Sozialwissenschaft

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Die Sozialwissenschaften (oft auch als Gesellschaftswissenschaften bezeichnet) umfassen jene Wissenschaften, die Phänomene des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Menschen theoriegeleitet und/oder empirisch untersuchen.

In den Sozialwissenschaften werden Strukturen und Funktionen sozialer Verflechtungszusammenhänge von Institutionen und Systemen und auch deren Wechselwirkung mit Handlungs- und Verhaltensprozessen der einzelnen Individuen (Akteure) analysiert.

In den Sozialwissenschaften werden wissenschaftliche Methoden verwendet, die zum Teil mit denen der Natur- und zum Teil mit denen der Geisteswissenschaften verwandt sind. Deshalb ist die Abgrenzung schwierig. Es gibt keine einheitlichen Regelungen jenseits der Traditionen derjenigen wissenschaftlichen Institutionen, die sich den Sozialwissenschaften oder anderen Wissenschaftschaftszweigen zurrechnen. Sozialwissenschaft kann z.B. der Psychologie (Sozialpsychologie) oder der Philosophie (Sozialphilosophie) zugeordnet sein, sich aber auch als eigenständige Wissenschaft mit einem besonderen Gegenstand, einer besonderen Methode oder einer besonderen Perspektive (auf einen Gegenstand, der auch von anderen Wissenschaften untersucht wird) verstehen (z.B. die Soziologie).

Sozialwissenschaftliche Grundlagen der Lehre vom dreigegliederten sozialen Organismus

bisher berücksichtigt: GA 23, 24 und 328.

nächste Quelle: GA 188

Voraussetzungen der Methode und methodisches Vorgehen

„[Es ist zu erkennen] ...wie in der Darstellung dieses Buches dem sozialen Leben eben lebendige und nicht mathematische Gesetze zugrunde liegend gedacht werden.“ (Lit.:GA 23, S. 132 (Fußnote))

„Nur wer in abstrakten Gedanken lebt, dem erscheint alles in eindeutigen Umrissen. Ein solcher tadelt das Lebenspraktische oft, weil er es nicht bestimmt, nicht «klar» genug dargestellt findet. Viele, die sich Praktiker dünken, sind gerade solche Abstraktlinge. Sie bedenken nicht, daß das Leben die mannigfaltigsten Gestaltungen annehmen kann. Es ist ein fließendes Element. Und wer mit ihm gehen will, der muß sich auch in seinen Gedanken und Empfindungen diesem fließenden Grundzug anpassen. Die sozialen Aufgaben werden nur mit einem solchen Denken ergriffen werden können.“ (Lit.:GA 23, S. 21f.)

„[Der Verfasser] hält nicht viel von dem bloßen Hinweis auf «den Geist», von dem Reden über eine nebelhafte Geisteswelt. Er kann nur die Geistigkeit anerkennen, die der eigene Lebensinhalt des Menschen wird. Dieser erweist sich in der Bewältigung der praktischen Lebensaufgaben ebenso wirksam wie in der Bildung einer Welt- und Lebensanschauung, welche die seelischen Bedürfnisse befriedigt. Es kommt nicht darauf an, daß man von einer Geistigkeit weiß oder zu wissen glaubt, sondern darauf, daß dies eine Geistigkeit ist, die auch beim Erfassen der praktischen Lebenswirklichkeit zutage tritt.“ (Lit.:GA 23, S. 25)

„Das ist das Charakteristische im menschlichen Organismus, daß seine Systeme gerade dadurch ihre rechte Entfaltung und Wirksamkeit entfalten, daß sie nicht zentralisiert sind, sondern daß sie nebeneinander bestehen und frei zusammenwirken. Kann man heute nicht einmal in dieser umfassenden, eindringlichen Weise den menschlichen Organismus begreifen, so kann man mit der Wissenschaft, die noch nicht reformiert ist, die aber in geisteswissenschaftlichem Sinne reformiert werden muß, den sozialen Organismus erst recht nicht verstehen. Man glaubt heute, der menschliche Organismus ist etwas Zentralisiertes, während er eine Dreigliedrigkeit ist.“ (Lit.:GA 328, S. 21)

„Wie sehen wir heute die Menschen vielfach herumgehen, die aus gewisser ethisch-religiöser Vornehmheit heraus - wie sie meinen - den besten Willen zeigen mit Bezug auf ein richtiges Zusammenleben mit ihren Mitmenschen, die den besten Willen zeigen, ihren Mitmenschen nur das Allerallergütigste zu tun, die aber alles versäumen, dies wirklich zu tun, weil sie sich kein soziales, in den praktischen Lebensgewohnheiten drinnenstehendes Gefühlsleben aneignen.“ (Lit.:GA 328, S. 54)

„Es kommt heute nicht darauf an, daß man die Menschen daraufhinweist, zum Geiste zurückzukehren, sondern es kommt darauf an, daß Geist in dem ist, wie man heute über den sozialen Organismus denkt. Auf die Art und Weise, auf das Wie des Denkens kommt es an. Meinetwillen rede man gar nicht vom Geist, aber in der Art und Weise, wie man über die Lebenspraxis redet, sei Geist.“ (Lit.:GA 328, S. 55)

„Die theoretische Ansicht, daß das Geistige bloß Ideologie ist, sie ist das Ungefährlichste. Das Wichtigste ist, daß in einem Menschen, der die Anschauung hat, das Geistige wurzele nicht in einer allen Dingen zugrunde liegenden geistigen Wirklichkeit, sondern in einer bloßen Ideologie, nicht die geistige wirkliche Stoßkraft vorhanden sein kann. Ein solcher Mensch hat kein Interesse daran, dem geistigen Leben seine richtige Rolle in der Welt zuzuerteilen.“ (Lit.:GA 328, S. 22)

„Das ist es, was in der ersten wahren Gestalt der sozialen Frage in Wirklichkeit lebt, wenn man in die Tiefen dieser Frage einzudringen versteht, daß die Entwickelung des modernen Geisteslebens um die Wende der neueren Zeit oder seit dieser Wende der neueren Zeit im 19.Jahrhunderte allmählich sich so abgestumpft, abgeschwächt, abgelähmt hat, daß die Menschen nicht mehr wußten: in ihnen lebt der Geist als ein realer, lebendiger, sondern daß sie glaubten, nur Ideen, nur Spiegelbilder irgendeiner Wirklichkeit leben in ihnen - was dann in der Welt- und Lebensanschauung des modernen Proletariats dazu geworden ist, daß dieses Proletariat sagt: Es gibt auf geistigem Gebiete nur eine Ideologie. Die Wirklichkeit ist nur in dem ökonomischen, in dem wirtschaftlichen Prozesse, in dem Klassenkampfe; da spielt sich die Realität ab. - Aber daraus dampft in irgendeiner Weise etwas herauf in die Seelen der Menschen; das kommt in Form von Bildern zur Offenbarung, von Bildern, die sich ausleben in der Wissenschaft, in der Sitte, in der Religion, in der Kunst. Das gibt einen Überbau für den einzig wirklich realen Unterbau. Und wenn man auch nicht umhin kann zuzugeben in der Soziologie, daß das, was in diesem Überbau als eine Ideologie lebt, wiederum real zurückwirkt auf das wirtschaftliche Leben, es bleibt doch Ideologie. Es gibt kein Heilmittel aus dieser Ideologie heraus, wenn man nicht zum wirklichen geistigen Erleben, wie es die geistige Wissenschaft in die moderne Menschheit hineinführen will, wenn man nicht zu diesem geistigen Erleben greift. Heilung von den Schäden der Ideologie ist nur zu erreichen durch wirkliche Vertiefung in den wahrhaftigen Geist und seine Erscheinungen, durch Vertiefung in die wirkliche übersinnliche Welt.“ (Lit.:GA 328, S. 58f.)

