Gestalt der Toten

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Die Gestalt der Toten erscheint zunächst als Schattengestalt, die in gewissem Sinne noch ähnlich ist der physischen Gestalt des Menschen. Fortwährend verwandelt sich dann aber die Gestalt und wird immer mehr zu einer Physiognomie der moralisch-geistigen Qualitäten des Toten.

"Wir müssen uns nur immer klar sein, daß es eigentlich ein Unding ist, von dem getrennten Physischen und getrennten Geistig-Seelischen des Menschen zu sprechen. Denn was uns physisch am Menschen entgegentritt, was sich uns in der Sinneswelt darstellt als sein physischer Leib, das ist ja eigentlich überall durchzogen und durchsetzt von Geistig-Seelischem. Die Form der Stirn, die Form des ganzen Gesichtes, alles sonstige an seiner Form hat dieser Mensch ja nur dadurch, daß geistige Kräfte ihm diese Gestalt geben. Und deshalb brauchen wir uns nicht zu verwundern, wenn derjenige, der geistige Anschauung besitzt, auch dann noch von einer Gestalt des Menschen sprechen muß, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist. In der Tat ist es für die imaginative Erkenntnis so, daß der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist, dann, allerdings in bezug auf die physische Anschauung, gleichsam als Schattenbild, aber als ein sehr klares, eindrucksvolles Schattenbild, eine «Gestalt» zeigt, die gewissermaßen zunächst den Eindruck von etwas Äußerlichem macht, weil wir uns ja das geistig-seelische Wesen des Menschen moralisch-geistig vorstellen müssen. Aber wir kommen nicht zu einer haltbaren geistigen Vorstellung, wenn wir nicht zunächst von diesen Imaginationen, von diesen Bildgestalten sprechen, die der Mensch noch nach dem Durchgang durch die Pforte des Todes an sich trägt.

Der Mensch legt ja mit dem Tode seinen physischen Leib ab, und wir können ganz absehen davon, was nun mit dem physischen Leibe geschieht, denn viel weniger beträchtlich, als die Menschen heute glauben, ist die Art und Weise, wie der physische Leib des Menschen sich auflöst. Es hat eigentlich diese Auflösung, ob durch Verwesung oder Verbrennung, nur für die Mitmenschen eine Bedeutung; eine große Bedeutung für das Leben des Menschen nach dem Durchgange durch die Todespforte hat das nicht, so daß wir vom physischen Leibe zunächst, wie er sich für die Sinneswahrnehmung darstellt, nur zu sprechen brauchen als von demjenigen, das sich in die äußere Natur und ihre Kräfte auflöst. Dann löst sich weiter, und zwar bald nach dem Tode, der ätherische Leib des Menschen auf. Sie kennen das aus meiner Darstellung in der «Geheimwissenschaft». Indem der Mensch diese beiden äußeren Offenbarungen seines Wesens abgelegt hat, löst sich gewissermaßen etwas heraus aus diesen beiden «Umhüllungen», der Ausdruck Umhüllung ist nicht ganz genau. Und wer mit einer entsprechenden imaginativen Erkenntnis begabt ist, der schaut dieses sich aus den beiden Umhüllungen Herauslösende eben als Gestalt, die sogar zunächst nach dem Tode in gewissem Sinne ähnlich ist der physischen Gestalt des Menschen. Nur macht diese - ich will es Geistgestalt nennen - fortlaufend eine Verwandlung durch.

Ich habe ja öfter das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt von den verschiedensten Gesichtspunkten aus geschildert. Man bekommt jedoch eine angemessene Vorstellung davon nur dann, wenn man es von einer ganzen Reihe von Gesichtspunkten aus geschildert bekommt. Nun will ich es heute von einem bestimmten Gesichtspunkte aus wieder schildern. Man muß dann zu dem, was einmal gesagt worden ist, das andere hinzunehmen, dann ergibt sich erst ein vollständiges Bild.

