Politische Geographie und Soziale Interaktion: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Belfast District Electoral Areas.svg|mini|Wahlkreiseinteilung in [[Belfast]], [[Nordirland]]: kommt es zu einer [[Segregation (Soziologie)|Segregation]] mehrerer Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung wie etwa [[Democratic Unionist Party|DUP]] und [[Sinn Féin]], ist auch mit unterschiedlichen Mehrheiten in den Wahlkreisen zu rechnen]]
'''Soziale Interaktion''' bezeichnet das wechselseitig aufeinander bezogene [[Soziales Handeln|Handeln]] (oder Beeinflussen) von [[Akteur]]en (oder Gruppen), also das Geschehen zwischen Personen, die aufeinander reagieren, miteinander umgehen, einander beeinflussen und steuern.<ref>[[Wilhelm Karl Arnold|Wilhelm Arnold]], [[Hans Jürgen Eysenck]], [[Richard Meili]]: Lexikon der Psychologie, Bd. 2, Herder Verlag, Freiburg 1971, S. 216</ref> In der Informationswissenschaft ist Interaktion der Dialog von Handlungspartnern.<ref>Der Brockhaus Psychologie, Mannheim, Leipzig 2009, S. 274</ref> Interaktion wird in der psychologischen Statistik auch im Zusammenhang mit varianzanalytischen Untersuchungen verwendet.<ref>Wilhelm Arnold, [[Hans Jürgen Eysenck]], [[Richard Meili]]: Lexikon der Psychologie, Bd. 2, Herder Verlag, Freiburg 1971, S. 216</ref> Wenn die Wirkungen mehrerer Variablen gleichzeitig untersucht werden, ist die Interaktion ein Maß dafür, wie sehr der Effekt einer unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable von den Bedingungen einer oder mehrerer anderer Variablen abhängt.  
Die '''Politische Geographie''' als Teilbereich der [[Humangeographie]] bzw. [[Kulturgeographie]] untersucht die Zusammenhänge zwischen Macht und Raum, folglich also Wechselbeziehungen zwischen (natur-)räumlichen Begebenheiten und politischem Handeln von Akteuren sowie gesellschaftlichen Prozessen und Verhältnissen.
Insbesondere im deutschsprachigen Kontext hat diese Teildisziplin eine wechselvolle Geschichte, die von der Begründung als [[Wikipedia:Geopolitik|Geopolitik]] über die politische Instrumentalisierung im Nationalsozialismus bis zu aktuellen diskursanalytischen und herrschaftskritischen Ansätzen reicht.


== Disziplingeschichte ==
== Sozialpsychologischer Interaktionsbegriff ==
Die Auseinandersetzung mit der Verknüpfung räumlicher Strukturen und politischer Machtverhältnisse lässt sich bis in die Schriften Aristoteles zurückverfolgen. Explizit hat sich erstmals Friedrich Ratzel mit Wechselwirkungen zwischen räumlichen Gegebenheiten und staatlicher Organisation beschäftigt und damit die Teildisziplin Politische Geographie begründet. In seinen Arbeiten, etwa in seinem Hauptwerk „Politische Geographie“ von 1897, herrschen dabei noch geodeterministische Vorstellungen vor, Räume und damit territoriale Gebietseinteilungen seien quasi per Naturgesetz gegeben. Zudem wurde der Nationalstaat als eine Art organisches Ganzes aufgefasst. Vergleichbar mit dem Überlebenskampf eines Lebewesens, sei das Fortbestehen einer Nation deshalb nur durch territoriale Expansion und soziale Unterdrückung anderer Völker gewährleistet (Wolkersdorfer: 2001). Im Anschluss an Ratzel hat insbesondere der Schwede Rudolf Kjellén (1864–1922) und später der an der Münchner Universität lehrende Geographieprofessor Karl Haushofer (1869–1946) diese geodeterministischen Vorstellungen weiter ausgeführt und zugespitzt.
In der Sozialpsychologie<ref>''Meyers Lexikon der Psychologie.'' Mannheim, Wien, Zürich, 1986, S. 172</ref> spricht man von Interaktion bei der über Kommunikation vermittelten gegenseitigen Beeinflussung des Verhaltens oder der Einstellungen von Individuen oder Gruppen. Bei der Interaktion einer Schulklasse z. B. beeinflussen sich Lehrer und Schüler gegenseitig, wobei sie sich an ihren jeweiligen Erwartungen (Rollenvorstellungen, Situationsdefinitionen) orientieren. Interaktion kann deswegen nur als Verhalten definiert werden, das im Rahmen von situativen Handlungskonzepten beschrieben wird. Die Interaktionsanalyse nach [[Robert Freed Bales|R. F. Bales]] versucht, das Handlungsgefüge von interagierenden Partnern zu beschreiben und strukturell offen zu legen. Bales hat dafür zwölf Kategorien vorgesehen (z. B. stimmt zu, zeigt Solidarität, macht Vorschläge, fragt nach Meinungen usw.) Mit Hilfe solcher Interaktionsstrukturen können etwa Gruppen charakterisiert (und von anderen unterschieden) werden. <ref>Die Interktionsanalyse von N.A. Flanders findet sich beschrieben in: Peter Kick, Hanns Ott: ''Wörterbuch für Erziehung und Unterricht'', Auer Verlag, Donauwörth 1997; S. 333 ff</ref>


