Thomas Nagel (Philosoph) und Kontroverse: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Joachim Stiller
 
imported>Joachim Stiller
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 1: Zeile 1:
[[Datei:Thomas Nagel teaching Ethics.JPG|mini|300px|Thomas Nagel an der ''New York University'']]
Eine '''Kontroverse''' (v. lat: ''contra'' entgegen; ''versus'' gerichtet) ist ein länger anhaltender [[Streit]] oder eine [[Debatte]].


'''Thomas Nagel''' (* [[Wikipedia:4. Juli|4. Juli]] [[Wikipedia:1937|1937]] in [[Wikipedia:Belgrad|Belgrad]]) ist ein US-amerikanischer [[Philosoph]].
Als Kontroverse lassen sich sowohl eine private Debatte zweier Einzelpersonen als auch mächtige soziale [[Unruhe]]n bezeichnen (z. B. Streit zweier Parteien). Zahlreiche frühchristliche Schriftsteller wie [[Irenäus von Lyon]] oder [[Hieronymus (Kirchenvater)|Hieronymus]] waren berühmt als „[[Kontroverstheologie|Kontroverstheologen]]“ und verfassten Werke gegen [[häretisch]]e Lehren oder [[Häretiker]], daher trugen ihre Werke den Titel „Adversus...“ z. B. Irenäus: ''Adversus haereses''. Die christlichen Schriftsteller übernahmen von den klassischen [[Rhetorik]]ern die tradierte Meinung, dass kontroverse Auseinandersetzungen, selbst über triviale Angelegenheiten, eine Demonstration der intellektuellen Überlegenheit wären. Siehe die [[Oration]]en des [[Demosthenes]] oder [[Cicero]] ''[[Reden gegen Catilina|in Catilinam]]'' („gegen [[Lucius Sergius Catilina|Catilina]]“).


Er lehrt an der [[Wikipedia:New York University|New York University School of Law]] und bearbeitet ein weites Themenspektrum. Nagel studierte an der [[Wikipedia:Cornell University|Cornell University]] (B. A. 1958), an der [[Wikipedia:Universität Oxford|Universität Oxford]] und der [[Wikipedia:Harvard University|Harvard University]] (Ph.D. 1963). Er hat derzeit Lehrtaufträge u. a. an der [[Wikipedia:University of California, Berkeley|University of California]] und an der [[Wikipedia:Princeton University|Princeton University]] inne. Zu seinen Schülerinnen und Schülern gehören [[Wikipedia:Susan Wolf|Susan Wolf]], [[Wikipedia:Samuel Scheffler|Samuel Scheffler]] und [[Wikipedia:Shelly Kagan|Shelly Kagan]].
Es liegt in der Natur der Kontroverse, dass sie nicht mit der Absicht eines abschließenden Entweder-oder geführt werden kann; sie wird daher häufig von [[Polemik]] und [[Streit]] begleitet. [[Konstantin I. (Rom)|Konstantin I.]] berief im Jahr [[325]] das [[Erstes Konzil von Nicäa|Konzil von Nicaea]] in der Hoffnung auf eine Schlichtung des [[arianischer Streit|arianischen Streits]]. Sobald das Konzil seine Entscheidung gefällt hatte, verfiel jede weitere Diskussion dem [[Anathema]].


== Philosophie des Geistes ==
Drei große Kontroversen der [[Christentumsgeschichte|Kirchengeschichte]] waren der arianische Streit, der [[Investiturstreit]] und die Kontroverse um das ''[[Filioque]]''.


