Diversität (Soziologie) und Archiv: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Milkau Eingang zu den 'Archive Chambers' im Palast des Assurbanipals 13-2.jpg|mini|hochkant|Eingang zu den „Archivkammern“ im Palast [[Assurbanipal]]s]]
'''Diversität''' ist ein Konzept der [[Soziologie]] und [[Sozialpsychologie]], das im deutschsprachigen Raum analog zum im englischen Sprachraum verwendeten Begriff ''diversity'' für die Unterscheidung und Anerkennung von Gruppen- und individuellen Merkmalen benutzt wird. Häufig wird der Begriff ''Vielfalt'' anstelle von Diversität benutzt. Diversität von Personen – sofern auch rechtlich relevant – wird klassischerweise auf folgenden Ebenen betrachtet: Kultur (Ethnie), Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung, Religion (Weltanschauung).<ref>{{Webarchiv |url=http://www.charta-der-vielfalt.de/de/diversity/diversity-dimensionen.html |text=Archivlink |wayback=20120709025825  }}</ref> Weniger ins Auge fallen eine große Zahl weiterer sozialisationsbedingter und kultureller Unterschiede wie Arbeitsstil, Wahrnehmungsmuster, Dialekt usw., die die [[kulturelle Vielfalt]] weiter erhöhen und kontextabhängig ebenfalls der Aufmerksamkeit und ggf. der sozialen Anerkennung bedürfen.<ref>Barbara Weißbach u.&nbsp;a.: ''Managing Diversity – Konzepte, Fälle, Tools''. 2. Auflage. IUK-Institut, Dortmund 2011, ISBN 978-3-924100-36-0, S. 23.</ref> In diesem soziologischen [[Framing (Sozialwissenschaften)|Framing]] spielt die individuelle Diversität genetisch [[Vererbung (Biologie)|vererbter]] Faktoren eine untergeordnete Rolle zugunsten des Konzepts der [[Kollektive Identität|kollektiven Identitäten]] (engl. ''nature versus nurture'').
[[Datei:Archivschrank.jpg|mini|Zeichnung eines Archivschranks, 16.&nbsp;Jahrhundert]]
Ein '''Archiv''' ([[Latein|lat.]] ''{{lang|la|archivum}}'' ‚Aktenschrank‘; aus [[Altgriechische Sprache|altgr.]] {{lang|grc|ἀρχεῖον}} ''archeíon'' ‚Amtsgebäude‘) ist eine [[Institution]] oder [[w:Organistionseinheit|Organisationseinheit]], in der Archivgut zeitlich unbegrenzt im Rahmen der Zuständigkeit des Archivs oder des jeweiligen Sammlungsschwerpunktes aufbewahrt, benutzbar gemacht und erhalten wird (Archivierung).


== Geschichte ==
== Allgemeines ==
Das Konzept ''Diversität'' hat seinen Ursprung in der [[Bürgerrechtsbewegung]] der USA, die den [[Rassismus]] gegenüber [[Person of color|People of Color]] bekämpfte. Diversität stand damit zunächst für die Herstellung von [[Chancengleichheit]] von Gruppen, die nach bestimmten Merkmalen benachteiligt werden.<ref>Dagmar Vinz, Katharina Schiederig: ''Gender und Diversity – Vielfalt verstehen und gestalten.'' In: Peter Massing (Hrsg.): ''Gender und Diversity – Eine Einführung.'' Wochenschau Verlag, Schwalbach 2010, ISBN 978-3-89974-483-5, S. 26–27.</ref> Daraus entstanden in den USA das Antidiskriminierungsgesetz und die [[Affirmative Action]] zur Förderung benachteiligter Gruppen nach den Kriterien [[Rasse]], Geschlecht, Hautfarbe, ethnische Herkunft, Alter, Behinderung oder Religion. Die Bürgerrechtsbewegung der USA hatte großen Einfluss auf die Herausbildung weiterer sozialer Bewegungen von bisher benachteiligten und diskriminierten Gruppen, z.&nbsp;B. auf die Bewegung der [[Native American]]s.
Mit dem Begriff können auch Gebäude oder Räumlichkeiten gemeint sein, in denen ein Archiv oder Archivgut untergebracht ist ([[Magazin (Archiv)|Magazin]]).
Archive gibt es weltweit und in nahezu allen Kulturen und Lebensbereichen. Archive entstanden mit den ersten schriftlichen Überlieferungen und dienten von Anbeginn der Sicherung wichtiger Informationen, vor allem zum langfristigen Nachweis von Eigentumsrechten oder vertraglichen Dokumenten.


Seit dem Ende der 1990er Jahre wird das Konzept auch von der [[Europäische Union|Europäischen Union]] als Leitbild verwendet. Seit 2006 sind in der deutschen Gesetzgebung die Aspekte der Vielfalt im [[Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz|Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz]] berücksichtigt und sollen Personen aus diesen [[Sozialkategorie|Kategorien]] vor [[Diskriminierung]] schützen.
Archive erscheinen sowohl in öffentlicher (z. B. Staaten, Kommunen) als auch privater Trägerschaft (z. B. Unternehmen, Vereine, Familien). Die öffentlichen Archive arbeiten aufgrund von [[Archivrecht|Archivgesetzen]], welche die Archivierung und die damit verbundenen Arbeitsfelder als [[Öffentliche Aufgaben|öffentliche Pflichtaufgabe]] deklarieren. Da zunehmend Unterlagen nur noch digital existieren, gewinnt die [[Digitales Archiv|digitale Archivierung]] an Bedeutung.


Allerdings war die Erforschung und Bewusstwerdung dieser Themen nicht an das Konzept der Diversität gebunden. In der Sozialpsychologie war seit den späten 1940er Jahren [[Heterogenität (Begriffsklärung)|Heterogenität]] der zentrale forschungsleitende Begriff für die untersuchten Dimensionen.<ref>Henri Tajfel, John C. Turner: ''The social identity theory of intergroup behaviour.'' In: Stephen Worchel, W. G. Austin (Hrsg.): ''Psychology of intergroup relations.'' Chicago: Nelson-Hall 1986, 2. Aufl., S. 7–24.</ref> Die Sozialpsychologie erforscht seit Jahrzehnten Mechanismen der Entstehung und Auswirkung sozialer Kategorisierung und [[Stereotyp]]isierung, von sozialen Vergleichen, [[Identität]]sbildung in [[Soziale Gruppe|sozialen Gruppen]] und Intergruppenprozessen. Die Auswirkungen der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen wurden vor allem im Hinblick auf Bildungs- und Leistungsverhalten, soziale Auf- und Abstiegsprozesse, [[Kriminalität]] und Bandenbildung, Gesundheit und Arbeitsleben umfassend erforscht. Insofern waren die Ergebnisse gruppenbezogener Forschung für [[Pädagogik]] und [[Sozialmedizin]] von außerordentlicher Bedeutung.
Zusammen mit anderen [[Gedächtnisinstitution]]en wie [[Bibliothek]]en, [[Dokumentation (Technik)|Dokumentationsstellen]] oder [[Museum|Museen]] bilden Archive das besonders sensible kulturelle sowie das rechtlich-administrative Gedächtnis eines Staates, einer Kommune oder einer Region.<ref>[https://www.fh-potsdam.de/informieren/aktuelles/news-detailansicht/artikel/bibliotheken-archive-und-museen-sind-garanten-der-demokratie-im-digitalen-zeitalter/ FH Potsdam vom 14. Januar 2020, ''Bibliotheken, Archive und Museen sind Garanten der Demokratie im Digitalen Zeit'']</ref> Spezifisch für Archive ist, dass die im Archivgut enthaltenen aufzubewahrenden Informationen als Primärquellen einzigartig sind und im Regelfall nur einmalig überliefert wurden.
In bewaffneten Konflikten sind auch Archive mit den wertvollen Informationen als Bestandteil des [[Kulturgut|kulturellen Erbes]] bedroht. Internationale und nationale Koordinationen hinsichtlich militärischer und ziviler Strukturen zum Schutz von Archiven betreibt [[Blue Shield International]] mit Sitz in [[Den Haag]].<ref>Karl Habsburg im Interview, ''Missbrauch von Kulturgütern ist strafbar'', in: Wiener Zeitung vom 29. Juni 2012.</ref><ref>Corine Wegener/Marjan Otter, ''Cultural Property at War: Protecting Heritage during Armed Conflict'', in: The Getty Conservation Institute, Newsletter 23.1, Spring 2008.</ref><ref>vgl. Isabelle-Constance von Opalinski, ''Schüsse auf die Zivilisation'', in: FAZ vom 20. August 2014.</ref>


== Weiterentwicklung des Konzepts ==
== Archivgut ==
In jüngerer Zeit wird die Selbstreproduktion der diversen Gruppen im Sinne der Konstruktion ([[Sozialkonstruktivismus]]) sozialer Diversität als Resultat von Differenzierungen und Differenzhandlungen in konkreten sozialen Interaktionen in den Blick genommen.<ref>Martin Fuchs: ''Diversity und Differenz – Konzeptionelle Überlegungen.'' In: Gertraude Krell, Barbara Riedmüller, Barbara Sieben, Dagmar Vinz (Hrsg.): ''Diversity Studies. Grundlagen und disziplinäre Ansätze.'' Campus Verlag, Frankfurt, New York 2007, S. 17–34</ref><ref>Candace West, Sarah Fenstermaker: ''Doing difference.'' In: ''Gender & Society'', 9. Jg. 1995, Heft 1, S. 8–37.</ref>
[[Datei:Archiv ostfraenkisches Woerterbuch.JPG|mini|Zettelarchiv]]
Die in den Archiven archivierte Information und die dazugehörigen Informationsträger werden unter dem Begriff ''Archivgut'' oder ''Archivalien''<ref>[http://vv.potsdam.de/vv/produkte/173010100000003595.php Stadtarchiv Potsdam: „Einsichtnahme der Archivarien erfolgt grundsätzlich nur im Benutzerraum“]</ref> zusammengefasst. Eine einzelne Archivguteinheit wird auch ''Archivale'' genannt (neutrum, Plural ''Archivalien'').