„Dieses moderne Leben - wie ich ja oftmals in meinen Vorträgen, die ich hier in Zürich gehalten habe, betonte - hat Denkgewohnheiten, hat Denkformen herausgebildet, die sich für eine gewisse Richtung der Naturwissenschaft außerordentlich fruchtbar erweisen. Es hat dann dieses moderne Denken auch eindringen wollen in das Begreifen und begreifende Reformieren, reformierende Begreifen des sozialen Lebens selbst, der sozialen Erscheinungen und Impulse des Lebens. Aber bei diesem Eindringen hat man überall das Gefühl: Die Menschen der Gegenwart, die gerade rein in den Denkformen und Denkgewohnheiten der Gegenwart drinnenstehen, haben nicht Begriffe, welche in Wirklichkeit die komplizierten Erscheinungen des sozialen Lebens erfassen können. Gewissermaßen sind die Begriffe zu engmaschig. Sie können nicht in sich fassen die komplizierten Erscheinungen des sozialen Lebens selbst. Sie bleiben abstrakt, sie bleiben konturenhaft, aber sie dringen nicht ein in das wirkliche Leben selbst, das sich im sozialen Körper abspielt.“ (Lit.:GA 328, S. 51f.)

„Dieser lebendig wirksame Geist ist in uns. Er ist da, wie die Dinge draußen im Räume sind und die Vorgänge draußen in der Zeit sind. Und wenn man sich in diese Stellung zum wirklichen geistigen Erkennen nun nicht bloß hineindenkt, sondern hineinlebt, dann sprießt aus diesem geistigen Erkennen ein innerlicher Impuls, der ein Antrieb ist, den Geist in der Welt real zu machen durch sich selber, der ein Antrieb ist, den Geist als Realität zu erleben und zu verwirklichen in einer ganz anderen Weise, als das sein kann durch das, was ein bloßes Spiegelbild ist an Ideen, an Begriffen, die von einem Geistigen handeln. Es ist ein großer Unterschied, ob man sagt: Ich denke über den Geist, ich glaube an den Geist -, oder ob man sagt: In mir denkt der Geist, in mir empfindet der Geist. - (...) Etwas von seelisch-geistiger Stärke muß in die Menschheitsentwickelung hineinkommen aus diesem geistigen Erleben heraus. Und dieses Etwas von seelisch-geistiger Stärke, was in die Menschheitsempfindung hineinkommen soll, es ist von größerer sozialer Wichtigkeit als man denken kann, denn es ist das, was das Heilmittel ist für die lähmende, in der vorigen Woche hier charakterisierte Ideologie, welche das Proletariat von dem Bürgertum als ein bedrückendes Erbe übernommen hat.“ (Lit.:GA 328, S. 58)

Methode und Gegenstand

„Diese Erschütterungen werden nur dann nicht eintreten, wenn der soziale Organismus in der Art gestaltet ist, daß in ihm jederzeit die Neigung vorhanden sein kann, zu beobachten, wo eine Abweichung von den durch die Urgedanken vorgezeichneten Einrichtungen sich bildet, und wo zugleich die Möglichkeit besteht, dieser Abweichung entgegenzuarbeiten, ehe sie eine verhängnistragende Stärke gewonnen hat.“ (Lit.:GA 23, S. 75)

„In unsern Tagen sind in weitem Umfange des Menschenlebens die Abweichungen von den durch die Urgedanken geforderten Zuständen groß geworden. Und das Leben der von diesen Gedanken getragenen Impulse in Menschenseelen steht als eine durch Tatsachen laut sprechende Kritik da über das, was sich im sozialen Organismus der letzten Jahrhunderte gestaltet hat. Daher bedarf es des guten Willens, in energischer Weise zu den Urgedanken sich zu wenden und nicht zu verkennen, wie schädlich es gerade heute ist, diese Urgedanken als «unpraktische» Allgemeinheiten aus dem Gebiete des Lebens zu verbannen.“ (Lit.:GA 23, S. 93)

„Denn das Menschenleben ist mit der neuesten Zeit in einen Zustand eingetreten, der aus dem sozial Eingerichteten immer wieder das Antisoziale hervorgehen läßt. Dieses muß stets neu bewältigt werden. Wie ein Organismus einige Zeit nach der Sättigung immer wieder in den Zustand des Hungers eintritt, so der soziale Organismus aus einer Ordnung der Verhältnisse in die Unordnung. Eine Universalarznei zur Ordnung der sozialen Verhältnisse gibt es so wenig wie ein Nahrungsmittel, das für alle Zeiten sättigt.“ (Lit.:GA 23, S. 14)

„Wer die Frage so stellt, der richtet dabei sein Augenmerk nicht auf die Tatsache, daß der soziale Organismus ein fortwährend Werdendes, Wachsendes ist. Man kann diesem Wachsenden gegenüber nicht so fragen: Wie soll man es am besten einrichten, damit es durch diese Einrichtung dann in dem Zustande verbleibe, den man als den richtigen erkannt hat? So kann man gegenüber einer Sache denken, die von einem gewissen Ausgangspunkt aus wesentlich unverändert weiter wirkt. Das gilt nicht für den sozialen Organismus. Der verändert durch sein Leben fortwährend dasjenige, das in ihm entsteht. Will man ihm eine vermeintlich beste Form geben, in der er dann bleiben soll, so untergräbt man seine Lebensbedingungen.“ (Lit.:GA 23, S. 107)

„Notwendig ist aber heute, zu sehen, daß man nicht anders ein den Tatsachen gewachsenes Urteil gewinnen kann als durch Zurückgehen zu den Urgedanken, die allen sozialen Einrichtungen zugrunde liegen. Wenn nicht rechte Quellen vorhanden sind, aus denen die Kräfte, welche in diesen Urgedanken liegen, immer von neuem dem sozialen Organismus zufließen, dann nehmen die Einrichtungen Formen an, die nicht lebenfördernd, sondern lebenhemmend sind.“ (Lit.:GA 23, S. 92f.)

„Und warum, warum ist Kunst, Sitte, Sittlichkeit, Religion, sonstiges geistiges Leben dem modernen Proletarier zur Ideologie geworden? Weil er empfangen hat von denjenigen, die früher die führenden Kreise waren, eine Wissenschaft, die nicht mehr einen lebendigen Zusammenhang unterhalten will zu der wirklichen Geistwelt, eine Wissenschaft, die nicht mehr aufweist irgendeinen Impuls, der zu wirklicher Geistigkeit führt. Eine solche Wissenschaft kann höchstens zu abstrakten Begriffen als Naturgesetze führen. Sie kann auch zu nichts anderem führen, als zu einer Anschauung des Geistigen als Ideologie. Sie zeitigt Methoden, die eben nur geeignet sind auf der einen Seite für die rein objektive, außermenschliche Natur, und innerhalb des Menschenlebens nur für das wirtschaftliche Geschehen. Als der moderne Proletarier diese Wissenschaftsrichtung übernehmen mußte, da wurde sein Blick wie durch eine mächtige suggestive Kraft hingelenkt auf das, worauf man durch solche Wissenschaft nur hingelenkt werden kann, auf das Wirtschaftsleben. Und er fing an zu glauben, daß dieses Wirtschaftsleben die einzige Wirklichkeit sei, während die Wahrheit die ist, daß das, was ihm die bürgerlichen Klassen als Wissenschaft übergeben haben, eben einzig und allein sich richten kann auf das wirtschaftliche Leben.“ (Lit.:GA 328, S. 18)

„[D]as Wirtschaftsleben (...) [muß] nach ganz anderen Methoden begriffen werden muß als der Mensch selber (...) der Glaube [ist] falsch ..., man könne durch die Betrachtung des bloßen Wirtschaftssystems, auf das allein die naturwissenschaftliche Methode paßt, die Wege herausfinden, wie die Arbeitskraft des einzelnen Menschen in den sozialen Organismus sich eingliedern könne.“ (Lit.:GA 328, S. 20f.)

