Wahrnehmung: Unterschied zwischen den Versionen

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Als '''Wahrnehmungen''' bezeichnet [[Rudolf Steiner]] in seiner [[Philosophie der Freiheit]] die ''Empfindungsobjekte'', wie sie dem Menschen durch unmittelbare [[Beobachtung]] gegeben sind. Wahrnehmungen beschränken sich nicht alleine auf die [[sinnliche Welt]], sondern man kann in gleichem Sinn auch von [[Seele|seelischen]] und [[Geist|geistigen]] Wahrnehmungen sprechen. Die [[Sinneswahrnehmung]] ist nur ein spezieller Fall der Wahrnehmung überhaupt.
Als '''Wahrnehmungen''' bezeichnet [[Rudolf Steiner]] in seiner [[Philosophie der Freiheit]] die [[Empfindung]]sobjekte, wie sie dem Menschen durch unmittelbare [[Beobachtung]] gegeben sind. Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird aber auch die '''Wahrnehmungstätigkeit''' selbst als ''Wahrnehmung'' bezeichnet. Wahrnehmungen beschränken sich nicht alleine auf die [[sinnliche Welt]], sondern man kann in gleichem Sinn auch von [[Seele|seelischen]] und [[Geist|geistigen]] Wahrnehmungen sprechen. Die [[Sinneswahrnehmung]] ist nur ein spezieller Fall der Wahrnehmung überhaupt.


== Wahrnehmung und Sinnesempfindung ==
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Im Sinne Steiners muss man also deutlich zwischen Wahrnehmung und [[Empfindung]] ([[Sinnesempfindung]]) unterscheiden, wobei weiters zu beachten ist, dass die Wahrnehmung als [[Ganzes]] dem [[Bewusstsein]] zuerst gegeben ist; sie muss erst zergliedert werden, um zu den Empfindungen zu kommen. Primär haben wir es nicht mit einzelnen isolierten Empfindungen zu tun, sondern mit einer ganzen Gruppe miteinander verbundener Empfindungen.
Im Sinne Steiners muss man also deutlich zwischen Wahrnehmung und [[Empfindung]] ([[Sinnesempfindung]]) unterscheiden, wobei weiters zu beachten ist, dass die Wahrnehmung als [[Ganzes]] dem [[Bewusstsein]] zuerst gegeben ist; sie muss erst zergliedert werden, um zu den Empfindungen zu kommen. Primär haben wir es nämlich nicht mit einzelnen isolierten Empfindungen zu tun, sondern mit einer ganzen Gruppe miteinander verbundener Empfindungen.


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Version vom 19. April 2013, 17:08 Uhr

Als Wahrnehmungen bezeichnet Rudolf Steiner in seiner Philosophie der Freiheit die Empfindungsobjekte, wie sie dem Menschen durch unmittelbare Beobachtung gegeben sind. Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird aber auch die Wahrnehmungstätigkeit selbst als Wahrnehmung bezeichnet. Wahrnehmungen beschränken sich nicht alleine auf die sinnliche Welt, sondern man kann in gleichem Sinn auch von seelischen und geistigen Wahrnehmungen sprechen. Die Sinneswahrnehmung ist nur ein spezieller Fall der Wahrnehmung überhaupt.

Wahrnehmung und Sinnesempfindung

"Bei dem Schwanken des Sprachgebrauches erscheint es mir geboten, dass ich mich mit meinem Leser über den Gebrauch eines Wortes verständige, das ich im folgenden anwenden muss. Ich werde die unmittelbaren Empfindungsobjekte, die ich oben genannt habe, insofern das bewusste Subjekt von ihnen durch Beobachtung Kenntnis nimmt, Wahrnehmungen nennen. Also nicht den Vorgang der Beobachtung, sondern das Objekt dieser Beobachtung bezeichne ich mit diesem Namen.

Ich wähle den Ausdruck Empfindung nicht, weil dieser in der Physiologie eine bestimmte Bedeutung hat, die enger ist als die meines Begriffes von Wahrnehmung. Ein Gefühl in mir selbst kann ich wohl als Wahrnehmung, nicht aber als Empfindung im physiologischen Sinne bezeichnen. Auch von meinem Gefühle erhalte ich dadurch Kenntnis, dass es Wahrnehmung für mich wird. Und die Art, wie wir durch Beobachtung Kenntnis von unserem Denken erhalten, ist eine solche, dass wir auch das Denken in seinem ersten Auftreten für unser Bewusstsein Wahrnehmung nennen können." (Lit.: GA 004, S. 63)

Im Sinne Steiners muss man also deutlich zwischen Wahrnehmung und Empfindung (Sinnesempfindung) unterscheiden, wobei weiters zu beachten ist, dass die Wahrnehmung als Ganzes dem Bewusstsein zuerst gegeben ist; sie muss erst zergliedert werden, um zu den Empfindungen zu kommen. Primär haben wir es nämlich nicht mit einzelnen isolierten Empfindungen zu tun, sondern mit einer ganzen Gruppe miteinander verbundener Empfindungen.

