Frühe Neuzeit: Unterschied zwischen den Versionen

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#WEITERLEITUNG [[Germanisch-Angelsächsische Kultur]]
Die Begriffe '''Frühe Neuzeit''', '''Frühmoderne''' oder '''Neuere Geschichte''' bezeichnen in der Geschichte Europas üblicherweise das Zeitalter zwischen dem Spätmittelalter (Mitte 14. Jahrhundert bis Ende 15. Jahrhundert) und dem Übergang vom 18. Jahrhundert zum 19. Jahrhundert.
 
Wie bei allen [[Periodisierung]]en in der [[Geschichtswissenschaft]] lassen sich keine exakt datierbaren [[Epoche (Chronologie)|Epochen]]grenzen ziehen. In [[Geisteswissenschaften|geisteswissenschaftlicher]] Hinsicht gelten das veränderte [[Menschenbild]] des [[Humanismus]] und die dadurch geprägte Zeit der [[Renaissance]] (Wiedergeburt der [[Antike]]) sowie die Entwicklung des [[Buchdruck]]s durch [[Johannes Gutenberg]] als Beginn der Zeitenwende zwischen [[Mittelalter]] und [[Neuzeit]]. Historisch-politisch markante [[Zäsur (Geschichte)|Zäsuren]] waren die [[Belagerung von Konstantinopel (1453)|Eroberung Konstantinopels 1453]], die [[Entdeckung Amerikas 1492|„Entdeckung“ Amerikas]] durch [[Christoph Kolumbus]] im Jahr 1492, das Ende der [[Reconquista]] im selben Jahr, der Beginn der [[Italienische Kriege|Italienischen Kriege]] 1494 sowie im [[Heiliges Römisches Reich|Heiligen Römischen Reich]] die [[Reichstag zu Worms (1495)|Reichsreform]] 1495 und der Beginn der [[Reformation]] 1517.
 
Das Ende der Frühen Neuzeit wird weitgehend übereinstimmend mit der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]] (1789–1799) angesetzt, die zugleich das [[Zeitalter der Aufklärung]] abschließt. Das [[Ancien Régime]] brach nach 1789 zunächst in Frankreich und infolge der [[Koalitionskriege|Revolutionskriege]] in fast ganz Europa zusammen. Im deutschen Sprachraum endete die Frühe Neuzeit 1806 mit der Auflösung des [[Heiliges Römisches Reich|Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation]] auf Druck [[Napoleon Bonaparte|Napoleons]].
[[Datei:Siege constantinople bnf fr2691.jpg|mini|300px|Die Belagerung und Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 bedeutete das Ende des Oströmischen Reiches und gilt als historischer Wendepunkt]]
 
== Das Problem der Epocheneinteilung ==
[[Datei:Buchdrucker-1568.png|mini|hochkant|Die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen Lettern durch [[Johannes Gutenberg]] revolutionierte die Kommunikation]]
[[Datei:Lucas Cranach (I) workshop - Martin Luther (Uffizi).jpg|mini|hochkant|[[Martin Luther]] als treibende Kraft der [[Reformation]]]]
[[Datei:La Rendición de Granada - Pradilla.jpg|mini|hochkant|Die Rückeroberung [[Granada]]s beendet die Reconquista [[Historiengemälde]] von [[Francisco Pradilla y Ortiz]] 1882]]
Jede [[Periodisierung]] in der [[Geschichtswissenschaft]] ist eine Setzung anhand bestimmter Kriterien mit dem Ziel, das Forschungsfeld zu systematisieren und einen Forschungsgegenstand einzugrenzen und zu klassifizieren. Dadurch ist nur eine Annäherung an die historische Wirklichkeit möglich bzw. wird eine historische Wirklichkeit im wissenschaftlichen Sinne überhaupt erst konstituiert. Auch die Übergänge vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit einerseits und von dieser zur Moderne andererseits lassen sich daher nicht an einzelnen Jahreszahlen festmachen. Jahreszahlen und bestimmte Ereignisse sind vielmehr nur Markierungen zur Orientierung. Die Epochengrenzen sind fließend und variieren je nachdem, ob beispielsweise eher politische oder sozialgeschichtliche Fragen im Vordergrund stehen sowie welche Regionen und Länder im Blick sind. Viele historische Entwicklungslinien sind überdies von [[Longue durée|langer Dauer]] und können auch einer bestimmten Periodisierung widersprechen.
 