„Die Betrachtung des sozialen Organismus - allerdings hat man es da mit einem Werdenden, mit einem eigentlich erst Entstehenden zu tun -, insoferne er gesund sein soll, ...“ (Lit.:GA 328, S. 28)

„Und das ist das Bedeutsame in den heraufkommenden Kräften der neueren Zeit, daß die Menschheit nicht mehr stehenbleiben kann bei einem bloß instinktiven Wollen, daß sie einfach, durch die Natur der Entwickelung herausgefordert, zu einem bewußten Wollen gerade mit Bezug auf die Gestaltung der sozialen Struktur sich ausrüsten muß. Will man sich aber mit einem bewußten Wollen ausrüsten, so braucht man diesem Wollen zugrundeliegende, wirklichkeitstragende Gedanken, nicht bloß Gedanken, die ganz aus der Wirklichkeit abstrahiert sind, sondern Gedanken, die das eigene Wollen verwandt machen mit den Kräften, die im Naturgeschehen, die im Weltenwalten selber drinnen sind. Man muß gewissermaßen mit seinem eigenen Wollen verwandt werden mit den Schöpferkräften des natürlichen Daseins.“ (Lit.:GA 328, S. 105)

„Gewiß wird die Entwickelung das Notwendige bringen müssen; aber in dem sozialen Organismus sind die Ideenimpulse des Menschen Wirklichkeiten. Und wenn die Zeit ein wenig vorgeschritten sein wird und das verwirklicht sein wird, was heute nur gedacht werden kann: dann wird eben dieses Verwirklichte in der Entwickelung drinnen sein. Und diejenigen, welche «nur von der Entwickelung» und nicht von der Erbringung fruchtbarer Ideen etwas halten, werden sich Zeit lassen müssen mit ihrem Urteil bis dahin, wo, was heute gedacht wird, Entwickelung sein wird. Doch wird es eben dann zu spät sein zum Vollbringen gewisser Dinge, die von den heutigen Tatsachen schon gefordert werden. Im sozialen Organismus ist es nicht möglich, die Entwickelung objektiv zu betrachten wie in der Natur. Man muß die Entwickelung bewirken. (...) [In die soziale Lebensauffassung ist aufzunehmen], ... was nicht nur im Bestehenden liegt, sondern dasjenige, was in den Menschenimpulsen - von ihnen oft unbemerkt - keimhaft ist und sich verwirklichen will.“ (Lit.:GA 23, S. 137)

Verhältnis von Denken und Handeln zu sozialen Vorgegebenheiten (Strukturen)

„Man muß dieses im Leben empfindend unterscheiden, damit sich als Folge dieser Empfindung das Wirtschafts- von dem Rechtsleben scheidet, wie im menschlichen natürlichen Organismus die Tätigkeit der Lunge zur Verarbeitung der äußeren Luft sich abscheidet von den Vorgängen im Nerven-Sinnesleben.“ (Lit.:GA 23, S. 62)

„Der Zusammenschluß der drei Glieder durch eine Gesamtkörperschaft, die aus den Delegierten der drei Zentralverwaltungen und Zentralvertretungen sich ergibt, wird die denkbar größte Gewähr dafür bieten, daß nicht das eine Gebiet durch das andere vergewaltigt werde.“ (Lit.:GA 24, S. 218)

Abgesehen von der Frage, ob dieser Vorschlag einer Gesamtkörperschaft ("runder Tisch?") möglicherweise ein Zugeständnis an die Ängstlichkeit derjenigen politischen Verantwortungsträger damals darstellte, an die sich Rudolf Steiner mit seinem Gestaltungsvorschlag zunächst richtete, nämlich an deren antizipierte Befürchtung, der soziale Organismus würde durch die Dreigliederung auseinander fallen, nicht genug Zusammenhalt haben, ist doch die Differenzierung zwischen einem dreigegliederten Organismus in Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben, und einer Dreigliederung der den Gliedern zugeordneten Verwaltungen: Korporationen des Geisteslebens, Assoziationen des Wirtschaftslebens, und politische Vertretung und Administration, auffällig.

Dieser Unterschied hat möglicherweise auch bisher zu wenig Beachtung gefunden, gerade bei Vertretern einer "funktionellen" Dreigliederung. Die funktionelle Dreigliederung in die Bereiche Wirtschaft, Politik und Kultur ist heute im allgemeinen Bewußtsein gut sichtbar, die drei "Sphären" werden auseinandergehalten. Ist damit der Idee der sozialen Dreigliederung schon Genüge getan?

Es handelt sich dabei zunächst nur um den einen Aspekt, den Rudolf Steiner so formuliert hat:

„Das Wirtschaftsleben hat einfach durch sich selbst in der neueren Zeit ganz bestimmte Formen angenommen. Es hat durch eine einseitige Wirksamkeit in das menschliche Leben sich besonders machtvoll hereingestellt. Die andern beiden Glieder des sozialen Lebens sind bisher nicht in der Lage gewesen, mit derselben Selbstverständlichkeit sich in der richtigen Weise nach ihren eigenen Gesetzen in den sozialen Organismus einzugliedern. Für sie ist es notwendig, daß der Mensch aus den oben angedeuteten Empfindungen heraus die soziale Gliederung vornimmt, jeder an seinem Orte; an dem Orte, an dem er gerade steht. Denn im Sinne derjenigen Lösungsversuche der sozialen Fragen, die hier gemeint sind, hat jeder einzelne Mensch seine soziale Aufgabe in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft.“ (Lit.:GA 23, S. 64f.)

„Man muß dieses im Leben empfindend unterscheiden, damit sich als Folge dieser Empfindung das Wirtschafts- von dem Rechtsleben scheidet, wie im menschlichen natürlichen Organismus die Tätigkeit der Lunge zur Verarbeitung der äußeren Luft sich abscheidet von den Vorgängen im Nerven-Sinnesleben.“ (Lit.:GA 23, S. 62)

Die angeführten "Empfindungen" beziehen sich auf die Wahrnehmung unterschiedlicher Sphären, verschiedener Sinnhorizonte und einem entsprechenden "passenden" Verhalten. Es ist damit zunächst nur eine bewußtseinsmäßige Gliederung verbunden. Im Falle von Korruption liegt ein Fehlverhalten vor. Dies nimmt man wahr, ohne daß dadurch auch die Korruption schon aufgehoben wäre. Trotz der Wahrnehmung unterschiedlicher Sphären kann die erforderliche Gliederung im Sinne von richtiger getrennter Selbständigkeit fehlen. Und so ist es ja heute auch weiterhin. Man darf also die Forderung nach der konkret-verwaltungsmäßigen Gliederung, die die richtige Trennung der drei Glieder und deren Zusammenspiel gewährleisten soll, nicht unterschätzen. Eine gegebene Trennung und auch Einheit der drei Sphären im Bewußtsein des Menschen genügt für sich alleine nicht. Die Menschen müssen auch entsprechend handeln, und das heißt, entsprechend handeln können, sowie auch erwarten können, daß andere sich ebenso verhalten können und werden. Damit Dreigliederung funktioniert, müssen entsprechende Einrichtungen da sein, d.h. es muß Selbstverwaltung der Wirtschaft und des Geisteslebens unabhängig von staatlichen Vorschriften geben. Nur mittels konkreter, staatsunabhängiger Selbstverwaltung kann sich ein freies Geistesleben "realisieren".

Es ist deswegen auch nicht richtig, von der Idee der sozialen Dreigliederung lediglich als von einem "Urbild" zu sprechen, mittels dessen man soziale Wahrnehmungen hat. Da findet man dann überall dreigegliedertes soziales Geschehen. Die drei Aspekte lassen sich überall aufsuchen, ohne daß dadurch etwas am sozialen Organismus bereits gebessert wäre. Das Urbild der sozialen Dreigliederung ist nur ein wahres, wenn es in der konkreten, praktischen Realisierung "lebt". Das Urbild, die Urgedanken müssen im konkreten-praktischen Leben zur Geltung kommen, sich ausleben können. Wenn das nicht der Fall ist, dann handelt es sich um den von Rudolf Steiner kritisierten Zustand eines bloß ideologischen Geisteslebens, das keine Kraft zur Umgestaltung, zur Herstellung oder Wiederherstellung von Ebenbildlichkeit im sozialen Leben hat.

