Universalien und Parmenides: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Universalien''' ([[lat.]] ''universalia'', von ''universalis'' „allumfassend“) sind gemäß der mittelalterlichen [[Logik]] '''Allgemeinbegriffe''' bzw. allgemeine [[Ideen]], unter denen die gemeinsamen Merkmale einer Menge materieller oder immaterieller Einzeldinge (Individuen) zusammengefasst werden. Universalien sind unveränderliche - [[Ewigkeit|ewige]] - '''reine Begriffe''', jenseits von [[Raum]], [[Zeit]] und [[Kausalität]], ohne unmittelbaren Bezug auf eine sinnliche [[Wahrnehmung]]. Im Gegensatz dazu steht der [[Individualbegriff]], der sich nur auf einen einzelnen konkret [[Wahrnehmung|wahrnehmbaren]] [[Gegenstand]], auf ein Einzelwesen, ein [[Individuum]] bezieht.
[[Datei:Parmenides.jpg|thumb|Porträtbüste des Parmenides, angefertigt vermutlich im 3. Jh. v. Chr. nach Metrodoros von Lampsakos (Epikureer)]]
[[Datei:Sanzio 01 Parmenides.jpg|miniatur|Parmenides in [[Wikipedia:Raphael Santi|Raphaels]] Fresko ''[[Wikipedia:Die Schule von Athen|Die Schule von Athen]]'' (1510-1511)]]


Bereits seit der Antike galt es als philosophisches Problem, ob den Universalbegriffen ein reales Sein zukommt oder ob sie bloße Bezeichnungen sind, was schließlich im Mittelalter zum sog. [[Universalienproblem|Universalienstreit]] führte.
'''Parmenides aus Elea''' ({{ELSalt|Παρμενίδης}}; * um 520/515 v. Chr.; † um 460/455 v. Chr.) war einer der bedeutendsten griechischen Philosophen aus der Zeit der [[Wikipedia:Vorsokratiker|Vorsokratiker]] und lebte in der von Griechen begründeten süditalienischen Stadt [[Wikipedia:Elea|Elea]]. Sein Freund und Schüler war [[Zenon von Elea]]. Im Zentrum von Parmenides Lehre und auch aller anderen [[Wikipedia:Eleaten|Eleaten]] stand die ''Unveränderlichkeit des [[Sein]]s''; alle [[Veränderung]], alles [[Werden]] und [[Vergehen]], ist ihm nur [[Schein]], entspringend dem Wahn der Sterblichen.


Aus geisteswissenschaftlicher Sicht sind die [[Gruppenseelen]] als die wahre geistige Realität anzusehen, die sich hinter dem philosophischen Universalien-Begriff verbirgt.
In seinem Gedicht [http://www.zeno.org/Philosophie/M/Parmenides+aus+Elea/Fragmente/Aus%3A+%C3%9Cber+die+Natur Über die Natur] schildert Parmenides, wie er mit einem Rossegespann, geleitet von Mädchen, bis vor das von [[Dike]], der Göttin der [[Gerechtigkeit]], bewachte Tor geführt wird, wo sich die Pfade des Tages und der Nacht scheiden. Er wird eingelassen und soll hier durch der Göttin "verläßliches Reden und Denken" alles erfahren, "der wohlgerundeten Wahrheit unerschütterliches Herz und der Sterblichen Wahngedanken, denen verläßliche Wahrheit nicht innewohnt."<ref>''Die Fragmente der Vorsokratiker''. Griechisch und Deutsch von Hermann Diels. 1. Band, Berlin 1922, S 150</ref> So erfährt er zunächst:


=== Gemäßigter Realismus ===
{{Zitat|Dies ist nötig zu sagen und zu denken, daß [nur] das [[Sein|Seiende]] existiert. Denn seine [[Existenz]] ist möglich, die des Nichtseienden dagegen nicht; das heiß' ich Dich wohl zu beherzigen.|Parmenides|Über die Natur, Fragment 6<ref>Diels, S 153</ref>}}
''(Übernommen aus [[Universalienstreit]])''