Diesem Verständnis zufolge werden Diversitätsdimensionen aktiv sozial hergestellt ([[Doing Gender]]<ref>Regina Gildemeister: ''Doing Gender: Soziale Praktiken der Geschlechterunterscheidung.'' In: R. Becker, B. Kortendiek (Hrsg.): ''Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung.'' VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 137–145.</ref> ''Doing Culture'' usw.) und dadurch sozial wirksam und kann im Sinne von [[Identitätspolitik]] auch politisch wirksam werden. Zwischen verschiedenen Diversitätsdimensionen bestehen Wechselwirkungen, die sich in unterschiedlichen sozialen Kontexten addieren und verstärken, reduzieren und abschwächen oder in permanenten Widerspruch treten können. Diese Verschränkung von Diversitäten (z. B. Geschlecht und Hautfarbe, Alter und Geschlecht) wird [[Intersektionalität]] genannt.
Archivgut ist derjenige Teil von [[Unterlagen]], der von Schriftgut führenden Stellen wie beispielsweise [[Behörde]]n, [[Unternehmen]], [[Verein]]en, [[Familie]]n oder [[Natürliche Person|Privatpersonen]] für die aktuelle Aufgabenerledigung nicht mehr benötigt wird und vom zuständigen Archiv als unbefristet aufzubewahren bewertet wurde ([[Archivische Bewertung]]). Diese Art von Dokumenten haben die Eigenschaft, dass sie die [[Aufgabe (Pflicht)|Aufgaben]] (sowohl Pflichtaufgaben als auch freiwillige Aufgaben) und die [[Tätigkeit]]en der jeweiligen unterlagenführenden Stelle authentisch dokumentieren (beispielsweise Bankenaufsicht des Bundesfinanzministeriums, Wasserversorgung einer Gemeinde, Produktdesign im Autounternehmen, wissenschaftliche Daten eines Forschungsinstituts, Tagebuch oder Briefwechsel einer Privatperson).


== Diversitätsmanagement ==
Die Informationen können dabei auf unterschiedlichen [[Datenträger|Trägern]] überliefert sein, beispielsweise [[papier]]gebundene oder [[Elektronik|elektronische]] [[Akte|Sachakten]], [[Datenbank]]en oder andere digitale Systeme, [[Schriftstück|Einzeldokumente]], [[Karte (Kartografie)|Karten]] und Pläne, [[Fotografie|Fotos]], [[Film]]e oder [[Tonaufnahme]]n.
{{Hauptartikel|Diversity Management}}


Das Diversitätsmanagement als eine Methode des betrieblichen [[Personalwesen]]s zielt darauf ab, die Diversität der Mitarbeiter konstruktiv und gewinnbringend zu nutzen. Eine bekannte Vertreterin des Diversitätsmanagements in Deutschland ist die wirtschaftspolitische Initiative [[Charta der Vielfalt]].
Mit der inhaltlichen Erschließung der im Archivgut enthaltenen Informationen entstehen umfangreiche Datenbanken und [[Arbeitsmittel|Hilfsmittel]] wie [[Findbuch|Findbücher]] und Verzeichnisse.Diese werden für Benutzungen und für die Auswertung genutzt und heute überwiegend über das Internet zugänglich gemacht. Archivgut besteht in der Regel aus [[Unikat]]en, die als Primärquellen einen herausragenden Stellenwert für historische Forschungen haben aber auch als Träger authentische Nachweise oder Informationen für Institutionen oder den Bürgern dienen.


== Kritik ==
Schriftgutführende Stellen (Registraturbildner) bieten ihr [[Schriftgut|(dienstliches) Schriftgut]] obligatorisch oder freiwillig – je nach rechtlichem Hintergrund – dem zuständigen Archiv an, wenn die Unterlagen zur aktuellen Aufgabenerfüllung nicht mehr benötigt werden. Archive bewerten, ob das Schriftgut archiviert oder vernichtet werden kann. Den noch nicht Archiven angebotenen Teil von Unterlagen bezeichnet man auch als [[Registratur (Akten)|Registraturgut]], insbesondere in Behörden und Unternehmen. Zwischen Archivgut und Registraturgut bestehen signifikante rechtliche Unterschiede, da Archivgut nicht mehr für die alltägliche Aufgabenerfüllung benötigt wird. Dennoch gibt es auch Gemeinsamkeiten, die durch das Modell des [[Lebenszyklus von Akten|Lebenszyklus von Unterlagen]] verdeutlicht werden.
Verschiedene Autoren wie [[Gayatri Spivak]], Sarah Ahmed, [[Nikita Dhawan]] oder Davina Cooper werfen die Frage auf, ob Gerechtigkeitsnormen die Handlungsmacht marginalisierter Gruppen und Gemeinschaften erweitern, oder ob sie gar das Machtgefälle zwischen den Stiftern von Gerechtigkeit und denen, die als Empfangende konstituiert sind, festigen.


Der Literaturwissenschaftler Walter Benn Michaels erklärte hierzu, wie Diversity Ungleichheit rechtfertigen könne: {{Zitat
Den vor-archivischen Aufbau und Umgang mit Schriftgut sowie die Vorgangs- und Aktenbildung regelt das [[Records Management]] der Verwaltung der aktenführenden Stelle (Registraturbildner). Gerade im Bereich der Aktenbildung und Aktenorganisation wird seit vielen Jahren eine zunehmende [[Professionalisierung|Entprofessionalisierung]] der Arbeit im Vorfeld sichtbar. Eigenmächtige Kassationen oder unsachgemäße Lagerung des dienstlichen Schriftgutes (siehe Schimmelbefall) können dazu führen, dass Überlieferungslücken von wichtigen Informationen bei der Archivierung festgestellt werden müssen. Archive sind auf Grund des vorgegebenen Aufgabenprofils sowie sehr begrenzter Personal-Ressourcen nicht in der Lage, die grundlegende Arbeitsaufgabe der Aktenorganisation der Verwaltungen zu übernehmen. Die inhaltliche Überlieferungen im Archivgut hängen somit stark vom Zustand des jeweiligen Records Managements (Organisation der Aktenführung, Aktenbildung, Aktenplan) ab. Archive und damit die Archivare sind somit darauf angewiesen, dass die Aktenführung des jeweiligen Registraturbildners zuverlässig, regelmäßig und vollständig erfolgt. Das gilt gleichermaßen für die vielfältigen digitalen Überlieferungen.
|Text=Der neoliberale Traum ist, dass das in punkto Reichtum obere Prozent der Bevölkerung genauso divers ist wie die restlichen 99 Prozent, damit niemand seine ökonomische Situation mehr auf Diskriminierung schieben kann. Dann können die Reichen nämlich behaupten, dass jeder seinen Platz in der Gesellschaft verdient habe. Bei Diversity-Bestrebungen geht es nicht in erster Linie darum, Ungleichheiten zu minimieren, sondern sie zu rechtfertigen.<ref>{{Webarchiv |url=https://www.zeit.de/politik/2019-07/us-wahlkampf-demokraten-vielfalt-identitaetspolitik-klassenkampf-oktopus/komplettansicht |text=Archivlink  | archive-is=20210105084407}}</ref> }}
 
== Erweiterung des Archivbegriffs ==
Oft steht ''Archiv'' einfach für einen Ort, an dem nicht mehr Aktuelles vorgehalten wird, beispielsweise haben viele [[Website]]s einen entsprechenden Archivbereich. Bei ''Archiv'' handelt es sich nicht um einen fest definierten oder gar geschützten Begriff. Ganz unterschiedliche Einrichtungen dürfen sich ''Archiv'' nennen, obwohl es vielfach näher läge, sie als Altregistraturen, Bibliotheken, Museen oder Dokumentationsstellen zu bezeichnen.
 
Die sogenannte Archivierung im IT-Bereich führt zur Verwässerung des eigentlichen Archivbegriffs. So sprechen viele Unternehmen, die digitale Registratursysteme anbieten oder verwenden, von Archivierung, wenn es um die Speicherung von Daten im System geht ([[elektronische Archivierung]]). Andere Gedächtnisorganisationen wie Bibliotheken sprechen von [[Langzeitarchivierung]], wenn die dauerhafte Erhaltung ihrer digitalen Informationen gemeint ist ([[digitales Archiv]]). Die Verwendung des Begriffs ''Archiv'' in der IT-Branche ist technisch zu verstehen. So werden etwa Systeme zur elektronischen Archivierung oder für die [[Datensicherung]] (siehe etwa das [[Tar (EDV)|Tar]]-Dateiformat) als Archive bezeichnet, obwohl sich heutzutage die Zugriffszeiten aus Sicht der menschlichen Arbeit kaum noch von denen im laufenden System der Datenträger unterscheiden. Im 20. Jahrhundert war es üblich, Daten aus der elektronischen Archivierung in abgeschlossenen Panzerschränken aufzubewahren.
 
In der postmodernen [[Kulturwissenschaft]] wird ''Archiv'' im Anschluss an [[Michel Foucault]] als Oberbegriff für Informations- und Wissensspeicher wie z.&nbsp;B. Bibliotheken gebraucht, wobei für Foucault der Begriff des Archivs weit über einen Ort des Bewahrens hinaus auch "das allgemeine System der Formation und der Transformation von Aussagen"<ref>Zitiert nach Michel Foucault, ''Archäologie des Wissens'', 1969, S. 188.</ref> bezeichnet. Der Begriff umfasst hier alle Bedingungen, unter denen Aussagen und in der Folge Wissen entstehen können.
 
== Archivarten und Archivträger ==
Bei den Archiven in Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarländern fallen eine starke Fragmentierung und verschiedenartige Ausrichtung der einzelnen Institutionen auf. In Deutschland wurden durch den VdA 8 verschiedene Archivsparten unterteilt, die wiederum eine große Bandbreite von Archiven beinhalten.
 
Die wichtigsten [[Träger (öffentliches Recht)|Träger]], [[Betreiber]] oder Eigentümer von Archiven sind öffentliche und halböffentliche Institutionen. Daneben werden Archive aber auch von großen Unternehmen, Organisationen sowie von Privatpersonen unterhalten. Vom Archivträger hängt auch die Überlieferungsbildung des zuständigen Archivs ab.<ref name="GO">{{Webarchiv |url=http://gonline.univie.ac.at/htdocs/site/browse.php?a=2634&arttyp=k |text=''Archive'' |wayback=20070611015553}} Auf: ''Geschichte Online'', Universität Wien, 2004.</ref> Zu den Archiven der [[öffentliche Hand|öffentlichen Hand]] zählen allgemein [[Archivsparten|gesamtstaatliche Archive]], [[Landesarchiv]]e, [[Kommunalarchiv]]e, Kammerarchive sowie Schul- und [[Universitätsarchiv]]e. Diese Archive erfüllen einen gesetzlichen Auftrag.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.archivschule.de/service/archivgesetze/ |text=''Aufstellung der Archivgesetze auf den Internetseiten der Archivschule Marburg.'' |wayback=20121010154414}}</ref> Zu den Archiven von Institutionen und Vereinigungen gehören Archive von Religionsgemeinschaften (auf der Ebene von Ländern, Klöstern und Pfarren und nach Konfessionen getrennt), Vereinsarchive, Stiftungsarchive der Parteien, Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbandsarchive, Innungsarchive und weitere.
 
