Weltoffenheit und Ayurveda: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Weltoffenheit''' ist ein Begriff aus der [[Philosophische Anthropologie|philosophischen Anthropologie]]. Er bezeichnet die Entbundenheit des Menschen von organischen Zwängen ([[Triebe]]n) und seiner unmittelbaren [[Umwelt]] und betont seine Öffnung hin zu einer von ihm selbst hervorgebrachten [[Kultur|kulturellen]] Welt. Hiermit geht einher, dass der Mensch ohne festgelegte [[Verhalten]]smuster geboren wird und sich Verhaltenssicherheit in der Welt immer erst erwerben muss.
'''Ayurveda''' oder '''Ayurweda''' ([[Wikipedia:Sanskrit|Sanskrit]], m., आयुर्वेद āyurveda, „Wissen vom Leben“, von [[Wikipedia:Veda|veda]], ‚Wissen‘) ist eine traditionelle indische Heilkunst, die bis heute viele Anwender in [[Indien]], [[Nepal]] und [[Sri Lanka]] hat.


Umgangssprachlich bezeichnet der Begriff eine Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Kulturen. So kann beispielsweise ein Mensch oder eine [[Gesellschaft (Soziologie)|Gesellschaft]] weltoffen sein, man spricht etwa von einer „weltoffenen Stadt“.
In Asien, insbesondere in Indien, wird Ayurveda als Heilmethode auch wissenschaftlich gelehrt und von der Bevölkerung akzeptiert. Im westlichen Kulturkreis dagegen setzt man Ayurveda zumeist für [[Wellness]]-Zwecke ein, was in Asien erst durch den wachsenden [[Tourismus]] zum Thema wurde. Ayurveda ist keine therapeutische Einzelmaßnahme, sondern ein ganzheitliches System und gehört in den Bereich der traditionellen [[Alternativmedizin]]. Mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ist Ayurveda vielfach nicht vereinbar. Wirkungsnachweise nach den Grundprinzipien der [[Wikipedia:Evidenzbasierte Medizin|evidenzbasierten Medizin]] sind kaum oder nicht vorhanden.


== Begriffsgeschichte ==
Die ältesten Vorstellungen einer Medizin in Indien sind aus der [[Veda|vedischen]] Zeit ab ungefähr der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr., vor allem im [[Atharvaveda]], überliefert. Hieraus entwickelte sich ab etwa 500 v. Chr. das davon unterscheidbare medizinische System des Ayurveda, dessen acht Traktate nicht mehr als Gesamttext erhalten sind. Eine Phase der medizinischen Sanskritliteratur, die ebenfalls Ayurveda genannt wird, beginnt mit der christlichen Zeitrechnung und ist zuerst in [[Samhita]]s enthalten, die Ärzten wie [[Charaka]] und [[Sushruta]] zugeschrieben werden.<ref>Kenneth G. Zysk: ''Religious Healing in the Veda. With translations and annotations of medical hymns from the Rgveda and the Atharvaveda and renderings from the corresponding ritual texts.'' (Transactions of the American Philosophical Society, New Series, Vol. 75, No. 7) The American Philosophical Society, Philadelphia 1985, S. 1, 5</ref> In den Werken Susrutas, Charakas und später zudem im Werk [[Vagbhata]]s finden sich Inhalte der ayurvedischen Texte wieder.<ref>Doris Schwarzmann-Schafhauser: ''Indische Medizin.'' In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 665–667; hier: S. 666 f. (''Ayurveda-Medizin'').</ref>
=== Renaissance ===
[[Datei:Dhanvantari-at-Ayurveda-expo.jpg|mini|[[Dhanvantari]], Arzt der Götter und Ursprung aller Heilkunst]]
Der Begriff lässt sich bis zu [[Giovanni Pico della Mirandola|Pico della Mirandola]] zurückverfolgen. Dieser interpretiert die [[Schöpfungsgeschichte]] so, dass [[Gott]] nach der Vollendung von [[Himmel (Religion)|Himmel]], [[Erde]], Tier- und Pflanzenwelt für den Menschen keinen festen Ort mehr hatte. Dies sei allerdings nicht einem Fehler Gottes geschuldet, sondern ermöglicht gerade, dass der Mensch sich in der Weltmitte stehend, erkennend seinen eigenen Ort schaffen kann.


=== 18. Jahrhundert ===
== Beschreibung ==
[[Johann Gottfried Herder|Herder]] bestimmt in seiner ''Abhandlung über den Ursprung der Sprache'' den Menschen als „[[Mängelwesen]]“, das sich vor allem in der Sprache eine eigene Welt schaffe und weitervererbe:
[[Datei:Mit gimp hosen.JPG|mini|Ayurvedafußmassage]]
[[Datei:Ayurweda kopfmassage.JPG|mini|Ayurvedakopfmassage]]
[[Datei:Ayurveda tisch.JPG|mini|Massagetisch]]
[[Datei:Dampfkastenwischfinger.JPG|mini|Dampfkasten]]


[[Bild:Johann Gottfried Herder.jpg|thumb|Johann Gottfried Herder]]
Wörtlich übersetzt bedeutet Ayurveda ''Lebensweisheit'' oder ''Lebenswissenschaft''. Der Begriff stammt aus dem [[Sanskrit]] und setzt sich aus den Wörtern ''Ayus'' (Leben) und ''[[Veda]]'' (Wissen) zusammen. Ayurveda ist eine Kombination aus Erfahrungswerten und Philosophie, die sich auf die für menschliche Gesundheit und Krankheit wichtigen physischen, mentalen, emotionalen und spirituellen Aspekte konzentriert. Dadurch hat Ayurveda einen [[Ganzheitlichkeit|ganzheitlichen]] Anspruch.


<blockquote>
Zentrale Elemente des Ayurvedas sind:
„Der Mensch hat keine so einförmige und enge Sphäre, wo nur eine Arbeit
* Ayurveda-Massage und -Reinigungstechniken
auf ihn warte: eine Welt von Geschäften und Bestimmungen liegt um ihn.
* die Ernährungslehre
Seine Sinne und Organisation sind nicht auf eins geschärft: er hat Sinne
* spirituelle Yogapraxis
für alles und natürlich also für jedes einzelne schwächere und stumpfere Sinne.
* Pflanzenheilkunde
[…] Unsre Muttersprache war ja zugleich die erste Welt, die wir sahen, die ersten Empfindungen,
die wir fühlten, die erste Würksamkeit und Freude, die wir genoßen.“<ref>[http://www.nio.uos.de/lit/gb_text.php?autor=Herder&werk=Abhandlung+%26uuml%3Bber+den+Ursprung+der+Sprache Herder: ''Abhandlung über den Ursprung der Sprache''.]</ref>
</blockquote>


=== 20. Jahrhundert ===
[[David Frawley]], ein zeitgenössischer amerikanischer Ayurveda-Experte, schreibt: „Die Grundregel lautet: Was immer wir selbst tun können, um unsere eigene Gesundheit zu stärken, wirkt besser als das, was andere für uns tun.“<ref>David Frawley: ''Das große Ayurveda-Heilungsbuch. Prinzipien und Praxis''. München 2001, S. 85, ISBN 3-426-87143-2.</ref> Krankheit wird „als die höchste Form des [[Askese|Asketentums]]“<ref>David Frawley: ''Das große Ayurveda-Heilungsbuch. Prinzipien und Praxis''. München 2001, S. 21, ISBN 3-426-87143-2.</ref> betrachtet.
In der Anfang des 20. Jahrhunderts zu großer Bedeutung gelangten [[Philosophische Anthropologie|philosophischen Anthropologie]] nimmt der Begriff eine zentrale Bedeutung bei [[Max Scheler]] ein, der mit ihm den Unterschied zwischen Mensch und [[Tier]] bestimmt. Der Mensch ist von organisch-triebhaften Zwängen entbunden, er ist nicht mehr an seine Umwelt gefesselt, sondern ''umweltfrei'' und ''weltoffen''. Der Mensch „hat“ Welt. Er nimmt aufgrund seiner Instinktreduktion eine Sonderstellung in der [[Natur]] ein. Durch die Weltoffenheit überwindet der Mensch die Umweltgeschlossenheit.  


[[Arnold Gehlen]] nimmt diese Definition Schelers auf. Während das Tier den aus der Umwelt empfangenen Reizen unmittelbar ausgesetzt ist, ist der Mensch ''umweltenthoben'' und kann sich frei zu den Reizen verhalten, d. h. ist weltoffen für sie. Begründet ist dies u. a. in einer organischen Mittellosigkeit und Unspezialisiertheit des Menschen, welche ihn als „[[Mängelwesen]]“ (Herder) dazu zwingen, sich selbst Orientierungs- und Sinnstrukturen zu schaffen. Der Mensch ist also ein Kultur produzierendes Wesen, welches sich durch voraussehendes, geplantes und gemeinsames Handeln auszeichnet, weshalb er von Gehlen als „[[Prometheus]]“ (gr.: der Vorausdenkende; Figur in der gr. [[Mythologie]]) bezeichnet wird. Er ist biologisch zur Naturbeherrschung gezwungen.
=== Drei Prinzipien des Lebens (Doshas) ===
In der Typologie spricht man von drei unterschiedlichen Lebensenergien, den sogenannten [[Dosha]]s:<ref name="vagbhata">Vagbhata: ''Ashtanga Hrdayam. Translated by Prof. K. R. Srikantha Murty''. Sutrasthana. Chowkhamba Krishnadas Academy, Varanasi.</ref>
* Vata (Wind, Luft und Äther), das Bewegungsprinzip
* Pitta (Feuer und Wasser), das Feuer- bzw. Stoffwechselprinzip
* Kapha (Erde und Wasser), das Strukturprinzip


[[Helmuth Plessner]] lehnte die Definition der Weltoffenheit bei Scheler als Überwindung der Umweltgeschlossenheit ab. Er betonte, dass „beim Menschen Umweltgebundenheit und Weltoffenheit kollidieren und nur im Verhältnis einer nicht zum Ausgleich zu bringenden gegenseitigen Verschränkung gelten“<ref>Zitiert nach: [[Wikipedia:Historisches Wörterbuch der Philosophie|Historisches Wörterbuch der Philosophie]]: ''Weltoffenheit.'' Bd. 12, S. 497.</ref>
Dosha (oder Doscha) bedeutet wörtlich übersetzt „Fehler(potential)“. Diese kommen nach ayurvedischer Vorstellung in jedem Organismus vor, da sie gemeinsam alle Vorgänge des Organismus ermöglichen. In einem gesunden Organismus sollten sich diese „Energien“ in einem harmonischen Gleichgewicht befinden, da sie sonst Fehler im System hervorrufen. Im Gesamteindruck gibt es bei jedem Individuum ein oder zwei generell vorherrschende Doshas, seltener sind alle drei gleich stark ausgeprägt. Es ist für den Behandelnden wichtig zu wissen, welche Doshas bei einem Menschen vorherrschen, weil jeder Typ andere Medikamente und Behandlungen benötigt.


