Adam Smith und Wilhelm von Humboldt: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Friedrich Wilhelm Christian Carl Ferdinand von Humboldt''' (* [[Wikipedia:22. Juni|22. Juni]] [[Wikipedia:1767|1767]] in [[Wikipedia:Potsdam|Potsdam]]; † [[Wikipedia:8. April|8. April]] [[Wikipedia:1835|1835]] in [[Wikipedia:Berlin-Tegel|Tegel]]) war ein preußischer Gelehrter, Schriftsteller und Staatsmann. Als Bildungsreformer initiierte er die Neuorganisation des Bildungswesens im Geiste des [[Neuhumanismus]] und betrieb die Gründung der [[Wikipedia:Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin|Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin]].


'''Adam Smith''' [{{IPA|smɪθ}}], [[Wikipedia:Royal Society of Arts|FRSA]] (getauft am {{JULGREGDATUM|16|6|1723|Link="true"}} in [[Wikipedia:Kirkcaldy|Kirkcaldy]], [[Wikipedia:Fife (Schottland)|Grafschaft Fife]], [[Schottland]]; † [[17. Juli]] [[1790]] in [[Edinburgh]]), war ein schottischer [[Ethik|Moralphilosoph]] und [[Aufklärung|Aufklärer]] und gilt als Begründer der [[Klassische Nationalökonomie|klassischen Nationalökonomie]].
Zusammen mit seinem Bruder [[Alexander von Humboldt]] zählt er zu den großen, fortwirkend einflussreichen Persönlichkeiten in der deutschen Kulturgeschichte. Während Alexander dabei vor allem der [[Geowissenschaften|erd-]] und [[naturwissenschaft]]lichen Forschung neue Horizonte erschlossen hat, lagen die Schwerpunkte für Wilhelm in der Beschäftigung mit [[kulturwissenschaft]]lichen Zusammenhängen wie der Bildungsproblematik, der [[Staatstheorie]], der analytischen Betrachtung von [[Sprache]], [[Literatur]] und [[Kunst]] sowie in aktiver politischer Mitgestaltung als Reformmotor im Schul- und Universitätswesen und als preußischer Diplomat.


== Leben ==
Inmitten aller Vielfalt der von [[Wikipedia:Aufklärung|aufklärerischen]] Impulsen bestimmten, gemeinwohlorientierten Betätigungen in Politik, Bildungswesen, Kultur und Wissenschaft hatte Wilhelm von Humboldt stets zugleich die Auslotung und Bildung der eigenen Individualität und Persönlichkeit im Blick. In der wiederum auf menschliche Individuen allgemein anzuwendenden Zielformel geht es um „die höchste und proportionierlichste Ausbildung aller menschlichen Kräfte zu einem Ganzen“.<ref>Zitiert nach Gall 2011, S. 10 f.</ref>
=== Herkunft ===
[[Datei:Adam Smith's mother.JPG|miniatur|Smiths Mutter Margret Douglas]]


Über Smiths Leben ist deutlich weniger bekannt als über sein Lebenswerk. Sein gleichnamiger Vater, ein Zollbeamter in [[Wikipedia:Kirkcaldy|Kirkcaldy]], starb vor seiner Geburt. Seine Mutter, Margret Douglas, war die Tochter eines reichen Landbesitzers. Adam Smith und seine Mutter bauten ein sehr inniges Verhältnis zueinander auf. Sie war es auch, die ihn in seiner späteren Ausbildung förderte. Adam Smith wurde am 16. Juni 1723 in Kirkcaldy getauft. Im Alter von vier Jahren soll Smith entführt worden sein. Jedoch hätten ihn die Entführer bei der Verfolgungsjagd verloren, so dass er nach kurzer Zeit wieder nach Hause gebracht werden konnte. Überliefert ist immerhin, dass er die Grundschule in Kirkcaldy absolvierte. Bekannt war hingegen, dass er schon in Jugendjahren stundenlang in Gedanken versunken vor sich hin ging und dies eines seiner „Markenzeichen“ blieb.<ref>Scottish Jests and Anecdotes: To which are Added, A Selection of Choice English and Irish Jests von [[Robert Chambers (Verleger, 1802)|Robert Chambers]], Verlag W. Tait, 1832, Seite 97</ref>
== Biographie ==
=== Herkunft und Jugend ===
[[Datei:Schmidt Wilhelm v Humboldt@Goethe-Museum Frankfurt a.M.20170819.jpg|mini|Wilhelm von Humboldt, porträtiert von [[Johann Heinrich Schmidt (Maler, 1749)|Johann Heinrich Schmidt]] 1784]]
[[Datei:Gedenkstein Kunth Berlin Tegel.JPG|mini|Gedenkstein für [[Gottlob Johann Christian Kunth]], Erzieher der Humboldt-Brüder]]


=== Studium ===
In der väterlichen Linie waren die Humboldt-Brüder Sprösslinge pommerscher Vorfahren aus dem Bürgertum. Ihr Großvater Hans Paul Humboldt wurde [[Hauptmann (Offizier)|Kapitän]] im [[Preußische Armee|preußischen Militär]] und wegen seiner Verdienste 1738 auf eigenes Ersuchen in den [[Adel]]sstand [[Nobilitierung|erhoben]].<ref name="MG">Maximilian Gritzner: ''Chronologische Matrikel der Brandenburgisch-Preußischen Standeserhöhungen und Gnadenacte von 1600–1873.'' Berlin 1874, S. 23.</ref> Dessen Sohn [[Alexander Georg von Humboldt]] (1720–1779) wurde nach seinem Ausscheiden aus dem Heeresdienst auf Geheiß [[Friedrich II. (Preußen)|Friedrichs des Großen]] [[Kammerherr]] bei der Gemahlin des Thronfolgers bis zum Scheitern dieser Ehe 1769. Bereits 1766 hatte Alexander Georg die vermögende Witwe [[Hugenotten|hugenottischer]] Herkunft [[Marie-Elisabeth von Humboldt|Elisabeth von Holwede]], geb. Colomb, geheiratet und war durch sie in den Besitz von [[Schloss Tegel]] gelangt. An der Ausbildung der Söhne Wilhelm und Alexander auf dem Tegeler Gut –&nbsp;winters in der Berliner Stadtwohnung, da das Schloss nur schwer beheizbar war&nbsp;– wurde nicht gespart.
Adam Smith studierte ab seinem 14. Lebensjahr von 1737 bis 1740 an der [[Universität Glasgow]] und besuchte Vorlesungen von [[Francis Hutcheson]], der ihn sowohl in seinen philosophischen als auch ökonomischen Überlegungen beeinflusste. Glasgow zeichnete sich zu dieser Zeit durch einen ökonomischen Aufschwung aus und diente Smith später auch als Objekt seiner ökonomischen Beobachtungen. Sein guter Abschluss im Jahr 1740 brachte ihm ein Stipendium, das ihm ein weiteres Studium ermöglichte.


Von 1740 bis 1746 studierte er [[Philosophie]] am [[Balliol College]] in Oxford. Sehr wohl fühlte er sich im damals recht beschaulichen Oxford allerdings nicht. Die Atmosphäre empfand er im Vergleich zu Glasgow als rückständig. Unter seinen Kommilitonen hatte er kaum Freunde. Zusätzlich zu den bereits bestehenden antischottischen Vorurteilen verschärfte der [[Jakobiten#Der Zweite Jakobitenaufstand (the Forty-Five)|Jakobitenaufstand]] 1745 die Situation. Immer wieder litt er an gesundheitlichen Problemen. So berichtet er in einem Brief an seine Mutter von „einem hartnäckigen [[Skorbut]] mit einem Zittern des Kopfes“.
Als Hauslehrer engagierten die Eltern unter anderem renommierte Persönlichkeiten wie [[Joachim Heinrich Campe]] und [[Johann Jacob Engel]], ab 1777 für mehr als zehn Jahre [[Gottlob Johann Christian Kunth]], der den Erziehungsplan koordinierte und den Unterricht der verschiedenen Fachlehrer beaufsichtigte. Kunth, der sich auch hinsichtlich der Gutsverwaltung eine Vertrauensstellung bei den Humboldts erworben hatte, wurde nach dem Tod seines Brotherrn 1779 zum unentbehrlichen Berater der erneut verwitweten Frau von Humboldt und dann auch zum Vermögensverwalter seiner Schützlinge. Wilhelm von Humboldt wiederum förderte später Kunths Aufstieg zum Mitarbeiter des [[Karl Freiherr vom Stein|Freiherrn vom Stein]] in der preußischen Reformära und erfüllte ihm nach seinem Tode 1829 den Wunsch, in der Nähe des Familiengrabs der Humboldts in Tegel beigesetzt zu werden.


=== Lehrtätigkeit ===
Schon als 13-Jähriger soll Wilhelm Griechisch, Latein und Französisch gesprochen haben und mit wichtigen Autoren der jeweiligen Literatur vertraut gewesen sein. Sein enormer Studienfleiß weckte nicht selten Besorgnis bei ihm Nahestehenden. Ab 1785 verkehrten die Humboldt-Brüder in Kreisen der [[Berliner Aufklärung]]. In Vorbereitung auf die Universitätsstudien nahmen die Brüder auf Vermittlung Kunths an Privatvorlesungen beispielsweise in Nationalökonomie und Statistik, [[Naturrecht]] und [[Philosophie]] teil. Im Zusammenhang damit gelangten sie auch in das Haus des vielseitig interessierten Arztes [[Marcus Herz]], der als Anhänger [[Immanuel Kant]]s philosophische und physikalische Vorlesungen hielt, sowie in den [[Literarischer Salon|Salon]] seiner Frau [[Henriette Herz]], zu der Wilhelm zeitweise eine schwärmerische Zuneigung fasste. Dort lernten die Brüder unter anderem [[Moses Mendelssohn]] kennen, studierten gemeinsam die Schriften Kants und diskutieren über die Frage: Was ist [[Aufklärung]]? In den folgenden Jahren erhielten sie Privatunterricht von [[Christian Wilhelm von Dohm]] über den Welthandel. Wilhelm lernte von [[Ernst Ferdinand Klein]] die Grundzüge des Naturrechts und bei [[Johann Jakob Engel]] Begriffs- und Urteilslogik. Auch in die Schriften von [[John Locke]] und [[David Hume]] wurde er von Engel eingeführt.<ref>Manfred Geyer:''Aufklärung. Das europäische Projekt.'' Reinbek b. Hamburg 2012. S. 338 ff.</ref>
1746 kehrte Smith nach Kirkcaldy zurück. Er bemühte sich um eine Anstellung, fand aber keine geeignete. Aufgrund der guten Beziehungen der Familie mütterlicherseits und der Fürsprache des Juristen und Philosophen [[Henry Home Kames|Lord Kames]] erhielt er schließlich 1748/49 die Möglichkeit, eine Serie öffentlicher Vorlesungen in Edinburgh zu halten, was damals als Voraussetzung für eine Tätigkeit als Universitätsdozent galt. Seine Themen waren umfassend: von englischer Literatur und Rhetorik über Philosophie bis zu Jurisprudenz. In akademischen Kreisen konnte Smith eine große Anhängerschaft gewinnen. Seine Zeitgenossen berichten über riesigen Andrang der Studierenden, obwohl diese Vorträge nicht zum offiziellen Lehrprogramm gehörten. Über den Inhalt der Vorlesungen ist kaum etwas überliefert, sie konnten nur über Mitschriften der Studenten rekonstruiert werden.


Im Jahre 1751 (andere Quelle: 1750) wurde er im Alter von nur 27 Jahren Professor für [[Logik]] an der Universität Glasgow und 1752 Professor für [[Moralphilosophie]]. Somit übernahm er Hutchesons Lehrstuhl und wurde besser bezahlt. Die Moralphilosophie deckte ein weites Spektrum von [[Theologie]] über [[politische Ökonomie]] bis hin zu Ethik ab, wobei Smiths Unterrichtsniveau als hoch eingestuft wurde. Seine Studenten waren 14 bis 16 Jahre alt. Unterrichtssprache war [[Latein]], Smith unterrichtete bald jedoch als einer der Ersten auf [[Englische Sprache|Englisch]].
Als Mitglied in ihrem „Bund der Freunde“, einem von vielen damals existierenden Tugendbünden, zu dem sowohl eine Satzung als auch eine Geheimschrift gehörte, kam Wilhelm späterhin in Kontakt mit [[Caroline von Humboldt|Caroline von Dacheröden]], die dem Bund als auswärtiges Mitglied gleichfalls angehörte.


In dieser Zeit entstand seine Freundschaft mit dem Philosophen [[David Hume]].
Das Ziel der anspruchsvollen Ausbildung ihrer Söhne lag für die Mutter darin, sie für einflussreiche Staatsämter zu qualifizieren. Wilhelm war für ein Studium der Rechtswissenschaften vorgesehen, Alexander für Staatswirtschaftslehre, die als [[Kameralia]] firmierten. Noch unter Kunths Obhut begannen die Brüder ihr jeweiliges Studium an der [[Brandenburgische Universität Frankfurt|Brandenburgischen Universität Frankfurt]], die Wilhelm aber nach einem Semester verließ, um sich im Frühjahr 1788 an der [[Georg-August-Universität Göttingen]] zu immatrikulieren.


Sein erstes großes Werk, ''[[Theorie der ethischen Gefühle]]'' (1759, engl. „The Theory of Moral Sentiments“), wurde zu einem Erfolg und machte ihn rasch bekannt. Es befasste sich mit der menschlichen Natur und ihrem Verhältnis zur [[Gesellschaft (Soziologie)|Gesellschaft]]. Nicht eine höhere Instanz, sondern der Mensch selbst setze sich seine Schranken. Der [[Aufklärer (Zeitalter der Aufklärung)|Aufklärer]] Smith hatte demnach ein eher positives Bild vom menschlichen Verhalten und akzeptiert nicht das etwas rohe Weltbild, das sich z.&nbsp;B. in [[Thomas Hobbes]]’ ''[[Leviathan (Thomas Hobbes)|Leviathan]]'' manifestiert. Nach [[Mario Vargas Llosa]] erklärt Smith die „Sympathie“ als natürliches Gefühl für Zusammengehörigkeit und ''„wie sich zwischenmenschliche Beziehungen bilden, die es erlauben, dass eine Gesellschaft funktioniert, statt auseinanderzubrechen oder zu implodieren“''<ref>[[Mario Vargas Llosa]]: Die Ablenkungen des Herrn Smith – Der schottische Nationalökonom Adam Smith hat besser erklärt als alle, warum gewisse Länder vorankommen und andere zurückfallen. Und wo die Grenze zwischen der Zivilisation und der Barbarei wirklich liegt (Header) [[Schweiz am Wochenende]], 8. April 2017, Seite 20 </ref>
=== Bildungsreisen, Eheschließung und Umgang mit den Weimarer Klassikern (1788–1797) ===


=== Bildungsreise ===
In Göttingen löste sich Humboldt aus den vorgegebenen Bahnen und folgte fortan eigenen Impulsen, Interessen und Einsichten. Im Studium widmete er sich weniger der Jurisprudenz und mehr der Philosophie, der Geschichte und den alten Sprachen. Dabei besuchte er auch Veranstaltungen von Kapazitäten wie dem [[Experimentalphysik]]er [[Georg Christoph Lichtenberg|Lichtenberg]] und dem klassischen Philologen [[Christian Gottlob Heyne|Heyne]]. Zudem befasste er sich unter anderem mit Naturgeschichte und setzte sich intensiv mit Kants Schriften auseinander.<ref>Manfred Geyer:''Aufklärung. Das europäische Projekt.'' Reinbek b. Hamburg 2012. S. 338, 342; Gall 2011, S. 29, 31.</ref>
1763 legte er seine Professur nieder und nahm den finanziell lukrativen Posten des [[Tutor]]s des jungen [[Henry Scott, 3rd Duke of Buccleuch]] an. Dieser war Stiefsohn von [[Charles Townshend (Politiker)|Charles Townshend]], der von Smith sehr beeindruckt war, und wurde von Smith von Anfang 1764 bis Ende 1766<!-- ANDERE QUELLE: 1765 --> bei dessen Bildungsreise auf dem europäischen Kontinent (Frankreich, Schweiz) begleitet. Diese dreijährige Tätigkeit brachte Smith eine lebenslange Rente von 300 [[Pfund Sterling]] jährlich ein.


Während des ersten Teils dieser Reise verbrachte er zusammen mit seinem Schützling ein ganzes Jahr in [[Toulouse]], wo es eine große englische Kolonie gab. Da er Französisch noch nicht gut beherrschte, gelang es ihm nicht, in der französischen Gesellschaft dieser damals sehr bedeutenden Stadt Fuß zu fassen und er hatte viel Muße. Er begann deshalb im Jahr 1764 ein Buch zu schreiben ''([[Der Wohlstand der Nationen]]).''
1788 war auch das Jahr, in dem er [[Caroline von Humboldt|Caroline von Dacheröden]] kennenlernte, die er 1791 in Erfurt heiratete. Mit ihrem überlieferten Briefwechsel, für den ein von beiden Eheleuten gepflegter Ton wechselseitiger Idealisierung bezeichnend ist, schufen Caroline und Wilhelm von Humboldt ein Orientierungsmuster des Geschlechterverhältnisses für das deutsche Bürgertum im 19. und noch im 20. Jahrhundert. Dabei führten beide eine „offene Ehe“. Humboldts Konzept der optimalen individuellen Entfaltung schloss den Anspruch ein, die eigene Sexualität mit wechselnden Partnerinnen auch aus dem käuflichen Milieu ausleben zu können. Bekannt ist sein Verhältnis mit Johanna Motherby, Gattin des Arztes [[William Motherby]], in [[Königsberg (Preußen)|Königsberg]]. Carolines mehrjähriger Hausfreund in Jena und auf Reisen war [[Wilhelm Friedrich Theodor von Burgsdorff|Wilhelm von Burgsdorff]] (1772–1822).<ref>Berglar 1970, S. 39 f.; Gall 2011, S. 32–37, 51, 87 f.</ref>


Weitere Stationen der Reise waren Besuche bei [[Voltaire]] in Genf und Paris, wo ihn sein alter Freund David Hume, der damals Attaché in der britischen Botschaft war, in die Pariser Salons einführte. Aus dieser Zeit stammte seine persönliche Bekanntschaft mit den [[Nationalökonomie|Nationalökonomen]] [[Anne Robert Jacques Turgot, baron de l’Aulne|Turgot]] und [[François Quesnay]], den führenden Köpfen des [[Physiokratismus]]. Diese Bekanntschaft stellte sicherlich ein Schlüsselerlebnis für seine volkswirtschaftlichen Studien dar.
Von seinem Studienort Göttingen aus unternahm Humboldt noch gegen Ende des Jahres 1788 eine Reise über Kassel, Marburg und Gießen in die Rhein/Main-Gegend, bei der er u. a. einige Tage in Mainz mit dem Weltumsegler [[Georg Forster]] und seiner Frau [[Therese Forster|Therese]] verbrachte und auf Gut [[Pempelfort]] mit dem streitbaren [[Sensualismus|sensualistischen]] Philosophen [[Friedrich Heinrich Jacobi]] in eine anhaltende Verbindung trat. Im Sommer 1789 brach er zu einer weiteren Reise auf, die ihn gemeinsam mit seinem vormaligen Lehrer Campe am 3. August in das [[Französische Revolution|revolutionäre Paris]] führte. Tags darauf wurde per Dekret der [[Konstituante|Verfassunggebenden Nationalversammlung]] das Feudalsystem abgeschafft. Humboldt besuchte sowohl eine Sitzung der neuen Volksvertretung als auch die kürzlich vom Volk gestürmte [[Bastille]], wobei er sich anders als der von der Revolutionsbegeisterung mitgerissene Campe eher als nüchterner Beobachter gab. Jenseits des Revolutionsgeschehens interessierte er sich einerseits für Kunst und Architektur, andererseits auch für Spitäler, Gefängnisse und für die Lage der Pariser Waisenkinder, die er in einem [[Findelhaus]] aufsuchte. In seinen Notizen heißt es:
Die Reise musste 1766 abrupt abgebrochen werden, da der jüngere Bruder des Herzogs, der an dieser Reise teilnahm, plötzlich erkrankte und kurz darauf starb.<ref>Reinhard Blomert: ''Adam Smiths Reise nach Frankreich''. Die Andere Bibliothek, 2012</ref>
{{Zitat|Alle Laster entspringen beinah aus dem Mißverhältnis der Armut gegen den Reichtum. In einem Lande, worin durchaus ein allgemeiner Wohlstand herrschte, würde es wenig oder gar keine Verbrechen geben. Darum ist kein Teil der Staatsverwaltung so wichtig als der, welcher für die physischen Bedürfnisse der Untertanen sorgt.|ref=<ref>Zitiert nach Scurla 1984, S. 59.</ref>}}


=== Letzte Jahre ===
Nach der Abreise von Paris Ende August setzte Humboldt die Reise noch bis zum November des Jahres mit einem längeren Aufenthalt in der Schweiz fort. Als Folge seiner Reiseerfahrungen kann ein Bedürfnis nach regelmäßigem Wechsel seiner äußeren Umwelt angenommen werden, nach Wohnortwechseln über Ländergrenzen hinweg.<ref>Gall 2011, S. 52.</ref> Humboldt selbst äußerte später: „Der Grundsatz, daß man in vielen Lagen aller Art gewesen sein müsse, ist so fest in mir, daß mir jede, in der ich noch nicht war, schon darum angenehm ist.“<ref>Zitiert nach Scurla 1984, S. 63.</ref>
[[Datei:Adam Smith Grave.JPG|miniatur|Smiths Grab auf dem Canongate Kirkyard in Edinburgh]]
Nach seiner Rückkehr nach Großbritannien erschien ''[[Der Wohlstand der Nationen]]'' (1776) und wurde zu einem überwältigenden Erfolg. Schon bald folgten Übersetzungen etwa ins Deutsche. Smith beschreibt erneut die Auswirkungen von Eigeninteresse auf die Gesellschaft. Der Mensch neige zu [[Handel]] und [[Tausch]] und möchte seine Lebenssituation verbessern. [[Reichtum]] ergebe sich durch menschliche [[Arbeit (Philosophie)|Arbeit]]. Smith beschreibt die Bedeutung der [[Arbeitsteilung]] und [[Spezialisierung]] für den Wohlstand.


Smith verbrachte die meiste Zeit der nächsten elf Jahre in seiner Geburtsstadt Kirkcaldy. Mit seiner im Jahre 1778 erfolgten Berufung zum Zollkommissar von Schottland zog er in das benachbarte [[Edinburgh]]. Im Kampf gegen militante Tee- und Branntweinschmuggler war Smith als Zollkommissar rigoros. In Briefen ist überliefert, wie er das Militär zu Hilfe rief und zusammen mit seinen Kollegen an der Küste alte Schiffsrümpfe als Truppenstützpunkte einrichten ließ. Innerhalb von zwei Jahren gelang ihm die Sanierung des schwer maroden schottischen Geldwesens. In dieser Zeit entstanden seine Freundschaften zu dem [[Chemie|Chemiker]] [[Joseph Black]] und dem Naturforscher und [[Geologie|Geologen]] [[James Hutton]].
Über die Weihnachtstage 1789 hielt sich Wilhelm von Humboldt mit seiner Verlobten in Weimar auf und hatte dort erste Begegnungen mit [[Friedrich Schiller]] und [[Johann Wolfgang von Goethe]]. Anfang 1790 trat er nach Beendigung des viersemestrigen Studiums in den Staatsdienst und erhielt eine Anstellung im Justizdepartement, wo er für die Richterlaufbahn ausgebildet wurde, zugleich aber die Zusatzqualifikation für den diplomatischen Dienst erwarb. Schon im Mai 1791 suchte er mit Hinweis auf Familienumstände um seine Entlassung nach, sei es, dass ihm die Ausübung des Richteramts unter dem Eindruck gegenaufklärerischer Tendenzen im preußischen Staatswesen zuwider war,<ref>Gall 2011, S. 31.</ref> sei es, dass seine anderweitig entwickelten Neigungen den Ausschlag gaben oder dass er die Anstellung nur betrieben hatte, um vor seiner Mutter und vor seinem Schwiegervater in spe, dem Kammerpräsidenten [[Karl Friedrich von Dacheröden|von Dacheröden]], zu bestehen.<ref>Ausführliche Erwägungen bei Scurla 1984, S. 73–85.</ref>


Den Siegeszug der [[Dampfmaschine]] des befreundeten Erfinders [[James Watt]] erlebte Smith nicht mehr, er starb 1790. Nach seinem Tod wurden auf Smiths testamentarischen Wunsch hin zahlreiche private Aufzeichnungen vernichtet.
Nach der Hochzeit in Erfurt am 29. Juni 1791 lebte das junge Paar während der darauffolgenden zweieinhalb Jahre auf den Dacheröden’schen Gütern in Thüringen, wo Humboldt nun mit Caroline seine Studien der altgriechischen Sprache, Kultur, Kunst und Philosophie fortsetzte und in regem Gedankenaustausch mit dem Hallenser Altphilologen [[Friedrich August Wolf]] vertiefte. Die Beschäftigung mit der [[Antike]] diente ihm zu dem Zweck {{"|der philosophischen Kenntnis des Menschen überhaupt}}. Den griechischen Geist begriff er {{"|als Ideal desselben, was wir selbst sein und hervorbringen möchten}}. 1793 entstand die Schrift ''Über das Studium des Altertums und des Griechischen insbesondere'', die seinen betonten [[Philhellenismus]] zeigt, gegen dessen Alleingültigkeitsanspruch selbst Schiller Vorbehalte hatte.<ref>Berglar 1970, S. 44–48.</ref>


Smith muss dem Bild des „zerstreuten Professors“ entsprochen haben. Es existiert eine Vielzahl von Anekdoten, die beschreiben, wie er eine vorwiegend geistige Existenz führte. So soll er zeitlebens Selbstgespräche geführt haben und auch einmal im Morgenrock auf der Straße angetroffen worden sein. Aufgrund seiner ökonomisch-kritischen Ansichten kann jedoch ebenfalls angemerkt werden, dass sich Smith nicht bloß Freunde unter den Unternehmern gemacht haben dürfte, die möglicherweise den nötigen Einfluss besaßen, mithilfe von Verfälschung ein skurriles Abbild seiner Persönlichkeit, über die ohnehin sehr wenig überliefert wurde, zu schaffen um seine Thesen in Frage stellen zu können. Andererseits soll Smith überaus höflich gewesen sein. Sein Freund David Hume beschrieb ihn in einem Brief: „Sie werden in ihm einen wahrhaft verdienstvollen Mann finden, wenngleich seine sesshafte, zurückgezogene Lebensweise sein Auftreten und Erscheinungsbild als Mann von Welt getrübt hat.“<ref>[http://minahasato.wordpress.com/2011/09/27/7-gebot-der-entwicklungspolitik/ ''7. Gebot der Entwicklungspolitik.'']</ref> Smith machte mehrere Heiratsanträge, die jedoch alle abgelehnt wurden. Er baute eine ansehnliche Privatbibliothek auf.
[[Datei:Weimarer Klassik.jpg|mini|Wilhelm (2. v. l.) mit Schiller, seinem Bruder Alexander und Goethe in [[Jena]]]]
Mit seiner für die geistesgeschichtliche Epoche des [[Neuhumanismus]] charakteristischen Hochschätzung des [[Philosophie der Antike|antiken Griechentums]] und mit seiner weitreichenden Kenntnis zeigte sich Humboldt bereits als „‚Juniorpartner‘ der deutschen Klassik“,<ref>Berglar 1970, S. 42.</ref> als er im Februar 1794 mit der jungen Familie an Schillers damalige Wirkungsstätte nach [[Jena]] umzog. Die Rolle, die er fortan zunächst Schiller, dann auch Goethe gegenüber spielte, war die des scharfen Analytikers, konstruktiven Kritikers und versierten Ratgebers, der unter anderem auf Schillers Balladen und sein Wallenstein-Drama ebenso kunstverständig einging wie auf Goethes ''Herrmann und Dorothea''.


