Über Entstehen und Vergehen

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Aristoteles-Büste
Die 4 Elemente und ihre 4 grundlegenden Eigenschaften, aus denen sie hervorgehen.

De generatione et corruptione (griech. περὶ γενέσεως καὶ φθορᾶς, peri geneseôs kai phthoras: Über Entstehen und Vergehen) ist eine im 4. Jahrhundert v. Chr. entstandene, naturphilosophische Schrift des Aristoteles, die sich im Rahmen der Aristotelischen Theorie der Bewegung bzw. Veränderung mit dem Entstehen und Vergehen von Einzeldingen und Elementen befasst.

Die Schrift knüpft unmittelbar an De Caelo an und besteht aus zwei Büchern. Buch I analysiert mithilfe der Form-Materie-Unterscheidung Entstehen und Vergehen als eine Veränderung einer Substanz, indem die zugrundeliegende Materie eine Form erhält bzw. verliert. Buch II analysiert die Veränderungsprozesse bei den vier Elementen, die durch Übergänge der Gegensätze warm/kalt (θερμὸν / ψυχρὸν thermòn/psychròn) und feucht/trocken (ὑγρὼν / ξηρὸν hygròn/xeròn) entstehen.[1]

„Wir hingegen behaupten zwar, daß es eine gewisse Materie der wahrnehmbaren Körper gibt, daß diese aber nicht getrennt, sondern stets mit einer Gegensätzlichkeit existiert, aus der die sogenannten Elemente werden.“

Aristoteles: Über Entstehen und Vergehen II,1 329 a [2]

Aristoteles Akt und Potenz-Lehre zufolge sind warm und kalt aktive (formende) Vermögen, feucht und trocken hingegen passive (formbare), die paarweise - die einen wirkend, die anderen erleidend - die Elemente hervorbringen. Die Elemente als grundlegende materielle Erscheinung, gehen also aus miteinander wechselwirkenden Qualia hervor, die die eigentliche Realität darstellen, oder wie es Rudolf Steiner in seine «Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften» formulierte:

„Das sinnenfällige Weltbild ist die Summe sich metamorphosierender Wahrnehmungsinhalte ohne eine zugrunde liegende Materie.“ (Lit.:GA 1, S. 274)

Die gegensätzlichen Qualia, die Aristoteles derart nicht bloß als subjektive Eindrücke, sondern als objektive Realitäten auffasst, die auch Veränderungen bewirken oder erfahren können, werden nach seiner Ansicht durch Berührung mit dem Tastsinn erfasst, der ihm zur Wahrnehmung der physisch-körperlichen Welt, zu der er die Elemente rechnet, geeigneter erscheint als der an sich höhere Sehsinn.

„Da wir die Prinzipien des wahrnehmbaren Körpers suchen, dies aber bedeutet: vom berührbaren, berührbar jedoch das ist, dessen Wahrnehmung Berührung ist, so ist klar, daß nicht alle gegensätzlichen Bestimmtheiten Formen und Prinzipien des Körpers ausmachen, sondern nur die auf Berührung bezogenen; denn gemäß einer Gegensätzlichkeit ergeben sich Unterschiede, d. h. hier: der berührungsbezogenen Gegensätzlichkeit. Deshalb machen weder Weißsein noch Schwärze und weder Süße noch Bitterkeit und ebenso wenig irgendeine andere der wahrnehmbaren Gegensätzlichkeiten ein Element aus. Dennoch ist das Sehen der Berührung vorgeordnet, so daß auch das Zugrundeliegende früher ist. Doch ist es nicht Beschaffenheit eines berührbaren Körpers als eines berührbaren, sondern unter anderer Hinsicht, auch wenn es der Natur nach früher ist.“

Aristoteles: Über Entstehen und Vergehen II,2 329 b [3]

Der Begriff „Tastsinn“ ist dabei sehr weit gefasst; eigentlich müsste man von einer Art „Spürsinn“ sprechen, denn Feuer und Luft kann man zwar nicht im eigentlichen Sinn tasten, wohl aber spüren:

„Gegensätzlichkeiten gemäß der Berührung sind aber folgende: warm – kalt, trocken – naß, schwer – leicht, hart – weich, leimig – spröde, rauh – glatt, dick – dünn. Von ihnen aber sind schwer und leicht nicht wirkungs- und leidensfähig; denn sie werden nicht dadurch begriffen, daß sie etwas anderes bewirken oder von anderem leiden. Doch muß es so sein, daß die Elemente miteinander wirkungs- und leidensfähig sind. Denn sie mischen und verwandeln sich ineinander.

Warmes und Kaltes und Trockenes und Nasses hingegen werden dadurch begriffen, daß sie teils wirkungs-, teils leidensfähig sind: Denn ›warm‹ ist das, was Homogenes zusammenschließt (denn die Trennung, welche, wie man sagt, das Feuer bewirkt, ist ein Zusammenschließen des Gleichartigen – damit einher geht nämlich, daß es das Fremde ausscheidet), ›kalt‹ hingegen ist das Zusammenführende und -schließende gleicher maßen für das Verwandte und das nicht Gleichartige; ›naß‹ dagegen ist das durch eigene Grenze Unbestimmte, doch Geschmeidige für sie; ›trocken‹ das zwar Scharfumrissene durch eigene Grenze, jedoch Ungeschmeidige. Das Dünne und Dicke und Leimige und Spröde und Harte und Weiche und die anderen Unterschiede aber sind aus diesen.“

Aristoteles: Über Entstehen und Vergehen II,2 329 b [4]

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

  • Aristoteles, Carl Prantl (Übers.): Vier Bücher über das Himmelsgebäude. Zwei Bücher über Entstehen und Vergehen, Verlag von Wilhelm Engelmann, Leipzig 1857 pdf (Griechisch/Deutsch)
  • Englische Übersetzung von Harold Henry Joachim, online (von 1922, aber bis heute gerne zitiert)
  • Theodore Scaltsas: Analyse der Argumentation (engl.)

Einzelnachweise

  1. Leo J. Elders: Peri geneseôs kai phthoras, in: Franco Volpi und Julian Nida-Rümelin (Hrsg.): Lexikon der Philosophischen Werke, Stuttgart 1988, S. 503–504
  2. nach der Übersetzung von Thomas Buchheim (2011), S. 95; vgl. auch die Übersetzung von Carl Prantl (1857) S. 437 pdf
  3. Thomas Buchheim (2011), S. 97; Carl Prantl (1857) S. 439 pdf
  4. Thomas Buchheim (2011), S. 97ff; Carl Prantl (1857) S. 439ff pdf


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