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Diese Kategorie enthält Unterkategorien und Artikel zum Thema '''Politische Gruppierung'''.
[[Datei:Klodt Michail Petrovich - Raskolnikov and Marmeladov.jpg|mini|''Raskolnikow und Marmeladow''. Illustration von [[Michail Petrowitsch Klodt]], 1874.]]
'''Schuld und Sühne''' ({{RuS|Преступление и наказание}}), in älteren Übersetzungen auch '''Raskolnikow''', in neueren '''Verbrechen und Strafe''', ist der 1866 erschienene erste große [[Roman]] von [[Fjodor Michailowitsch Dostojewski|Fjodor Dostojewski]]. Der Roman wurde, während Dostojewski laufend weitere Kapitel schrieb, als [[Feuilletonroman]] in 12 Fortsetzungen in der Monatszeitschrift [[Russki Westnik]] veröffentlicht, beginnend Ende Januar 1866<ref>in Brief # 273 vom 18. Februar 1866 an Baron Wrangel schreibt Dostojewskij: "Vor zwei Wochen ist der erste Teil meines Romans im ersten Januarheft des "Russki Wjestnik" erschienen. Er heißt: Verbrechen und Strafe". Ich habe schon viele entzückte Äußerungen darüber gehört." {{Literatur | Titel= Dostoevsky Letters | Band=Bd. 2, 1860–1867 | Herausgeber=David A. Lowe | Verlag=Ardis | Ort=Ann Arbor | Jahr=1990 | Kommentar=Brief # 273 vom 18. Februar 1866}}; Brief # 273 teilw. auch auf dt. in {{Literatur | Titel=Raskolnikoffs Tagebuch | TitelErg=Mit unbekannen Entwürfen Fragmenten und Briefen zu "Raskolnikoff" und "Idiot"| Herausgeber=René Fülöp-Miller, Friedr. Eckstein | Verlag=Piper | Ort=München | Jahr=1928 | Seiten=120 }}</ref> und endend im Dezember 1866.


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== Titel ==
Der russische Originaltitel des Romans, ''Prestuplenije i nakasanie'' ({{lang|ru|Преступление и наказание}}), lässt sich nicht exakt ins Deutsche übertragen. Der geläufigste Übersetzungstitel ''Schuld und Sühne'' trifft mit seiner stark moralischen Orientierung jedoch nicht die russischen Termini, die eher aus dem juristischen Sprachgebrauch stammen. Genauer ist die Übersetzung als ''Verbrechen und Strafe'', die aber wiederum den durchaus vorhandenen ethischen Gehalt der russischen Begriffe nicht ganz erfasst. Dieser Titel wurde nach [[Alexander Eliasberg]] 1921 unter anderem von [[Swetlana Geier]] in ihrer viel beachteten Neuübersetzung von 1994 verwendet, als mögliche Alternativen nennt Geier die Worte ''Übertretung'' und ''Zurechtweisung''. In anderen Sprachen wie dem Englischen, Französischen, Spanischen und Polnischen wurde dagegen der Titel ''Verbrechen und Strafe'' schon immer bevorzugt verwendet (''Crime and punishment'', ''Crime et châtiment'', ''Crimen y castigo'' bzw. ''Zbrodnia i kara''). Der Roman wurde im Deutschen teilweise auch unter dem Namen seiner Hauptfigur, ''Rodion Raskolnikow,'' herausgegeben.


[[Kategorie:Politik]]
== Handlung ==
=== Haupthandlung ===
Schauplatz des Romans ist [[Sankt Petersburg]] um 1860. [[Protagonist]] ist der bitterarme, aber überdurchschnittlich begabte ehemalige [[Rechtswissenschaft|Jura]]-Student Rodion Romanowitsch Raskolnikow.
Die Mischung aus Armut und Überlegenheitsdünkel spaltet ihn zunehmend von der Gesellschaft ab. Unter dem Eindruck eines von ihm zufällig belauschten Wirtshausgesprächs entwickelt er die Idee eines „erlaubten Mordes“, die seine Theorie „von den ‚außergewöhnlichen‘ Menschen, die im Sinne des allgemein-menschlichen Fortschritts natürliche Vorrechte genießen“, zu untermauern scheint. Er selbst sieht sich als solchermaßen Privilegierten, der auch in der Situation eines „erlaubten Verbrechens“ Ruhe und Übersicht zu wahren weiß.
 
Diesem Selbstanspruch stehen die bedrückenden, beengten äußeren Umstände entgegen. Raskolnikows Kleidung ist zerlumpt und er haust in einem Zimmer von sargähnlicher Enge. Die prekäre finanzielle Situation zwingt ihn, sich an jene alte wucherische Pfandleiherin zu wenden, der sein Mordplan längst gilt. Diese ist für ihn nur eine geizige und herzlose Alte, die allein dafür lebt, ein immer größeres Vermögen zusammenzuraffen, um es für ihr Seelenheil zu verwenden – das Vermögen soll nach ihrem Tod der Kirche zufallen. Für Raskolnikow ist sie der Inbegriff einer „Laus“, einer wertlosen Person, über deren Leben die wirklich großen Menschen hinweggehen dürfen.
 
Dieser Weltanschauung verhaftet, verfestigt sich in Raskolnikow die Vorstellung des Mordes an der Pfandleiherin immer mehr, bis er schließlich, veranlasst durch einen Brief seiner Mutter über das ungerechte Los seiner Schwester, zu dem zwanghaften Entschluss kommt, tätig zu werden. Später kaschiert er seine inneren Widerstände, welche ihn während der gesamten Ausführung begleiten, durch ideologische Motive. So berichtet er Sofja Semjonowna Marmeladowa, genannt Sonja, einem jungen Mädchen, welches sich auf Grund von Geldnöten ihrer Familie [[Prostitution|prostituiert]]: „Ich wollte damals erfahren, so schnell wie möglich erfahren, ob ich eine Laus bin, wie alle, oder ein Mensch.“ „Ein Mensch“ bedeutet hier für ihn: Ein ''großer'' Mensch, ein [[Napoléon Bonaparte|Napoleon]], den er als Beispiel einer solchen „erlaubten“ Rücksichtslosigkeit anführt.
 