== Werk ==
Über Humboldts idealisierendes Bekenntnis zum antiken Griechenland und seinen nachfolgenden Einfluss auf das deutsche Bildungswesen urteilt [[Peter Berglar]]: „Obwohl Humboldt sich an Tiefe nicht mit Goethe, an Dynamik nicht mit Schiller und an Schöpferkraft mit beiden nicht von Ferne messen konnte, hat doch gerade er vielleicht den stärksten, sicher aber den längsten Einfluß auf die deutsche Entwicklung genommen.“<ref>Berglar 1970, S. 42.</ref> Bis April 1797 währte das enge Miteinander Humboldts mit Schiller in Jena, länger unterbrochen durch Reisen und Aufenthalte Wilhelms in Berlin und Tegel von Mitte 1795 bis zum Tod Elisabeths von Humboldt im November 1796, deren Vermögen auf die Söhne überging und diese materiell unabhängig machte. Während Wilhelm Schloss Tegel übernahm, kam Alexander nun zu dem Kapital, mit dem er seine amerikanische Forschungsreise finanzierte.
=== Ökonomie ===
[[Datei:Wealth of Nations.jpg|miniatur|Die erste Seite seines Hauptwerks ''An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations'']]


Smiths Wirkung in der Ökonomie war erstaunlich. Seine Themen waren die Rolle der [[Arbeitsteilung]] und die Rolle des [[Freier Markt|freien Marktes]], die Fragen der [[Verteilungstheorie|Verteilung]], des [[Außenhandelstheorie|Außenhandels]] und die [[Staatstheorie|Rolle des Staates]].
=== Privatier in Paris und Preußens Gesandter in Rom (1797–1808) ===


Smiths Vorlesungen in Moralphilosophie bildeten 1759 die Grundlage für die Veröffentlichung seines philosophischen Hauptwerkes ''[[Die Theorie der ethischen Gefühle]]''. Darin bezeichnet er die [[Sympathie]] für die Mitmenschen als Grundlage der Moral und als Triebfeder der menschlichen [[Arbeit (Philosophie)|Arbeit]].
Als Humboldt an Silvester 1797 in seinem Tagebuch zurückblickte, erschien ihm die Periode von Mitte 1795 bis zum gerade zurückliegenden Spätherbst als die schlimmste seines bisherigen Lebens.<ref>Scurla 1984, S. 198.</ref> Daran hatten nicht nur Erfahrungen von Krankheit und Tod im engsten Umfeld Anteil. Der intensive Ideenaustausch mit Schiller und die zunehmende Nähe auch zu Goethe hatten Humboldt einerseits fasziniert, ihn andererseits aber auch an Grenzen und zu Selbstzweifeln geführt. Als er mit seinem Vorhaben, die Entwicklung des menschlichen Geistes umfassend darzustellen, in Ansätzen stecken blieb, klagte er Schiller gegenüber, es fehle ihm an „der Kraft, die ihren Gegenstand mit Leidenschaft angreift, die von ihm fortgerissen wird und dauernd an ihm festhängt – an Genie.“ Schiller führte das in seiner Erwiderung auf ein für Humboldt charakteristisches „Übergewicht des urteilenden Vermögens über das frei bildende“ bzw. über die Erfindung zurück: „Ihr Subject wird Ihnen zu schnell Object und doch muss alles auch im wissenschaftlichen nur durch das subjective Wirken verrichtet werden.“<ref>Gall 2011, S. 83.</ref>


1776 erschien die erste Ausgabe seines berühmten ökonomischen Hauptwerks ''[[Wohlstand der Nationen|Wohlstand der Nationen – Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen]]'' (Originaltitel: ''An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations''), an dem er seit seiner Frankreichreise gearbeitet hatte. Das Erscheinen dieses Buches wird als Geburtsstunde der englischen Nationalökonomie angesehen, da die vor Smith publizierten ökonomischen Schriften nicht als wissenschaftlich galten, weil sie aus der Perspektive des Staates (kameralistisch) oder bestimmter Wirtschaftsteilnehmer (z.&nbsp;B. Handbücher für Kaufleute) geschrieben waren. Zwischen den beiden Werken wird von einigen Ökonomen ein Widerspruch gesehen, der als [[Adam-Smith-Problem]] in der ökonomischen Fachliteratur thematisiert wird.
Humboldt suchte in der Folge neue geeignete Felder für die Entfaltung und Vervollkommnung seiner Anlagen. Da durch [[Napoléon Bonaparte|Napoleons]] Italien-Feldzug das bevorzugte Reisewunschziel aus Sicherheitsgründen vorerst entfiel, zog er mit seiner Familie für vier Jahre in das noch immer von der Revolution bewegte, aber für auswärtige Besucher wieder aufgeschlossene Paris. Dort machte Humboldt eine Reihe intensiver und anregender Bekanntschaften, wie beispielsweise die des Abbé [[Sieyès]], von [[Anne Louise Germaine de Staël|Mme. de Staël]] und des Revolutionsmalers [[Jacques-Louis David|David]]. Wieder ging es um die Erweiterung des eigenen geistigen Horizonts im Gespräch mit führenden Köpfen der Zeit, „immer geleitet von dem Bestreben, in ihre jeweilige Welt einzudringen und von der Begegnung mit ihr zu profitieren.“<ref>Gall 2011, S. 89.</ref> Von Paris aus unternahm er 1799 mit Caroline, drei Kindern und diversen Bedienten sowie 1801 ohne die Familie zwei längere Reisen nach Spanien, die sich langfristig vor allem hinsichtlich der sprachwissenschaftlichen Studien des [[Baskische Sprache|Baskischen]] für ihn als ertragreich erwiesen.


In ''Wohlstand der Nationen'' bezeichnet er die [[Arbeit (Volkswirtschaftslehre)|Arbeit]] (lateinisch ''industria'', englisch ''industry'', daher die Benennung des smithschen Systems als ''Industriesystem'') als Quelle und Maßstab des Wertes von Gütern. Damit begann die Ablösung von der Natur als wichtigste Ressource für die Güterproduktion, denn für die [[Physiokratie|Physiokraten]] war noch die Natur die einzige Quelle des Wertes. Im Gegensatz zur Anschauung der [[Merkantilismus|Merkantilisten]] und Physiokraten ist ihm jede nützliche Arbeit produktiv (nicht darunter fällt daher bei Smith etwa die Arbeit einer Opernsängerin oder eines Schriftstellers). Mit den französischen Physiokraten bezeichnet er den nicht durch strenge Staatseingriffe gehinderten freien [[Wettbewerb (Wirtschaft)|Wettbewerb]] als Grundlage einer zu gesellschaftlichem Reichtum führenden Arbeitsteilung. Der freie innere und internationale Verkehr bewirkt nach Smith nicht allein eine zweckmäßige örtliche und zeitliche Verteilung von Kräften und Mitteln sowie den Ausgleich von [[Preis (Wirtschaft)|Preisen]] und [[Gewinn]]en, sondern auch die beste Förderung des Gemeinwohls. Dass er zugleich nicht nur als Zollkommissar wirksam arbeitete, sondern auch für die strengste Beschränkung des Außenhandels durch die englische Navigationsakte plädierte, war für ihn kein Widerspruch, da er der Landesverteidigung eine höhere Priorität als Reichtum einräumte. Unter Handelsfreiheit verstand er nicht ein Prinzip, das stets und unabhängig von realen wirtschaftlichen Entwicklungen gelten sollte, sondern auch unter den gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Situationen. So befürwortete Smith z.B. auch dieselbe Besteuerung für die aus dem Ausland eingeführten Handelswaren, welche auch die heimische Produktion in gleichem Maße belastet. Im Buch befasste er sich erstmals auch mit Fragen der [[Wechselkursparität]], die für ihn mit dem Schuldengleichstand zwischen zwei Staaten zusammenhing.  
[[Datei:Thorvaldsen, Wilhelm von Humboldt, 1808.jpg|mini|hochkant|Wilhelm von Humboldt, Porträtstatue von Bertel Thorvaldsen, 1808]]
Im Sommer 1801 kehrte Humboldt mit Frau und Kindern für gut ein Jahr nach Tegel zurück. Im folgenden Frühjahr eröffnete sich für ihn die Chance, auf bequeme und einträgliche Weise nach Italien zu kommen: als preußischer [[Gesandter]] beim Heiligen Stuhl in Rom. Nun zahlte sich aus, dass er während seiner Anstellung im Justizbereich zugleich eine Qualifikation für den diplomatischen Dienst und den Titel des [[Legationsrat]]s erworben hatte. Als Mann von Welt aus dem Adelsstand empfahl er sich für diesen Posten, der möglichen Konkurrenten als eher unattraktiv galt, nachdem der Kirchenstaat unter französischer Vorherrschaft zusammengeschrumpft und der [[Pius VII.|Papst]] von Napoleons Gnaden abhängig war. Mit der Aufgabe der konsularischen Vertretung preußischer Untertanen in Rom war Humboldt zeitlich nicht gefordert, so dass er genug Gelegenheit hatte, sein repräsentatives Haus, den Palazzo Tomati nahe der [[Spanische Treppe|Spanischen Treppe]], gemeinsam mit Caroline zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt Roms zu machen. Hier verkehrten neben Kurienangehörigen als Gäste beispielsweise [[Lucien Bonaparte]], noch als Kronprinz der spätere [[Ludwig I. (Bayern)|Ludwig&nbsp;I. von Bayern]], die Bildhauer [[Bertel Thorvaldsen]] und [[Christian Daniel Rauch]] sowie der junge [[Karl Friedrich Schinkel]], [[Carl Ludwig Fernow]], [[Friedrich Tieck]] und [[August Wilhelm Schlegel]] in Begleitung der Frau von Staël.


Smith galt deshalb als Begründer der Ökonomie als [[Wissenschaft]], weil er einen gesamtgesellschaftlichen Standpunkt damit verband. Die Ökonomie gehörte zu seinen Lehraufgaben als Moralphilosoph. Eine der aristotelischen Kernfragen der philosophischen [[Ethik]], der sich Smith als Moralphilosoph widmete, lautet: „Was ist bedeutsamer: das allgemeine, gesellschaftliche [[Glück]] oder das persönliche, individuelle Glück?“. Smith bearbeitete sie im ''Wohlstand der Nationen'' mithilfe empirischer Schlussfolgerungen. Seine Folgerung: Das allgemeine, gesellschaftliche Glück werde maximiert, indem jedes [[Individuum]] im Rahmen seiner gesellschaftlichen Grenzen versucht, sein persönliches Glück zu erhöhen. Diese gesellschaftlichen Grenzen sind das, was er den "inneren Richter" nannte, der jede Handlung darauf befragt, ob sie gesellschaftlich anerkannt und legitimierbar ist. Smith nimmt damit das spätere Über-Ich von Freud vorweg, das dann bei Norbert Elias sozialhistorisch erklärt und beschrieben wurde (Norbert Elias, "Über den Prozess der Zivilisation", 2 Bde, Suhrkamp Verlag FFm). Durch die [[unsichtbare Hand]], die über das Marktgeschehen den gesellschaftlichen Reichtum erhöht, werde gleichzeitig auch das allgemeine, gesellschaftliche Glück erhöht - wenn auch mehr oder weniger nur zufällig. Denn die Verteilung der Güter über den Markt macht nicht alle gleich reich, die Diener und Tagelöhner aber können vom Reichtum der Grundbesitzer und Fabrikanten profitieren, weil auch die Reichen nicht mehr essen können, als ihr Magen fasst. Die Verallgemeinerung der Vorstellung des Marktes zu einem universalen Leitprinzip kann sich daher nicht auf Adam Smith berufen und ist bis heute umstritten.
Die Faszination, die Rom auf Wilhelm von Humboldt ausübte und die sein sechsjähriges Wirken als preußischer Gesandter dort begründete, erschließt sein Brief vom 23. August 1804 an Goethe:
{{Zitat|Rom ist der Ort, in dem sich für unsere Ansicht das ganze Altertum zusammenzieht [] Es ist allerdings also das meiste an diesem Eindruck subjektiv, aber es ist nicht bloß der empfindelnde Gedanke, zu stehen, wo jener oder dieser große Mann stand. Es ist ein gewaltsames Hinreißen in eine von uns nun einmal, sei es durch notwendige Täuschung, als edler und erhabener angesehene Vergangenheit, eine Gewalt, der selbst, wer wollte, nicht widerstehen kann, weil die Öde, in der die jetzigen Bewohner das Land lassen, und die unglaubliche Masse der Trümmer selbst das Auge dahin führen […] Aber es ist auch nur eine Täuschung, wenn wir selbst Bewohner Athens oder Roms zu sein wünschten. Nur aus der Ferne, nur von allem Gemeinen getrennt, nur als vergangen muß das Altertum uns erscheinen.|ref=<ref>Zitiert nach Scurla 1984, S. 256.</ref>}}


Smith beginnt das erste Kapitel von ''Wohlstand der Nationen'' mit einer Untersuchung der Arbeitsteilung, die nach seiner Auffassung von zentraler Bedeutung für wachsenden Wohlstand ist: „Die Arbeitsteilung dürfte die produktiven Kräfte der Arbeit mehr als alles andere fördern und verbessern“ (WN, Kap. 1). Die Wirkung der Arbeitsteilung zeigt er am Beispiel der Stecknadelproduktion auf - ein Beispiel, das er der französischen Encyclopédie entnommen hat. Wenn nicht die Arbeitsteilung aus der Stecknadelproduktion ein eigenständiges Gewerbe mit speziellen Maschinen gemacht hätte, könnte ein nicht speziell in diesem Handwerk ausgebildeter Arbeiter „sicherlich keine zwanzig Nadeln und vielleicht nicht einmal eine Nadel am Tag herstellen“. Hingegen stellen in einer kleinen spezialisierten Manufaktur zehn Arbeiter täglich etwa 48000 Stecknadeln und somit jeder Arbeiter 4800 Stecknadeln her. „Und dieses ungeheure Anwachsen der Produktion in allen Gewerben, als Folge der Arbeitsteilung, führt in einem gut regierten Staat zu allgemeinem Wohlstand, der selbst in den untersten Schichten der Bevölkerung spürbar wird“ (WN, Kap. 1).
Im Sommer 1805 besuchte der von seiner Amerika-Expedition zurückgekehrte und schon damals als „zweiter Kolumbus“ gefeierte Alexander von Humboldt für mehr als drei Monate den Bruder und die Schwägerin in Rom, bevor er sich in Paris an die umfassende wissenschaftliche Auswertung des gesammelten Forschungsmaterials machte. Dies darf als Zeichen einer intensiven Kommunikation und herzlichen Verbundenheit der mitunter in starken Kontrast zueinander gesetzten Brüder genommen werden. Ihr Verhältnis und komplementäres Wirken wird gelegentlich mit dem Bild von den „preußischen [[Dioskuren]]“ wiedergegeben.


Arbeitsteilung entwickelte sich aufgrund der angeborenen Neigung des Menschen zum Tausch: „Wie das Verhandeln, Tauschen und Kaufen das Mittel ist, uns gegenseitig mit fast allen nützlichen Diensten, die wir brauchen, zu versorgen, so gibt die Neigung zum Tausch letztlich auch den Anstoß zur Arbeitsteilung.“ Nur der Mensch hat nach Adam Smiths Beobachtung die natürliche Neigung zum Tausch: „Jene Eigenschaft ist allen Menschen gemeinsam, und man findet sie nirgends in der Tierwelt, …. Niemand hat je erlebt, dass ein Hund mit einem anderen einen Knochen redlich und mit Bedacht gegen einen anderen Knochen ausgetauscht hätte …“ (WN, Kap. 2).
Die Liquidierung des [[Heiliges Römisches Reich|Heiligen Römischen Reiches]], den Zusammenbruch Preußens nach der [[Schlacht bei Jena und Auerstedt|Niederlage bei Jena und Auerstedt]] sowie die französische Besetzung Berlins 1806 verfolgte Humboldt von seinem Posten in Rom. An Staatsminister [[Karl August Fürst von Hardenberg]], der auch die Geschäfte des Außenministers ausübte, schrieb er im Herbst 1806: „Ich war niemals ehrgeizig oder interessiert und zufrieden mit dem Posten in dem Lande, das ich bewohne und das ich liebe und habe weder gesucht noch gewünscht, in eine andere Lage zu kommen, aber jetzt ist es mir peinlich, hier müßig zu sein und nichts für das bedrängte Vaterland tun zu können.“<ref>Zitiert nach Scurla 1984, S. 266.</ref> Anderweitige Verwendung hatte man aber in Berlin offenbar nicht für ihn, und so blieb er noch bis zum Oktober 1808 in Rom.


Populär ist der oft mit Adam Smith in Verbindung gebrachte Begriff der ''[[Unsichtbare Hand|unsichtbaren Hand]]''. Smith verwendet diese seinen Zeitgenossen geläufige Metapher im ''Wohlstand der Nationen'' nur an einer Stelle, und zwar in einem Kapitel über Handelsbeschränkungen. Er zeigt dort, dass der Einzelne gerade dadurch, dass er aus Eigennutz seine Produktivität und Erträge steigern will, das Interesse der Gesellschaft stärker fördert, als wenn er dieses Interesse direkt hätte fördern wollen: „Er wird in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, um einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat“ (viertes Buch, Kap. 2).<ref>Adam Smith: ''Über den Wohlstand der Nationen: Eine Untersuchung über seine Natur und seine Ursachen.'' 1776. (Reprint: Beck Verlag, München 1974, S. 371.</ref>
=== Der Bildungsreformer (1809/10) ===


Er unterscheidet zwischen dem ''natürlichen Preis'' und dem tatsächlich gezahlten Preis, dem ''Marktpreis''. Er geht dabei davon aus, dass in jeder Gesellschaft übliche oder ''natürliche'' Sätze für den Arbeitslohn, den Kapitalgewinn und die Grundrente existieren. „Eine Ware wird dann zu dem verkauft, was man als ihren natürlichen Preis bezeichnet, wenn der Preis genau dem Betrag entspricht, der ausreicht, um nach den natürlichen Sätzen die Grundrente, den Arbeitslohn und den Kapitalgewinn zu bezahlen, welche anfallen, wenn das Produkt erzeugt, verarbeitet und zum Markt gebracht wird.“ Unter dem ''Marktpreis'' versteht Smith „den tatsächlichen Preis, zu dem eine Ware gewöhnlich verkauft wird, …. Er kann entweder höher oder niedriger als der natürliche Preis oder ihm genau gleich sein“. Liegt der Marktpreis über dem natürlichen Preis, wird sich das Angebot vergrößern, da sich die Herstellung dieser Ware lohnt. Liegt er hingegen darunter, dann reicht er nicht aus, um den für die Herstellung der Ware nötigen Arbeitslohn, Kapitalgewinn oder die Grundrente nach den natürlichen Sätzen zu decken. Das Selbstinteresse der einzelnen Arbeiter, Geschäftsleute und Grundbesitzer sorgt dafür, dass im ersten Fall das Angebot erhöht und im zweiten Fall vermindert wird. Ein überhöhter Marktpreis vergrößert das Angebot, wodurch der Marktpreis sinkt. Ein zu niedriger Marktpreis vermindert das Angebot, wodurch der Marktpreis steigt. „Aus diesem Grund ist der natürliche Preis gleichsam der zentrale, auf den die Preise aller Güter ständig hinstreben.“ Dieser Mechanismus wird üblicherweise mit der ''unsichtbaren Hand'' des Marktes umschrieben, wobei Smith selbst die Metapher von der ''unsichtbaren Hand'' an anderer Stelle im ''Wohlstand der Nationen'' verwendet.
[[Datei:Gedenktafel Unter den Linden 6 (Mitte) Wilhelm von Humboldt.jpg|mini|Gedenktafel im Haus Unter den Linden&nbsp;6 in [[Berlin-Mitte]]]]
Ein Urlaubsgesuch zur Regelung von Vermögensangelegenheiten und zur Schadensaufnahme im geplünderten Schloss Tegel bot Humboldt die Gelegenheit zur Rückkehr nach Deutschland. Dort angekommen erfuhr er bald, dass er im Zuge der auf den Weg gebrachten [[Preußische Reformen|Preußischen Reformen]] die Leitung der „Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts“ übernehmen sollte; der Reformenprotagonist [[Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein|Freiherr vom Stein]] setzte sich für Humboldt auf diesem Posten ein. Der preußische Militärstaat, wie er von Friedrich Wilhelm&nbsp;I. geschaffen und von Friedrich&nbsp;II. auf Expansionskurs gesetzt worden war, hatte vorerst abgewirtschaftet und befand sich Napoleon gegenüber in einer demütigenden Abhängigkeit. Um aus dieser Lage heraus wieder zu Kräften zu kommen, bedurfte es im Sinne Steins und seiner Mitstreiter umfassender Reformen mit dem Ziel, dem mit der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]] erwachten Freiheitsstreben der Bürger Raum zu geben, ihre Eigenverantwortung zu fördern und auf diese Weise dem Staat und der Nation neue Ressourcen zu erschließen.


Den freien Wettbewerb behindernde [[Monopol|Monopole]] und [[Kartell|Kartelle]] (z.B. [[Zunft|Zünfte]]) hielt Smith für besonders schädlich. Eine berühmte Stelle im ''Wohlstand der Nationen'' (erstes Buch, Kapitel 10) lautet:
==== Theoretische Grundlagen ====
{{Zitat|Personen gleichen Handwerks kommen selten, auch bloß ihres Vergnügens wegen, zusammen, ohne dass sich ihr Gespräch zu Verabredungen gegen das Publikum hinlenke, und mit Entwürfen zu Erhöhung der Preise endige. Durch Gesetze lassen sich Zusammenkünfte der Art nicht verbieten, wenigstens durch keine, die mit Freiheit und Gerechtigkeit vereinbar, oder auch nur ausführbar wären. Indes, wenn das Zusammenkommen der Leute von einerlei Gewerbe durch Gesetze nicht verhindert werden kann: so sollte es doch nicht durch Gesetze erleichtert, noch weniger notwendig gemacht werden. Aber unsere Gesetze tun das eine und das andere. Sie erleichtern solche Zusammenkünfte, wenn sie die Personen desselben Gewerbes verpflichten, ihre Namen und Wohnungen in öffentliche Register eintragen zu lassen. Dadurch lernen Leute einander kennen, die sonst von einander wenig gewusst hätten. Dies verschafft jedem Gewerbsmanne gleichsam die Adresse, wo er alle seine Zunftgenossen aufsuchen soll. – Die Gesetze machen zweitens jene Versammlungen notwendig, wenn sie die Personen von einerlei Gewerbe bevollmächtigen, sich zur Versorgung ihrer Armen, ihrer Kranken, Witwen und Waisen, selbst Taxen aufzuerlegen: wodurch eine Gemeinkasse unter ihnen errichtet wird, deren Verwaltung auch der versammelten Gemeinheit zusteht.}}


Zu Smiths Zeit war trotz der von ihm beobachteten gewissen Erhöhung der Produktion die [[Pauperismus|Armut großer Teile der Bevölkerung]] frappierend. Deren Untersuchung widmet er sich intensiv. „Des öfteren habe ich gehört, es sei im schottischen Hochland nichts Ungewöhnliches, dass eine Mutter von ihren zwanzig Kindern nur zwei am Leben erhalten kann“ (Erstes Buch, Kapitel 8; daraus auch die drei weiteren Zitate).
Humboldts staatstheoretische Vorstellungen lagen seit langem schon auf dieser Linie. Er gilt als Stammvater des deutschen [[Liberalismus]] und geriet mit seinem Ansatz in Gegensatz zu den monarchisch-konservativen Kräften in Preußen und darüber hinaus. So hatte er in seiner 1792 verfassten Abhandlung „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“ geschrieben:
{{Zitat|<!--sic-->Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welche die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste, und unerlassliche<!--sic--> Bedingung. […] Gerade die aus der Vereinigung Mehrerer entstehende Mannigfaltigkeit ist das höchste Gut, welches die Gesellschaft giebt, und diese Mannigfaltigkeit geht gewiss immer in dem Grade der Einmischung des Staats verloren. Es sind nicht mehr eigentlich die Mitglieder einer Nation, die mit sich in Gemeinschaft leben, sondern einzelne Unterthanen, welche mit dem Staat, d. h. dem Geiste, welcher in seiner Regierung herrscht, in Verhältniss kommen, und zwar in ein Verhältniss, in welchem schon die überlegene Macht des Staats das freie Spiel der Kräfte hemmt. Gleichförmige Ursachen haben gleichförmige Wirkungen. Je mehr also der Staat mitwirkt, desto ähnlicher ist nicht bloss alles Wirkende, sondern auch alles Gewirkte. […] Wer aber für andre so räsonnirt, den hat man, und nicht mit Unrecht, in Verdacht, dass er die Menschheit miskennt, und aus Menschen Maschinen machen will.|ref=<ref>Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): ''Wilhelm von Humboldt - Werke in fünf Bänden.'' Band I: Schriften zur Anthropologie und Geschichte (3. Aufl. 1980), S. 64 und 71 f.</ref>}}