In der [[Philosophie des Geistes]] ist Nagel mit seinem 1974 publizierten Aufsatz ''"What is it like to be a bat?"'' (deutsch: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?) bekannt geworden. Dort tritt er [[Reduktionismus|reduktionistischen]] Bemühungen in Bezug auf die Erklärung des [[Bewusstsein]]s entgegen. Egal wie viel wir über das Gehirn eines Wesens wissen, z. B. über das einer Fledermaus (daher der Titel), so können wir doch nie dessen Erlebnisperspektive erschließen. Ein Beispiel: Wenn wir genau wissen, was im Gehirn einer Fledermaus passiert, wenn sie mittels ihres [[Wikipedia:Echolot|Echolot]]-artigen Wahrnehmungsapparats Gegenstände wahrnimmt, wir also das [[Neuronales Korrelat des Bewusstseins|neuronale Korrelat]] eines solchen Wahrnehmungserlebnisses kennen, so wissen wir immer noch nicht, wie es ist bzw. wie es sich für die Fledermaus anfühlt, solche Echolot-artigen Wahrnehmungen zu haben - ''"what is it like"''. Und wir können es wohl auch nie wissen. Hier sind den [[Naturwissenschaft]]en offenbar grundsätzliche [[Erkenntnis]]schranken gesetzt. Nagels Aufsatz hat in der analytischen Philosophie eine breite Debatte ausgelöst (die [[Qualia]]debatte), deren Protagonisten heute Philosophen wie [[Wikipedia:David Chalmers|David Chalmers]], [[Wikipedia:Paul Churchland|Paul Churchland]], [[Wikipedia:Daniel Dennett|Daniel Dennett]], [[Wikipedia:Frank Cameron Jackson|Frank Jackson]], [[Wikipedia:Joseph Levine|Joseph Levine]] und [[Wikipedia:Michael Tye|Michael Tye]] sind. Eine ähnliche Kritik am Wissensanspruch der Naturwissenschaften hatte im 19. Jahrhundert der [[Neurophysiologe]] [[Emil Du Bois-Reymond]] vertreten.
Einen Leser kann die Kennzeichnung eines Werks als kontroverses Buch zur Lektüre provozieren, da er beurteilen will, ob eine solche Einstufung gerechtfertigt ist oder nicht. Gleiches gilt für kontroverse Filme, Musik, Theaterstücke und auch Video- und Computerspiele.
 
== Ethik ==
 
Nagel hat zudem Texte zur [[Ethik]] und [[Wikipedia:Politische Philosophie|politischen Philosophie]] verfasst. Seine Dissertation ''The Possibility of Altruism'' (1970) wurde von [[Wikipedia:John Rawls|John Rawls]] betreut und beschäftigt sich vor allem aus [[Kantianismus|Kantianistischer]] Perspektive mit der Universalisierbarkeit von moralischen Beweggründen.
 
In seinem späteren Werk, insbesondere in ''The View from Nowhere'' (1986), bezieht Nagel die in seiner Philosophie des Geistes entwickelte Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Perspektive auch auf die praktische Philosophie. Er unterscheidet dabei zwischen [[Deontologische Ethik#Akteur-Relativität und Akteur-Neutralität|akteurrelativen und akteurneutralen]] Gründen, die beide für moralisches Handeln relevant würden. Auf dieser Grundlage setzt er sich einerseits vom ethischen [[Konsequentialismus]] (v.a. dem in den USA dominanten [[Utilitarismus]]) ab, der aus der Perspektive eines neutralen Beobachters verschiedene Zustände der Welt vergleicht, als auch von einer rein [[Deontologische Ethik|deontologischen Ethik]], die moralische Pflichten zur Vornahme oder Nichtvornahme bestimmter Handlungen als akteurrelativ ansieht. Nagels Kritik am Konsequentialismus ist später von seinem Schüler [[Wikipedia:Samuel Scheffler|Samuel Scheffler]] weiterentwickelt worden.
 
[[Wikipedia:Wolfgang Kersting|Wolfgang Kersting]] spricht zur Charakterisierung von Nagels Position von einem spannungsvollen Dualismus, der unhintergehbar sei, und in dem sich die menschlich-vernünftige Existenz vollziehe. Diese sei zur Selbstranszendierung fähig und aufgefordert, könne aber auch die subjektive Perspektive nie ablegen.<ref>Wolfgang Kersting: ''Thomas Nagel.'' In: Julian Nida-Rümelin, Elif Özmen: ''Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen.'' Ausgabe 3. Verlag Kröner, 2007, S. 457, 460.</ref>
 
== Ehrungen, Preise und Mitgliedschaften ==
*1981 Aufnahme in die [[Wikipedia:American Academy of Arts and Sciences|American Academy of Arts and Sciences]]
*1996 ''PEN/Diamonstein-Spielvogel Award'' für ''Other Minds'' (1995).
*2006 ''Distinguished Achievement Award'' der ''Mellon Foundation''
*2008 [[Wikipedia:Balzan-Preis|Balzan-Preis]] in Moral Philosophy
*2008 [[Wikipedia:Rolf-Schock-Preis|Rolf-Schock-Preis]] in Logik und Philosophie der [[Wikipedia:Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften|Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften]]
 