Er besucht die Alte unter einem Vorwand und erschlägt sie mit einem Beil. Ihrer zufällig erscheinenden Schwester, einer geistig zurückgebliebenen, Unschuld symbolisierenden Person, spaltet er mit dem Beil den Schädel. Nur mit großem Glück kann er unentdeckt entkommen. Seine nervliche Anspannung erlaubt ihm auch nicht, sich des Geldes der Alten zu bemächtigen. Er ist seinen eigenen Ansprüchen, wie er feststellen muss, nicht gewachsen. So fällt er nach vollzogener Tat in einen mehrtägigen fiebrigen Dämmerzustand, er ist nicht der Mensch ohne Gewissen, der er zu sein glaubte. Außerdem hat ihn die Mordtat verändert: Wenngleich Raskolnikow mit seinem Verbrechen unentdeckt geblieben ist, empfindet er als Doppelmörder die gesellschaftliche Abspaltung innerlich nun umso schmerzhafter.
 
Nach dem Mord findet er keine Ruhe mehr, selbst seine eigene Mutter verwirft er. So dauert es nicht lange, bis er vom Ermittlungsrichter Porfirij als Schuldiger erkannt wird, obwohl dieser Raskolnikows Täterschaft nicht zu beweisen vermag. Beiden, dem Täter wie dem Ermittler, ist dies bewusst, auch wenn es nicht offen ausgesprochen wird. Stattdessen steigert sich das intellektuelle Gefecht zwischen den Widersachern zu einem subtilen psychologischen Spiel, welches Raskolnikow, wiewohl er nach dem äußerlichen Stand der Untersuchungen beruhigt sein könnte, immer mehr in die Enge treibt. Die gläubige Sofja Semjonowna, welche er kennen und später auch lieben lernt, rät ihm schließlich, sich zu stellen, um für seine Sünden zu „bezahlen“. Raskolnikow, der selbst schon etliche Male den Gang zur Polizei erwogen und wieder verworfen hat, stellt sich tatsächlich.
 
Im [[Nachwort|Epilog]] wird die achtjährige Haft Raskolnikows in einem sibirischen [[Arbeitslager]] als geradezu physiologische, langwierige, auf der intensiven Erfahrung der Zeit beruhende Befreiung von der Vergangenheit in Petersburg entworfen. Am Ende des Romans entdeckt er seine Liebe zur (mitgereisten) Sofja, was in der Erzählung mit Auferstehungsmetaphern einhergeht. Auf die vieldiskutierte Frage, ob Raskolnikow am Ende zum christlichen Glauben findet, gibt der Roman jedoch keine eindeutige Antwort. Im letzten Absatz wird eine mögliche Fortsetzung der Geschichte angedeutet, die Dostojewski allerdings nie verfasst hat.
 
=== Nebenhandlungen ===
Enger als in anderen Romanen Dostojewskis sind Haupt- und Nebenhandlungen personell und thematisch aufeinander bezogen. So hat der Autor verschiedene auf Awdotja und Sonja bezogene Parallel- bzw. Kontrasthandlungen eingebaut, welche die Schuld- und Sühne-Thematik ergänzen:
 
Sofja (Sonja) ernährt durch Prostitution ihre Familie, weil ihr Vater Semjon Sacharowitsch Marmeladow als Alkoholiker seinen Aufgaben nicht nachkommt, mehrmals seine Anstellungen verliert, alle Wertgegenstände und sogar seine Uniform versetzt, seine zweite Frau Katerina und deren Kinder Polja, Kolja und Lida immer wieder durch seine nicht eingehaltenen Versprechungen enttäuscht, schließlich betrunken von einer Kutsche überrollt wird und an seinen Verletzungen stirbt. Raskolnikow erblickt hier eine für ihn paradigmatisch-desolate Situation des armen Volkes.
 
Während Raskolnikow durch Sonjas Liebe neuen Lebensmut erhält, kann seine Schwester Awdotja (Dunja) beim Gutsbesitzer Arkadij Iwanowitsch Swidrigailow diese Erlöserrolle nicht spielen. Während ihrer Beschäftigung als Gouvernante ist sie von dem in sie verliebten Hausherrn umworben worden, der sich von ihr die Rettung aus seinem sündigen Leben, vor allem seiner [[Pädophilie|pädophilen]] bzw. [[Parthenophilie|parthenophilen]] Neigung erhofft hat. In seinen Alpträumen erscheint ihm das von ihm missbrauchte 14-jährige Mädchen, das sich nach der Tat wegen der erlittenen Schande ertränkt hat (6. Teil, 6. Kapitel). Als Sühne versucht er seine Neigung mit finanziellen Wohltaten zu kompensieren. So verlobt er sich nach der, wie kolportiert wird, Vergiftung seiner Frau Marfa mit einer 15-Jährigen, die ihn durch ihr Madonnengesichtchen fasziniert, nachdem er den reich bezahlten Segen der Eltern erhalten hat (6/4). Auch unterstützt er Sonja nach dem Tod Marmeladows und seiner von ihrem Unglück in den Wahnsinn getriebenen Frau Katerina und bezahlt die Unterbringung der Kinder in einem Waisenhaus. Awdotjas Zuneigung will er dadurch erreichen, dass er ihr die durch ein belauschtes Gespräch Rodions mit Sonja erfahrene Wahrheit über Rodions Verbrechen mitteilt und anbietet, ihm zur Flucht ins Ausland zu verhelfen, wenn sie seine Frau wird. Sie lehnt seinen Antrag ab (6/5), da sie Rodions Freund Dmitri Rasumichin liebt, und er erschießt sich in seiner Hoffnungslosigkeit (6/6). Raskolnikow sucht vor seinem Geständnis einen ähnlichen Ausweg, als er über eine Newa-Brücke geht, kann sich aber nicht zum Selbstmord entschließen und folgt Sofjas Rat (6/7).
 