Bei Lohnverhandlungen sieht Smith Arbeiter in einer viel schwächeren Position als Unternehmer. Dies erklärt Smith damit, dass Unternehmer sich aufgrund ihrer geringeren Zahl viel leichter als die Arbeiter zusammenschließen und eine Art Lohnkartell bilden können.  
Für Humboldts Nominierung in dieser Umbruchsituation sprach seine Hochschätzung von Bildung für ein menschenwürdiges Dasein:
{{Zitat|<!--sic-->Was verlangt man von einer Nation, einem Zeitalter, von dem ganzen Menschengeschlecht, wenn man ihm seine Achtung und seine Bewunderung schenken soll? Man verlangt, dass Bildung, Weisheit und Tugend so mächtig und allgemein verbreitet, als möglich, unter ihm herrschen […] Beschränken sich indess auch alle diese Forderungen nur auf das innere Wesen des Menschen, so dringt doch seine Natur beständig von sich aus zu den Gegenständen ausser ihm überzugehen, und hier kommt es nun darauf an, dass er in dieser Entfremdung nicht sich selbst verliere, sondern vielmehr von allem, was er ausser sich vornimmt, immer das erhellende Licht und die wohlthätige Wärme in sein Innres zurückstrale. Zu dieser Absicht aber muss er die Masse der Gegenstände sich selbst näher bringen, diesem Stoff die Gestalt seines Geistes aufdrücken und beide einander ähnlicher machen.|ref=<ref>Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): ''Wilhelm von Humboldt – Werke in fünf Bänden.'' Band I: Schriften zur Anthropologie und Geschichte (3. Aufl. 1980), S. 236 f. ''(Theorie der Bildung des Menschen)''</ref>}}


{{Zitat|Wer sich aber umdeswillen einbildet, dass die Meister sich selten verbinden, der versteht ebensowenig von der Welt als von dieser Sache. Die Meister stehen stets und überall in einer Art stillschweigender, aber fortwährender und gleichförmiger Übereinkunft, den Arbeitslohn nicht über seinen gegenwärtigen Satz steigen zu lassen… Mitunter gehen die Meister auch besondere Verbindungen ein, um den Arbeitslohn sogar unter seinen Satz herunterzudrücken.}}
==== Prinzipien und Pläne für ein dreistufiges allgemeines Bildungswesen ====


Derartige Zusammenschlüsse gelangen den Arbeitern zum einen aufgrund ihrer großen Zahl und auch deswegen, weil damals Vereinigungen der Arbeiter gesetzlich verboten waren, kaum. Allerdings sah Smith auch Arbeitnehmergruppen kritisch:
Als Humboldt am 15. Dezember 1808 mit der Berufung in das Amt konfrontiert war, zögerte er, es anzunehmen, zumal nachdem der Freiherr vom Stein auf Druck Napoleons als Staatsminister am 25. November entlassen worden war. Nun zeichnete sich ab, dass Humboldt nicht als Minister und damit nur dem König verantwortlich, sondern als Sektionschef unter Innenminister [[Friedrich Ferdinand Alexander zu Dohna-Schlobitten|Friedrich zu Dohna-Schlobitten]] tätig werden sollte. Er mag gefürchtet haben, dass ihm angesichts der Bedeutung der Aufgabe nicht genügend freie Hand bliebe zur Neuordnung des Unterrichtswesens. Das Berufungsschreiben auf den neuen Posten ließ Humboldt im Januar 1809 zwei Wochen liegen, lehnte dann halbherzig ab und bat den König, seinen diplomatischen Dienst in Rom fortsetzen zu dürfen. Das aber wurde ihm verwehrt; am 20. Februar wurde er zum Geheimen Staatsrat und Direktor der Sektion für Kultus und Unterricht im Ministerium des Inneren ernannt.<ref>Gall 2011, S. 133–136.</ref> Nachdem er sich schließlich in die Umstände gefügt hatte, setzte Humboldt in seiner Amtsführung in Königsberg eine erstaunliche Dynamik frei und reformierte, unterstützt von seinen Mitarbeitern [[Georg Heinrich Ludwig Nicolovius|Nicolovius]], [[Süvern]] und [[Wilhelm Uhden|Uhden]], sowohl temporeich wie umsichtig Lehrpläne, Lehrerausbildung und Prüfungswesen an Elementar- und Volksschulen, Gymnasien und im universitären Bereich, obwohl er das öffentliche Schulwesen aus eigener Erfahrung weder als Schüler noch als Lehrer kennengelernt hatte.
{{Zitat|Oft leistet jedoch solchen Verbindungen (unter den Meistern) eine entgegengesetzte abwehrende Verbindung der Arbeiter Widerstand, ja manchmal verabreden sich diese auch ohne eine solche Herausforderung von selbst zur Erhöhung des Preises ihrer Arbeit. Ihr gewöhnlicher Vorwand ist bald der teure Preis der Nahrungsmittel, bald der große Gewinn, den die Meister aus ihrer Arbeit ziehen. Mögen diese Verbindungen aber angreifender oder verteidigender Art sein: Ruchbar genug werden sie jederzeit. Um die Sache zu einer schnellen Entscheidung zu bringen, machen sie immer ein recht lautes Geschrei und verüben zuweilen die heftigsten Gewalttätigkeiten und Mißhandlungen. Sie sind verzweifelt und handeln mit der ganzen Torheit und Ausschweifung verzweifelter Menschen, die entweder verhungern oder ihre Meister so in Schrecken setzen müssen, dass sie sofort in ihr Begehren willigen. Die Meister ihrerseits benehmen sich bei solchen Gelegenheiten nicht weniger lärmend, rufen unaufhörlich und dringend den Beistand der Obrigkeit auf und verlangen die strenge Ausführung der Gesetze, die mit so großer Unnachsichtlichkeit gegen die Verbindungen der Dienstboten, Arbeiter und Gesellen gegeben sind. Daher haben denn die Arbeiter sehr selten einen Nutzen von diesen gewalttätigen und ungestümen Verbindungen, die vielmehr teils durch das Einschreiten der Obrigkeit, teils durch die überlegene Beharrlichkeit der Meister, teils endlich dadurch, dass der größere Teil der Arbeiter gezwungen ist, sich um des täglichen Unterhalts willen zu unterwerfen, gewöhnlich kein anderes Ende haben als die Bestrafung oder das Verderben der Rädelsführer.}}


Smith plädiert für den freien Arbeitsmarkt, wo Angebot und Nachfrage die Höhe des Lohnes bestimmen:  
Mit Blick auf wirtschaftliche Zwänge und gesellschaftliche Realitäten wurde kritisiert, dass das [[Humboldtsches Bildungsideal|humboldtsche Bildungsideal]] zu eng gebunden war an seine aristokratisch privilegierte Existenz. Humboldt selbst zielte aber auf eine allgemeine Bildungsreform; Belege dafür –&nbsp;wie auch Anregungen für die Schaffung einer Bürgergesellschaft, in der lebenslanges Lernen möglich werden könnte&nbsp;– enthält sein Bericht an den König vom Dezember 1809: {{"|Es giebt<!--sic--> schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist. Giebt ihm der Schulunterricht, was hiezu<!--sic--> erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufs nachher sehr leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschiehet<!--sic-->, von einem zum andern überzugehen.}}<ref>Bericht der Sektion des Kultus und des Unterrichts an den König, Dezember 1809. In: Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): ''Wilhelm von Humboldt – Werke in fünf Bänden.'' Band IV: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. Darmstadt 1982 (3. Aufl.), S. 210–238, hier S. 218.</ref>
{{Zitat|Es gibt jedoch gewisse Umstände, die den Arbeitern einen Vorteil gewähren und sie in den Stand setzen, ihren Lohn weit über jenen Satz zu erhöhen, welcher offenbar der niedrigste ist, der sich mit der allergewöhnlichsten Menschlichkeit verträgt. Wenn in einem Lande die Nachfrage nach denen, die vom Lohne leben - Arbeiter, Gesellen, Dienstboten aller Art -, andauernd wächst, wenn jedes folgende Jahr einer größeren Anzahl derselben Beschäftigung gibt als das vorhergehende, so haben die Arbeiter keinen Anlass, sich zur Erhöhung des Lohnes zu verbinden. Der Mangel an Händen ruft eine Konkurrenz unter den Meistern hervor, die, um Arbeiter zu bekommen, einander in die Höhe treiben und so von selbst die natürliche Übereinkunft der Meister, den Lohn nicht steigen zu lassen, wirkungslos machen.}}


Lohnerhöhungen sind, so Smith, eine notwendige Folge von Wirtschaftswachstum, wobei nicht die absolute Höhe des Volkseinkommens, sondern sein stetiges Ansteigen ausschlaggebend ist: „es sind folglich nicht die wohlhabenden Länder, in denen der Arbeitslohn am höchsten ist, sondern jene, die sich am schnellsten entwickeln oder am raschesten reich werden“. Smith erläutert dies am Beispiel des zu seiner Zeit aufsteigenden Nordamerikas. Dort lagen die Löhne höher als im damals reicheren England. Ausgehend von seinen Beobachtungen zur damaligen Zeit untersucht Smith den Zusammenhang zwischen der Höhe des Lohns und der Bevölkerungsentwicklung. „Der Mensch ist darauf angewiesen, von seiner Arbeit zu leben, und sein Lohn muss mindestens so hoch sein, dass er davon existieren kann. Meistens muss er sogar noch höher sein, da es dem Arbeiter sonst nicht möglich wäre, eine Familie zu gründen; seine Schicht würde dann mit der ersten Generation aussterben.“ Wenn die Entlohnung der Arbeit reichlicher wird, können die Armen ihre Kinder besser versorgen und folglich mehr von ihnen aufziehen. „Es sollte jedoch nicht übersehen werden, dass dies lediglich in dem Maße möglich ist, in dem die Nachfrage [der Unternehmer] nach Arbeit zunimmt. […] Bliebe der Lohn einmal unter der erforderlichen Höhe, würde ihn der Mangel an Arbeitskräften bald wieder hochtreiben. Wäre er dagegen einmal höher, würde ihn die übermäßige Vermehrung sehr bald wieder auf die notwendige Höhe herabdrücken. In einem Falle wäre der Markt mit Arbeitskräften unterversorgt, im anderen überversorgt, so dass die Marktkräfte den Lohn auf einem Niveau einpendeln würden, das den jeweiligen Verhältnissen in dem Lande entspricht.“ Eine gesetzliche Fixierung von Löhnen lehnt Smith ab: „Wie uns die Erfahrung zu lehren scheint, kann man seine Höhe [= die Höhe des Lohns] durch Gesetz niemals vernünftig festlegen, obwohl dies oft behauptet wird“ (Zitate aus WN, Erstes Buch, Kapitel 8).
Humboldt zielte auf ein dreistufiges Unterrichtssystem mit Elementar-, Schul- und Universitätsunterricht. Nach jeder Unterrichtsstufe war die Möglichkeit vorgesehen, in den Beruf einzutreten. Im „[[Königsberger Schulplan]]“ sowie im „Litauischen Schulplan“ wurden im Spätherbst 1809 die Leitlinien des Konzepts ausgeführt. Sie betonten das Erfordernis einer allgemeinen Menschenbildung im Unterschied zu [[Ritterakademie]]n, [[Kadettenanstalt|Kadettenschulen]] und manchen [[Realschule]]n, die vielfach lediglich berufsbildend ausgerichtet waren. Für Humboldt aber bedurfte das gesamte Unterrichtswesen eines einheitlichen Fundaments für alle speziellen späteren Berufs- und Erwerbstätigkeiten der Bürger. Seine Hochschätzung des Altgriechischen als Allgemeingut menschlicher Bildung fand u. a. Eingang in den Litauischen Schulplan: „Auch Griechisch gelernt zu haben könnte auf diese Weise dem Tischler ebenso wenig unnütz seyn<!--sic-->, als Tische zu machen dem Gelehrten.“<ref>Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): ''Wilhelm von Humboldt – Werke in fünf Bänden.'' Band IV: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. Darmstadt 1982 (3. Aufl.), S. 189.</ref>


Kennzeichnend für Smith ist sein empirisches und historisches Vorgehen. Alle seine Folgerungen werden stets durch Beobachtungen und zum Teil intensives Quellenstudium über zurückliegende Preisentwicklungen belegt (siehe Ian Simpson Ross: ''Adam Smith.'' Kap. 14).
Für die dreijährige Elementarschule sah Humboldt in seinem Bericht an den König als einen Hauptgrundsatz vor, „dass das Kind immer das volle und deutliche Bewusstsein haben muss, was es in jedem Augenblick hört, sagt und thut<!--sic-->, und warum so und nicht anders gehandelt wird“, und führte dazu aus: „Indem es so gezwungen und gewöhnt wird, von jeder, auch der kleinsten Sache Rechenschaft zu geben, lernt es zu gleicher Zeit klar denken, bestimmt ''wollen'' und vernehmlich sprechen.“<ref>Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): ''Wilhelm von Humboldt – Werke in fünf Bänden.'' Band IV: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. Darmstadt 1982 (3. Aufl.), S. 224 f.</ref> Im Königsberger Schulplan werden die Kernziele aller drei gemeinten Bildungsstadien behandelt:


Weitere Veröffentlichungen von Adam Smith sind unter anderen ''A Dictionary of the English Language by Samuel Johnson,'' das er 1755 [[anonym]] veröffentlichte und mehrere [[Essay]]s unter dem Titel ''Essays on Philosophical Subjects'', die 1795 nach seinem Tod veröffentlicht wurden. Smith verbrannte im Beisein seiner Freunde alle Notizen und Manuskripte. Er wollte so verhindern, der Welt etwas Unfertiges zu überlassen.
{{Zitat|<!--sic-->Der Zweck des Schulunterrichts ist die Uebung der Fähigkeiten, und die Erwerbung der Kenntnisse, ohne welche wissenschaftliche Einsicht und Kunstfertigkeit unmöglich ist. Beide sollen durch ihn vorbereitet; der junge Mensch soll in Stand gesetzt werden, den Stoff, an welchen sich alles eigne Schaffen immer anschließen muss, theils schon jetzt wirklich zu sammeln, theils künftig nach Gefallen sammeln zu können, und die intellectuell-mechanischen Kräfte auszubilden. Er ist also auf doppelte Weise einmal mit dem Lernen selbst, dann mit dem Lernen des Lernens beschäftigt. […] Der Schüler ist reif, wenn er so viel bei anderen gelernt hat, dass er nun für sich selbst zu lernen im Stande ist. Sein Sprachunterricht z. B. ist auf der Schule geschlossen, wenn er dahin gekommen ist, nun mit eigner Anstrengung und mit dem Gebrauch der vorhandenen Hülfsmittel jeden Schriftsteller, insoweit er wirklich verständlich ist, mit Sicherheit zu verstehen, und sich in jede gegebene Sprache, nach seiner allgemeinen Kenntnis vom Sprachbau überhaupt, leicht und schnell hinein zu studiren.<br />
Wenn also der Elementarunterricht den Lehrer erst möglich macht, so wird er durch den Schulunterricht entbehrlich. Darum ist auch der Universitätslehrer nicht mehr Lehrer, der Studirende nicht mehr Lernender, sondern dieser forscht selbst und der Professor leitet seine Forschung und unterstützt ihn darin.|ref=<ref>Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): ''Wilhelm von Humboldt – Werke in fünf Bänden.'' Band IV: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. Darmstadt 1982 (3. Aufl.), S. 169 f.</ref>}}


=== Kapitalmärkte ===
==== Universitätsgründung und Ausscheiden aus dem Amt ====
Smith war gegen ein generelles Zinsverbot: „Wie die Erfahrung lehrt, hat das Zinsverbot das Übel des Wuchers noch vergrößert, anstatt es zu verhindern“ (2. Buch, Kap. 4). Er hielt jedoch die gesetzliche Fixierung eines Höchstzinses, wie es zu seiner Zeit in England der Fall war, durchaus für sinnvoll. Dieser gesetzliche Höchstzins solle seiner Ansicht nach stets etwas über dem üblichen Marktzins liegen, den Schuldner gewöhnlich für die Leihe des Geldes zahlen. Wäre er niedriger festgelegt, dann würde dieser gesetzliche Zins genauso oder annähernd genauso verderblich wirken, wie ein generelles Zinsverbot.


Der gesetzliche Höchstzins sollte aber auch nicht allzu sehr über dem üblichen Marktzins liegen. „Läge er in England zum Beispiel bei 8 oder 10 %, so würde das Leihgeld größtenteils an unseriöse Geschäftsleute und Plänemacher (original engl.: prodigals and projectors) fließen, da nur sie bereit wären, diesen hohen Zins zu zahlen“ (2. Buch, Kap. 4). Hier spiegelt sich Smiths Erfahrung mit der [[Spekulationsblase|Kapitalmarktblase]] Anfang des 18. Jahrhunderts, der sogenannten „[[Südseeblase|South Sea Bubble]], wider. Er war der Ansicht, dass ein Höchstzins verhindert, dass das Kapital eines Landes jenen soliden Geschäftsleuten entzogen wird, die es höchstwahrscheinlich mit Gewinn und Vorteil verwenden. „Überall dort wo der legale Zins nur ein wenig über dem niedrigsten Marktzins festgelegt wird, ziehen die Darlehensgeber die soliden Geschäftsleute den anderen vor, da sie fast soviel Zinsen erhalten, wie sie von den unseriösen zu nehmen riskieren, wobei ihr Geld zudem weit sicherer angelegt ist.
[[Datei:Wilhelm von Humboldt Denkmal - Humboldt Universität zu Berlin.jpg|miniatur|hochkant|Denkmal Wilhelm von Humboldts vor der Humboldt-Universität in Berlin]]
Den krönenden Abschluss des Reformwerks bildete die von [[Friedrich Wilhelm III. (Preußen)|Friedrich Wilhelm III.]] unterstützte Gründung der [[Humboldt-Universität zu Berlin|Berliner Universität]] 1809. Für den Standort Berlin sprach aus Humboldts Sicht u. a. das Vorhandensein weiterer Einrichtungen wie der Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Künste, das Bestehen einer vollständigen medizinischen Fakultät sowie bedeutender Sammlungen und der Akademie der Künste – in Verbindung mit der neuen Universität beste Voraussetzungen für einen vielseitig ausgreifenden wissenschaftlichen Unterricht.<ref>Gall 2011, S. 160.</ref> „Niemals wieder hatte ein deutscher Unterrichtsminister“, heißt es bei Berglar, „eine stolzere Berufungsliste vorzuweisen.“<ref>Berglar 1970, S. 94.</ref> Zu den glanzvollsten Lehrstuhlbesetzungen gehörten in den Anfängen [[Friedrich Schleiermacher]], [[Friedrich Carl von Savigny]], [[Johann Gottlieb Fichte]] und [[Barthold Georg Niebuhr]]. Kein leichtes Geschäft allerdings für den Organisator, wie der seiner Frau Caroline gegenüber brieflich klagte: Es handle sich bei den Fachgelehrten um {{"|die unbändigste und am schwersten zu befriedigende Menschenklasse – mit ihren sich ewig durchkreuzenden Interessen, ihrer Eifersucht, ihrem Neid, ihrer Lust zu regieren, ihren einseitigen Ansichten, wo jeder meint, daß nur sein Fach Unterstützung und Beförderung verdiene.}}<ref>Zit. n. Manfred Geier: ''Die Brüder Humboldt.'' Reinbek bei Hamburg 2009, S. 267. Eine Auswirkung der Berliner Universitätsgründung war die Schließung der Universität Frankfurt/Oder, die Humboldt besucht hatte.</ref>


=== Staatstheorie ===
Humboldts Universitätsidee sah für den Hochschulbetrieb und das Verhältnis zwischen Dozenten und ihren Studenten die Einheit von Forschung und Lehre vor. Beide sollten auch von staatlichen Forderungen und Auflagen einengender Art freigehalten werden. Humboldt ging davon aus, dass die Universitäten in verantwortlicher Selbststeuerung auch die staatlichen Zwecke erfüllen, nur sozusagen von einer höheren Warte aus und mit Mitteln, die der Staat aus eigenem Vermögen nicht hervorbringen kann. Nicht allein für den universitären Bereich, sondern für das gesamte Bildungswesen stellte sich Humboldt für die Zukunft eine von den monarchischen Staatskassen unabhängige Finanzierung vor, die aus Einkünften entsprechend zugewiesener staatlicher Domänengüter gespeist werden sollte.<ref>Gall 2011, S. 162–165.</ref>
Smith sah den gesellschaftlichen Wohlstand in einem [[System der natürlichen Freiheit]] am besten verwirklicht. Aus Quesnays Forderung nach Handelsfreiheit, um das Getreide zu verteuern und dadurch der Landwirtschaft aufzuhelfen, wird bei Smith die Utopie eines freien Handels, der den Wohlstand des Landes erhöht.  


Seine [[Staatstheorie]] geht davon aus, dass durch die Arbeitsteilung die Produktionsverhältnisse so kompliziert werden, dass eine Einzelplanung durch den Staat keinen Sinn mehr gibt und es besser ist, die Verfolgung privater Interessen zuzulassen, durch die die Schaffung des gesellschaftlichen Reichtums am besten erfüllt würde.
Zu den nachwirkenden Maßnahmen Humboldts und seiner Mitarbeiter in der „Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts“ gehören:
* die Einführung des [[Lehramt]]s[[Prüfung#Examen|examens]] 1810 ''(examen pro facultate docendi)'', mit dem der Stand des [[Gymnasiallehrer]]s geschaffen wurde, der Kenntnisse nachweisen musste in den alten Sprachen, in Geschichte und Mathematik,
* die Vereinheitlichung und Verpflichtung der [[Abiturprüfung]] 1812 (die erst 1834 ohne Ausnahmen durchgesetzt wurde),
* der „Plan der Unterrichtsverfassung“ eines 10-jährigen Gymnasialkurses 1816 ([[Curriculum (Pädagogik)|Curriculum]], das nur ein Vorschlag blieb, aber wirkungsvoll war).


Logische Konsequenz ist ein bürgerlicher Rechtsstaat, der kein eigenes Interesse wahrnimmt, sondern nur gesellschaftliche Rahmenbedingungen zur Verfügung stellt. Dem Staat kommen nach Smith vier zentrale Aufgaben zu:
Den Vorsatz, seine Stellung im Staatsrat aufwerten zu lassen, um unabhängig und gleichberechtigt unter Kabinettskollegen wirken zu können, hatte Humboldt zu keiner Zeit aufgegeben und sich Hoffnungen gemacht, den König von den Vorstellungen des Freiherrn vom Stein überzeugen zu können. Als er erkannte, dass er damit nicht durchdringen würde, reichte er nach gut einjähriger Tätigkeit im Amt am 29. April 1810 sein Rücktrittsgesuch ein. Es dauerte zweieinhalb Monate, in denen er sowohl für die Leitung des Innen- wie des Außenministeriums im Gespräch war, bis seine Entlassung bewilligt wurde. Sein Amtsnachfolger wurde [[Friedrich von Schuckmann]]. Da er die Übernahme der Sektionsleitung für Kultus bereits mit der Bitte verknüpft hatte, später in den diplomatischen Dienst zurückkehren zu können, sollte die mit der Entlassung zugleich verbundene Ernennung zum „außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister in Wien“ seine Enttäuschung wohl abmildern.


# Organisation der Landesverteidigung;
Humboldt ist für sein jeweiliges Ausscheiden aus den Staatsämtern, die er innegehabt hatte, angegriffen worden. Eigenliebe, Genusssucht, Bequemlichkeit und Selbstüberschätzung gehören zu den angenommenen Motiven seiner Rückzüge. Dagegen stehen der enorme Einsatz und der unermüdliche Arbeitseifer, den er, wenn es darauf ankam, auch im Staatsdienst an den Tag legte. Bedingungslos galt seine Bereitschaft zum Dienst am Gemeinwesen aber nicht. Wenn die politischen Umstände ihn übermäßig zu fesseln und seinem Selbstbild zu entfremden drohten, wenn er für ein den eigenen Überzeugungen entsprechendes Wirken keine Perspektive mehr sah, dann endete für ihn jegliche Verpflichtung.<ref>{{"|Humboldt braucht den preußischen König und staatliche Instanzen, um seinen Ideen der Bildung, der reinen Wissenschaft und der Sprache, Literatur und Kultur einen produktiven Freiraum zu verschaffen. Deshalb fällt es ihm auch nicht schwer, von sich aus den Staatsdienst zu verlassen, wenn ihm nicht gelingt, was er anstrebt. […] Seit dem 31. März 1810 aber ist durch Kabinettsorder seine ‚Wirksamkeit als Sections-Chef vernichtet‘ worden […] So aber kann und will Humboldt nicht arbeiten. Die dienstrechtliche Herabsetzung hat ihn persönlich ‚tief gekränkt‘. Für ihn ist es eine Frage der Ehre und Pflicht, unter diesen Bedingungen von seinem Posten zurückzutreten.}}(Manfred Geier: ''Die Brüder Humboldt'', Reinbek bei Hamburg 2009, S. 269 f.)</ref>
# Schutz jedes Mitgliedes der Gesellschaft vor Ungerechtigkeit und Unterdrückung;
# Errichtung und Unterhalt von öffentlichen Anstalten, deren Errichtung oder Erhaltung durch Private nicht möglich wären, aber dennoch für die Allgemeinheit bedeutsam sind, zum Beispiel das Unterrichts- und Transportwesen;
# Durchsetzung des Privateigentums.


