Phantasie: Unterschied zwischen den Versionen

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In ältesten Zeiten schöpfte die Kunst aus der unmittelbaren [[traum]]bewussten [[imaginativ]]en Anschauung der [[Geistige Welt|geistigen Welt]]. Was man so in Farben,Formen, Tönen und Worten bildete, war eine unmittelbare Nachahmung des geistig Erlebten. Damals trat allerdings die Kunst erst in sehr bescheidener Form in Erscheinung; man bedurfte ihrer noch kaum, da ohnehin noch die meisten Menschen eine unmittelbare Anschauung der geistigen Welt hatten. Mit dem Anbruch des [[Kali-Yuga]], des finsteren Zeitalters, wurde das anders. Die meisten Menschen verloren das natürliche [[Hellsehen]], das nun nur mehr von wenigen [[Eingeweihter|Eingeweihten]] und ihren Schülern innerhalb der [[Mysterien]] durch entsprechende [[geistige Schulung]] gepflegt wurde. Was so nur mehr Einzelne innerhalb der Mysterien geistig erleben konnten, wurde der breiten Masse in sinnlichen Bildern vor Augen gestellt. Die Mysterien waren nun die Quelle der Kunst. Damit begann zugleich die Blütezeit der ersten Hochkulturen. Alle Kunst hatte damals rein sakralen Charakter und war nach dem gebildet, was die Eingeweihten in [[Imagination]]en geschaut hatten.
In ältesten Zeiten schöpfte die Kunst aus der unmittelbaren [[traum]]bewussten [[imaginativ]]en Anschauung der [[Geistige Welt|geistigen Welt]]. Was man so in Farben,Formen, Tönen und Worten bildete, war eine unmittelbare Nachahmung des geistig Erlebten. Damals trat allerdings die Kunst erst in sehr bescheidener Form in Erscheinung; man bedurfte ihrer noch kaum, da ohnehin noch die meisten Menschen eine unmittelbare Anschauung der geistigen Welt hatten. Mit dem Anbruch des [[Kali-Yuga]], des finsteren Zeitalters, wurde das anders. Die meisten Menschen verloren das natürliche [[Hellsehen]], das nun nur mehr von wenigen [[Eingeweihter|Eingeweihten]] und ihren Schülern innerhalb der [[Mysterien]] durch entsprechende [[geistige Schulung]] gepflegt wurde. Was so nur mehr Einzelne innerhalb der Mysterien geistig erleben konnten, wurde der breiten Masse in sinnlichen Bildern vor Augen gestellt. Die Mysterien waren nun die Quelle der Kunst. Damit begann zugleich die Blütezeit der ersten Hochkulturen. Alle Kunst hatte damals rein sakralen Charakter und war nach dem gebildet, was die Eingeweihten in [[Imagination]]en geschaut hatten.