Diese Geistgestalt des Menschen unterliegt einer fortdauernden Verwandlung, und zwar wird sie immer mehr und mehr so, daß wir sie eigentlich nur dann treffend bezeichnen, wenn wir sagen, sie wird ganz Physiognomie. In der imaginativen Anschauung, die der Initiierte hat und die derjenige hat, der schon durch die Pforte des Todes selber gegangen ist, schaut man etwas vom Menschen, was man nennen möchte eine Art Physiognomie. Diese Physiognomie ist der ganze Mensch, nicht etwa bloß ein halber. Aber der ganze Mensch sieht seiner Physiognomie nach jetzt in seiner Geistgestalt so aus, daß diese Physiognomie der Ausdruck seiner Wesenheit ist ihrer moralischgeistigen Innerlichkeit nach, so daß also nach dem Tode ein böser Mensch anders aussieht als ein guter, und ein Mensch, der sich im Leben viel Mühe gegeben hat, anders aussieht als einer, der leichtsinnig oder leichtfertig dahingelebt hat. Das alles drückt sich aber so aus, daß das nun nicht bloß Antlitz ist. Das Antlitz wird sogar so, daß es von seiner im physischen Leben ausgeprägten Physiognomie verliert; es behält noch einen Teil seines physiognomischen Ausdrukkes, aber es wird immer undeutlicher. Dagegen wird der übrige Körper sehr ausdrucksvoll, insbesondere wird jene Gegend, wo innerlich die Atmungsorgane sind, ausdrucksvoll. An dieser Physiognomie, die die Gegend einnimmt, wo die Atmungsorgane im physischen Leben waren, sieht man namentlich die dauernden Charaktereigenschaften des Menschen physiognomisch ausgedrückt. Die Brust tritt heraus, bekommt eine deutliche Physiognomie, und an dieser deutlichen Physiognomie, am Geistbilde nach dem Tode sieht man, ob der betreffende Mensch mehr oder weniger Mut auf den verschiedensten Gebieten des Lebens gehabt hat, oder ob er etwas feige war, ob er mit einer gewissen Kühnheit und Tapferkeit an das Leben herangetreten ist, oder ob er überall zurückweichend das Leben durchgemacht hat und so weiter.

Eine besondere Ausdrucksfähigkeit haben nach dem Tode die Arme und die Hände. An den Armen und den Händen kann man geradezu ablesen die Biographie des Menschen zwischen Geburt und Tod, am deutlichsten an den Händen - die Hände, die schon im physischen Leben für den sinnig Beobachtenden so bedeutungsvoll sind durch ihre Physiognomie, die schon im physischen Leben so viel verraten, so daß man viel entnehmen kann aus der Art und Weise, wie jemand seine Finger bewegt, wie jemand die Hände einem entgegenbringt, ob er, wenn er einem begegnet, nur die Fingerspitzen reicht, oder mit Wärme einen Händedruck gibt. Aber auch die Art und Weise, wie sich die Hände plastisch gestalten, wenn der Mensch einfach dahinlebt oder seine Arbeit verrichtet, ist ja schon im physischen Leben so bezeichnend. Man achtet nicht darauf, aber die meisten Menschen sind ja schon durch ihre Finger- und Handhaltung und -bewegung viel interessanter, wenigstens verraten sie sich dadurch. Das wird nun nach dem Tode im eminentesten Sinne gesteigert. Man kann geradezu die Lebensgeschichte des Menschen daran ablesen.

Und ebenso ist es in bezug auf die anderen Organe. Alles wird nach dem Tode ausdrucksvoll physiognomisch. Und so kann man sagen: Der Mensch trägt nach dem Tode seine moralisch-geistige Physiognomie an sich." (Lit.: GA 231, S. 77ff)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Der übersinnliche Mensch, anthroposophisch erfaßt, GA 231 (1999), ISBN 3-7274-2310-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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