Die allgemeine Bildung durch den Staat zu sichern, war für Smith ein sehr wichtiges Thema, da er sehr wohl die Gefahren der von ihm propagierten Arbeitsteilung sah. Damit ist die Verdummung von Arbeitern gemeint, die nur wenige Handgriffe ausführen. Der Staat soll dem „einfachen Volk“ Schulausbildung zugänglich machen (WN, Fünftes Buch, Kapitel 1):
=== Preußischer Diplomat und Minister (1810–1819) ===
{{Zitat|Die Erziehung der niederen Volksklassen erfordert vielleicht in einer zivilisierten und handeltreibenden Gesellschaft die Aufmerksamkeit des Staates mehr als die Erziehung der Vornehmeren und Begüterteren. Vornehme und vermögende Jünglinge haben gewöhnlich schon ihr achtzehntes oder neunzehntes Jahr erreicht, ehe sie in ein besonderes Geschäft, Amt oder Gewerbe eintreten, durch welches sie sich in der Welt Ehre erwerben wollen. Sie haben also vorher Zeit genug, sich alle Fertigkeiten, wodurch sie sich der öffentlichen Achtung empfehlen oder sich ihrer würdig machen können, zu erwerben oder sich wenigstens auf deren Erwerbung vorzubereiten…Erleichtern kann der Staat die Erlernung dieser Gegenstände, indem er in jedem Kirchspiele oder Distrikte eine kleine Schule errichtet, worin die Kinder für ein so geringes Schulgeld unterrichtet, werden, dass auch der gemeinste Tagelöhner es aufzubringen vermag. Der Lehrer muss nämlich zum Teil, aber auch nur zum Teil, vom Staate besoldet werden, weil er, wenn er ganz oder auch nur hauptsächlich von ihm bezahlt würde, bald lernen könnte, seine Amtspflichten zu vernachlässigen…Ermuntern kann der Staat zur Erlernung jener wesentlichsten Unterrichtsgegenstände, wenn er den Kindern der gemeinen Leute, die sich darin hervortun, kleine Prämien und Ehrenzeichen gibt. Zur unerläßlichen Bedingung kann der Staat den Leuten aus der gemeinen Volksklasse die Erlernung jener Unterrichtsgegenstände machen, wenn er jeden einer Prüfung darin unterwirft, ehe er das Zunftrecht erhalten oder sich in einem Dorfe oder einer Stadt gewerblich niederlassen darf.}}


Durch diese gebotene Bildung werde dem einfachen Mann ein Aufstieg aus seiner durch Geburt vorgegebenen Situation ermöglicht, welchen er durch eigenen Fleiß erreichen könne. Dazu sprach sich Smith für den Wettbewerb an Universitäten aus (WN, Fünftes Buch, Kapitel 1):
Caroline von Humboldt war in Rom geblieben, während ihr Mann als Verantwortlicher für das Bildungswesen amtierte. Im Herbst 1810 traf sie mit den Kindern in [[Wien]] ein, um wieder mit ihm zusammenzuleben und in dem Haus am [[Minoritenplatz]] ein repräsentatives Gesellschaftsleben zu pflegen. Über seinen in habsburgische Dienste getretenen Jugendfreund [[Friedrich Gentz]] gelang es Humboldt, die Leitvorstellungen des damaligen österreichischen Außenministers [[Klemens Wenzel Lothar von Metternich|Metternich]] kennenzulernen. Mit Hilfe seiner vielfältigen Auslandserfahrungen und weitreichenden Verbindungen verfügte Humboldt über ein wirklichkeitsnahes Bild der diversen Interessenlagen. So konnte er Hardenberg die österreichische Haltung im Konflikt Napoleons mit Russland und im beginnenden [[Befreiungskriege|Befreiungskrieg]] gegen Napoleon zuverlässig vorhersagen und den späteren österreichischen Beitritt zur Koalition im Hintergrund fördern. Seine Einschätzungen und Verhandlungsimpulse bestimmten die preußischen Initiativen beim Zustandekommen der [[Reichenbacher Konventionen (1813)|Reichenbacher Konventionen]] und beim gescheiterten [[Friedenskongress von Prag]] im Sommer 1813.<ref>Scurla 1984, S. 406–411.</ref> Darin sah er wohl auch selbst sein größtes Verdienst im diplomatischen Dienst. Denn damit begründete Humboldt nach der Niederlage Frankreichs unter Napoleon den Anspruch auf eine königliche Dotation, wie sie auch andere in den Befreiungskriegen prominent Mitwirkende erhielten: Er glaube „ohne Anmaßung behaupten zu können, daß, ohne mich, die Sache nicht oder minder gut zu Stande gekommen wäre.“<ref>Zitiert nach Gall 2011, S. 298.</ref> Aus dem ihm daraufhin zugesprochenen [[Otmuchów#Preußische Zeit ab 1741|Gut Ottmachau]] an der Neiße durfte er mit einem jährlichen Ertrag von 5000 [[Taler]]n rechnen.
{{Zitat|Die milden Stiftungen von Stipendien aller Art ziehen eine gewisse Anzahl von Studierenden nach bestimmten Lehranstalten, ohne dass dabei in Betracht kommt, ob die Lehranstalten gut sind oder nicht. Würde es den Studenten, die solche milde Stiftungen genießen, freigestellt, welche Lehranstalt sie wählen wollen, so könnte diese Freigebung vielleicht dazu dienen, unter den verschiedenen Lehranstalten einen Wetteifer zu erwecken. Eine Verordnung aber, welche selbst den unabhängigen Mitgliedern jeder einzelnen Lehranstalt verbietet sie zu verlassen und ohne zuvor dazu die Erlaubnis der Lehranstalt, welche sie verlassen wollen, nachgesucht und erhalten zu haben, auf eine andere zu gehen, muss diesen Wetteifer geradezu unterdrücken.}}


Aus heutiger Sicht bemerkenswert ist, dass Smith, auch im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen wie etwa James Stewart, keine vorrangige Staatsaufgabe darin sah, Beschäftigung zu sichern. Smith ging (fälschlich) davon aus, dass es ein festes Verhältnis zwischen Kapitalausstattung eines Landes und Erwerbstätigkeit gibt, das unveränderbar sei und nur durch günstigeren Kapitaleinsatz vergrößert werden könne. Bei Handelsfreiheit wird dies gefördert, indem Billigimporte die heimische Produktion zum Konkurs zwingen, und Arbeitskräfte und Kapital in andere Gewerbszweige abwandern - ein Effekt der internationalen Arbeitsteilung. Demobilisierung und Kapitalverlagerung in andere Gewerbszweige nötigen also die Arbeiter zu wechseln, aber sie seien flexibler als Soldaten, auch weil die Tätigkeiten in den Manufakturen nicht so verschieden sind.
[[Datei:DBPB 1952 100 Wilhelm von Humboldt.jpg|mini|hochkant|Briefmarke (1952) der Serie ''[[Männer aus der Geschichte Berlins]]'']]
Auf dem [[Wiener Kongress]] fungierte Humboldt für den schwerhörigen [[Karl August von Hardenberg|Hardenberg]] als dessen rechte Hand, gehörte zahlreichen Sonderausschüssen an, darunter dem zur Redaktion der Kongressakte, und trug bei den Verhandlungen über den [[Deutscher Bund|Deutschen Bund]] mit zahlreichen Memoranden zur inhaltlichen Ausgestaltung der [[Bundesakte]] bei. Seine eigenen Vorstellungen einer Neuordnung der deutschen Verhältnisse unter liberalen Vorzeichen gerieten angesichts der sich schließlich zur [[Heilige Allianz|Heiligen Allianz]] formierenden restaurativen Tendenzen jedoch mehr und mehr ins Abseits. Als bekannter Vertreter des Reformflügels in Preußen zog er je länger desto mehr den Argwohn Metternichs auf sich. Der hatte auch keine Skrupel, Humboldts privaten Schriftverkehr mit Caroline überwachen zu lassen, und ihn mit derlei Kenntnissen dann bei Hardenberg in Misskredit zu bringen.<ref>Scurla 1984, S. 422 f.; Gall 2011, Anmerkung 235, S. 403.</ref> Denn Humboldt hielt sich zwar als ausführendes Organ der preußischen Diplomatie an die ihm gemachten Vorgaben und empfahl sich damit aus eigener Sicht wohl auch als bestmöglicher Nachfolger Hardenbergs, schilderte seiner Frau dessen politische Praxis aber auch mitunter äußerst kritisch: „Er umgibt sich mit teils schlechten, teils unbedeutenden Leuten, will alles selbst machen und lässt daher alles liegen, lässt aus Gutmütigkeit die größten Missbräuche zu und vertändelt eine entsetzliche Zeit mit der Dame […] Seine ganze Stelle, wie er sie geschaffen hat, ist ein Verderbnis und kann nicht dauern.“<ref>Brief vom 25. Juli 1813; zitiert nach Gall 2011, S. 258.</ref>


Dass dies ein Mechanismus ist, der nicht für alle der Beteiligten mit gleicher Leichtigkeit zu bewältigen ist, ist ihm allerdings durchaus klar: Während der Kapitalgeber sein Geld ohne größere Probleme von einem Geschäft auf das andere verlagern kann, ist es für den Unternehmer, der nicht selbst nur Kaufmann ist, sondern eine kompliziertere arbeitsteilige Produktion aufgebaut hat, ebenso wie für den Arbeiter, der eine Anhänglichkeit an den Arbeitsort, seine Menschen und seine Umgebung entwickelt hat, wesentlich weniger leicht zu wechseln, und jedenfalls stets mit höheren Einbußen verbunden, wenn nicht gar durch Entlassung mit Arbeitslosigkeit.
Am Ende seiner intensiven Bemühungen auf dem Wiener Kongress und zuletzt – nach der endgültigen Niederwerfung Napoleons bei [[Schlacht bei Waterloo|Waterloo]] – auf dem [[Zweiter Pariser Frieden|Pariser Friedenskongress]] hatte Humboldt für die eigenen Ziele wenig erreicht und sich zwischen alle Stühle gesetzt.<ref>„Sein indirekter Widerstand gegen die russischen Pläne“, heißt es bei Gall mit Blick auf das monarchische Restaurationsbündnis der Heiligen Allianz, „trug ihm zusätzlich die Gegnerschaft des Zaren und damit verbunden das Misstrauen seines eigenen Königs ein, der sich nach wie vor an die enge, emotional fundierte Partnerschaft mit dem russischen Monarchen gebunden fühlte. Und auch England und Österreich sahen sich durch Humboldts Verhalten in ihren eigenen Planungen empfindlich gestört, von Frankreich ganz zu schweigen. Andererseits betrachteten die Vertreter der deutschen Nationalbewegung und die um ihren Sieg angeblich betrogenen Repräsentanten der preußischen Armee die preußischen Diplomaten mit Humboldt an der Spitze als Symbolfiguren für das Zurückweichen Preußens auf dem diplomatischen Felde.“ (Gall 2011, S. 297.)</ref> Nach Abschluss der Verhandlungen war aufgrund des deutlich gewordenen Gegensatzes zwischen Metternich und Humboldt dessen Rolle in Wien ausgespielt. In Berlin wollte Hardenberg dem potentiellen Rivalen keinen Wirkungsraum bieten; und der für ihn eigentlich vorgesehene preußische Botschafterposten in Paris scheiterte am französischen Widerstand. So wurde er zunächst für das ganze Jahr 1816 zu Anschlussverhandlungen über offene Territorialfragen im Deutschen Bund nach Frankfurt am Main geschickt und danach – auf eigenen Wunsch zeitlich befristet – als Gesandter nach London berufen. Er strebte weiterhin zumindest nach einem Ministeramt, wie es ihm schon seit 1808 vorschwebte, ihm von Hardenberg wiederholt in Aussicht gestellt und dann doch vorenthalten worden war. Nun suchte er eine Entscheidung darüber nicht mehr einvernehmlich, sondern im Gegensatz zu Hardenberg herbeizuführen.<ref>Gall 2011, S. 313 f.</ref> Nur gut ein halbes Jahr versah Humboldt die Geschäfte des Botschafters in London, dann bat er angeblich aus familiären Gründen um seine Abberufung. Hardenberg kassierte das Gesuch, um ihn von Berlin fernzuhalten, und erst ein zweites, direkt an den König gerichtetes brachte einen halben Erfolg: Humboldt sollte erneut die preußischen Interessen beim Deutschen Bund in Frankfurt am Main wahren.


Deshalb stellt Smith auch klar, dass Gewerbe, die durch den Außenhandel beeinträchtigt werden, zeitweilig gestützt werden müssen.
Im Januar 1819 schließlich wurde er vom König in ein Ministeramt berufen, und zwar in das für ständische Angelegenheiten. Statt sofort zuzugreifen, erbat sich Humboldt Zeit zur Orientierung und ließ erkennen, dass er eine von Hardenberg unabhängige, nebengeordnete Stellung wünschte. Erst ungnädig vor die Alternative gestellt, die Stelle unverzüglich wie angeboten oder gar nicht anzunehmen, willigte Humboldt ein.<ref>Gall 2011, S. 321–323.</ref> Unter anderen Voraussetzungen hätte sich hier die Chance bieten können, liberale Grundlagen für eine konstitutionelle Monarchie zu schaffen und so das Verfassungsversprechen Friedrich Wilhelms&nbsp;III. unter eigener Regie zu erfüllen. Um sich die gewiss letzte diesbezügliche Wirkungsmöglichkeit zu erhalten, ließ Humboldt die erneut vorgebrachte Forderung nach einer Reform des Staatsrats auf sich beruhen und akzeptierte das angebotene Ministerium trotz Hardenbergs anhaltender Reserviertheit und ungeachtet dessen eigener Verfassungspläne. Die politisch interessierte Öffentlichkeit, deren Erwartungen wohl bereits für die Offerte an Humboldt den Ausschlag gegeben hatten, reagierte entsprechend erfreut auf seine Zusage. Noch bis zum Juli allerdings blieb er mit seinen Frankfurter Aufgaben befasst, ehe er die neue Stellung in Berlin antrat.<ref>Gall 2011, S. 324.</ref>


Bei Smith finden sich also ethische Gründe, die es staatspolitisch erforderlich machen, Zölle nur langsam und rücksichtsvoll abzubauen, wenn ein Gewerbe, das bis dahin von der ausländischen Konkurrenz geschützt war, sich so gut entwickelt hatte, dass es Arbeitskräfte in großer Zahl beschäftigt hatte. Denn „eine schlagartige Aufhebung der hohen Zölle und Einfuhrverbote könnte zu einer so raschen Überflutung des Inlandsmarktes durch gleiche, aber billigere Auslandswaren führen, daß sich von heute auf morgen tausende unserer Landsleute ihres Arbeitsplatzes und damit ihres Lebensunterhalts beraubt sähen“.
In dem für seine Verfassungsvorstellungen denkbar ungünstigsten Moment musste Humboldt nun das Amt antreten. Parallel zu seiner Amtseinführung wurden zwischen den preußischen und österreichischen Regierungsspitzen die [[Karlsbader Beschlüsse]] verhandelt und verabschiedet, die die Unterdrückung und Verfolgung der liberalen Bestrebungen an den Universitäten und im öffentlichen Leben vorsahen. Zwar kam es auch danach noch zur Vorstellung der Verfassungsentwürfe Hardenbergs und Humboldts in der vom König unter anderen Vorzeichen berufenen Verfassungskommission, doch waren die Würfel gegen eine konstitutionelle Entwicklung in Preußen mit der Karlsbader Übereinkunft bereits gefallen. Humboldts Kampf, für den er zeitweise sogar noch eine Reihe seiner Kollegen gewinnen konnte, fand auf längst verlorenem Posten statt. Sein energisches Eintreten gegen polizeiliche Willkürmaßnahmen im Zuge von „Demagogen“-Verfolgungen führte auf Hardenbergs Betreiben zu seiner Entlassung am 31. Dezember 1819, die er gelassen hinnahm, auf Pensionsansprüche verzichtend.<ref>Gall 2011, S. 334–337; Scurla 1984, S. 562–564.</ref>
Auch für die Unternehmer sucht er eine gerechte Lösung:
„Der Unternehmer einer großen Manufaktur würde ohne Zweifel ganz beträchtliche Verluste erleiden, wenn der Inlandsmarkt plötzlich für ausländische Konkurrenten eröffnet wird und er dadurch gezwungen werden sollte, sein Gewerbe aufzugeben. Jener Teil seines Kapitals, den er bisher zum Kauf von Rohstoffen und für die Bezahlung der Löhne seiner Arbeiter normalerweise verwendet hat, dürfte vermutlich ohne nennenswerte Schwierigkeit in anderen Gewerben eine Anlage finden, den anderen Teil aber, in Werkstätten und Maschinen investiert, könnte er wohl kaum ohne empfindlichen Verlust veräußern. Aus Rücksicht auf seine berechtigten Interessen ist es daher erforderlich, solche Änderungen niemals plötzlich, sondern langsam, stufenweise und erst nach einer entsprechend langen Ankündigungszeit vorzunehmen.


Die zentrale Funktion des Staates bleibt, das Privateigentum vor Übergriffen zu schützen und die Einhaltung von Verträgen sicherzustellen. Smith lebte jedoch im Zeitalter des europäischen [[Merkantilismus]], der sich hauptsächlich auf die Kontrolle des Außenhandels und damit [[Interventionismus]] konzentrierte, gegen den Smith heftig argumentierte. Gleichwohl hielt Smith den damals in England praktizierten Merkantilismus im Allgemeinen für freiheitlicher als denjenigen in vielen Nachbarländern wie etwa in Frankreich.
=== Bau- und Schlossherr in Tegel ===


Adam Smith war bei einigen bedeutenden englischen Politikern seiner Zeit sehr geschätzt. Nach seiner Rückkehr aus Frankreich wurde er Berater des britischen Schatzkanzlers. Im Jahr 1787 traf er sich mehrmals mit dem mehrfachen Premierminister William Pitt, der ein glühender Bewunderer des ''[[Wohlstand der Nationen]]'' und ein leidenschaftlicher Befürworter von Smiths Freihandelsprinzipien war (siehe D. D. Raphael, ''Adam Smith''). Adam Smith war außerdem mit dem amerikanischen Gründervater [[Benjamin Franklin]] befreundet. Während Franklins Aufenthalt in London besprach er mit ihm (und anderen) jedes Kapitel des damals noch geplanten Werks ''[[Wohlstand der Nationen]]''.
Humboldt bestimmte Ort und Inhalt des eigenen Daseins noch einmal neu. Er entschied sich für das elterliche Erbe in Tegel als künftigen Lebensmittelpunkt, allerdings in einer Gestalt, die seinen Neigungen und ästhetischen Vorstellungen ganz anders entsprach, als dies für das „Schloss Langweil“ aus Kindertagen galt. Antike Kunst und Kultur waren in seinem Bildungsweg wichtigster Maßstab geworden: Nun sollten sie auch das Haus prägen. Dazu war ein weitreichender Um- und Ausbau des bestehenden Komplexes nötig, mit dem Humboldt den seit ihren Begegnungen in Rom geschätzten [[Karl Friedrich Schinkel]] betraute. Den vorhandenen Baubestand erweiterte Schinkel in einem architektonischen Bravourstück um eine viertürmige [[Klassizismus|klassizistische]] Fassade und schuf einen Innenraum, der dann in stilvoller Weise mit den von Wilhelm und Caroline im Laufe der Jahrzehnte getätigten Erwerbungen an Marmorplastiken und Gipsabgüssen ausgestattet wurde. So entstand hier nicht nur eine einzigartige Wohnanlage, sondern zugleich ein erstes preußisches Antikenmuseum.
Außerdem war Adam Smith Mitarbeiter in dem vom schottischen Großkaufmann [[Andrew Cochrane of Brighouse]] (1693–1777) gegründeten [[Political Economy Club]], wo Smith auch wirtschaftliche Informationen erhielt, die er in seinem Werk „Der Wohlstand der Nationen“ miteinbrachte.


Adam Smith kritisierte heftig die Kolonialpolitik Englands sowie anderer europäischer Staaten, insbesondere Spaniens: „Torheit und Ungerechtigkeit waren anscheinend die vorherrschenden Motive und bestimmten die ersten Pläne zur Gründung der Kolonien: Die Torheit, Gold und Silber nachzujagen, und die Ungerechtigkeit, den Besitz eines Landes zu begehren, dessen harmlose Eingeborene weit davon entfernt waren, jemals einen Europäer zu beleidigen“ (''[[Wohlstand der Nationen]], viertes Buch, Kap. 7''). Smith sah im Gegensatz zu den Merkantilisten, keine staatliche Aufgabe darin, den Gold- und Silberimport zu unterstützen. Es war für ihn nicht einmal sicher, dass die Goldmengen, die via Spanien aus Südamerika hereinfluteten überhaupt vorteilhaft für Europa waren: Zwar wurden dadurch Produkte aus Gold wie Schmuck und Silberbesteck erschwinglicher; andererseits wurde der Nutzen von Gold als Zahlungsmittel gemindert. Man musste größere Mengen Gold mitführen, um über die gleiche Kaufkraft zu verfügen (WN, 4. Buch, Kap. 1).
[[Datei:Schloss Tegel1.JPG|mini|[[Schloss Tegel]], umgebaut durch [[Karl Friedrich Schinkel]]]]
Das kongeniale Zusammenwirken Humboldts und Schinkels –&nbsp;die Einweihung des Umbaus fand im Oktober 1824 in Anwesenheit des preußischen Kronprinzenpaares und anderer illustrer Gäste statt&nbsp;– sollte wenige Jahre später bei der Entstehung des Alten Museums am [[Lustgarten (Berlin)|Lustgarten]] –&nbsp;Baumeister: Schinkel, Objektausstattung: Wilhelm von Humboldt&nbsp;– erneut zum Tragen kommen. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des 1825 gegründeten Vereins der Kunstfreunde, der die Förderung von Kunst und Künstlern betrieb, war Humboldt mit seiner umfassenden Kenntnis der alten Welt auch bei der Einrichtung des [[Altes Museum|Alten Museums]] zweifellos höchst nützlich. Und so erfreute er sich im Zuge der Museumseröffnung 1830 auch von Seiten des Königs neuerlich großer Wertschätzung sowie ehrender Auszeichnungen und war gebeten, fortan wieder an den Sitzungen des Staatsrats teilzunehmen. Dabei war an ernsthaftes politisches Engagement nicht mehr gedacht, und Humboldt hat seinen Ehrensitz dann auch nur noch zurückhaltend wahrgenommen.


Smith argumentierte sowohl aus moralischen Gründen, sowie aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz für die Abschaffung der Sklaverei: „Die Erfahrung zu allen Zeiten und in allen Völkern beweist, wie ich glaube, dass die Arbeit eines Sklaven am Ende die teuerste ist.“ Nur sehr profitträchtige Pflanzungen wie Tabak oder Zucker können, so Smith, die hohen Kosten der Sklavenhaltung (noch) tragen. Der Grund, weshalb die Arbeit von Sklaven der von freien Männern zuweilen vorgezogen wird, ist der Stolz, der den Menschen herrschsüchtig macht und dazu führt, dass ihn nichts mehr kränkt, als sich herablassen zu müssen, um Untergebene zu überzeugen (''[[Wohlstand der Nationen]]'', drittes Buch, Kap. 2: “The pride of man makes him love to domineer, and nothing mortifies him so much as to be obliged to condescend to persuade his inferiors”).
Im Jahre 1829 setzte bei Humboldt nach dem Tod Carolines, die ihn in allen Lebenslagen ermutigt und gestärkt hatte, ein beschleunigtes Altern ein; er beschrieb selbst akribisch die Symptome der sich bei ihm einstellenden [[Parkinson-Krankheit]].<ref>Eine kurze medizinische Analyse der Erkrankung Humboldts findet sich bei [http://www.springermedizin.de/promipatient-humboldt-cme-2-2008/184680.html ''Akribischer Erstbeschreiber – Wie Humboldt seinen Parkinson (er)lebte''], CME 2008; 5 (2): 45; Springer-Verlag</ref>
Auch im vierten Buch, Kapitel 7, stellte Smith fest, dass Sklaven in einem Staat mit einer willkürlichen Regierung mehr Schutz genießen als in einer freien:  
{{Zitat|Sofern das Gesetz den Sklaven gegen die Gewalttätigkeit seines Herrn einigermaßen schützt, so wird es in einer Kolonie, deren Regierung großenteils willkürlich ist, genauer befolgt werden als in einer solchen, wo sie völlig frei ist. In jedem Lande, wo das unglückselige Gesetz der Sklaverei gilt, mischt sich die Obrigkeit, wenn sie den Sklaven beschützt, mehr oder weniger in die Verwaltung des Privateigentums des Herrn und darf dies in einem freien Lande, wo der Herr entweder Mitglied einer Kolonial-Versammlung oder Wähler eines solchen Mitgliedes ist, sich nur mit der größten Vorsicht und Behutsamkeit erlauben.}}


Die Schriften von Smith bildeten neben anderen das theoretische Fundament des späteren [[Manchesterliberalismus]].
Allabendlich diktierte der Humboldt, der auch ansonsten in seinem Tegeler Domizil an einem klar gegliederten Tagesablauf festhielt, aus dem Stegreif ein [[Sonett]]. Das vom 26. Dezember 1834 enthält die Zeilen:
<poem style="margin-left:2em;">
Ich lieb’ euch, meiner Wohnung stille Mauern,
und habe euch mit Liebe aufgebauet;
wenn man des Wohners Sinn im Hause schauet,
wird lang nach mir in euch noch meiner dauern.<ref>Berglar 1970, S. 134.</ref>
</poem>


=== Rezeption ===
Seine Nachkommen wirkten –&nbsp;über alle geschichtlichen Wechsellagen des 19. und 20. Jahrhunderts hinweg&nbsp;– an der Einlösung dieser Vision mit und führten die Doppelnutzung von Schloss Tegel als Familienwohnsitz und Museum, das interessierten Besuchern in Teilen zugänglich ist, bis in die Gegenwart fort.
[[Joseph Schumpeter]] schreibt in ''[[History of Economic Analysis]]'' (1954) über Smiths Werk, dass es „keine einzige, analytische Idee oder Methode und kein analytisches Prinzip enthält, die im Jahre 1776 völlig neu gewesen wären.“ Überdies betitelte Schumpeter den Beitrag Smiths in ''Die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung'' als historische Soziologie ohne ökonomische Relevanz.