=== Beginn der Frühen Neuzeit ===
Der geistig-kulturelle Aufbruch der Renaissance und des Humanismus, die [[Zeitalter der Entdeckungen|Entdeckungsfahrten]] der Portugiesen und Spanier seit Anfang des 15. Jahrhunderts, die das Bild von der Erde für immer veränderten, und die [[Reformation]], die nach 1517 die mittelalterliche Einheit der (West-)Kirche zerstörte – diese drei miteinander zusammenhängenden Entwicklungen markieren in der europäischen Geschichtswissenschaft für gewöhnlich den Beginn der Frühen Neuzeit.
 
Im Allgemeinen gelten Renaissance (Wiederentdeckung der Antike) und [[Humanismus]] als Anfang einer Zeitenwende. Mit ihr verbreitete sich ein neues Menschenbild in Europa, in dessen Mittelpunkt das selbstbestimmte Individuum und seine Fähigkeiten standen. In Philosophie, Literatur, Malerei, Bildhauerei, Baukunst und allen anderen kulturellen Bereichen orientierten sich die Menschen wieder an den Formen und Inhalten der Antike.
 
Am frühesten lässt sich diese Entwicklung in Italien feststellen, wo sie bereits im 14. Jahrhundert einsetzte, im 15. Jahrhundert in [[Florenz]] zu einer ersten kulturellen Hochblüte gelangte und von wo aus sie sich bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts in ganz Europa verbreitete. Seine Vorreiterrolle verdankte Italien nicht zuletzt der Aufnahme einer großen Zahl griechischer Gelehrter aus [[Konstantinopel]], das 1453 von den [[Osmanisches Reich|Osmanen]] erobert worden war. Diese Gelehrten brachten längst verschollen geglaubtes Bildungsgut der Antike mit ins Abendland. Zur gleichen Zeit erfuhr die Verbreitung von Wissen eine ungeheure Beschleunigung durch [[Johannes Gutenberg]]s Erfindung des [[Buchdruck]]s mit beweglichen Lettern. Damit wurde eine Wissensakkumulation möglich, die besonders in den Städten zur Entfaltung kam. In den Städten, so vor allem in den großen Reichs- und Hansestädten, waren auch differenzierte Rechts- und Organisationsformen entwickelt worden, die eine große zivilisatorische Wirkung hatten.
 
Die Erfindung des Buchdrucks wiederum verhalf einem Ereignis zum Durchbruch, das insbesondere in Deutschland mit dem Ende des Mittelalters und dem Beginn der Neuzeit gleichgesetzt wird: der Reformation. [[Martin Luther]] gründete seine [[95 Thesen]], die er 1517 veröffentlichte, auf ein genaues Quellenstudium der [[Heilige Schrift|Heiligen Schrift]] in [[Griechische Sprache|Griechisch]] und [[Hebräische Sprache|Hebräisch]], also auf Kenntnissen, die auf den Vorarbeiten der Humanisten des vorherigen Jahrhunderts beruhten.
 
Luther verteidigte seine Thesen 1521 auf dem [[Reichstag zu Worms (1521)|Wormser Reichstag]] vor [[Römisch-deutscher Kaiser|Kaiser]] [[Karl V. (HRR)|Karl V.]], der ein Reich regierte, „in dem die Sonne nicht unterging“. Denn zu diesem Reich gehörten auch die spanischen Besitzungen in der [[Neue Welt|Neuen Welt]], die [[Christoph Kolumbus]] 1492 entdeckt hatte, im selben Jahr, in dem mit der Eroberung [[Granada]]s die [[Reconquista]] zu Ende gegangen war. Der erste Anstoß zum Zeitalter der Entdeckungen war aus Portugal gekommen: Im Auftrag des Prinzen [[Heinrich der Seefahrer|Heinrichs des Seefahrers]] wurden seit 1415 Expeditionen ausgesandt, um einen Seeweg nach Indien zu finden. Dies gelang [[Vasco da Gama]] 1498. Die Entdeckungen der Portugiesen und der Spanier erweiterten nicht nur das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, sondern hatten auch die [[Europäische Expansion]] über die gesamte bekannte Erde zur Folge.
 