Diese Art der Kunst ging zugrunde, als mit dem anbrechenden letzten vorchristlichen [[Michael-Zeitalter]] die [[Wikipedia:Antikes Griechenland|antike griechische Klassik]] aufzublühen begann. An die Stelle der [[Imagination]] trat nun die aus dem schöpferischen [[Wille]]n tätig entspringende künstlerische Phantasie. Hinter der künstlerischen Phantasie stehen, sofern es sich um wirkliche Kunst handelt, auch Imagination, doch bleiben diese dem Künstler unbewusst. Nach [[Rudolf Steiner]] erfolgte etwa mit dem Jahr [[Wikipedia:300 v. Chr.|300 v. Chr.]] bei den damals kulturführenden Griechen dieser Übergang von der anschauenden, das Geistige nachahmenden Kunst zur tätigen künstlerischen Phantasie {{Lit|GA 198, S 23ff}}. Die göttliche Kunst wurde damit zu einer rein menschlichen, die allerdings zunächst noch ein archetypisches, ideal-menschliches und noch kein [[individuell]]es Gepräge hat. Das [[idee]]lle hat hier noch ein starkes Übergewicht über das [[sinnlich]]e Element und verleiht der künstlerischen Phantasie einen deutlich [[luziferisch]]en Charakter. Erst im [[Wikipedia:Hellenismus|Hellenismus]] treten die individuellen Züge stärker hervor.  
Diese Art der Kunst ging zugrunde, als mit dem anbrechenden letzten vorchristlichen [[Michael-Zeitalter]] die [[Wikipedia:Antikes Griechenland|antike griechische Klassik]] aufzublühen begann. An die Stelle der [[Imagination]] trat nun die aus dem schöpferischen [[Wille]]n tätig entspringende künstlerische Phantasie. Hinter der künstlerischen Phantasie stehen, sofern es sich um wirkliche Kunst handelt, auch Imagination, doch bleiben diese dem Künstler unbewusst. Nach [[Rudolf Steiner]] erfolgte etwa mit dem Jahr [[Wikipedia:300 v. Chr.|300 v. Chr.]] bei den damals kulturführenden Griechen dieser Übergang von der anschauenden, das Geistige nachahmenden Kunst zur tätigen künstlerischen Phantasie {{Lit|{{G|198|23ff}}}}. Die göttliche Kunst wurde damit zu einer rein menschlichen, die allerdings zunächst noch ein archetypisches, ideal-menschliches und noch kein [[individuell]]es Gepräge hat. Das [[idee]]lle hat hier noch ein starkes Übergewicht über das [[sinnlich]]e Element und verleiht der künstlerischen Phantasie einen deutlich [[luziferisch]]en Charakter. Erst im [[Wikipedia:Hellenismus|Hellenismus]] treten die individuellen Züge stärker hervor.  


Der eigentliche Durchbruch zur Individualisierung beginnt erst mit dem [[Bewusstseinsseelenzeitalter]]. In der [[Wikipedia:Renaissance|Renaissance]] greift man zwar auf die [[Wikipedia:Antike|Antike]] zurück, bringt aber nun alles in eine stark individualisierte Form. Während die alten Griechen in der bildenden Kunst noch ohne äußeres Vorbild auskommen konnten und die ideale menschliche Gestalt im inneren Erleben erspürten, richtet man sich nun nach dem konkreten äußeren Modell. Der sinnliche Anteil der künstlerischen Phantasie wird nun immer bedeutsamer. Das [[Wikipedia:Barock|Barock]] sprüht geradezu von sinnlicher Pracht.
Der eigentliche Durchbruch zur Individualisierung beginnt erst mit dem [[Bewusstseinsseelenzeitalter]]. In der [[Wikipedia:Renaissance|Renaissance]] greift man zwar auf die [[Wikipedia:Antike|Antike]] zurück, bringt aber nun alles in eine stark individualisierte Form. Während die alten Griechen in der bildenden Kunst noch ohne äußeres Vorbild auskommen konnten und die ideale menschliche Gestalt im inneren Erleben erspürten, richtet man sich nun nach dem konkreten äußeren Modell. Der sinnliche Anteil der künstlerischen Phantasie wird nun immer bedeutsamer. Das [[Wikipedia:Barock|Barock]] sprüht geradezu von sinnlicher Pracht.
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Die Kunst, und damit auch die künstlerische Phantasie, der sie entspringt, ist ein ''Sinnlich-Übersinnliches''. Beide Elemente, das sinnliche und das übersinnliche, müssen im rechten, ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen und dieses rechte Verhältnis wird durch das individuelle Ich des Künstlers hergestellt. Die reine Nachahmung des Sinnlichen und die Darstellung des Übersinnlichen, sagt [[Rudolf Steiner]] sind die beiden Erbsünden der Kunst {{Lit|GA 271, S 86ff}}. Was rein aus dem übersinnlichen Erleben fließt, ist ''noch nicht'' Kunst im eigentlichen Sinn, und was sich im bloßen [[Wikipedia:Naturalismus (Kunst)|Naturalismus]] erschöpft, ist ''nicht mehr'' Kunst.
Die Kunst, und damit auch die künstlerische Phantasie, der sie entspringt, ist ein ''Sinnlich-Übersinnliches''. Beide Elemente, das sinnliche und das übersinnliche, müssen im rechten, ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen und dieses rechte Verhältnis wird durch das individuelle Ich des Künstlers hergestellt. Die reine Nachahmung des Sinnlichen und die Darstellung des Übersinnlichen, sagt [[Rudolf Steiner]] sind die beiden Erbsünden der Kunst {{Lit|{{G|271|86ff}}}}. Was rein aus dem übersinnlichen Erleben fließt, ist ''noch nicht'' Kunst im eigentlichen Sinn, und was sich im bloßen [[Wikipedia:Naturalismus (Kunst)|Naturalismus]] erschöpft, ist ''nicht mehr'' Kunst.