Als Aristoteliker und ausgehend von den Kommentaren zu Aristoteles von [[Averroes]] und [[Avicenna]] vertraten in der Hochscholastik (13. Jahrhundert) [[Albertus Magnus]] und [[Thomas von Aquin]] einen gemäßigten [[Ideenrealismus|Realismus]]. Das Allgemeine hat eine denkunabhängige Grundlage in den Einzeldingen; es existiert zwar nicht selbst, ist aber in den Dingen realisiert: ''„universalia autem non sunt res subsistentes, sed habent esse solum in singularibus“''<ref>Thomas von Aquin: ''Summa contra gentiles'', I, 65, 3m</ref> („Das Allgemeine ist aber kein selbständiges Ding, sondern
[[Rudolf Steiner]] bemerkt zum [[Denken]] des Parmenides:
hat nur in den Einzeldingen Sein“<ref>''Thomae Aquinatis Summae contra gentiles libri quattuor'', Herausgegeben, übersetzt und mit Anmerkungen
versehen von Karl Albert, Karl Allgaier, Leo Dümpelmann, Paulus Engelhardt, Leo Gerken und Markus H. Wörner, 4. Auflage, WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 2013, ISBN 978-3-650-26074-1, S. 237</ref>). Ohne die Realisierung im Einzelding ist das Allgemeine nur ein Gedanke. Thomas unterschied dabei
#Universalien, die sich in der göttlichen Vernunft bilden und vor den Einzeldingen existieren (''ante rem''),
#Universalien, die als Allgemeines in den Einzeldingen selbst existieren (''in re''),
#Universalien, die als Begriffe im Verstand des Menschen existieren, das heißt nach den Dingen (''post rem'').


(''re, rem'' von ''res'' [[lat.]] = „Sache, Ding“.)
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"Parmenides sieht in der äußeren Natur, welche die Sinne betrachten, das Unwahre, Täuschende; in der [[Einheit]], dem Unvergänglichen, das der Gedanke ergreift, allein das Wahre." {{Lit|{{G|018|57}}}}
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Die Bezeichnungen ''ante rem'', ''in re'' und ''post rem'' gelten auch unabhängig von Thomas Position als qualifizierende Bestimmungen von Begriffen. Der reine Begriff im Sinne der '[[Philosophie der Freiheit]]' ist ''ante rem'', das Erkenntnisergebnis, die Verbindung von Begriff und Wahrnehmung ist ''in rem'', und der individualisierte Begriff, die [[Vorstellung]] im Sinne der Philosophie der Freiheit ist ''post rem''.
Denken und Sein ist für Parmenides ein und dasselbe:


== Siehe auch ==
{{Zitat|Denken und des Gedankens Ziel ist ein und dasselbe; denn nicht ohne das Seiende, in dem es sich ausgesprochen findet, kannst Du das Denken antreffen. Es gibt ja nichts und wird nichts anderes geben außerhalb des Seienden, da es ja das Schicksal an das unzerstückelte und unbewegliche Wesen gebunden hat. Darum muß alles leerer Schall sein, was die Sterblichen [in ihrer Sprache] festgelegt haben, überzeugt, es sei wahr: Werden sowohl als Vergehen, Sein sowohl als Nichtsein, Veränderung des Ortes und Wechsel der leuchtenden Farbe.|Parmenides|Über die Natur, Fragment 8<ref>Diels, S 157</ref>}}
*[[Urbilder]]
 
*{{UTB-Philosophie|Dr. Wulff D. Rehfus|914|Universalienstreit}}
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Man wird die Bedeutung dieser Weltanschauung,
die man die eleatische nennt (Parmenides und [[Zenon]] sind
aus Elea), erkennen, wenn man den Blick darauf lenkt,
daß ihre Träger mit der Ausbildung des Gedanken-Erlebens
so weit fortgeschritten sind, daß sie dieses Erleben zu
einer besonderen Kunst, zur sogenannten [[Dialektik]] gestaltet
haben. In dieser «Gedanken-Kunst» lernt sich die
Seele in ihrer Selbständigkeit und inneren Geschlossenheit
erfühlen. Damit wird die Realität der Seele als das empfunden,
was sie durch ihr eigenes Wesen ist, und als was
sie sich dadurch fühlt, daß sie nicht mehr, wie in der Vorzeit,
das allgemeine Welt-Erleben mitlebt, sondern in sich
ein Leben - das Gedanken-Erleben - entfaltet, das in ihr
wurzelt, und durch das sie sieb eingepflanzt fühlen kann
in einen rein geistigen Weltengrund. Zunächst kommt
diese Empfindung noch nicht in einem deutlich ausgesprochenen
Gedanken zum Ausdruck; man kann sie aber als
Empfindung lebendig in diesem Zeitalter fühlen an der
Schätzung, welche ihr zuteil wird. Nach einem «Gespräche»
Piatos wurde von Parmenides dem jungen Sokrates gesagt:
er solle von Zenon die Gedankenkunst lernen, sonst müßte
ihm die Wahrheit ferne bleiben. Man empfand diese «Gedankenkunst» als eine Notwendigkeit für die Menschenseele,
die an die geistigen Urgründe des Daseins herantreten
will." {{Lit|{{G|018|57}}}}
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Zuletzt vergleicht Parmenides die Vollkommenheit des Seins mit der vollkommenen Gestalt einer Kugel:
 