Die größte Kritik an Smith und den 170 Jahren Smith-Forschung formulierte vermutlich [[Murray Rothbard]] in seinem im Jahre 1995 erschienenen Werk. Nach Rothbard genießt Smith den Ruf als Exponent der freien Marktwirtschaft völlig zu Unrecht. Die zentrale Kritik ist die Schlussfolgerung Smiths, dass der Wert durch die objektiven Produktionskosten bestimmt wird und nicht durch die subjektive Einschätzung der Konsumenten. Mit diesem elementaren Fehler soll Smith den theoretischen Unterbau für den Marxismus gebildet und überdies die Fortschritte seiner talentierten Vorgänger negiert und die Wirtschaftswissenschaften auf den falschen Weg gebracht haben.
[[Theodor Fontane]] würdigte in den [[Wanderungen durch die Mark Brandenburg]] das Familiengrab im Schlosspark: {{"|Das berühmte Brüderpaar, das diesem Flecken märkischen Sandes auf Jahrhunderte hin eine Bedeutung leihen und es zur Pilgerstätte für Tausende machen sollte, ruht dort gemeinschaftlich zu Füßen einer granitenen Säule, von deren Höhe die Gestalt der ‚Hoffnung‘ auf die Gräber beider herniederblickt.}}
[[Datei:37.Adam Smith.jpg|miniatur|links|Adam Smith]]
Adam Smith stand Gesellschaften mit beschränkter Haftung, insbesondere Aktiengesellschaften sehr kritisch gegenüber. [[P. J. O’Rourke]] bemerkte daher, dass Smith die große Bedeutung, die Aktiengesellschaften später erlangten, nicht vorhergesehen und diese Institution insofern falsch eingeschätzt hatte. Die Kritik bezieht sich auf eine Stelle im fünften Buch im Wohlstand der Nationen. Demnach verstehen Aktionäre selten etwas vom Geschäft der Gesellschaft. Aktiengesellschaften werden von Direktoren geleitet, die das Geld anderer Leute verwalten. „Daher müssen Nachlässigkeit und Verschwendung in der Geschäftsführung einer solchen Gesellschaft stets mehr oder weniger vorherrschen“ (WN, fünftes Buch, 1. Kapitel, Teil 3). Ferner bemerkt P.J. O’Rourke, dass Adam Smith das Ausmaß der industriellen Revolution, die im Wesentlichen nach seinem Tod einsetzte, nicht vorhergesehen habe. Dies obwohl Adam Smith mit [[James Watt]] befreundet war und dessen Erfindung bewunderte. Nach P.J. O’Rourke sah Smith die industrielle Revolution deswegen nicht voraus, da sie aus seiner Sicht schon zu seinen Lebzeiten stattgefunden habe.<ref>P.J. O’Rourke: ''On The Wealth of Nations.'' New York, 2007, ISBN 978-0-87113-949-8, S.&nbsp;82–83.</ref>


James Buchan kritisiert, dass Smith eine statische Welt beschreibe, in der weder Bevölkerungszunahme und -abnahme noch innovative Unternehmer vorkämen. Innovation beschreibt Smith ausschließlich in Form stückchenweiser Verbesserungen. Bahnbrechende Erfindungen einführende Unternehmer wie beispielsweise Thomas Edison, die oft im Zentrum moderner ökonomischer Analysen stehen, werden von Smith als „projectors“ abgetan, die im Allgemeinen knappes Kapital für unrentable Ideen verschwenden.<ref>James Buchan: ''The Autentic ADAM Smith.'' New York 2006, ISBN 0-393-32994-1, S. 119.</ref>
=== Begründer der vergleichenden Sprachforschung und -wissenschaft ===


Von James Buchan ebenso wie von Helen Winter & Thomas Rommel wird kritisiert, dass Smith die Bedeutung von Frauen als Teilnehmer im Wirtschaftsleben nahezu völlig ausblendet. Er folgt damit, so bemerkt H. Winter & T. Rommel in gewisser Weise abschwächend, einem allgemeinen Verständnis der Zeit des 18. Jahrhunderts, das Weiblichkeit nicht als gesellschaftlich gleichwertig ansah.<ref>Helen Winter, Thomas Rommel: ''Adam Smith für Anfänger: Der Wohlstand der Nationen.'' 3. Auflage, München 2006, S.&nbsp;143–146.</ref>
[[Datei:WilhelmVonHumboldt.jpg|mini|hochkant|Wilhelm von Humboldt, Kreidezeichnung von [[Johann Joseph Schmeller]]]]
Während der eineinhalb Jahrzehnte in seinem Tegeler Reich beschäftigte Humboldt sich vorrangig mit Sprachstudien. Das Material dafür hatte er auf seinen Reisen teils selbst gesammelt, teils in seiner ausgedehnten Briefkorrespondenz erschlossen, teils auch aus dem Fundus der Forschungsreisen seines Bruders Alexander bezogen. Ab 1827 war der Bruder wieder in Berlin und häufig zu Besuch in Tegel. Brieflich urteilte er nach dem Tode Wilhelms, den er mehr als zwei Jahrzehnte überlebte:
{{Zitat|Er hat neben sich entstehen sehen und mächtig gefördert eine neue allgemeine [[Sprachwissenschaft]], ein Zurückführen des Mannigfaltigen im Sprachbau auf Typen, die in geistigen Anlagen der Menschheit gegründet sind: Den ganzen Erdkreis in dieser Mannigfaltigkeit umfassend, jede Sprache in ihrer Struktur ergründend, als wäre sie der einzige Gegenstand seiner Forschungen gewesen, […] war der Verewigte nicht nur unter seinen Zeitgenossen derjenige, welcher die meisten Sprachen grammatikalisch studiert hatte; er war auch der, welcher den Zusammenhang aller Sprachformen und ihren Einfluss auf die geistige Bildung der Menschheit am tiefsten und sinnigsten ergründete.|ref=<ref>Zitiert nach Scurla 1976, S. 605.</ref>}}


Adam Smith attackierte sehr gründlich alle Restriktionen, mit denen merkantilistische Staaten den grenzüberschreitenden Verkehr von Gütern und Kapital behinderten. Alan Wolfe bemerkte, dass Smith eigenartigerweise fast nirgendwo für den Abbau von Hürden bei der Aus- und Einwanderung von Personen argumentiert hat. Abgesehen von Nebenbemerkungen im Abschnitt über die bessere Verhandlungsposition von Arbeitern in den Nordamerikanischen Kolonien, enthält der Wealth of Nations an keiner Stelle eine detaillierte Untersuchung der Vorteile wenn Arbeiter grenzüberschreitend die besten Arbeitsmöglichkeiten suchen dürfen.<ref>Alan Wolfe: ''The Future of Liberalism.'' 1. Auflage, New York 2009, S. 202.</ref>
Neben den schon in jungen Jahren erlernten Fremdsprachen erstreckte sich die Sprachbeherrschung Humboldts auf Englisch, Italienisch, Spanisch, Baskisch, Ungarisch, Tschechisch, Litauisch; seine wissenschaftlichen Untersuchungen galten den Eingeborenensprachen Amerikas (Náhuatl-Mexikanisch, Otomí, Huastekisch, Maya, Tarahumara, Quechua, Muisca, Guaraní u.&nbsp;a.), dem Koptischen, dem Altägyptischen, dem Chinesischen, dem Japanischen, dem indischen Sanskrit, dem Birmanischen, der [[Wikipedia:Hawaiische Sprache|hawaiischen Sprache]]<ref>1827 sprach er mit Harry Maitey, dem ersten Hawaiier in Preußen, und stellte die Ergebnisse 1828 in der Berliner Akademie der Wissenschaften vor (Moore, Anneliese: ''Harry Maitey: From Polynesia to Prussia.'' In: Hawaiian Journal of History 11 (1977): 125–161, S. 138–139).</ref> und dem Altjavanischen. Wilhelm von Humboldt gehört zu den Begründern der [[Baskische Sprache|baskischen]] Sprachwissenschaft. Aus seinen Studien der altamerikanischen Sprachen gingen 1820 bis 1823 rund dreißig von ihm selbst verfasste, mehr oder minder weit ausgeführte Grammatiken und Wörterbücher hervor. In einem Vortrag ''Über das Entstehen der grammatischen Formen und ihren Einfluss auf die Ideenentwicklung'' suchte er zu zeigen, dass der Bildungswert der Sprachen sich nach dem Maße ihres grammatischen Formenreichtums bestimme. Humboldts besondere Hochschätzung diesbezüglich hatten das (Alt-)Griechische, das Sanskrit und die semitischen Sprachen.<ref>Gall 2011, S. 344 f.</ref>


Smith argumentiert im ''Wohlstand der Nationen'' ausgiebig mit historischen Beispielen, seine Vorgehensweise entspricht dabei jedoch aus Sicht von R. H. Campbell und A. S. Skinner nicht der geschichtswissenschaftlichen Orthodoxie. Das von Smith benutzte geschichtliche Material ist nur insofern aussagekräftig, um seine Analysen verständlich zu machen. Problematisch wird dies in Fällen, in denen das historische Material von zentraler Bedeutung für Smith’ Argumentation ist. Er schreibt am Ende des ersten Kapitels des dritten Buchs: „Nach dem natürlichen Lauf der Dinge wird daher in jedem sich entwickelnden Land das Kapital zunächst überwiegend in die Landwirtschaft, später ins Gewerbe und zuallerletzt in den Außenhandel gelenkt. Diese Ordnung der Dinge ist so natürlich, dass sie in jedem Land, wie ich glaube, in gewissem Grade befolgt wurde.“ Im nächsten Absatz stellt Smith angesichts der tatsächlichen historischen Fakten diesen „natürlichen Lauf der Dinge“ auf den Kopf:
In seiner Typologie der Sprachen ging Humboldt davon aus, dass die Sprache den Stoff der Erscheinungswelt in gedankliche Form zu gießen habe. Die Sprache vermittelt also zwischen den empirischen Tatsachen und den Ideen. Aus den Graden der Durchformung der Materie ergibt sich eine genetische Stufenleiter der Sprachevolution mit drei Typen: Auf der niedrigsten Stufe bezeichnet die Sprache zunächst nur Gegenstände, und die Verknüpfungen müssen durch den Verstehenden hinzugedacht werden, was z.&nbsp;B. durch die Stellung innerhalb des Satzes erleichtert wird. Humboldt bezeichnet die Sprachen dieser Stufe als [[Isolierender Sprachbau|isolierende Sprache]]. Das Hinzudenken der grammatischen Bezüge verlangsamt jedoch den Gedankenfluss. Auf der zweiten Stufe kommen bei den [[Agglutinierender Sprachbau|agglutinierenden Sprachen]] formgebende Bestandteile in Form von [[Affix]]en hinzu, wie z.&nbsp;B. im Türkischen. Dadurch werden die grammatischen Bezüge expliziter, doch auch hier sind Wortstamm und formgebende Bestandteile noch deutlich getrennt. Auf der dritten, höchsten Stufe erlangt das Wort selbst durch die [[Flexion]] (Numerus, Genus, Kasus usw.), vor allem durch [[Wurzelflexion]], eine „grammatische Individualität“ und wird so nicht nur zum lexikalischen Bedeutungsträger, sondern zeigt durch inkorporierte oder veränderte Wortbestandteile selbst auch die grammatischen Verhältnisse an. Beispiel dafür sind die alten indoeuropäischen ([[Sanskrit]], [[Altgriechische Sprache|Altgriechisch]]) oder die [[Semitische Sprachen|semitischen Sprachen]]. Weil auf dieser Stufe kein Stoff mehr formlos bleibe, also jede Lauteinheit durch eine Begriffseinheit durchdrungen sei, begeistere und bewege die Sprache durch ihre „[[Eurhythmie]]“, welche die Wirkung der Ideen verstärke.<ref>W. v. Humboldt: ''Über die Entstehung der grammatischen Formen, und ihren Einfluss auf die Ideenentwicklung.'' Vorlesung 1822.</ref>
{{Zitat|Obwohl sich diese natürliche Entwicklung in jedem Lande in einem gewissen Grade hätte vollziehen müssen, ist sie in allen modernen Staaten Europas in vielerlei Beziehung völlig umgekehrt verlaufen. So hat der Außenhandel in einigen Städten alle feineren Manufakturwaren oder solche, die für den Fernhandel geeignet waren, eingeführt. Gewerbe und Außenhandel haben dann zusammen den entscheidenden Fortschritt in der Landwirtschaft in die Wege geleitet.}}


In den folgenden beiden Kapiteln des dritten Buches erläutert der „Historiker“ Smith, wie sich die Zunahme des Wohlstands auf eine Art und Weise vollzogen hat, die vom „natürlichen Lauf“ verschieden war. Es wird hier deutlich, dass bei der Nutzung des Wohlstand der Nationen als historische Quelle gewisse Spannungen zwischen der analytisch „spekulativen“ Darstellung der historischen Entwicklung und der „orthodoxen“ Geschichtsschreibung zu berücksichtigen sind.<ref>R. H. Campbell, A. S. Skinner: ''An inquiry into the nature and causes of the wealth on nations.'' Indianapolis 1979, S.&nbsp;50–60.</ref>
Allerdings bereitete die chinesische Sprache, eine Sprache also, in der sich eine hochentwickelte intellektuelle Kultur ausdrückte, für Humboldts Typologie ebenso ein Problem wie der Schwund der Flexion in den modernen europäischen Sprachen (z.&nbsp;B. im Englischen). So modifizierte er seine Stufentheorie: Flexionsarmut und damit relative Formlosigkeit bedeutete nun für ihn nicht mehr intellektuelle Simplizität oder gar Geistlosigkeit. Im Gegenteil erlaube der Schwund der Flexion eine höhere Beweglichkeit des Geistes; dieser benötige auf einer entwickelten Stufe, wenn er Sicherheit im Umgang mit den Formen erlangt habe, nicht mehr die Anzeige der grammatischen Verhältnisse durch [[Morphologie (Linguistik)|morphologische]] Kennzeichen mit „volltönendem Silbenfall“ (so bei der Wurzelflexion), sondern er löse die Flexionsformen mit Hilfe von [[Hilfsverb]]en und [[Präposition]]en auf. Dadurch muteten die analytischen Sprachen wie das Chinesische oder Englische dem Verstand größere Arbeit zu als die „fast maschinenmäßige“ Hilfe durch die Flexion: Der Gedanke herrsche hier frei über die Sprachlaute und befreie sich von den materiellen Aspekten der Flexionsformen. Damit verliere die Sprache freilich einige ihrer ästhetische Qualitäten.<ref>''Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java.'' (1830-35)</ref> Die Parallelen zwischen der Humboldtschen Entwicklungstypologie hin zum ästhetischen Ideal der Flexionssprachen und [[Hegel]]s dialektischer Entwicklung der Kunst bis zum Ideal der klassischen Kunstform sind hierbei unübersehbar.<ref>Nachwort des Hrsg. zu: Wilhelm von Humboldt: ''Schriften zur Sprache.'' Hrsg. von Michael Böhler. Ergänzte Ausgabe Stuttgart 1995, S. 252.</ref>


[[Alan Greenspan]] bezeichnet es als verblüffend, dass unsere heutigen Vorstellungen von der Wirksamkeit des Marktes und des freien Wettbewerbs im Wesentlichen schon in den Gedanken von Adam Smith enthalten sind. Greenspan bezeichnet Smiths ''Wohlstand der Nationen'' als eine der größten Errungenschaften der Geistesgeschichte.<ref>Alan Greenspan: ''The Age of Turbulence.'' Penguin Books, 2008, S.&nbsp;260–261.</ref>
[[Datei:Stamps of Germany (Berlin) 1985, MiNr 731.jpg|mini|[[Briefmarken-Jahrgang 1985 der Deutschen Bundespost Berlin|Briefmarke (1985)]] zum 150.&nbsp;Todestag]]
Quell dieses umfassenden sprachlichen Forschungsdrangs war Humboldts [[Philosophische Anthropologie|Menschenbild]], in dem Sprache die Schlüsselrolle innehatte: {{"|Denn da das menschliche Gemüt die Wiege, Heimat und Wohnung der Sprache ist, so gehen unvermerkt, und ihm selbst verborgen, alle ihre Eigenschaften auf dasselbe über.}} Und in einer Abhandlung über den Nationalcharakter der Sprachen schreibt Humboldt: {{"|Insofern aber die Sprache, indem sie bezeichnet, eigentlich schafft, dem unbestimmten [[Denken]] ein Gepräge verleiht, dringt der [[Geist]], durch das Wirken mehrerer unterstützt, auch auf neuen Wegen in das Wesen der Dinge selbst ein. […] Einige Nationen begnügen sich gleichsam mehr an dem Gemälde, das ihre Sprache ihnen von der Welt entwirft, und suchen nur in sie mehr Licht, Zusammenhang und Ebenmaß zu bringen. Andre graben sich gleichsam mühseliger in den Gedanken ein, glauben nie genug in den Ausdruck legen zu können, ihn anpassend zu machen, und vernachlässigen darüber das in sich Vollendete der Form. Die Sprachen beider tragen dann das Gepräge davon an sich.}}


[[Amartya Sen]] bezeichnete den Beitrag von Smiths ''Wohlstand der Nationen'' für unser Verständnis dessen, was später Kapitalismus genannt wurde, als monumental. Seine Erkenntnisse sind bis zum heutigen Tag bedeutend. Nach Sen betrachtete Smith den reinen Marktmechanismus keineswegs als ausreichend. Für das Funktionieren einer Marktwirtschaft ist außerdem noch Vertrauen zwischen den Akteuren einschließlich der Banken unverzichtbar. Smith erläuterte in seinem Werk die Mechanismen, die dazu führen, dass dieses Vertrauen manchmal gestört ist. Er würde, so Sen, die derzeitigen Probleme von Firmen und Banken nicht rätselhaft finden.<ref>Amartya Sen: ''Capitalism Beyond the Crisis.'' In: ''The New York Review of Books.'' Volume 56, Number 5, March 26, 2009</ref>
Zwischenmenschliches Verstehen in entwickelter Form setzt eine gemeinsame Sprache voraus; und das ist nach Humboldt Triebfeder und Medium auch des wissenschaftlichen Fortschritts: {{"|Denn das Verstehen ist kein Zusammentreffen der Vorstellungsweisen in einem unteilbaren Punkt, sondern ein Zusammentreffen von Gedankensphären, von welchen der allgemeine Teil sich deckt, der individuelle überragt. Dadurch wird das geistige Fortschreiten des Menschengeschlechts möglich, indem jede gewonnene Erweiterung des Denkens in den Besitz anderer übergehen kann, ohne in ihnen der Freiheit Fesseln anzulegen, welche zur Aneignung und zu neuer Erweiterung notwendig ist.}} In jedem Dialog, in dem ein Subjekt auf sprachliche Objekte trifft, welche sein Gegenüber geformt hat, und sie nutzt und weiter entwickelt, aber auch durch die ständige Umformung der Gedanken bei Mehrsprachigkeit kann die Entstehung dieser gemeinsamen Sprache gefördert werden, die stets eine lebendige, dialogische und nicht nur ein Artefakt oder ein durch Konvention festgelegtes Zeichensystem ist.


== Gedenken ==
Wie eine vorweggenommene Kritik der [[Semiotik]] des 20. Jahrhunderts liest sich Humboldts Bemerkung über die [[Konventionstheorie]] der Sprache: {{Zitat|Den nachteiligsten Einfluss auf die interessante Behandlung jedes Sprachstudiums hat die beschränkte Vorstellung ausgeübt, dass die Sprache durch Konvention entstanden, und das Wort nichts als Zeichen einer unabhängig von ihm vorhandenen Sache, oder eines ebensolchen Begriffs ist. Diese bis auf einen gewissen Punkt freilich unleugbar richtige, aber weiter hinaus auch durchaus falsche Ansicht tötet, sobald sie herrschend zu werden anfängt, allen Geist und verbannt alles Leben, und ihr dankt man die so häufig wiederholten Gemeinplätze: […] dass jede Sprache, wenn man sich ihrer nur recht zu bedienen weiß, ungefähr gleich gut ist […] die Sprache ist ein eignes und selbstständiges Wesen, ein Individuum, die Summe aller Wörter, die Sprache, ist eine Welt, die zwischen der erscheinenden außer, und der wirkenden in uns in der Mitte liegt []|ref=<ref>Wilhelm von Humboldt: ''Über die Natur der Sprache im allgemeinen.'' Aus: ''Latium und Hellas''. In: ''Schriften zur Sprache.'' Hrsg. von Michael Böhler. Ergänzte Ausgabe Stuttgart 1995, S. 7 f.</ref>}}
[[Datei:Adam Smith statue by Alexander Stoddart.jpg|miniatur|Denkmal für Adam Smith vor der St.-Giles-Kathedrale in Edinburgh]]
Smith ziert die am 30. Oktober 2006 vorgestellte und am 13. März 2007 ausgegebene neue 20-Pfund-Sterling-Banknote der [[Bank of England]]. Schon früher war sein Porträt auf einer 50-Pfund-Banknote einer schottischen Bank erschienen.<ref>Vannessa Allen: ''Why not Winston: Anger as little known Scot gets on new note.'' In: ''Daily Mirror.'' 31. Oktober 2006, S. 17.</ref> In Edinburgh erinnert seit Juli 2008 unweit der St.-Giles-Kathedrale ein Denkmal an Adam Smith.


== Siehe auch ==
Selbst die zur Bezeichnung empirischer Gegenstände benutzten Wörter sind in verschiedenen Sprachen nie vollkommene [[Synonym]]a; umso mehr gilt dies bei Bezeichnungen für Gedanken und Empfindungen mit noch unbestimmteren Umrissen. So hängt die Sprache als ein nie abgeschlossenes organisches Ganzes für Humboldt eng mit der Individualität und den Denkstilen der sie Sprechenden zusammen.<ref>Gerda Hassler: ''Zur Auffassung der Sprache als eines organischen Ganzen bei Wilhelm von Humboldt und zu ihren Umdeutungen im 19. Jahrhundert.'' In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung, 38(1985)5, S. 564–575.</ref>
* {{WikipediaDE|Adam Smith}}
 
* {{WikipediaDE|Der Wohlstand der Nationen}}
Ein in diesem Sinne besonders fruchtbares Zusammentreffen von Gedankensphären hat das Tegeler Brüderpaar miteinander erlebt&nbsp;– und die Nachwelt davon profitieren lassen. Wilhelm entwickelte aufgrund seiner politischen Ämter mehr preußischen Patriotismus und vermisste diesen bei dem lange Zeit in Paris weilenden Alexander gelegentlich. Doch im Grunde ging beiden jegliche vaterländische Borniertheit ab, und bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit einte sie ihr [[Kosmopolitismus|kosmopolitischer]] Ansatz. [[Herbert Scurla]] sah in den nachstehenden Sätzen Wilhelm von Humboldts, auf die Alexander im „Kosmos“ ausdrücklich verwiesen hat, ein gemeinsames Vermächtnis der Humboldt-Brüder:
* {{WikipediaDE|Klassische Nationalökonomie}}
 
{{Zitat|Wenn wir eine Idee bezeichnen wollen, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist; wenn irgendeine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher missverstandene Vervollkommnung des ganzen Geschlechtes beweist: so ist es die Idee der Menschheit, das Bestreben, die Grenzen, welche Vorurteile und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen gestellt, aufzuheben; und die gesamte Menschheit ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe als einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung eines Zweckes, der freien Entwicklung innerer Kraft, bestehendes Ganzes zu behandeln. Es ist dies das letzte, äußere Ziel der Geselligkeit und zugleich die durch seine Natur selbst in ihn gelegte Richtung des Menschen auf unbestimmte Erweiterung seines Daseins.|ref=<ref>Zitiert nach Scurla 1976, S. 611.</ref>}}
 
== Philosoph von eigener Art ==
 
Den diversen Wirkungsfeldern, in denen sich Wilhelm von Humboldt erprobt und Bedeutung erlangt hat, ist auch die Philosophie zuzurechnen, wie [[Volker Gerhardt]] zeigt. Als wichtiger Zeuge für Humboldts philosophischen Rang ist [[John Stuart Mill]] anzuführen, der ihn in seinem kanonischen Werk ''On Liberty'' („Über die Freiheit“) in eine Linie mit [[Sokrates]] stellte und ihn zu den bedeutendsten Philosophen überhaupt zählte. Der für Sokrates entscheidenden Verbindung von Individualität, Freiheit und Öffentlichkeit in Verbindung mit dem Anspruch auf Wahrheit und Wissen setzte Mill das Komplementärgefüge aus Freiheit, Vielfalt und Selbstbestimmung hinzu. Dieser Zusammenhang, stellte Mill fest, sei sonst nur in Humboldts Bildungslehre zu finden. Für Volker Gerhardt wird damit klar, „dass Humboldt zusammen mit Sokrates der wichtigste Gewährsmann für Mills Begründung seiner Freiheitstheorie ist.“<ref>Volker Gerhardt: ''Wilhelm von Humboldt als Philosoph.'' In: ''Pädagogische Rundschau.'' Heft 5, 71. Jahrgang, 2017, S. 460 f.</ref>
 
Humboldt unterscheidet sich laut Gerhardt von den Vertretern der modernen politischen Philosophie darin, dass von ihm nicht Probleme der Legitimation, der Gerechtigkeit, der Regierungsform oder der Abgrenzung von Politik und Moral vorrangig behandelt würden, sondern dass er – die Rechtmäßigkeit der Regierungsform und des Regierungshandelns bereits voraussetzend – mit der Frage befasst sei, „was ein gut legitimierter und auf das Wohl der Menschen bedachter Staat zur bestmöglichen ''Entfaltung der Kräfte seiner Bürger'' beitragen kann! […] Seine Aufmerksamkeit ist darauf gerichtet, was einen ''legitimen'' Staat zu einem ''guten'' Staat macht!“ Humboldts Kriterium dafür erweise sich als „unerhörter Paradigmenwechsel“, indem er allein auf die Zufriedenheit der Bürger als Maßstab abstelle: „Humboldt wagt es, Glück und Zufriedenheit der Menschen an eine Bedingung zu knüpfen, für die niemals bloß der Staat, sondern immer auch die mit Lust betriebene Anstrengung des Einzelnen verantwortlich ist: Und eben das ist die mit dem Begriff der Bildung umschriebene Entfaltung der besten Kräfte des Einzelnen.“ Schaffe es der Staat, seinen Bürgern diesen Spielraum zu bieten, dann könne er selbst auch mit einer Steigerung seiner Möglichkeiten rechnen, so Gerhardt in seiner Auslegung Humboldts weiter. „Wenn Partizipation das Grundprinzip des Politischen ist, dann hat sie bei Wilhelm von Humboldt erstmals eine alle Teile umfassende dynamische Form gefunden.“ Allein so angelegte Staatswesen würden aber auch auf Dauer als legitim angesehen: „Nur wenn es den Staaten gelingt, die ''Bildung'' zu fördern, so dass jeder zu einer ''produktiven Gestaltung seines eigenen Daseins'' finden kann, darf man hoffen, dass auch die Legitimität des Gemeinwesens Bestand hat.“<ref>Volker Gerhardt: ''Wilhelm von Humboldt als Philosoph.'' In: ''Pädagogische Rundschau.'' Heft 5, 71. Jahrgang, 2017, S. 462 f.</ref>


== Werke ==
Humboldts frühe philosophische Schriften, darunter auch ''Über den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluss auf die organische Natur'' sowie ''Über die männliche und weibliche Form'', zielen nicht auf Themen der zeitgenössischen Schulphilosophie, sondern erweisen ihn, so Gerhardt, als einen von den eigenen Problemen ausgehenden Denker sui generis. „''Individualität'', ''Universalität'', ''Leben'' und sich selbst begreifender ''Geist'' sind die vier Dimensionen, um deren integrale Verbindung es Wilhelm von Humboldt in seinen philosophischen Schriften geht.“ In ihnen würden Lösungen geboten, „die von der Philosophie der Gegenwart endlich zur Kenntnis zu nehmen sind, damit sie kritisch geprüft und systematisch bearbeitet werden können.“<ref>Volker Gerhardt: ''Wilhelm von Humboldt als Philosoph.'' In: ''Pädagogische Rundschau.'' Heft 5, 71. Jahrgang, 2017, S. 466 f.</ref> Die Gründe, warum Fachphilosophen Humboldt reserviert begegneten, sieht Gerhardt darin, dass dieser zum Teil scheinbar Randständiges behandle und nicht immer erkennen lasse, zu welchem fachspezifischen Gegenstand er etwas beisteuern wolle. Man müsse ihn darum „wie einen Schatz aus Gedanken bergen, die nicht zu den zentralen Lehrstücken der Philosophie gehören.“<ref>Volker Gerhardt: ''Wilhelm von Humboldt als Philosoph.'' In: ''Pädagogische Rundschau.'' Heft 5, 71. Jahrgang, 2017, S. 462 f.</ref> Ähnlich urteilt Georg Zenkert über die als Bruchstücke vorliegenden bildungstheoretischen Schriften Wilhelm von Humboldts, die ihren Zweck als Wegweiser vollständig erfüllten: „Fragmentarisch ist weniger das Werk Humboldts als seine Rezeption.“<ref> Georg Zenkert: ''Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie als Anthropologie.'' In: ''Pädagogische Rundschau.'' Heft 5, 71. Jahrgang, 2017, S. 471.</ref>
[[File:Smith - Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, 1922 - 5231847.tif|thumb|''Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations'', 1922]]
* ''The Theory of Moral Sentiments.'' 1759 (dt.: ''[[Wikipedia:Theorie der ethischen Gefühle|Theorie der ethischen Gefühle]].'' übers. u. hrsg. v. Walther Eckstein. Meiner, Hamburg 2004, ISBN 978-3-7873-1671-7)
* ''Considerations Concerning the Formation of Languages and the Different Genius of original and compounded Languages.'' 1767
* ''An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations.'' 1776 (dt.: ''[[Der Wohlstand der Nationen|Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker]]''), UTB, 2005, ISBN 3-8252-2655-7 (Voll-Faksimile-Ausgabe)
* ''An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations.'' Vol. I/ Vol. II. Printed for W. Strahn; and T. Cadell, in the Strand, 1776; erschienen im IDION-Verlag, München 1976 (als Vorlage diente eine sich in der Universitätsbibliothek Heidelberg befindende Originalausgabe).