„... daß von einem unwirklichen Denken ausgegangen wird. Daß geglaubt wird, die Menschen könnten in einer Gemeinschaft nur eine Einheit des Lebens erzeugen, wenn diese Einheit durch Anordnung erst in die Gemeinschaft hineingetragen wird. Doch das Umgekehrte wird von der Lebenswirklichkeit verlangt. Die Einheit muß als das Ergebnis entstehen; die von verschiedenen Richtungen her zusammenströmenden Betätigungen müssen zuletzt eine Einheit bewirken. Dieser wirklichkeitsgemäßen Idee lief die Entwickelung der letzten Zeit zuwider.“ (Lit.:GA 23, S. 121)

„In der Lebenshaltung des einzelnen Menschen fließen die Wirkungen aus den Rechtseinrichtungen mit denen aus der rein wirtschaftlichen Tätigkeit zusammen. Im gesunden sozialen Organismus müssen sie aus zwei verschiedenen Richtungen kommen.“ (Lit.:GA 23, S. 73)

Ursache der Notwendigkeit von Dreigliederung: Gewandelte Seelenkonstitution des Menschen

„In der Gegenwart dieser Entwickelung steht man vor der Notwendigkeit, diese Gliederung durch zielbewußtes soziales Wollen zu erstreben.“ (Lit.:GA 23, S. 26 ; [Gliederung: Dreigliederung])

(Ursache: Wandlung der Seelenkonstitution (s. Gemischter König).

„Die neuere Zeit fordert ein bewußtes Sichhineinstellen des Menschen in den Gesellschaftsorganismus. Dieses Bewußtsein kann dem Verhalten und dem ganzen Leben der Menschen nur dann eine gesunde Gestaltung geben, wenn es von drei Seiten her orientiert ist. Nach dieser Orientierung strebt in den unbewußten Tiefen des Seelischen die moderne Menschheit;“ (Lit.:GA 23, S. 87)

(Dazu stellt sich die Frage, ob die veränderte Seelenkonstitution des modernen Menschen (das Auseinanderfallen, die Verselbständigung von Denken, Fühlen, und Wollen, die dann durch das Ich wieder bewußt harmonisiert werden müssen), Auswirkungen im Gebiet der Urgedanken hat.)

„Denn es handelt sich nicht um ein Programm, das man ausführen oder unterlassen kann, sondern es handelt sich darum, daß das erkannt werden muß, was sich verwirklichen will, und was der Mensch deshalb verwirklichen muß, weil es in seinen notwendigen geschichtlichen Wachstumskräften für die Gegenwart und die nächste Zukunft liegt.“ (Lit.:GA 328, S. 43f.)

„Man sieht nicht, wie der Mensch zu jedem der drei Glieder ein besonderes Verhältnis hat, das in seiner Eigenart nur entfaltet werden kann, wenn im wirklichen Leben ein für sich bestehender Boden vorhanden ist, auf dem sich, abgesondert von den beiden andern, dieses Verhältnis ausgestalten kann, um mit ihnen zusammenzuwirken.“ (Lit.:GA 23, S. 122)

„Die Menschen werden weder in Klassen noch in Stände sozial eingegliedert sein, sondern der soziale Organismus selbst wird gegliedert sein. Der Mensch aber wird gerade dadurch wahrhaft Mensch sein können. Denn die Gliederung wird eine solche sein, daß er mit seinem Leben in jedem der drei Glieder wurzeln wird.“ (Lit.:GA 23, S. 140)

Vergleiche mit dem menschlichen Organismus

„In meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage» ist der Vergleich des sozialen Organismus mit dem natürlichen menschlichen wohl herangezogen; zugleich aber darauf aufmerksam gemacht, wie irreführend es ist, wenn man glaubt, Anschauungen, die man an dem einen gewonnen hat, auf den andern ohne weiteres übertragen zu können. Wer die Wirksamkeit der Zelle oder eines Organes im menschlichen Leibe nach den Ansichten der Naturwissenschaft ins Auge faßt und dann nach der «sozialen Zelle» oder den «sozialen Organen» sucht, um den Bau und die Lebensbedingungen des «sozialen Organismus» kennenzulernen, der wird nur allzuleicht in ein wesenloses Analogiespiel verfallen.

Anders liegt die Sache, wenn man, wie es in den «Kernpunkten» geschehen ist, darauf hinweist, daß an einer gesunden Betrachtung des menschlichen Organismus man sein Denken so erziehen kann, wie man es braucht für eine wirklichkeitsgemäße Auffassung des sozialen Lebens. Man wird durch eine solche Erziehung sich dazu befähigen, die sozialen Tatsachen nicht nach vorgefaßten Meinungen, sondern nach ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit beurteilen zu lernen.“ (Lit.:GA 24, S. 99)

„Wenn man einfach die Gesetze, die man glaubt für den natürlichen Organismus erkannt zu haben, auf den sozialen übertragen zu können [glaubt], so beweist man nur, daß man nicht in der Lage ist, den sozialen Organismus aus seinen eigenen Lebensnotwendigkeiten heraus anzuschauen.“ (Lit.:GA 328, S. 180, aus Notizen)

„Die hier gemeinte Gliederung ist nicht eine solche nach räumlich abgrenzbaren Leibesgliedern, sondern eine solche nach Tätigkeiten (Funktionen) des Organismus. «Kopforganismus» ist nur zu gebrauchen, wenn man sich bewußt ist, daß im Kopfe in erster Linie das Nerven-Sinnesleben zentralisiert ist. Doch ist natürlich im Kopfe auch die rhythmische und die Stoffwechseltätigkeit vorhanden, wie in den andern Leibesgliedern die Nerven- Sinnestätigkeit vorhanden ist. Trotzdem sind die drei Arten der Tätigkeit ihrer Wesenheit nach streng voneinander geschieden.“ (Lit.:GA 23, S. 57 (Fußnote))

„(...) Betrachtung des menschlichen Organismus (...), welche durchschaut, wie diese drei Glieder - Kopfsystem, Zirkulationssystem oder Brustsystem und Stoffwechselsystem - dadurch den Gesamtvorgang im menschlichen Organismus aufrechterhalten, daß sie in einer gewissen Selbständigkeit wirken, daß nicht eine absolute Zentralisation des menschlichen Organismus vorliegt, daß auch jedes dieser Systeme ein besonderes, für sich bestehendes Verhältnis zur Außenwelt hat. Das Kopfsystem durch die Sinne, das Zirkulationssystem oder rhythmische System durch die Atmung, und das Stoffwechselsystem durch die Ernährungs- und Bewegungsorgane.“ (Lit.:GA 23, S. 58)

„Das Ganze des menschlichen Organismus beruht darauf, daß jedes solche Systemleben in sich abgeschlossen ist, und daß sie dann wiederum zusammenwirken.“ (Lit.:GA 328, S. 36)

„Geradeso wie der menschliche Organismus jedes seiner Systeme durch besondere Organe der Außenwelt zuwendet, so kann auch nur der Staat, wenn ich nun diesen Gesamtausdruck gebrauchen darf, als sozialer Organismus seine drei Glieder nach außen in Tätigkeit versetzen. Ganz anders stellen sich die Verhältnisse von Einzelstaat zu Einzelstaat heraus, wenn nicht mehr zentralisierte Regierungen und Verwaltungen miteinander in Beziehung treten, sondern wenn von dem einen sozialen Gebilde die Vertreter des geistigen Lebens mit den Vertretern des geistigen Lebens des anderen sozialen Staatsgebildes in Beziehung treten, wiederum die Vertreter des Wirtschaftsgebietes, des politischen Gebietes, mit der entsprechenden Vertretung der anderen.“ (Lit.:GA 328, S. 44)

„Es kommt mir wahrhaftig nicht darauf an, wie man den Wirtschaftsorganismus, wie man den Staatsorganismus definiert, wie man über sie denke, sondern darauf kommt es mir an, daß diese zwei Glieder nebeneinander da sein müssen, und das eine sich relativ selbständig entwickeln muß, sogar die Veranlagung seiner Schäden aus sich heraus entwickeln muß, daß das andere System daneben sich entwickeln muß und paralysieren muß das, was sich sonst als Schäden ergeben würde im anderen System. Das ist das Wesen des Lebendigen; das muß auch das Wesen des lebendigen sozialen Organismus sein“ (Lit.:GA 328, S. 84f.)

