Seelenschlaf

Aus AnthroWiki
Version vom 28. August 2016, 12:05 Uhr von imported>Odyssee

Seelenschlaf (griech. Psychopannychie; von psychê = "Seele", pan = "alles, ganz" u. nyx = "Nacht") oder Todesschlaf ist eine Bezeichnung für den in der christlichen Theologie schon sehr früh diskutierten und seit dem Zweiten Konzil von Lyon 1274 als häretisch verworfenen Glauben, dass die Toten bis zur Auferstehung schlafen. Schon Tertullian (* nach 150 in Karthago; † nach 220) hatte die Lehre vom Seelenschlaf entschieden bekämpft (de anima 58).

Der Todesschlaf in der Bibel

Es finden sich in der Bibel Zeugnisse, die auf den Seelenschlaf der Toten zwischen Tod und Auferstehung hindeuten. So heißt es etwa im Buch Daniel, wo die apokalyptische Endzeit der Welt beschrieben wird:

„1 Zu jener Zeit wird Michael, der große Engelfürst, der für dein Volk eintritt, sich aufmachen. Denn es wird eine Zeit so großer Trübsal sein, wie sie nie gewesen ist, seitdem es Menschen gibt, bis zu jener Zeit. Aber zu jener Zeit wird dein Volk errettet werden, alle, die im Buch geschrieben stehen. 2 Und viele, die unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande.“

Daniel: 12,1-2 LUT

Die Annahme des Seelenschlafes richtet sich vor allem gegen die Vorstellung einer leiblosen unsterblichen Seele, die nach Ansicht vieler Theologen ein heidnisch-platonisches Konzept sei, dass dem christlichen Glauben an die Auferstehung der Toten widerspräche. Tatsächlich wird die Unsterblichkeit der Seele in der Bibel nirgends erwähnt. Karl Barth bring diese Anschauung auf den Punkt, wenn er sagt:

„Was bedeutet die christliche Hoffnung in diesem Leben? Ein Leben nach dem Tode? ... Ein Seelchen, das wie ein Schmetterling über dem Grab davonflattert und noch irgendwo aufbewahrt wird, um unsterblich weiterzuleben? So haben sich die Heiden das Leben nach dem Tode vorgestellt. Das ist aber nicht die christliche Hoffnung: Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches.“[1]

Calvins Nachtwache der Seele 1534

Calvins erste Schrift theologischen Inhaltes war Psychopannychia („Nachtwache der Seele“) (Orléans, 1534), in der er die Lehre vom Seelenschlaf zwischen Tod und Jüngstem Gericht verurteilte.[2][3] Später folgte eine französische Fassung; Psychopannychie – La nuit ou le sommeil de l'âme (Genf, 1558)[4][5]

Streitschriften über den Seelenschlaf Luthers

Martin Luther beschrieb häufig den Tod als eine Art Schlaf.[6][7]

„Der Tod in Christus ist wahrhaft nicht ein Tod, sondern ein feiner, süßer, kurzer Schlaf, wo wir ... einen Augenblick ruhen sollen wie in einem Ruhebettlein, bis die Zeit komme, dass er uns mit allen seinen lieben Kindern zu seiner ewigen Herrlichkeit und Freude auferwecken und rufen wird. Denn weil man den Tod einen Schlaf nennt, so wissen wir, dass wir nicht darin bleiben, sondern wieder aufwachen und leben sollen. Die Zeit, da wir schlafen, kann uns selbst nicht länger scheinen, als wären eben erst jetzt diese Stunde entschlafen. Dann werden wir ... in einem Augenblick aus dem Grab und der Verwesung lebendig, ganz gesund, frisch, mit reinem, hellem, verklärten Leib unserem Herrn und Heiland Christus in den Wolken entgegenkommen.“[8]

Im 18. und 19. Jahrhundert war es umstritten, ob Luther Seelenschlaf gelehrt hatte.[9][10] Der lutherische Historiker Gottfried Fritschel (1867) meinte, dass diese Lehre in Luthers Werken zu finden sei.[11][12]

Der Mortalismus von Milton, Hobbes, Locke und Newton

In England bekämpfte Thomas More mit denselben Argumenten wie Calvin die Lehre vom Seelenschlaf, [13] trotzdem war Mortalismus im England der Aufklärung weit verbreitet.[14] Führende Persönlichkeiten der frühen Aufklärung wie Milton,[15] Locke,[16] Hobbes und Newton[17] lehnten die Unsterblichkeit der Seele ab.[18][19][20]

