Neuer Yogawille

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Der Begriff neuer Yogawille wurde von Rudolf Steiner erstmals geprägt. Er benennt und beschreibt ihn in einem Vortrag vom 30. November 1919,[1] wo er eine Abgrenzung zur alten Yoga-Kultur schaffen wollte. Rudolf Steiner führt in diesem Vortrag aus, wie sich das Bewusstsein des Menschen über die Jahrtausende von einem natürlichen Einheitsempfinden mit der geistigen Welt hinweg entwickelt hat, indem zunehmend ein Bewusstsein für die Materie entstanden ist. Im Laufe dieser Entwicklung bemerkte der Mensch, wie er zunehmend den Zusammenhang zur geistigen Welt verlor und entwickelte deshalb Yoga-Techniken, die dazu dienen sollten, diese Verbindung zur geistigen Welt wieder herzustellen. In dieser Zeit war noch ein Restempfinden davon vorhanden, dass im Atem Seele lebt und es deshalb möglich ist, sich über den Atem mit der geistigen Welt zu verbinden. Zu diesem Zwecke wurden unter anderem Pranayama und Atemtechniken entwickelt. Rudolf Steiner spricht in diesem Zusammenhang vom Luftseelenprozess.

Dieser Luftseelenprozess wurde laut den geisteswissenschaftlichen Forschungen Rudolf Steiners mit dem Ereignis von Golgatha zur Zeitenwende abgelöst vom Lichtseelenprozess. Dies stellte eine sehr einschneidende Veränderung dar. Nicht nur das Bewusstsein des Menschen hat sich seither verändert, sondern auch die Luft selbst, sie ist materieller geworden und die Seele ging weitestgehend aus der Luft verloren, wie Rudolf Steiner in seinen geistigen Forschungen beschreibt. Stattdessen lebt die Seele nach seinen Aussagen nun auf geheimnisvolle Weise im Licht.

„Es gab eine Zeit vor dem Mysterium von Golgatha, da hatte die Erde eine Atmosphäre. In dieser Atmosphäre war die Seele, die zum Seelischen des Menschen gehörte. Jetzt hat die Erde eine Atmosphäre, die ist entleert des Seelischen, das zum Seelischen des Menschen gehört. Dafür ist in das Licht, das uns vom Morgen bis zum Abend umfasst, eingezogen dasselbe Seelische, das vorher in der Luft war. Daß der Christus sich mit der Erde verbunden hat, das gab die Möglichkeit dazu. So daß Luft und Licht auch geistig-seelisch etwas anderes geworden sind im Laufe der Erdenentwickelung.“[2]

Dies bedeutet für den Menschen, dass er auch ganz neue Wege beschreiten muss, um diese Seele nun im Licht zu entdecken.

Die alten Wege sind hierfür nicht mehr geeignet. Es ist nach den Beschreibungen von Rudolf Steiner notwendig, eine objektive Sinneswahrnehmung mit einer gedanklichen Aktivität zu schulen. Damit kann der Lichtseelenprozess angeregt werden. Die alte Yoga-Kultur ist deshalb für den heutigen Menschen nicht mehr geeignet, da sie von den früheren Gegebenheiten des Luftseelenprozesses ausgeht, die heute in dieser Form nicht mehr bestehen. Rudolf Steiner spricht davon, dass es sich bei den alten Yogatechniken um atavistische Formen handelt, die den Menschen in der Entwicklung nicht vorwärts, sondern rückwärts führen. Aus diesem Grunde rät er ab vom Yoga und spricht von der Notwendigkeit eines neuen Yogawillen, der die heutigen Gegebenheiten mit dem Lichtseelenprozess berücksichtigt.

Verschiedene Ansätze im Sinne eines neuen Yogawillen

Ein Neuer Yogawille oder eine Neue Yogaempfindung von Heinz Grill

Heinz Grill kam durch seine intensiven Studien und geisteswissenschaftlichen Erforschungen des Yoga unabhängig von Rudolf Steiner ebenfalls zu dem Schluss, dass die alten Yoga-Wege für den heutigen Menschen und die heutige Bewusstseinslage nicht mehr geeignet sind und entwickelte seit den neunziger Jahren in beständiger Forschungstätigkeit einen Yogaschulungsweg, den er ursprünglich mit „Yoga aus der Reinheit der Seele“ und später auch als „Neuer Yogawille“ oder „Neue Yogaempfindung“ bezeichnete. Diesem Weg liegt zugrunde, dass der Aspirant aus einer individuellen Entscheidung und eigenaktiven Forschungsarbeit heraus, seine Seelenkräfte, das Denken, Fühlen und Wollen, auf eine höhere Stufe weiterentwickelt. Insbesondere das Denken soll auf eine objektive, logische, von Emotionen und Willensimpulsen freie Ebene entwickelt werden und somit als Grundlage für eine gedanklich geführte Sinneswahrnehmung dienen, die, wie Rudolf Steiner schon beschreibt, den heute notwendigen Lichtseelenprozess anregt.