=== Ende der Frühen Neuzeit ===
Das Ende der Epoche und der Beginn der [[Moderne]] wird in der Geschichtswissenschaft weitgehend übereinstimmend mit der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]] ab 1789 angesetzt. Die französische Revolution war eine Folge der [[Aufklärung]], die schon die [[Amerikanische Revolution]] von 1776 getragen hatte. Aufgrund der Ereignisse von 1789 brach das [[Ancien Régime]] zunächst in Frankreich und infolge der Revolutionskriege fast in ganz Europa zusammen. In Deutschland kam das vor allem durch die Auflösung des [[Heiliges Römisches Reich|Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation]] im Jahr 1806 zum Ausdruck. Trotz der [[Restauration (Geschichte)|Restauration]] der alten Regime nach der Niederlage [[Napoléon Bonaparte]]s 1814/15 hatte sich Europa politisch grundlegend gewandelt. Der Historiker Reinhart Koselleck geht davon aus, dass darüber hinausgehend noch weitere Veränderungsprozesse von ungefähr 1750 bis 1850/70 stattfanden. Für diese Übergangszeit von der Frühen Neuzeit zur Moderne prägt er den Begriff der [[Sattelzeit]].
 
=== Epochen innerhalb der Frühen Neuzeit ===
Je nach Betrachtungsweise kann die Frühe Neuzeit wiederum in folgende Zeitabschnitte unterteilt werden:
 
* Anbruch der Renaissance (ca. 1350–1450)
* [[Zeitalter der Entdeckungen]] (1415–1531)
* [[Zeitalter der Glaubensspaltung|Zeitalter der Reformation und der Glaubensspaltung]] (1517–1648) ([[Konfessionalisierung]])
* Zeit des [[Barock]]s („[[Absolutismus]]“) und der Aufklärung (ca. 1650–1789)
* [[Französische Revolution]] (1789–1815)
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Neuzeit}}
* {{WikipediaDE|Frühe Neuzeit}}
* {{WikipediaDE|Philosophie der Neuzeit}}
* {{WikipediaDE|Renaissance}}
* {{WikipediaDE|Barock}}
* {{WikipediaDE|Absolutismus}}
* {{WikipediaDE|Aufklärung}}
 
== Literatur ==
* Richard van Dülmen: ''Die Entdeckung des Individuums. 1500–1800.'' Fischer, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-596-60122-3.
* Richard van Dülmen: ''Gesellschaft der Frühen Neuzeit. Kulturelles Handeln und sozialer Prozess'' (= ''Kulturstudien.'' Bd. 28). Böhlau, Wien 1993, ISBN 3-205-98003-4.
* Birgit Emich: ''Geschichte der Frühen Neuzeit studieren.'' UVK, Konstanz 2006, ISBN 3-8252-2709-X.
* Robert von Friedeburg: ''Europa in der frühen Neuzeit'', Fischer, Frankfurt am Main 2012.
* Leonhard Horowski: ''Das Europa der Könige. Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts.'' Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2017, ISBN 978-3498028350.
* Andreas Keller: ''Frühe Neuzeit. Das rhetorische Zeitalter.'' Akademie, Berlin 2008, ISBN 978-3-05-004399-9 (Literaturgeschichte, [http://www.hsozkult.de/hfn/publicationreview/id/rezbuecher-11912 Rezension]).
* Thomas Maissen: ''Geschichte der Frühen Neuzeit.'' Beck, München 2013, ISBN 978-3-406-65472-5 (Bibliographische Hinweise.
* Ilja Mieck: ''Europäische Geschichte der frühen Neuzeit. Eine Einführung.'' 6., verbesserte Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 1998, ISBN 3-17-015414-1.
* Paul Münch: ''Lebensformen in der frühen Neuzeit. 1500–1800.'' Ullstein, Berlin 1998, ISBN 3-548-26520-0
* Helmut Neuhaus (Hrsg.): ''Die Frühe Neuzeit als Epoche''. Beiheft 49). Oldenbourg, München 2009, ISBN 978-3-486-59087-6
* Olwen Hufton: ''The Prospect Before her: A History of Women in Western Europe: 1500-1800.'' London 1995
::Übersetzung: ''Frauenleben: Eine europäische Geschichte. 1500-1800.'' Aus dem Englischen von Holger Fliessbach. Fischer, Frankfurt 1998.
* Wolfgang Reinhard: ''Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415–2015.'' Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-68718-1.
* Wolfgang Reinhard (Hrsg.): ''Geschichte der Welt. Weltreiche und Weltmeere 1350–1750''.
* Heinz Schilling (Historiker)|Heinz Schilling: ''Die neue Zeit. Vom Christenheitseuropa zum Europa der Staaten, 1250 bis 1750.'' Siedler, Berlin 1999, ISBN 3-88680-440-2.
* Karl Vocelka: ''Frühe Neuzeit 1500–1800''. UVK, Konstanz 2013, ISBN 978-3-8252-2833-0.
* Anette Völker-Rasor (Hrsg.): ''Frühe Neuzeit.'' Oldenbourg, München 2000, ISBN 3-486-56426-9.
* Heide Wunder: ''Er ist die Sonn’, sie ist der Mond. Frauen in der frühen Neuzeit.'' Beck, München 1992, ISBN 3-406-36665-1 (Standardwerk zur Geschlechtergeschichte).
 