== Die physiologische Grundlage der Phantasie ==
== Die physiologische Grundlage der Phantasie ==
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Auf Menschen, die nach der Phantasiesphäre hin veranlagt sind, so daß sich ihnen wie von selbst die Anschauung der sinnlichen Wirklichkeit in Phantasiebilder wandelt, zählt bei ihren Weltenabsichten die ahrimanische Macht. Sie meint, mit Hilfe solcher Menschen die Entwickelung der Menschheit von der Vergangenheit ganz abschneiden zu können, um sie in eine Richtung zu bringen, die sie will.
Auf Menschen, die nach der Phantasiesphäre hin veranlagt sind, so daß sich ihnen wie von selbst die Anschauung der sinnlichen Wirklichkeit in Phantasiebilder wandelt, zählt bei ihren Weltenabsichten die ahrimanische Macht. Sie meint, mit Hilfe solcher Menschen die Entwickelung der Menschheit von der Vergangenheit ganz abschneiden zu können, um sie in eine Richtung zu bringen, die sie will.


Auf Menschen, die nach der Willenssphäre hin organisiert sind, die aber die sinnliche Anschauung in Phantasiebilder aus innerer Liebe zur idealen Weltanschauung kräftig gestalten, zählt die luziferische Macht. Sie möchte die Menschheitsentwickelung durch solche Menschen ganz in den Impulsen der Vergangenheit erhalten. Sie könnte dann die Menschheit vor dem Untertauchen in die Sphäre bewahren, in der die ahrimanische Macht überwunden werden muß." {{Lit|GA 26, S 237ff}}
Auf Menschen, die nach der Willenssphäre hin organisiert sind, die aber die sinnliche Anschauung in Phantasiebilder aus innerer Liebe zur idealen Weltanschauung kräftig gestalten, zählt die luziferische Macht. Sie möchte die Menschheitsentwickelung durch solche Menschen ganz in den Impulsen der Vergangenheit erhalten. Sie könnte dann die Menschheit vor dem Untertauchen in die Sphäre bewahren, in der die ahrimanische Macht überwunden werden muß." {{Lit|{{G|026|237ff}}}}
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Version vom 12. März 2011, 21:55 Uhr

Die Phantasie (griech.: phantasia = „Erscheinung, Vorstellung, Traumgesicht, Gespenst“, von phantάzesthai = „erscheinen“), in moderner Schreibweise auch Fantasie, ist eine schöpferische Leistung des menschlichen Geistes und Quelle des künstlerischen Schaffens, wie auch des originären technischen Erfindertums. Die Phantasie besteht primär in der Befähigung, innere Bilder zu erzeugen. Die Phantasie umfasst häufig auch produktive Fähigkeiten auf musikalischem und sprachlichem Gebiet und originäre Denkleistungen. Im weitesten Sinn können alle Sinnessphären und das gesamte Denken durch die Phantasie schöpferisch befruchtet werden und eine so eine seelische Innwelt hervorbringen, die unabhängig von der unmittelbaren äußeren Sinneswahrnehmung ist. Dabei kommt es häufig zu synästhetischen Verschränkungen mehrerer Sinnessphären.