Im Bereich der privaten Archive finden sich etwa Unternehmensarchive und Archive von privaten Personen bzw. Familien, die meist nicht für Außenstehende zugänglich sind. Hinzu kommen die Archive in Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen.<ref>Vgl. Martin Burkhardt, [http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/3079/ ''3. Die verschiedenen Archivarten und -träger in Deutschland'']. In: [http://www.historicum.net/lehren-lernen/archiveinfuehrung/einleitung/ ''Gebrauchsanleitung für Archive'']. Auf: ''historicum.net'', 2006. Abgerufen am 25. Dezember 2009.</ref> Als Beispiel für das Archiv eines großen Zeitungsverlages eignet sich das der [[Süddeutsche Zeitung|Süddeutschen Zeitung]]. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) verfügt seit ihrer Gründung 1945 über ein Pressearchiv, das die Texte der eigenen Redakteure und zahlreicher nationaler und internationaler Publikationen dokumentiert und auf Anfrage für Recherchezwecke bereitstellt.
 
Die große Bandbreite der Archivlandschaft lässt sich mittlerweile gut in den im [[Archivportal-D]] nachgewiesenen über 2600 Archiven Deutschlands nachvollziehen.
 
== Bewertung ==
Die Auswahl und damit [[Archivische Bewertung|Bewertung]] von [[Schriftgut]] eines Registraturbildners zählt zu den wichtigsten Aufgaben eines Archivs.
Der Archivar entscheidet darüber, welche Informationen archivwürdig sind und damit dauerhaft aufbewahrt werden und welche [[Kassation (Archiv)|kassiert]], d.&nbsp;h. vernichtet werden. Die Bewertung von Unterlagen ist eine wesentliche Aufgabe, da die Archivierung aller Dokumente eines Registraturbildners zu hohen Kosten für die Lagerung und Bestandserhaltung führen würde. Des Weiteren wird durch die fachgerechte Auswahl der zu archivierenden Informationen eine gezieltere Recherche und Nutzung des Archivgutes ermöglicht und die Aufbewahrung redundanter Informationen vermieden. Trotz sinkender Speicherkosten gilt dies auch für genuin digital entstandene Dokumente. Die erforderlichen regelmäßigen Migrationen in aktuelle  Dateiformate machen die dauerhafte Aufbewahrung von digitalen Archivalien teuer.
 
In der Regel werden nur einige wenige Prozent der angebotenen Unterlagen archiviert. Die Bewertung erfolgt anhand von Bewertungskriterien, die vorher erarbeitet werden sollten, ständig aktualisiert werden müssen und auf objektiver Grundlage basieren. Dabei wird zwischen formalen und inhaltlichen Kriterien unterschieden.<ref name="archivschule">[http://www.archivschule.de/uploads/Forschung/ArchivwissenschaftlicheTerminologie/Terminologie.html www.archivschule.de]</ref> Die Bewertungsentscheidungen sind zu protokollieren, damit ihre Nachvollziehbarkeit und die Transparenz gewährleistet ist.
In den Archiven der Länder und des Bundes werden zunehmend Bewertungsmodelle eingesetzt, die für verschiedene Verwaltungszweige und -behörden verbindliche Aussagen über die Archivwürdigkeit der dort anfallenden Unterlagen treffen.<ref name="archivschule" />
Im kommunalen Archivwesen finden [[Dokumentationsprofil]]e immer stärkere Verbreitung. Dabei handelt es sich um einen ganzheitlichen Ansatz der Überlieferungsbildung für amtliche und nicht amtliche Unterlagen der lokalen Lebenswelten eines Archivsprengels (Zuständigkeit des Archivs).
 
== Erschließung ==
Die Erschließung (die Ordnung und [[Archivische Verzeichnung|Verzeichnung]] des Archivguts) erfolgt in Facharchiven nach genormten Verfahren<ref>[http://fernweiterbildung.fh-potsdam.de/?tag=ordnungs-und-verzeichnungsgrundsaetze-ddr Einheitliche OVGOrdnungs- und Verzeichnungsgrundsätze des staatlichen Archivwesens der DDR.]</ref> und in der Regel nach dem [[Provenienzprinzip]].
 
Im 19. Jahrhundert war das [[Pertinenzprinzip]] weit verbreitet, welches die Unterlagen ohne Rücksicht auf ihren Entstehungszusammenhang und ihre Herkunft (Provenienz) nach Sachbegriffen (Pertinenzen) organisierte.
 
Ein Nachteil ergab sich daraus, dass ein aus dem Zusammenhang gerissenes Schriftstück erheblich geringere Aussagekraft hat, als ein Schriftstück, das in seinem Entstehungskontext belassen wurde. Die Erschließung nach dem Pertinzenprinzip wird heute v. a. im Rahmen der Erschließung von Sammlungen und Nachlässen angewandt.
 
Ausgehend vom angloamerikanischen Raum und den bereits bestehenden einheitlichen [[Ordnungs- und Verzeichnungsgrundsätze für die Staatlichen Archive der Deutschen Demokratischen Republik|OVG]] arbeiten Archive an gemeinsamen Standards wie [[Encoded Archival Context]] und [[Encoded Archival Description]]. Da sich in den USA Archive und Bibliotheken weit näher stehen als im deutschsprachigen Raum, kommt es durch die Kooperation auf dem Gebiet der Standardisierung zu einer verstärkten Zusammenarbeit von Archiven und Bibliotheken. Allerdings hat es sich nicht bewährt, bibliographische Formate auf archivische Bedürfnisse anzupassen. Der Internationale Archivrat (ICA/CIA)<ref>[http://www.ica.org/ ICArchives : Page d'accueil : Accueil<!-- Bot generated title -->]</ref> verabschiedete im Jahr 2000 [[ISAD(G)]] als Anwendungsstandard zur Verzeichnung von Archivgut (General International Standard Archival Description), bzw. 2004 [[ISAAR(CPF)]] (International Standard Archival Authority Record for Corporate Bodies, Persons, and Families).
 
Damit wird der Eigenständigkeit archivischer Arbeitsmethoden Rechnung getragen. Der Individualisierung von Einzelstücken wird entgegengewirkt und der im [[Provenienzprinzip]] artikulierten Bedeutung der Entstehungszusammenhänge und Ursprungszwecke Rechnung getragen. Durch die Vereinheitlichung wird eine Verbesserung der Arbeitsmethoden erreicht, die sich an der Praxis orientiert und die damit zur Grundlage für die Entwicklung nationaler Standards wird.
 
Angestrebt wird, dass in Zukunft der Benutzer nach einheitlichen Standards weltweit in vernetzten Archivdatenbanken in den Suchhilfsmitteln der Archive recherchieren kann.
 
== Bestandserhaltung ==
[[Datei:Adic scalar 100.jpg|mini|hochkant|[[Tape Library]] (Innenansicht)]]
Da Archive das ihnen anvertraute überwiegend schriftliche [[Kulturgut]] dauerhaft oder zumindest für längere Zeit sichern sollen, stellt sich das Problem der [[Bestandserhaltung]]. Ein Problem ist beispielsweise die Archivierung von [[Papier]]dokumenten, die nicht holzfrei sind oder schädliche Zusatzstoffe wie Leim und Pigmente enthalten. Während Dokumente auf altem [[Hanfpapier]] sehr dauerhaft über Jahrhunderte lagerfähig sind, zerfallen europäische Dokumente aus dem 19. Jahrhundert oft durch [[Papierzerfall|Säurefraß]]. Die Restaurierung ist oft nur noch durch [[Massenentsäuerung]] und nachträgliche Stabilisierungsverfahren, wie beispielsweise durch das [[Papierspaltverfahren]] möglich.<ref>Günter Engelhardt/Klaus Granich/Klaus Ritter: ''Das Leimen von Papier''. Leipzig (Fachbuchverlag) 1972, S. 12–14.</ref><ref>Otto Wurz: ''Papierherstellung nach neuzeitlichen Erkenntnissen''. Graz, Wien (Verlag Ulrich Moser) 1951, S. 46–65.</ref> Darüber hinaus stellt die Erhaltung unterschiedlicher Medienformate, wie von Fotoaufnahmen, Tonbändern oder Filmen, eine große Herausforderung dar, die fachübergreifend durch entsprechend ausgebildete [[Restaurator]]en erfolgen muss.
 
Besondere Probleme wirft die [[Langzeitarchivierung]] von digitalen Informationen auf, da die Haltbarkeit der derzeit üblichen [[Datenträger]] sehr begrenzt ist. Beispielsweise sind bereits heute Teile der Daten des [[Apollo-Programm]]es nicht mehr lesbar, weil die [[Computer]], [[Betriebssystem]]e und [[Computerprogramm|Programme]] von damals nicht mehr verfügbar sind oder die Daten nicht auf neuere Systeme übernommen wurden.
 
Das in Archiven gespeicherte Kulturgut ist in vielen Ländern durch [[Naturkatastrophe]]n, [[Krieg]]e oder sonstige Notfälle bedroht.
Dazu gibt es auch bei Archiven eine starke Bündelung vorhandener Ressourcen sowie die Vernetzung vorhandener Fachkompetenzen um den Verlust oder die Beschädigung zu verhindern bzw. Schäden so gering wie möglich zu halten. Internationaler Partner für Archive ist dabei gemäß der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut von 1954 und deren 2. Protokoll von 1999 die Organisation [[Blue Shield International]]. National und International gesehen gibt es aus rechtlichen Gründen zur nachhaltigen Sicherung des Bestandes von Kulturgutspeichereinrichtungen viele Kooperationen zwischen Archiven und lokalen [[Blue Shield International|Blue-Shield-Organisationen]].<ref>Corine Wegener/Marjan Otter, ''Cultural Property at War: Protecting Heritage during Armed Conflict'', in: The Getty Conservation Institute, Newsletter 23.1, Spring 2008.</ref><ref>vgl. z.&nbsp;B. Hans Haider, ''Missbrauch von Kulturgütern ist strafbar'', in: Wiener Zeitung vom 29. Juni 2012.</ref><ref>Marilyn E. Phelan, ''Museum Law: A Guide for Officers, Directors, and Counsel'', 2014, S. 419 ff.</ref> Das betrifft auch die Erhebung von zu schützenden Archiven beziehungsweise sonstigen Kulturgütern, die Erstellung von "No-strike lists", die Verknüpfung ziviler und militärischer Strukturen und die Ausbildung von lokalem militärischen Personal hinsichtlich Schutz von Kulturgut.<ref>Aisling Irwin, ''A no-strike list may shield Yemen`s ancient treasures from war'', in: Daily News vom 23. Jänner 2017.</ref> Grundsätzlich sollen bei Katastrophen im Hinblick auf Archive und sonstige Kulturgutträger idealtypisch durch Blue Shield vermittelte beziehungsweise organisierte je nach Notwendigkeit aufgestellte lokale Bündnisse samt Hilfe aus erreichbaren Drittstaaten schnelle Schadensbegrenzung erreichen.<ref>Markus Walz (Hrsg.), ''Handbuch Museum: Geschichte, Aufgaben, Perspektiven'', 2016, S. 238 ff.</ref>
 
== Benutzung ==
Benutzungen sowie die Auswertungs- und Öffentlichkeitsarbeit von Archivgut stehen am Schluss der Bewertungs- und Erschließungsprozesse der dauerhaft vorzuhaltenden Informationen. Eine Benutzung der Informationsträger (wie Akten, Pläne oder auch Fotoaufnahmen) ist unterschiedlichen Rechtsnormen unterlegen. Vor allem die Entwicklung des [[Datenschutz]]es war der Motor für die [[w:Archivrecht|Archivgesetzgebung]].<ref>Vgl. {{Webarchiv |url=http://www.archivschule.de/content/49.html |text=''Archivgesetze und weitere Gesetze'' |wayback=20090416055647}}. In: Archivschule Marburg.</ref> In den öffentlichen Archiven weltweit spielt der Respekt vor sensiblen personenbezogenen Daten eine große Rolle. Beispielsweise können Personalakten in der Regel erst einige Zeit nach dem Tod des Betreffenden in die Benutzung gegeben werden (in Deutschland 10 bis 30 Jahre). Ist der Todeszeitpunkt nicht bekannt, wird eine Frist ab der Geburt (i. d. R. 90 bis 100 Jahre) festgelegt. Mit dem Aufkommen der [[w:Informationsfreiheitsgesetz|Informationsfreiheitsgesetz]]e spielen die früher dominierenden Befürchtungen, Benutzer könnten durch verfrühte Einsicht in Behördenakten der Verwaltung schaden, eine immer geringere Rolle. Für die Unterlagen des Bundes und der Länder gilt in Deutschland eine Regelsperrfrist von 30 Jahren nach Schließung der Akte.
 