Konkrete, herzustellende Gestalt des sozialen Organismus

„Der notwendige Verkehr zwischen den Leitungen des Rechts- und Wirtschaftskörpers wird erfolgen annähernd wie gegenwärtig der zwischen den Regierungen souveräner Staatsgebiete.“ (Lit.:GA 23, S. 70)

„Wie das Wirtschaftsleben auf der einen Seite den Bedingungen der Naturgrundlage (Klima, geographische Beschaffenheit des Gebietes, Vorhandensein von Bodenschätzen und so weiter) unterworfen ist, so ist es auf der andern Seite von den Rechtsverhältnissen abhängig, welche der Staat zwischen den wirtschaftenden Menschen und Menschengruppen schafft. Damit sind die Grenzen dessen bezeichnet, was die Tätigkeit des Wirtschaftslebens umfassen kann und soll. Wie die Natur Vorbedingungen schafft, die außerhalb des Wirtschaftskreises liegen und die der wirtschaftende Mensch hinnehmen muß als etwas Gegebenes, auf das er erst seine Wirtschaft aufbauen kann, so soll alles, was im Wirtschaftsbereich ein Rechtsverhältnis begründet von Mensch zu Mensch, im gesunden sozialen Organismus durch den Rechtsstaat seine Regelung erfahren, der wie die Naturgrundlage als etwas dem Wirtschaftsleben selbständig Gegenüberstehendes sich entfaltet.“ (Lit.:GA 23, S. 70)

„Die Gliederung, von der ich hier sprach, die gliedert nicht die Menschen, die gliedert den sozialen Organismus; die gliedert diesen sozialen Organismus so, daß unter Umständen ein Mensch in allen drei Gliedern drinnen sein kann, das Entsprechende tun kann, aber dadurch, daß der soziale Organismus gegliedert ist, ist er nicht in der Lage, irgendwie schädlich von dem einen Gliede in das andere hineinzuwirken, nicht einmal dann, wenn, wie es in modernen Parlamenten vielfach geschehen ist, derselbe Mensch meinetwillen als Landwirt zugleich in einer staatlichen Partei drinnensteht. Heute ist es noch möglich, daß er durch irgendwelche Assoziationen eine Interessenvertretung inauguriert, daß in das Rechtsleben hinein eine wirtschaftliche Interessenvertretung kommt. Ich habe das letzte Mal ein Beispiel angeführt, wo ein ganzer Staat in seinem Rechtsleben von einer solchen Interessenvertretung durchsetzt wurde. Das wird ausgeschlossen. Aber was ich als dreigliederig bezeichne im gesunden sozialen Organismus, das ist der vom Menschen abgesonderte soziale Organismus. Der Mensch wird gerade dadurch selbständig, wird gerade dadurch entkleidet des Charakters eines Sklaven des sozialen Organismus, daß nicht Menschenklassen, Menschenschichten als Glieder dastehen, sondern daß der soziale Organismus selber gegliedert wird.“ (Lit.:GA 328, S. 95)

(Hervorgehoben ist hier die Bedeutung institutioneller Einrichtung, die konkrete, organhafte Beziehungsgestaltung zwischen den drei Gliedern, durch die offenbar korruptive Verhältnisse ausgeschlossen sein werden. Es genügt also keineswegs, drei Sphären Wirtschaft, Politik und Kultur zu unterscheiden. Es bedarf einer konkreten Beziehungsgestaltung, die die Relativität, den Austausch und das Zusammenspiel zwischen den drei Gliedern des sozialen Organismus regelt, im Innenverhältnis, und, soweit es um das Zusammenspiel mehrerer sozialer Organismen (international) geht, auch im Außenverhältnis.)

(Von einer "Absonderung" ist auch im folgenden Zitat die Rede. Hat der soziale Organismus vom Menschen unabhängiges Leben?)

„Dreigeteilt wird der vom Menschen abgesonderte, seinen Lebensboden bildende soziale Organismus sein; jeder Mensch als solcher wird ein Verbindendes der drei Glieder sein.“ (Lit.:GA 23, S. 140)

„Man wird den sozialen Organismus haben, in dem - wenn ich mich jetzt nach den Gewohnheiten der Zeit ausdrücken darf- nun drei Klassen, drei Gebiete sind, jedes mit eigener Gesetzgebung und eigener Verwaltung. Sie stehen zueinander, ich möchte sagen, als souveräne Staaten, wenn sie sich auch durchdringen; sie rechnen miteinander.“ (Lit.:GA 328, S. 122)

„Es handelt sich also ... darum, daß ... der soziale Organismus selber nach seinen Gesetzen geordnet wird. Das ist der durchgreifende Unterschied. Früher hat man Menschen gegliedert. Nun soll, der Denkweise unserer Zeit entsprechend, der soziale Organismus selbst gegliedert werden, damit der Mensch hinschauen kann auf dasjenige, worin er drinnen lebt, um je nach seinen Bedürfnissen, nach seinen Verhältnissen und Fähigkeiten in dem einen oder in dem anderen Gliede tätig sein zu können. Es wird zum Beispiel ganz gut möglich sein, daß in der Zukunft ein Mensch, der im Wirtschaftsleben tätig ist, zu gleicher Zeit Abgeordneter ist auf dem Gebiet des rein politischen Staates. Er wird aber dann ganz selbstverständlich seine wirtschaftlichen Interessen in einer anderen Weise geltend machen müssen, als er geltend machen kann dasjenige, was allein in Betracht kommt auf dem Gebiete des Rechtsstaates. Diese drei Glieder werden selber sorgen für die Abgrenzung ihrer Territorien. Es wird nicht alles durcheinanderkonfundiert werden, daß sich das eine in das andere hineinmischt.“ (Lit.:GA 328, S. 133)

(Auch in dieser Passage ist angedeutet, daß die Institutionen korruptive Verhaltensweisen unterbinden (können sollen). Auch wird deutlich gesagt, daß die drei Glieder Gebiete sind, in denen man sich beruflich betätigen kann, also in Einrichtungen, die jeweils zu einem der Bereiche Kultur, Politik oder Wirtschaft gehören - dies an die Adresse der Schmundtianer. Schulen, Krankenhäuser und Staatsbehörden produzieren nicht im wirtschaftlichen Sinne.)

„Im Wirtschaftsprozeß muß jede Ware in die Möglichkeit versetzt sein, an Wert mit einer anderen Ware verglichen zu werden. Die Vergleichbarkeit ist die Grundbedingung für das Ware-Sein von etwas. Menschliche Arbeitskraft aber kann niemals mit irgendeinem Warenprodukte in bezug auf den Wert verglichen werden.“ (Lit.:GA 328, S. 143)

(Solche Vergleichbarkeit gibt es bei pädagogischen oder künstlerischen Leistungen nicht. Ein kunsttherapeutisches Institut produziert keine Waren und gehört dem Geistesleben an.)

„Nach Verstaatlichung strebt man, weil man glaubt, daß ein einziger sozialer Organismus alles übernehmen könne.“ (Lit.:GA 328, S. 22)

(Diese Formulierung legt nahe, daß die drei Glieder des sozialen Organismus je für sich selbst auch soziale Organismen sind. Es ist auch insofern nicht gerechtfertigt, von "Sub"systemen des sozialen Gesamtorganismus zu sprechen. Die drei Glieder des sozialen Organismus sind nicht zentralisiert, sie können daher keine "Sub"-Systeme sein.)

„Und dieses Leben der Geisteskultur, dieses Leben des Geistes im sozialen Organismus, das hat nun nicht Gesetze, die sich analog denken lassen den Gesetzen der menschlichen Begabungen, den Gesetzen des menschlichen Sinnes- und Nervenlebens, sondern das, was geistiges Leben im sozialen Organismus ist, das hat Gesetze, die sich nur vergleichen lassen mit den Gesetzen des menschlichen gröbsten Systems, des Stoffwechselsystems.“ (Lit.:GA 328, S. 30)

(In den Kernpunkten heißt es dazu, daß Wirtschaft und Geistesleben sich ihre Gesetze selbst geben, die Korporationen des Geisteslebens und die Assoziationen des Wirtschaftsleben wirken als "Gesetzgeber". Dabei wird es sich nicht um rechtliche Gesetze, sondern selbstgegebene Ordnungen handeln, die in bestimmtem Verhältnis zu den Selbstverwaltungen stehen im Sinne von "Verfassung". Dabei sollen diese selbst zu schaffenden Gesetze, bzw. ihre dem "gesunden" Organismus gemäße Reproduktion und Wandlung, im Geistesleben und im Wirtschaftsleben nicht einer demokratischen Legitimation bedürfen.)