Vorstellungsvermögen und Phantasie

Von der Vorstellung unterscheidet sich die Phantasie dadurch, dass sie gedankendurchdrungene äußere Wahrnehmungen nicht bloss mehr oder weniger getreu als inneres Bild wiederholt, sondern schöpferisch neugestaltet. Echte schöpferische Phantasie steht dabei aber stets im Einklang mit den ideellen Gesetzen des Daseins und schafft ein inneres Bild dessen, was (noch) nicht verwirklicht, aber durchaus möglich ist. Die Phantasie beschränkt sich dabei nicht auf die äußere Wirklichkeit, sondern bezieht auch höhere Wirklichkeiten ein, die sie allerdings in sinnliche Bilder kleidet. Sinnliche und ideelle Elemente müssen sich in der Phantasie in rechter Weise durchdringen, wenn sie nicht den Kontakt zur Wirklichkeit verlieren soll. Fehlt der Bezug zu den idellen Gesetzen des Daseins, so verkommt die Phantasie zur wesenlosen, willkürlichen Phantasterei.

Beschränkt sich die Phantasie nur auf die äußere sinnliche Wirklichkeit, so gerät der Mensch in die Fänge Ahrimans. Schwebt die Phantasie nur in höheren, ideellen Wirklichkeiten, so kommt sie in den Einflussbereich Luzifers.

Imagination, Phantasie und Individualisierung

In ältesten Zeiten schöpfte die Kunst aus der unmittelbaren traumbewussten imaginativen Anschauung der geistigen Welt. Was man so in Farben,Formen, Tönen und Worten bildete, war eine unmittelbare Nachahmung des geistig Erlebten. Damals trat allerdings die Kunst erst in sehr bescheidener Form in Erscheinung; man bedurfte ihrer noch kaum, da ohnehin noch die meisten Menschen eine unmittelbare Anschauung der geistigen Welt hatten. Mit dem Anbruch des Kali-Yuga, des finsteren Zeitalters, wurde das anders. Die meisten Menschen verloren das natürliche Hellsehen, das nun nur mehr von wenigen Eingeweihten und ihren Schülern innerhalb der Mysterien durch entsprechende geistige Schulung gepflegt wurde. Was so nur mehr Einzelne innerhalb der Mysterien geistig erleben konnten, wurde der breiten Masse in sinnlichen Bildern vor Augen gestellt. Die Mysterien waren nun die Quelle der Kunst. Damit begann zugleich die Blütezeit der ersten Hochkulturen. Alle Kunst hatte damals rein sakralen Charakter und war nach dem gebildet, was die Eingeweihten in Imaginationen geschaut hatten.

Diese Art der Kunst ging zugrunde, als mit dem anbrechenden letzten vorchristlichen Michael-Zeitalter die antike griechische Klassik aufzublühen begann. An die Stelle der Imagination trat nun die aus dem schöpferischen Willen tätig entspringende künstlerische Phantasie. Hinter der künstlerischen Phantasie stehen, sofern es sich um wirkliche Kunst handelt, auch Imagination, doch bleiben diese dem Künstler unbewusst. Nach Rudolf Steiner erfolgte etwa mit dem Jahr 300 v. Chr. bei den damals kulturführenden Griechen dieser Übergang von der anschauenden, das Geistige nachahmenden Kunst zur tätigen künstlerischen Phantasie (Lit.: GA 198, S. 23ff). Die göttliche Kunst wurde damit zu einer rein menschlichen, die allerdings zunächst noch ein archetypisches, ideal-menschliches und noch kein individuelles Gepräge hat. Das ideelle hat hier noch ein starkes Übergewicht über das sinnliche Element und verleiht der künstlerischen Phantasie einen deutlich luziferischen Charakter. Erst im Hellenismus treten die individuellen Züge stärker hervor.