== Literatur ==
== Zu den Themen "Werke" und "Literatur" siehe auch
* Katrin Marçal: ''Who Cooked Adam Smith's Dinner? A Story of Women and Economics.'' 2016, Pegasus.<ref>[https://www.goodreads.com/book/show/26889774-who-cooked-adam-smith-s-dinner goodreads.com]</ref>
* {{WikipediaDE|Wilhelm von Humboldt}}
* Michael S. Aßländer: ''Adam Smith zur Einführung.'' Reihe: Zur Einführung, 341. Junius, Hamburg 2007, ISBN 978-3-88506-641-5.
* Reinhard Blomert: ''Adam Smiths Reise nach Frankreich oder die Entstehung der Nationalökonomie''. Die Andere Bibliothek, 2012.
* Thomas Rommel, Helen Winter: ''Adam Smith für Anfänger: „Der Wohlstand der Nationen“.'' dtv, München 1999, ISBN 3-423-30708-0 (eine Lese-Einführung. Originalausgabe, dtv Sachbuch / Kultur & Geschichte 30708).
* Thomas Rommel: ''Das Selbstinteresse von [[Bernard Mandeville|Mandeville]] bis Smith. Ökonomisches Denken in ausgewählten Schriften des 18. Jahrhunderts.'' Reihe: Anglistische Forschungen, 367. Winter, Heidelberg 2006, ISBN 3-8253-5239-0 (Zugleich [[Habilitation]]s-Schrift an der Universität Tübingen 2000).
* Karl Ballestrem: ''Adam Smith''. Reihe: Beck’sche Reihe: Denker, 561; [[C. H. Beck]], München 2001, ISBN 3-406-45976-5.
* Peter Bendixen: ''Der Traum vom Wohlstand der Nationen. Kritik der ökonomischen Vernunft,'' Facultas / Wiener Universitätsverlag, Wien 2005, ISBN 3-85114-887-8.
* Gerhard Streminger: ''Adam Smith. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten.'' Reihe Rowohlts Monographien, 440; rororo 50440 [[Rowohlt Verlag]], Reinbek bei Hamburg 1989, 2. erg. Aufl. 1999, ISBN 3-499-50440-5<ref>Streminger beleuchtet insbes. die aufklärerische Philosophie Smith’. Siehe auch das Lemma Streminger, sowie unten Weblinks</ref>
* Gerhard Streminger: ''Der natürliche Lauf der Dinge. Essays zu Adam Smith und [[David Hume]].'' Metropolis, Marburg 1995, ISBN 3-89518-048-3. Neuaufl. 2010.
* Gerhard Streminger: ''Adam Smith. Wohlstand und Moral. Eine Biographie.'' München: C.H.Beck, 2017, ISBN 978-3-406-70659-2.
* Norbert Waszek: ''Adam Smith in Germany, 1776–1832.'' In: Hiroshi Mizuta, Chuhei Sugiyama (Hrsg.): ''Adam Smith: International Perspectives.'' Macmillan, London; St. Martin’s Press, New York 1993, ISBN 0-312-08937-6, S.&nbsp;163–180.
* Bernd Otto Weitz: ''Bedeutende Ökonomen.'' Oldenbourg, München 2008, ISBN 978-3-486-58222-2.
* Ian Simpson Ross: ''Adam Smith. Leben und Werk'' (Originaltitel: ''The Life of Adam Smith.'' übersetzt von Hans Günther Holl). Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 1998, ISBN 3-87881-123-3.<ref>mit ausführlicher Primär-Bibliographie</ref>
* Patric Jake O’Rourke: ''Adam Smith. Vom Wohlstand der Nationen.'' dtv, München 2008, ISBN 978-3-423-34459-3 (= ''Bücher, die die Welt veränderten'').
* David Daiches Raphael: ''Adam Smith.'' Campus, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-593-34487-4.
* Eleonore Kalisch: ''Von der Ökonomie der Leidenschaften zur Leidenschaft der Ökonomie. Adam Smith und die Actor-Spectator-Kultur im 18. Jahrhundert.'' Avinus, Berlin 2006, ISBN 3-930064-68-5.
* Nicholas Philippson: ''Adam Smith. An Enlightened Life.'' Yale University Press, 2010, ISBN 978-0-300-16927-0.<ref>''Wie gut, dass Adam Smith ein Schotte war.'' In: ''Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung'', 26. September 2010, S. 38.</ref>
* Siegmund Feilbogen: ''Smith und Turgot. Ein Beitrag zur Geschichte und Theorie der Nationalökonomie.'' Wien 1892 (Reprint Genf 1970).
* Adam Smith für Anfänger: Der Wohlstand der Nationen - Eine Lese-Einführung von Helen Winter und Thomas Rommel, dtv, München 1999, ISBN 3-423-350708-0
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/sozialwissenschaft_adamsmith.pdf Adam Smith für Anfänger: Der Wohlstand der Nationen - Eine Besprechung der Leseeinführung von Helen Winter und Thomas Rommel] PDF


== Weblinks ==
== Siehe auch ==
{{Wikisource|en:Author:Adam Smith|Adam Smith (englisch)}}
* {{WikipediaDE|Wilhelm von Humboldt}}
{{Wikiquote}}
{{Commonscat|Adam Smith (philosopher)|Adam Smith}}
* {{Webarchiv | url=http://www.1911encyclopedia.org/Adam_Smith | wayback=20130606140816 | text=Eintrag}} in der Classic Encyclopedia (englisch)
* MetaLibri Digital Library:
** [http://metalibri.wikidot.com/title:an-inquiry-into-the-nature-and-causes-of-the-wealth-of-nations:smith-a ''The Wealth of Nations'']
** [http://metalibri.wikidot.com/title:theory-of-moral-sentiments:smith-a ''The Theory of Moral Sentiments'']
* [http://oll.libertyfund.org/people/adam-smith Smiths Werke als Onlineausgabe] – Liberty Fund
* Josef Bordat: [http://jobo72.wordpress.com/2013/02/20/adam-smith-eine-erste-orientierung-zu-leben-und-werk/ ''Adam Smith – Eine erste Orientierung zu Leben und Werk'']
* {{IEP|http://www.iep.utm.edu/s/smith.htm || Jack Russell Weinstein}}
* [http://hpd.de/node/9917?page=0,1 ''Ein „Band der Freundschaft“ knüpfen''.] In: ''Humanistischer Pressedienst''. Gerhard Streminger zur Aktualität Smiths und seiner (Wirtschafts-) Ethik, Interview am 12. Juli 2010, Teile 1–7
* [https://www.youtube.com/watch?v=FrBascEZu1c Adam Smith - Moralphilosoph und Begründer der modernen Ökonomie] Audio


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
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{{Personendaten
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|KURZBESCHREIBUNG=schottischer Ökonom und Moralphilosoph
|GEBURTSDATUM=getauft 16. Juni 1723
|GEBURTSORT=[[Kirkcaldy]], [[Fife (Schottland)|Grafschaft Fife]], [[Schottland]]
|STERBEDATUM=17. Juli 1790
|STERBEORT=[[Edinburgh]], [[Schottland]]
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Version vom 26. Juni 2018, 10:58 Uhr

Wilhelm von Humboldt (Lithographie von Franz Krüger)

Friedrich Wilhelm Christian Carl Ferdinand von Humboldt (* 22. Juni 1767 in Potsdam; † 8. April 1835 in Tegel) war ein preußischer Gelehrter, Schriftsteller und Staatsmann. Als Bildungsreformer initiierte er die Neuorganisation des Bildungswesens im Geiste des Neuhumanismus und betrieb die Gründung der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin.

Zusammen mit seinem Bruder Alexander von Humboldt zählt er zu den großen, fortwirkend einflussreichen Persönlichkeiten in der deutschen Kulturgeschichte. Während Alexander dabei vor allem der erd- und naturwissenschaftlichen Forschung neue Horizonte erschlossen hat, lagen die Schwerpunkte für Wilhelm in der Beschäftigung mit kulturwissenschaftlichen Zusammenhängen wie der Bildungsproblematik, der Staatstheorie, der analytischen Betrachtung von Sprache, Literatur und Kunst sowie in aktiver politischer Mitgestaltung als Reformmotor im Schul- und Universitätswesen und als preußischer Diplomat.

Inmitten aller Vielfalt der von aufklärerischen Impulsen bestimmten, gemeinwohlorientierten Betätigungen in Politik, Bildungswesen, Kultur und Wissenschaft hatte Wilhelm von Humboldt stets zugleich die Auslotung und Bildung der eigenen Individualität und Persönlichkeit im Blick. In der wiederum auf menschliche Individuen allgemein anzuwendenden Zielformel geht es um „die höchste und proportionierlichste Ausbildung aller menschlichen Kräfte zu einem Ganzen“.[1]

Biographie

Herkunft und Jugend

Wilhelm von Humboldt, porträtiert von Johann Heinrich Schmidt 1784
Gedenkstein für Gottlob Johann Christian Kunth, Erzieher der Humboldt-Brüder

In der väterlichen Linie waren die Humboldt-Brüder Sprösslinge pommerscher Vorfahren aus dem Bürgertum. Ihr Großvater Hans Paul Humboldt wurde Kapitän im preußischen Militär und wegen seiner Verdienste 1738 auf eigenes Ersuchen in den Adelsstand erhoben.[2] Dessen Sohn Alexander Georg von Humboldt (1720–1779) wurde nach seinem Ausscheiden aus dem Heeresdienst auf Geheiß Friedrichs des Großen Kammerherr bei der Gemahlin des Thronfolgers bis zum Scheitern dieser Ehe 1769. Bereits 1766 hatte Alexander Georg die vermögende Witwe hugenottischer Herkunft Elisabeth von Holwede, geb. Colomb, geheiratet und war durch sie in den Besitz von Schloss Tegel gelangt. An der Ausbildung der Söhne Wilhelm und Alexander auf dem Tegeler Gut – winters in der Berliner Stadtwohnung, da das Schloss nur schwer beheizbar war – wurde nicht gespart.

Als Hauslehrer engagierten die Eltern unter anderem renommierte Persönlichkeiten wie Joachim Heinrich Campe und Johann Jacob Engel, ab 1777 für mehr als zehn Jahre Gottlob Johann Christian Kunth, der den Erziehungsplan koordinierte und den Unterricht der verschiedenen Fachlehrer beaufsichtigte. Kunth, der sich auch hinsichtlich der Gutsverwaltung eine Vertrauensstellung bei den Humboldts erworben hatte, wurde nach dem Tod seines Brotherrn 1779 zum unentbehrlichen Berater der erneut verwitweten Frau von Humboldt und dann auch zum Vermögensverwalter seiner Schützlinge. Wilhelm von Humboldt wiederum förderte später Kunths Aufstieg zum Mitarbeiter des Freiherrn vom Stein in der preußischen Reformära und erfüllte ihm nach seinem Tode 1829 den Wunsch, in der Nähe des Familiengrabs der Humboldts in Tegel beigesetzt zu werden.

Schon als 13-Jähriger soll Wilhelm Griechisch, Latein und Französisch gesprochen haben und mit wichtigen Autoren der jeweiligen Literatur vertraut gewesen sein. Sein enormer Studienfleiß weckte nicht selten Besorgnis bei ihm Nahestehenden. Ab 1785 verkehrten die Humboldt-Brüder in Kreisen der Berliner Aufklärung. In Vorbereitung auf die Universitätsstudien nahmen die Brüder auf Vermittlung Kunths an Privatvorlesungen beispielsweise in Nationalökonomie und Statistik, Naturrecht und Philosophie teil. Im Zusammenhang damit gelangten sie auch in das Haus des vielseitig interessierten Arztes Marcus Herz, der als Anhänger Immanuel Kants philosophische und physikalische Vorlesungen hielt, sowie in den Salon seiner Frau Henriette Herz, zu der Wilhelm zeitweise eine schwärmerische Zuneigung fasste. Dort lernten die Brüder unter anderem Moses Mendelssohn kennen, studierten gemeinsam die Schriften Kants und diskutieren über die Frage: Was ist Aufklärung? In den folgenden Jahren erhielten sie Privatunterricht von Christian Wilhelm von Dohm über den Welthandel. Wilhelm lernte von Ernst Ferdinand Klein die Grundzüge des Naturrechts und bei Johann Jakob Engel Begriffs- und Urteilslogik. Auch in die Schriften von John Locke und David Hume wurde er von Engel eingeführt.[3]

Als Mitglied in ihrem „Bund der Freunde“, einem von vielen damals existierenden Tugendbünden, zu dem sowohl eine Satzung als auch eine Geheimschrift gehörte, kam Wilhelm späterhin in Kontakt mit Caroline von Dacheröden, die dem Bund als auswärtiges Mitglied gleichfalls angehörte.

Das Ziel der anspruchsvollen Ausbildung ihrer Söhne lag für die Mutter darin, sie für einflussreiche Staatsämter zu qualifizieren. Wilhelm war für ein Studium der Rechtswissenschaften vorgesehen, Alexander für Staatswirtschaftslehre, die als Kameralia firmierten. Noch unter Kunths Obhut begannen die Brüder ihr jeweiliges Studium an der Brandenburgischen Universität Frankfurt, die Wilhelm aber nach einem Semester verließ, um sich im Frühjahr 1788 an der Georg-August-Universität Göttingen zu immatrikulieren.

Bildungsreisen, Eheschließung und Umgang mit den Weimarer Klassikern (1788–1797)

In Göttingen löste sich Humboldt aus den vorgegebenen Bahnen und folgte fortan eigenen Impulsen, Interessen und Einsichten. Im Studium widmete er sich weniger der Jurisprudenz und mehr der Philosophie, der Geschichte und den alten Sprachen. Dabei besuchte er auch Veranstaltungen von Kapazitäten wie dem Experimentalphysiker Lichtenberg und dem klassischen Philologen Heyne. Zudem befasste er sich unter anderem mit Naturgeschichte und setzte sich intensiv mit Kants Schriften auseinander.[4]

1788 war auch das Jahr, in dem er Caroline von Dacheröden kennenlernte, die er 1791 in Erfurt heiratete. Mit ihrem überlieferten Briefwechsel, für den ein von beiden Eheleuten gepflegter Ton wechselseitiger Idealisierung bezeichnend ist, schufen Caroline und Wilhelm von Humboldt ein Orientierungsmuster des Geschlechterverhältnisses für das deutsche Bürgertum im 19. und noch im 20. Jahrhundert. Dabei führten beide eine „offene Ehe“. Humboldts Konzept der optimalen individuellen Entfaltung schloss den Anspruch ein, die eigene Sexualität mit wechselnden Partnerinnen auch aus dem käuflichen Milieu ausleben zu können. Bekannt ist sein Verhältnis mit Johanna Motherby, Gattin des Arztes William Motherby, in Königsberg. Carolines mehrjähriger Hausfreund in Jena und auf Reisen war Wilhelm von Burgsdorff (1772–1822).[5]

Von seinem Studienort Göttingen aus unternahm Humboldt noch gegen Ende des Jahres 1788 eine Reise über Kassel, Marburg und Gießen in die Rhein/Main-Gegend, bei der er u. a. einige Tage in Mainz mit dem Weltumsegler Georg Forster und seiner Frau Therese verbrachte und auf Gut Pempelfort mit dem streitbaren sensualistischen Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi in eine anhaltende Verbindung trat. Im Sommer 1789 brach er zu einer weiteren Reise auf, die ihn gemeinsam mit seinem vormaligen Lehrer Campe am 3. August in das revolutionäre Paris führte. Tags darauf wurde per Dekret der Verfassunggebenden Nationalversammlung das Feudalsystem abgeschafft. Humboldt besuchte sowohl eine Sitzung der neuen Volksvertretung als auch die kürzlich vom Volk gestürmte Bastille, wobei er sich anders als der von der Revolutionsbegeisterung mitgerissene Campe eher als nüchterner Beobachter gab. Jenseits des Revolutionsgeschehens interessierte er sich einerseits für Kunst und Architektur, andererseits auch für Spitäler, Gefängnisse und für die Lage der Pariser Waisenkinder, die er in einem Findelhaus aufsuchte. In seinen Notizen heißt es:

„Alle Laster entspringen beinah aus dem Mißverhältnis der Armut gegen den Reichtum. In einem Lande, worin durchaus ein allgemeiner Wohlstand herrschte, würde es wenig oder gar keine Verbrechen geben. Darum ist kein Teil der Staatsverwaltung so wichtig als der, welcher für die physischen Bedürfnisse der Untertanen sorgt.“[6]

Nach der Abreise von Paris Ende August setzte Humboldt die Reise noch bis zum November des Jahres mit einem längeren Aufenthalt in der Schweiz fort. Als Folge seiner Reiseerfahrungen kann ein Bedürfnis nach regelmäßigem Wechsel seiner äußeren Umwelt angenommen werden, nach Wohnortwechseln über Ländergrenzen hinweg.[7] Humboldt selbst äußerte später: „Der Grundsatz, daß man in vielen Lagen aller Art gewesen sein müsse, ist so fest in mir, daß mir jede, in der ich noch nicht war, schon darum angenehm ist.“[8]

Über die Weihnachtstage 1789 hielt sich Wilhelm von Humboldt mit seiner Verlobten in Weimar auf und hatte dort erste Begegnungen mit Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe. Anfang 1790 trat er nach Beendigung des viersemestrigen Studiums in den Staatsdienst und erhielt eine Anstellung im Justizdepartement, wo er für die Richterlaufbahn ausgebildet wurde, zugleich aber die Zusatzqualifikation für den diplomatischen Dienst erwarb. Schon im Mai 1791 suchte er mit Hinweis auf Familienumstände um seine Entlassung nach, sei es, dass ihm die Ausübung des Richteramts unter dem Eindruck gegenaufklärerischer Tendenzen im preußischen Staatswesen zuwider war,[9] sei es, dass seine anderweitig entwickelten Neigungen den Ausschlag gaben oder dass er die Anstellung nur betrieben hatte, um vor seiner Mutter und vor seinem Schwiegervater in spe, dem Kammerpräsidenten von Dacheröden, zu bestehen.[10]

Nach der Hochzeit in Erfurt am 29. Juni 1791 lebte das junge Paar während der darauffolgenden zweieinhalb Jahre auf den Dacheröden’schen Gütern in Thüringen, wo Humboldt nun mit Caroline seine Studien der altgriechischen Sprache, Kultur, Kunst und Philosophie fortsetzte und in regem Gedankenaustausch mit dem Hallenser Altphilologen Friedrich August Wolf vertiefte. Die Beschäftigung mit der Antike diente ihm zu dem Zweck „der philosophischen Kenntnis des Menschen überhaupt“. Den griechischen Geist begriff er „als Ideal desselben, was wir selbst sein und hervorbringen möchten“. 1793 entstand die Schrift Über das Studium des Altertums und des Griechischen insbesondere, die seinen betonten Philhellenismus zeigt, gegen dessen Alleingültigkeitsanspruch selbst Schiller Vorbehalte hatte.[11]

Wilhelm (2. v. l.) mit Schiller, seinem Bruder Alexander und Goethe in Jena

Mit seiner für die geistesgeschichtliche Epoche des Neuhumanismus charakteristischen Hochschätzung des antiken Griechentums und mit seiner weitreichenden Kenntnis zeigte sich Humboldt bereits als „‚Juniorpartner‘ der deutschen Klassik“,[12] als er im Februar 1794 mit der jungen Familie an Schillers damalige Wirkungsstätte nach Jena umzog. Die Rolle, die er fortan zunächst Schiller, dann auch Goethe gegenüber spielte, war die des scharfen Analytikers, konstruktiven Kritikers und versierten Ratgebers, der unter anderem auf Schillers Balladen und sein Wallenstein-Drama ebenso kunstverständig einging wie auf Goethes Herrmann und Dorothea.

Über Humboldts idealisierendes Bekenntnis zum antiken Griechenland und seinen nachfolgenden Einfluss auf das deutsche Bildungswesen urteilt Peter Berglar: „Obwohl Humboldt sich an Tiefe nicht mit Goethe, an Dynamik nicht mit Schiller und an Schöpferkraft mit beiden nicht von Ferne messen konnte, hat doch gerade er vielleicht den stärksten, sicher aber den längsten Einfluß auf die deutsche Entwicklung genommen.“[13] Bis April 1797 währte das enge Miteinander Humboldts mit Schiller in Jena, länger unterbrochen durch Reisen und Aufenthalte Wilhelms in Berlin und Tegel von Mitte 1795 bis zum Tod Elisabeths von Humboldt im November 1796, deren Vermögen auf die Söhne überging und diese materiell unabhängig machte. Während Wilhelm Schloss Tegel übernahm, kam Alexander nun zu dem Kapital, mit dem er seine amerikanische Forschungsreise finanzierte.

Privatier in Paris und Preußens Gesandter in Rom (1797–1808)

Als Humboldt an Silvester 1797 in seinem Tagebuch zurückblickte, erschien ihm die Periode von Mitte 1795 bis zum gerade zurückliegenden Spätherbst als die schlimmste seines bisherigen Lebens.[14] Daran hatten nicht nur Erfahrungen von Krankheit und Tod im engsten Umfeld Anteil. Der intensive Ideenaustausch mit Schiller und die zunehmende Nähe auch zu Goethe hatten Humboldt einerseits fasziniert, ihn andererseits aber auch an Grenzen und zu Selbstzweifeln geführt. Als er mit seinem Vorhaben, die Entwicklung des menschlichen Geistes umfassend darzustellen, in Ansätzen stecken blieb, klagte er Schiller gegenüber, es fehle ihm an „der Kraft, die ihren Gegenstand mit Leidenschaft angreift, die von ihm fortgerissen wird und dauernd an ihm festhängt – an Genie.“ Schiller führte das in seiner Erwiderung auf ein für Humboldt charakteristisches „Übergewicht des urteilenden Vermögens über das frei bildende“ bzw. über die Erfindung zurück: „Ihr Subject wird Ihnen zu schnell Object und doch muss alles auch im wissenschaftlichen nur durch das subjective Wirken verrichtet werden.“[15]

Humboldt suchte in der Folge neue geeignete Felder für die Entfaltung und Vervollkommnung seiner Anlagen. Da durch Napoleons Italien-Feldzug das bevorzugte Reisewunschziel aus Sicherheitsgründen vorerst entfiel, zog er mit seiner Familie für vier Jahre in das noch immer von der Revolution bewegte, aber für auswärtige Besucher wieder aufgeschlossene Paris. Dort machte Humboldt eine Reihe intensiver und anregender Bekanntschaften, wie beispielsweise die des Abbé Sieyès, von Mme. de Staël und des Revolutionsmalers David. Wieder ging es um die Erweiterung des eigenen geistigen Horizonts im Gespräch mit führenden Köpfen der Zeit, „immer geleitet von dem Bestreben, in ihre jeweilige Welt einzudringen und von der Begegnung mit ihr zu profitieren.“[16] Von Paris aus unternahm er 1799 mit Caroline, drei Kindern und diversen Bedienten sowie 1801 ohne die Familie zwei längere Reisen nach Spanien, die sich langfristig vor allem hinsichtlich der sprachwissenschaftlichen Studien des Baskischen für ihn als ertragreich erwiesen.

Wilhelm von Humboldt, Porträtstatue von Bertel Thorvaldsen, 1808

Im Sommer 1801 kehrte Humboldt mit Frau und Kindern für gut ein Jahr nach Tegel zurück. Im folgenden Frühjahr eröffnete sich für ihn die Chance, auf bequeme und einträgliche Weise nach Italien zu kommen: als preußischer Gesandter beim Heiligen Stuhl in Rom. Nun zahlte sich aus, dass er während seiner Anstellung im Justizbereich zugleich eine Qualifikation für den diplomatischen Dienst und den Titel des Legationsrats erworben hatte. Als Mann von Welt aus dem Adelsstand empfahl er sich für diesen Posten, der möglichen Konkurrenten als eher unattraktiv galt, nachdem der Kirchenstaat unter französischer Vorherrschaft zusammengeschrumpft und der Papst von Napoleons Gnaden abhängig war. Mit der Aufgabe der konsularischen Vertretung preußischer Untertanen in Rom war Humboldt zeitlich nicht gefordert, so dass er genug Gelegenheit hatte, sein repräsentatives Haus, den Palazzo Tomati nahe der Spanischen Treppe, gemeinsam mit Caroline zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt Roms zu machen. Hier verkehrten neben Kurienangehörigen als Gäste beispielsweise Lucien Bonaparte, noch als Kronprinz der spätere Ludwig I. von Bayern, die Bildhauer Bertel Thorvaldsen und Christian Daniel Rauch sowie der junge Karl Friedrich Schinkel, Carl Ludwig Fernow, Friedrich Tieck und August Wilhelm Schlegel in Begleitung der Frau von Staël.