Die von diesen Autoren nahegelegte Forderung nach einer Einheit von Staat, Volk und Boden und dem daraus resultierenden Naturzwang eines „Kampfes um Lebensraum“ bot eine willkommene pseudo-wissenschaftliche Begründungsfolie für die nationalsozialistische [[Wikipedia:Blut-und-Boden-Ideologie|Blut-und-Boden-Ideologie]] und wurde entsprechend propagandistisch zur Begründung der Vernichtungskriege in Osteuropa herangezogen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Geopolitik in der Bundesrepublik Deutschland sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch, als auch im wissenschaftlichen Diskurs dadurch nachhaltig diskreditiert. In der Folge verlor die politisch-geographische Forschung in Deutschland weitgehend an Bedeutung und konzentrierte sich auf politisch unverfängliche und deskriptive Disziplinen.<ref>Literatur dazu: Jürgen W. Falter, Harald Schoen (Hrsg.): ''Handbuch Wahlforschung.'' VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, ISBN 3531132202, S. 107–134.</ref> Im angelsächsischen Sprachraum verlief die Entwicklung etwas anders. Der Einfluss der  bekanntesten Vertreter einer auch im politischen Sinne mitgestaltenden Geopolitik, wie etwa Alfred Thayer Mahan oder Halford Mackinder, blieb hier, auch nach dem Zweiten Weltkrieg, teilweise erhalten, wobei die Idee, einer im Sinne der klassischen Geopolitik notwendigen expansiven Staatspolitik, an die Zeit angepasst und weiterentwickelt wurde (Helmig: 2007).
Das [[Milgram-Experiment]] zeigt den dramatischen Einfluss auf das Verhalten von [[Versuchsperson]]en durch die Interaktion angeblicher [[Autorität]]spersonen.<ref>Stanley Milgram: Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität. Rowohlt, Reinbek 1982, ISBN 3-499-17479-0 </ref>


== Aktuelle Konzepte ==
== Begriffsverwendung in der Soziologie ==
Während in den 1970er Jahren die Verbindung von Raum und Gesellschaft von vielen Sozialwissenschaftlern in Frage gestellt wurde, findet seit den 1990er Jahren disziplinübergreifend ein deutlicher Trend zur Untersuchung des Raumbezugs gesellschaftlicher Phänomene statt. Spätestens seit dem derart neu erwachten Interesse in den Nachbardisziplinen erfährt auch die Politische Geographie wieder zunehmend Aufmerksamkeit. Das Ende des Kalten Krieges und die damit verbundene Neuordnung des Staatensystems sowie die veränderte – zunehmend entstaatlichten Konfliktfelder der internationalen Politik – bilden die Forschungsgrundlage für neue politisch-geographische Fragestellungen.
Der eigentliche [[Terminus]], der später im amerikanischen als „interaction“ übersetzt wurde, stammt von [[Georg Simmel]] und lautete „Wechselwirkung“. Soziale Interaktion ist die aktive Wechselwirkung von wenigstens zwei [[Akteur]]en oder sozialen Institutionen wie etwa Organisationen, z.&nbsp;B. zum Zwecke der Abstimmung des [[Sozialverhalten|Verhaltens]] der Beteiligten bzw. des konkreten [[Handeln]]s der [[Kooperation]]s&shy;partner. Voraussetzung für die Anschlussfähigkeit einer Interaktion ist die wechselseitige kommunikative Bezugnahme der an der Interaktion Beteiligten. Diese Bezugnahme kann Handlungsgründe, Handlungsziele sowie Erwartungen des Gegenübers umfassen. Da solche Interpretation immer auch wechselseitig ist, ist soziale Interaktion zugleich auch [[Kommunikation]].


Um den Wandel der gesellschaftlichen Raum-Macht-Strukturen auf allen Maßstabsebenen besser nachzuvollziehen, haben sich in der Politischen Geographie drei Konzepte besonders hervorgehoben: die „Radical Geography“, die „Critical Geopolitics“ (Kritische Geopolitik) und die „Geographische Konfliktforschung“ (vgl. Reuber und Wolkersdorfer 2007: 756).
Die Soziologie unterscheidet drei Ebenen des sozialen Lebens:  
*Interaktion,  
*[[Organisationssoziologie|Organisation]] und
*[[Gesellschaft (Soziologie)|Gesellschaft]].
Organisationen und Gesellschaften bestehen aus (strukturierten) unzähligen sozialen Interaktionen der beteiligten Menschen. In einigen soziologischen Theorien gilt die '''Interaktion''' als die Grundeinheit alles [[Sozial]]en.<ref>siehe auch 3.2 ''Entwicklungspsychologie'' in diesem Artikel</ref>


=== Radical Geography ===
Mit sozialer Interaktion haben sich verschiedene Theorien und Soziologen auseinandergesetzt. Sie weisen jeweils spezifische Aspekte aus.
Die Radical Geography hat ihre Wurzeln in den 1970er-Jahren im angloamerikanischen Sprachraum. Sie setzt ihren Schwerpunkt nicht auf die Analyse von Nationalstaaten, sondern auf generelle Raum-Macht-Asymmetrien verschiedener räumlicher Maßstabsebenen. Dabei sieht sie sich nicht nur als bloße beschreibende Theorie, sondern vielmehr als reformorientierte Gesellschaftstheorie mit Bezug zum Neomarxismus.


Insbesondere David Harvey prägte die Radical Geography. Von einer zunächst liberalen Auslegung raumwissenschaftlicher Ansätze, wendete er sich in zunehmendem Maße den Erklärungsangeboten des Marxismus zu. Ziel ist die Erforschung sozioökonomischer räumlicher Ungleichheiten, deren Ausgangspunkt häufig das marktwirtschaftlich-kapitalistische System ist und somit in der Kritik steht.
=== Georg Simmel ===
Zu den frühen interaktionistischen Ansätzen können die Arbeiten [[Georg Simmel]]s gerechnet werden (z.&nbsp;B. ''[[Die Großstädte und das Geistesleben]]'' von 1903, oder ''[[Der Streit]]'' von 1908). Methodologisch basieren sie weder auf der Analyse der individuellen Handlungen noch der sozialen Großstrukturen oder Institutionen, sondern auf der der Wechselwirkungsformen und Eigendynamiken zwischen diesen Ebenen vor dem Hintergrund einer zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft.