=== Nutzer ===
Die Benutzung der Bestände eines öffentlichen Archivs für die Auswertung zu persönlichen, rechtlichen oder wissenschaftlichen Zwecken ist für jeden nach Genehmigung eines dafür gestellten Benutzerantrags möglich. Auch eine schriftliche Anfrage gilt im rechtlichen Sinn als Benutzung. Als ursprünglicher [[Registraturbildner]] ist die das Archiv unterhaltende Verwaltung teilweise Hauptnutzerin des amtlichen Archivguts, um auch nach der ursprünglichen Aufgabenerledigung wichtige Informationen schnell zu erlangen oder in spezifischen Rechtsfragen auch nach Jahren noch Sicherheit zu bekommen.
Die Nutzung und Sichtung von öffentlichen und privaten Archiven zwecks Recherche, Sicherung und Auswertung von [[w:Quelle (Geschichtswissenschaft)|Quellen]] gehört zu den grundlegenden beruflichen Aufgaben von [[Historiker]]n, freien Autoren, Publizisten, Wissenschaftlern und privaten Forschern (etwa [[Heimatforscher]]).
 
[[Datei:Personenstandsregisternutzung.jpg|mini|Ein Archivbenutzer betreibt Ahnenforschung in Standesamtsbüchern.]]
Durch die zahlreichen [[Personenstandsregister]], [[Kirchenbuch|Kirchenbücher]] und archivierten [[Melderegister|Einwohnermeldekarteien]] sind kommunale Archive eine beliebte Anlaufstelle für [[Genealoge]]n bzw. Privatpersonen, die Informationen über ihre Vorfahren suchen. Auch zur Klärung von Erbstreitigkeiten und anderen Rechtsverfahren wenden sich beauftragte [[Rechtsanwalt|Rechtsanwälte]] oder Unternehmen an Archive, um beglaubigte Urkunden oder andere Dokumente zur Rechtssicherung ihrer Klienten zu erhalten.
 
Im Rahmen der [[Archivpädagogik]] können sich Schulklassen zum Beispiel für den Geschichtsunterricht die freie Zugänglichkeit der Archive zu Nutze machen und werden vom Archivpersonal fachlich unterstützt. Zu der Zeit wenn die Schüler der Gymnasien ihre Facharbeiten schreiben, bemerken die Archive außerdem jährlich eine Anhäufung von Anfragen durch Schüler, die in den Beständen originale Quellen suchen.
 
=== Archivgesetze ===
In Deutschland bestehen verschiedene Gesetze auf Bundes- oder Landesebene, die die Zugänglichkeit von [[Archivgut]] regeln und die Aufgaben von Archiven formulieren. Auf kommunaler Ebene werden entsprechende Regelungen im Rahmen der [[Kommunale Selbstverwaltung|kommunalen Selbstverwaltung]] in Satzungen formuliert. Gegenstand der Archivgesetze in Bezug auf die Archivbenutzung ist die Abwägung von Wissenschafts- und Informationsfreiheit einerseits und den Schutzrechten betroffener Personen andererseits. Hierzu werden [[Sperrfrist (Archivwesen)|Schutzfristen]] und andere Nutzungseinschränkungen zum Schutz des Archivguts formuliert. Die Einhaltung des geltenden Archivgesetzes verpflichtet die Archive zum Beispiel dazu, die Benutzung zu verweigern, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde, oder der Erhaltungszustand der Archivale eine Nutzung nicht zulässt.<ref>[https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_vbl_detail_text?anw_nr=6&vd_id=12067&ver=8&val=12067&menu=1&vd_back=N ''Archivgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen'' § 6 – Nutzung]</ref>
 
=== Sicherheit ===
 
Da Archivgut als Primärquelle einmalig ist, muss es vor Beschädigungen durch unsachgemäße Nutzung und zu hoher Beanspruchung geschützt werden. Bei vorsätzlicher Beschädigung der Archivalien kann dem Benutzer die erteilte Benutzungsgenehmigung entzogen werden. Um Vandalismus vorzubeugen, wird die Benutzung nur vor Ort in speziellen Benutzerräumen gestattet. Handschuhe müssen vom Benutzer bei sehr fragilen Archivdokumenten, Fotoaufnahmen, Negativen und teilweise auch bei Zeichnungen getragen werden, um einer Schädigung durch Schweiß vorzubeugen. Die Benutzung von Kugelschreibern kann im Einzelfall untersagt werden. Viele Archive fertigten früher [[Mikrofilm]]e an, um den Archivbenutzern ein Betrachten von Büchern und Dokumenten per Mikrofilm-Lesegerät zu ermöglichen. So wurden auch die Originale geschont und vor unsachgemäßer Nutzung geschützt. Auch heute sind Mikrofilme neben umfangreichen Digitalisierungsmaßnahmen der Archive noch ein gängiges Konversionsverfahren.<ref>http://www.bundeskonferenz-kommunalarchive.de:/ [http://www.bundeskonferenz-kommunalarchive.de/empfehlungen/Empfehlung_Mikrofilm_2014%2009%2004.pdf Bundeskonferenz Kommunalarchive, ''Zum Einsatz des Mikrofilms in der archivischen Bestandserhaltung''] (pdf, 2014)</ref> (siehe auch [[Retrokonversion]])
 
Mit der Benutzung vor allem von älterem Archivgut kann das Einatmen von Staubpartikeln und Schimmelsporen verbunden sein. Empfindliche Personen könnten daher im Einzelfall allergisch reagieren. Da es sich nicht vollständig vermeiden lässt, dass Staub und Schimmelsporen Archivgut kontaminieren, ist es bei einer Benutzung ratsam, sich ggf. ausreichend zu schützen.
 
=== Literatur zur Archivbenutzung ===
* [[Norbert Reimann]] (Hrsg.): ''Praktische Archivkunde, ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste Fachrichtung Archiv''. Münster 2004
* [[Angelika Menne-Haritz]]: ''Schlüsselbegriffe der Archivterminologie, Lehrmaterialien für das Fach Archivwissenschaft''. 2., überarb. Aufl., Marburg 1999
 
== Virtuelle Archive ==
Im Internet gibt es zahlreiche [[Archivportal]]e. Sie bieten gebündelte Information über Archive und/oder die Möglichkeit, in den Beständen mehrerer Archive gleichzeitig zu [[Recherche|recherchieren]]. Je nachdem, welche und wie viele Archive von dort erreichbar sind, gibt es thematisch engere und weitere (universellere) Webportale.
 
Das Wirken von [[Google Books]] hat seit 2004 hat vieles angestoßen. Zu dieser Zeit gab es nur vereinzelte Pilotprojekte zur [[Digitalisierung]] von Findhilfsmitteln und Archivgut, um beides im Internet zur Benutzung bereitzustellen. Der Gedanke von [[Open Access]] für Archivgut war damals kaum verbreitet.
Google verkündete 2004 das Ziel, bis 2015 15 Millionen Bücher gescannt zu haben. Google kooperiert auch mit dem gemeinnützigen Projekt [[Internet Archive]]. Google Books traf wegen seines Ansatzes – Start der Digitalisierungen in großem Stil, ohne vorher die Urheberrechtssituation der kopierten Werke grundsätzlich zu klären bzw. vertraglich zu regeln – auf teilweise erheblichen Widerstand, der auch in Rechtsstreitigkeiten mündete.
Google kooperiert mit zahlreichen besonders großen und alten [[Bibliothek]]en sowie vielen [[Universitätsbibliothek]]en:
* USA: [[University of Michigan]], [[Harvard University]], [[Stanford University]], [[New York Public Library]], [[University of Virginia]], der [[University of Wisconsin–Madison]], der [[Princeton University]], der [[University of California]] und [[University of Texas at Austin]].
* Europa:
** die [[Bodleian Library]] der [[Oxford University]],
** 2007 gab die [[Bayerische Staatsbibliothek]] in München bekannt, als erste deutsche Bibliothek mit dem Projekt zu kooperieren. Es sollen etwa eine Million urheberrechtsfreier Werke aus den historischen Beständen und aus Spezialsammlungen digitalisiert werden.<ref>{{Internetquelle |autor=Jens Redmer |url=http://booksearch.blogspot.com/2007/03/bavarian-state-library-becomes-largest.html |titel=The Bavarian State Library becomes largest non-English library partner |werk=Inside Google Book Search |datum=2007-03-06 |abruf=2007-03-11}}</ref> S
 
Weiter sinkende Digitalisierungskosten begünstigen den Prozess bis heute.
 
Die Digitalisierung von analogem Archivgut – abseits der Findhilfsmittel – wird ebenfalls befürwortet und – meist in Einzelprojekten – vorangetrieben. Dabei entstehende [[Digitalisat]]e werden zur Nutzung im [[WWW]] bereitgestellt.
Die Digitalisierung ganzer und kompletter Akten und Aktenreihen stellt dabei weiterhin ein großes Problem dar, da die Inhalte immer im Kontext der Entstehung (Provenienz, Akte, Vorgang, Dokument) abgebildet werden müssen.
Das setzt daher ein exzellentes Records Management der Verwaltungen und Registraturbildner voraus (s. o.).
Darüber hinaus müssen eine Vielzahl an Rechten (Persönlichkeitsrechte, Urheberrechte, Geheimnisschutz) beachtet werden, die in der gedruckt vorliegenden Sekundärliteratur keine Rolle spielen.
 
Ein internationales Netzwerk zur Digitalisierung von Archivgut ist die 2008 gegründete [[ICARUS (Konsortium)|ICARUS-Allianz]] (International Centre for Archival Research),<ref>[https://icar-us.eu/ ''International Centre for Archival Research'']</ref> in der 250 Institutionen kooperieren.
 