[[Martin Heidegger]] erklärt die Weltoffenheit des Menschen in ''Grundbegriffe der Metaphysik'' (1929–1930) anhand der These: „der Stein ist weltlos, das Tier ist weltarm, der Mensch ist weltbildend“.<ref>Martin Heidegger: ''Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit''. [[Wikipedia:Gesamtausgabe (Heidegger)|GA]] 29/20, S. 261.</ref> Infolge seiner Weltarmut ist dem Tier das [[Sein|Seiende]] ''als Seiendes'' nicht zugänglich, es ist verwoben in seine Umwelt, bestehend aus einem „Umring“ von Trieben, die auf einzelnes Begegnendes hin enthemmen und dazu führen, dass das Tier von der Sache „hingenommen“ ist.<ref>Vgl. Martin Heidegger: ''Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit''. [[Wikipedia:Gesamtausgabe (Heidegger)|GA]] 29/20, S. 369f.</ref> Damit ist dem Tier ein freies „[[Verhalten]]“ zum Seienden verwehrt; Verhalten ist nur dem Menschen eigentümlich. Durch die Verbindung von Trieb und seinem [[Gegenstand]] ist das Tier in seinem Tun „benommen“. Wegen dieser Benommenheit und in Abgrenzung zum menschlichen „Verhalten“ sagt Heidegger, das Tier „benimmt“ sich.<ref>Vgl. Martin Heidegger: ''Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit''. [[Wikipedia:Gesamtausgabe (Heidegger)|GA]] 29/20, S. 344ff.</ref> Für die Gebundenheit des Tieres an seine Umwelt stützt sich Heidegger,  dabei, wie schon früher Scheler, auf die Forschungen von [[Wikipedia:Jakob Johann von Uexküll|Uexküll]] und dessen spezifische Verwendung des Begriffs „Umwelt“.
Der Behandelnde stellt das aktuelle Verhältnis der Doshas zueinander mittels Blickdiagnose, Befragung und der ayurvedischen Pulsdiagnose (Nadivigyan, im Sharagadhara Samhita beschrieben) fest. Wie das Verhältnis der Doshas zueinander sein sollte, wird in Indien zusätzlich aus dem astrologischen Horoskop des Patienten (Prakriti-Analyse) abgeleitet. Um diese rechte Balance wiederherzustellen und angesammelte Schlacken auszuleiten, werden Ernährungstherapie, Ordnungstherapie, Pflanzenheilkunde und bestimmte Reinigungsverfahren ([[Panchakarma]]) eingesetzt. Zu diesen Panchakarma gehören [[Fasten]], Bäder, [[Einlauf (Medizin)|Einläufe]], therapeutisches [[Erbrechen]] und [[Aderlass]], außerdem noch Massagen, [[Yoga]]- und Atemübungen, [[Farbtherapie|Farb]]- und [[Musiktherapie]] und der Einsatz vieler ayurvedischer Arzneimittel.


Der Mensch hingegen kann sich zu Seiendem frei „verhalten“, weil er in der Lage ist „etwas als etwas aufzufassen“<ref>Martin Heidegger: ''Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit''. [[Wikipedia:Gesamtausgabe (Heidegger)|GA]] 29/20, S. 397.</ref>, d. h. das Sein ein und desselben Seienden verschiedenartig aufzufassen (siehe [[Ontologische Differenz]]). Sich so zu Seiendem verhaltend ''bildet'' sich der Mensch eine Welt, indem er das Seiende im Hinblick auf das Ganze bestimmt. (Ob beispielsweise etwas [[heilig]] oder [[profan]] ist, bestimmt sich nur im Hinblick auf die Ordnung des Göttlichen und die Ordnung des Seins im Ganzen.) Wenn er so immer das einzelne Seiende im Hinblick auf das Ganze bestimmt, ist er ''ergänzend'', d. h. welt''bildend''.<ref>Vgl. Martin Heidegger: ''Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit''. [[Wikipedia:Gesamtausgabe (Heidegger)|GA]] 29/20, S. 498f.</ref> Dem Tier hingegen ist es unmöglich, ein Seiendes im Hinblick auf eine Welt als Bedeutungsganzheit zu interpretieren. Es bleibt auf seine Umwelt beschränkt und ist daher weltarm, es entbehrt Welt. Hieraus erklärt sich auch, warum sich die Welt, in welcher der Mensch lebt, ändern kann, denn wenn etwas ''als etwas'' aufgefasst werden kann und immer auch muss, dann ist dieses »''als''« eben nicht festgestellt und kann sich über [[Generation]]en ändern, wohingegen das Tier auch über viele Generationen hinweg mit einer festen Umwelt und darauf angepassten Trieben und Reaktionsmustern „ausgestattet“ ist.
=== Ganzheit ===
Das Leben ist gemäß der Ayurveda-Auslegung eine Einheit von Körper, Sinnen, Verstand und Seele. Der Mensch setzt sich aus den drei Doshas, den sieben Basisstoffen (Rasa, Rakta, Mansa, Meda, Asthi, Majja und Shukra) und den Abfallstoffen des Körpers (Fäkalien, Urin, Schweiß) zusammen. Das Wachsen und der Verfall des Menschen und seiner Bestandteile hängen mit der Nahrung zusammen aus der Basisstoffe, ''Dhatus'', und Abfallprodukte, ''Mala'', entstehen. Nahrungsaufnahme, Verarbeitung, Absorption, Assimilation und Stoffwechsel haben Auswirkungen auf Gesundheit und Krankheit, die maßgeblich von physiologischen und psychischen Mechanismen und vom Element Feuer ([[Agni]]) beeinflusst werden.


[[Jean-Paul Sartre]] dient Heideggers Definition der Weltoffenheit später als eine Grundlage für die von ihm mitbegründete philosophische Strömung des [[Existenzialismus]]. Weltoffenheit wird gleichgesetzt mit absoluter [[Freiheit]] des Menschen, zu welcher er verurteilt ist. Nach Sartre kann sich deshalb der Mensch auf keine Ordnung oder [[Weltanschauung]] stützen, weil er das ist, was er selbst aus sich macht:
=== Krankheitslehre ===
Im Ayurveda ist alles im Universum aus den sog. neun Substanzen (Dravyas) zusammengesetzt: den fünf Elementen („Pancamahabhutas“), plus dem Geist „Manas“, der Seele „Atman“, dem Raum „Dik“ und der Zeit „Kala“. Die fünf Elemente – Wasser, Erde, Feuer, Luft und Äther – sind in jedem Stoff in unterschiedlicher Proportion vertreten, sodass sich jeder Stoff durch seine Anteile dieser Elemente kategorisieren lässt. Demzufolge sind auch alle Lebewesen aus diesen Elementen zusammengesetzt.


<blockquote>
Gesundheit und Krankheit hängen vom Vorhandensein eines ausgeglichenen Gleichgewichts des Ganzen und seiner Bestandteile ab. Innere und äußere Einflüsse können für das fehlende Gleichgewicht verantwortlich sein. Der Gleichgewichtsverlust kann durch Diäten, unerwünschte Angewohnheiten, Nichtbeachtung der Regeln für gesundes Leben und aus vielen anderen Gründen entstehen.
„Wenn die Existenz dem Wesen vorausgeht, das heißt, wenn die Tatsache, dass wir existieren, uns nicht von der Notwendigkeit entlastet, uns unser Wesen erst durch unser Handeln zu schaffen, dann sind wir damit, solange wir leben, zur Freiheit verurteilt…“
</blockquote>


Der [[Psychologe]] und [[Sozialphilosoph]] [[Erich Fromm]] bezieht sich indirekt, ohne den Begriff Weltoffenheit explizit zu nennen, auf Sartre, wobei er zu einer gegensätzlichen Meinung kommt. Ihm dient die Tatsache, dass „die Spezies Mensch als jener Primat definiert werden [kann], welcher an dem Punkt der Evolution auftrat, als die instinktive Determinierung ein Minimum und die Entwicklung des Gehirns ein Maximum erreicht hatte“<ref> Vgl. Erich Fromm: ''Haben oder Sein''. SPIEGEL Edition 28, S. 158.</ref>, als Grundlage für seinen Religionsbegriff. [[Religion]] ist nach Fromms weit gefasster Definition „jedes von einer Gruppe geteilte System des Denkens und Handelns, das dem einzelnen einen Rahmen der Orientierung und ein Objekt der Hingabe bietet.“<ref> Vgl. Erich Fromm: ''Haben oder Sein''. SPIEGEL Edition 28, S. 156.</ref> Sie ist für den Menschen lebensnotwendig, weil er ohne diesen „Rahmen der Orientierung“ an der alternativen Sinnlosigkeit seiner Existenz verzweifelte, in [[Passivität]] verfiele und schließlich
Das Ziel der ayurvedischen Heilkunst ist die Vermeidung von ernsthaften Erkrankungen, indem man versucht, den Auslöser der Erkrankung zu verstehen, erste, unspezifische Anzeichen zu erkennen und den Boden für einen Ausbruch zu entziehen. Dies geschieht vor allem durch die Bemühung um die für den jeweiligen Patienten „richtige“ Ernährung und Lebensweise, sowie das Ziel, ungesunde Gewohnheiten aufzugeben. Dazu gibt es eine Reihe von Behandlungen, die vor allem dem Körper dabei helfen sollen, das richtige Verhältnis der drei Doshas zu erhalten oder wiederzuerlangen. Bekannt sind etwa die diversen Öl- und Pulvermassagen und das [[Panchakarma]], ein aus fünf Teilen bestehendes Reinigungsprogramm (''Panch'' heißt auf [[Hindi]] „fünf“, ''Karma'' bedeutet „Handlung, Behandlung“).
seelisch und körperlich abstürbe. Für Fromm bedeutet Weltoffenheit also nicht die Absage an sämtliche Ordnungen und Weltanschauungen, sondern sie ist, im Gegenteil, deren [[Wikipedia:Legitimität|Legitimation]].


== Weltoffenheit in der Theologie ==
=== Diagnose und Behandlung ===
Die Erkenntnis der Weltoffenheit des Menschen dient in der [[Theologie]] auch als eine der Grundlagen für die Formulierung des jüdisch-christlichen Menschenbildes, nach dem der Mensch „Abbild Gottes“ (Gen 1,26) ist:
Die Diagnose wird am Patienten als Ganzem durchgeführt. Dazu gehören z.&nbsp;B. eine generelle körperliche Untersuchung, Puls- und Urinuntersuchungen und eine Prüfung von Zunge und Augen, unabhängig davon, in welchem Körperbereich die Beschwerden vorliegen. Dies dient nicht nur der Diagnosefindung, sondern auch dazu, die individuelle Konstitution, also das Verhältnis der Doshas im Patienten zueinander zu ermitteln. Mit Hilfe dieser Information wird die für diesen Patienten angezeigte Therapie bestimmt.