Soziale Ungleichheiten werden als Folge der Kontrolle über Ressourcen durch politische und ökonomische Eliten gesehen, die dabei einem großen Teil der Menschen den Zugang dazu verwehren und sie somit ausbeuten. Diese Herrschaftsverhältnisse sind sowohl auf lokaler Maßstabsebene als auch auf der internationalen Ebene der Geopolitik erkennbar (vgl. Reuber und Wolkersdorfer 2007: 756).
=== Max Weber ===
Nach [[Max Weber]] ist soziales Handeln seinem von den Handelnden gemeinten Sinn nach immer auf das Verhalten Anderer bezogen. Von sozialer Interaktion kann man insofern sprechen, als Handeln in einer [[Soziale Beziehung|sozialen Beziehung]] erfolgt, d.&nbsp;h. ein fortlaufendes aufeinander eingestelltes und dadurch orientiertes „Sich-Verhalten“ mehrerer ist.<ref name="Abels2004_S201">Heinz Abels: Einführung in die Soziologie. Bd. 2: Die Individuen in ihrer Gesellschaft. Wiesbaden 2004, S. 201 ff.</ref> Die soziale Interaktion wird durch den individuellen Sozialisationsprozess sowie die individuell unterschiedliche selektive Wahrnehmung bestimmt.


=== Critical Geopolitics (Kritische Geopolitik) ===
=== Symbolischer Interaktionismus ===
Gegen Ende der 1970er Jahre entstand insbesondere im angelsächsischen Sprachraum, sowie in Frankreich eine Strömung, welche allgemein als 'critical geopolitics' bezeichnet wird. Im anglo-amerikanischen Kontext war Stichwortgeber dieser Richtung der Politischen Geographie insbesondere Gearóid Ó Tuathail. Wie der Name bereits andeutet geht es bei dieser Forschungsrichtung vor allem um eine Kritik an geläufigen Vorstellungen geopolitischer Zusammenhänge. Die Annahme, räumliche Strukturen und territoriale Grenzziehungen seien per se gegebene Faktoren etwa für die Bildung und Gestaltung von Nationalstaaten, wurde hierbei negiert. Nicht der Raum habe somit Einfluss auf die Entwicklung einer Gesellschaft, sondern umgekehrt prägen erst spezifische räumliche Vorstellungen und politische Intentionen die Strukturierung und Gliederung des Raumes. Grenzziehungen und Attributionszuschreibungen geschehen dabei jedoch niemals wertneutral, weshalb Räume und räumliche Vorstellungen eindeutig sozial konstruiert sind und erst innerhalb eines spezifischen gesellschaftlichen [[Diskurs|Diskurses]] entstehen. Im Zentrum der Analyse steht deshalb ein so genanntes 'diskursives Dreieck', wobei die wechselseitigen Beeinflussungen von Raum, Macht und Wissen untersucht werden (Lossau 2001).
Interaktion ist im [[Symbolischer Interaktionismus|symbolischen Interaktionismus]] ein permanenter Prozess des Handelns, Beobachtens und Entwerfens weiterer Handlungen, in dem ego und alter wechselseitig die vermuteten [[Rollenerwartung]]en des anderen übernehmen oder ablehnen, darauf reagieren und weiteres Handeln antizipieren. Wechselseitige Interpretationen definieren die Situation, bestimmen, worum es geht oder nicht gehen soll, und leiten das Handeln an. Nicht vorgegebene Normen ermöglichen die Interaktion, sondern die gemeinsame Festlegung, welchen Sinn die Interaktion hat. Voraussetzung für das Gelingen von Interaktion ist die Fähigkeit zur [[Empathie|Perspektivenübernahme]]. Diese Auffassung von Interaktion vertritt gegen das normative Paradigma das interpretative Paradigma.<ref name="Abels2004">Abels, H. (2004). Einführung in die Soziologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.</ref>


=== Geographische Konfliktforschung ===
=== George Herbert Mead ===
Die Geographische Konfliktforschung beschäftigt sich mit den Handlungen von Akteuren im Kontext von Auseinandersetzungen um „Macht und Raum“ in lokal-globalen Konfliktfeldern, welche von der hierarchischen Verteilung der Büros in einer öffentlichen Verwaltung, über architektonische Repräsentation der Macht eines Staates bis zu regionalen Stammeskonflikten in afrikanischen Gesellschaften oder internationalen Konflikten reichen.
[[George Herbert Mead]] versteht unter einer sozialen Handlung nicht die Handlung eines Einzelnen. Die soziale Handlung ist auf ein soziales Objekt gerichtet. So ist z.&nbsp;B. das soziale Objekt des Fußballteams, Tore zu schießen bzw. das Spiel zu gewinnen. Das kooperative Zusammenspiel des Teams ist die soziale Handlung. Sie besteht aus sozialen Interaktionen zwischen den Spielpartnern, die dadurch koordiniert sind, erstens ein gemeinsames soziales Objekt zu haben und zweitens durch die Fähigkeit der Interaktionsteilnehmer, die Rolle, welche die anderen für die Erreichung des Zieles spielen, zu [[Antizipation (Psychologie)|antizipieren]] und entsprechend zu agieren und zu reagieren.