Die Faszination, die Rom auf Wilhelm von Humboldt ausübte und die sein sechsjähriges Wirken als preußischer Gesandter dort begründete, erschließt sein Brief vom 23. August 1804 an Goethe:

„Rom ist der Ort, in dem sich für unsere Ansicht das ganze Altertum zusammenzieht […] Es ist allerdings also das meiste an diesem Eindruck subjektiv, aber es ist nicht bloß der empfindelnde Gedanke, zu stehen, wo jener oder dieser große Mann stand. Es ist ein gewaltsames Hinreißen in eine von uns nun einmal, sei es durch notwendige Täuschung, als edler und erhabener angesehene Vergangenheit, eine Gewalt, der selbst, wer wollte, nicht widerstehen kann, weil die Öde, in der die jetzigen Bewohner das Land lassen, und die unglaubliche Masse der Trümmer selbst das Auge dahin führen […] Aber es ist auch nur eine Täuschung, wenn wir selbst Bewohner Athens oder Roms zu sein wünschten. Nur aus der Ferne, nur von allem Gemeinen getrennt, nur als vergangen muß das Altertum uns erscheinen.“[17]

Im Sommer 1805 besuchte der von seiner Amerika-Expedition zurückgekehrte und schon damals als „zweiter Kolumbus“ gefeierte Alexander von Humboldt für mehr als drei Monate den Bruder und die Schwägerin in Rom, bevor er sich in Paris an die umfassende wissenschaftliche Auswertung des gesammelten Forschungsmaterials machte. Dies darf als Zeichen einer intensiven Kommunikation und herzlichen Verbundenheit der mitunter in starken Kontrast zueinander gesetzten Brüder genommen werden. Ihr Verhältnis und komplementäres Wirken wird gelegentlich mit dem Bild von den „preußischen Dioskuren“ wiedergegeben.

Die Liquidierung des Heiligen Römischen Reiches, den Zusammenbruch Preußens nach der Niederlage bei Jena und Auerstedt sowie die französische Besetzung Berlins 1806 verfolgte Humboldt von seinem Posten in Rom. An Staatsminister Karl August Fürst von Hardenberg, der auch die Geschäfte des Außenministers ausübte, schrieb er im Herbst 1806: „Ich war niemals ehrgeizig oder interessiert und zufrieden mit dem Posten in dem Lande, das ich bewohne und das ich liebe und habe weder gesucht noch gewünscht, in eine andere Lage zu kommen, aber jetzt ist es mir peinlich, hier müßig zu sein und nichts für das bedrängte Vaterland tun zu können.“[18] Anderweitige Verwendung hatte man aber in Berlin offenbar nicht für ihn, und so blieb er noch bis zum Oktober 1808 in Rom.

Der Bildungsreformer (1809/10)

Gedenktafel im Haus Unter den Linden 6 in Berlin-Mitte

Ein Urlaubsgesuch zur Regelung von Vermögensangelegenheiten und zur Schadensaufnahme im geplünderten Schloss Tegel bot Humboldt die Gelegenheit zur Rückkehr nach Deutschland. Dort angekommen erfuhr er bald, dass er im Zuge der auf den Weg gebrachten Preußischen Reformen die Leitung der „Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts“ übernehmen sollte; der Reformenprotagonist Freiherr vom Stein setzte sich für Humboldt auf diesem Posten ein. Der preußische Militärstaat, wie er von Friedrich Wilhelm I. geschaffen und von Friedrich II. auf Expansionskurs gesetzt worden war, hatte vorerst abgewirtschaftet und befand sich Napoleon gegenüber in einer demütigenden Abhängigkeit. Um aus dieser Lage heraus wieder zu Kräften zu kommen, bedurfte es im Sinne Steins und seiner Mitstreiter umfassender Reformen mit dem Ziel, dem mit der Französischen Revolution erwachten Freiheitsstreben der Bürger Raum zu geben, ihre Eigenverantwortung zu fördern und auf diese Weise dem Staat und der Nation neue Ressourcen zu erschließen.

Theoretische Grundlagen

Humboldts staatstheoretische Vorstellungen lagen seit langem schon auf dieser Linie. Er gilt als Stammvater des deutschen Liberalismus und geriet mit seinem Ansatz in Gegensatz zu den monarchisch-konservativen Kräften in Preußen und darüber hinaus. So hatte er in seiner 1792 verfassten Abhandlung „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“ geschrieben:

„Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welche die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste, und unerlassliche Bedingung. […] Gerade die aus der Vereinigung Mehrerer entstehende Mannigfaltigkeit ist das höchste Gut, welches die Gesellschaft giebt, und diese Mannigfaltigkeit geht gewiss immer in dem Grade der Einmischung des Staats verloren. Es sind nicht mehr eigentlich die Mitglieder einer Nation, die mit sich in Gemeinschaft leben, sondern einzelne Unterthanen, welche mit dem Staat, d. h. dem Geiste, welcher in seiner Regierung herrscht, in Verhältniss kommen, und zwar in ein Verhältniss, in welchem schon die überlegene Macht des Staats das freie Spiel der Kräfte hemmt. Gleichförmige Ursachen haben gleichförmige Wirkungen. Je mehr also der Staat mitwirkt, desto ähnlicher ist nicht bloss alles Wirkende, sondern auch alles Gewirkte. […] Wer aber für andre so räsonnirt, den hat man, und nicht mit Unrecht, in Verdacht, dass er die Menschheit miskennt, und aus Menschen Maschinen machen will.“[19]

Für Humboldts Nominierung in dieser Umbruchsituation sprach seine Hochschätzung von Bildung für ein menschenwürdiges Dasein:

„Was verlangt man von einer Nation, einem Zeitalter, von dem ganzen Menschengeschlecht, wenn man ihm seine Achtung und seine Bewunderung schenken soll? Man verlangt, dass Bildung, Weisheit und Tugend so mächtig und allgemein verbreitet, als möglich, unter ihm herrschen […] Beschränken sich indess auch alle diese Forderungen nur auf das innere Wesen des Menschen, so dringt doch seine Natur beständig von sich aus zu den Gegenständen ausser ihm überzugehen, und hier kommt es nun darauf an, dass er in dieser Entfremdung nicht sich selbst verliere, sondern vielmehr von allem, was er ausser sich vornimmt, immer das erhellende Licht und die wohlthätige Wärme in sein Innres zurückstrale. Zu dieser Absicht aber muss er die Masse der Gegenstände sich selbst näher bringen, diesem Stoff die Gestalt seines Geistes aufdrücken und beide einander ähnlicher machen.“[20]

Prinzipien und Pläne für ein dreistufiges allgemeines Bildungswesen

Als Humboldt am 15. Dezember 1808 mit der Berufung in das Amt konfrontiert war, zögerte er, es anzunehmen, zumal nachdem der Freiherr vom Stein auf Druck Napoleons als Staatsminister am 25. November entlassen worden war. Nun zeichnete sich ab, dass Humboldt nicht als Minister und damit nur dem König verantwortlich, sondern als Sektionschef unter Innenminister Friedrich zu Dohna-Schlobitten tätig werden sollte. Er mag gefürchtet haben, dass ihm angesichts der Bedeutung der Aufgabe nicht genügend freie Hand bliebe zur Neuordnung des Unterrichtswesens. Das Berufungsschreiben auf den neuen Posten ließ Humboldt im Januar 1809 zwei Wochen liegen, lehnte dann halbherzig ab und bat den König, seinen diplomatischen Dienst in Rom fortsetzen zu dürfen. Das aber wurde ihm verwehrt; am 20. Februar wurde er zum Geheimen Staatsrat und Direktor der Sektion für Kultus und Unterricht im Ministerium des Inneren ernannt.[21] Nachdem er sich schließlich in die Umstände gefügt hatte, setzte Humboldt in seiner Amtsführung in Königsberg eine erstaunliche Dynamik frei und reformierte, unterstützt von seinen Mitarbeitern Nicolovius, Süvern und Uhden, sowohl temporeich wie umsichtig Lehrpläne, Lehrerausbildung und Prüfungswesen an Elementar- und Volksschulen, Gymnasien und im universitären Bereich, obwohl er das öffentliche Schulwesen aus eigener Erfahrung weder als Schüler noch als Lehrer kennengelernt hatte.

Mit Blick auf wirtschaftliche Zwänge und gesellschaftliche Realitäten wurde kritisiert, dass das humboldtsche Bildungsideal zu eng gebunden war an seine aristokratisch privilegierte Existenz. Humboldt selbst zielte aber auf eine allgemeine Bildungsreform; Belege dafür – wie auch Anregungen für die Schaffung einer Bürgergesellschaft, in der lebenslanges Lernen möglich werden könnte – enthält sein Bericht an den König vom Dezember 1809: „Es giebt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist. Giebt ihm der Schulunterricht, was hiezu erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufs nachher sehr leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschiehet, von einem zum andern überzugehen.“[22]

Humboldt zielte auf ein dreistufiges Unterrichtssystem mit Elementar-, Schul- und Universitätsunterricht. Nach jeder Unterrichtsstufe war die Möglichkeit vorgesehen, in den Beruf einzutreten. Im „Königsberger Schulplan“ sowie im „Litauischen Schulplan“ wurden im Spätherbst 1809 die Leitlinien des Konzepts ausgeführt. Sie betonten das Erfordernis einer allgemeinen Menschenbildung im Unterschied zu Ritterakademien, Kadettenschulen und manchen Realschulen, die vielfach lediglich berufsbildend ausgerichtet waren. Für Humboldt aber bedurfte das gesamte Unterrichtswesen eines einheitlichen Fundaments für alle speziellen späteren Berufs- und Erwerbstätigkeiten der Bürger. Seine Hochschätzung des Altgriechischen als Allgemeingut menschlicher Bildung fand u. a. Eingang in den Litauischen Schulplan: „Auch Griechisch gelernt zu haben könnte auf diese Weise dem Tischler ebenso wenig unnütz seyn, als Tische zu machen dem Gelehrten.“[23]

Für die dreijährige Elementarschule sah Humboldt in seinem Bericht an den König als einen Hauptgrundsatz vor, „dass das Kind immer das volle und deutliche Bewusstsein haben muss, was es in jedem Augenblick hört, sagt und thut, und warum so und nicht anders gehandelt wird“, und führte dazu aus: „Indem es so gezwungen und gewöhnt wird, von jeder, auch der kleinsten Sache Rechenschaft zu geben, lernt es zu gleicher Zeit klar denken, bestimmt wollen und vernehmlich sprechen.“[24] Im Königsberger Schulplan werden die Kernziele aller drei gemeinten Bildungsstadien behandelt:

„Der Zweck des Schulunterrichts ist die Uebung der Fähigkeiten, und die Erwerbung der Kenntnisse, ohne welche wissenschaftliche Einsicht und Kunstfertigkeit unmöglich ist. Beide sollen durch ihn vorbereitet; der junge Mensch soll in Stand gesetzt werden, den Stoff, an welchen sich alles eigne Schaffen immer anschließen muss, theils schon jetzt wirklich zu sammeln, theils künftig nach Gefallen sammeln zu können, und die intellectuell-mechanischen Kräfte auszubilden. Er ist also auf doppelte Weise einmal mit dem Lernen selbst, dann mit dem Lernen des Lernens beschäftigt. […] Der Schüler ist reif, wenn er so viel bei anderen gelernt hat, dass er nun für sich selbst zu lernen im Stande ist. Sein Sprachunterricht z. B. ist auf der Schule geschlossen, wenn er dahin gekommen ist, nun mit eigner Anstrengung und mit dem Gebrauch der vorhandenen Hülfsmittel jeden Schriftsteller, insoweit er wirklich verständlich ist, mit Sicherheit zu verstehen, und sich in jede gegebene Sprache, nach seiner allgemeinen Kenntnis vom Sprachbau überhaupt, leicht und schnell hinein zu studiren.
Wenn also der Elementarunterricht den Lehrer erst möglich macht, so wird er durch den Schulunterricht entbehrlich. Darum ist auch der Universitätslehrer nicht mehr Lehrer, der Studirende nicht mehr Lernender, sondern dieser forscht selbst und der Professor leitet seine Forschung und unterstützt ihn darin.“[25]

Universitätsgründung und Ausscheiden aus dem Amt

Denkmal Wilhelm von Humboldts vor der Humboldt-Universität in Berlin

Den krönenden Abschluss des Reformwerks bildete die von Friedrich Wilhelm III. unterstützte Gründung der Berliner Universität 1809. Für den Standort Berlin sprach aus Humboldts Sicht u. a. das Vorhandensein weiterer Einrichtungen wie der Akademie der Wissenschaften, der Akademie der Künste, das Bestehen einer vollständigen medizinischen Fakultät sowie bedeutender Sammlungen und der Akademie der Künste – in Verbindung mit der neuen Universität beste Voraussetzungen für einen vielseitig ausgreifenden wissenschaftlichen Unterricht.[26] „Niemals wieder hatte ein deutscher Unterrichtsminister“, heißt es bei Berglar, „eine stolzere Berufungsliste vorzuweisen.“[27] Zu den glanzvollsten Lehrstuhlbesetzungen gehörten in den Anfängen Friedrich Schleiermacher, Friedrich Carl von Savigny, Johann Gottlieb Fichte und Barthold Georg Niebuhr. Kein leichtes Geschäft allerdings für den Organisator, wie der seiner Frau Caroline gegenüber brieflich klagte: Es handle sich bei den Fachgelehrten um „die unbändigste und am schwersten zu befriedigende Menschenklasse – mit ihren sich ewig durchkreuzenden Interessen, ihrer Eifersucht, ihrem Neid, ihrer Lust zu regieren, ihren einseitigen Ansichten, wo jeder meint, daß nur sein Fach Unterstützung und Beförderung verdiene.“[28]

Humboldts Universitätsidee sah für den Hochschulbetrieb und das Verhältnis zwischen Dozenten und ihren Studenten die Einheit von Forschung und Lehre vor. Beide sollten auch von staatlichen Forderungen und Auflagen einengender Art freigehalten werden. Humboldt ging davon aus, dass die Universitäten in verantwortlicher Selbststeuerung auch die staatlichen Zwecke erfüllen, nur sozusagen von einer höheren Warte aus und mit Mitteln, die der Staat aus eigenem Vermögen nicht hervorbringen kann. Nicht allein für den universitären Bereich, sondern für das gesamte Bildungswesen stellte sich Humboldt für die Zukunft eine von den monarchischen Staatskassen unabhängige Finanzierung vor, die aus Einkünften entsprechend zugewiesener staatlicher Domänengüter gespeist werden sollte.[29]

Zu den nachwirkenden Maßnahmen Humboldts und seiner Mitarbeiter in der „Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts“ gehören:

  • die Einführung des Lehramtsexamens 1810 (examen pro facultate docendi), mit dem der Stand des Gymnasiallehrers geschaffen wurde, der Kenntnisse nachweisen musste in den alten Sprachen, in Geschichte und Mathematik,
  • die Vereinheitlichung und Verpflichtung der Abiturprüfung 1812 (die erst 1834 ohne Ausnahmen durchgesetzt wurde),
  • der „Plan der Unterrichtsverfassung“ eines 10-jährigen Gymnasialkurses 1816 (Curriculum, das nur ein Vorschlag blieb, aber wirkungsvoll war).

Den Vorsatz, seine Stellung im Staatsrat aufwerten zu lassen, um unabhängig und gleichberechtigt unter Kabinettskollegen wirken zu können, hatte Humboldt zu keiner Zeit aufgegeben und sich Hoffnungen gemacht, den König von den Vorstellungen des Freiherrn vom Stein überzeugen zu können. Als er erkannte, dass er damit nicht durchdringen würde, reichte er nach gut einjähriger Tätigkeit im Amt am 29. April 1810 sein Rücktrittsgesuch ein. Es dauerte zweieinhalb Monate, in denen er sowohl für die Leitung des Innen- wie des Außenministeriums im Gespräch war, bis seine Entlassung bewilligt wurde. Sein Amtsnachfolger wurde Friedrich von Schuckmann. Da er die Übernahme der Sektionsleitung für Kultus bereits mit der Bitte verknüpft hatte, später in den diplomatischen Dienst zurückkehren zu können, sollte die mit der Entlassung zugleich verbundene Ernennung zum „außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister in Wien“ seine Enttäuschung wohl abmildern.

Humboldt ist für sein jeweiliges Ausscheiden aus den Staatsämtern, die er innegehabt hatte, angegriffen worden. Eigenliebe, Genusssucht, Bequemlichkeit und Selbstüberschätzung gehören zu den angenommenen Motiven seiner Rückzüge. Dagegen stehen der enorme Einsatz und der unermüdliche Arbeitseifer, den er, wenn es darauf ankam, auch im Staatsdienst an den Tag legte. Bedingungslos galt seine Bereitschaft zum Dienst am Gemeinwesen aber nicht. Wenn die politischen Umstände ihn übermäßig zu fesseln und seinem Selbstbild zu entfremden drohten, wenn er für ein den eigenen Überzeugungen entsprechendes Wirken keine Perspektive mehr sah, dann endete für ihn jegliche Verpflichtung.[30]

Preußischer Diplomat und Minister (1810–1819)

Caroline von Humboldt war in Rom geblieben, während ihr Mann als Verantwortlicher für das Bildungswesen amtierte. Im Herbst 1810 traf sie mit den Kindern in Wien ein, um wieder mit ihm zusammenzuleben und in dem Haus am Minoritenplatz ein repräsentatives Gesellschaftsleben zu pflegen. Über seinen in habsburgische Dienste getretenen Jugendfreund Friedrich Gentz gelang es Humboldt, die Leitvorstellungen des damaligen österreichischen Außenministers Metternich kennenzulernen. Mit Hilfe seiner vielfältigen Auslandserfahrungen und weitreichenden Verbindungen verfügte Humboldt über ein wirklichkeitsnahes Bild der diversen Interessenlagen. So konnte er Hardenberg die österreichische Haltung im Konflikt Napoleons mit Russland und im beginnenden Befreiungskrieg gegen Napoleon zuverlässig vorhersagen und den späteren österreichischen Beitritt zur Koalition im Hintergrund fördern. Seine Einschätzungen und Verhandlungsimpulse bestimmten die preußischen Initiativen beim Zustandekommen der Reichenbacher Konventionen und beim gescheiterten Friedenskongress von Prag im Sommer 1813.[31] Darin sah er wohl auch selbst sein größtes Verdienst im diplomatischen Dienst. Denn damit begründete Humboldt nach der Niederlage Frankreichs unter Napoleon den Anspruch auf eine königliche Dotation, wie sie auch andere in den Befreiungskriegen prominent Mitwirkende erhielten: Er glaube „ohne Anmaßung behaupten zu können, daß, ohne mich, die Sache nicht oder minder gut zu Stande gekommen wäre.“[32] Aus dem ihm daraufhin zugesprochenen Gut Ottmachau an der Neiße durfte er mit einem jährlichen Ertrag von 5000 Talern rechnen.

Briefmarke (1952) der Serie Männer aus der Geschichte Berlins

Auf dem Wiener Kongress fungierte Humboldt für den schwerhörigen Hardenberg als dessen rechte Hand, gehörte zahlreichen Sonderausschüssen an, darunter dem zur Redaktion der Kongressakte, und trug bei den Verhandlungen über den Deutschen Bund mit zahlreichen Memoranden zur inhaltlichen Ausgestaltung der Bundesakte bei. Seine eigenen Vorstellungen einer Neuordnung der deutschen Verhältnisse unter liberalen Vorzeichen gerieten angesichts der sich schließlich zur Heiligen Allianz formierenden restaurativen Tendenzen jedoch mehr und mehr ins Abseits. Als bekannter Vertreter des Reformflügels in Preußen zog er je länger desto mehr den Argwohn Metternichs auf sich. Der hatte auch keine Skrupel, Humboldts privaten Schriftverkehr mit Caroline überwachen zu lassen, und ihn mit derlei Kenntnissen dann bei Hardenberg in Misskredit zu bringen.[33] Denn Humboldt hielt sich zwar als ausführendes Organ der preußischen Diplomatie an die ihm gemachten Vorgaben und empfahl sich damit aus eigener Sicht wohl auch als bestmöglicher Nachfolger Hardenbergs, schilderte seiner Frau dessen politische Praxis aber auch mitunter äußerst kritisch: „Er umgibt sich mit teils schlechten, teils unbedeutenden Leuten, will alles selbst machen und lässt daher alles liegen, lässt aus Gutmütigkeit die größten Missbräuche zu und vertändelt eine entsetzliche Zeit mit der Dame […] Seine ganze Stelle, wie er sie geschaffen hat, ist ein Verderbnis und kann nicht dauern.“[34]

Am Ende seiner intensiven Bemühungen auf dem Wiener Kongress und zuletzt – nach der endgültigen Niederwerfung Napoleons bei Waterloo – auf dem Pariser Friedenskongress hatte Humboldt für die eigenen Ziele wenig erreicht und sich zwischen alle Stühle gesetzt.[35] Nach Abschluss der Verhandlungen war aufgrund des deutlich gewordenen Gegensatzes zwischen Metternich und Humboldt dessen Rolle in Wien ausgespielt. In Berlin wollte Hardenberg dem potentiellen Rivalen keinen Wirkungsraum bieten; und der für ihn eigentlich vorgesehene preußische Botschafterposten in Paris scheiterte am französischen Widerstand. So wurde er zunächst für das ganze Jahr 1816 zu Anschlussverhandlungen über offene Territorialfragen im Deutschen Bund nach Frankfurt am Main geschickt und danach – auf eigenen Wunsch zeitlich befristet – als Gesandter nach London berufen. Er strebte weiterhin zumindest nach einem Ministeramt, wie es ihm schon seit 1808 vorschwebte, ihm von Hardenberg wiederholt in Aussicht gestellt und dann doch vorenthalten worden war. Nun suchte er eine Entscheidung darüber nicht mehr einvernehmlich, sondern im Gegensatz zu Hardenberg herbeizuführen.[36] Nur gut ein halbes Jahr versah Humboldt die Geschäfte des Botschafters in London, dann bat er angeblich aus familiären Gründen um seine Abberufung. Hardenberg kassierte das Gesuch, um ihn von Berlin fernzuhalten, und erst ein zweites, direkt an den König gerichtetes brachte einen halben Erfolg: Humboldt sollte erneut die preußischen Interessen beim Deutschen Bund in Frankfurt am Main wahren.

Im Januar 1819 schließlich wurde er vom König in ein Ministeramt berufen, und zwar in das für ständische Angelegenheiten. Statt sofort zuzugreifen, erbat sich Humboldt Zeit zur Orientierung und ließ erkennen, dass er eine von Hardenberg unabhängige, nebengeordnete Stellung wünschte. Erst ungnädig vor die Alternative gestellt, die Stelle unverzüglich wie angeboten oder gar nicht anzunehmen, willigte Humboldt ein.[37] Unter anderen Voraussetzungen hätte sich hier die Chance bieten können, liberale Grundlagen für eine konstitutionelle Monarchie zu schaffen und so das Verfassungsversprechen Friedrich Wilhelms III. unter eigener Regie zu erfüllen. Um sich die gewiss letzte diesbezügliche Wirkungsmöglichkeit zu erhalten, ließ Humboldt die erneut vorgebrachte Forderung nach einer Reform des Staatsrats auf sich beruhen und akzeptierte das angebotene Ministerium trotz Hardenbergs anhaltender Reserviertheit und ungeachtet dessen eigener Verfassungspläne. Die politisch interessierte Öffentlichkeit, deren Erwartungen wohl bereits für die Offerte an Humboldt den Ausschlag gegeben hatten, reagierte entsprechend erfreut auf seine Zusage. Noch bis zum Juli allerdings blieb er mit seinen Frankfurter Aufgaben befasst, ehe er die neue Stellung in Berlin antrat.[38]

In dem für seine Verfassungsvorstellungen denkbar ungünstigsten Moment musste Humboldt nun das Amt antreten. Parallel zu seiner Amtseinführung wurden zwischen den preußischen und österreichischen Regierungsspitzen die Karlsbader Beschlüsse verhandelt und verabschiedet, die die Unterdrückung und Verfolgung der liberalen Bestrebungen an den Universitäten und im öffentlichen Leben vorsahen. Zwar kam es auch danach noch zur Vorstellung der Verfassungsentwürfe Hardenbergs und Humboldts in der vom König unter anderen Vorzeichen berufenen Verfassungskommission, doch waren die Würfel gegen eine konstitutionelle Entwicklung in Preußen mit der Karlsbader Übereinkunft bereits gefallen. Humboldts Kampf, für den er zeitweise sogar noch eine Reihe seiner Kollegen gewinnen konnte, fand auf längst verlorenem Posten statt. Sein energisches Eintreten gegen polizeiliche Willkürmaßnahmen im Zuge von „Demagogen“-Verfolgungen führte auf Hardenbergs Betreiben zu seiner Entlassung am 31. Dezember 1819, die er gelassen hinnahm, auf Pensionsansprüche verzichtend.[39]

Bau- und Schlossherr in Tegel

Humboldt bestimmte Ort und Inhalt des eigenen Daseins noch einmal neu. Er entschied sich für das elterliche Erbe in Tegel als künftigen Lebensmittelpunkt, allerdings in einer Gestalt, die seinen Neigungen und ästhetischen Vorstellungen ganz anders entsprach, als dies für das „Schloss Langweil“ aus Kindertagen galt. Antike Kunst und Kultur waren in seinem Bildungsweg wichtigster Maßstab geworden: Nun sollten sie auch das Haus prägen. Dazu war ein weitreichender Um- und Ausbau des bestehenden Komplexes nötig, mit dem Humboldt den seit ihren Begegnungen in Rom geschätzten Karl Friedrich Schinkel betraute. Den vorhandenen Baubestand erweiterte Schinkel in einem architektonischen Bravourstück um eine viertürmige klassizistische Fassade und schuf einen Innenraum, der dann in stilvoller Weise mit den von Wilhelm und Caroline im Laufe der Jahrzehnte getätigten Erwerbungen an Marmorplastiken und Gipsabgüssen ausgestattet wurde. So entstand hier nicht nur eine einzigartige Wohnanlage, sondern zugleich ein erstes preußisches Antikenmuseum.