== Archivorganisationen und Berufsbild ==
 
[[Datei:DBP 1984 1224 Internationaler Archivkongress.jpg|mini|hochkant|[[Briefmarken-Jahrgang 1984 der Deutschen Bundespost|Deutsche Sonderbriefmarke]] zum Internationalen Archivkongress, gestaltet von [[Elisabeth von Janota-Bzowski]], 1984]]
Dem fachlichen Austausch dienen die Berufsverbände der Archivarinnen und Archivare (in Deutschland: [[Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V.|VdA]], in der Schweiz [[Verein Schweizerischer Archivarinnen und Archivare|VSA]], in Österreich [[Verband Österreichischer Archivarinnen und Archivare|VÖA]]) und Zusammenschlüsse von Archiven sowie archivische Fachzeitschriften (in Deutschland ist an erster Stelle [[Der Archivar]] und die [[Archivalische Zeitschrift]] zu nennen, in der Schweiz [[Arbido]], in Österreich [[Scrinium]]).
 
Hinweise zum aktuellen Berufsbild sowie zur fachspezifischen Aus- und Weiterbildung von [[Archivar]]en in der heutigen [[Informationsgesellschaft]] stellt unter anderem der [[Verein deutscher Archivare|Verband deutscher Archivare]] (VdA) zur Verfügung. Weitere Hinweise finden sich im Archivblog des VdA.
Der [[Tag der Archive]] bietet Möglichkeiten, sich über das Berufsbild vor Ort zu informieren.
 
== Archivlisten ==
* {{WikipediaDE|Liste von Archiven}}
* {{WikipediaDE|Liste kommunaler Archive}}
* {{WikipediaDE|Liste staatlicher Archive}}
* {{WikipediaDE|Liste der Hochschularchive in Deutschland}}
* {{WikipediaDE|Liste von Kirchenarchiven}}
* {{WikipediaDE|Liste von Musikarchiven}}
* {{WikipediaDE|Liste österreichischer Archive}}


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Diversität (Soziologie)}}
{{Portal|Archivwesen}}
* {{WikipediaDE|Diversität}} (Begriffsklärungsseite)
* {{WikipediaDE|Kategorie:Archiv}}
* {{WikipediaDE|Heterogenität (Begriffsklärung)}}
* {{WikipediaDE|Archiv}}
* {{WikipediaDE|Interkulturelle Kompetenz}}
* {{WikipediaDE|Archivportal}}
* {{WikipediaDE|Superdiversität}}
* {{WikipediaDE|Archivwesen}}
* {{WikipediaDE|Willkommens- und Anerkennungskultur}}
* {{WikipediaDE|Archivkunde}}
* {{WikipediaDE|Archivrecht}}
* {{WikipediaDE|Archivar}}
* {{WikipediaDE|Archivpädagogik}}
* {{WikipediaDE|Archivsparten}}
* {{WikipediaDE|Langzeitarchivierung}}
* {{WikipediaDE|Verwaltungsarchiv}}
* {{WikipediaDE|Elektronische Archivierung}}
* {{WikipediaDE|Internet Archive}} (= Archive.org)
* {{WikipediaDE|Florence Declaration}}
* {{WikipediaDE|Tag der Archive}}
* {{WikipediaDE|Zentrale Datenbank Nachlässe}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* Bülent Kaya, Gianni D'Amato (Hrsg.): ''Kulturelle Vielfalt und die Justiz''. Seismo Verlag, Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen, Zürich 2013, ISBN 978-3-03777-129-7.
* Hannes Berger: ''Öffentliche Archive und staatliches Wissen'', Tectum, Baden-Baden 2019, ISBN 978-3-8288-4373-8.
* Janine Dahinden, Alexander Bischoff (Hrsg.): ''Dolmetschen, Vermitteln, Schlichten – Integration der Diversität?'' Seismo Verlag, Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen, Zürich 2012, ISBN 978-3-03777-081-8.
* Adolf Brenneke: ''Archivkunde''. Bearb. und erg. von Wolfgang Leesch, Leipzig 1953.
* Michael Schönhuth: ''Diversity.'' In: Sven Hartwig, Fernand Kreff (Hrsg.): ''Lexikon der Globalisierung''. Transcript-Verlag, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-8376-1822-8, S. 52–56.
* Hans-Joachim Hecker: Artikel ''Archive''. In: ''Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte'', 2. Aufl., Bd. 1, Sp. 285–293, ISBN 978-3-503-07912-4.
* Gertraude Krell (Hrsg.): ''Chancengleichheit durch Personalpolitik''. 5. Auflage. Gabler, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-8349-0465-2.
* Sabine Brenner-Wilczek, Gertrude Cepl-Kaufmann, Max Plassmann: ''Einführung in die moderne Archivarbeit'', Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 978-3-534-18190-2.
* Gertraude Krell: ''Mono- oder multikulturelle Organisationen? "Managing Diversity" auf dem Prüfstand.'' In: ''Industrielle Beziehungen'' Jg. 3 (1996), Nr. 4, {{ISSN|0943-2779}}, S. 335–350.
* Martin Burkhardt: ''Arbeiten im Archiv. Praktischer Leitfaden für Historiker und andere Nutzer'', Verlag Schöningh, Paderborn 2006, ISBN 3-8252-2803-7 (UTB 2803).
* María do Mar Castro Varela, Nikita Dhawan (Hrsg.): ''Soziale (Un)Gerechtigkeit: Kritische Perspektiven auf Diversity, Intersektionalität und Antidiskriminierung''. LIT, Berlin/Münster 2011, ISBN 978-3-8258-1192-1.
* Markus Friedrich: ''Die Geburt des Archivs. Eine Wissensgeschichte''. Oldenbourg Verlag, München 2013, ISBN 978-3-486-74595-5.
* Julia Ricart Brede, Günter Helmes (Hrsg.): ''Vielfalt  und Diversität in Film und Fernsehen''. Waxmann, Münster 2017, ISBN 978-3-8309-3019-8.
* Bernd Hüttner: ''Archive von unten. Bibliotheken und Archive der neuen sozialen Bewegungen und ihre Bestände''. Verlag AG SPAK, Neu-Ulm 2003, ISBN 3-930830-40-X.
* Georg Toepfer: ''[https://zeithistorische-forschungen.de/1-2020/5820 Diversität. Historische Perspektiven auf einen Schlüsselbegriff der Gegenwart]''. In: ''Zeithistorische Forschungen'' 17 (2020), S. 130–144.
* Heinz Lieberich: Artikel ''Archiv''. In: ''Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte'', Bd. 1, Sp. 211–217.
* John Ridener: ''From Polders to Postmodernism. A Concise History of Archival Theory''. Litwin Books, Duluth 2009, ISBN 978-0-9802004-5-4.<ref>Johannes Grützmacher: [http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-4-250 ''Rezension zu: Ridener, John: From Polders to Postmodernism. A Concise History of Archival Theory. Duluth 2009'']. In: ''H-Soz-u-Kult'', 23. Dezember 2009.</ref>
* Markus Schek: ''[https://www.medienwirtschaft-online.de/praxisforum/detail.php?nr=1076&rubric=Praxisforum&PHPSESSID=c25a4e404a50dcf55f0d35d47ae168d6 Automatische Klassifizierung und Visualisierung im Archiv der Süddeutschen Zeitung''. In: ''MedienWirtschaft'' 1/2005, S. 20–24.]
* Steffen Schwalm, Rainer Ullrich: ''Lexikon Dokumentenmanagement und Archivierung'', Berlin 2008.
* Marcus Stumpf (Hrsg.): ''Praktische Archivkunde. Ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv''. Ardey-Verlag, 4., überarbeitete Auflage, Münster 2018, ISBN 978-3-87023-434-8.
* Winfried Wehle: Archiv - Zukunft braucht Vergangenheit, Eichstätt, 2009. - 10 S. [http://edoc.ku-eichstaett.de/14818/1/Archiv_dt.pdf PDF].
 
== Weblinks ==
{{Commonscat|Archives|Archive}}
{{Wiktionary|Archiv}}
{{Wiktionary|archivieren}}
{{Wikisource|Archivwesen}}
{{Wikisource|Digitale Sammlungen von Archiven}}
 
* Martin Burkhardt: [http://www.historicum-estudies.net/etutorials/tutorium-archivarbeit/ ''Gebrauchsanleitung für Archive'']. Auf: historicum-estudies (aufgerufen am 16. Mai 2014)
* {{Webarchiv |url=http://www.adfontes.unizh.ch/1000.php |text=''«Ad fontes» – Eine Einführung in den Umgang mit Quellen im Archiv'' |wayback=20020809025520}}
* {{Webarchiv |url=http://gonline.univie.ac.at/htdocs/site/browse.php?a=2634&arttyp=k |text=''Archive'' |wayback=20070611015553}}
* [http://archiv.twoday.net/ Weblog ''Archivalia'' zum Archivwesen]
* [http://www.augias.net/ Nachrichtenportal des Archivwesens]
* [https://www.archivportal-d.de/ Das deutsche Archivportal mit einem Glossar archivfachlicher Begriffe]
* [http://www.vsa-aas.org/ Archive in der Schweiz]
* Die Archivschule Marburg bietet unter [http://www.archivschule.de/ www.archivschule.de] eine umfangreiche (weltweite) Linksammlung [http://www.archivschule.de/content/59.html Archive im Internet] an.
* {{Webarchiv |url=http://www.gewaltderarchive.de/ |text=''Gewalt der Archive'' |wayback=20101122163840}}. DFG-Netzwerk 2007–2009 (Archiv-Version vom 22. November 2010 beim Internet Archive)
* [http://www.archiv3.org/ Archiv³ Kooperation Dritte Welt (Entwicklungspolitik)]
* [https://www.ica.org/sites/default/files/UDA_Sept%202013_press_GE.pdf Erklärung der UNESCO zu Archiven aus dem Jahr 2011]


== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />


[[Kategorie:Soziologie]]
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[[Kategorie:Archiv|!]]
{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Aktuelle Version vom 24. März 2021, 03:10 Uhr

Eingang zu den „Archivkammern“ im Palast Assurbanipals
Zeichnung eines Archivschranks, 16. Jahrhundert

Ein Archiv (lat. archivum ‚Aktenschrank‘; aus altgr. ἀρχεῖον archeíon ‚Amtsgebäude‘) ist eine Institution oder Organisationseinheit, in der Archivgut zeitlich unbegrenzt im Rahmen der Zuständigkeit des Archivs oder des jeweiligen Sammlungsschwerpunktes aufbewahrt, benutzbar gemacht und erhalten wird (Archivierung).