In einem haben alle etwas gemein, physisch-materielle Aspekte bilden neben der Arena auch oft den Mittelpunkt sozialer Auseinandersetzungen. Räumlich lokalisierte Ressourcen und symbolische Potenziale können Verfügungs-, Gestaltungs- und Kontrollkonflikte auslösen. Hauptaugenmerk der geographischen Konfliktforschung liegt dabei auf drei wesentlichen Elementen: den einzelnen [[Akteur|Akteuren]] oder dem einzelnen Akteur, den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen und den räumlichen Strukturen. Aus diesen drei Elementen lassen sich drei Grundfragen formulieren:
=== Talcott Parsons ===
<!--Nach  muss ein Individuum, das in eine soziale Interaktion eintritt, sich für eines der von ihm beschriebenen Verhaltensmuster entscheiden.-->
Nach [[Talcott Parsons]] [[Soziale Rolle|Rollentheorie]] folgen wir in unserem Verhalten normativen Vorgaben, die sich aus sozialen Strukturen ergeben. Unsicherheit im Verhalten besteht, weil die Interpretation der Verhaltensnormen durch die Interaktionsteilnehmer unterschiedlich sein kann. Dass Interaktion trotzdem funktioniert, erklärt Parsons damit, dass die Teilnehmer durch Sozialisation die gleichen Normen und Werte der Gesellschaft internalisiert haben und daher motiviert sind, so zu handeln, wie sie handeln ''sollen''. Eine solche Auffassung wird unter das normative Paradigma gezählt.<ref name="Abels2004_S201" />


# Nach welchen Zielen und mit welchen Strategien handelt der einzelne Akteur bei raumbezogenen Nutzungs- oder Verteilungskonflikten?
Im Gegensatz zu Parsons Ansatz steht das [[Interaktionistisches Rollenmodell|Interaktionistische Rollenmodell]].
# Wie beeinflussen das Zusammenwirken der Akteure und die Regeln bzw. Strukturen der soziopolitischen Institutionen, in die sie eingebunden sind, den raumbezogenen Konflikt?
# In welcher Weise lassen sich räumliche Bezüge konzeptionell angemessen in eine handlungsorientierte Politische Geographie integrieren?


Die Ergebnisse einer Untersuchung können der Politikberatung bzw. der allgemeinen politischen Bildung nützlich sein (vgl. Reuber und Wolkersdorfer 2007: 759ff).
== Ausgewählte Aspekte der sozialen Interaktion ==
=== Bedingungen des Gelingens sozialer Interaktion ===


== Aktuelle Forschungsschwerpunkte ==
Soziale Interaktion hängt direkt mit der [[Kommunikation]] zusammen. Deswegen gelten für eine erfolgreiche soziale Interaktion dieselben Bedingungen, wie für eine erfolgreiche Kommunikation. Von erfolgreicher Kommunikation und damit erfolgreicher sozialer Interaktion spricht man dann, wenn die Ziele der Interaktion erreicht wurden und die beabsichtigte Wirkung eintritt. Das heißt, dass die Erwartungen der Beteiligten an die Interaktion erfüllt wurden und somit auch deren Bedürfnisse. Als einfaches Beispiel ist das Unterrichtsgeschehen zu betrachten: Ein Schüler stellt eine Frage (sein Bedürfnis / seine Erwartung ist die Antwort) und der Lehrer beantwortet diese. Das Ziel ist dann erreicht, wenn der Schüler es verstanden hat, somit wurden sowohl die Erwartungen des Schülers sowie die des Lehrers erfüllt.
Gerade in dem Zusammenspiel beider oben beschriebenen Teilbereiche liegt das Potential der derzeitigen politischen Geographie. So kann mittels einer diskurstheoretischen Herangehensweise versucht werden bestehende geodeterministische Leitbilder zu dekonstruieren und somit zu einem besseren Verständnis zwischen potentiellen Konfliktparteien beizutragen. Ergänzend wird mittels der geographischen Konfliktforschung bestimmt, welche Motivation und Ursachen hinter verschiedenen Interessensgegensätzen stehen, wobei verstärkt die verschiedenen Akteure selbst in den Mittelpunkt gerückt werden. Reuber (2002) weist dabei folgende sechs Kernbereiche der politischen Geographie aus:  
Es ist auch wichtig, eine positive Interaktionsatmosphäre zu ermöglichen und seine Kommunikationsbereitschaft zu signalisieren. Wenn man zudem ständig die eigenen Zielsetzungen und Erwartungen an die Interaktion überprüft, läuft man auch nicht Gefahr, eine gestörte Interaktion zu provozieren.
# Politische Konflikte um Ökologische Ressourcen (inkl. Politische Ökologie)
=== Entwicklungspsychologie ===
# Politische Konflikte um territoriale Kontrolle und Grenzen
 
# Politische Konflikte um raumbezogene Identität
Das Individuum nimmt von früher Kindheit an Einfluss auf Situationen, die es andererseits selbst beeinflussen. Es beeinflusst die soziale und physische Umwelt. Der Mensch reagiert also nicht nur passiv, sondern gestaltet seine Umwelt selbst mit. Insofern bildet der Mensch (nach Leo Montada) <ref>in: Rolf Oerter, Leo Montada: Entwicklungspsychologie, Weinheim, Basel, Berlin 2002; S. 6 f</ref> ein System, in dem Aktivitäten und Veränderungen miteinander verschränkt sind. Die Veränderungen von Details führen zu Veränderungen des Gesamtsystems - und wirken natürlich wieder zurück. Habe man früher gefragt, wie sich das Kind in einer Familie entwickle, frage man heutzutage eher, wie ein Kind auf eine Familie wirke und welche Wirkungen das Kind wiederum beeinflussten. Zum Beispiel würde nicht nur gefragt, wie sich die Scheidung auf das Kind auswirke, sondern auch, was Kinder zur Ehezufriedenheit beitrügen. Nach Montada <ref> siehe oben</ref> haben Kagan und Moss die Situation feindseliger Mütter und aggressiver Kinder untersucht: Sie fanden hohe Korrelationen zwischen beiden Faktoren. Traditionell würde man sagen, dass die Feindseligkeit der Mütter die Aggressivität der Kinder beeinflusse; besser sei aber die Frage nach wechselseitiger Beeinflussung bzw. die Frage nach der Feindseligkeit als Erbanlage, die sich bei Müttern in Kritikbereitschaft und bei Kindern in Aggressivität zeige - und sich damit gegenseitig beeinflusse.
# Die symbolische Repräsentation politischer Macht
 