== Werke ==
'''Deutsch'''
* {{Literatur
  |Hrsg=Michael Gebauer
  |Titel=Die Grenzen der Objektivität. Philosophische Vorlesungen
  |Sammelwerk=Reclams Universal-Bibliothek
  |Band=8721
  |Verlag=Reclam
  |Ort=Stuttgart
  |Datum=1991
  |ISBN=3-15-008721-X
  |Originaltitel=The Limits of Objectivity
  |Originaljahr=1979
  |Übersetzer=Michael Gebauer}}
* {{Literatur
  |Titel=Der Blick von nirgendwo
  |Verlag=Suhrkamp
  |Ort=Frankfurt am Main
  |Datum=1992
  |ISBN=3-518-58116-3
  |Originaltitel=The View from Nowhere
  |Originaljahr=1986
  |Übersetzer=Michael Gebauer}}
* {{Literatur
  |Hrsg=Michael Gebauer
  |Titel=Eine Abhandlung über Gleichheit und Parteilichkeit und andere Schriften zur politischen Philosophie
  |Verlag=Schöningh
  |Ort=Paderborn / München / Wien / Zürich
  |Datum=1994
  |ISBN=3-506-76097-1
  |Originaltitel=Equality and Partiality
  |Originaljahr=1991}}
* {{Literatur
  |Titel=Das letzte Wort
  |Sammelwerk=Reclams Universal-Bibliothek
  |Band=18021
  |Verlag=Reclam
  |Ort=Stuttgart
  |Datum=1999
  |ISBN=3-15-018021-X
  |Originaltitel=The Last Word
  |Originaljahr=1997}}
* {{Literatur
  |Hrsg=Michael Gebauer, Hans-Peter Schütt
  |Titel=Die Möglichkeit des Altruismus
  |Auflage=2.
  |Verlag=Philo
  |Ort=Berlin / Wien
  |Datum=2005
  |ISBN=3-86572-066-8
  |Originaltitel=The Possibility of Altruism
  |Originaljahr=1970
  |Übersetzer=Michael Gebauer, Hans-Peter Schütt}}
* {{Literatur
  |Hrsg=Michael Gebauer
  |Titel=Letzte Fragen
  |Sammelwerk=EVA-Taschenbuch
  |Band=258
  |Auflage=Neue erweiterte deutsche
  |Verlag=Europäische Verlagsanstalt
  |Ort=Hamburg
  |Datum=2008
  |ISBN=978-3-434-46171-5
  |Originaltitel=Mortal Questions
  |Originaljahr=1979
  |Übersetzer=Karl-Ernst Prankel}}
* {{Literatur
  |Titel=[[Wikipedia:Was bedeutet das alles? Eine ganz kurze Einführung in die Philosophie|Was bedeutet das alles? Eine ganz kurze Einführung in die Philosophie]]
  |Sammelwerk=Reclams Universal-Bibliothek
  |Band=18630
  |Verlag=Reclam
  |Ort=Stuttgart
  |Datum=2008
  |ISBN=978-3-15-018630-5
  |Originaltitel=What Does It All Mean? A Very Short Introduction to Philosophy
  |Originaljahr=1987
  |Übersetzer=Michael Gebauer}}
* {{Literatur
  |Titel=Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist
  |Verlag=Suhrkamp
  |Ort=Berlin
  |Datum=2013
  |ISBN=978-3-518-58601-3
  |Originaltitel=Mind and Cosmos: Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is Almost Certainly False
  |Originaljahr=2012
  |Übersetzer=Karin Wördemann}}
 
'''Englisch'''
* {{Literatur
  |Titel=Other Minds. Critical Essays 1969–1994
  |Verlag=Oxford University Press
  |Ort=New York
  |Datum=1999
  |ISBN=0-19-513246-7}}
* {{Literatur
  |Autor=mit [[Wikipedia:Liam Murphy|Liam Murphy]]
  |Titel=The Myth of Ownership. Taxes and Justice
  |Verlag=Oxford University Press
  |Ort=New York
  |Datum=2004
  |ISBN=0-19-517656-1}}
* {{Literatur
  |Titel=Concealment and Exposure. And Other Essays
  |Verlag=Oxford University Press
  |Ort=New York
  |Datum=2004
  |ISBN=0-19-517977-3}}
* {{Literatur
  |Titel=Secular Philosophy and the Religious Temperament. Essays 2002–2008
  |Verlag=Oxford University Press
  |Ort=New York
  |Datum=2010
  |ISBN=978-0-19-539411-5}}
* {{Literatur
  |Titel=Mind and Cosmos: Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is Almost Certainly False
  |Verlag=Oxford University Press
  |Ort=New York
  |Datum=2012
  |ISBN=978-0-19-991975-8}}
* ''What Is It Like to Be a Bat?'' In: ''The Philosophical Review.'' Band 83, Nr. 4, 1974, S. 435–450 ([http://organizations.utep.edu/Portals/1475/nagel_bat.pdf organizations.utep.edu] PDF; 196&nbsp;kB).
** [[Wikipedia:Peter Bieri|Peter Bieri]] (Hrsg.): ''Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?'' In: ''Analytische Philosophie des Geistes.'' Königstein 1981 (Neuauflagen 1993 und 2007).