== Weblinks ==
* [http://www.fnz-potsdam.de/ Frühneuzeitzentrum Potsdam]
* [http://www.historicum.net/ historicum.net – geschichtswissenschaftliche Informationsangebote im Internet]
* [http://www.fruehe-neuzeit.net/ Virtual Library Frühe Neuzeit]
* [http://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/Welcome.html Einführung in die Frühe Neuzeit,] Universität Münster
* [http://www.webhistoriker.de/ Portal zur Geschichte der Frühen Neuzeit] (private Seite)
* [http://www.uni-marburg.de/fb06/fnz/forschung Enzyklopädie der Neuzeit]
* [http://www.univie.ac.at/iefn/ Institut für die Erforschung der Frühen Neuzeit] Wien
* [[Gerd Schwerhoff]]: [http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/philosophische_fakultaet/ig/fnz/startseite/fnz_profil ''Frühe Neuzeit. Zum Profil einer Epoche.''] PDF, 2001.
 
{{Normdaten|TYP=s|GND=7503866-3}}
 
[[Kategorie:Kulturepochen]]
[[Kategorie:Germanisch-Angelsä#chsische Kultur]]
[[Kategorie:Frühe Neuzeit]]
[[Kategorie:Philosophie der frühen Neuzeit]]
 
{{Wikipedia}}

Version vom 7. August 2017, 13:53 Uhr

Die Begriffe Frühe Neuzeit, Frühmoderne oder Neuere Geschichte bezeichnen in der Geschichte Europas üblicherweise das Zeitalter zwischen dem Spätmittelalter (Mitte 14. Jahrhundert bis Ende 15. Jahrhundert) und dem Übergang vom 18. Jahrhundert zum 19. Jahrhundert.

Wie bei allen Periodisierungen in der Geschichtswissenschaft lassen sich keine exakt datierbaren Epochengrenzen ziehen. In geisteswissenschaftlicher Hinsicht gelten das veränderte Menschenbild des Humanismus und die dadurch geprägte Zeit der Renaissance (Wiedergeburt der Antike) sowie die Entwicklung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg als Beginn der Zeitenwende zwischen Mittelalter und Neuzeit. Historisch-politisch markante Zäsuren waren die Eroberung Konstantinopels 1453, die „Entdeckung“ Amerikas durch Christoph Kolumbus im Jahr 1492, das Ende der Reconquista im selben Jahr, der Beginn der Italienischen Kriege 1494 sowie im Heiligen Römischen Reich die Reichsreform 1495 und der Beginn der Reformation 1517.

Das Ende der Frühen Neuzeit wird weitgehend übereinstimmend mit der Französischen Revolution (1789–1799) angesetzt, die zugleich das Zeitalter der Aufklärung abschließt. Das Ancien Régime brach nach 1789 zunächst in Frankreich und infolge der Revolutionskriege in fast ganz Europa zusammen. Im deutschen Sprachraum endete die Frühe Neuzeit 1806 mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation auf Druck Napoleons.