# Globalisierung und neue internationale Beziehungen
Eine produktive Art, wie Jugendliche quasi als Agenten ihrer eigenen Entwicklung auftreten könnten, ist die Wahl anderer Handlungsräume (außerhalb der Familie). Das sei, so die Autoren, besonders in der frühen Adoleszenz von großer Bedeutung, in der es um zukünftige Handlungsräume gehe und um Peergruppen, die unabhängig von den Eltern seien. Diese Wahl externer Handlungsräume stabilisiere auch eine Existenz in einer sich verändernden Welt. Indem der Jugendliche alternative Situationen der Interaktion wählt, wird er zum Produzenten seiner eigenen Entwicklung - und Sozialisation. <ref> Rolf Oerter, Eva Dreher: Jugendalter, in: [[Rolf Oerter]], [[Leo Montada]]: [[Entwicklungspsychologie]], Weinheim, Basel, Berlin 2002; S. 268 f</ref>
# Regionale Konflikte und neue soziale Bewegungen
 
Die überragende Bedeutung früher sozialer Interaktion für die optimale Entwicklung des Kindes haben [[René Spitz]] <ref> Hospitalismus: ein Ergänzungsbericht, in: Otto M. Ewert: Entwicklungspsychologie, Bd. 1, Verlag Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1972, S. 124 ff</ref><ref>Das erste Lebensjahr, in: Erziehung in früher Kindheit, Serie Piper 1985, S. 89 ff</ref><ref>Hospitalismus I; und: Hospitalismus II; in: Erziehung in früher Kindheit, Serie Piper, München 1985; S.&nbsp;89&nbsp;ff.</ref> und [[Harry Harlow]] <ref>Das Wesen der Liebe, in: Entwicklungspsychologie, Bd. 1, Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 1972; S. 128 ff</ref><ref>''Aspekte und Probleme früher Entwicklung und [[Erziehung]] (1); In: [[Norbert Kühne]]: ''[[Unterricht]]smaterialien [[Pädagogik]]-[[Psychologie]]'' (Nr. 694), [[Stark Verlag]]/[[Mediengruppe Pearson]], Hallbergmoos 2012</ref> sehr anschaulich deutlich gemacht. Der Mangel oder gar das Fehlen von Interaktion mit Bezugspersonen habe für das Kind verheerende psychische, motorische und intellektuelle Konsequenzen (siehe [[Hospitalismus]]).<ref>Lucien Malson: Die wilden Kinder, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt 1976</ref><ref>''Aspekte und Probleme früher Entwicklung und [[Erziehung]] (1); In: [[Norbert Kühne]]: ''[[Unterricht]]smaterialien [[Pädagogik]]-[[Psychologie]]'' (Nr. 694), [[Stark Verlag]]/[[Mediengruppe Pearson]], Hallbergmoos 2012</ref>


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Kategorie:Politische Geographie}}
* {{WikipediaDE|Soziale Interaktion}}
* {{WikipediaDE|Politische Geographie}}
* {{WikipediaDE|Dialog}}
* {{WikipediaDE|Atlas der Globalisierung}}
* {{WikipediaDE|Identität}}
* {{WikipediaDE|Interaktionistischer Konstruktivismus}}
* {{WikipediaDE|Interkulturelle Kompetenz}}
* {{WikipediaDE|Interaktionssystem}}
* {{WikipediaDE|Konflikt}}
* {{WikipediaDE|Kooperation}}
* {{WikipediaDE|Nonverbale Kommunikation}}
* {{WikipediaDE|Parasoziale Interaktion}}
* {{WikipediaDE|Personale Kategorisierung}}
* {{WikipediaDE|Psychodrama}}
* {{WikipediaDE|Selbstdarstellung}}
* {{WikipediaDE|Soziales Netzwerk (Soziologie)}}
* {{WikipediaDE|Zwischenmenschliche Kommunikation}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* John Agnew, Katharyne Mitchell, Gerard Toal (Geróid Ó Tuathail) (Hrsg.): ''A Companion to Political Geography.'' 2. Auflage. Blackwell,  Oxford 2005.
* Goffman, Erving (1986): Interaktion. Spaß am Spiel-Rollendistanz. München: Piper.
* U. Ante: ''Die politische Geographie. Das Geographische Seminar.'' Westermann, Braunschweig 1981.
* Goffman, Erving (1999): Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt a.&nbsp;M.: Suhrkamp
* Bernd Belina, Boris Michel (Hrsg.): ''Raumproduktionen. Beiträge der Radical Geography. Eine Zwischenbilanz'' (= ''Raumproduktionen. Theorie und gesellschaftliche Praxis.'' Bd. 1). 2. Auflage. Westfälisches Dampfboot, Münster 2008, ISBN 978-3-89691-659-4.
* Kieserling, André (1999): Kommunikation unter Anwesenden. Frankfurt a.&nbsp;M.: Suhrkamp.
* Georg Glasze, Annika Mattissek: ''Handbuch Diskurs und Raum. Theorien und Methoden für die Humangeographie sowie die sozial- und kulturwissenschaftliche Raumforschung.'' Bielefeld 2009.
* Rolf Oerter, Leo Montada: Entwicklungspsychologie, Beltz Verlags Union, Weinheim, Berlin 2002, ISBN 3-621-27479-0
* Georg Glasze: ''Eine politische Konzeption von Räumen''. In: Iris Dzudzek, Caren Kunze und Joscha Wullweber (Hg.): ''Diskurs und Hegemonie. Gesellschaftskritische Perspektiven''. Bielefeld: Transcript, S. 151–172. (pdf: ''[http://www.geographie.uni-erlangen.de/docs/article/68/ggl_publik_einepolitischekonstruktion_121128.pdf] (PDF; 7,0&nbsp;MB)'')
* Niklas Luhmann (1975): Interaktion, Organisation, Gesellschaft. In: Luhmann, Niklas (Hg.): Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft. Opladen: WDV, S. 9–20.
* J. Helmig: ''Geopolitik – Annäherung an ein schwieriges Konzept.'' In: ''Aus Politik und Zeitgeschichte.'' 20–21/2007, S. 31–37.
* J. Helmig: ''Metaphern in geopolitischen Diskursen. Raumrepräsentationen in der Debatte um die amerikanische Raketenabwehr.'' Kapitel: ''Grundlegende theoretische Prämissen.'' VS, Wiesbaden 2008, S. 27–31.
* D. Josten: ''Gibt es eine Renaissance der Geopolitik?'', München/Ravensburg, 2007
* J. Lossau: ''Anderes Denken in der Politischen Geographie. Der Ansatz der Critical Geopolitics.'' In: Paul Reuber, G. Wolkersdorfer (Hrsg.): ''Politische Geographie: Handlungsorientierte Ansätze und Critical Geopolitics.'' Geographischen Instituts der Universität Heidelberg, Heidelberg 2001, S. 57–76.
* P. Reuber: ''Die Politische Geographie als handlungsorientierte und konstruktivistische Teildisziplin — angloamerikanische Theoriekonzepte und aktuelle Forschungsfelder.'' In: ''Geographische Zeitschrift.'' Band 88, 2000.
* Paul Reuber, Günter Wolkersdorfer (Hrsg.): ''Politische Geographie – Handlungsorientierte Ansätze und Critical Geopolitics.'' Spektrum, Heidelberg 2002.
* Paul Reuber: ''Die Politische Geographie nach dem Ende des Kalten Krieges – Neue Ansätze und aktuelle Forschungsfelder.'' In: [http://www.geographischerundschau.de/heft/51020700/Ausgabe-Juli-August-Heft-7-8-2002-Politische-Geographie ''Geographische Rundschau.'' 54, 7–8, 2002], S. 4–9.
* Paul Reuber, Günter Wolkersdorfer: ''Politische Geographie.'' In: H. Gebhardt, R. Glaser, U. Radtke, P. Reuber(Hrsg.): ''Geographie. Physische Geographie und Humangeographie.'' Spektrum, Heidelberg 2007, S. 750–770.
* P. Reuber, A. Strüver: ''Diskursive Verräumlichungen in deutschen Printmedien: Das Beispiel Geopolitik nach 9/11.'' In: J. Döring, T. Thielmann (Hrsg.): ''Mediengeographie. Theorie – Analyse – Diskussion.'' Transcript, Bielefeld 2009, S. 315–332.
*Paul Reuber: "Politische Geographie". Schöningh, UTB, Münster 2012.
* Günter Wolkersdorfer: ''Politische Geographie und Geopolitik zwischen Moderne und Postmoderne.'' Geographisches Institut Heidelberg, Heidelberg 2001.
 