Der eigentliche Durchbruch zur Individualisierung beginnt erst mit dem Bewusstseinsseelenzeitalter. In der Renaissance greift man zwar auf die Antike zurück, bringt aber nun alles in eine stark individualisierte Form. Während die alten Griechen in der bildenden Kunst noch ohne äußeres Vorbild auskommen konnten und die ideale menschliche Gestalt im inneren Erleben erspürten, richtet man sich nun nach dem konkreten äußeren Modell. Der sinnliche Anteil der künstlerischen Phantasie wird nun immer bedeutsamer. Das Barock sprüht geradezu von sinnlicher Pracht.

Je größer der sinnliche Anteil der künstlerischen Phantasie wurde, desto mehr ging man aber auch zur bloßen Nachahmung der äußeren Welt über, was schließlich im Naturalismus enden musste, dessen Blütezeit 1879 mit dem anbrechenden Michael-Zeitalter begann und etwa bis 1900 dauerte. Reine Nachahmung des Äußeren ist aber ebensowenig Kunst, wie die bloße Nachahmung des Übersinnlichen im Sinnlichen. Mit dem Naturalismus war man am Ende einer langen Entwicklung angelangt, die nun bereits aus dem eigentlich Künstlerischen herausführt. Die Phantasie wurde von den ahrimanischen Mächten ergriffen.

Ein neuer Aufbruch war nötig, und der kam auch, nachdem 1899 das finstere Zeitalter, das Kali-Yuga, abgelaufen war. Impressionismus und Expressionismus geben davon bereits ein bedeutsames Zeugnis. In der dramatischen Kunst gab Rudolf Steiner mit seinen Mysteriendramen einen entscheidenden Impuls, der aber bis heute noch nicht wirklich aufgenommen wurde. Die Kunst der Zukunft wird wieder aus der bewussten Imagination schöpfen müssen, ohne aber deshalb auf die individualisierende künstlerische Phantasie zu verzichten - sonst würde man bloß wieder in die ältesten Zeiten zurückkehren, was nicht der Sinn der Entwicklung sein kann. Es kann also nicht so sein, dass man, wie in der fernen Vergangenheit, traumhaft erlebte Imaginationen unmittelbar in sinnliche Bilder übersetzt, sondern man wird die mit dem voll erwachten Ich-Bewusstsein erfahrenen geistigen Eindrücke in die unbewussten Wesenstiefen versenken, aus denen man sie in verwandelter und völlig individualisierter Gestalt durch die schöpferisch-produktive künstlerische Phantasie wieder herausholt. Man geht hier einen Weg, der in ähnlicher Art ja auch für die Geistesschulung gilt: Was man zuerst sich in kräftigen Imaginationen aufgebaut hat, was man in reichen seelischen Bildern erlebt hat, das muss man wieder willentlich wegschaffen, das Bewusstsein völlig davon befreien und eine Leere des Bewusstseins herstellen, ehe die Inspiration – in diesem Fall die künstlerische Inspiration – einschlagen kann. Dadurch wird etwas geschaffen, was es in dieser Art weder in der sinnlichen noch in der übersinnlichen Welt zuvor schon gegeben hat, was aber im vollen Einklang mit den Gesetzmäßigkeiten beider Welten steht und beide Welten durch etwas bereichert, was nur der einzelne individuelle Mensch geben kann.

Wahre schöpferische Phantasie erfordert den Durchgang durch das Nichts. Alles, was wir gelernt und erfahren haben, auch alle hellsichtig erlebte Imagination, muss zuerst hingeopfert und in die Tiefe des Unterbewusstseins versenkt werde, ehe es von dort durch die tätige schöpferische Phantasie in völlig neuer Gestalt wiedererweckt werden kann. "In deinem Nichts hoff' ich das All zu finden", lässt Goethe seinen Faust zu Recht sagen; man muss den Gang zu den Müttern wagen:

FAUST. Die Mütter! Mütter! - 's klingt so 
wunderlich!