Sofja und Dunja sind nicht nur durch Rodion miteinander verbunden, sondern durch eine zweite Person: Der Advokat Pjotr Petrowitsch Lushin verlobt sich durch Marfa Swidrigailowas Vermittlung – sie will damit eine Rivalin in einer Ehe unterbringen – mit Dunja, die als armes Mädchen von ihm abhängig sein wird und deren Dankbarkeit er als Grundlage seiner Ehe erwartet. Als sie sich, auch auf den Rat ihres den zukünftigen Schwager durchschauenden Bruders hin, von ihm trennt, will er ihr die moralische Verkommenheit ihres Bruders beweisen, da dieser trotz eigener finanzieller Probleme Sofjas entwurzelter Familie hilft und deren sozial geächtete Tochter wegen ihrer Aufopferung für ihre Verwandten verehrt. Lushin lockt Sofja in eine Falle und beschuldigt sie des Diebstahls. Sein Komplott scheitert jedoch durch die Aussage des Zeugen Andrei Lebesjätnikow (5/3). Der bei dieser Entlarvung anwesende Raskolnikow sieht sich in seiner Kritik an einer unmoralischen, ungerechten Gesellschaft bestätigt, von der er seine Tat unterschieden wissen will und die deshalb nicht berechtigt ist, über ihn zu richten. Solche Erfahrungen sind ein wesentlicher Grund dafür, dass sich der Protagonist lange weigert, sich der Justiz zu stellen.
 
== Interpretation ==
=== Raskolnikows Ideologie ===
Raskolnikow ist anfangs eine „quasi-ideologische“ Figur, weil er seine Ideen und Vorstellungen von ''Sein und Welt'' über die Wirklichkeit selbst stellt. Vom eigenen Genie überzeugt, veröffentlicht er in einer Literaturzeitschrift einen Artikel, in dem er den ''außergewöhnlichen'' Menschen Rechte über die ''gewöhnlichen'' Menschen einräumt. Seine These gipfelt in der Behauptung, außergewöhnliche Menschen hätten das Recht und die moralische Pflicht, die gewöhnlichen Menschen zu ihren höheren Zwecken zu gebrauchen.
 
Raskolnikow verwirft die Welt, da sie ihm unvollkommen erscheint. Erst durch sein eigenes ideelles Scheitern aufgrund seines Gewissenskonfliktes wird er schließlich fähig, mit Hilfe von Sofja einen unvoreingenommeneren Blick auf die Wirklichkeit zu werfen und sie als das zu entdecken, was sie laut Dostojewski ist: komplexer, humaner – von Raskolnikow abgesehen – und damit reicher als seine Ideale.
 
=== Autobiografische Reminiszenzen ===
Dostojewski stand in den 1840er-Jahren zunächst atheistischen, sozialrevolutionären Ideen und Kreisen nahe. Dafür verhaftet und zum Tode verurteilt, kam er in ein sibirisches Gefangenenlager und musste dann den Militärdienst ableisten. In diesem Gefangenenlager kam Dostojewski in den Besitz eines [[Wikipedia:Neues Testament|Neuen Testaments]], welches er nun aufmerksam studierte. Nach seiner Gefangenschaft vollzog sich der Wandel vom atheistisch zweifelnden [[Wikipedia:Revolution|Revolutionär]] zum [[Wikipedia:Christentum|Christen]]. Raskolnikows Wandlung ist das Abbild dieser Wandlung Dostojewskis.
 
Die Figuren Marmeladow und dessen Frau Katerina Iwanowna tragen Züge von Dostojewskis erster Ehefrau [[Wikipedia:Marija Dmitrijewna Dostojewskaja|Marija Dmitrijewna Dostojewskaja]] und ihres ersten Ehemannes Alexander Iwanowitsch Issajew.<ref>{{Literatur | Autor=Kenneth A. Lantz | Titel=The Dostoevsky Encyclopedia | TitelErg= | Auflage= | Verlag=Greenwood Press | Ort= | Jahr=2004 | ISBN=0-313-30384-3 | Seiten=103‒106 }} ({{Google Buch|BuchID=XfDOcmJisn0C |Seite=|Linktext=eingeschränkte Online-Version|Land= }})</ref>
 
=== Bedeutung der Namen ===
Wie auch in anderen Romanen Dostojewskis tragen die Wurzeln der im Roman benutzten Namen oft eine [[Wikipedia:Sprechende Namen|sprechende Bedeutung]]:
 
* ''Raskol''nikow von ''{{lang|ru|расколоть}} = zerspalten, knacken'' (s. a. die [[Wikipedia:Raskolniki|Raskolniki]], hier spezifischer „[[Wikipedia:Schisma|Schismatiker]]“ zu übersetzen, genannten russischen Altgläubigen)
* Semjon ''Sachar''owitsch ''Marmelad''ow von ''Marmelade'' und ''{{lang|ru|сахар}} = Zucker''
* ''Lusch''in von ''{{lang|ru|луженый}} = verzinnt''
* ''Rasum''ichin von ''{{lang|ru|разум}} = Verstand''
* ''Lebes''jatnikow von ''{{lang|ru|лебезить}} = scharwenzeln''
* ''Kapernaum''ow: Schneider, bei dem Sofja Semjonowna wohnt; bezieht sich auf die Glaubensstärke des [[Wikipedia:hauptmann von Kapernaum|Hauptmann von Kapernaum]]
 