Der integrale Yoga von Sri Aurobindo

Ein weiterer Ansatz zur Entwicklung eines neuen Yogawillen wurde im indischen Raum von Sri Aurobindo geschaffen. Er benennt ihn als Integralen Yoga. Anders als die bisherigen Yogatraditionen hat er nicht zum Ziel, aus der Welt in die ewige Befreiung, moksha, einzugehen, sich aus dem Rad der Wiedergeburten zu befreien, sondern er sieht es als notwendig und zeitgemäß für die zukünftige Entwicklung, dass die geistige Welt durch die Bewusstseinstätigkeit des Menschen in die irdische Welt integriert wird und ihre Gesetzmäßigkeiten im Irdischen wirksam gemacht werden.[3] Er benennt dies damit, dass manas, buddhi und atman entwickelt werden. Manas wäre das auf eine reine Stufe entwickelte Denken, buddhi das zu einem Wahrheitsempfinden entwickelte Fühlen und atman der Wille, welcher vom Eigenwillen zu einer Übereinstimmung mit dem Weltenwillen entwickelt ist. Auch hier handelt es sich daher um einen Ansatz im Sinne eines neuen Yogawillen, wie er von Rudolf Steiner beschrieben wurde.

Gegnerschaft zu einem neuen Yogawillen: Verhinderung der Unabhängigkeit und Entwicklung des Menschen

Die beschriebene Aktivität in der Seele kann nur von dem Einzelnen auf individuelle Weise durch eine eigene Entscheidung umgesetzt werden. Sie ist nicht ersetzbar durch Gruppensitzungen oder durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Heinz Grill spricht in diesem Zusammenhang von Individuation (Prinzip der individuellen eigenaktiven Entwicklung) im Gegensatz zur Sukzession (Prinzip der passiven Nachfolge).[4] Mit diesem Ansatz der Individuation formieren sich naturgemäß auch Gegner, die verhindern wollen, dass Menschen sich aus Gruppenstrukturen herauslösen, ihre Seelenkräfte weiterentwickeln und dadurch unabhängig und eigenständig werden. Dies steht in einem absoluten Gegensatz zu einem neuen Yogawillen, wie er von Rudolf Steiner und auch von Heinz Grill vertreten wird.

Literatur

  • Steiner, Rudolf: Wege der Übung. Kapitel Die alte Yoga-Kultur und der neue Yoga-Willen. Die Michael-Kultur der Zukunft. Verlag Freies Geistesleben 1984, S. 59–76.
  • Grill, Heinz: Initiatorische Schulung in Arco. Ein Neuer Yogawille für ein integrales Bewusstsein in Geist und Welt. Praktische Umsetzung des Lichtseelenprozesses nach Rudolf Steiner. Lammers-Koll-Verlag 2009.
  • Grill, Heinz: Die rhythmische Ich-Entwicklung und der Lichtseelenprozess. Broschüre. Stephan Wunderlich Verlag 2006.
  • Grill, Heinz: Die Seelendimension des Yoga. Praktische Grundlagen zu einem spirituellen Übungsweg. 7. unveränderte Auflage, Lammers-Koll-Verlag 2022.
  • Sri Aurobindo: Der integrale Yoga. Rowohlt Taschenbuch Verlag 1993.
  • Pauli, Günther: Die Ordnung der Kräfte. Vom Umgang des Menschen mit dem Bösen. tredition, Hamburg 2015.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. hierzu Steiner, Rudolf: Wege der Übung. Kapitel Die alte Yoga-Kultur und der neue Yoga-Willen. Die Michael-Kultur der Zukunft, S. 59 ff.
  2. Steiner, Rudolf: Wege der Übung. S. 72.
  3. Vgl. hierzu Sri Aurobindo: Der integrale Yoga.
  4. Vgl. hierzu Grill, Heinz: Initiatorische Schulung in Arco. Die Herzmittelstellung und die Standposition im Leben. Kapitel Die Bedeutung der Initiation für das Leben, Lammers-Koll-Verlag 2001, S. 11 ff.