{{Zitat|Aber da eine letzte Grenze vorhanden, so ist [das Seiende] abgeschlossen nach allen Seiten hin, vergleichbar der Masse einer wohlgerundeten Kugel, von der Mitte nach allen Seiten hin gleich stark. Es darf ja nicht da und dort etwa größer oder schwächer sein. Denn da gibt es weder ein Nichts, das eine Vereinigung aufhöbe, noch kann ein Seiendes irgendwie hier mehr, dort weniger vorhanden sein als das Seiende, da es ganz unverletzlich ist. Denn [der Mittelpunkt,] wohin es von allen Seiten gleichweit ist, zielt gleichmäßig auf die Grenzen.|Parmenides|Über die Natur, Fragment 8<ref>Diels, S 157-158</ref>}}


== Anmerkungen ==
== Anmerkungen ==


<references />
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==Literatur==
#Rudolf Steiner: ''Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt'', [[GA 18]] (1985), ISBN 3-7274-0180-X {{Schriften|018}}
 
{{GA}}
 
== Weblinks ==
 
* {{Zeno-Werk|Philosophie/M/Parmenides+aus+Elea/Fragmente/Aus%3A+Über+die+Natur|Über die Natur}}


== Literatur ==
* [[Herbert Witzenmann]]: ''Das Universalienproblem und der Erkenntnisprozeß'', in: Witzenmann, Die Kategorienlehre Rudolf Steiners, Gideon Spicher Verlag, 1994, ISBN 3857042265
* [[Herbert Witzenmann]]: ''Das Universalienproblem in linguistischer und strukturphänomenologischer Bedeutung'', in: Witzenmann, Die Kategorienlehre Rudolf Steiners, Gideon Spicher Verlag, 1994, ISBN 3857042265


{{wikipedia}}
[[Kategorie:Philosoph]] [[Kategorie:Biographie]] [[Kategorie:Mann]]
[[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Grundbegriffe]]

Version vom 22. April 2013, 01:39 Uhr

Porträtbüste des Parmenides, angefertigt vermutlich im 3. Jh. v. Chr. nach Metrodoros von Lampsakos (Epikureer)
Parmenides in Raphaels Fresko Die Schule von Athen (1510-1511)

Parmenides aus Elea (griech. Παρμενίδης; * um 520/515 v. Chr.; † um 460/455 v. Chr.) war einer der bedeutendsten griechischen Philosophen aus der Zeit der Vorsokratiker und lebte in der von Griechen begründeten süditalienischen Stadt Elea. Sein Freund und Schüler war Zenon von Elea. Im Zentrum von Parmenides Lehre und auch aller anderen Eleaten stand die Unveränderlichkeit des Seins; alle Veränderung, alles Werden und Vergehen, ist ihm nur Schein, entspringend dem Wahn der Sterblichen.