Die Belagerung und Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 bedeutete das Ende des Oströmischen Reiches und gilt als historischer Wendepunkt

Das Problem der Epocheneinteilung

Die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg revolutionierte die Kommunikation
Martin Luther als treibende Kraft der Reformation
Die Rückeroberung Granadas beendet die Reconquista Historiengemälde von Francisco Pradilla y Ortiz 1882

Jede Periodisierung in der Geschichtswissenschaft ist eine Setzung anhand bestimmter Kriterien mit dem Ziel, das Forschungsfeld zu systematisieren und einen Forschungsgegenstand einzugrenzen und zu klassifizieren. Dadurch ist nur eine Annäherung an die historische Wirklichkeit möglich bzw. wird eine historische Wirklichkeit im wissenschaftlichen Sinne überhaupt erst konstituiert. Auch die Übergänge vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit einerseits und von dieser zur Moderne andererseits lassen sich daher nicht an einzelnen Jahreszahlen festmachen. Jahreszahlen und bestimmte Ereignisse sind vielmehr nur Markierungen zur Orientierung. Die Epochengrenzen sind fließend und variieren je nachdem, ob beispielsweise eher politische oder sozialgeschichtliche Fragen im Vordergrund stehen sowie welche Regionen und Länder im Blick sind. Viele historische Entwicklungslinien sind überdies von langer Dauer und können auch einer bestimmten Periodisierung widersprechen.

Beginn der Frühen Neuzeit

Der geistig-kulturelle Aufbruch der Renaissance und des Humanismus, die Entdeckungsfahrten der Portugiesen und Spanier seit Anfang des 15. Jahrhunderts, die das Bild von der Erde für immer veränderten, und die Reformation, die nach 1517 die mittelalterliche Einheit der (West-)Kirche zerstörte – diese drei miteinander zusammenhängenden Entwicklungen markieren in der europäischen Geschichtswissenschaft für gewöhnlich den Beginn der Frühen Neuzeit.

Im Allgemeinen gelten Renaissance (Wiederentdeckung der Antike) und Humanismus als Anfang einer Zeitenwende. Mit ihr verbreitete sich ein neues Menschenbild in Europa, in dessen Mittelpunkt das selbstbestimmte Individuum und seine Fähigkeiten standen. In Philosophie, Literatur, Malerei, Bildhauerei, Baukunst und allen anderen kulturellen Bereichen orientierten sich die Menschen wieder an den Formen und Inhalten der Antike.

Am frühesten lässt sich diese Entwicklung in Italien feststellen, wo sie bereits im 14. Jahrhundert einsetzte, im 15. Jahrhundert in Florenz zu einer ersten kulturellen Hochblüte gelangte und von wo aus sie sich bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts in ganz Europa verbreitete. Seine Vorreiterrolle verdankte Italien nicht zuletzt der Aufnahme einer großen Zahl griechischer Gelehrter aus Konstantinopel, das 1453 von den Osmanen erobert worden war. Diese Gelehrten brachten längst verschollen geglaubtes Bildungsgut der Antike mit ins Abendland. Zur gleichen Zeit erfuhr die Verbreitung von Wissen eine ungeheure Beschleunigung durch Johannes Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern. Damit wurde eine Wissensakkumulation möglich, die besonders in den Städten zur Entfaltung kam. In den Städten, so vor allem in den großen Reichs- und Hansestädten, waren auch differenzierte Rechts- und Organisationsformen entwickelt worden, die eine große zivilisatorische Wirkung hatten.

Die Erfindung des Buchdrucks wiederum verhalf einem Ereignis zum Durchbruch, das insbesondere in Deutschland mit dem Ende des Mittelalters und dem Beginn der Neuzeit gleichgesetzt wird: der Reformation. Martin Luther gründete seine 95 Thesen, die er 1517 veröffentlichte, auf ein genaues Quellenstudium der Heiligen Schrift in Griechisch und Hebräisch, also auf Kenntnissen, die auf den Vorarbeiten der Humanisten des vorherigen Jahrhunderts beruhten.

Luther verteidigte seine Thesen 1521 auf dem Wormser Reichstag vor Kaiser Karl V., der ein Reich regierte, „in dem die Sonne nicht unterging“. Denn zu diesem Reich gehörten auch die spanischen Besitzungen in der Neuen Welt, die Christoph Kolumbus 1492 entdeckt hatte, im selben Jahr, in dem mit der Eroberung Granadas die Reconquista zu Ende gegangen war. Der erste Anstoß zum Zeitalter der Entdeckungen war aus Portugal gekommen: Im Auftrag des Prinzen Heinrichs des Seefahrers wurden seit 1415 Expeditionen ausgesandt, um einen Seeweg nach Indien zu finden. Dies gelang Vasco da Gama 1498. Die Entdeckungen der Portugiesen und der Spanier erweiterten nicht nur das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, sondern hatten auch die Europäische Expansion über die gesamte bekannte Erde zur Folge.