== Entstehungsgeschichte ==
Dostojewski begann die Arbeit an ''Schuld und Sühne'' im Spätsommer 1865 während eines Auslandsaufenthalts, als er sich aufgrund seiner [[Wikipedia:Spielsucht|Spielsucht]] in einer prekären finanziellen Situation befand. Vor dieser Auslandsreise hatte er mit seinem Verleger einen Vertrag abgeschlossen, der diesem gegen einen Vorschuss von 3000 Rubeln die Exklusivrechte an einer dreibändigen Werkausgabe zusicherte und Dostojewski darüber hinaus verpflichtete, bis zum 1. November 1866 einen neuen Roman vorzulegen. Hätte Dostojewski diese Frist nicht eingehalten, wäre sein Verleger berechtigt gewesen, alle Werke der kommenden neun Jahre ohne Zahlung eines Honorars zu veröffentlichen. Da die Fertigstellung von ''Schuld und Sühne'' während dieser Zeit nicht gelang, unterbrach Dostojewski die Arbeit am Roman zwischenzeitlich, um den kürzeren Roman ''[[Der Spieler]]'' einzuschieben, den er innerhalb von 26 Tagen fertigstellte. Nach dieser Unterbrechung wandte er sich wieder ''Schuld und Sühne'' zu, den er Ende 1866 fertigstellte.<ref>Maximillian Braun: ''Dostojewskij – Das Gesamtwerk als Vielfalt und Einheit'', Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen (1976), S. 105 f.</ref>
 
Die ersten Skizzen zu ''Schuld und Sühne'' stammen aus dem September 1865 und unterscheiden sich in einigen Punkten wesentlich von der Endfassung. So bediente sich Dostojewski anfangs Raskolnikows als [[Wikipedia:Ich-ERzähler|Ich-Erzähler]], erst später wechselte er zu einer Erzählperspektive in der dritten Person. Die gesamte Figurengruppe um Sofja und Marmeladows Familie tritt noch nicht auf, ebenso die Figuren Swidrigajlow und Porfirij und damit das „psychologische Duell“ zwischen Raskolnikow und dem Untersuchungsrichter. In der ursprünglichen Form des Manuskripts stellt sich der Mörder allein deshalb, weil er dem psychischen Druck nicht standhält; Beweise gegen ihn liegen nicht vor. Auch Raskolnikows Motive für den Mord änderten sich im Laufe der Arbeit am Manuskript: in der Anfangsfassung geht es ihm allein darum, Geld zu erbeuten, um seine Familie zu unterstützen, während der Zusammenhang mit politischen Ideen erst im weiteren Verlauf von Dostojewskis Arbeit auftritt. Dadurch resultierende Inkonsequenzen in der Erklärung von Raskolnikows Motiven lassen sich noch in der veröffentlichten Endfassung finden.<ref>Maximillian Braun: ''Dostojewskij – Das Gesamtwerk als Vielfalt und Einheit'', Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen (1976), S. 117 ff.</ref>
 
== Siehe auch ==
 
* {{WikipediaDE|Schuld und Sühne}}
 
== Verfilmungen ==
* 1910 – ''Prestuplenje i nakasanje'' – Regie: Wassili Gontscharow (Russland)
* 1913 – ''Prestuplenje i nakasanje'' – Regie: Iwan Wronski (Russland)
* 1917 – ''Raskolnikov'' – Regie: Alfréd Deésy (Ungarn)
* 1923 – [[Wikipedia:Raskolnikow (1923)|''Raskolnikow'']] – Regie: Robert Wiene (Deutschland)
* 1935 – [[Wikipedia:Schuld und Sühne (1935, USA)|Schuld und Sühne]] ''(Crime and punishment)'' – Regie: Josef von Sternberg – mit Peter Lorre, Edward Arnold und Marian Marsh (USA)
* 1935 – [[Wikipedia:Schuld und Sühne (1935, Frankreich)|Schuld und Sühne]] ''(Crime et châtiment)'' – Regie: Pierre Chenal (Frankreich)
* 1945 – ''Brott och straff'' – Regie: Erik Faustman (Schweden)
* 1956 – Schuld und Sühne ''(Crime et châtiment)'' – Regie: Georges Lampin – mit Jean Gabin (Frankreich)
* 1962 – ''Raskolnikoff'' – Regie Hermann Wenninger – mit Oskar Werner, Fernsehfilm, Musik Bernd Scholz (BRD)
* 1970 – [[Wikipedia:Schuld und Sühne (1970)|Schuld und Sühne]] ''(Prestuplenje i nakasanje)'' – Regie: Lew Kulidschanow (Sowjetunion)
* 1983 – Crime and Punishment ''(Rikos ja rangaistus)'' – Regie: Aki Kaurismäki (Finnland)
* 1988 – Schuld und Sühne ''(Crime et châtiment)'' – Regie: Andrzej Wajda (BRD)
* 1991 – ''Das Geständnis'' (TV-Serienfolge Novak) – Regie: Bernd Schadewald (BRD)
* 1994 – ''Sin compasión'' (Ohne Erbarmen) – Regie: Francisco J. Lombardi (Peru)
* 1998 – Schuld und Sühne ''(Crime and punishment)'' – Regie: Joseph Sargent – (mit Patrick Dempsey, Ben Kingsley und Julie Delpy) (USA/Ungarn)
* 2000 – Crime and Punishment – Du sollst nicht töten ''(Crime and punishment)'' – Regie: Menahem Golan (mit Crispin Glover, Vanessa Redgrave und John Hurt) (USA)
* 2002 – ''Crime and Punishment'' – Regie: Julian Jarrold (GB)
* 2007 – ''Prestuplenje i nakasanje'' – Regie: Dmitri Swetosarow (Russland)
 
== Hörspiele ==
* 1949: ''Schuld und Sühne'' (4 Teile) – Regie: Walter Ohm, mit Peter Lühr, Ernst Schlott, Maria Nicklisch, Marianne Kehlau, Carl Wery, Else Wolz, Bum Krüger (BR)
* 1949: ''Raskolnikow'' – Regie: Kurt Strehlen, mit Gert Westphal,  Wolfgang Dohnberg, Trudik Daniel, Ursula Noack, Friedrich W. Bauschulte (RB)
* 1958: ''Raskolnikoff'' – Regie: Curt Goetz-Pflug, mit Paul Edwin Roth, Hans Stiebner, Heinz Giese, Arnold Marquis, Elsa Wagner (SFB)
* 1960: ''Raskolnikoff'' (6 Teile) – Regie: Raoul Wolfgang Schnell, mit Siegfried Wischnewski (Erzähler), Klaus Kammer, Wolfgang Forester, Gustl Halenke, Ernst Ginsberg (WDR)
* 1962: ''Raskolnikoff'' (in einer Bearbeitung von Leopold Ahlsen) – Regie: Hermann Wenninger, mit Oskar Werner, Heinz Klevenow, Cordula Trantow, Karl Michael Vogler, Fritz Rasp (BR)
 
== Übersetzungen ins Deutsche ==
Die Titel der jeweiligen Übersetzungen beziehen sich auf die Erstausgabe.
Spätere Ausgaben der gleichen Übersetzung wurden teilweise unterschiedlich betitelt.
 