<blockquote>
Die Behandlung beinhaltet das Vermeiden ursächlicher Faktoren, die für das fehlende Gleichgewicht der Doshas verantwortlich sind. Normalerweise besteht eine Behandlung aus Medizin, manueller Therapie, spezieller Diät und vorgeschriebener Tagesroutine. Im Ayurveda ist die individuelle Diät der Hauptpfeiler der Therapie. Dafür gibt es zwei Gründe: nur qualitativ und quantitativ hochwertige Nahrung kann vom Körper zu qualitativ und quantitativ hochwertigem Gewebe verstoffwechselt werden; zweitens beeinflusst jede zugeführte Substanz durch ihre eigene Zusammensetzung der Elemente den körperlichen Organismus, es muss also beim Patienten auf die Zufuhr von Elementen im richtigen Verhältnis geachtet werden.
„Daß der Mensch und nur er unter allen Lebewesen „Bild Gottes“ genannt wird, ist zunächst Ausdruck seines Herausgehobenseins aus der Natur. Dieses Herausgehobensein läßt sich an einzelnen Phänomenen aufweisen: Differenziertheit des organischen Systems, biologische Unspezialisiertheit, Weltoffenheit, Rationalität, Sprache, Bewußtsein, Selbstbestimmung, Gewissen u.a.<ref> Duhn/Pölling: Mensch noch mal! Hildesheim u.a. 1993</ref>
 
</blockquote>
=== Ernährungslehre ===
==== Allgemeine Empfehlungen ====
Allgemeine Empfehlungen, die für alle Menschen gelten, sind:<ref name="vagbhata" />
* nur bei [[Hunger]] essen
* erst wieder essen, nachdem die letzte Mahlzeit verdaut wurde
* die Hauptmahlzeit mittags einnehmen, wenn die Verdauung am stärksten funktioniert
* nie in unruhiger Gemütsverfassung essen, nicht im Stehen, in Eile
* sich nicht völlig [[Sättigung (Physiologie)|satt]] essen: „nur zwei Hände voll“
* frische, der eigenen Konstitution, der Jahreszeit und den Örtlichkeiten angepasste Lebensmittel essen
* [[Wasser]] (abgekocht, nie kalt) und [[Kräutertee]] trinken, aber nur, wenn man durstig ist
* alle sechs ayurvedischen Geschmacksrichtungen (Rasa) in jeder Mahlzeit zu sich nehmen: diese sind süß, sauer, salzig, scharf, bitter und herb (bzw. zusammenziehend)
* keine natürlichen Bedürfnisse (also Stuhlgang, [[Miktion]], Winde, Aufstoßen, Gähnen, Weinen etc.) unterdrücken.
 
==== Stoffwechsel und Gewebeaufbau (Dhatu) ====
Die Zusammensetzung der Nahrung in Bezug auf die Elemente hat direkten Einfluss auf den Organismus: aus ihr werden alle Gewebe des Körpers gebildet und aufrechterhalten. Man unterscheidet sieben Gewebegruppen Saptadhatu („sieben Gewebe“), die nach der Dauer ihres Erneuerungszyklus und weiteren Kriterien aufsteigend gestaffelt sind: Rasa (interstitielle Flüssigkeit, Lymphe), Rakta (der zelluläre Anteil des Blutes, Sehnen und Venen), Mamsa (Muskelgewebe, Haut), Meda (Fettgewebe im Allgemeinen), Asthi (Knochengewebe, davon der stabilisierende Anteil), Majja (Knochenmark und Nervengewebe), Shukra (Fortpflanzungsgewebe im engeren Sinn, aber auch die Fähigkeit der Zellerneuerung im ganzen Organismus).
 
Als „achtes Dhatu“ entsteht im Idealfall aus den Dhatus ''Ojas'', eine immaterielle [[Feinstofflichkeit|feinstoffliche]] Substanz, die auch bei positiven Erlebnissen entsteht, so die Lehre. ''Ojas'' stärkt demnach die Abwehrkräfte des Körpers und verbindet Körper und Geist. Voraussetzung für die Bildung von ''Ojas'' ist jedoch ein gutes „Verdauungsfeuer“, ''Agni'' genannt. Dieses wird unter anderem beeinflusst durch die Qualität der Nahrungsmittel.
 
''Agni''-Störungen äußern sich als [[Blähung]]en, Völlegefühl, [[Refluxösophagitis|Sodbrennen]] oder Heißhunger. Während der Verdauung werden Nährstoffe in brauchbare Substanzen und Abfallstoffe, ''Mala'', getrennt. Eine schlechte [[Verdauung]] erzeugt nicht nur qualitativ unzureichende Gewebe, sondern außerdem ''Ama'' („unvollständig Verdautes“), der sich Ayurveda zufolge im Körper ansammelt, was alle [[Stoffwechsel]]&shy;vorgänge beeinträchtigen kann, aber auch auf der seelischen Ebene kann durch „unverdaute“ Ereignisse und Probleme ''Ama'' entstehen.<ref name="vagbhata" />
 
==== Drei Klassen (Gunas) von Nahrungsmitteln  ====
Nahrungsmittel werden grundsätzlich in drei Klassen (Gunas) unterteilt:
* '''Sattva-Guna''': Milchprodukte, Getreide, Früchte und Gemüse. Sie sind süß, saftig oder ölig und können laut Ayurveda die Lebensdauer verlängern und das Lebensgefühl optimieren.
* '''Rajo-Guna''': Bittere, sauere, salzige, scharfe, heiße oder trockene Speisen, zu denen Chili, Zwiebel und Knoblauch gezählt werden. Diese erhitzen der Lehre zufolge Körper und Geist und können Aggressionen verursachen.
* '''Tamo-Guna''': Fleisch, Fisch und Geflügel. Sie entzögen dem Körper viel Energie und können die Ursache von Schmerzen und Krankheiten sein.<ref>Wolfgang U. Eckart: ''Geschichte der Medizin: Fakten, Konzepte, Haltungen.'' Springer-Verlag 2013. S. 12f.</ref>
 
==== Fleisch und Alkohol ====
Eine ausgewogene Ernährung im Sinne von Ayurveda wird als ''sattvisch'' bezeichnet. Der Konsum von Fleisch sollte achtsam geschehen. Indiziert ist der Verzehr von Fleisch bei ausgezehrten Menschen und Menschen mit Vata-Konstitution. Die Behauptung, ayurvedische Ernährung sei vegetarisch ausgerichtet, wird in den drei großen Klassikern (Caraka, Vagbhata, Susruta) klar widerlegt. Es gibt auch keine generelle Ablehnung von Alkohol: So gilt Wein in geringen Mengen als bestes Medikament, um Müdigkeit zu vertreiben (Caraka-Samhita).
 
==== Spezielle Typen ====
Darüber hinaus gibt es spezielle Empfehlungen für die einzelnen Dosha-Typen:<ref name="vagbhata" />
* '''Vata'''-Typen neigen Ayurveda zufolge zu Verdauungsstörungen, Obstipation und Untergewicht und sollen daher – unbedingt regelmäßig – gekochte und nährende Kost bevorzugen und warme Getränke zu sich nehmen. Auch die Mahlzeiten sollten warm sein und etwas Fett enthalten. Die empfohlenen Geschmacksrichtungen sind salzig, sauer und süß, da sie Vata entgegenwirken.
* '''Pitta'''-Typen haben laut Ayurveda ein starkes „Verdauungsfeuer“ und neigen deshalb zu Heisshunger; sie können kalte und warme Speisen zu sich nehmen, müssen aber darauf achten, nicht zu viel auf einmal zu essen und Frittiertes und Gebratenes zu meiden. Die Geschmacksrichtungen, die Pitta reduzieren, sind bitter, süß und herb.
* '''Kapha'''-Typen neigen zu langsamer Verdauung und haben einen niedrigen Umsatz, weshalb sie bei unzureichender Bewegung zu Übergewicht neigen. Warme Speisen und Getränke, wenig Fleisch, viel Gemüse mit bitterem und herbem Geschmack und Scharfes wirken diesen Tendenzen entgegen.
* In der Kindheit ist aufgrund des Wachstums Kapha als Dosha dominierend. Da das Wachstum hier aber selbstverständlich erwünscht ist, soll Kapha nicht gebremst, sondern nur im Rahmen gehalten werden: Kinder brauchen Süßes (gemeint sind Kohlenhydrate, kein Zucker!), Salziges, Saures (gekochtes oder frisches Obst, je nach Alter und Zustand des Agni). Außerdem ist es wichtig, Kinder daran heranzuführen, ihre persönlichen geschmacklichen Vorlieben, ihr Hungergefühl und besonders das eigene Befinden wahrzunehmen und einzuschätzen.
 
== Geschichte ==
[[Datei:Godofayurveda.jpg|mini|Dhanvantari taucht aus dem Milchozean auf, den Krug mit dem Nektar des Lebens in der Hand]]
 
Das Alter des Ayurvedas ist unbekannt. Der Ursprung von Ayurveda findet sich in der vedischen Hochkultur Altindiens. Die ältesten bekannten Aufzeichnungen (''Agnivesha Tantra'' oder ''Agnivesha Samhita'') sind etwa 3000 Jahre alt. Zu den frühen Quellen zählen das viele medizinische Hinweise enthaltende ''[[Arthashastra]]'' (Abhandlungen über die Regierungskunst), eine spätestens um 300 n. Chr. abgeschlossene Textsammlung.<ref>Patrick Olivelle (Hrsg.): ''King, Governance, and Law in Ancient India: Kautilya's Arthasastra.'' Oxford University Press, Oxford 2013, S. 31, ISBN 978-0190644123</ref> 
 
=== Mythologische Ursprünge ===
Als Begründer des Ayurvedas wird in einigen Schriften (wie dem [[Bhagavata|Srimad Bhagavata Purana]]) die mythische Figur [[Dhanvantari]] angesehen, der Arzt der Götter und Ursprung aller Heilkunst.
 
Die Samhitas (Hymnen) des [[Rig Veda]] erwähnen die Verwendung von [[Heilkräuter]]n. Innerhalb der mythologischen Erzählungen von Wunderheilungen durch die [[Ashvins]], ein Zwillingsgötterpaar, die der Legende nach Blinde sehend und Lahme gehend machten,<ref>{{RV|1|112|8}}, {{RV|1|112|16|form=pur}}</ref> kann eine Stelle<ref>{{RV|1|116|15}}</ref> als Hinweis auf die Verwendung von Beinprothesen ausgelegt werden. Von einigen Leuten wird {{RV|1|34|6}} als früher Hinweis auf das Konzept der sogenannten drei Doshas verstanden.
 