In seinem Gedicht Über die Natur schildert Parmenides, wie er mit einem Rossegespann, geleitet von Mädchen, bis vor das von Dike, der Göttin der Gerechtigkeit, bewachte Tor geführt wird, wo sich die Pfade des Tages und der Nacht scheiden. Er wird eingelassen und soll hier durch der Göttin "verläßliches Reden und Denken" alles erfahren, "der wohlgerundeten Wahrheit unerschütterliches Herz und der Sterblichen Wahngedanken, denen verläßliche Wahrheit nicht innewohnt."[1] So erfährt er zunächst:

„Dies ist nötig zu sagen und zu denken, daß [nur] das Seiende existiert. Denn seine Existenz ist möglich, die des Nichtseienden dagegen nicht; das heiß' ich Dich wohl zu beherzigen.“

Parmenides: Über die Natur, Fragment 6[2]

Rudolf Steiner bemerkt zum Denken des Parmenides:

"Parmenides sieht in der äußeren Natur, welche die Sinne betrachten, das Unwahre, Täuschende; in der Einheit, dem Unvergänglichen, das der Gedanke ergreift, allein das Wahre." (Lit.: GA 018, S. 57)

Denken und Sein ist für Parmenides ein und dasselbe:

„Denken und des Gedankens Ziel ist ein und dasselbe; denn nicht ohne das Seiende, in dem es sich ausgesprochen findet, kannst Du das Denken antreffen. Es gibt ja nichts und wird nichts anderes geben außerhalb des Seienden, da es ja das Schicksal an das unzerstückelte und unbewegliche Wesen gebunden hat. Darum muß alles leerer Schall sein, was die Sterblichen [in ihrer Sprache] festgelegt haben, überzeugt, es sei wahr: Werden sowohl als Vergehen, Sein sowohl als Nichtsein, Veränderung des Ortes und Wechsel der leuchtenden Farbe.“

Parmenides: Über die Natur, Fragment 8[3]

Man wird die Bedeutung dieser Weltanschauung, die man die eleatische nennt (Parmenides und Zenon sind aus Elea), erkennen, wenn man den Blick darauf lenkt, daß ihre Träger mit der Ausbildung des Gedanken-Erlebens so weit fortgeschritten sind, daß sie dieses Erleben zu einer besonderen Kunst, zur sogenannten Dialektik gestaltet haben. In dieser «Gedanken-Kunst» lernt sich die Seele in ihrer Selbständigkeit und inneren Geschlossenheit erfühlen. Damit wird die Realität der Seele als das empfunden, was sie durch ihr eigenes Wesen ist, und als was sie sich dadurch fühlt, daß sie nicht mehr, wie in der Vorzeit, das allgemeine Welt-Erleben mitlebt, sondern in sich ein Leben - das Gedanken-Erleben - entfaltet, das in ihr wurzelt, und durch das sie sieb eingepflanzt fühlen kann in einen rein geistigen Weltengrund. Zunächst kommt diese Empfindung noch nicht in einem deutlich ausgesprochenen Gedanken zum Ausdruck; man kann sie aber als Empfindung lebendig in diesem Zeitalter fühlen an der Schätzung, welche ihr zuteil wird. Nach einem «Gespräche» Piatos wurde von Parmenides dem jungen Sokrates gesagt: er solle von Zenon die Gedankenkunst lernen, sonst müßte ihm die Wahrheit ferne bleiben. Man empfand diese «Gedankenkunst» als eine Notwendigkeit für die Menschenseele, die an die geistigen Urgründe des Daseins herantreten will." (Lit.: GA 018, S. 57)

Zuletzt vergleicht Parmenides die Vollkommenheit des Seins mit der vollkommenen Gestalt einer Kugel:

„Aber da eine letzte Grenze vorhanden, so ist [das Seiende] abgeschlossen nach allen Seiten hin, vergleichbar der Masse einer wohlgerundeten Kugel, von der Mitte nach allen Seiten hin gleich stark. Es darf ja nicht da und dort etwa größer oder schwächer sein. Denn da gibt es weder ein Nichts, das eine Vereinigung aufhöbe, noch kann ein Seiendes irgendwie hier mehr, dort weniger vorhanden sein als das Seiende, da es ganz unverletzlich ist. Denn [der Mittelpunkt,] wohin es von allen Seiten gleichweit ist, zielt gleichmäßig auf die Grenzen.“

Parmenides: Über die Natur, Fragment 8[4]

Anmerkungen

  1. Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch von Hermann Diels. 1. Band, Berlin 1922, S 150
  2. Diels, S 153
  3. Diels, S 157
  4. Diels, S 157-158

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt, GA 18 (1985), ISBN 3-7274-0180-X pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

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