* Wilhelm Henckel als ''Raskolnikow'', nach der 4. russ. Aufl., 1. dt. Aufl., 3 Bde., Leipzig: Wilhelm Friedrich, 1882
* Wilhelm Henckel als ''Raskolnikow'', nach der 5. russ. Aufl., 2. dt. Aufl. Leipzig: Friedrich, 1887 dazu eine Rez. von 1887 [http://cgi-host.uni-marburg.de/~omanz/forschung/modul_main.php?f_mod=Th16I]
* Hans Moser (ca. 1888) als ''Raskolnikow’s Schuld und Sühne''
* Paul Styczynski (ca. 1891) als ''Schuld und Sühne''
* E. K. Rahsin (1906) als ''Schuld und Sühne'' ISBN 3-492-04002-0
* Adam Kotulski (ca. 1907) als ''Raskolnikow oder: Schuld und Sühne''
* Michael Feofanoff (ca. 1908) als ''Rodion Raskolnikoff''
* Hermann Röhl (1912) als ''Schuld und Sühne'' ISBN 3-15-002481-1
* Alexander Eliasberg (1921) als ''Verbrechen und Strafe''
* Gregor Jarcho (1924) als ''Verbrechen und Strafe''
* Bernhard Dedek (1925), Übersetzung und Bearbeitung, als ''Raskolnikow. Schuld und Sühne''
* Werner Bergengruen (1925) als ''Schuld und Sühne''
* Valeria Lesowsky (ca. 1930) als ''Raskolnikow (Schuld und Sühne)''
* Alexander Eliasberg (1948) als ''Schuld und Sühne''
* Fega Frisch (1952 oder früher) als ''Schuld und Sühne''
* Richard Hoffmann (vor 1960) als ''Schuld und Sühne'' ISBN 3-538-06910-7
* Benita Girgensohn (1963) als ''Schuld und Sühne''
* Swetlana Geier (1964) als ''Raskolnikov – Schuld und Sühne''
* Brigitte Klaas (1980) als ''Schuld und Sühne'' ISBN 3-442-07531-9
* Margit und Rolf Bräuer (1994) als ''Schuld und Sühne'' ISBN 978-3-7466-6102-5
* Swetlana Geier (1994) als ''Verbrechen und Strafe'' ISBN 3-250-10174-5 und ISBN 3-596-12997-4
 
== Weblinks ==
* [[Wikipedia:Projekt Gutenberg-DE|Projekt Gutenberg]]: [http://gutenberg.spiegel.de/dostojew/schuldsu/toc.htm Deutsche Übersetzung in elektronischer Form] (Übers. Röhl)
* {{Zeno-Werk|Literatur/M/Dostoevskij,+F%C3%ABdor+Michajlovi%C4%8D/Romane/Verbrechen+und+Strafe+(Schuld+und+S%C3%BChne)|Verbrechen und Strafe}}, deutsche Übersetzung von 1924 (Übers. Eliasberg)
 
== Einzelnachweise ==
<references/>
 
{{Normdaten|TYP=w|GND=4099168-4|VIAF=186311337}}
 
{{SORTIERUNG:Schuld und Suhne}}
[[Kategorie:Literarisches Werk]]
[[Kategorie:Dostojewski]]
 
{{Wikipedia}}

Version vom 18. August 2017, 00:30 Uhr

Raskolnikow und Marmeladow. Illustration von Michail Petrowitsch Klodt, 1874.

Schuld und Sühne (russisch Преступление и наказание), in älteren Übersetzungen auch Raskolnikow, in neueren Verbrechen und Strafe, ist der 1866 erschienene erste große Roman von Fjodor Dostojewski. Der Roman wurde, während Dostojewski laufend weitere Kapitel schrieb, als Feuilletonroman in 12 Fortsetzungen in der Monatszeitschrift Russki Westnik veröffentlicht, beginnend Ende Januar 1866[1] und endend im Dezember 1866.

Titel

Der russische Originaltitel des Romans, Prestuplenije i nakasanie (Преступление и наказание), lässt sich nicht exakt ins Deutsche übertragen. Der geläufigste Übersetzungstitel Schuld und Sühne trifft mit seiner stark moralischen Orientierung jedoch nicht die russischen Termini, die eher aus dem juristischen Sprachgebrauch stammen. Genauer ist die Übersetzung als Verbrechen und Strafe, die aber wiederum den durchaus vorhandenen ethischen Gehalt der russischen Begriffe nicht ganz erfasst. Dieser Titel wurde nach Alexander Eliasberg 1921 unter anderem von Swetlana Geier in ihrer viel beachteten Neuübersetzung von 1994 verwendet, als mögliche Alternativen nennt Geier die Worte Übertretung und Zurechtweisung. In anderen Sprachen wie dem Englischen, Französischen, Spanischen und Polnischen wurde dagegen der Titel Verbrechen und Strafe schon immer bevorzugt verwendet (Crime and punishment, Crime et châtiment, Crimen y castigo bzw. Zbrodnia i kara). Der Roman wurde im Deutschen teilweise auch unter dem Namen seiner Hauptfigur, Rodion Raskolnikow, herausgegeben.