Einzelnachweise

  1. Karl Barth: Dogmatik im Grundriss, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1947, S. 180
  2. Peter Opitz Leben und Werk Johannes Calvins 2009, S. 31: „Calvins erste Schrift theologischen Inhaltes stammt aus dieser nur sehr unzulänglich zu erhellenden Zeit zwischen der Coprede und seinem Gang ins Exil. Ihre Vorrede gibt als Entstehungsort Orléans und als Jahr 1534 an“.
  3. Archiv für Reformationsgeschichte: Beiheft, Literaturbericht: 36 Verein für Reformationsgeschichte, American Society for Reformation Research – 2007 „Hinzu kommt sodann eine französische Fassung von Calvins Psychopannychia, in der er zu der Lehre vom Seelenschlaf zwischen Tod und Jüngstem Gericht Stellung genommen hatte.“
  4. Jean Henri Merle d'Aubigné. Histoire de la réformation en Europe au temps de Calvin.
  5. Ernst Staehelin Johannes Calvin: Leben und ausgewählte Schriften, Bd. 1‎ 1863 S. 36
  6. Luther Enarrationes in Genesin 1535–1545 „sic anima post mortem intrat suum cubiculum et pacem et dormiens non sentit suum somnum“ Exegetica opera Latina Bd. 5&6 S. 120, Elsberger 1830.
  7. Hans-Georg Kemper Konfessionalismus 1987 S. 326 „Der Tod erschien Luther als ein bloßer Schlaf, der Zwischenzustand zwischen Tod und Auferstehung als eine kurze Zeit der »Geborgenheit in Christus«, bis dieser sich »leibhaftig offenbar macht«“ (ebda., S. 99).
  8. Martin Luther in: K. Aland, Lutherlexikon, Berlin 1956, S. 30f
  9. Aurelie Horovitz Beiträge zu Lessings Philosophie 1907 S. 89 „August 1755 über eine Streitschrift, ob Luther an den Seelenschlaf nach dem Tode geglaubt, sagt Lessing, dass da mit Luthers Ansehen nichts zu gewinnen sei.“
  10. Gotthold Ephraim Lessing Sämtliche Schriften: Bd. 7 Karl Lachmann, Franz Muncker – 1891 „Er führet eine ziemliche Menge Stellen aus Luthers Schriften an, in welchen allen der Seelenschlaf, den Worten nach, ... Sie werden sagen, daß Luther mit dem Worte Schlaf gar die Begriffe nicht verbinde, welche Herr R. damit verbindet.“
  11. G. Fritschel: Denn dass Luther mit den Worten „anima non sic dormit, sed vigilat et patitur visiones, loquelas Angelorum et Dei“ nicht dasjenige leugnen will, was er an allen andern Stellen seiner Schriften vortragt. Luther und offene Fragen, Zeitschrift für die gesammte lutherische Theologie und Kirche 1867 S. 657 – „Differunt tamen somnus sive quies hujus vitae et futurae. Homon enim in hac vita defatigatus diurno labore, sub noctem intrat in cubiculum suum tanquam in pace, ut ibi dormiat, et ea nocte fruitur quiete, neque quicquam scit de ullo malo sive incendii, sive caedis. Anima autem non sic dormit, sed vigilat, et patitur visiones loquelas Angelorum et Dei. Ideo somnus in futura vita profundior est quam in hac vita et tamen anima coram Deo vivit. Hac similitudine, quam habeo a somno viventia.“
  12. Irmgard Wilhelm-Schaffer Gottes Beamter und Spielmann des Teufels - Der Tod in Spätmittelalter (1999) "Aufgrund biblischer Aussagen räumt Luther die Existenz einiger weniger Ausnahmen vom Seelenschlaf ein. Es handelt sich dabei um Personen wie Moses und Elias, die Jesus erschienen waren; grundsätzlich kommt der Schlaf als Zwischenzustand ..."
  13. Judaica: 22–24 1965 „Gegen Bacon, Gassendi und Hobbes versichert er immer wieder: Die Seele ist keine tabula rasa (II, 33)17. [...] Die Lehre vom Seelenschlaf bekämpft More mit denselben Argumenten wie Calvin (III, 61–78) durch die These: animam post mortem non dormire. Er bestreitet es energisch, daß die Lehre von der Unsterblichkeit unbiblisch und vom Platonismus in die Kirchenlehre...“
  14. Gerhard Krause, Gerhard Müller Theologische Realenzyklopädie: Bd. 22 S. 758 1992 „Mortalismus war in England weit verbreitet und Sir Thomas Browne bekannte sich zu dieser Auffassung in Religio Medici als der ersten seiner jugendlichen 20 Häresien. Milton stand keinesfalls allein mit der Auffassung, daß der Mensch aufgrund der Untrennbarkeit von Leib und Seele gänzlich sterblich sei.“
  15. Jürgen Klein Radikales Denken in England: Neuzeit 1984 S. 406: „... selben Atemzug gesagt werden muß, wie eigenwillig Milton der orthodox-protestantischen Theologie gegenübergestanden hat, etwa mit seiner These des Mortalismus.“
  16. Nuvo (ed.), John Locke: Writings on Religion'’, S. xxxiii (2002)
  17. Wood, Science and dissent in England, 1688–1945, S. 50 (2004)
  18. Bryan W. Ball The Soul Sleepers: Christian Mortalism from Wycliffe to Priestley, Lutterworth 2008
  19. Norman T. Burns Christian Mortalism from Tyndale to Milton, Harvard University Press 1972
  20. Philip C. Almond Heaven and Hell in Enlightenment England, Cambridge University Press 2009

Weblinks


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Seelenschlaf aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.