MEPHISTOPHELES.
Das ist es auch. Göttinnen, ungekannt
Euch Sterblichen, von uns nicht gern genannt.
Nach ihrer Wohnung magst ins Tiefste schürfen;
Du selbst bist schuld, daß ihrer wir bedürfen.

FAUST. Wohin der Weg?

MEPHISTOPHELES. Kein Weg! Ins Unbetretene,
Nicht zu Betretende; ein Weg ans Unerbetene,
Nicht zu Erbittende. Bist du bereit? -
Nicht Schlösser sind, nicht Riegel wegzuschieben,
Von Einsamkeiten wirst umhergetrieben.
Hast du Begriff von Öd' und Einsamkeit?

FAUST. Du spartest, dächt' ich, solche Sprüche;
Hier wittert's nach der Hexenküche.

MEPHISTOPHELES.
Und hättest du den Ozean durchschwommen,
Das Grenzenlose dort geschaut,
So sähst du dort doch Well' auf Welle kommen,
Selbst wenn es dir vorm Untergange graut.
Du sähst doch etwas. Sähst wohl in der Grüne
Gestillter Meere streichende Delphine;
Sähst Wolken ziehen, Sonne, Mond und Sterne -
Nichts wirst du sehn in ewig leerer Ferne,
Den Schritt nicht hören, den du tust,
Nichts Festes finden, wo du ruhst.

FAUST. Du sprichst als erster aller Mystagogen,
Die treue Neophyten je betrogen;
Nur umgekehrt. Du sendest mich ins Leere,
Damit ich dort so Kunst als Kraft vermehre;
Nur immer zu! wir wollen es ergründen,
In deinem Nichts hoff' ich das All zu finden.

MEPH. Ich rühme dich, eh' du dich von mir trennst,
Und sehe wohl, daß du den Teufel kennst;

          (FAUST II, 1. Akt, ''Finstere Galerie'')

Die Kunst, und damit auch die künstlerische Phantasie, der sie entspringt, ist ein Sinnlich-Übersinnliches. Beide Elemente, das sinnliche und das übersinnliche, müssen im rechten, ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen und dieses rechte Verhältnis wird durch das individuelle Ich des Künstlers hergestellt. Die reine Nachahmung des Sinnlichen und die Darstellung des Übersinnlichen, sagt Rudolf Steiner sind die beiden Erbsünden der Kunst (Lit.: GA 271, S. 86ff). Was rein aus dem übersinnlichen Erleben fließt, ist noch nicht Kunst im eigentlichen Sinn, und was sich im bloßen Naturalismus erschöpft, ist nicht mehr Kunst.

Die physiologische Grundlage der Phantasie

Das Rhythmische System des Menschen, das Atmung und Blutkreislauf umfasst, steht in engem Zusammenhang mit dem Denken, das sich im Rhythmus des durch die Atmung auf- und absteigenden Gehirnwassers gestaltet, und mit der Sinneswahrnehmung, die im weitesten Sinn eine Art Lichtatmungsprozess die Sinnesorgane ist. Vermittelt durch den Rhythmus der Blutzirkulation verbindet sich das Rhytmische System mit dem Stoffwechsel-Gliedmaßen-System, durch das die eigentlich produktiven Willenskräfte aufgerufen werden, die sich in der Phantasietätigkeit offenbaren.

"Im Gedächtnis wirkt im wachenden Menschen unmittelbar das göttlich-geistige Wesen; im Gewissen wirkt im wachenden Menschen mittelbar - als Nachwirkung - dieses göttlich-geistige Wesen.

Gedächtnisbildung spielt sich in der Nerven-Sinnesorganisation ab; Gewissensbildung spielt sich als rein seelischgeistiger Vorgang ab, aber in der Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation.