Die drei Systeme haben jeweils ein besonderes Außenverhältnis, (wie das rhythmische System über die Lunge ein Außenverhältnis zur Luft hat). Die Wirtschaft hat ein Außenverhältnis zur Natur, das Rechtsleben hat ein Außenverhälnis zum "rein Menschlichen", das Geistesleben hat ein Außenverhältnis zu den Begabungen, Fähigkeiten der Individuen. (GA 328, S. 31f.)

„Notwendig ist, daß ebenso, wie das Zirkulationssystem seine eigene Lunge, wie das Nerven-Sinnessystem sein eigenes Gehirnsystem hat, daß ein eigener Verwaltungsorganismus, ein selbständiger Verwaltungs-, ein selbständiger Vertretungsorganismus, also Partei- oder sonstige Vertretung, vorhanden ist je für das Wirtschaftsleben, für das politische Leben oder das öffentliche Rechtsleben, und für das dritte Gebiet, wiederum selbständig, für das geistige Leben.“ (Lit.:GA 328, S. 36)

Das läßt sich dahingehend interpretieren, daß die jeweiligen Körperschaften, Selbstverwaltungen, die Organe für die Außenbeziehungen der drei Glieder des sozialen Organismus sind. Zu regeln ist allerdings auch ein Innenverhältnis. Die Wirtschaft hat ein Verhältnis zur Natur und zum Rechtsleben/Staat. An den beiden Schnittstellten sitzen "Organe".

„Diese drei Gebiete haben in sich eine gewisse Souveränität im gesunden sozialen Organismus und verhandeln untereinander durch ihre selbständigen Vertreter, um dadurch jenes gegenseitige Verhältnis herzustellen zwischen den drei Gliedern des sozialen Organismus.“ (Lit.:GA 328, S. 36)

„Eine Gliederung des sozialen Organismus in der Art, daß in ihm ein sich selbst verwaltendes Geistesleben zur Entfaltung kommt, wird nicht die lebendige Einheit dieses Organismus zerstören, sondern, im Gegenteil, erst recht begründen. Gegliedert wird nur die Verwaltung; in dem Leben des Menschen wird die Einheit zur Entwickelung kommen können.“ (Lit.:GA 24, S. 208)

Diese Unterscheidung zwischen einer gegliederten Verwaltung, und einem einheitlichen sozialen Organismus, der nicht gegliedert ist, bedarf einiger Aufmerksamkeit. Ist das nicht widersprüchlich zu anderen Aussagen?

Zudem wird einerseits betont, daß die Einheit sich in jedem einzelnen Menschen herstelle und dadurch gewährleistet sei, andererseits wird aber auch für erforderlich gehalten, daß die Zentralverwaltungen der drei Glieder in gegenseitige Beziehung treten, wohl auch in organhafter Art. Ja, Rudolf Steiner schlägt sogar vor, daß es eine Gesamtkörperschaft geben solle:

„Die drei Glieder sollen nicht in einer abstrakten, theoretischen Reichstags- oder sonstigen Einheit zusammengefügt und zentralisiert sein. Sie sollen lebendige Wirklichkeit sein. Ein jedes der drei sozialen Glieder soll in sich zentralisiert sein; und durch ihr lebendiges Nebeneinander- und Zusammenwirken kann erst die Einheit des sozialen Gesamtorganismus entstehen.“ (Lit.:GA 23, S. 88)

„Der Zusammenschluß der drei Glieder durch eine Gesamtkörperschaft, die aus den Delegierten der drei Zentralverwaltungen und Zentralvertretungen sich ergibt, wird die denkbar größte Gewähr dafür bieten, daß nicht das eine Gebiet durch das andere vergewaltigt werde.“ (Lit.:GA 24, S. 218)

Abgesehen von der Frage, ob dieser Vorschlag einer Gesamtkörperschaft ("runder Tisch?") möglicherweise ein Zugeständnis an die Ängstlichkeit derjenigen politischen Verantwortungsträger damals darstellte, an die sich Rudolf Steiner mit seinem Gestaltungsvorschlag zunächst richtete, nämlich an deren antizipierte Befürchtung, der soziale Organismus würde durch die Dreigliederung auseinander fallen, nicht genug Zusammenhalt haben, ist doch die Differenzierung zwischen einem dreigegliederten Organismus in Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben, und einer Dreigliederung der den Gliedern zugeordneten Verwaltungen: Korporationen des Geisteslebens, Assoziationen des Wirtschaftslebens, und politische Vertretung und Administration, auffällig.

Dieser Unterschied hat möglicherweise auch bisher zu wenig Beachtung gefunden, gerade bei Vertretern einer "funktionellen" Dreigliederung. Die funktionelle Dreigliederung in die Bereiche Wirtschaft, Politik und Kultur ist heute im allgemeinen Bewußtsein gut sichtbar, die drei "Sphären" werden auseinandergehalten. Ist damit der Idee der sozialen Dreigliederung schon Genüge getan?

Es handelt sich dabei zunächst nur um den einen Aspekt, den Rudolf Steiner so formuliert hat:

„Das Wirtschaftsleben hat einfach durch sich selbst in der neueren Zeit ganz bestimmte Formen angenommen. Es hat durch eine einseitige Wirksamkeit in das menschliche Leben sich besonders machtvoll hereingestellt. Die andern beiden Glieder des sozialen Lebens sind bisher nicht in der Lage gewesen, mit derselben Selbstverständlichkeit sich in der richtigen Weise nach ihren eigenen Gesetzen in den sozialen Organismus einzugliedern. Für sie ist es notwendig, daß der Mensch aus den oben angedeuteten Empfindungen heraus die soziale Gliederung vornimmt, jeder an seinem Orte; an dem Orte, an dem er gerade steht. Denn im Sinne derjenigen Lösungsversuche der sozialen Fragen, die hier gemeint sind, hat jeder einzelne Mensch seine soziale Aufgabe in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft.“ (Lit.:GA 23, S. 64f.)

„Man muß dieses im Leben empfindend unterscheiden, damit sich als Folge dieser Empfindung das Wirtschafts- von dem Rechtsleben scheidet, wie im menschlichen natürlichen Organismus die Tätigkeit der Lunge zur Verarbeitung der äußeren Luft sich abscheidet von den Vorgängen im Nerven-Sinnesleben.“ (Lit.:GA 23, S. 62)

Die angeführten "Empfindungen" beziehen sich auf die Wahrnehmung unterschiedlicher Sphären, verschiedener Sinnhorizonte und einem entsprechenden "passenden" Verhalten. Es ist damit zunächst nur eine bewußtseinsmäßige Gliederung verbunden. Im Falle von Korruption liegt ein Fehlverhalten vor. Dies nimmt man wahr, ohne daß dadurch auch die Korruption schon aufgehoben wäre. Trotz der Wahrnehmung unterschiedlicher Sphären kann die erforderliche Gliederung im Sinne von richtiger getrennter Selbständigkeit fehlen. Und so ist es ja heute auch weiterhin. Man darf also die Forderung nach der konkret-verwaltungsmäßigen Gliederung, die die richtige Trennung der drei Glieder und deren Zusammenspiel gewährleisten soll, nicht unterschätzen. Eine gegebene Trennung und auch Einheit der drei Sphären im Bewußtsein des Menschen genügt für sich alleine nicht. Die Menschen müssen auch entsprechend handeln, und das heißt, entsprechend handeln können, sowie auch erwarten können, daß andere sich ebenso verhalten können und werden. Damit Dreigliederung funktioniert, müssen entsprechende Einrichtungen da sein, d.h. es muß Selbstverwaltung der Wirtschaft und des Geisteslebens unabhängig von staatlichen Vorschriften geben. Nur mittels konkreter, staatsunabhängiger Selbstverwaltung kann sich ein freies Geistesleben "realisieren".

Es ist deswegen auch nicht richtig, von der Idee der sozialen Dreigliederung lediglich als von einem "Urbild" zu sprechen, mittels dessen man soziale Wahrnehmungen hat. Da findet man dann überall dreigegliedertes soziales Geschehen. Die drei Aspekte lassen sich überall aufsuchen, ohne daß dadurch etwas am sozialen Organismus bereits gebessert wäre. Das Urbild der sozialen Dreigliederung ist nur ein wahres, wenn es in der konkreten, praktischen Realisierung "lebt". Das Urbild, die Urgedanken müssen im konkreten-praktischen Leben zur Geltung kommen, sich ausleben können. Wenn das nicht der Fall ist, dann handelt es sich um den von Rudolf Steiner kritisierten Zustand eines bloß ideologischen Geisteslebens, das keine Kraft zur Umgestaltung, zur Herstellung oder Wiederherstellung von Ebenbildlichkeit im sozialen Leben hat.