Der [[Atharvaveda]] enthält demgegenüber eine große Anzahl von Zauberformeln (Bhaishagykni) zur Bekämpfung von Krankheiten mit magischen Mitteln, entweder durch Beschwörung der Götter, von Amuletten oder bestimmter Heilpflanzen. Als Ursache der Krankheit werden dabei die Bestrafung durch einen Gott, der Angriff durch einen Dämon oder die Verzauberung durch einen Feind verstanden.
 
=== Medizinische Werke ===
Im ältesten erhaltenen medizinischen Werk, der Charaka Samhita (siehe unten), werden Krankheiten vor allem auf die Fehler (Doshas) bzw. das Verhalten wider besseres Wissen (''prajna paradha'') des Menschen zurückgeführt; der Begriff Dosha erfährt später bei den Ayurveda-Anhängern allerdings eine Umdeutung.
 
Hinweise auf medizinisches Wissen findet man schon in der [[Steinzeit]]. 2001 machte Professor Andrea Cucina, Universität von [[Missouri]]-[[Columbia (Missouri)|Columbia]], die Entdeckung, dass die alten Inder von [[Mehrgarh]] (im heutigen Pakistan) schon im Zeitraum zwischen 7000 und 6000 v. Chr. zahnärztliche Kenntnisse besessen haben. Es wurden Zähne gefunden, in die kleine Löcher (mit etwa 2,5&nbsp;mm Durchmesser) gebohrt waren, die vermutlich mit Pflanzenpasten oder anderen Substanzen aufgefüllt worden waren.
 
Bereits im 6. Jh. v. Chr. beschrieben die indischen Ärzte die menschliche Anatomie (Sehnen, Nervengeflecht, Muskeln etc.) sehr genau und hatten ein gutes Verständnis der menschlichen Verdauung und des Blutkreislaufs. In [[Sri Lanka]] gab es im Jahre 427 v. Chr. die ersten Spitäler. Der buddhistische König [[Ashoka]] ließ im 3. Jh. v. Chr. ins zweite [[Edikte des Ashoka|Felsenedikt]] schreiben, dass Spitäler für Menschen und für Tiere errichtet und dass hierfür Heilpflanzen importiert und angebaut wurden. Die klassische indische Medizin weist gemäß Butzenberger und Fedorova deutliche Bezüge zum Buddhismus auf.<ref>Klaus Butzenberger, Mariana Fedorova: ''Wechselbeziehungen zwischen Buddhismus und klassischer indischer Medizin.'' In: ''Sudhoffs Archiv.'' Band 73, S. 88–109.</ref>
 
=== Parallelen zur europäischen Antike ===
[[Platon]] hatte eine ähnliche Theorie wie die ayurvedische Theorie der [[Dosha|Tridosha]]. Im [[Timaios]] wird eine Krankheit erwähnt, die aus [[Pneuma]] („Luft“ oder Vata) und den beiden [[Humoralpathologie|Körpersäften]] [[Choleriker|Chole]] („Galle“ oder Pitta) und [[Phlegmatiker|Phlegma]] („Schleim“, „Feuer“ oder Kapha) entsteht. Wie der französische Indologe [[Jean Filliozat]] schrieb, ist diese Theorie möglicherweise vedischen Ursprungs, da diese Doshas und besonders die Beziehung zwischen Galle und Feuer schon in der vedischen Literatur bekannt waren. Außerdem, so sagt er, gibt es mehrere direkte Referenzen in der [[Corpus Hippocraticum|hippokratischen Sammlung]], die darauf hindeuten, dass einige indische Arzneien und medizinische Rezepte in [[Griechenland]] übernommen wurden.
 
=== Teilweiser Verlust der Lehre ===
Viele Aspekte von Ayurveda sind mit dem Untergang der vedischen Kultur über die Jahrtausende hinweg nahezu verloren gegangen. Im Mittelalter brachten viele ausländische Mächte ihre eigene Medizin mit auf den indischen Subkontinent, wo der Ayurveda fast 150 Jahre verboten wurde; in [[Sri Lanka]] (damals [[Ceylon]]) wurde dieses Wissen jedoch lückenlos weiter angewendet. Auch heutzutage gibt es daher noch Unterschiede zwischen dem praktizierten Ayurveda in Indien und Sri Lanka, da fehlendes Wissen in Indien durch eigene Handlungsweisen ergänzt wurde, während in Sri Lanka das Wissen ununterbrochen weitergeführt und gelehrt wurde.
 
Sri Lanka ist das einzige Land der Erde, welches den Ayurveda als komplettes Gesundheitssystem staatlich anbietet. Auch in Indien leistet Ayurveda noch immer einen kleinen Teil der Versorgung, die Abwanderung an die evidenzbasierte Medizin setzte aber bereits in den 60er Jahren ein. Er existiert noch in einer Mischung aus Kräutermedizin und Aberglaube.
 
== Werke ==
Die ''Charaka Samhita'' und die ''Sushruta Samhita'' bilden zusammen mit der ''Vagbhata Samhita'' das Kernstück der traditionellen ayurvedischen Literatur und sind Standardwerke in der Ausbildung der ayurvedischen Ärzte (''vaidyas''). Es sind Sammelwerke (''Samhita''), die Materialien aus unterschiedlichen Epochen beinhalten. Diese Werke werden auch ''brihat trayi'' genannt, was ''die großen Drei'' bedeutet.
 
Die Werke sind benannt nach Namen von drei der berühmtesten Ärzte aus dem [[Indus-Kultur|Industal]] (damals noch Indien, [[Bangladesch]], [[Pakistan]], Teile [[Afghanistan]]s und [[Sri Lanka]]) und werden der klassischen Periode zugeordnet, die ca. von 500 v. Chr. bis 1000 n. Chr. dauerte. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es neben den ''Großen Drei'' auch noch die ''Kleinen Drei'' gibt, welche allerdings in einer viel späteren Zeit geschrieben worden sind (12.–16. Jahrhundert n. Chr.). Dies sind: ''Madhava Nidan'', ''Sharangdhara Samhita'' und ''Bhava Prakasha''.
 
* '''Sushruta Samhita''': Dieses Buch stammt vermutlich aus der Zeit um 350 n. Chr. und geht auf den Mediziner [[Sushruta]] zurück, der wahrscheinlich im frühen 6. Jh. v. Chr. lebte. Sushruta beschrieb viele Operationen und 121 Operationsinstrumente. Unter den Operationen, die er beschrieben hat, sind [[Star (Augenheilkunde)|Star]], [[Knochenbruch|Bruch]], Steinschnitt, [[Kaiserschnitt]] usw. Instrumente, die er beschrieb, sind u.&nbsp;a. [[Sonde]]n, [[Zange]]n, [[Lanzette]]n und [[Katheter]]. Er übertrug auch Haut von anderen Körperstellen auf ein beschädigtes [[Ohr]] und entwickelte die [[Nase]]nplastik. Sushruta Samhita wurde vor dem Ende des 8. Jh. n. Chr. ins [[Arabische Sprache|Arabische]] übersetzt. Ins Lateinische wurde es von Hassler und ins Deutsche von Ullers übersetzt.
* '''Charaka Samhita''': Der Autor dieses Buches war [[Charaka]], der nach Angaben aus einer chinesischen Übersetzung der [[Pali-Kanon|Tripitaka]] wahrscheinlich im 2. Jh. n. Chr. lebte. Es soll auf einem noch älteren Buch, dem Agnivesha Samhita mit 46.000 Versen, basieren, das aber nicht mehr existiert. Die Werke Charakas wurden noch vor dem 8. Jh. n. Chr. ins [[Arabische Sprache|Arabische]] übersetzt. Der Name Charakas tritt auch in vielen lateinischen Übersetzungen von arabischen Medizinbüchern auf.
* '''[[Ashtanga Hridaya]]''' und '''Ashtanga Sangraha''' von [[Vagbhata]] (625 n. Chr.)
 
Weitere wichtige Werke sind:
* Sharangadhara Samhita von Sharangadhara: Dieses Buch soll im 15. Jh. n. Chr. geschrieben worden sein. Es enthält viele pharmazeutische Rezepte und behandelt auch die Diagnose mittels [[Puls]]messung.
* Bhava Prakash: Dieses Buch stammt aus dem 16. Jh. n. Chr. und enthält 10.268 Verse.
* Madhava Nidanam: Dieses Buch soll aus dem 7. Jh. n. Chr. stammen.
 
== Kritik ==
 
=== Schwermetallvergiftungen ===
Der Chefarzt der Nephrologie der Asklepios-Klinik Barmbek in Hamburg warnt vor der Einnahme von Ayurveda-Medikamenten. Diese könne zu schweren neurologischen Schäden und lebensgefährlichen Vergiftungen mit Schwermetallen führen.<ref>[http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/ayurveda-medikament-lebensbedrohliche-vergiftungsgefahr-a-1050322.html ''Quecksilber und Blei: Frau durch Ayurveda-Medikamente vergiftet.''] Spiegel online, 29. August 2015.</ref> [[Schwermetalle]], besonders [[Blei]], verunreinigen nicht selten Medikamente traditioneller indischer Medizinrichtungen; über Vergiftungen durch ayurvedische Medikamente gibt es medizinische Berichte. Offenbar kontrollieren einige Hersteller in Indien die unter Verwendung von Pflanzenaschen gewonnenen Präparate nicht ausreichend auf Schwermetallbelastungen.<ref>Ernst, 2002</ref> In einem dargestellten Fall wurden sieben Monate lang Weihrauchpillen aus Indien gegen chronische [[Polyarthritis]] eingenommen und führten zum Bild einer schweren Blei-[[Vergiftung|Intoxikation]] mit [[Verdauung]]s&shy;störungen, [[Hämolytische Anämie|hämolytischer Anämie]] und [[Lähmung]]en bei einem Bleigehalt des [[Blut]]es von 852&nbsp;µg/l; der obere Grenzwert ist 100&nbsp;µg/l.<ref>Schilling, 2004</ref> Stichproben des ARD-Magazins [[Plusminus]] ergaben 2006 und 2007 mehrmals giftige Konzentrationen von [[Arsen]] und [[Quecksilber]]. Im August 2015 wurde berichtet, dass eine 55-jährige Frau durch Ayurveda-Medikation auf Sri Lanka schwer durch Quecksilber und Blei vergiftet wurde.<ref>[http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/ayurveda-medikament-lebensbedrohliche-vergiftungsgefahr-a-1050322.html. Spielge-online.de Vergiftungen durch Ayurveda]</ref>
 
=== Mangelnde Qualitätskontrolle ===
Auch in Indien ist man mittlerweile insbesondere mit Blick auf den wachsenden weltweiten Markt indigener Heilmittel bestrebt, international anerkannte Qualitätsstandards einzuhalten. So gibt es in Mitteleuropa bereits indische Produkte, die diverse nationale und internationale Standards einhalten, wie [[HACCP]], BDIH, [[Qualitätsmanagementnorm|ISO 9000/9001]] und [[Qualitätsmanagementnorm|ISO/IEC 17025]]. Hinsichtlich der Kontrolle von Schwermetallbelastungen gilt jedoch vor allem [[Good Manufacturing Practice|GMP]] als maßgebend.
 