== Weblinks ==
* [http://www.politische-geographie.de/ AK Politische Geographie]
* [http://www.geographie.de/geopolitischeanalysen/ AK Geopolitische Analysen]
* [http://www.uni-muenster.de/Geographie/arbeitsgruppen/politische_geographie/index.html Forschungsschwerpunkt Politische Geographie am Institut für Geographie der Universität Münster]
* [http://www.politgeo.uni-bayreuth.de/de/index.html Lehrstuhl für Raumbezogene Konfliktforschung und Politische Geographie Uni Bayreuth]
* [http://www.geographie.uni-erlangen.de/forsch/polgeographie/ Forschungsschwerpunkt Politische Geographie am Institut für Geographie der Universität Erlangen-Nürnberg]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


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[[Kategorie:Handlung und Verhalten]]
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Aktuelle Version vom 11. August 2018, 23:39 Uhr

Soziale Interaktion bezeichnet das wechselseitig aufeinander bezogene Handeln (oder Beeinflussen) von Akteuren (oder Gruppen), also das Geschehen zwischen Personen, die aufeinander reagieren, miteinander umgehen, einander beeinflussen und steuern.[1] In der Informationswissenschaft ist Interaktion der Dialog von Handlungspartnern.[2] Interaktion wird in der psychologischen Statistik auch im Zusammenhang mit varianzanalytischen Untersuchungen verwendet.[3] Wenn die Wirkungen mehrerer Variablen gleichzeitig untersucht werden, ist die Interaktion ein Maß dafür, wie sehr der Effekt einer unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable von den Bedingungen einer oder mehrerer anderer Variablen abhängt.

Sozialpsychologischer Interaktionsbegriff

In der Sozialpsychologie[4] spricht man von Interaktion bei der über Kommunikation vermittelten gegenseitigen Beeinflussung des Verhaltens oder der Einstellungen von Individuen oder Gruppen. Bei der Interaktion einer Schulklasse z. B. beeinflussen sich Lehrer und Schüler gegenseitig, wobei sie sich an ihren jeweiligen Erwartungen (Rollenvorstellungen, Situationsdefinitionen) orientieren. Interaktion kann deswegen nur als Verhalten definiert werden, das im Rahmen von situativen Handlungskonzepten beschrieben wird. Die Interaktionsanalyse nach R. F. Bales versucht, das Handlungsgefüge von interagierenden Partnern zu beschreiben und strukturell offen zu legen. Bales hat dafür zwölf Kategorien vorgesehen (z. B. stimmt zu, zeigt Solidarität, macht Vorschläge, fragt nach Meinungen usw.) Mit Hilfe solcher Interaktionsstrukturen können etwa Gruppen charakterisiert (und von anderen unterschieden) werden. [5]

Das Milgram-Experiment zeigt den dramatischen Einfluss auf das Verhalten von Versuchspersonen durch die Interaktion angeblicher Autoritätspersonen.[6]

Begriffsverwendung in der Soziologie

Der eigentliche Terminus, der später im amerikanischen als „interaction“ übersetzt wurde, stammt von Georg Simmel und lautete „Wechselwirkung“. Soziale Interaktion ist die aktive Wechselwirkung von wenigstens zwei Akteuren oder sozialen Institutionen wie etwa Organisationen, z. B. zum Zwecke der Abstimmung des Verhaltens der Beteiligten bzw. des konkreten Handelns der Kooperations­partner. Voraussetzung für die Anschlussfähigkeit einer Interaktion ist die wechselseitige kommunikative Bezugnahme der an der Interaktion Beteiligten. Diese Bezugnahme kann Handlungsgründe, Handlungsziele sowie Erwartungen des Gegenübers umfassen. Da solche Interpretation immer auch wechselseitig ist, ist soziale Interaktion zugleich auch Kommunikation.