„Erst dann, wenn man diese drei Glieder relativ selbständig nebeneinander hat, wenn man ein selbständiges geistiges Glied, ein selbständiges Rechtssystemglied, eigentliches Staatsleben, und ein selbständiges Wirtschaftsleben hat und diese Glieder mit relativer Selbständigkeit nebeneinander wirken, wenn jedes dieser Glieder aus seinen eigenen Grundlagen heraus seinen Vertretungskörper, seinen Verwaltungskörper hat, sagen wir, seinen Reichstag, seinen Bundestag, sein Ministerium hat und die einzelnen Glieder fast so souverän zueinander stehen wie Einzelstaaten, nur durch Delegierte zueinander verhandeln, erst dann wird der soziale Organismus wirklich gesund.“ (Lit.:GA 328, S. 69)

„Die Vertretungen der einzelnen Glieder müssen sorgsam wachen können über ihre Selbständigkeit.“ (Lit.:GA 328, S. 181, aus Notizen)

„Ein solches Verhältnis der Arbeit zur Rechtsordnung wird die im Wirtschaftsleben tätigen Assoziationen nötigen, mit dem, was «rechtens ist» als mit einer Voraussetzung zu rechnen. Doch wird dadurch erreicht, daß die Wirtschaftsorganisation vom Menschen, nicht der Mensch von der Wirtschaftsordnung abhängig ist.“ (Lit.:GA 23, S. 79 (Fußnote))

Zur Frage der Finanzierung des Geisteslebens

„[Es ist] notwendig ..., ein soziales Gefühl dafür zu entwickeln, wie das geistige Leben, der ganze Betrieb des geistigen Lebens im sozialen Organismus so drinnenstehen muß, daß er gerechtfertigt ist durch die allgemeinen Interessen der Menschheit.“ (Lit.:GA 328, S. 63)

Rudolf Steiner bringt dazu das Beispiel einer Promotion eines Studierenden über das Thema: Schimpfwörter eines antiken Autors. Während der Zeit, wo der Student an der überflüssigen Bearbeitung eines solchen Themas sitze, müßten andere für seinen Lebensunterhalt sorgen. Das Beispiel ist insofern völlig verfehlt, weil es bei solcher Promotion nicht um Nützlichkeit für die Gesellschaft geht, sondern um das Erlangen der Befähigung zur wissenschaftlichen Arbeit, und allenfalls um einen internen Beitrag zum Fortschritt der Wissenschaft.

Zudem kann in vielen Fällen es eine Würdigung von Leistungen des Geisteslebens im Voraus gar nicht geben. Soll die Berechtigung eines Malers, Bilder zu malen, davon abhängig gemacht sein, daß diese Bilder Anerkennung finden? In sehr vielen Fällen wird eine Beurteilungsmöglichkeit dafür gar nicht vorhanden sein. Auch daß die kreativ Schaffenden sich gegenseitig Konkurrenz machen sollen, und das rezipierende Publikum dann entscheiden soll nach dem eigenen Urteilsvermögen, was nun Wert für die Gesellschaft hat - und nur das wird dann auch finanziert - , ist weit ab von einem praktikablen Geistesleben, in dem sich kreatives Schaffen ohne finanzielle Manipulation frei entfalten kann.

Es kann viele Jahrzehnte dauern, bis ein Werk zur Würdigung durch die Gesellschaft kommt. Anderes, das sich im Rahmen der aktuellen Mode zur Anerkennung bringen kann, erweist sich in späteren Jahren als wertlos. Zu dem Thema ist fraglich, ob würde die Methode des freien Spendenwesens für das freie Geistesleben funktionieren können, wo doch die Geldgeber oft gar nicht das Urteilsvermögen darüber haben, was wissenschaftlichen oder künstlerischen Wert hat. Noch nicht einmal innerhalb des Geisteslebens selbst gibt es die Möglichkeit, sich gegenseitig die jeweiligen Leistungen zu bewerten, und zu entscheiden, wer weiter kreativ tätig sein darf, und wer besser es läßt und in die Politik oder Wirtschaft geht, um sich dort zu betätigen. In vielem muß das Urteil der Nachwelt überlassen bleiben. Es muß eine generelle Finanzierung geben auch für diejenigen, die sich um einen Beitrag auf dem Gebiet der Kunst oder Wissenschaft bemühen, auch wenn letztlich nicht viel dabei heraus kommt. Nur insgesamt ist es natürlich richtig, daß die Wissenschaft oder Kunst einen Beitrag leisten muß für die Gesellschaft. Das ist aber wiederum so selbstverständlich, daß es keiner Diskussion bedarf. Eine Gießkannenfinanzierung des Geisteslebens ist durchaus richtig: Man weiß ja noch gar nicht, welches Pflänzlein sich gut entwickelt, und welches nicht. Die Finanzierung muß im Voraus geschehen. Deswegen mag wohl eine Leistungskonkurrenz unter kreativ Schaffenden um der Sache selbst willen wertvoll sein, aber doch nicht als Selektionsinstrument von der Finanzierungsseite aus. Damit hätte man dann ja die Abhängigkeit von der Wirtschaft oder vom Staat nur auf andere Art weiter fortgeführt.

„Das, was geistiges Leben ist, muß mit einer relativen Selbständigkeit dastehen, muß nicht nur auf die innere Freiheit des Menschen gestellt sein, sondern es muß so innerhalb des sozialen Organismus dieses geistige Leben stehen, daß es auch in völlig freie Konkurrenz gestellt ist, daß es auf keinem Staatsmonopol beruht, daß dasjenige, was das geistige Leben als Geltung sich verschafft bei den Menschen - was es für den einzelnen individuellen Menschen für eine Geltung hat, das ist eine andere Sache, wir reden von der Gestaltung des sozialen Organismus -, daß das auf völlig freier Konkurrenz, auf völlig freiem Entgegenkommen den Bedürfnissen der Allgemeinheit einzig und allein sich offenbaren kann. Mag irgend jemand in seiner Freizeit dichten, so viel er will, mag er auch Freunde finden für diese Dichtung, so viel er will- das, was berechtigt ist im geistigen Leben, ist allein das, was die anderen Menschen miterleben wollen mit der einzelnen menschlichen Individualität.“ (Lit.:GA 328, S. 63)

Das ist ganz unpraktisch gedacht und völlig an einer möglichen Realität vorbei, weil unterstellt wird, es könne immer eine Gleichzeitigkeit von kreativer Produktion und ihrer Würdigung geben. Solche Gleichzeitigkeit gibt es nur in den wenigsten Fällen. Würde man dies so praktizieren, würden kreativ Schaffende mit guter Reputation die ihnen nötige Finanzierung weiter erlangen, während andere Leistungsbereite ohne Reputation ihre Projektvorhaben nicht finanziert erhalten. Diese Projekte werden dann auch nicht in die Welt kommen, und niemals wird man erfahren, welch einen Wert sie für die Gesellschaft hätten gewinnen können.

Man wird also, zumindest zu einem guten Teil, das freie Geistesleben "auf gut Glück" finanzieren müssen. Genauso wird ja auch jedes Kind nach Möglichkeit gefördert, unabhängig davon, ob es später im Leben ein nützliches Gemeinschaftsmitglied sein wird oder nicht. Viele Menschen bringen es zu Wenigem im Leben, andere leisten dafür umso mehr. Im Geistesleben kann dem nicht eine entsprechende knappe oder reiche Finanzierung korrespondieren. Dadurch würde man die kreative Produktion mit finanziellen Mitteln steuern, also das freie Geistesleben unfrei machen, und tendentiell abwürgen. Die diesbezüglichen Ansichten Steiners widersprechen sich auch in merkwürdiger Weise damit, daß das freie Geistesleben durch Schenkungsgeld erhalten werden soll. Schenkungen kann man nicht mit zu erwartenden Gegenleistungen verrechnen.