Amerikanische Forscher haben 193 Ayurveda-Produkte aus dem Internet untersucht. Knapp 17 % davon waren Rasa-shastra-Medikamente, in denen Pflanzen mit Metallen kombiniert werden. Bei der Untersuchung ging es darum, die Prävalenz schwermetallhaltiger Präparate (Blei, Quecksilber, Arsen) zu ermitteln, Unterschiede zwischen indischen und amerikanischen Produkten herauszufinden und Rasa-shastra- mit Nicht-Rasa-shastra-Medizin zu vergleichen. Insgesamt wurden bei 20 % aller Erzeugnisse Metalle nachgewiesen, am häufigsten fand sich Blei. Dabei gab es keine signifikante Differenz zwischen indischen und amerikanischen Anbietern.
 
Fast alle auffälligen Artikel wurden über US-Webseiten vertrieben und insgesamt hatten drei Viertel aller Hersteller angegeben, nach strengen Richtlinien zu produzieren. Erwartungsgemäß lag der Metall-Anteil bei Rasa-shastra-Substanzen deutlich höher (knapp 41% vs. 17 %). Besonders auffällig war hier – vor allem in indischen Produkten – neben einem mittleren Bleigehalt von 11,5 µg/g der hohe Quecksilberanteil von durchschnittlich 20.800 µg/g. Die Blei- und Quecksilber-Werte einiger Rasa-shastra-Produkte lagen 100- bis 10.000-fach über dem Limit.<ref>Zitiert nach Medical Tribune Deutschland, Ausgabe 39 / 2008 S.&nbsp;37, Quelle: Robert B. Saper et al., JAMA 2008; 300, S. 915–923.</ref> Es wird behauptet, dass das Quecksilber durch einen komplizierten „Destillationsprozess“ zu einer ungiftigen, aber hochwirksamen „Silbermedizin“ (Bhasma) umgewandelt wird; dieses „Umwandlungsverfahren“ besteht aus Erhitzen des Stoffes und anschließendem Vermischen mit Öl, Buttermilch o.&nbsp;Ä. Auch Arsen, Blei und andere toxische Stoffe werden auf diese Weise angeblich entgiftet.
 
In Deutschland sind diese schwermetallhaltigen Produkte generell nicht erhältlich.
 
== Ausbildung zum Therapeuten ==
[[Datei:Ayurveda blutdruck.JPG|mini|Ayurvedapraktiker mit Kurpatient]]
In Indien und Sri Lanka müssen Ayurveda-Ärzte, ebenso wie westlich ausgebildete Mediziner, fünfeinhalb Jahre lang studiert haben, um danach ein [[Staatsexamen]] in ayurvedischer Heilkunst abzulegen. Es ist ein eigener, vollständiger Studiengang (B.A.M.S., die Abkürzung für ''Bachelor of Ayurvedic Medicine and Surgery'', Ayurvedacharya-Kurs) und wird an vielen indischen und mehreren sri-lankischen Universitäten gelehrt. Er beinhaltet viereinhalb Jahre Studium und ein praktisches Jahr in dem der Bildungsinstitution angegliederten Krankenhaus.
 
Nach diesem [[Bachelor]]-Studium besitzt man das Recht, in Indien als ''Doctor of Ayurveda'' respektive ''Vaidya'' (dt. traditioneller Ayurveda-Arzt; aber auch -Heiler oder -Gelehrter; die weibl. Form von ''Vaidya'' ist ''Vaidye'') zu praktizieren und, zusätzlich zu ayurvedischen Präparaten, auch rezeptpflichtige Medikamente zu verschreiben. Nach dem B.A.M.S.-Studium gibt es dort die Möglichkeit, sich in einem Fach des Ayurvedas zu spezialisieren und so nach weiteren drei Jahren des Studierens (Ayurvedavachaspati-Kurs) den Titel [[Doktor der Medizin (Berufsdoktorat)|M.D.]] (''Doctor of Medicine'') zu erwerben. Dies wiederum ist die Voraussetzung für den Ayurvidya-Varidhi-Kurs, der zwei Jahre dauert und den [[Ph. D.|Ph.&nbsp;D.]] (''Doctor of Philosophy'') als Ziel hat. In Indien erhalten so jedes Jahr mehrere tausend Mediziner ihre Ayurveda-Anerkennung.<ref>[http://indianmedicine.nic.in/ Webseite der AYUSH] (= Department of Ayurveda, Yoga and Naturopathy, Unani, Siddha and Homoeopathy) am indischen Ministerium für Gesundheit und Familie.</ref>
 
Die Ayurveda-Ausbildung, ihre staatliche Anerkennung, Ausbildungsstandards und [[Curriculum (Pädagogik)|Curricula]] werden in Indien durch das CCIM (''Central Council for Indian Medicine'') reguliert.<ref>[http://www.ccimindia.org/ Website des Central Council of Indian Medicine].</ref>
 
Studieninteressierte, die nicht den indischen Pass besitzen, können sich um ein Stipendium für den B.A.M.S.-Kurs in Indien beim ICCR (''Indian Council for Cultural Relations'') durch die indische [[Botschaft (Diplomatie)|Botschaft]] in Deutschland bewerben.<ref>[http://www.indischebotschaft.de/newsman/embassyweba.php?langid=DE Website Indische Botschaft Berlin].</ref>
 
Auch in Deutschland gibt es inzwischen einige Ayurveda-Institute,<ref>{{Internetquelle
|url= http://www.ruhrnachrichten.de/lokales/crlo/Castrop-Rauxel-Ayurveda-Das-Tor-nach-Indien-ist-geoeffnet;art934,506340
|datum= 11. März 2009
|titel= Ayurveda: Das Tor nach Indien ist geöffnet
|werk= Ruhr Nachrichten
|zugriff= 21. September 2009
}}</ref> die eine nach eigenen Angaben fundierte Ayurveda-Ausbildung nach indischen Standards anbieten.
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Ayurveda}}
* {{WikipediaDE|Abhyanga}}
* {{WikipediaDE|Shirodhara}}
* {{WikipediaDE|Babymassage}}
* {{WikipediaDE|Frédérick Leboyer}}
* {{WikipediaDE|Unani}}
 
== Literatur ==
* Claus Leitzmann, Markus Keller, Andreas Hahn: ''Alternative Ernährungsformen.'' Hippokrates, Stuttgart 1999, ISBN 3-7773-1311-4.
* Srikanta Sena: ''Ayurveda–Lehrbuch; Kompendium des Ayurveda-Klassikers Charaka-Samhita.'' 2 Bände. 2. Auflage. Vasati, 2005, ISBN 978-3-937238-00-5.
* Srikanta Sena: ''Ayurveda – Materia Medica; Über die Eigenschaften von Pflanzen, Mineralien, Nahrungsmitteln und Rezepturen im Ayurveda.'' Vasati, 2007, ISBN 978-3-937238-04-3.
* Manfred Krames: ''Das ist Ayurveda: Therapien für Geist und Seele''. Interspa Publ. 2008 (2., aktualisierte und erweiterte Auflage, inkl. DVD), ISBN 978-3-89575-146-2.
* Robert Svoboda, Arnie Lade: '' Ayurveda und Traditionelle chinesische Medizin. Die beiden ältesten Heilsysteme der Welt im Vergleich''. Aus dem Englischen von Thomas Dunkenberger, Titel der Erstausgabe ''Tao and Dharma''. Scherz Verlag, Bern, München, Wien 2002.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
{{Wiktionary}}
{{Commonscat}}
* http://soziologie.soz.uni-linz.ac.at/sozthe/freitour/skriptum/Sport.doc (DOC-Datei, 310 KB)
* [http://www.stern.de/wissen/gesund_leben/medizin/medizin-rosskur-auf-altindisch-543396.html Stern-Artikel zum Thema Ayurveda]
* [http://indianmedicine.nic.in/index2.asp?slid=117&sublinkid=59&lang=1 englische Seite des Department of Ayurveda, Yoga & Naturopathy, Unani, Siddha and Homoeopathy (AYUSH)]
* [http://www.gwup.org/inhalte/77-themen/komplementaer-und-alternativmedizin-cam/888-ayurveda Zusammenfassung der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V.) zu Ayurveda]
* [https://www.psiram.com/ge/index.php/Ayurveda Psiram-Eintrag zu Ayurveda] ("Wiki der irrationalen Überzeugungssysteme")


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


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Version vom 18. April 2019, 20:35 Uhr

Ayurveda oder Ayurweda (Sanskrit, m., आयुर्वेद āyurveda, „Wissen vom Leben“, von veda, ‚Wissen‘) ist eine traditionelle indische Heilkunst, die bis heute viele Anwender in Indien, Nepal und Sri Lanka hat.

In Asien, insbesondere in Indien, wird Ayurveda als Heilmethode auch wissenschaftlich gelehrt und von der Bevölkerung akzeptiert. Im westlichen Kulturkreis dagegen setzt man Ayurveda zumeist für Wellness-Zwecke ein, was in Asien erst durch den wachsenden Tourismus zum Thema wurde. Ayurveda ist keine therapeutische Einzelmaßnahme, sondern ein ganzheitliches System und gehört in den Bereich der traditionellen Alternativmedizin. Mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ist Ayurveda vielfach nicht vereinbar. Wirkungsnachweise nach den Grundprinzipien der evidenzbasierten Medizin sind kaum oder nicht vorhanden.

Die ältesten Vorstellungen einer Medizin in Indien sind aus der vedischen Zeit ab ungefähr der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr., vor allem im Atharvaveda, überliefert. Hieraus entwickelte sich ab etwa 500 v. Chr. das davon unterscheidbare medizinische System des Ayurveda, dessen acht Traktate nicht mehr als Gesamttext erhalten sind. Eine Phase der medizinischen Sanskritliteratur, die ebenfalls Ayurveda genannt wird, beginnt mit der christlichen Zeitrechnung und ist zuerst in Samhitas enthalten, die Ärzten wie Charaka und Sushruta zugeschrieben werden.[1] In den Werken Susrutas, Charakas und später zudem im Werk Vagbhatas finden sich Inhalte der ayurvedischen Texte wieder.[2]

Dhanvantari, Arzt der Götter und Ursprung aller Heilkunst

Beschreibung

Ayurvedafußmassage
Ayurvedakopfmassage
Massagetisch
Dampfkasten

Wörtlich übersetzt bedeutet Ayurveda Lebensweisheit oder Lebenswissenschaft. Der Begriff stammt aus dem Sanskrit und setzt sich aus den Wörtern Ayus (Leben) und Veda (Wissen) zusammen. Ayurveda ist eine Kombination aus Erfahrungswerten und Philosophie, die sich auf die für menschliche Gesundheit und Krankheit wichtigen physischen, mentalen, emotionalen und spirituellen Aspekte konzentriert. Dadurch hat Ayurveda einen ganzheitlichen Anspruch.