Allgemeines

Mit dem Begriff können auch Gebäude oder Räumlichkeiten gemeint sein, in denen ein Archiv oder Archivgut untergebracht ist (Magazin). Archive gibt es weltweit und in nahezu allen Kulturen und Lebensbereichen. Archive entstanden mit den ersten schriftlichen Überlieferungen und dienten von Anbeginn der Sicherung wichtiger Informationen, vor allem zum langfristigen Nachweis von Eigentumsrechten oder vertraglichen Dokumenten.

Archive erscheinen sowohl in öffentlicher (z. B. Staaten, Kommunen) als auch privater Trägerschaft (z. B. Unternehmen, Vereine, Familien). Die öffentlichen Archive arbeiten aufgrund von Archivgesetzen, welche die Archivierung und die damit verbundenen Arbeitsfelder als öffentliche Pflichtaufgabe deklarieren. Da zunehmend Unterlagen nur noch digital existieren, gewinnt die digitale Archivierung an Bedeutung.

Zusammen mit anderen Gedächtnisinstitutionen wie Bibliotheken, Dokumentationsstellen oder Museen bilden Archive das besonders sensible kulturelle sowie das rechtlich-administrative Gedächtnis eines Staates, einer Kommune oder einer Region.[1] Spezifisch für Archive ist, dass die im Archivgut enthaltenen aufzubewahrenden Informationen als Primärquellen einzigartig sind und im Regelfall nur einmalig überliefert wurden. In bewaffneten Konflikten sind auch Archive mit den wertvollen Informationen als Bestandteil des kulturellen Erbes bedroht. Internationale und nationale Koordinationen hinsichtlich militärischer und ziviler Strukturen zum Schutz von Archiven betreibt Blue Shield International mit Sitz in Den Haag.[2][3][4]

Archivgut

Zettelarchiv

Die in den Archiven archivierte Information und die dazugehörigen Informationsträger werden unter dem Begriff Archivgut oder Archivalien[5] zusammengefasst. Eine einzelne Archivguteinheit wird auch Archivale genannt (neutrum, Plural Archivalien).

Archivgut ist derjenige Teil von Unterlagen, der von Schriftgut führenden Stellen wie beispielsweise Behörden, Unternehmen, Vereinen, Familien oder Privatpersonen für die aktuelle Aufgabenerledigung nicht mehr benötigt wird und vom zuständigen Archiv als unbefristet aufzubewahren bewertet wurde (Archivische Bewertung). Diese Art von Dokumenten haben die Eigenschaft, dass sie die Aufgaben (sowohl Pflichtaufgaben als auch freiwillige Aufgaben) und die Tätigkeiten der jeweiligen unterlagenführenden Stelle authentisch dokumentieren (beispielsweise Bankenaufsicht des Bundesfinanzministeriums, Wasserversorgung einer Gemeinde, Produktdesign im Autounternehmen, wissenschaftliche Daten eines Forschungsinstituts, Tagebuch oder Briefwechsel einer Privatperson).

Die Informationen können dabei auf unterschiedlichen Trägern überliefert sein, beispielsweise papiergebundene oder elektronische Sachakten, Datenbanken oder andere digitale Systeme, Einzeldokumente, Karten und Pläne, Fotos, Filme oder Tonaufnahmen.

Mit der inhaltlichen Erschließung der im Archivgut enthaltenen Informationen entstehen umfangreiche Datenbanken und Hilfsmittel wie Findbücher und Verzeichnisse.Diese werden für Benutzungen und für die Auswertung genutzt und heute überwiegend über das Internet zugänglich gemacht. Archivgut besteht in der Regel aus Unikaten, die als Primärquellen einen herausragenden Stellenwert für historische Forschungen haben aber auch als Träger authentische Nachweise oder Informationen für Institutionen oder den Bürgern dienen.

Schriftgutführende Stellen (Registraturbildner) bieten ihr (dienstliches) Schriftgut obligatorisch oder freiwillig – je nach rechtlichem Hintergrund – dem zuständigen Archiv an, wenn die Unterlagen zur aktuellen Aufgabenerfüllung nicht mehr benötigt werden. Archive bewerten, ob das Schriftgut archiviert oder vernichtet werden kann. Den noch nicht Archiven angebotenen Teil von Unterlagen bezeichnet man auch als Registraturgut, insbesondere in Behörden und Unternehmen. Zwischen Archivgut und Registraturgut bestehen signifikante rechtliche Unterschiede, da Archivgut nicht mehr für die alltägliche Aufgabenerfüllung benötigt wird. Dennoch gibt es auch Gemeinsamkeiten, die durch das Modell des Lebenszyklus von Unterlagen verdeutlicht werden.

Den vor-archivischen Aufbau und Umgang mit Schriftgut sowie die Vorgangs- und Aktenbildung regelt das Records Management der Verwaltung der aktenführenden Stelle (Registraturbildner). Gerade im Bereich der Aktenbildung und Aktenorganisation wird seit vielen Jahren eine zunehmende Entprofessionalisierung der Arbeit im Vorfeld sichtbar. Eigenmächtige Kassationen oder unsachgemäße Lagerung des dienstlichen Schriftgutes (siehe Schimmelbefall) können dazu führen, dass Überlieferungslücken von wichtigen Informationen bei der Archivierung festgestellt werden müssen. Archive sind auf Grund des vorgegebenen Aufgabenprofils sowie sehr begrenzter Personal-Ressourcen nicht in der Lage, die grundlegende Arbeitsaufgabe der Aktenorganisation der Verwaltungen zu übernehmen. Die inhaltliche Überlieferungen im Archivgut hängen somit stark vom Zustand des jeweiligen Records Managements (Organisation der Aktenführung, Aktenbildung, Aktenplan) ab. Archive und damit die Archivare sind somit darauf angewiesen, dass die Aktenführung des jeweiligen Registraturbildners zuverlässig, regelmäßig und vollständig erfolgt. Das gilt gleichermaßen für die vielfältigen digitalen Überlieferungen.

Erweiterung des Archivbegriffs

Oft steht Archiv einfach für einen Ort, an dem nicht mehr Aktuelles vorgehalten wird, beispielsweise haben viele Websites einen entsprechenden Archivbereich. Bei Archiv handelt es sich nicht um einen fest definierten oder gar geschützten Begriff. Ganz unterschiedliche Einrichtungen dürfen sich Archiv nennen, obwohl es vielfach näher läge, sie als Altregistraturen, Bibliotheken, Museen oder Dokumentationsstellen zu bezeichnen.

Die sogenannte Archivierung im IT-Bereich führt zur Verwässerung des eigentlichen Archivbegriffs. So sprechen viele Unternehmen, die digitale Registratursysteme anbieten oder verwenden, von Archivierung, wenn es um die Speicherung von Daten im System geht (elektronische Archivierung). Andere Gedächtnisorganisationen wie Bibliotheken sprechen von Langzeitarchivierung, wenn die dauerhafte Erhaltung ihrer digitalen Informationen gemeint ist (digitales Archiv). Die Verwendung des Begriffs Archiv in der IT-Branche ist technisch zu verstehen. So werden etwa Systeme zur elektronischen Archivierung oder für die Datensicherung (siehe etwa das Tar-Dateiformat) als Archive bezeichnet, obwohl sich heutzutage die Zugriffszeiten aus Sicht der menschlichen Arbeit kaum noch von denen im laufenden System der Datenträger unterscheiden. Im 20. Jahrhundert war es üblich, Daten aus der elektronischen Archivierung in abgeschlossenen Panzerschränken aufzubewahren.

In der postmodernen Kulturwissenschaft wird Archiv im Anschluss an Michel Foucault als Oberbegriff für Informations- und Wissensspeicher wie z. B. Bibliotheken gebraucht, wobei für Foucault der Begriff des Archivs weit über einen Ort des Bewahrens hinaus auch "das allgemeine System der Formation und der Transformation von Aussagen"[6] bezeichnet. Der Begriff umfasst hier alle Bedingungen, unter denen Aussagen und in der Folge Wissen entstehen können.

Archivarten und Archivträger

Bei den Archiven in Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarländern fallen eine starke Fragmentierung und verschiedenartige Ausrichtung der einzelnen Institutionen auf. In Deutschland wurden durch den VdA 8 verschiedene Archivsparten unterteilt, die wiederum eine große Bandbreite von Archiven beinhalten.

Die wichtigsten Träger, Betreiber oder Eigentümer von Archiven sind öffentliche und halböffentliche Institutionen. Daneben werden Archive aber auch von großen Unternehmen, Organisationen sowie von Privatpersonen unterhalten. Vom Archivträger hängt auch die Überlieferungsbildung des zuständigen Archivs ab.[7] Zu den Archiven der öffentlichen Hand zählen allgemein gesamtstaatliche Archive, Landesarchive, Kommunalarchive, Kammerarchive sowie Schul- und Universitätsarchive. Diese Archive erfüllen einen gesetzlichen Auftrag.[8] Zu den Archiven von Institutionen und Vereinigungen gehören Archive von Religionsgemeinschaften (auf der Ebene von Ländern, Klöstern und Pfarren und nach Konfessionen getrennt), Vereinsarchive, Stiftungsarchive der Parteien, Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbandsarchive, Innungsarchive und weitere.

Im Bereich der privaten Archive finden sich etwa Unternehmensarchive und Archive von privaten Personen bzw. Familien, die meist nicht für Außenstehende zugänglich sind. Hinzu kommen die Archive in Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen.[9] Als Beispiel für das Archiv eines großen Zeitungsverlages eignet sich das der Süddeutschen Zeitung. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) verfügt seit ihrer Gründung 1945 über ein Pressearchiv, das die Texte der eigenen Redakteure und zahlreicher nationaler und internationaler Publikationen dokumentiert und auf Anfrage für Recherchezwecke bereitstellt.

Die große Bandbreite der Archivlandschaft lässt sich mittlerweile gut in den im Archivportal-D nachgewiesenen über 2600 Archiven Deutschlands nachvollziehen.

Bewertung

Die Auswahl und damit Bewertung von Schriftgut eines Registraturbildners zählt zu den wichtigsten Aufgaben eines Archivs. Der Archivar entscheidet darüber, welche Informationen archivwürdig sind und damit dauerhaft aufbewahrt werden und welche kassiert, d. h. vernichtet werden. Die Bewertung von Unterlagen ist eine wesentliche Aufgabe, da die Archivierung aller Dokumente eines Registraturbildners zu hohen Kosten für die Lagerung und Bestandserhaltung führen würde. Des Weiteren wird durch die fachgerechte Auswahl der zu archivierenden Informationen eine gezieltere Recherche und Nutzung des Archivgutes ermöglicht und die Aufbewahrung redundanter Informationen vermieden. Trotz sinkender Speicherkosten gilt dies auch für genuin digital entstandene Dokumente. Die erforderlichen regelmäßigen Migrationen in aktuelle Dateiformate machen die dauerhafte Aufbewahrung von digitalen Archivalien teuer.