Handlung

Haupthandlung

Schauplatz des Romans ist Sankt Petersburg um 1860. Protagonist ist der bitterarme, aber überdurchschnittlich begabte ehemalige Jura-Student Rodion Romanowitsch Raskolnikow. Die Mischung aus Armut und Überlegenheitsdünkel spaltet ihn zunehmend von der Gesellschaft ab. Unter dem Eindruck eines von ihm zufällig belauschten Wirtshausgesprächs entwickelt er die Idee eines „erlaubten Mordes“, die seine Theorie „von den ‚außergewöhnlichen‘ Menschen, die im Sinne des allgemein-menschlichen Fortschritts natürliche Vorrechte genießen“, zu untermauern scheint. Er selbst sieht sich als solchermaßen Privilegierten, der auch in der Situation eines „erlaubten Verbrechens“ Ruhe und Übersicht zu wahren weiß.

Diesem Selbstanspruch stehen die bedrückenden, beengten äußeren Umstände entgegen. Raskolnikows Kleidung ist zerlumpt und er haust in einem Zimmer von sargähnlicher Enge. Die prekäre finanzielle Situation zwingt ihn, sich an jene alte wucherische Pfandleiherin zu wenden, der sein Mordplan längst gilt. Diese ist für ihn nur eine geizige und herzlose Alte, die allein dafür lebt, ein immer größeres Vermögen zusammenzuraffen, um es für ihr Seelenheil zu verwenden – das Vermögen soll nach ihrem Tod der Kirche zufallen. Für Raskolnikow ist sie der Inbegriff einer „Laus“, einer wertlosen Person, über deren Leben die wirklich großen Menschen hinweggehen dürfen.

Dieser Weltanschauung verhaftet, verfestigt sich in Raskolnikow die Vorstellung des Mordes an der Pfandleiherin immer mehr, bis er schließlich, veranlasst durch einen Brief seiner Mutter über das ungerechte Los seiner Schwester, zu dem zwanghaften Entschluss kommt, tätig zu werden. Später kaschiert er seine inneren Widerstände, welche ihn während der gesamten Ausführung begleiten, durch ideologische Motive. So berichtet er Sofja Semjonowna Marmeladowa, genannt Sonja, einem jungen Mädchen, welches sich auf Grund von Geldnöten ihrer Familie prostituiert: „Ich wollte damals erfahren, so schnell wie möglich erfahren, ob ich eine Laus bin, wie alle, oder ein Mensch.“ „Ein Mensch“ bedeutet hier für ihn: Ein großer Mensch, ein Napoleon, den er als Beispiel einer solchen „erlaubten“ Rücksichtslosigkeit anführt.

Er besucht die Alte unter einem Vorwand und erschlägt sie mit einem Beil. Ihrer zufällig erscheinenden Schwester, einer geistig zurückgebliebenen, Unschuld symbolisierenden Person, spaltet er mit dem Beil den Schädel. Nur mit großem Glück kann er unentdeckt entkommen. Seine nervliche Anspannung erlaubt ihm auch nicht, sich des Geldes der Alten zu bemächtigen. Er ist seinen eigenen Ansprüchen, wie er feststellen muss, nicht gewachsen. So fällt er nach vollzogener Tat in einen mehrtägigen fiebrigen Dämmerzustand, er ist nicht der Mensch ohne Gewissen, der er zu sein glaubte. Außerdem hat ihn die Mordtat verändert: Wenngleich Raskolnikow mit seinem Verbrechen unentdeckt geblieben ist, empfindet er als Doppelmörder die gesellschaftliche Abspaltung innerlich nun umso schmerzhafter.

Nach dem Mord findet er keine Ruhe mehr, selbst seine eigene Mutter verwirft er. So dauert es nicht lange, bis er vom Ermittlungsrichter Porfirij als Schuldiger erkannt wird, obwohl dieser Raskolnikows Täterschaft nicht zu beweisen vermag. Beiden, dem Täter wie dem Ermittler, ist dies bewusst, auch wenn es nicht offen ausgesprochen wird. Stattdessen steigert sich das intellektuelle Gefecht zwischen den Widersachern zu einem subtilen psychologischen Spiel, welches Raskolnikow, wiewohl er nach dem äußerlichen Stand der Untersuchungen beruhigt sein könnte, immer mehr in die Enge treibt. Die gläubige Sofja Semjonowna, welche er kennen und später auch lieben lernt, rät ihm schließlich, sich zu stellen, um für seine Sünden zu „bezahlen“. Raskolnikow, der selbst schon etliche Male den Gang zur Polizei erwogen und wieder verworfen hat, stellt sich tatsächlich.

Im Epilog wird die achtjährige Haft Raskolnikows in einem sibirischen Arbeitslager als geradezu physiologische, langwierige, auf der intensiven Erfahrung der Zeit beruhende Befreiung von der Vergangenheit in Petersburg entworfen. Am Ende des Romans entdeckt er seine Liebe zur (mitgereisten) Sofja, was in der Erzählung mit Auferstehungsmetaphern einhergeht. Auf die vieldiskutierte Frage, ob Raskolnikow am Ende zum christlichen Glauben findet, gibt der Roman jedoch keine eindeutige Antwort. Im letzten Absatz wird eine mögliche Fortsetzung der Geschichte angedeutet, die Dostojewski allerdings nie verfasst hat.

Nebenhandlungen

Enger als in anderen Romanen Dostojewskis sind Haupt- und Nebenhandlungen personell und thematisch aufeinander bezogen. So hat der Autor verschiedene auf Awdotja und Sonja bezogene Parallel- bzw. Kontrasthandlungen eingebaut, welche die Schuld- und Sühne-Thematik ergänzen:

Sofja (Sonja) ernährt durch Prostitution ihre Familie, weil ihr Vater Semjon Sacharowitsch Marmeladow als Alkoholiker seinen Aufgaben nicht nachkommt, mehrmals seine Anstellungen verliert, alle Wertgegenstände und sogar seine Uniform versetzt, seine zweite Frau Katerina und deren Kinder Polja, Kolja und Lida immer wieder durch seine nicht eingehaltenen Versprechungen enttäuscht, schließlich betrunken von einer Kutsche überrollt wird und an seinen Verletzungen stirbt. Raskolnikow erblickt hier eine für ihn paradigmatisch-desolate Situation des armen Volkes.