Zentrale Elemente des Ayurvedas sind:

  • Ayurveda-Massage und -Reinigungstechniken
  • die Ernährungslehre
  • spirituelle Yogapraxis
  • Pflanzenheilkunde

David Frawley, ein zeitgenössischer amerikanischer Ayurveda-Experte, schreibt: „Die Grundregel lautet: Was immer wir selbst tun können, um unsere eigene Gesundheit zu stärken, wirkt besser als das, was andere für uns tun.“[3] Krankheit wird „als die höchste Form des Asketentums[4] betrachtet.

Drei Prinzipien des Lebens (Doshas)

In der Typologie spricht man von drei unterschiedlichen Lebensenergien, den sogenannten Doshas:[5]

  • Vata (Wind, Luft und Äther), das Bewegungsprinzip
  • Pitta (Feuer und Wasser), das Feuer- bzw. Stoffwechselprinzip
  • Kapha (Erde und Wasser), das Strukturprinzip

Dosha (oder Doscha) bedeutet wörtlich übersetzt „Fehler(potential)“. Diese kommen nach ayurvedischer Vorstellung in jedem Organismus vor, da sie gemeinsam alle Vorgänge des Organismus ermöglichen. In einem gesunden Organismus sollten sich diese „Energien“ in einem harmonischen Gleichgewicht befinden, da sie sonst Fehler im System hervorrufen. Im Gesamteindruck gibt es bei jedem Individuum ein oder zwei generell vorherrschende Doshas, seltener sind alle drei gleich stark ausgeprägt. Es ist für den Behandelnden wichtig zu wissen, welche Doshas bei einem Menschen vorherrschen, weil jeder Typ andere Medikamente und Behandlungen benötigt.

Der Behandelnde stellt das aktuelle Verhältnis der Doshas zueinander mittels Blickdiagnose, Befragung und der ayurvedischen Pulsdiagnose (Nadivigyan, im Sharagadhara Samhita beschrieben) fest. Wie das Verhältnis der Doshas zueinander sein sollte, wird in Indien zusätzlich aus dem astrologischen Horoskop des Patienten (Prakriti-Analyse) abgeleitet. Um diese rechte Balance wiederherzustellen und angesammelte Schlacken auszuleiten, werden Ernährungstherapie, Ordnungstherapie, Pflanzenheilkunde und bestimmte Reinigungsverfahren (Panchakarma) eingesetzt. Zu diesen Panchakarma gehören Fasten, Bäder, Einläufe, therapeutisches Erbrechen und Aderlass, außerdem noch Massagen, Yoga- und Atemübungen, Farb- und Musiktherapie und der Einsatz vieler ayurvedischer Arzneimittel.

Ganzheit

Das Leben ist gemäß der Ayurveda-Auslegung eine Einheit von Körper, Sinnen, Verstand und Seele. Der Mensch setzt sich aus den drei Doshas, den sieben Basisstoffen (Rasa, Rakta, Mansa, Meda, Asthi, Majja und Shukra) und den Abfallstoffen des Körpers (Fäkalien, Urin, Schweiß) zusammen. Das Wachsen und der Verfall des Menschen und seiner Bestandteile hängen mit der Nahrung zusammen aus der Basisstoffe, Dhatus, und Abfallprodukte, Mala, entstehen. Nahrungsaufnahme, Verarbeitung, Absorption, Assimilation und Stoffwechsel haben Auswirkungen auf Gesundheit und Krankheit, die maßgeblich von physiologischen und psychischen Mechanismen und vom Element Feuer (Agni) beeinflusst werden.

Krankheitslehre

Im Ayurveda ist alles im Universum aus den sog. neun Substanzen (Dravyas) zusammengesetzt: den fünf Elementen („Pancamahabhutas“), plus dem Geist „Manas“, der Seele „Atman“, dem Raum „Dik“ und der Zeit „Kala“. Die fünf Elemente – Wasser, Erde, Feuer, Luft und Äther – sind in jedem Stoff in unterschiedlicher Proportion vertreten, sodass sich jeder Stoff durch seine Anteile dieser Elemente kategorisieren lässt. Demzufolge sind auch alle Lebewesen aus diesen Elementen zusammengesetzt.

Gesundheit und Krankheit hängen vom Vorhandensein eines ausgeglichenen Gleichgewichts des Ganzen und seiner Bestandteile ab. Innere und äußere Einflüsse können für das fehlende Gleichgewicht verantwortlich sein. Der Gleichgewichtsverlust kann durch Diäten, unerwünschte Angewohnheiten, Nichtbeachtung der Regeln für gesundes Leben und aus vielen anderen Gründen entstehen.

Das Ziel der ayurvedischen Heilkunst ist die Vermeidung von ernsthaften Erkrankungen, indem man versucht, den Auslöser der Erkrankung zu verstehen, erste, unspezifische Anzeichen zu erkennen und den Boden für einen Ausbruch zu entziehen. Dies geschieht vor allem durch die Bemühung um die für den jeweiligen Patienten „richtige“ Ernährung und Lebensweise, sowie das Ziel, ungesunde Gewohnheiten aufzugeben. Dazu gibt es eine Reihe von Behandlungen, die vor allem dem Körper dabei helfen sollen, das richtige Verhältnis der drei Doshas zu erhalten oder wiederzuerlangen. Bekannt sind etwa die diversen Öl- und Pulvermassagen und das Panchakarma, ein aus fünf Teilen bestehendes Reinigungsprogramm (Panch heißt auf Hindi „fünf“, Karma bedeutet „Handlung, Behandlung“).

Diagnose und Behandlung

Die Diagnose wird am Patienten als Ganzem durchgeführt. Dazu gehören z. B. eine generelle körperliche Untersuchung, Puls- und Urinuntersuchungen und eine Prüfung von Zunge und Augen, unabhängig davon, in welchem Körperbereich die Beschwerden vorliegen. Dies dient nicht nur der Diagnosefindung, sondern auch dazu, die individuelle Konstitution, also das Verhältnis der Doshas im Patienten zueinander zu ermitteln. Mit Hilfe dieser Information wird die für diesen Patienten angezeigte Therapie bestimmt.

Die Behandlung beinhaltet das Vermeiden ursächlicher Faktoren, die für das fehlende Gleichgewicht der Doshas verantwortlich sind. Normalerweise besteht eine Behandlung aus Medizin, manueller Therapie, spezieller Diät und vorgeschriebener Tagesroutine. Im Ayurveda ist die individuelle Diät der Hauptpfeiler der Therapie. Dafür gibt es zwei Gründe: nur qualitativ und quantitativ hochwertige Nahrung kann vom Körper zu qualitativ und quantitativ hochwertigem Gewebe verstoffwechselt werden; zweitens beeinflusst jede zugeführte Substanz durch ihre eigene Zusammensetzung der Elemente den körperlichen Organismus, es muss also beim Patienten auf die Zufuhr von Elementen im richtigen Verhältnis geachtet werden.

Ernährungslehre

Allgemeine Empfehlungen

Allgemeine Empfehlungen, die für alle Menschen gelten, sind:[5]

  • nur bei Hunger essen
  • erst wieder essen, nachdem die letzte Mahlzeit verdaut wurde
  • die Hauptmahlzeit mittags einnehmen, wenn die Verdauung am stärksten funktioniert
  • nie in unruhiger Gemütsverfassung essen, nicht im Stehen, in Eile
  • sich nicht völlig satt essen: „nur zwei Hände voll“
  • frische, der eigenen Konstitution, der Jahreszeit und den Örtlichkeiten angepasste Lebensmittel essen
  • Wasser (abgekocht, nie kalt) und Kräutertee trinken, aber nur, wenn man durstig ist
  • alle sechs ayurvedischen Geschmacksrichtungen (Rasa) in jeder Mahlzeit zu sich nehmen: diese sind süß, sauer, salzig, scharf, bitter und herb (bzw. zusammenziehend)
  • keine natürlichen Bedürfnisse (also Stuhlgang, Miktion, Winde, Aufstoßen, Gähnen, Weinen etc.) unterdrücken.

Stoffwechsel und Gewebeaufbau (Dhatu)

Die Zusammensetzung der Nahrung in Bezug auf die Elemente hat direkten Einfluss auf den Organismus: aus ihr werden alle Gewebe des Körpers gebildet und aufrechterhalten. Man unterscheidet sieben Gewebegruppen Saptadhatu („sieben Gewebe“), die nach der Dauer ihres Erneuerungszyklus und weiteren Kriterien aufsteigend gestaffelt sind: Rasa (interstitielle Flüssigkeit, Lymphe), Rakta (der zelluläre Anteil des Blutes, Sehnen und Venen), Mamsa (Muskelgewebe, Haut), Meda (Fettgewebe im Allgemeinen), Asthi (Knochengewebe, davon der stabilisierende Anteil), Majja (Knochenmark und Nervengewebe), Shukra (Fortpflanzungsgewebe im engeren Sinn, aber auch die Fähigkeit der Zellerneuerung im ganzen Organismus).

Als „achtes Dhatu“ entsteht im Idealfall aus den Dhatus Ojas, eine immaterielle feinstoffliche Substanz, die auch bei positiven Erlebnissen entsteht, so die Lehre. Ojas stärkt demnach die Abwehrkräfte des Körpers und verbindet Körper und Geist. Voraussetzung für die Bildung von Ojas ist jedoch ein gutes „Verdauungsfeuer“, Agni genannt. Dieses wird unter anderem beeinflusst durch die Qualität der Nahrungsmittel.

Agni-Störungen äußern sich als Blähungen, Völlegefühl, Sodbrennen oder Heißhunger. Während der Verdauung werden Nährstoffe in brauchbare Substanzen und Abfallstoffe, Mala, getrennt. Eine schlechte Verdauung erzeugt nicht nur qualitativ unzureichende Gewebe, sondern außerdem Ama („unvollständig Verdautes“), der sich Ayurveda zufolge im Körper ansammelt, was alle Stoffwechsel­vorgänge beeinträchtigen kann, aber auch auf der seelischen Ebene kann durch „unverdaute“ Ereignisse und Probleme Ama entstehen.[5]

Drei Klassen (Gunas) von Nahrungsmitteln

Nahrungsmittel werden grundsätzlich in drei Klassen (Gunas) unterteilt:

  • Sattva-Guna: Milchprodukte, Getreide, Früchte und Gemüse. Sie sind süß, saftig oder ölig und können laut Ayurveda die Lebensdauer verlängern und das Lebensgefühl optimieren.
  • Rajo-Guna: Bittere, sauere, salzige, scharfe, heiße oder trockene Speisen, zu denen Chili, Zwiebel und Knoblauch gezählt werden. Diese erhitzen der Lehre zufolge Körper und Geist und können Aggressionen verursachen.
  • Tamo-Guna: Fleisch, Fisch und Geflügel. Sie entzögen dem Körper viel Energie und können die Ursache von Schmerzen und Krankheiten sein.[6]

Fleisch und Alkohol

Eine ausgewogene Ernährung im Sinne von Ayurveda wird als sattvisch bezeichnet. Der Konsum von Fleisch sollte achtsam geschehen. Indiziert ist der Verzehr von Fleisch bei ausgezehrten Menschen und Menschen mit Vata-Konstitution. Die Behauptung, ayurvedische Ernährung sei vegetarisch ausgerichtet, wird in den drei großen Klassikern (Caraka, Vagbhata, Susruta) klar widerlegt. Es gibt auch keine generelle Ablehnung von Alkohol: So gilt Wein in geringen Mengen als bestes Medikament, um Müdigkeit zu vertreiben (Caraka-Samhita).

