen Darstellungen trägt Kairos auch Flügel auf dem Rücken und eine Balkenwaage in der Linken, so etwa auf einem Turiner Relief.

Von Pittakos von Mytilene (Lesbos) stammt der Ausspruch: Γίγνωσκε καιρόν. (griech. Gignōske kairon., „Erkenne den rechten Zeitpunkt!“).

Das Wort kairos ist über keiro („abschneiden“) verwandt mit krinein bzw. krisis (Substantiv), was soviel wie „scheiden, trennen, unterscheiden“, aber auch „entscheiden, ein Urteil fällen“ bedeutet[1]

Poseidippos (3. Jahrhundert v. Chr.) hat ein Epigrammen auf Kairos verfasst:

Wer bist du?
Ich bin Kairos, der alles bezwingt!
Warum läufst du auf Zehenspitzen?
Ich, der Kairos, laufe unablässig.
Warum hast du Flügel am Fuß?
Ich fliege wie der Wind.
Warum trägst du in deiner Hand ein spitzes Messer?
Um die Menschen daran zu erinnern, dass ich spitzer bin als ein Messer.
Warum fällt dir eine Haarlocke in die Stirn?
Damit mich ergreifen kann, wer mir begegnet.
Warum bist du am Hinterkopf kahl?
Wenn ich mit fliegendem Fuß erst einmal vorbeigeglitten bin,
wird mich auch keiner von hinten erwischen
so sehr er sich auch bemüht.
Und wozu schuf Euch der Künstler?
Euch Wanderern zur Belehrung.“

Gründel 1996. Sp. 1131

Anmerkungen

  1. Christoph Lange: Alles hat seine Zeit. Zur Geschichte des Begriffs kairos. [1]

Literatur

  • Johannes Gründel: Kairos. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd 5. Freiburg 1996, Sp. 1129–1131.