In der Regel werden nur einige wenige Prozent der angebotenen Unterlagen archiviert. Die Bewertung erfolgt anhand von Bewertungskriterien, die vorher erarbeitet werden sollten, ständig aktualisiert werden müssen und auf objektiver Grundlage basieren. Dabei wird zwischen formalen und inhaltlichen Kriterien unterschieden.[10] Die Bewertungsentscheidungen sind zu protokollieren, damit ihre Nachvollziehbarkeit und die Transparenz gewährleistet ist. In den Archiven der Länder und des Bundes werden zunehmend Bewertungsmodelle eingesetzt, die für verschiedene Verwaltungszweige und -behörden verbindliche Aussagen über die Archivwürdigkeit der dort anfallenden Unterlagen treffen.[10] Im kommunalen Archivwesen finden Dokumentationsprofile immer stärkere Verbreitung. Dabei handelt es sich um einen ganzheitlichen Ansatz der Überlieferungsbildung für amtliche und nicht amtliche Unterlagen der lokalen Lebenswelten eines Archivsprengels (Zuständigkeit des Archivs).

Erschließung

Die Erschließung (die Ordnung und Verzeichnung des Archivguts) erfolgt in Facharchiven nach genormten Verfahren[11] und in der Regel nach dem Provenienzprinzip.

Im 19. Jahrhundert war das Pertinenzprinzip weit verbreitet, welches die Unterlagen ohne Rücksicht auf ihren Entstehungszusammenhang und ihre Herkunft (Provenienz) nach Sachbegriffen (Pertinenzen) organisierte.

Ein Nachteil ergab sich daraus, dass ein aus dem Zusammenhang gerissenes Schriftstück erheblich geringere Aussagekraft hat, als ein Schriftstück, das in seinem Entstehungskontext belassen wurde. Die Erschließung nach dem Pertinzenprinzip wird heute v. a. im Rahmen der Erschließung von Sammlungen und Nachlässen angewandt.

Ausgehend vom angloamerikanischen Raum und den bereits bestehenden einheitlichen OVG arbeiten Archive an gemeinsamen Standards wie Encoded Archival Context und Encoded Archival Description. Da sich in den USA Archive und Bibliotheken weit näher stehen als im deutschsprachigen Raum, kommt es durch die Kooperation auf dem Gebiet der Standardisierung zu einer verstärkten Zusammenarbeit von Archiven und Bibliotheken. Allerdings hat es sich nicht bewährt, bibliographische Formate auf archivische Bedürfnisse anzupassen. Der Internationale Archivrat (ICA/CIA)[12] verabschiedete im Jahr 2000 ISAD(G) als Anwendungsstandard zur Verzeichnung von Archivgut (General International Standard Archival Description), bzw. 2004 ISAAR(CPF) (International Standard Archival Authority Record for Corporate Bodies, Persons, and Families).

Damit wird der Eigenständigkeit archivischer Arbeitsmethoden Rechnung getragen. Der Individualisierung von Einzelstücken wird entgegengewirkt und der im Provenienzprinzip artikulierten Bedeutung der Entstehungszusammenhänge und Ursprungszwecke Rechnung getragen. Durch die Vereinheitlichung wird eine Verbesserung der Arbeitsmethoden erreicht, die sich an der Praxis orientiert und die damit zur Grundlage für die Entwicklung nationaler Standards wird.

Angestrebt wird, dass in Zukunft der Benutzer nach einheitlichen Standards weltweit in vernetzten Archivdatenbanken in den Suchhilfsmitteln der Archive recherchieren kann.

Bestandserhaltung

Tape Library (Innenansicht)

Da Archive das ihnen anvertraute überwiegend schriftliche Kulturgut dauerhaft oder zumindest für längere Zeit sichern sollen, stellt sich das Problem der Bestandserhaltung. Ein Problem ist beispielsweise die Archivierung von Papierdokumenten, die nicht holzfrei sind oder schädliche Zusatzstoffe wie Leim und Pigmente enthalten. Während Dokumente auf altem Hanfpapier sehr dauerhaft über Jahrhunderte lagerfähig sind, zerfallen europäische Dokumente aus dem 19. Jahrhundert oft durch Säurefraß. Die Restaurierung ist oft nur noch durch Massenentsäuerung und nachträgliche Stabilisierungsverfahren, wie beispielsweise durch das Papierspaltverfahren möglich.[13][14] Darüber hinaus stellt die Erhaltung unterschiedlicher Medienformate, wie von Fotoaufnahmen, Tonbändern oder Filmen, eine große Herausforderung dar, die fachübergreifend durch entsprechend ausgebildete Restauratoren erfolgen muss.

Besondere Probleme wirft die Langzeitarchivierung von digitalen Informationen auf, da die Haltbarkeit der derzeit üblichen Datenträger sehr begrenzt ist. Beispielsweise sind bereits heute Teile der Daten des Apollo-Programmes nicht mehr lesbar, weil die Computer, Betriebssysteme und Programme von damals nicht mehr verfügbar sind oder die Daten nicht auf neuere Systeme übernommen wurden.

Das in Archiven gespeicherte Kulturgut ist in vielen Ländern durch Naturkatastrophen, Kriege oder sonstige Notfälle bedroht. Dazu gibt es auch bei Archiven eine starke Bündelung vorhandener Ressourcen sowie die Vernetzung vorhandener Fachkompetenzen um den Verlust oder die Beschädigung zu verhindern bzw. Schäden so gering wie möglich zu halten. Internationaler Partner für Archive ist dabei gemäß der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut von 1954 und deren 2. Protokoll von 1999 die Organisation Blue Shield International. National und International gesehen gibt es aus rechtlichen Gründen zur nachhaltigen Sicherung des Bestandes von Kulturgutspeichereinrichtungen viele Kooperationen zwischen Archiven und lokalen Blue-Shield-Organisationen.[15][16][17] Das betrifft auch die Erhebung von zu schützenden Archiven beziehungsweise sonstigen Kulturgütern, die Erstellung von "No-strike lists", die Verknüpfung ziviler und militärischer Strukturen und die Ausbildung von lokalem militärischen Personal hinsichtlich Schutz von Kulturgut.[18] Grundsätzlich sollen bei Katastrophen im Hinblick auf Archive und sonstige Kulturgutträger idealtypisch durch Blue Shield vermittelte beziehungsweise organisierte je nach Notwendigkeit aufgestellte lokale Bündnisse samt Hilfe aus erreichbaren Drittstaaten schnelle Schadensbegrenzung erreichen.[19]

Benutzung

Benutzungen sowie die Auswertungs- und Öffentlichkeitsarbeit von Archivgut stehen am Schluss der Bewertungs- und Erschließungsprozesse der dauerhaft vorzuhaltenden Informationen. Eine Benutzung der Informationsträger (wie Akten, Pläne oder auch Fotoaufnahmen) ist unterschiedlichen Rechtsnormen unterlegen. Vor allem die Entwicklung des Datenschutzes war der Motor für die Archivgesetzgebung.[20] In den öffentlichen Archiven weltweit spielt der Respekt vor sensiblen personenbezogenen Daten eine große Rolle. Beispielsweise können Personalakten in der Regel erst einige Zeit nach dem Tod des Betreffenden in die Benutzung gegeben werden (in Deutschland 10 bis 30 Jahre). Ist der Todeszeitpunkt nicht bekannt, wird eine Frist ab der Geburt (i. d. R. 90 bis 100 Jahre) festgelegt. Mit dem Aufkommen der Informationsfreiheitsgesetze spielen die früher dominierenden Befürchtungen, Benutzer könnten durch verfrühte Einsicht in Behördenakten der Verwaltung schaden, eine immer geringere Rolle. Für die Unterlagen des Bundes und der Länder gilt in Deutschland eine Regelsperrfrist von 30 Jahren nach Schließung der Akte.

Nutzer

Die Benutzung der Bestände eines öffentlichen Archivs für die Auswertung zu persönlichen, rechtlichen oder wissenschaftlichen Zwecken ist für jeden nach Genehmigung eines dafür gestellten Benutzerantrags möglich. Auch eine schriftliche Anfrage gilt im rechtlichen Sinn als Benutzung. Als ursprünglicher Registraturbildner ist die das Archiv unterhaltende Verwaltung teilweise Hauptnutzerin des amtlichen Archivguts, um auch nach der ursprünglichen Aufgabenerledigung wichtige Informationen schnell zu erlangen oder in spezifischen Rechtsfragen auch nach Jahren noch Sicherheit zu bekommen. Die Nutzung und Sichtung von öffentlichen und privaten Archiven zwecks Recherche, Sicherung und Auswertung von Quellen gehört zu den grundlegenden beruflichen Aufgaben von Historikern, freien Autoren, Publizisten, Wissenschaftlern und privaten Forschern (etwa Heimatforscher).

Ein Archivbenutzer betreibt Ahnenforschung in Standesamtsbüchern.

Durch die zahlreichen Personenstandsregister, Kirchenbücher und archivierten Einwohnermeldekarteien sind kommunale Archive eine beliebte Anlaufstelle für Genealogen bzw. Privatpersonen, die Informationen über ihre Vorfahren suchen. Auch zur Klärung von Erbstreitigkeiten und anderen Rechtsverfahren wenden sich beauftragte Rechtsanwälte oder Unternehmen an Archive, um beglaubigte Urkunden oder andere Dokumente zur Rechtssicherung ihrer Klienten zu erhalten.

Im Rahmen der Archivpädagogik können sich Schulklassen zum Beispiel für den Geschichtsunterricht die freie Zugänglichkeit der Archive zu Nutze machen und werden vom Archivpersonal fachlich unterstützt. Zu der Zeit wenn die Schüler der Gymnasien ihre Facharbeiten schreiben, bemerken die Archive außerdem jährlich eine Anhäufung von Anfragen durch Schüler, die in den Beständen originale Quellen suchen.

Archivgesetze

In Deutschland bestehen verschiedene Gesetze auf Bundes- oder Landesebene, die die Zugänglichkeit von Archivgut regeln und die Aufgaben von Archiven formulieren. Auf kommunaler Ebene werden entsprechende Regelungen im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung in Satzungen formuliert. Gegenstand der Archivgesetze in Bezug auf die Archivbenutzung ist die Abwägung von Wissenschafts- und Informationsfreiheit einerseits und den Schutzrechten betroffener Personen andererseits. Hierzu werden Schutzfristen und andere Nutzungseinschränkungen zum Schutz des Archivguts formuliert. Die Einhaltung des geltenden Archivgesetzes verpflichtet die Archive zum Beispiel dazu, die Benutzung zu verweigern, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährdet würde, oder der Erhaltungszustand der Archivale eine Nutzung nicht zulässt.[21]

Sicherheit

Da Archivgut als Primärquelle einmalig ist, muss es vor Beschädigungen durch unsachgemäße Nutzung und zu hoher Beanspruchung geschützt werden. Bei vorsätzlicher Beschädigung der Archivalien kann dem Benutzer die erteilte Benutzungsgenehmigung entzogen werden. Um Vandalismus vorzubeugen, wird die Benutzung nur vor Ort in speziellen Benutzerräumen gestattet. Handschuhe müssen vom Benutzer bei sehr fragilen Archivdokumenten, Fotoaufnahmen, Negativen und teilweise auch bei Zeichnungen getragen werden, um einer Schädigung durch Schweiß vorzubeugen. Die Benutzung von Kugelschreibern kann im Einzelfall untersagt werden. Viele Archive fertigten früher Mikrofilme an, um den Archivbenutzern ein Betrachten von Büchern und Dokumenten per Mikrofilm-Lesegerät zu ermöglichen. So wurden auch die Originale geschont und vor unsachgemäßer Nutzung geschützt. Auch heute sind Mikrofilme neben umfangreichen Digitalisierungsmaßnahmen der Archive noch ein gängiges Konversionsverfahren.[22] (siehe auch Retrokonversion)

Mit der Benutzung vor allem von älterem Archivgut kann das Einatmen von Staubpartikeln und Schimmelsporen verbunden sein. Empfindliche Personen könnten daher im Einzelfall allergisch reagieren. Da es sich nicht vollständig vermeiden lässt, dass Staub und Schimmelsporen Archivgut kontaminieren, ist es bei einer Benutzung ratsam, sich ggf. ausreichend zu schützen.