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Thomas Nagel (Philosoph)}}
* {{WikipediaDE|Kategorie:Kontroverse}}
* {{WikipediaDE|Kontroverse}}
* {{WikipediaDE|Konstruktive Kontroverse}} (Form der Gruppenarbeit)
* {{WikipediaDE|Controversen}}
* {{WikipediaDE|Controversy}}
== Weblinks ==
{{Wiktionary|Kontroverse}}


== Einzelnachweise ==
{{Normdaten|TYP=s|GND=4128337-5}}
<references />
 
== Weblinks ==
* {{DNB-Portal|118987690|NAME=Thomas Nagel}}
* [http://www.nyu.edu/gsas/dept/philo/faculty/nagel/ Nagels Fakultäts-Webseite]
* Thomas Nagel: [http://organizations.utep.edu/Portals/1475/nagel_bat.pdf ''What Is It Like to Be a Bat?''] (1974; PDF; 196&nbsp;kB)
* Thomas Nagel: [http://www.nyu.edu/gsas/dept/philo/faculty/nagel/papers/exposure.html Concealment and Exposure] (1998)
* Eckart Löhr: [http://www.spektrum.de/rezension/geist-und-kosmos/1213283 Rezension des Buches ''Geist und Kosmos'']


{{Normdaten|TYP=p|GND=118987690|LCCN=n/50/26557|VIAF=108496469}}
[[Kategorie:Kontroverse|!]]
{{SORTIERUNG:Nagel, Thomas}}
[[Kategorie:Methode der Kommunikation]]
[[Kategorie:Philosoph]]
[[Kategorie:Vertreter der Philosophie des Geistes]]
[[Kategorie:Moralphilosoph]]
[[Kategorie:Autor]]
[[Kategorie:US-Amerikaner]]
[[Kategorie:Geboren 1937]]
[[Kategorie:Mann]]


{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 16. Mai 2020, 04:47 Uhr

Eine Kontroverse (v. lat: contra entgegen; versus gerichtet) ist ein länger anhaltender Streit oder eine Debatte.

Als Kontroverse lassen sich sowohl eine private Debatte zweier Einzelpersonen als auch mächtige soziale Unruhen bezeichnen (z. B. Streit zweier Parteien). Zahlreiche frühchristliche Schriftsteller wie Irenäus von Lyon oder Hieronymus waren berühmt als „Kontroverstheologen“ und verfassten Werke gegen häretische Lehren oder Häretiker, daher trugen ihre Werke den Titel „Adversus...“ z. B. Irenäus: Adversus haereses. Die christlichen Schriftsteller übernahmen von den klassischen Rhetorikern die tradierte Meinung, dass kontroverse Auseinandersetzungen, selbst über triviale Angelegenheiten, eine Demonstration der intellektuellen Überlegenheit wären. Siehe die Orationen des Demosthenes oder Cicero in Catilinam („gegen Catilina“).

Es liegt in der Natur der Kontroverse, dass sie nicht mit der Absicht eines abschließenden Entweder-oder geführt werden kann; sie wird daher häufig von Polemik und Streit begleitet. Konstantin I. berief im Jahr 325 das Konzil von Nicaea in der Hoffnung auf eine Schlichtung des arianischen Streits. Sobald das Konzil seine Entscheidung gefällt hatte, verfiel jede weitere Diskussion dem Anathema.

Drei große Kontroversen der Kirchengeschichte waren der arianische Streit, der Investiturstreit und die Kontroverse um das Filioque.

Einen Leser kann die Kennzeichnung eines Werks als kontroverses Buch zur Lektüre provozieren, da er beurteilen will, ob eine solche Einstufung gerechtfertigt ist oder nicht. Gleiches gilt für kontroverse Filme, Musik, Theaterstücke und auch Video- und Computerspiele.

Siehe auch

Weblinks

 Wiktionary: Kontroverse – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen


Dieser Artikel basiert (teilweise) auf dem Artikel Kontroverse aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Lizenz Creative Commons Attribution/Share Alike. In Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.