Spezielle Typen

Darüber hinaus gibt es spezielle Empfehlungen für die einzelnen Dosha-Typen:[5]

  • Vata-Typen neigen Ayurveda zufolge zu Verdauungsstörungen, Obstipation und Untergewicht und sollen daher – unbedingt regelmäßig – gekochte und nährende Kost bevorzugen und warme Getränke zu sich nehmen. Auch die Mahlzeiten sollten warm sein und etwas Fett enthalten. Die empfohlenen Geschmacksrichtungen sind salzig, sauer und süß, da sie Vata entgegenwirken.
  • Pitta-Typen haben laut Ayurveda ein starkes „Verdauungsfeuer“ und neigen deshalb zu Heisshunger; sie können kalte und warme Speisen zu sich nehmen, müssen aber darauf achten, nicht zu viel auf einmal zu essen und Frittiertes und Gebratenes zu meiden. Die Geschmacksrichtungen, die Pitta reduzieren, sind bitter, süß und herb.
  • Kapha-Typen neigen zu langsamer Verdauung und haben einen niedrigen Umsatz, weshalb sie bei unzureichender Bewegung zu Übergewicht neigen. Warme Speisen und Getränke, wenig Fleisch, viel Gemüse mit bitterem und herbem Geschmack und Scharfes wirken diesen Tendenzen entgegen.
  • In der Kindheit ist aufgrund des Wachstums Kapha als Dosha dominierend. Da das Wachstum hier aber selbstverständlich erwünscht ist, soll Kapha nicht gebremst, sondern nur im Rahmen gehalten werden: Kinder brauchen Süßes (gemeint sind Kohlenhydrate, kein Zucker!), Salziges, Saures (gekochtes oder frisches Obst, je nach Alter und Zustand des Agni). Außerdem ist es wichtig, Kinder daran heranzuführen, ihre persönlichen geschmacklichen Vorlieben, ihr Hungergefühl und besonders das eigene Befinden wahrzunehmen und einzuschätzen.

Geschichte

Dhanvantari taucht aus dem Milchozean auf, den Krug mit dem Nektar des Lebens in der Hand

Das Alter des Ayurvedas ist unbekannt. Der Ursprung von Ayurveda findet sich in der vedischen Hochkultur Altindiens. Die ältesten bekannten Aufzeichnungen (Agnivesha Tantra oder Agnivesha Samhita) sind etwa 3000 Jahre alt. Zu den frühen Quellen zählen das viele medizinische Hinweise enthaltende Arthashastra (Abhandlungen über die Regierungskunst), eine spätestens um 300 n. Chr. abgeschlossene Textsammlung.[7]

Mythologische Ursprünge

Als Begründer des Ayurvedas wird in einigen Schriften (wie dem Srimad Bhagavata Purana) die mythische Figur Dhanvantari angesehen, der Arzt der Götter und Ursprung aller Heilkunst.

Die Samhitas (Hymnen) des Rig Veda erwähnen die Verwendung von Heilkräutern. Innerhalb der mythologischen Erzählungen von Wunderheilungen durch die Ashvins, ein Zwillingsgötterpaar, die der Legende nach Blinde sehend und Lahme gehend machten,[8] kann eine Stelle[9] als Hinweis auf die Verwendung von Beinprothesen ausgelegt werden. Von einigen Leuten wird Rigveda 1,34,6 desa als früher Hinweis auf das Konzept der sogenannten drei Doshas verstanden.

Der Atharvaveda enthält demgegenüber eine große Anzahl von Zauberformeln (Bhaishagykni) zur Bekämpfung von Krankheiten mit magischen Mitteln, entweder durch Beschwörung der Götter, von Amuletten oder bestimmter Heilpflanzen. Als Ursache der Krankheit werden dabei die Bestrafung durch einen Gott, der Angriff durch einen Dämon oder die Verzauberung durch einen Feind verstanden.

Medizinische Werke

Im ältesten erhaltenen medizinischen Werk, der Charaka Samhita (siehe unten), werden Krankheiten vor allem auf die Fehler (Doshas) bzw. das Verhalten wider besseres Wissen (prajna paradha) des Menschen zurückgeführt; der Begriff Dosha erfährt später bei den Ayurveda-Anhängern allerdings eine Umdeutung.

Hinweise auf medizinisches Wissen findet man schon in der Steinzeit. 2001 machte Professor Andrea Cucina, Universität von Missouri-Columbia, die Entdeckung, dass die alten Inder von Mehrgarh (im heutigen Pakistan) schon im Zeitraum zwischen 7000 und 6000 v. Chr. zahnärztliche Kenntnisse besessen haben. Es wurden Zähne gefunden, in die kleine Löcher (mit etwa 2,5 mm Durchmesser) gebohrt waren, die vermutlich mit Pflanzenpasten oder anderen Substanzen aufgefüllt worden waren.

Bereits im 6. Jh. v. Chr. beschrieben die indischen Ärzte die menschliche Anatomie (Sehnen, Nervengeflecht, Muskeln etc.) sehr genau und hatten ein gutes Verständnis der menschlichen Verdauung und des Blutkreislaufs. In Sri Lanka gab es im Jahre 427 v. Chr. die ersten Spitäler. Der buddhistische König Ashoka ließ im 3. Jh. v. Chr. ins zweite Felsenedikt schreiben, dass Spitäler für Menschen und für Tiere errichtet und dass hierfür Heilpflanzen importiert und angebaut wurden. Die klassische indische Medizin weist gemäß Butzenberger und Fedorova deutliche Bezüge zum Buddhismus auf.[10]

Parallelen zur europäischen Antike

Platon hatte eine ähnliche Theorie wie die ayurvedische Theorie der Tridosha. Im Timaios wird eine Krankheit erwähnt, die aus Pneuma („Luft“ oder Vata) und den beiden Körpersäften Chole („Galle“ oder Pitta) und Phlegma („Schleim“, „Feuer“ oder Kapha) entsteht. Wie der französische Indologe Jean Filliozat schrieb, ist diese Theorie möglicherweise vedischen Ursprungs, da diese Doshas und besonders die Beziehung zwischen Galle und Feuer schon in der vedischen Literatur bekannt waren. Außerdem, so sagt er, gibt es mehrere direkte Referenzen in der hippokratischen Sammlung, die darauf hindeuten, dass einige indische Arzneien und medizinische Rezepte in Griechenland übernommen wurden.

Teilweiser Verlust der Lehre

Viele Aspekte von Ayurveda sind mit dem Untergang der vedischen Kultur über die Jahrtausende hinweg nahezu verloren gegangen. Im Mittelalter brachten viele ausländische Mächte ihre eigene Medizin mit auf den indischen Subkontinent, wo der Ayurveda fast 150 Jahre verboten wurde; in Sri Lanka (damals Ceylon) wurde dieses Wissen jedoch lückenlos weiter angewendet. Auch heutzutage gibt es daher noch Unterschiede zwischen dem praktizierten Ayurveda in Indien und Sri Lanka, da fehlendes Wissen in Indien durch eigene Handlungsweisen ergänzt wurde, während in Sri Lanka das Wissen ununterbrochen weitergeführt und gelehrt wurde.

Sri Lanka ist das einzige Land der Erde, welches den Ayurveda als komplettes Gesundheitssystem staatlich anbietet. Auch in Indien leistet Ayurveda noch immer einen kleinen Teil der Versorgung, die Abwanderung an die evidenzbasierte Medizin setzte aber bereits in den 60er Jahren ein. Er existiert noch in einer Mischung aus Kräutermedizin und Aberglaube.

Werke

Die Charaka Samhita und die Sushruta Samhita bilden zusammen mit der Vagbhata Samhita das Kernstück der traditionellen ayurvedischen Literatur und sind Standardwerke in der Ausbildung der ayurvedischen Ärzte (vaidyas). Es sind Sammelwerke (Samhita), die Materialien aus unterschiedlichen Epochen beinhalten. Diese Werke werden auch brihat trayi genannt, was die großen Drei bedeutet.

Die Werke sind benannt nach Namen von drei der berühmtesten Ärzte aus dem Industal (damals noch Indien, Bangladesch, Pakistan, Teile Afghanistans und Sri Lanka) und werden der klassischen Periode zugeordnet, die ca. von 500 v. Chr. bis 1000 n. Chr. dauerte. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es neben den Großen Drei auch noch die Kleinen Drei gibt, welche allerdings in einer viel späteren Zeit geschrieben worden sind (12.–16. Jahrhundert n. Chr.). Dies sind: Madhava Nidan, Sharangdhara Samhita und Bhava Prakasha.

  • Sushruta Samhita: Dieses Buch stammt vermutlich aus der Zeit um 350 n. Chr. und geht auf den Mediziner Sushruta zurück, der wahrscheinlich im frühen 6. Jh. v. Chr. lebte. Sushruta beschrieb viele Operationen und 121 Operationsinstrumente. Unter den Operationen, die er beschrieben hat, sind Star, Bruch, Steinschnitt, Kaiserschnitt usw. Instrumente, die er beschrieb, sind u. a. Sonden, Zangen, Lanzetten und Katheter. Er übertrug auch Haut von anderen Körperstellen auf ein beschädigtes Ohr und entwickelte die Nasenplastik. Sushruta Samhita wurde vor dem Ende des 8. Jh. n. Chr. ins Arabische übersetzt. Ins Lateinische wurde es von Hassler und ins Deutsche von Ullers übersetzt.
  • Charaka Samhita: Der Autor dieses Buches war Charaka, der nach Angaben aus einer chinesischen Übersetzung der Tripitaka wahrscheinlich im 2. Jh. n. Chr. lebte. Es soll auf einem noch älteren Buch, dem Agnivesha Samhita mit 46.000 Versen, basieren, das aber nicht mehr existiert. Die Werke Charakas wurden noch vor dem 8. Jh. n. Chr. ins Arabische übersetzt. Der Name Charakas tritt auch in vielen lateinischen Übersetzungen von arabischen Medizinbüchern auf.
  • Ashtanga Hridaya und Ashtanga Sangraha von Vagbhata (625 n. Chr.)