"Wenn wir einem Gegenstand gegenübertreten, so ist das, was sich zuerst abspielt, die Empfindung. Wir bemerken eine Farbe, einen Geschmack oder Geruch, und diesen Tatbestand, der sich da zwischen Mensch und Gegenstand abspielt, müssen wir zunächst als durch die Empfindung charakterisiert betrachten. Was in der Aussage liegt: Etwas ist warm, kalt und so weiter, ist eine Empfindung. Diese reine Empfindung haben wir aber eigentlich im gewöhnlichen Leben gar nicht. Wir empfinden an einer roten Rose nicht nur die rote Farbe, sondern wenn wir in Wechselwirkung treten mit den Gegenständen, so haben wir immer gleich eine Gruppe von Empfindungen. Die Verbindung der Empfindungen «Rot, Duft, Ausdehnung, Form» nennen wir «Rose». Einzelne Empfindungen haben wir eigentlich nicht, sondern nur Gruppen von Empfindungen. Eine solche Gruppe kann man eine «Wahrnehmung» nennen.

In der formalen Logik muß man scharf unterscheiden zwischen Wahrnehmung und Empfindung. Wahrnehmung und Empfindung sind etwas durchaus Verschiedenes. Die Wahrnehmung ist das erste, was uns entgegentritt, sie muß erst zergliedert werden, um eine Empfindung zu haben." (Lit.: GA 108, S. 198f)

Reine Wahrnehmung

Die reine Wahrnehmung ist nur solange gegeben, als sich der Mensch des Denkens enthält. Die Welt erscheint dann als zusammenhangloses Aggregat von Empfindungsobjekten. Alles, die sinnliche Welt und ebenso seelische und geistige Erlebnisse, ja alle Träume, Visionen und Halluzinationen, sind uns zunächst als Wahrnehmung gegeben. In welchem Verhältnis sie zur Wirklichkeit stehen, ob wir es mit einem realen Sein oder bloßem Schein zu tun haben, darüber kann uns erst das Denken aufklären. Erst indem wir die Wahrnehmung denkend mit dem zugehörigen Begriff durchdringen, stoßen wir zur Wirklichkeit vor.

"Wir müssen uns vorstellen, dass ein Wesen mit vollkommen entwickelter menschlicher Intelligenz aus dem Nichts entstehe und der Welt gegenübertrete. Was es da gewahr würde, bevor es das Denken in Tätigkeit bringt, das ist der reine Beobachtungsinhalt. Die Welt zeigte dann diesem Wesen nur das bloße zusammenhanglose Aggregat von Empfindungsobjekten: Farben, Töne, Druck-, Wärme-, Geschmacks- und Geruchsempfindungen; dann Lust- und Unlustgefühle. Dieses Aggregat ist der Inhalt der reinen, gedankenlosen Beobachtung. Ihm gegenüber steht das Denken, das bereit ist, seine Tätigkeit zu entfalten, wenn sich ein Angriffspunkt dazu findet." (Lit.: GA 004, S. 62)

Wahrnehmung und Vorstellung

Von der objektiven Wahrnehmung streng zu unterscheiden ist die subjektiv gebildete Vorstellung:

"Was ist also die Wahrnehmung? Diese Frage ist, im allgemeinen gestellt, absurd. Die Wahrnehmung tritt immer als eine ganz bestimmte, als konkreter Inhalt auf. Dieser Inhalt ist unmittelbar gegeben, und erschöpft sich in dem Gegebenen. Man kann in bezug auf dieses Gegebene nur fragen, was es außerhalb der Wahrnehmung, das ist: für das Denken ist. Die Frage nach dem «Was» einer Wahrnehmung kann also nur auf die begriffliche Intuition gehen, die ihr entspricht. Unter diesem Gesichtspunkte kann die Frage nach der Subjektivität der Wahrnehmung im Sinne des kritischen Idealismus gar nicht aufgeworfen werden. Als subjektiv darf nur bezeichnet werden, was als zum Subjekte gehörig wahrgenommen wird. Das Band zu bilden zwischen Subjektivem und Objektivem kommt keinem im naiven Sinn realen Prozess, das heißt einem wahrnehmbaren Geschehen zu, sondern allein dem Denken. Es ist also für uns objektiv, was sich für die Wahrnehmung als außerhalb des Wahrnehmungssubjektes gelegen darstellt. Mein Wahrnehmungssubjekt bleibt für mich wahrnehmbar, wenn der Tisch, der soeben vor mir steht, aus dem Kreise meiner Beobachtung verschwunden sein wird. Die Beobachtung des Tisches hat eine, ebenfalls bleibende, Veränderung in mir hervorgerufen. Ich behalte die Fähigkeit zurück, ein Bild des Tisches später wieder zu erzeugen. Diese Fähigkeit der Hervorbringung eines Bildes bleibt mit mir verbunden. Die Psychologie bezeichnet dieses Bild als Erinnerungsvorstellung. Es ist aber dasjenige, was allein mit Recht Vorstellung des Tisches genannt werden kann. Es entspricht dies nämlich der wahrnehmbaren Veränderung meines eigenen Zustandes durch die Anwesenheit des Tisches in meinem Gesichtsfelde. Und zwar bedeutet sie nicht die Veränderung irgendeines hinter dem Wahrnehmungssubjekte stehenden «Ich an sich», sondern die Veränderung des wahrnehmbaren Subjektes selbst. Die Vorstellung ist also eine subjektive Wahrnehmung im Gegensatz zur objektiven Wahrnehmung bei Anwesenheit des Gegenstandes im Wahrnehmungshorizonte. Das Zusammenwerfen jener subjektiven mit dieser objektiven Wahrnehmung führt zu dem Missverständnisse des Idealismus: die Welt ist meine Vorstellung." (Lit.: GA 004, S. 98ff)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit, GA 4 (1995)
  2. Rudolf Steiner: Die Beantwortung von Welt- und Lebensfragen durch Anthroposophie, GA 108 (1986), ISBN 3-7274-1081-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.