Ende der Frühen Neuzeit

Das Ende der Epoche und der Beginn der Moderne wird in der Geschichtswissenschaft weitgehend übereinstimmend mit der Französischen Revolution ab 1789 angesetzt. Die französische Revolution war eine Folge der Aufklärung, die schon die Amerikanische Revolution von 1776 getragen hatte. Aufgrund der Ereignisse von 1789 brach das Ancien Régime zunächst in Frankreich und infolge der Revolutionskriege fast in ganz Europa zusammen. In Deutschland kam das vor allem durch die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806 zum Ausdruck. Trotz der Restauration der alten Regime nach der Niederlage Napoléon Bonapartes 1814/15 hatte sich Europa politisch grundlegend gewandelt. Der Historiker Reinhart Koselleck geht davon aus, dass darüber hinausgehend noch weitere Veränderungsprozesse von ungefähr 1750 bis 1850/70 stattfanden. Für diese Übergangszeit von der Frühen Neuzeit zur Moderne prägt er den Begriff der Sattelzeit.

Epochen innerhalb der Frühen Neuzeit

Je nach Betrachtungsweise kann die Frühe Neuzeit wiederum in folgende Zeitabschnitte unterteilt werden:

Siehe auch

Literatur

  • Richard van Dülmen: Die Entdeckung des Individuums. 1500–1800. Fischer, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-596-60122-3.
  • Richard van Dülmen: Gesellschaft der Frühen Neuzeit. Kulturelles Handeln und sozialer Prozess (= Kulturstudien. Bd. 28). Böhlau, Wien 1993, ISBN 3-205-98003-4.
  • Birgit Emich: Geschichte der Frühen Neuzeit studieren. UVK, Konstanz 2006, ISBN 3-8252-2709-X.
  • Robert von Friedeburg: Europa in der frühen Neuzeit, Fischer, Frankfurt am Main 2012.
  • Leonhard Horowski: Das Europa der Könige. Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2017, ISBN 978-3498028350.
  • Andreas Keller: Frühe Neuzeit. Das rhetorische Zeitalter. Akademie, Berlin 2008, ISBN 978-3-05-004399-9 (Literaturgeschichte, Rezension).
  • Thomas Maissen: Geschichte der Frühen Neuzeit. Beck, München 2013, ISBN 978-3-406-65472-5 (Bibliographische Hinweise.
  • Ilja Mieck: Europäische Geschichte der frühen Neuzeit. Eine Einführung. 6., verbesserte Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 1998, ISBN 3-17-015414-1.
  • Paul Münch: Lebensformen in der frühen Neuzeit. 1500–1800. Ullstein, Berlin 1998, ISBN 3-548-26520-0
  • Helmut Neuhaus (Hrsg.): Die Frühe Neuzeit als Epoche. Beiheft 49). Oldenbourg, München 2009, ISBN 978-3-486-59087-6
  • Olwen Hufton: The Prospect Before her: A History of Women in Western Europe: 1500-1800. London 1995
Übersetzung: Frauenleben: Eine europäische Geschichte. 1500-1800. Aus dem Englischen von Holger Fliessbach. Fischer, Frankfurt 1998.
  • Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415–2015. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-68718-1.
  • Wolfgang Reinhard (Hrsg.): Geschichte der Welt. Weltreiche und Weltmeere 1350–1750.
  • Heinz Schilling (Historiker)|Heinz Schilling: Die neue Zeit. Vom Christenheitseuropa zum Europa der Staaten, 1250 bis 1750. Siedler, Berlin 1999, ISBN 3-88680-440-2.
  • Karl Vocelka: Frühe Neuzeit 1500–1800. UVK, Konstanz 2013, ISBN 978-3-8252-2833-0.
  • Anette Völker-Rasor (Hrsg.): Frühe Neuzeit. Oldenbourg, München 2000, ISBN 3-486-56426-9.
  • Heide Wunder: Er ist die Sonn’, sie ist der Mond. Frauen in der frühen Neuzeit. Beck, München 1992, ISBN 3-406-36665-1 (Standardwerk zur Geschlechtergeschichte).

Weblinks


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