Materialismus

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Der Begriff Materialismus (von lat. materia = Stoff; etymologisch verwandt mit lat. mater = Mutter bzw. matrix = Gebärmutter; siehe auch → Materie) bezeichnet eine philosophische Grundrichtung, die - im Gegensatz zum Idealismus - davon ausgeht, dass Gedanken und Ideen Erscheinungsformen der Materie sind und ist eine der 12 grundlegenden Weltanschauungen, von denen Rudolf Steiner spricht. Dieser erkenntnistheoretisch-ontologische Materialismus bildete die Grundlage des von Karl Marx und Friedrich Engels begründeten Dialektischen Materialismus. Umgangssprachlich steht die Bezeichnung Materialismus meist abwertend für eine ethische Lebenshaltung, die einzig auf Besitz und Wohlstand im Rahmen einer reinen Konsumgesellschaft ausgerichtet ist.

Erkenntnistheoretischer Materialismus

Der erkenntnistheoretische Materialismus erklärt die uns umgebende Welt und die in ihr ablaufenden Prozesse ohne spirituelle oder mystische Elemente, die sich dem reproduzierbaren wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn entziehen (beispielsweise ein Schöpfergott).

"Es kann Menschen geben, welche einmal so veranlagt sind, daß es ihnen unmöglich ist, den Weg zum Geiste zu finden. Es wird schwer werden, solchen Menschen das Geistige jemals zu beweisen. Sie bleiben bei dem stehen, wovon sie etwas wissen, wovon etwas zu wissen sie veranlagt sind. Sie bleiben, sagen wir, bei dem stehen, was den grobklotzigsten Eindruck auf sie macht, beim Materiellen. Ein solcher Mensch ist ein Materialist, und seine Weltanschauung ist Materialismus. Man hat nicht nötig, das, was von den Materialisten zur Verteidigung, zum Beweise des Materialismus aufgebracht worden ist, immer töricht zu finden, denn es ist ungeheuer viel Scharfsinniges auf diesem Gebiete geschrieben worden. Was geschrieben worden ist, das gilt zunächst für das materielle Gebiet des Lebens, gilt für die Welt des Materiellen und ihre Gesetze." (Lit.: GA 151, S. 35)

"... die Zeit wird kommen, vielleicht gar nicht in so ferner Zukunft, ... wo man sagen wird: Es ist schon krankhaft beim Menschen, wenn er überhaupt an Geist und Seele denkt. Gesund sind nur diejenigen Menschen, die überhaupt nur vom Leibe reden. - Man wird es als ein Krankheitssymptom ansehen, wenn der Mensch sich so entwickelt, daß er auf den Begriff kommen kann: Es gibt einen Geist oder eine Seele. - Das werden kranke Menschen sein. Und man wird finden - da können Sie ganz sicher sein - das entsprechende Arzneimittel, durch das man wirken wird. Damals schaffte man den Geist ab. Die Seele wird man abschaffen durch ein Arzneimittel. Man wird aus einer «gesunden Anschauung» heraus einen Impfstoff finden, durch den der Organismus so bearbeitet wird in möglichst früher Jugend, möglichst gleich bei der Geburt, daß dieser menschliche Leib nicht zu dem Gedanken kommt: Es gibt eine Seele und einen Geist. - So scharf werden sich die beiden Weltanschauungsströmungen gegenübertreten. Die eine wird nachzudenken haben, wie Begriffe und Vorstellungen auszubilden sind, damit sie der realen Wirklichkeit, der Geist- und Seelenwirklichkeit gewachsen sind. Die andern, die Nachfolger der heutigen Materialisten, werden den Impfstoff suchen, der den Körper «gesund» macht, das heißt so macht, daß dieser Körper durch seine Konstitution nicht mehr von solch albernen Dingen redet wie von Seele und Geist, sondern «gesund» redet von den Kräften, die in Maschinen und Chemie leben, die im Weltennebel Planeten und Sonnen konstituieren. Das wird man durch körperliche Prozeduren herbeiführen. Den materialistischen Medizinern wird man es übergeben, die Seelen auszutreiben aus der Menschheit." (Lit.: GA 177, S. 97f)

Geschichte

Die Ursprünge des Materialismus liegen in der griechischen Naturphilosophie, wichtige Vordenker sind u.a. Thales, Anaxagoras, Parmenides, Epikur, vor allem aber Leukipp und Demokrit, die Begründer der Atomtheorie. Die Naturphilosophen suchten natürliche Erklärungen der Wirklichkeit anstelle der mythologischen. Die Naturphilosophie gilt somit auch als Vorläuferin der modernen Wissenschaft.

