Kristallstrukturanalyse

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Abb. 1: Eine der ersten Aufnahmen der von Maurice Wilkins durchgeführten Röntgenstrukturanalyse der DNA, für die ihm 1962 zusammen mit James Watson und Francis Crick der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin verliehen wurde.
Die Struktur von Proteinen wird durch Röntgenstrukturanalalyse aufgeklärt, indem die Aminosäuresequenz in die ermittelte Elektronenverteilung (weißes Gitter) so eingepasst wird, bis es plausibel scheint, dass die vorgeschlagene Struktur die gemessene Elektronenverteilung erzeugen kann.
Strukturmodell einer DNA-Helix in B-Konformation. Die Stickstoff (blau) enthaltenden Nukleinbasen liegen waagrecht zwischen zwei Rückgratsträngen, welche sehr reich an Sauerstoff (rot) sind. Kohlenstoffatome sind grün dargestellt.

Die Kristallstrukturanalyse ist ein physikalisches Verfahren, um die innere Struktur eines Kristalls empirisch zu ermitteln. Sie bedient sich dabei der Beugung geeigneter kurzwelliger Strahlung am Kristallgitter. Meist wird dabei Röntgenstrahlung verwendet, weshalb man dann auch von Röntgenstrukturanalyse spricht. Aus dem beobachteten Beugungsmuster kann die Kristallstruktur bzw. die Verteilung der Elektronendichte in der Elementarzelle berechnet werden. Einkristalle, die ein durchgehend einheitliches, homogenes Kristallgitter bilden, aber oft nur schwer in ausreichender Größe gezüchtet werden können, sind für die Strukturanalyse am besten geeignet. Leichter herzustellende polykristalline Aggregate können heutzutage auch verwendet werden, liefern aber weniger detailreiche Bilder.

Grundsätzlich kann aus der Verteilung der Elektronen auch die räumlich-geometrische Anordnung der Atome bzw. die Molekularstruktur auch hochkomplexer Moleküle, z.B. vieler biologisch aktiver Proteine, erschlossen werden. Das vermutlich bekannteste Beispiele dafür ist die am 25. April 1953 von James Watson und Francis Crick in ihrem berühmten, kaum mehr als eine Seite langen Artikel Molecular Structure of Nucleic Acids: A Structure for Deoxyribose Nucleic Acid.[1] in der Zeitschrift Nature veröffentlichte DNA-Struktur, zu deren Bestimmung sie sich hauptsächlich auf die Röntgenbeugungsdaten von Maurice Wilkins und Rosalind Franklin stützten. In einem kreativ suchenden Prozess bauten sie immer wieder neue Strukturmodelle, die zu den Beugungsmustern passten, bis sie schließlich auf die geniale Idee der berühmten Doppelhelix stießen, für die ihnen 1962 zusammen mit Wilkins der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin verliehen wurde.

Wilkins schrieb dazu in seinem Nobelpreis-Vortrag:

„Diese Forschung wurde von Randall geleitet, der bei W. L. Bragg studiert und mit Röntgenbeugung gearbeitet hatte. Fast sofort erhielt Gosling sehr ermutigende Beugungsbilder (siehe Abb. 1). Ein Grund für diesen Erfolg war, dass wir die Fasern feucht hielten. Wir erinnerten uns, dass, um detaillierte Röntgenmuster von Proteinen zu erhalten, Bernal Proteinkristalle in ihrer Mutterlauge gehalten hatte. Es schien wahrscheinlich, dass die Konfiguration aller Arten von wasserlöslichen biologischen Makromolekülen abhängig von ihrer wässrigen Umgebung sein würden. Wir erhielten gute Beugungsmuster mit DNA von Signer und Schwander, die Singer nach London zu einem Faraday Society Meeting über Nukleinsäuren mitgebracht und großzügig verteilt hatte, so dass alle Arbeiter mit ihren verschiedenen Techniken daran arbeiten konnten.[2]“ (Lit.: Wilkins, S. 757)

Man muss dabei allerdings bedenken, dass die gewonnenen Erkenntnisse nur im Rahmen des makroskopischen Kristallgefüges gültig sind und streng genommen nicht auf freie Moleküle in Flüssigkeiten oder Gasen übertragen werden können. Darauf hatte schon Rudolf Steiner hingewiesen:

„Spiritisten berufen sich darauf, daß sie Geister fotografiert haben. Das Fotografieren ist ein äußerer Vorgang, und ich will mich hier nicht weiter darüber verbreiten, ob man Geister fotografieren kann oder nicht. Aber mit nicht mehr Recht als die Spiritisten behaupten, daß sie Geister fotografiert haben, berufen sich heute gewisse Physiker darauf, daß sie die Konfiguration der Atome fotografiert haben. Gewiß, man kann Kristalle mit Röntgenstrahlen bewerfen, man kann diese Röntgenstrahlen zur Reflexion, die reflektierten Strahlen zur Interferenz bringen und dann fotografieren, und man kann behaupten, man fotografiere die Konfiguration der Atome. Die wesentliche Frage ist nur: Fotografiert man hier wirklich die atomistischen Agenzien oder fotografiert man gewisse Wirkungen, die vom Makrokosmischen herkommen und die sich nur an den Punkten zeigen, an denen man glaubt, daß die Atome vorhanden sind? Es kommt überall darauf an, daß man Denk- und Vorstellungsarten findet, die in der richtigen Weise von den Erscheinungen zu dem Wesen der Dinge zu gehen vermögen.“ (Lit.:GA 73a, S. 43)

Tatsächlich darf man sich die Moleküle an sich nicht im naiven Sinn als aus Atomen zusammengesetzte Objekte mit einer definierten räumlichen Form vorstellen, so nützlich dieses Konzept auch als Näherungslösung für viele praktische Probleme sein mag, solange man sich ihrer Grenzen bewusst bleibt. Die moderne Quantentheorie spricht hier eine eindeutige Sprache, weshalb der Chemiker Hans Primas auch nachdrücklich betont:

„Moleküle, Atome, Elektronen, Quarks oder Strings sind aber keine Bausteine der Materie, sie sind nicht Ge-fundenes, sondern Er-fundenes, das heisst Konstruktionen derer, welche die materielle Realität erforschen. Von dem ursprünglichen Begriff der Materie ist in der heutigen Physik nichts übriggeblieben.“ (Lit.: Primas 1992, S. 50)

Dass man einem Molekül aus quantenmechanischer Sicht keine definierte Gestalt zuschreiben kann, betonte auch Richard Guy Woolley in seinem Artikel «Must a molecule have shape?»:

„Die Quantenmechanik kann ziemlich genau vorhersagen, wie sich die Energie eines Moleküls ändern kann, aber sie sagt streng genommen nichts über die Form eines Moleküls. Das ist eine erstaunliche Aussage für einen Chemiker, weil es die räumlichen Beziehungen der chemisch gebundenen Atomen sind, die am wichtigsten sind für das Verständnis dafür, wie Moleküle mit anderen reagieren. Chemiker, Physiker und Molekularbiologen sollten sich daher überlegen, wie sie die Quantenmechanik nutzen und was sie mit Atomen und Molekülen eigentlich meinen.“ (Lit.: Richard Guy Woolley in New Scientist, 22. Oktober 1988, S. 53[3])

Siehe auch

Literatur

  • Maurice Wilkins: The molecular configuration of nucleic acids, Nobel Lecture, December 11, 1962
  • Werner Massa: Kristallstrukturbestimmung, Vieweg + Teubner Verlag, 6. Auflage, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-8348-0649-9
  • Hans Primas: Chemistry, Quantum Mechanics and Reductionism: Perspectives in Theoretical Chemistry, Springer Verlag 1983, ISBN 978-3540128380
  • Hans Primas: Umdenken in der Naturwissenschaft in: Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (1992) 137/l, S. 41-62 (genehmigter Nachdruck aus «GAIA; Ecological Perspectives in Science, Humanities and Economics» (1992) 1, l, 5-15 pdf
  • Richard Guy Woolley: Must a molecule have shape? in: New Scientist, 22. Oktober 1988, p. 53-57 pdf
  • Rudolf Steiner: Fachwissenschaften und Anthroposophie, GA 73a (2005), ISBN 3-7274-0735-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
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Einzelnachweise

  1. J. D. Watson, F. H. Crick: Molecular structure of nucleic acids. A structure for deoxyribose nucleic acid. In: Nature. Band 171, Nr. 4356, 1953, S. 737–738. PMID 13054692 (Volltext, PDF; 368 kB)
  2. Im englischen Original:
    „This research was directed by Randall, who had been trained under W. L. Bragg and had worked with X-ray diffraction. Almost immediately, Gosling obtained very encouraging diffraction patterns (see Fig. 1). One reason for this success was that we kept the fibres moist. We remembered that, to obtain detailed X-ray patterns from proteins, Bernal had kept protein crystals in their mother liquor. It seemed likely that the configuration of all kinds of water-soluble biological macromolecules would depend on their aqueous environment. We obtained good diffraction patterns with DNA made by Signer and Schwander4 which Singer brought to London to a Faraday Society meeting on nucleic acids and which he generously distributed so that all workers, using their various techniques, could study it.“
    (Wilkins: Nobel Lecture, December 11, 1962)
  3. Im englischen Original:
    „Quantum mechanics can predict fairly accurately the way the energy of a molecule may change, but strictly speaking it says nothing about the shape of a molecule. This is an astonishing statement for a chemist because it is the spatial relationships of chemically bonded atoms that is most important in understanding how molecules react with each other. Chemists, physicists and molecular biologists should reconsider now how they use quantum mechanics, and what they mean by atoms and molecules.“