Weitere wichtige Werke sind:

  • Sharangadhara Samhita von Sharangadhara: Dieses Buch soll im 15. Jh. n. Chr. geschrieben worden sein. Es enthält viele pharmazeutische Rezepte und behandelt auch die Diagnose mittels Pulsmessung.
  • Bhava Prakash: Dieses Buch stammt aus dem 16. Jh. n. Chr. und enthält 10.268 Verse.
  • Madhava Nidanam: Dieses Buch soll aus dem 7. Jh. n. Chr. stammen.

Kritik

Schwermetallvergiftungen

Der Chefarzt der Nephrologie der Asklepios-Klinik Barmbek in Hamburg warnt vor der Einnahme von Ayurveda-Medikamenten. Diese könne zu schweren neurologischen Schäden und lebensgefährlichen Vergiftungen mit Schwermetallen führen.[11] Schwermetalle, besonders Blei, verunreinigen nicht selten Medikamente traditioneller indischer Medizinrichtungen; über Vergiftungen durch ayurvedische Medikamente gibt es medizinische Berichte. Offenbar kontrollieren einige Hersteller in Indien die unter Verwendung von Pflanzenaschen gewonnenen Präparate nicht ausreichend auf Schwermetallbelastungen.[12] In einem dargestellten Fall wurden sieben Monate lang Weihrauchpillen aus Indien gegen chronische Polyarthritis eingenommen und führten zum Bild einer schweren Blei-Intoxikation mit Verdauungs­störungen, hämolytischer Anämie und Lähmungen bei einem Bleigehalt des Blutes von 852 µg/l; der obere Grenzwert ist 100 µg/l.[13] Stichproben des ARD-Magazins Plusminus ergaben 2006 und 2007 mehrmals giftige Konzentrationen von Arsen und Quecksilber. Im August 2015 wurde berichtet, dass eine 55-jährige Frau durch Ayurveda-Medikation auf Sri Lanka schwer durch Quecksilber und Blei vergiftet wurde.[14]

Mangelnde Qualitätskontrolle

Auch in Indien ist man mittlerweile insbesondere mit Blick auf den wachsenden weltweiten Markt indigener Heilmittel bestrebt, international anerkannte Qualitätsstandards einzuhalten. So gibt es in Mitteleuropa bereits indische Produkte, die diverse nationale und internationale Standards einhalten, wie HACCP, BDIH, ISO 9000/9001 und ISO/IEC 17025. Hinsichtlich der Kontrolle von Schwermetallbelastungen gilt jedoch vor allem GMP als maßgebend.

Amerikanische Forscher haben 193 Ayurveda-Produkte aus dem Internet untersucht. Knapp 17 % davon waren Rasa-shastra-Medikamente, in denen Pflanzen mit Metallen kombiniert werden. Bei der Untersuchung ging es darum, die Prävalenz schwermetallhaltiger Präparate (Blei, Quecksilber, Arsen) zu ermitteln, Unterschiede zwischen indischen und amerikanischen Produkten herauszufinden und Rasa-shastra- mit Nicht-Rasa-shastra-Medizin zu vergleichen. Insgesamt wurden bei 20 % aller Erzeugnisse Metalle nachgewiesen, am häufigsten fand sich Blei. Dabei gab es keine signifikante Differenz zwischen indischen und amerikanischen Anbietern.

Fast alle auffälligen Artikel wurden über US-Webseiten vertrieben und insgesamt hatten drei Viertel aller Hersteller angegeben, nach strengen Richtlinien zu produzieren. Erwartungsgemäß lag der Metall-Anteil bei Rasa-shastra-Substanzen deutlich höher (knapp 41% vs. 17 %). Besonders auffällig war hier – vor allem in indischen Produkten – neben einem mittleren Bleigehalt von 11,5 µg/g der hohe Quecksilberanteil von durchschnittlich 20.800 µg/g. Die Blei- und Quecksilber-Werte einiger Rasa-shastra-Produkte lagen 100- bis 10.000-fach über dem Limit.[15] Es wird behauptet, dass das Quecksilber durch einen komplizierten „Destillationsprozess“ zu einer ungiftigen, aber hochwirksamen „Silbermedizin“ (Bhasma) umgewandelt wird; dieses „Umwandlungsverfahren“ besteht aus Erhitzen des Stoffes und anschließendem Vermischen mit Öl, Buttermilch o. Ä. Auch Arsen, Blei und andere toxische Stoffe werden auf diese Weise angeblich entgiftet.

In Deutschland sind diese schwermetallhaltigen Produkte generell nicht erhältlich.

Ausbildung zum Therapeuten

Ayurvedapraktiker mit Kurpatient

In Indien und Sri Lanka müssen Ayurveda-Ärzte, ebenso wie westlich ausgebildete Mediziner, fünfeinhalb Jahre lang studiert haben, um danach ein Staatsexamen in ayurvedischer Heilkunst abzulegen. Es ist ein eigener, vollständiger Studiengang (B.A.M.S., die Abkürzung für Bachelor of Ayurvedic Medicine and Surgery, Ayurvedacharya-Kurs) und wird an vielen indischen und mehreren sri-lankischen Universitäten gelehrt. Er beinhaltet viereinhalb Jahre Studium und ein praktisches Jahr in dem der Bildungsinstitution angegliederten Krankenhaus.

Nach diesem Bachelor-Studium besitzt man das Recht, in Indien als Doctor of Ayurveda respektive Vaidya (dt. traditioneller Ayurveda-Arzt; aber auch -Heiler oder -Gelehrter; die weibl. Form von Vaidya ist Vaidye) zu praktizieren und, zusätzlich zu ayurvedischen Präparaten, auch rezeptpflichtige Medikamente zu verschreiben. Nach dem B.A.M.S.-Studium gibt es dort die Möglichkeit, sich in einem Fach des Ayurvedas zu spezialisieren und so nach weiteren drei Jahren des Studierens (Ayurvedavachaspati-Kurs) den Titel M.D. (Doctor of Medicine) zu erwerben. Dies wiederum ist die Voraussetzung für den Ayurvidya-Varidhi-Kurs, der zwei Jahre dauert und den Ph. D. (Doctor of Philosophy) als Ziel hat. In Indien erhalten so jedes Jahr mehrere tausend Mediziner ihre Ayurveda-Anerkennung.[16]

Die Ayurveda-Ausbildung, ihre staatliche Anerkennung, Ausbildungsstandards und Curricula werden in Indien durch das CCIM (Central Council for Indian Medicine) reguliert.[17]

Studieninteressierte, die nicht den indischen Pass besitzen, können sich um ein Stipendium für den B.A.M.S.-Kurs in Indien beim ICCR (Indian Council for Cultural Relations) durch die indische Botschaft in Deutschland bewerben.[18]

Auch in Deutschland gibt es inzwischen einige Ayurveda-Institute,[19] die eine nach eigenen Angaben fundierte Ayurveda-Ausbildung nach indischen Standards anbieten.

Siehe auch

Literatur

  • Claus Leitzmann, Markus Keller, Andreas Hahn: Alternative Ernährungsformen. Hippokrates, Stuttgart 1999, ISBN 3-7773-1311-4.
  • Srikanta Sena: Ayurveda–Lehrbuch; Kompendium des Ayurveda-Klassikers Charaka-Samhita. 2 Bände. 2. Auflage. Vasati, 2005, ISBN 978-3-937238-00-5.
  • Srikanta Sena: Ayurveda – Materia Medica; Über die Eigenschaften von Pflanzen, Mineralien, Nahrungsmitteln und Rezepturen im Ayurveda. Vasati, 2007, ISBN 978-3-937238-04-3.
  • Manfred Krames: Das ist Ayurveda: Therapien für Geist und Seele. Interspa Publ. 2008 (2., aktualisierte und erweiterte Auflage, inkl. DVD), ISBN 978-3-89575-146-2.
  • Robert Svoboda, Arnie Lade: Ayurveda und Traditionelle chinesische Medizin. Die beiden ältesten Heilsysteme der Welt im Vergleich. Aus dem Englischen von Thomas Dunkenberger, Titel der Erstausgabe Tao and Dharma. Scherz Verlag, Bern, München, Wien 2002.

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Kenneth G. Zysk: Religious Healing in the Veda. With translations and annotations of medical hymns from the Rgveda and the Atharvaveda and renderings from the corresponding ritual texts. (Transactions of the American Philosophical Society, New Series, Vol. 75, No. 7) The American Philosophical Society, Philadelphia 1985, S. 1, 5
  2. Doris Schwarzmann-Schafhauser: Indische Medizin. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 665–667; hier: S. 666 f. (Ayurveda-Medizin).
  3. David Frawley: Das große Ayurveda-Heilungsbuch. Prinzipien und Praxis. München 2001, S. 85, ISBN 3-426-87143-2.
  4. David Frawley: Das große Ayurveda-Heilungsbuch. Prinzipien und Praxis. München 2001, S. 21, ISBN 3-426-87143-2.
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 Vagbhata: Ashtanga Hrdayam. Translated by Prof. K. R. Srikantha Murty. Sutrasthana. Chowkhamba Krishnadas Academy, Varanasi.
  6. Wolfgang U. Eckart: Geschichte der Medizin: Fakten, Konzepte, Haltungen. Springer-Verlag 2013. S. 12f.
  7. Patrick Olivelle (Hrsg.): King, Governance, and Law in Ancient India: Kautilya's Arthasastra. Oxford University Press, Oxford 2013, S. 31, ISBN 978-0190644123
  8. Rigveda 1,112,8 desa, 1,112,16 desa
  9. Rigveda 1,116,15 desa
  10. Klaus Butzenberger, Mariana Fedorova: Wechselbeziehungen zwischen Buddhismus und klassischer indischer Medizin. In: Sudhoffs Archiv. Band 73, S. 88–109.
  11. Quecksilber und Blei: Frau durch Ayurveda-Medikamente vergiftet. Spiegel online, 29. August 2015.
  12. Ernst, 2002
  13. Schilling, 2004
  14. Spielge-online.de Vergiftungen durch Ayurveda
  15. Zitiert nach Medical Tribune Deutschland, Ausgabe 39 / 2008 S. 37, Quelle: Robert B. Saper et al., JAMA 2008; 300, S. 915–923.
  16. Webseite der AYUSH (= Department of Ayurveda, Yoga and Naturopathy, Unani, Siddha and Homoeopathy) am indischen Ministerium für Gesundheit und Familie.
  17. Website des Central Council of Indian Medicine.
  18. Website Indische Botschaft Berlin.
  19. Ayurveda: Das Tor nach Indien ist geöffnet. In: Ruhr Nachrichten. 11. März 2009, abgerufen am 21. September 2009.
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