Zwischen beiden liegt die rhythmische Organisation. Diese ist nach zwei Seiten hin polarisch in ihrer Wirksamkeit ausgebildet. Sie ist als Atmungsrhythmus in inniger Beziehung zur Sinneswahrnehmung und zum Denken. In dem Lungen-Atmen ist der Vorgang am gröbsten; er verfeinert sich und wird als verfeinertes Atmen sinnliches Wahrnehmen und Denken. Was noch dem Atmen ganz nahesteht, aber ein Atmen durch die Sinnes-Organe, nicht durch die Lungen ist, das ist das sinnliche Wahrnehmen. Was dem Lungen-Atmen schon ferner ist und durch die Denkorganisation gestützt wird, das ist Vorstellen, Denken; und was schon nach dem Rhythmus der Blutzirkulation hinübergrenzt, schon ein innerliches Atmen ist, das mit der Gliedmaßen-Stoffwechselorganisation sich verbindet, das offenbart sich in der Phantasie-Tätigkeit.

Diese reicht dann seelisch in die Willenssphäre, wie der Zirkulationsrhythmus in die Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation reicht.

In der Phantasiebetätigung strebt die Denkorganisation an die Willensorganisation nahe heran. Es ist ein Untertauchen des Menschen in seine wachende Schlafsphäre des Willens. Es erscheinen daher bei Menschen, die in dieser Art organisiert sind, die Seelen-Inhalte wie Träume im Wachzustande. In Goethe lebte eine solche Menschen-Organisation. Daher spricht er davon, daß ihm Schiller seine dichterischen Träume deuten müsse.

In Schiller selbst war die andere Organisation wirksam. Er lebte aus dem heraus, was er sich aus den vorigen Erdenleben mitbrachte. Er mußte zu einem starken Wollen den Phantasie-Inhalt suchen.

Auf Menschen, die nach der Phantasiesphäre hin veranlagt sind, so daß sich ihnen wie von selbst die Anschauung der sinnlichen Wirklichkeit in Phantasiebilder wandelt, zählt bei ihren Weltenabsichten die ahrimanische Macht. Sie meint, mit Hilfe solcher Menschen die Entwickelung der Menschheit von der Vergangenheit ganz abschneiden zu können, um sie in eine Richtung zu bringen, die sie will.

Auf Menschen, die nach der Willenssphäre hin organisiert sind, die aber die sinnliche Anschauung in Phantasiebilder aus innerer Liebe zur idealen Weltanschauung kräftig gestalten, zählt die luziferische Macht. Sie möchte die Menschheitsentwickelung durch solche Menschen ganz in den Impulsen der Vergangenheit erhalten. Sie könnte dann die Menschheit vor dem Untertauchen in die Sphäre bewahren, in der die ahrimanische Macht überwunden werden muß." (Lit.: GA 026, S. 237ff)

Phantasietätigkeit und Mondrhythmus

Die Phantasietätigkeit unterliegt Schwankungen, in denen sich der Mondrhythmus abbildet. Auf eine 14-tägige Phase des produktiven Schaffens fruchtbarer Ideen und künstlerischer Phantasie folgen weitere 14 Tage, in der diese Ideen ausgearbeitet werden können. Ein solcher Rhythmus ist bei der Geistesforschung noch ausgeprägter vorhanden. Dieser 14- bzw. 28-tägige Rhythmus bildet zwar den äußeren Rhythmus der Mondphasen in seinem Zeitmass ab, korrespondiert aber heute nicht mehr notwendigerweise unmittelbar mit diesem äußeren Rhythmus, sondern hat sich im Zuge der Menschheitsentwicklung, ähnlich wie der Fruchtbarkeitszyklus der Frau, davon weitgehend unabhängig gemacht (Lit.: GA 58, S 289ff).

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Anthroposophische Leitsätze, GA 26 (1998)
  2. Rudolf Steiner: Metamorphosen des Seelenlebens – Pfade der Seelenerlebnisse. Erster Teil, GA 58 (1984)
  3. Rudolf Steiner: Heilfaktoren für den sozialen Organismus, GA 198 (1984)
  4. Rudolf Steiner: Kunst und Kunsterkenntnis, GA 271 (1985)
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.