Schloss Tegel, umgebaut durch Karl Friedrich Schinkel

Das kongeniale Zusammenwirken Humboldts und Schinkels – die Einweihung des Umbaus fand im Oktober 1824 in Anwesenheit des preußischen Kronprinzenpaares und anderer illustrer Gäste statt – sollte wenige Jahre später bei der Entstehung des Alten Museums am Lustgarten – Baumeister: Schinkel, Objektausstattung: Wilhelm von Humboldt – erneut zum Tragen kommen. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender des 1825 gegründeten Vereins der Kunstfreunde, der die Förderung von Kunst und Künstlern betrieb, war Humboldt mit seiner umfassenden Kenntnis der alten Welt auch bei der Einrichtung des Alten Museums zweifellos höchst nützlich. Und so erfreute er sich im Zuge der Museumseröffnung 1830 auch von Seiten des Königs neuerlich großer Wertschätzung sowie ehrender Auszeichnungen und war gebeten, fortan wieder an den Sitzungen des Staatsrats teilzunehmen. Dabei war an ernsthaftes politisches Engagement nicht mehr gedacht, und Humboldt hat seinen Ehrensitz dann auch nur noch zurückhaltend wahrgenommen.

Im Jahre 1829 setzte bei Humboldt nach dem Tod Carolines, die ihn in allen Lebenslagen ermutigt und gestärkt hatte, ein beschleunigtes Altern ein; er beschrieb selbst akribisch die Symptome der sich bei ihm einstellenden Parkinson-Krankheit.[40]

Allabendlich diktierte der Humboldt, der auch ansonsten in seinem Tegeler Domizil an einem klar gegliederten Tagesablauf festhielt, aus dem Stegreif ein Sonett. Das vom 26. Dezember 1834 enthält die Zeilen:

Ich lieb’ euch, meiner Wohnung stille Mauern,
und habe euch mit Liebe aufgebauet;
wenn man des Wohners Sinn im Hause schauet,
wird lang nach mir in euch noch meiner dauern.[41]

Seine Nachkommen wirkten – über alle geschichtlichen Wechsellagen des 19. und 20. Jahrhunderts hinweg – an der Einlösung dieser Vision mit und führten die Doppelnutzung von Schloss Tegel als Familienwohnsitz und Museum, das interessierten Besuchern in Teilen zugänglich ist, bis in die Gegenwart fort.

Theodor Fontane würdigte in den Wanderungen durch die Mark Brandenburg das Familiengrab im Schlosspark: „Das berühmte Brüderpaar, das diesem Flecken märkischen Sandes auf Jahrhunderte hin eine Bedeutung leihen und es zur Pilgerstätte für Tausende machen sollte, ruht dort gemeinschaftlich zu Füßen einer granitenen Säule, von deren Höhe die Gestalt der ‚Hoffnung‘ auf die Gräber beider herniederblickt.“

Begründer der vergleichenden Sprachforschung und -wissenschaft

Wilhelm von Humboldt, Kreidezeichnung von Johann Joseph Schmeller

Während der eineinhalb Jahrzehnte in seinem Tegeler Reich beschäftigte Humboldt sich vorrangig mit Sprachstudien. Das Material dafür hatte er auf seinen Reisen teils selbst gesammelt, teils in seiner ausgedehnten Briefkorrespondenz erschlossen, teils auch aus dem Fundus der Forschungsreisen seines Bruders Alexander bezogen. Ab 1827 war der Bruder wieder in Berlin und häufig zu Besuch in Tegel. Brieflich urteilte er nach dem Tode Wilhelms, den er mehr als zwei Jahrzehnte überlebte:

„Er hat neben sich entstehen sehen und mächtig gefördert eine neue allgemeine Sprachwissenschaft, ein Zurückführen des Mannigfaltigen im Sprachbau auf Typen, die in geistigen Anlagen der Menschheit gegründet sind: Den ganzen Erdkreis in dieser Mannigfaltigkeit umfassend, jede Sprache in ihrer Struktur ergründend, als wäre sie der einzige Gegenstand seiner Forschungen gewesen, […] war der Verewigte nicht nur unter seinen Zeitgenossen derjenige, welcher die meisten Sprachen grammatikalisch studiert hatte; er war auch der, welcher den Zusammenhang aller Sprachformen und ihren Einfluss auf die geistige Bildung der Menschheit am tiefsten und sinnigsten ergründete.“[42]

Neben den schon in jungen Jahren erlernten Fremdsprachen erstreckte sich die Sprachbeherrschung Humboldts auf Englisch, Italienisch, Spanisch, Baskisch, Ungarisch, Tschechisch, Litauisch; seine wissenschaftlichen Untersuchungen galten den Eingeborenensprachen Amerikas (Náhuatl-Mexikanisch, Otomí, Huastekisch, Maya, Tarahumara, Quechua, Muisca, Guaraní u. a.), dem Koptischen, dem Altägyptischen, dem Chinesischen, dem Japanischen, dem indischen Sanskrit, dem Birmanischen, der hawaiischen Sprache[43] und dem Altjavanischen. Wilhelm von Humboldt gehört zu den Begründern der baskischen Sprachwissenschaft. Aus seinen Studien der altamerikanischen Sprachen gingen 1820 bis 1823 rund dreißig von ihm selbst verfasste, mehr oder minder weit ausgeführte Grammatiken und Wörterbücher hervor. In einem Vortrag Über das Entstehen der grammatischen Formen und ihren Einfluss auf die Ideenentwicklung suchte er zu zeigen, dass der Bildungswert der Sprachen sich nach dem Maße ihres grammatischen Formenreichtums bestimme. Humboldts besondere Hochschätzung diesbezüglich hatten das (Alt-)Griechische, das Sanskrit und die semitischen Sprachen.[44]

In seiner Typologie der Sprachen ging Humboldt davon aus, dass die Sprache den Stoff der Erscheinungswelt in gedankliche Form zu gießen habe. Die Sprache vermittelt also zwischen den empirischen Tatsachen und den Ideen. Aus den Graden der Durchformung der Materie ergibt sich eine genetische Stufenleiter der Sprachevolution mit drei Typen: Auf der niedrigsten Stufe bezeichnet die Sprache zunächst nur Gegenstände, und die Verknüpfungen müssen durch den Verstehenden hinzugedacht werden, was z. B. durch die Stellung innerhalb des Satzes erleichtert wird. Humboldt bezeichnet die Sprachen dieser Stufe als isolierende Sprache. Das Hinzudenken der grammatischen Bezüge verlangsamt jedoch den Gedankenfluss. Auf der zweiten Stufe kommen bei den agglutinierenden Sprachen formgebende Bestandteile in Form von Affixen hinzu, wie z. B. im Türkischen. Dadurch werden die grammatischen Bezüge expliziter, doch auch hier sind Wortstamm und formgebende Bestandteile noch deutlich getrennt. Auf der dritten, höchsten Stufe erlangt das Wort selbst durch die Flexion (Numerus, Genus, Kasus usw.), vor allem durch Wurzelflexion, eine „grammatische Individualität“ und wird so nicht nur zum lexikalischen Bedeutungsträger, sondern zeigt durch inkorporierte oder veränderte Wortbestandteile selbst auch die grammatischen Verhältnisse an. Beispiel dafür sind die alten indoeuropäischen (Sanskrit, Altgriechisch) oder die semitischen Sprachen. Weil auf dieser Stufe kein Stoff mehr formlos bleibe, also jede Lauteinheit durch eine Begriffseinheit durchdrungen sei, begeistere und bewege die Sprache durch ihre „Eurhythmie“, welche die Wirkung der Ideen verstärke.[45]

Allerdings bereitete die chinesische Sprache, eine Sprache also, in der sich eine hochentwickelte intellektuelle Kultur ausdrückte, für Humboldts Typologie ebenso ein Problem wie der Schwund der Flexion in den modernen europäischen Sprachen (z. B. im Englischen). So modifizierte er seine Stufentheorie: Flexionsarmut und damit relative Formlosigkeit bedeutete nun für ihn nicht mehr intellektuelle Simplizität oder gar Geistlosigkeit. Im Gegenteil erlaube der Schwund der Flexion eine höhere Beweglichkeit des Geistes; dieser benötige auf einer entwickelten Stufe, wenn er Sicherheit im Umgang mit den Formen erlangt habe, nicht mehr die Anzeige der grammatischen Verhältnisse durch morphologische Kennzeichen mit „volltönendem Silbenfall“ (so bei der Wurzelflexion), sondern er löse die Flexionsformen mit Hilfe von Hilfsverben und Präpositionen auf. Dadurch muteten die analytischen Sprachen wie das Chinesische oder Englische dem Verstand größere Arbeit zu als die „fast maschinenmäßige“ Hilfe durch die Flexion: Der Gedanke herrsche hier frei über die Sprachlaute und befreie sich von den materiellen Aspekten der Flexionsformen. Damit verliere die Sprache freilich einige ihrer ästhetische Qualitäten.[46] Die Parallelen zwischen der Humboldtschen Entwicklungstypologie hin zum ästhetischen Ideal der Flexionssprachen und Hegels dialektischer Entwicklung der Kunst bis zum Ideal der klassischen Kunstform sind hierbei unübersehbar.[47]

Briefmarke (1985) zum 150. Todestag

Quell dieses umfassenden sprachlichen Forschungsdrangs war Humboldts Menschenbild, in dem Sprache die Schlüsselrolle innehatte: „Denn da das menschliche Gemüt die Wiege, Heimat und Wohnung der Sprache ist, so gehen unvermerkt, und ihm selbst verborgen, alle ihre Eigenschaften auf dasselbe über.“ Und in einer Abhandlung über den Nationalcharakter der Sprachen schreibt Humboldt: „Insofern aber die Sprache, indem sie bezeichnet, eigentlich schafft, dem unbestimmten Denken ein Gepräge verleiht, dringt der Geist, durch das Wirken mehrerer unterstützt, auch auf neuen Wegen in das Wesen der Dinge selbst ein. […] Einige Nationen begnügen sich gleichsam mehr an dem Gemälde, das ihre Sprache ihnen von der Welt entwirft, und suchen nur in sie mehr Licht, Zusammenhang und Ebenmaß zu bringen. Andre graben sich gleichsam mühseliger in den Gedanken ein, glauben nie genug in den Ausdruck legen zu können, ihn anpassend zu machen, und vernachlässigen darüber das in sich Vollendete der Form. Die Sprachen beider tragen dann das Gepräge davon an sich.“

Zwischenmenschliches Verstehen in entwickelter Form setzt eine gemeinsame Sprache voraus; und das ist nach Humboldt Triebfeder und Medium auch des wissenschaftlichen Fortschritts: „Denn das Verstehen ist kein Zusammentreffen der Vorstellungsweisen in einem unteilbaren Punkt, sondern ein Zusammentreffen von Gedankensphären, von welchen der allgemeine Teil sich deckt, der individuelle überragt. Dadurch wird das geistige Fortschreiten des Menschengeschlechts möglich, indem jede gewonnene Erweiterung des Denkens in den Besitz anderer übergehen kann, ohne in ihnen der Freiheit Fesseln anzulegen, welche zur Aneignung und zu neuer Erweiterung notwendig ist.“ In jedem Dialog, in dem ein Subjekt auf sprachliche Objekte trifft, welche sein Gegenüber geformt hat, und sie nutzt und weiter entwickelt, aber auch durch die ständige Umformung der Gedanken bei Mehrsprachigkeit kann die Entstehung dieser gemeinsamen Sprache gefördert werden, die stets eine lebendige, dialogische und nicht nur ein Artefakt oder ein durch Konvention festgelegtes Zeichensystem ist.

Wie eine vorweggenommene Kritik der Semiotik des 20. Jahrhunderts liest sich Humboldts Bemerkung über die Konventionstheorie der Sprache:

„Den nachteiligsten Einfluss auf die interessante Behandlung jedes Sprachstudiums hat die beschränkte Vorstellung ausgeübt, dass die Sprache durch Konvention entstanden, und das Wort nichts als Zeichen einer unabhängig von ihm vorhandenen Sache, oder eines ebensolchen Begriffs ist. Diese bis auf einen gewissen Punkt freilich unleugbar richtige, aber weiter hinaus auch durchaus falsche Ansicht tötet, sobald sie herrschend zu werden anfängt, allen Geist und verbannt alles Leben, und ihr dankt man die so häufig wiederholten Gemeinplätze: […] dass jede Sprache, wenn man sich ihrer nur recht zu bedienen weiß, ungefähr gleich gut ist […] die Sprache ist ein eignes und selbstständiges Wesen, ein Individuum, die Summe aller Wörter, die Sprache, ist eine Welt, die zwischen der erscheinenden außer, und der wirkenden in uns in der Mitte liegt […]“[48]

Selbst die zur Bezeichnung empirischer Gegenstände benutzten Wörter sind in verschiedenen Sprachen nie vollkommene Synonyma; umso mehr gilt dies bei Bezeichnungen für Gedanken und Empfindungen mit noch unbestimmteren Umrissen. So hängt die Sprache als ein nie abgeschlossenes organisches Ganzes für Humboldt eng mit der Individualität und den Denkstilen der sie Sprechenden zusammen.[49]

Ein in diesem Sinne besonders fruchtbares Zusammentreffen von Gedankensphären hat das Tegeler Brüderpaar miteinander erlebt – und die Nachwelt davon profitieren lassen. Wilhelm entwickelte aufgrund seiner politischen Ämter mehr preußischen Patriotismus und vermisste diesen bei dem lange Zeit in Paris weilenden Alexander gelegentlich. Doch im Grunde ging beiden jegliche vaterländische Borniertheit ab, und bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit einte sie ihr kosmopolitischer Ansatz. Herbert Scurla sah in den nachstehenden Sätzen Wilhelm von Humboldts, auf die Alexander im „Kosmos“ ausdrücklich verwiesen hat, ein gemeinsames Vermächtnis der Humboldt-Brüder:

„Wenn wir eine Idee bezeichnen wollen, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist; wenn irgendeine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher missverstandene Vervollkommnung des ganzen Geschlechtes beweist: so ist es die Idee der Menschheit, das Bestreben, die Grenzen, welche Vorurteile und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen gestellt, aufzuheben; und die gesamte Menschheit ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe als einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung eines Zweckes, der freien Entwicklung innerer Kraft, bestehendes Ganzes zu behandeln. Es ist dies das letzte, äußere Ziel der Geselligkeit und zugleich die durch seine Natur selbst in ihn gelegte Richtung des Menschen auf unbestimmte Erweiterung seines Daseins.“[50]

Philosoph von eigener Art

Den diversen Wirkungsfeldern, in denen sich Wilhelm von Humboldt erprobt und Bedeutung erlangt hat, ist auch die Philosophie zuzurechnen, wie Volker Gerhardt zeigt. Als wichtiger Zeuge für Humboldts philosophischen Rang ist John Stuart Mill anzuführen, der ihn in seinem kanonischen Werk On Liberty („Über die Freiheit“) in eine Linie mit Sokrates stellte und ihn zu den bedeutendsten Philosophen überhaupt zählte. Der für Sokrates entscheidenden Verbindung von Individualität, Freiheit und Öffentlichkeit in Verbindung mit dem Anspruch auf Wahrheit und Wissen setzte Mill das Komplementärgefüge aus Freiheit, Vielfalt und Selbstbestimmung hinzu. Dieser Zusammenhang, stellte Mill fest, sei sonst nur in Humboldts Bildungslehre zu finden. Für Volker Gerhardt wird damit klar, „dass Humboldt zusammen mit Sokrates der wichtigste Gewährsmann für Mills Begründung seiner Freiheitstheorie ist.“[51]

Humboldt unterscheidet sich laut Gerhardt von den Vertretern der modernen politischen Philosophie darin, dass von ihm nicht Probleme der Legitimation, der Gerechtigkeit, der Regierungsform oder der Abgrenzung von Politik und Moral vorrangig behandelt würden, sondern dass er – die Rechtmäßigkeit der Regierungsform und des Regierungshandelns bereits voraussetzend – mit der Frage befasst sei, „was ein gut legitimierter und auf das Wohl der Menschen bedachter Staat zur bestmöglichen Entfaltung der Kräfte seiner Bürger beitragen kann! […] Seine Aufmerksamkeit ist darauf gerichtet, was einen legitimen Staat zu einem guten Staat macht!“ Humboldts Kriterium dafür erweise sich als „unerhörter Paradigmenwechsel“, indem er allein auf die Zufriedenheit der Bürger als Maßstab abstelle: „Humboldt wagt es, Glück und Zufriedenheit der Menschen an eine Bedingung zu knüpfen, für die niemals bloß der Staat, sondern immer auch die mit Lust betriebene Anstrengung des Einzelnen verantwortlich ist: Und eben das ist die mit dem Begriff der Bildung umschriebene Entfaltung der besten Kräfte des Einzelnen.“ Schaffe es der Staat, seinen Bürgern diesen Spielraum zu bieten, dann könne er selbst auch mit einer Steigerung seiner Möglichkeiten rechnen, so Gerhardt in seiner Auslegung Humboldts weiter. „Wenn Partizipation das Grundprinzip des Politischen ist, dann hat sie bei Wilhelm von Humboldt erstmals eine alle Teile umfassende dynamische Form gefunden.“ Allein so angelegte Staatswesen würden aber auch auf Dauer als legitim angesehen: „Nur wenn es den Staaten gelingt, die Bildung zu fördern, so dass jeder zu einer produktiven Gestaltung seines eigenen Daseins finden kann, darf man hoffen, dass auch die Legitimität des Gemeinwesens Bestand hat.“[52]

Humboldts frühe philosophische Schriften, darunter auch Über den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluss auf die organische Natur sowie Über die männliche und weibliche Form, zielen nicht auf Themen der zeitgenössischen Schulphilosophie, sondern erweisen ihn, so Gerhardt, als einen von den eigenen Problemen ausgehenden Denker sui generis. „Individualität, Universalität, Leben und sich selbst begreifender Geist sind die vier Dimensionen, um deren integrale Verbindung es Wilhelm von Humboldt in seinen philosophischen Schriften geht.“ In ihnen würden Lösungen geboten, „die von der Philosophie der Gegenwart endlich zur Kenntnis zu nehmen sind, damit sie kritisch geprüft und systematisch bearbeitet werden können.“[53] Die Gründe, warum Fachphilosophen Humboldt reserviert begegneten, sieht Gerhardt darin, dass dieser zum Teil scheinbar Randständiges behandle und nicht immer erkennen lasse, zu welchem fachspezifischen Gegenstand er etwas beisteuern wolle. Man müsse ihn darum „wie einen Schatz aus Gedanken bergen, die nicht zu den zentralen Lehrstücken der Philosophie gehören.“[54] Ähnlich urteilt Georg Zenkert über die als Bruchstücke vorliegenden bildungstheoretischen Schriften Wilhelm von Humboldts, die ihren Zweck als Wegweiser vollständig erfüllten: „Fragmentarisch ist weniger das Werk Humboldts als seine Rezeption.“[55]

== Zu den Themen "Werke" und "Literatur" siehe auch

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Zitiert nach Gall 2011, S. 10 f.
  2. Maximilian Gritzner: Chronologische Matrikel der Brandenburgisch-Preußischen Standeserhöhungen und Gnadenacte von 1600–1873. Berlin 1874, S. 23.
  3. Manfred Geyer:Aufklärung. Das europäische Projekt. Reinbek b. Hamburg 2012. S. 338 ff.
  4. Manfred Geyer:Aufklärung. Das europäische Projekt. Reinbek b. Hamburg 2012. S. 338, 342; Gall 2011, S. 29, 31.
  5. Berglar 1970, S. 39 f.; Gall 2011, S. 32–37, 51, 87 f.
  6. Zitiert nach Scurla 1984, S. 59.
  7. Gall 2011, S. 52.
  8. Zitiert nach Scurla 1984, S. 63.
  9. Gall 2011, S. 31.
  10. Ausführliche Erwägungen bei Scurla 1984, S. 73–85.
  11. Berglar 1970, S. 44–48.
  12. Berglar 1970, S. 42.
  13. Berglar 1970, S. 42.
  14. Scurla 1984, S. 198.
  15. Gall 2011, S. 83.
  16. Gall 2011, S. 89.
  17. Zitiert nach Scurla 1984, S. 256.
  18. Zitiert nach Scurla 1984, S. 266.
  19. Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): Wilhelm von Humboldt - Werke in fünf Bänden. Band I: Schriften zur Anthropologie und Geschichte (3. Aufl. 1980), S. 64 und 71 f.
  20. Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): Wilhelm von Humboldt – Werke in fünf Bänden. Band I: Schriften zur Anthropologie und Geschichte (3. Aufl. 1980), S. 236 f. (Theorie der Bildung des Menschen)
  21. Gall 2011, S. 133–136.
  22. Bericht der Sektion des Kultus und des Unterrichts an den König, Dezember 1809. In: Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): Wilhelm von Humboldt – Werke in fünf Bänden. Band IV: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. Darmstadt 1982 (3. Aufl.), S. 210–238, hier S. 218.
  23. Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): Wilhelm von Humboldt – Werke in fünf Bänden. Band IV: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. Darmstadt 1982 (3. Aufl.), S. 189.
  24. Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): Wilhelm von Humboldt – Werke in fünf Bänden. Band IV: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. Darmstadt 1982 (3. Aufl.), S. 224 f.
  25. Andreas Flitner und Klaus Giel (Hrsg.): Wilhelm von Humboldt – Werke in fünf Bänden. Band IV: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen. Darmstadt 1982 (3. Aufl.), S. 169 f.
  26. Gall 2011, S. 160.
  27. Berglar 1970, S. 94.
  28. Zit. n. Manfred Geier: Die Brüder Humboldt. Reinbek bei Hamburg 2009, S. 267. Eine Auswirkung der Berliner Universitätsgründung war die Schließung der Universität Frankfurt/Oder, die Humboldt besucht hatte.
  29. Gall 2011, S. 162–165.
  30. „Humboldt braucht den preußischen König und staatliche Instanzen, um seinen Ideen der Bildung, der reinen Wissenschaft und der Sprache, Literatur und Kultur einen produktiven Freiraum zu verschaffen. Deshalb fällt es ihm auch nicht schwer, von sich aus den Staatsdienst zu verlassen, wenn ihm nicht gelingt, was er anstrebt. […] Seit dem 31. März 1810 aber ist durch Kabinettsorder seine ‚Wirksamkeit als Sections-Chef vernichtet‘ worden […] So aber kann und will Humboldt nicht arbeiten. Die dienstrechtliche Herabsetzung hat ihn persönlich ‚tief gekränkt‘. Für ihn ist es eine Frage der Ehre und Pflicht, unter diesen Bedingungen von seinem Posten zurückzutreten.“(Manfred Geier: Die Brüder Humboldt, Reinbek bei Hamburg 2009, S. 269 f.)
  31. Scurla 1984, S. 406–411.
  32. Zitiert nach Gall 2011, S. 298.
  33. Scurla 1984, S. 422 f.; Gall 2011, Anmerkung 235, S. 403.
  34. Brief vom 25. Juli 1813; zitiert nach Gall 2011, S. 258.
  35. „Sein indirekter Widerstand gegen die russischen Pläne“, heißt es bei Gall mit Blick auf das monarchische Restaurationsbündnis der Heiligen Allianz, „trug ihm zusätzlich die Gegnerschaft des Zaren und damit verbunden das Misstrauen seines eigenen Königs ein, der sich nach wie vor an die enge, emotional fundierte Partnerschaft mit dem russischen Monarchen gebunden fühlte. Und auch England und Österreich sahen sich durch Humboldts Verhalten in ihren eigenen Planungen empfindlich gestört, von Frankreich ganz zu schweigen. Andererseits betrachteten die Vertreter der deutschen Nationalbewegung und die um ihren Sieg angeblich betrogenen Repräsentanten der preußischen Armee die preußischen Diplomaten mit Humboldt an der Spitze als Symbolfiguren für das Zurückweichen Preußens auf dem diplomatischen Felde.“ (Gall 2011, S. 297.)
  36. Gall 2011, S. 313 f.
  37. Gall 2011, S. 321–323.
  38. Gall 2011, S. 324.
  39. Gall 2011, S. 334–337; Scurla 1984, S. 562–564.
  40. Eine kurze medizinische Analyse der Erkrankung Humboldts findet sich bei Akribischer Erstbeschreiber – Wie Humboldt seinen Parkinson (er)lebte, CME 2008; 5 (2): 45; Springer-Verlag
  41. Berglar 1970, S. 134.
  42. Zitiert nach Scurla 1976, S. 605.
  43. 1827 sprach er mit Harry Maitey, dem ersten Hawaiier in Preußen, und stellte die Ergebnisse 1828 in der Berliner Akademie der Wissenschaften vor (Moore, Anneliese: Harry Maitey: From Polynesia to Prussia. In: Hawaiian Journal of History 11 (1977): 125–161, S. 138–139).
  44. Gall 2011, S. 344 f.
  45. W. v. Humboldt: Über die Entstehung der grammatischen Formen, und ihren Einfluss auf die Ideenentwicklung. Vorlesung 1822.
  46. Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java. (1830-35)
  47. Nachwort des Hrsg. zu: Wilhelm von Humboldt: Schriften zur Sprache. Hrsg. von Michael Böhler. Ergänzte Ausgabe Stuttgart 1995, S. 252.
  48. Wilhelm von Humboldt: Über die Natur der Sprache im allgemeinen. Aus: Latium und Hellas. In: Schriften zur Sprache. Hrsg. von Michael Böhler. Ergänzte Ausgabe Stuttgart 1995, S. 7 f.
  49. Gerda Hassler: Zur Auffassung der Sprache als eines organischen Ganzen bei Wilhelm von Humboldt und zu ihren Umdeutungen im 19. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung, 38(1985)5, S. 564–575.
  50. Zitiert nach Scurla 1976, S. 611.
  51. Volker Gerhardt: Wilhelm von Humboldt als Philosoph. In: Pädagogische Rundschau. Heft 5, 71. Jahrgang, 2017, S. 460 f.
  52. Volker Gerhardt: Wilhelm von Humboldt als Philosoph. In: Pädagogische Rundschau. Heft 5, 71. Jahrgang, 2017, S. 462 f.
  53. Volker Gerhardt: Wilhelm von Humboldt als Philosoph. In: Pädagogische Rundschau. Heft 5, 71. Jahrgang, 2017, S. 466 f.
  54. Volker Gerhardt: Wilhelm von Humboldt als Philosoph. In: Pädagogische Rundschau. Heft 5, 71. Jahrgang, 2017, S. 462 f.
  55. Georg Zenkert: Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie als Anthropologie. In: Pädagogische Rundschau. Heft 5, 71. Jahrgang, 2017, S. 471.


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