Während Raskolnikow durch Sonjas Liebe neuen Lebensmut erhält, kann seine Schwester Awdotja (Dunja) beim Gutsbesitzer Arkadij Iwanowitsch Swidrigailow diese Erlöserrolle nicht spielen. Während ihrer Beschäftigung als Gouvernante ist sie von dem in sie verliebten Hausherrn umworben worden, der sich von ihr die Rettung aus seinem sündigen Leben, vor allem seiner pädophilen bzw. parthenophilen Neigung erhofft hat. In seinen Alpträumen erscheint ihm das von ihm missbrauchte 14-jährige Mädchen, das sich nach der Tat wegen der erlittenen Schande ertränkt hat (6. Teil, 6. Kapitel). Als Sühne versucht er seine Neigung mit finanziellen Wohltaten zu kompensieren. So verlobt er sich nach der, wie kolportiert wird, Vergiftung seiner Frau Marfa mit einer 15-Jährigen, die ihn durch ihr Madonnengesichtchen fasziniert, nachdem er den reich bezahlten Segen der Eltern erhalten hat (6/4). Auch unterstützt er Sonja nach dem Tod Marmeladows und seiner von ihrem Unglück in den Wahnsinn getriebenen Frau Katerina und bezahlt die Unterbringung der Kinder in einem Waisenhaus. Awdotjas Zuneigung will er dadurch erreichen, dass er ihr die durch ein belauschtes Gespräch Rodions mit Sonja erfahrene Wahrheit über Rodions Verbrechen mitteilt und anbietet, ihm zur Flucht ins Ausland zu verhelfen, wenn sie seine Frau wird. Sie lehnt seinen Antrag ab (6/5), da sie Rodions Freund Dmitri Rasumichin liebt, und er erschießt sich in seiner Hoffnungslosigkeit (6/6). Raskolnikow sucht vor seinem Geständnis einen ähnlichen Ausweg, als er über eine Newa-Brücke geht, kann sich aber nicht zum Selbstmord entschließen und folgt Sofjas Rat (6/7).

Sofja und Dunja sind nicht nur durch Rodion miteinander verbunden, sondern durch eine zweite Person: Der Advokat Pjotr Petrowitsch Lushin verlobt sich durch Marfa Swidrigailowas Vermittlung – sie will damit eine Rivalin in einer Ehe unterbringen – mit Dunja, die als armes Mädchen von ihm abhängig sein wird und deren Dankbarkeit er als Grundlage seiner Ehe erwartet. Als sie sich, auch auf den Rat ihres den zukünftigen Schwager durchschauenden Bruders hin, von ihm trennt, will er ihr die moralische Verkommenheit ihres Bruders beweisen, da dieser trotz eigener finanzieller Probleme Sofjas entwurzelter Familie hilft und deren sozial geächtete Tochter wegen ihrer Aufopferung für ihre Verwandten verehrt. Lushin lockt Sofja in eine Falle und beschuldigt sie des Diebstahls. Sein Komplott scheitert jedoch durch die Aussage des Zeugen Andrei Lebesjätnikow (5/3). Der bei dieser Entlarvung anwesende Raskolnikow sieht sich in seiner Kritik an einer unmoralischen, ungerechten Gesellschaft bestätigt, von der er seine Tat unterschieden wissen will und die deshalb nicht berechtigt ist, über ihn zu richten. Solche Erfahrungen sind ein wesentlicher Grund dafür, dass sich der Protagonist lange weigert, sich der Justiz zu stellen.

Interpretation

Raskolnikows Ideologie

Raskolnikow ist anfangs eine „quasi-ideologische“ Figur, weil er seine Ideen und Vorstellungen von Sein und Welt über die Wirklichkeit selbst stellt. Vom eigenen Genie überzeugt, veröffentlicht er in einer Literaturzeitschrift einen Artikel, in dem er den außergewöhnlichen Menschen Rechte über die gewöhnlichen Menschen einräumt. Seine These gipfelt in der Behauptung, außergewöhnliche Menschen hätten das Recht und die moralische Pflicht, die gewöhnlichen Menschen zu ihren höheren Zwecken zu gebrauchen.

Raskolnikow verwirft die Welt, da sie ihm unvollkommen erscheint. Erst durch sein eigenes ideelles Scheitern aufgrund seines Gewissenskonfliktes wird er schließlich fähig, mit Hilfe von Sofja einen unvoreingenommeneren Blick auf die Wirklichkeit zu werfen und sie als das zu entdecken, was sie laut Dostojewski ist: komplexer, humaner – von Raskolnikow abgesehen – und damit reicher als seine Ideale.

Autobiografische Reminiszenzen

Dostojewski stand in den 1840er-Jahren zunächst atheistischen, sozialrevolutionären Ideen und Kreisen nahe. Dafür verhaftet und zum Tode verurteilt, kam er in ein sibirisches Gefangenenlager und musste dann den Militärdienst ableisten. In diesem Gefangenenlager kam Dostojewski in den Besitz eines Neuen Testaments, welches er nun aufmerksam studierte. Nach seiner Gefangenschaft vollzog sich der Wandel vom atheistisch zweifelnden Revolutionär zum Christen. Raskolnikows Wandlung ist das Abbild dieser Wandlung Dostojewskis.

