Aevum

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Als Aevum (lat. ursprünglich „Zeitalter, Aeon, immerwährende Zeit“; auch Aevernität, abgeleitet von aeviternitas, einem Neologismus des mittelalterlichen Lateins; eng. aeviternity) wird in der Scholastik seit Albertus Magnus[1] die Existenzweise der Engelhierarchien und Heiligen im Himmel bezeichnet. Es ist ein Zustand, der gemäß der scholastischen Logik in der Mitte zwischen der Ewigkeit (Zeitlosigkeit) Gottes und dem zeitlichen Dasein der irdisch-materiellen Geschöpfe liegt und darum gelegentlich auch als „uneigentliche Ewigkeit“ aufgefasst wird. In diesem Sinn wird auch zwischen Aeternität (Dauer ohne Anfang und Ende[2]) und Aevernität (Dauer ohne Ende, wohl aber mit einem Anfang, wie es für alles Geschaffene zutrifft) unterschieden[3]. Die bekannteste Beschreibung dazu hat Thomas von Aquin in seiner «Summe der Theologie» gegeben. Als Beispiel nennt er die Himmelskörper, die nach mittelalterlicher Auffassung ihrer Substanz nach ewig und unveränderlich seien, aber doch beständig ihren Ort verändern.

„Die Ewigkeit ist das Maß des wesentlich dauernden, stets sich selber gleichbleibenden Seins. Soweit also etwas sich von der Dauer und der inneren Gleichförmigkeit entfernt, so weit steht es ab von der Ewigkeit. Manche Dinge entfernen sich nun dermaßen von dieser Dauer, und Gleichförmigkeit, daß ihr Sein selber substantiell der Veränderung unterliegt oder vielmehr in der Veränderung besteht. Derartiges wird von der Zeit gemessen, gleichwie jegliche Bewegung und auch das Sein des Vergänglichen. Andere Dinge entfernen sich weniger von der Dauer und Gleichförmigkeit. Ihr Sein der Substanz nach ist nicht Träger der Veränderung; und es besteht nicht im Entstehen oder Vergehen oder in beständiger Entwicklung nach der einen oder nach der anderen Seite hin. Jedoch ist mit ihnen Veränderlichkeit verbunden entweder in der thatsächlichen Lage oder dem Vermögen für die Existenz nach. So haben die Himmelskörper immer dasselbe substantiale Sein; jedoch dieses Sein ist verbunden mit dem thatsächlich beständigen Wechsel von Ort zu Ort. Und auch die reinen Geister gehen nicht von einer Substanz in die andere über; aber gemäß ihrer freien Wahl können sie vom Guten zum Bösen abfallen und ebenso den Ort wechseln, auf den die wirkende Kraft ihrer Natur sich richtet. Solche Substanzen also mißt das „Ävum" und deshalb steht es in der Mitte zwischen Ewigkeit und Zeit. Das substantiale Sein, welches von der Ewigkeit gemessen wird, ist weder in sich selber veränderlich noch mit Veränderlichkeit im Thätigsein verbunden. Die Zeit ist das Maß für das Veränderliche im substantialen Sein selber und hat deshalb ein Vorher und Nachher. Das „Ävum" aber hat kraft seines Wesens in sich selber kein Vorher und Nachher; aber nebensächlich kann mit Rücksicht auf die Thätigkeit das mit ihm verbunden werden. Die Ewigkeit hat weder in ihrem Sein ein Vorher und Nachher, noch duldet sie es an denselben.“

Thomas von Aquin: Summe der Theologie, Erster Teil, Questio 10, Artikel 5[1]

Frank Sheed, einer der bekanntesten und weithin populären englischsprachigen katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts, sieht im Aevum auch, wie für alle erschaffenen geistigen Wesen die Existenzweise der Heiligen im Himmel. In seinem Buch «Theology and Sanity» schreibt er: „Aeternität ist die Sphäre eines jeden geschaffenen Geistes und damit der menschlichen Seele ... Mit dem Tod, wenn die Beziehung [des Körpers] zur zeitlichen Materie aufhört, die Seele zu beeinflussen, kann sie die ihr gemäße Aeternität erleben.“ [4]

Inwiefern das Leben nach dem Tod als ein solcher Zwischenzustand des Aevums zwischen dem Tod und der Auferstehung beim Jüngsten Gericht verstanden werden kann, gilt allerdings in der neueren Theologie als strittig. So vertritt etwa der Theologe Gisbert Greshake die mittlerweile weit verbreitete Anschauung einer unmittelbaren „Auferstehung im Tod“, d.h. eines unmittelbaren Eingehens in die Ewigkeit. Er stellt sich damit in Gegensatz zu der traditionellen, namentlich von Joseph Kardinal Ratzinger vehement vertretenen Ansicht.

Anmerkungen

  1. Albertus Magnus: De quattuor coaequaevis, tract. 2, qu. 3.
  2. Es ist allerdings falsch, sich die Ewigkeit als unendlichen linearen Zeitlauf ohne Anfang und Ende vorzustellen, obwohl diese Fehldeutung oftmals gemacht wurde. Vielmehr ist hier an eine zyklisch in sich selbst zurücklaufenden Zeitfolge zu denken, wie sie etwa durch die Ouroboros-Schlange symbolisiert wird, die ihren eigenen Schwanz verschlingt, was zugleich ein altes Symbol für das Wesen des Geistes überhaupt ist.
  3. Wilhelm Traugott Krug: Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften nebst ihrer Literatur und Geschichte, Band 5, Brockhaus, Leipzig 1838, S. 34
  4. „Aeviternity is the proper sphere of every created spirit, and therefore of the human soul... At death, [the body’s] distracting relation to matter’s time ceases to affect the soul, so that it can experience its proper aeviternity.“ Frank Sheed: Theology and Sanity, 2nd ed., San Francisco: Ignatius Press, 1993