Literatur zur Archivbenutzung

  • Norbert Reimann (Hrsg.): Praktische Archivkunde, ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste Fachrichtung Archiv. Münster 2004
  • Angelika Menne-Haritz: Schlüsselbegriffe der Archivterminologie, Lehrmaterialien für das Fach Archivwissenschaft. 2., überarb. Aufl., Marburg 1999

Virtuelle Archive

Im Internet gibt es zahlreiche Archivportale. Sie bieten gebündelte Information über Archive und/oder die Möglichkeit, in den Beständen mehrerer Archive gleichzeitig zu recherchieren. Je nachdem, welche und wie viele Archive von dort erreichbar sind, gibt es thematisch engere und weitere (universellere) Webportale.

Das Wirken von Google Books hat seit 2004 hat vieles angestoßen. Zu dieser Zeit gab es nur vereinzelte Pilotprojekte zur Digitalisierung von Findhilfsmitteln und Archivgut, um beides im Internet zur Benutzung bereitzustellen. Der Gedanke von Open Access für Archivgut war damals kaum verbreitet. Google verkündete 2004 das Ziel, bis 2015 15 Millionen Bücher gescannt zu haben. Google kooperiert auch mit dem gemeinnützigen Projekt Internet Archive. Google Books traf wegen seines Ansatzes – Start der Digitalisierungen in großem Stil, ohne vorher die Urheberrechtssituation der kopierten Werke grundsätzlich zu klären bzw. vertraglich zu regeln – auf teilweise erheblichen Widerstand, der auch in Rechtsstreitigkeiten mündete. Google kooperiert mit zahlreichen besonders großen und alten Bibliotheken sowie vielen Universitätsbibliotheken:

Weiter sinkende Digitalisierungskosten begünstigen den Prozess bis heute.

Die Digitalisierung von analogem Archivgut – abseits der Findhilfsmittel – wird ebenfalls befürwortet und – meist in Einzelprojekten – vorangetrieben. Dabei entstehende Digitalisate werden zur Nutzung im WWW bereitgestellt. Die Digitalisierung ganzer und kompletter Akten und Aktenreihen stellt dabei weiterhin ein großes Problem dar, da die Inhalte immer im Kontext der Entstehung (Provenienz, Akte, Vorgang, Dokument) abgebildet werden müssen. Das setzt daher ein exzellentes Records Management der Verwaltungen und Registraturbildner voraus (s. o.). Darüber hinaus müssen eine Vielzahl an Rechten (Persönlichkeitsrechte, Urheberrechte, Geheimnisschutz) beachtet werden, die in der gedruckt vorliegenden Sekundärliteratur keine Rolle spielen.

Ein internationales Netzwerk zur Digitalisierung von Archivgut ist die 2008 gegründete ICARUS-Allianz (International Centre for Archival Research),[24] in der 250 Institutionen kooperieren.

Archivorganisationen und Berufsbild

Deutsche Sonderbriefmarke zum Internationalen Archivkongress, gestaltet von Elisabeth von Janota-Bzowski, 1984

Dem fachlichen Austausch dienen die Berufsverbände der Archivarinnen und Archivare (in Deutschland: VdA, in der Schweiz VSA, in Österreich VÖA) und Zusammenschlüsse von Archiven sowie archivische Fachzeitschriften (in Deutschland ist an erster Stelle Der Archivar und die Archivalische Zeitschrift zu nennen, in der Schweiz Arbido, in Österreich Scrinium).

Hinweise zum aktuellen Berufsbild sowie zur fachspezifischen Aus- und Weiterbildung von Archivaren in der heutigen Informationsgesellschaft stellt unter anderem der Verband deutscher Archivare (VdA) zur Verfügung. Weitere Hinweise finden sich im Archivblog des VdA. Der Tag der Archive bietet Möglichkeiten, sich über das Berufsbild vor Ort zu informieren.

Archivlisten

Siehe auch

Portal
Portal
 Wikipedia:Portal: Archivwesen – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Archivwesen

Literatur

  • Hannes Berger: Öffentliche Archive und staatliches Wissen, Tectum, Baden-Baden 2019, ISBN 978-3-8288-4373-8.
  • Adolf Brenneke: Archivkunde. Bearb. und erg. von Wolfgang Leesch, Leipzig 1953.
  • Hans-Joachim Hecker: Artikel Archive. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Bd. 1, Sp. 285–293, ISBN 978-3-503-07912-4.
  • Sabine Brenner-Wilczek, Gertrude Cepl-Kaufmann, Max Plassmann: Einführung in die moderne Archivarbeit, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 978-3-534-18190-2.
  • Martin Burkhardt: Arbeiten im Archiv. Praktischer Leitfaden für Historiker und andere Nutzer, Verlag Schöningh, Paderborn 2006, ISBN 3-8252-2803-7 (UTB 2803).
  • Markus Friedrich: Die Geburt des Archivs. Eine Wissensgeschichte. Oldenbourg Verlag, München 2013, ISBN 978-3-486-74595-5.
  • Bernd Hüttner: Archive von unten. Bibliotheken und Archive der neuen sozialen Bewegungen und ihre Bestände. Verlag AG SPAK, Neu-Ulm 2003, ISBN 3-930830-40-X.
  • Heinz Lieberich: Artikel Archiv. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Sp. 211–217.
  • John Ridener: From Polders to Postmodernism. A Concise History of Archival Theory. Litwin Books, Duluth 2009, ISBN 978-0-9802004-5-4.[25]
  • Markus Schek: Automatische Klassifizierung und Visualisierung im Archiv der Süddeutschen Zeitung. In: MedienWirtschaft 1/2005, S. 20–24.
  • Steffen Schwalm, Rainer Ullrich: Lexikon Dokumentenmanagement und Archivierung, Berlin 2008.
  • Marcus Stumpf (Hrsg.): Praktische Archivkunde. Ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv. Ardey-Verlag, 4., überarbeitete Auflage, Münster 2018, ISBN 978-3-87023-434-8.
  • Winfried Wehle: Archiv - Zukunft braucht Vergangenheit, Eichstätt, 2009. - 10 S. PDF.

Weblinks

Commons: Archive - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wiktionary: Archiv – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wiktionary: archivieren – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wikisource: Archivwesen – Quellen und Volltexte
 Wikisource: Digitale Sammlungen von Archiven – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. FH Potsdam vom 14. Januar 2020, Bibliotheken, Archive und Museen sind Garanten der Demokratie im Digitalen Zeit
  2. Karl Habsburg im Interview, Missbrauch von Kulturgütern ist strafbar, in: Wiener Zeitung vom 29. Juni 2012.
  3. Corine Wegener/Marjan Otter, Cultural Property at War: Protecting Heritage during Armed Conflict, in: The Getty Conservation Institute, Newsletter 23.1, Spring 2008.
  4. vgl. Isabelle-Constance von Opalinski, Schüsse auf die Zivilisation, in: FAZ vom 20. August 2014.
  5. Stadtarchiv Potsdam: „Einsichtnahme der Archivarien erfolgt grundsätzlich nur im Benutzerraum“
  6. Zitiert nach Michel Foucault, Archäologie des Wissens, 1969, S. 188.
  7. Archive (Memento vom 11. Juni 2007 im Internet Archive) Auf: Geschichte Online, Universität Wien, 2004.
  8. Aufstellung der Archivgesetze auf den Internetseiten der Archivschule Marburg. (Memento vom 10. Oktober 2012 im Internet Archive)
  9. Vgl. Martin Burkhardt, 3. Die verschiedenen Archivarten und -träger in Deutschland. In: Gebrauchsanleitung für Archive. Auf: historicum.net, 2006. Abgerufen am 25. Dezember 2009.
  10. 10,0 10,1 www.archivschule.de
  11. Einheitliche OVGOrdnungs- und Verzeichnungsgrundsätze des staatlichen Archivwesens der DDR.
  12. ICArchives : Page d'accueil : Accueil
  13. Günter Engelhardt/Klaus Granich/Klaus Ritter: Das Leimen von Papier. Leipzig (Fachbuchverlag) 1972, S. 12–14.
  14. Otto Wurz: Papierherstellung nach neuzeitlichen Erkenntnissen. Graz, Wien (Verlag Ulrich Moser) 1951, S. 46–65.
  15. Corine Wegener/Marjan Otter, Cultural Property at War: Protecting Heritage during Armed Conflict, in: The Getty Conservation Institute, Newsletter 23.1, Spring 2008.
  16. vgl. z. B. Hans Haider, Missbrauch von Kulturgütern ist strafbar, in: Wiener Zeitung vom 29. Juni 2012.
  17. Marilyn E. Phelan, Museum Law: A Guide for Officers, Directors, and Counsel, 2014, S. 419 ff.
  18. Aisling Irwin, A no-strike list may shield Yemen`s ancient treasures from war, in: Daily News vom 23. Jänner 2017.
  19. Markus Walz (Hrsg.), Handbuch Museum: Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, 2016, S. 238 ff.
  20. Vgl. Archivgesetze und weitere Gesetze (Memento vom 16. April 2009 im Internet Archive). In: Archivschule Marburg.
  21. Archivgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen § 6 – Nutzung
  22. http://www.bundeskonferenz-kommunalarchive.de:/ Bundeskonferenz Kommunalarchive, Zum Einsatz des Mikrofilms in der archivischen Bestandserhaltung (pdf, 2014)
  23. Jens Redmer: The Bavarian State Library becomes largest non-English library partner. In: Inside Google Book Search. 6. März 2007, abgerufen am 11. März 2007.
  24. International Centre for Archival Research
  25. Johannes Grützmacher: Rezension zu: Ridener, John: From Polders to Postmodernism. A Concise History of Archival Theory. Duluth 2009. In: H-Soz-u-Kult, 23. Dezember 2009.
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