Die Soziologie unterscheidet drei Ebenen des sozialen Lebens:

Organisationen und Gesellschaften bestehen aus (strukturierten) unzähligen sozialen Interaktionen der beteiligten Menschen. In einigen soziologischen Theorien gilt die Interaktion als die Grundeinheit alles Sozialen.[7]

Mit sozialer Interaktion haben sich verschiedene Theorien und Soziologen auseinandergesetzt. Sie weisen jeweils spezifische Aspekte aus.

Georg Simmel

Zu den frühen interaktionistischen Ansätzen können die Arbeiten Georg Simmels gerechnet werden (z. B. Die Großstädte und das Geistesleben von 1903, oder Der Streit von 1908). Methodologisch basieren sie weder auf der Analyse der individuellen Handlungen noch der sozialen Großstrukturen oder Institutionen, sondern auf der der Wechselwirkungsformen und Eigendynamiken zwischen diesen Ebenen vor dem Hintergrund einer zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft.

Max Weber

Nach Max Weber ist soziales Handeln seinem von den Handelnden gemeinten Sinn nach immer auf das Verhalten Anderer bezogen. Von sozialer Interaktion kann man insofern sprechen, als Handeln in einer sozialen Beziehung erfolgt, d. h. ein fortlaufendes aufeinander eingestelltes und dadurch orientiertes „Sich-Verhalten“ mehrerer ist.[8] Die soziale Interaktion wird durch den individuellen Sozialisationsprozess sowie die individuell unterschiedliche selektive Wahrnehmung bestimmt.

Symbolischer Interaktionismus

Interaktion ist im symbolischen Interaktionismus ein permanenter Prozess des Handelns, Beobachtens und Entwerfens weiterer Handlungen, in dem ego und alter wechselseitig die vermuteten Rollenerwartungen des anderen übernehmen oder ablehnen, darauf reagieren und weiteres Handeln antizipieren. Wechselseitige Interpretationen definieren die Situation, bestimmen, worum es geht oder nicht gehen soll, und leiten das Handeln an. Nicht vorgegebene Normen ermöglichen die Interaktion, sondern die gemeinsame Festlegung, welchen Sinn die Interaktion hat. Voraussetzung für das Gelingen von Interaktion ist die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme. Diese Auffassung von Interaktion vertritt gegen das normative Paradigma das interpretative Paradigma.[9]

George Herbert Mead

George Herbert Mead versteht unter einer sozialen Handlung nicht die Handlung eines Einzelnen. Die soziale Handlung ist auf ein soziales Objekt gerichtet. So ist z. B. das soziale Objekt des Fußballteams, Tore zu schießen bzw. das Spiel zu gewinnen. Das kooperative Zusammenspiel des Teams ist die soziale Handlung. Sie besteht aus sozialen Interaktionen zwischen den Spielpartnern, die dadurch koordiniert sind, erstens ein gemeinsames soziales Objekt zu haben und zweitens durch die Fähigkeit der Interaktionsteilnehmer, die Rolle, welche die anderen für die Erreichung des Zieles spielen, zu antizipieren und entsprechend zu agieren und zu reagieren.

Talcott Parsons

Nach Talcott Parsons Rollentheorie folgen wir in unserem Verhalten normativen Vorgaben, die sich aus sozialen Strukturen ergeben. Unsicherheit im Verhalten besteht, weil die Interpretation der Verhaltensnormen durch die Interaktionsteilnehmer unterschiedlich sein kann. Dass Interaktion trotzdem funktioniert, erklärt Parsons damit, dass die Teilnehmer durch Sozialisation die gleichen Normen und Werte der Gesellschaft internalisiert haben und daher motiviert sind, so zu handeln, wie sie handeln sollen. Eine solche Auffassung wird unter das normative Paradigma gezählt.[8]

Im Gegensatz zu Parsons Ansatz steht das Interaktionistische Rollenmodell.

Ausgewählte Aspekte der sozialen Interaktion

Bedingungen des Gelingens sozialer Interaktion

Soziale Interaktion hängt direkt mit der Kommunikation zusammen. Deswegen gelten für eine erfolgreiche soziale Interaktion dieselben Bedingungen, wie für eine erfolgreiche Kommunikation. Von erfolgreicher Kommunikation und damit erfolgreicher sozialer Interaktion spricht man dann, wenn die Ziele der Interaktion erreicht wurden und die beabsichtigte Wirkung eintritt. Das heißt, dass die Erwartungen der Beteiligten an die Interaktion erfüllt wurden und somit auch deren Bedürfnisse. Als einfaches Beispiel ist das Unterrichtsgeschehen zu betrachten: Ein Schüler stellt eine Frage (sein Bedürfnis / seine Erwartung ist die Antwort) und der Lehrer beantwortet diese. Das Ziel ist dann erreicht, wenn der Schüler es verstanden hat, somit wurden sowohl die Erwartungen des Schülers sowie die des Lehrers erfüllt. Es ist auch wichtig, eine positive Interaktionsatmosphäre zu ermöglichen und seine Kommunikationsbereitschaft zu signalisieren. Wenn man zudem ständig die eigenen Zielsetzungen und Erwartungen an die Interaktion überprüft, läuft man auch nicht Gefahr, eine gestörte Interaktion zu provozieren.