Wenn ein Lehrer mit seinem Beruf nicht klar zu kommen scheint, pädagogisch überfordert zu sein scheint, soll man ihn dann mit finanziellem Druck dazu bringen, einen Bürojob anzutreten? Das geht nicht einfach so, und man kann auch nicht wissen, was seinen größeren oder geringern Wert für die Kinder ausmacht, im Vergleich zu anderen Lehrern, zumindest für die Zukunft nicht. Es ist schon merkwürdig, daß Rudolf Steiner meint, daß in diesen Hinsichten die im Geistesleben beschäftigten miteinander konkurrieren sollten unter dem Aspekt, wer bei knappen Mitteln finanziert werden soll. Wo sollen denn die Urteilsgrundlagen herkommen, wenn solch ein Lehrer von Lowperformer diese nicht selbst in sich selber trägt, d.h. selbst am besten wissen kann, ob die pädagogische Tätigkeit für ihn das Richtige ist oder nicht.

„Dieses wirkliche Geistige muß in der Menschenseele in dem Lichte der Freiheit und der freien Konkurrenz geboren werden, dann lebt es sich in der richtigen Weise in den sozialen Organismus hinein. Dann darf es aber auch nicht, und das ist wichtig, unter irgendeinem Aufsichtsrecht irgendeines anderen Gliedes des sozialen Organismus stehen, dann muß es in völliger Freiheit, nur herausgefordert durch die allgemeinen Bedürfnisse, sich offenbaren können.“ (Lit.:GA 328, S. 64)

Unter Außerachtlassung der kritisierten Vermengung mit Finanzierungsfragen, kommt das ansonsten Gemeinte in dieser Passage gut zum Ausdruck: Die Kreativität soll sich auf einen Mangel richten, auf ein allgemeines Bedürfnis. Das ist verständlich, weil das freie Geistesleben dasjenige Teilgebiet ist, von dem die Versorgung, die "Ernährung" des sozialen Organismus ausgeht. Kreative Produktion ist Nahrung für die Gesellschaft, wie für den Menschen die Aufnahme von Feldfrüchten in den Magen. Den entsprechenden Bedürfnissen an Behebung solcher Mängel an Zufuhr von geistiger Leistung muß das freie Geistesleben aufs Ganze gesehen gerecht werden können, wozu auch die Leistungskonkurrenz unter den Kreativen gehören mag. Inwieweit geistige Leistungen und allgemeines Bedürfnis nach solchen unmittelbar korrespondieren müssen und können, hängt doch aber von der besonderen Bedürfnislage ab, worin die konkret besteht, und was an kreativem Potential jeweilig verfügbar ist. Oft wird sich ein Mangel nicht beheben lassen, wo dieser aufzutreten scheint, es aber einen Ausgleich anderswo oder später geben können, auch sogar mit einer ganzen anderen kreativen Leistung. Besteht ein Kunstbedürfnis, und kann leider kein Konzert veranstaltet werden, so entsteht ein Mangel, oder ein bestehender Mangel kann nicht behoben werden. Im nächsten Monat gibt es jedoch eine Gemäldeausstellung, bei der auch eine Musikgruppe auftritt, usw. Diese Bedürfnisse sind oft sehr unspezifisch, es gibt für das Geistesleben viele Wege, ihnen Genüge zu tun. Das gleiche gilt für technische Erfindungen und für organisatorische Leistungen, und sonstige Dienstleistungen, die eine kreative Komponente haben.

Der Forschungsgegenstand "sozialer Organismus"

Visualisierung eines Sozialen Netzwerks: Briefwechsel zwischen Wissenschaftlern.
Visualisierung eines sozialen Netzwerks: „Freund“-Beziehungen zwischen Facebook-Nutzern.

Der soziale Organismus ist nach dem bisherigen so beschaffen, daß es derer viele gibt, in etwa der Zahl der Nationalstaaten entsprechend. So hat jedes Staatsgebiet einen eigenen sozialen Organismus. Diese Konzeption paßt jedoch nicht so recht damit zusammen, daß das Geistesleben internationale Tendenz, und das Wirtschaftsleben räumlich-globale Tendenz hat. Die Vorstellung je eines sozialen Organismus pro Staatsgebiet dient auch dazu, möglich erscheinen zu lassen, daß ein Staat für sich selbst die Dreigliederung einführt, andere jedoch nicht, wodurch eine Inselsituation entsteht. Die damit verbundene Problematik wird von Rudolf Steiner ausführlich diskutiert.

Diese Vorstellung von je einzelnen sozialen Organismen je Staatsgebiet wurde z.B. von Wilhelm Schmundt kritiklos übernommen, mit der Begründung, er selbst habe die sozialen Organismen so "geschaut" (Wahrnehmung des Urbildes).

Dem steht gegenüber die Vorstellung, daß der soziale Organismus ein einziger, globaler sei. Auch dies ist von den Ausführungen Rudolf Steiners angedeutet. Der globale Organismus hat dann jeweils in den territorialen Staatsgebieten eine Art "Bodenkontakt". Steiner spricht von dem staatlichen Rechtsleben als einem "Band", als einer vermittelnden Verbindung zwischen Geistesleben und Wirtschaftsleben. Sieht man den globalen sozialen Organismus als einen einzigen an, so ist er doch gegliedert in unterschiedliche territoriale Rechtsgebiete. Dies betrifft aber eigentlich nur den mittleren Bereich. Der Idee nach verlaufen Grenzen innerhalb des Geistesleben und Wirtschaftslebens, sofern es überhaupt welche gibt, nicht territorial auf den gleichen Linien. Daß die territorialen Staatsgebiete einen Einfluß genommen hatten auf den Verlauf kultureller und wirtschaftsgeographischer Grenzen, ist eine Folge des Einheitsstaatsprinzips. Die Zusammenziehung von sozialen Organismen auf Staatsgebiete, also eine territorial-rechtlich veranlaßte Differenzierung des einen globalen Organismus, ist Ergebnis des Strebens nach Einheitsstaat. Wenn solch ein Einheitsstaat dann in einen dreigegliederten umgewandelt wird, kommt es zu einer Gegenbewegung, nämlich es verändert sich die Abgrenzung zum staatsexternen Gebiet. Während die territorial-rechtliche Grenze bestehen bleibt, ändern sich die kulturellen und wirtschaftlichen Grenzen. Die Interaktionsdichte und Strukturdichte zum kulturellen und wirtschaftlichen "Ausland" nimmt zu bis zu einem Grade, wo sich die Frage stellt, ob noch von einer Grenze zwischen unterscheidbaren sozialen Organismen gesprochen werden kann. Solche Entwicklung ist möglich, da die drei Glieder zueinander relativ selbständig sind. Hinzu kommt die Änderung oder Überwindung von rechtlichen Grenzen, wie in der europäischen Union, oder auch auf unfriedlichem Wege durch Krieg, oder Sezession per Volksentscheid (Ablösung von Schottland von Vereinigten Königreich, und Anschluß an europäische Union?) Auch die strenge rechtlich-territoriale Abgrenzung zwischen sozialen Organismen ist damit fraglich. Als Ergebnis bleibt, daß die sozialen Organismen auf der Erde, will man sie von dem einen sozialen Organismus unterscheiden, lediglich sich wahrnehmen lassen durch eine höhere Struktur- und Interaktionsdichte, die zu den fließenden Grenzen abfällt. Je geringer eine Interaktionsrate und die strukturelle Verflechtung irgendwo ist, desto eher wird man dort eine Grenze zwischen Teilgebieten finden können, entweder politisch-rechtlich, kulturell, oder wirtschaftsgeographisch. Wo jedoch Strukturdichte und Interaktionsaufkommen hoch ist, liegt ein Netzwerk vor. Vor daher stellt sich die Frage, ob der globale soziale Organismus mit seiner inneren, nicht nur territorial-staatlichen Differenzierung mit netzwerk-theoretischen Überlegungen und Wahrnehmungen besser faßlich sein könnte. Netzwerkstrukturen können auch informell sein, sie müssen nicht mit dem übereinstimmen, was Rudolf Steiner als die einzurichtenden Selbstverwaltungen vorgeschlagen hatte.

Siehe auch

Sozialwissenschaften - Artikel in der deutschen Wikipedia

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.
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