Als wichtige Vertreter in der europäischen Aufklärung gelten Denis Diderot und Ludwig Feuerbach.

Ein streng mechanistisches Weltbild entwarf der französische Mathematiker, Physiker und Philosoph Laplace. Er behauptete, durch die Kenntnis des gegenwärtigen Zustands eines jeden Teilchens im Universum ließe sich auf Grundlage der bekannten (und absolut erfassbaren) mechanischen Gesetze der Zustand des Universums zu jedem beliebigen Zeitpunkt in der Zukunft bestimmen. Der Laplacesche Determinismus hat damit gravierende Auswirkungen auf die Naturphilosophie gehabt, da das Universum in diesem Fall nicht nur vorhersehbar, sondern durch seine Anfangsbedingungen bereits vorherbestimmt sei.

Das mechanistische Weltbild, wie es im Laplaceschen Determinismus Ausdruck fand, ist mit der Entwicklung der Quantenmechanik als unzureichend befunden worden, da aufgrund der Heisenbergschen Unschärferelation Ort und Impuls eines Teilchens niemals hinreichend genau bestimmt werden können. Folglich ist auch die Extrapolation des gegenwärtigen Zustands eines jeden Systems nur bedingt möglich.

In der aktuellen wissenschaftlichen und philosophischen Diskussion über die wesentlichen Bestandteile des Universums lässt sich eine Abkehr vom deterministischen Materialismus erkennen, da zum einen immer kleinere, fundamentalere Bestandteile der Materie entdeckt worden sind, ohne zu wissen, ob diese nun wirklich "elementar" sind, (siehe Atom, Atomkern, Proton, Neutron, Quarks), und zum anderen physikalische Prozesse nie vollständig deterministisch sind und oft auch vom Zufall beeinflusst werden.

Zu den bekanntesten materialistischen Philosophen zählen Karl Marx und Friedrich Engels. Sie verbanden den Materialismus mit der Dialektik, und erklären die Wirklichkeit als Prozess der permanenten Wechselwirkung von Geist und Materie (vgl. Dialektischer Materialismus). Weiters sei hier der Anarchist Michail Bakunin erwähnt, der in seinem Werk "Gott und der Staat" versucht, die Frage zu beantworten, ob Idealisten oder Materialisten im Recht sind.

Umgangssprachliche Verwendung des Begriffs

Umgangssprachlich wird der Begriff auch kritisch im Sinne einer Lebenseinstellung verwendet, die hauptsächlich durch Streben nach materiellem Besitz und Wohlstand charakterisiert sei und Glück mit diesem gleichsetze (Komfort). Personalisiert fand sich diese (von Kritikern zugeschriebene) Einstellung in der Figur des Yuppie in den 80ern.

Während des kalten Krieges wetteiferten Kapitalismus und Sozialismus (u.a.) um die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern, wobei der Sozialismus diesen Wettstreit verlor (lange Schlangen, graue Auslagen in Kaufhäusern).

Kritiker im 20. Jahrhundert wie Teile der 68er-Bewegung (Hippies) oder später die Punks wendeten sich im Westen später gegen einen nach dem Wirtschaftswunder verbreiteten vermeintlichen Materialismus, der durch (übermässigen, passiven) Konsum von Waren und Vernachlässigung ideeller Werte (z.B. Altruismus, Spiritualität, Kreativität) gekennzeichnet sei (Überflussgesellschaft).

Aber auch aus religiöser (z.B. christlicher) Sicht wird eine einseitig materialistisch orientierte Lebensauffassung immer wieder in Frage gestellt.

Auch Erich Fromm kritisiert eine rein materialistische Weltauffassung u.a. in seinem Werk "Haben oder Sein".

Der Soziologe Norbert Bolz beschrieb in seinem konsumistischen Manifest seine Wertschätzung einer materialistischen Lebensauffassung (Konsumismus).

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Der menschliche und der kosmische Gedanke, GA 151 (1990), ISBN 3-7274-1510-X pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis, GA 177 (1999), ISBN 3-7274-1771-4 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.


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