Entwicklungspsychologie

Das Individuum nimmt von früher Kindheit an Einfluss auf Situationen, die es andererseits selbst beeinflussen. Es beeinflusst die soziale und physische Umwelt. Der Mensch reagiert also nicht nur passiv, sondern gestaltet seine Umwelt selbst mit. Insofern bildet der Mensch (nach Leo Montada) [10] ein System, in dem Aktivitäten und Veränderungen miteinander verschränkt sind. Die Veränderungen von Details führen zu Veränderungen des Gesamtsystems - und wirken natürlich wieder zurück. Habe man früher gefragt, wie sich das Kind in einer Familie entwickle, frage man heutzutage eher, wie ein Kind auf eine Familie wirke und welche Wirkungen das Kind wiederum beeinflussten. Zum Beispiel würde nicht nur gefragt, wie sich die Scheidung auf das Kind auswirke, sondern auch, was Kinder zur Ehezufriedenheit beitrügen. Nach Montada [11] haben Kagan und Moss die Situation feindseliger Mütter und aggressiver Kinder untersucht: Sie fanden hohe Korrelationen zwischen beiden Faktoren. Traditionell würde man sagen, dass die Feindseligkeit der Mütter die Aggressivität der Kinder beeinflusse; besser sei aber die Frage nach wechselseitiger Beeinflussung bzw. die Frage nach der Feindseligkeit als Erbanlage, die sich bei Müttern in Kritikbereitschaft und bei Kindern in Aggressivität zeige - und sich damit gegenseitig beeinflusse.

Eine produktive Art, wie Jugendliche quasi als Agenten ihrer eigenen Entwicklung auftreten könnten, ist die Wahl anderer Handlungsräume (außerhalb der Familie). Das sei, so die Autoren, besonders in der frühen Adoleszenz von großer Bedeutung, in der es um zukünftige Handlungsräume gehe und um Peergruppen, die unabhängig von den Eltern seien. Diese Wahl externer Handlungsräume stabilisiere auch eine Existenz in einer sich verändernden Welt. Indem der Jugendliche alternative Situationen der Interaktion wählt, wird er zum Produzenten seiner eigenen Entwicklung - und Sozialisation. [12]

Die überragende Bedeutung früher sozialer Interaktion für die optimale Entwicklung des Kindes haben René Spitz [13][14][15] und Harry Harlow [16][17] sehr anschaulich deutlich gemacht. Der Mangel oder gar das Fehlen von Interaktion mit Bezugspersonen habe für das Kind verheerende psychische, motorische und intellektuelle Konsequenzen (siehe Hospitalismus).[18][19]

Siehe auch

Literatur

  • Goffman, Erving (1986): Interaktion. Spaß am Spiel-Rollendistanz. München: Piper.
  • Goffman, Erving (1999): Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
  • Kieserling, André (1999): Kommunikation unter Anwesenden. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  • Rolf Oerter, Leo Montada: Entwicklungspsychologie, Beltz Verlags Union, Weinheim, Berlin 2002, ISBN 3-621-27479-0
  • Niklas Luhmann (1975): Interaktion, Organisation, Gesellschaft. In: Luhmann, Niklas (Hg.): Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft. Opladen: WDV, S. 9–20.

Einzelnachweise

  1. Wilhelm Arnold, Hans Jürgen Eysenck, Richard Meili: Lexikon der Psychologie, Bd. 2, Herder Verlag, Freiburg 1971, S. 216
  2. Der Brockhaus Psychologie, Mannheim, Leipzig 2009, S. 274
  3. Wilhelm Arnold, Hans Jürgen Eysenck, Richard Meili: Lexikon der Psychologie, Bd. 2, Herder Verlag, Freiburg 1971, S. 216
  4. Meyers Lexikon der Psychologie. Mannheim, Wien, Zürich, 1986, S. 172
  5. Die Interktionsanalyse von N.A. Flanders findet sich beschrieben in: Peter Kick, Hanns Ott: Wörterbuch für Erziehung und Unterricht, Auer Verlag, Donauwörth 1997; S. 333 ff
  6. Stanley Milgram: Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität. Rowohlt, Reinbek 1982, ISBN 3-499-17479-0
  7. siehe auch 3.2 Entwicklungspsychologie in diesem Artikel
  8. 8,0 8,1 Heinz Abels: Einführung in die Soziologie. Bd. 2: Die Individuen in ihrer Gesellschaft. Wiesbaden 2004, S. 201 ff.
  9. Abels, H. (2004). Einführung in die Soziologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  10. in: Rolf Oerter, Leo Montada: Entwicklungspsychologie, Weinheim, Basel, Berlin 2002; S. 6 f
  11. siehe oben
  12. Rolf Oerter, Eva Dreher: Jugendalter, in: Rolf Oerter, Leo Montada: Entwicklungspsychologie, Weinheim, Basel, Berlin 2002; S. 268 f
  13. Hospitalismus: ein Ergänzungsbericht, in: Otto M. Ewert: Entwicklungspsychologie, Bd. 1, Verlag Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1972, S. 124 ff
  14. Das erste Lebensjahr, in: Erziehung in früher Kindheit, Serie Piper 1985, S. 89 ff
  15. Hospitalismus I; und: Hospitalismus II; in: Erziehung in früher Kindheit, Serie Piper, München 1985; S. 89 ff.
  16. Das Wesen der Liebe, in: Entwicklungspsychologie, Bd. 1, Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 1972; S. 128 ff
  17. Aspekte und Probleme früher Entwicklung und Erziehung (1); In: Norbert Kühne: Unterrichtsmaterialien Pädagogik-Psychologie (Nr. 694), Stark Verlag/Mediengruppe Pearson, Hallbergmoos 2012
  18. Lucien Malson: Die wilden Kinder, Suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt 1976
  19. Aspekte und Probleme früher Entwicklung und Erziehung (1); In: Norbert Kühne: Unterrichtsmaterialien Pädagogik-Psychologie (Nr. 694), Stark Verlag/Mediengruppe Pearson, Hallbergmoos 2012


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