Die Figuren Marmeladow und dessen Frau Katerina Iwanowna tragen Züge von Dostojewskis erster Ehefrau Marija Dmitrijewna Dostojewskaja und ihres ersten Ehemannes Alexander Iwanowitsch Issajew.[2]

Bedeutung der Namen

Wie auch in anderen Romanen Dostojewskis tragen die Wurzeln der im Roman benutzten Namen oft eine sprechende Bedeutung:

  • Raskolnikow von расколоть = zerspalten, knacken (s. a. die Raskolniki, hier spezifischer „Schismatiker“ zu übersetzen, genannten russischen Altgläubigen)
  • Semjon Sacharowitsch Marmeladow von Marmelade und сахар = Zucker
  • Luschin von луженый = verzinnt
  • Rasumichin von разум = Verstand
  • Lebesjatnikow von лебезить = scharwenzeln
  • Kapernaumow: Schneider, bei dem Sofja Semjonowna wohnt; bezieht sich auf die Glaubensstärke des Hauptmann von Kapernaum

Entstehungsgeschichte

Dostojewski begann die Arbeit an Schuld und Sühne im Spätsommer 1865 während eines Auslandsaufenthalts, als er sich aufgrund seiner Spielsucht in einer prekären finanziellen Situation befand. Vor dieser Auslandsreise hatte er mit seinem Verleger einen Vertrag abgeschlossen, der diesem gegen einen Vorschuss von 3000 Rubeln die Exklusivrechte an einer dreibändigen Werkausgabe zusicherte und Dostojewski darüber hinaus verpflichtete, bis zum 1. November 1866 einen neuen Roman vorzulegen. Hätte Dostojewski diese Frist nicht eingehalten, wäre sein Verleger berechtigt gewesen, alle Werke der kommenden neun Jahre ohne Zahlung eines Honorars zu veröffentlichen. Da die Fertigstellung von Schuld und Sühne während dieser Zeit nicht gelang, unterbrach Dostojewski die Arbeit am Roman zwischenzeitlich, um den kürzeren Roman Der Spieler einzuschieben, den er innerhalb von 26 Tagen fertigstellte. Nach dieser Unterbrechung wandte er sich wieder Schuld und Sühne zu, den er Ende 1866 fertigstellte.[3]

Die ersten Skizzen zu Schuld und Sühne stammen aus dem September 1865 und unterscheiden sich in einigen Punkten wesentlich von der Endfassung. So bediente sich Dostojewski anfangs Raskolnikows als Ich-Erzähler, erst später wechselte er zu einer Erzählperspektive in der dritten Person. Die gesamte Figurengruppe um Sofja und Marmeladows Familie tritt noch nicht auf, ebenso die Figuren Swidrigajlow und Porfirij und damit das „psychologische Duell“ zwischen Raskolnikow und dem Untersuchungsrichter. In der ursprünglichen Form des Manuskripts stellt sich der Mörder allein deshalb, weil er dem psychischen Druck nicht standhält; Beweise gegen ihn liegen nicht vor. Auch Raskolnikows Motive für den Mord änderten sich im Laufe der Arbeit am Manuskript: in der Anfangsfassung geht es ihm allein darum, Geld zu erbeuten, um seine Familie zu unterstützen, während der Zusammenhang mit politischen Ideen erst im weiteren Verlauf von Dostojewskis Arbeit auftritt. Dadurch resultierende Inkonsequenzen in der Erklärung von Raskolnikows Motiven lassen sich noch in der veröffentlichten Endfassung finden.[4]

Siehe auch

Verfilmungen

  • 1910 – Prestuplenje i nakasanje – Regie: Wassili Gontscharow (Russland)
  • 1913 – Prestuplenje i nakasanje – Regie: Iwan Wronski (Russland)
  • 1917 – Raskolnikov – Regie: Alfréd Deésy (Ungarn)
  • 1923 – Raskolnikow – Regie: Robert Wiene (Deutschland)
  • 1935 – Schuld und Sühne (Crime and punishment) – Regie: Josef von Sternberg – mit Peter Lorre, Edward Arnold und Marian Marsh (USA)
  • 1935 – Schuld und Sühne (Crime et châtiment) – Regie: Pierre Chenal (Frankreich)
  • 1945 – Brott och straff – Regie: Erik Faustman (Schweden)
  • 1956 – Schuld und Sühne (Crime et châtiment) – Regie: Georges Lampin – mit Jean Gabin (Frankreich)
  • 1962 – Raskolnikoff – Regie Hermann Wenninger – mit Oskar Werner, Fernsehfilm, Musik Bernd Scholz (BRD)
  • 1970 – Schuld und Sühne (Prestuplenje i nakasanje) – Regie: Lew Kulidschanow (Sowjetunion)
  • 1983 – Crime and Punishment (Rikos ja rangaistus) – Regie: Aki Kaurismäki (Finnland)
  • 1988 – Schuld und Sühne (Crime et châtiment) – Regie: Andrzej Wajda (BRD)
  • 1991 – Das Geständnis (TV-Serienfolge Novak) – Regie: Bernd Schadewald (BRD)
  • 1994 – Sin compasión (Ohne Erbarmen) – Regie: Francisco J. Lombardi (Peru)
  • 1998 – Schuld und Sühne (Crime and punishment) – Regie: Joseph Sargent – (mit Patrick Dempsey, Ben Kingsley und Julie Delpy) (USA/Ungarn)
  • 2000 – Crime and Punishment – Du sollst nicht töten (Crime and punishment) – Regie: Menahem Golan (mit Crispin Glover, Vanessa Redgrave und John Hurt) (USA)
  • 2002 – Crime and Punishment – Regie: Julian Jarrold (GB)
  • 2007 – Prestuplenje i nakasanje – Regie: Dmitri Swetosarow (Russland)

Hörspiele

  • 1949: Schuld und Sühne (4 Teile) – Regie: Walter Ohm, mit Peter Lühr, Ernst Schlott, Maria Nicklisch, Marianne Kehlau, Carl Wery, Else Wolz, Bum Krüger (BR)
  • 1949: Raskolnikow – Regie: Kurt Strehlen, mit Gert Westphal, Wolfgang Dohnberg, Trudik Daniel, Ursula Noack, Friedrich W. Bauschulte (RB)
  • 1958: Raskolnikoff – Regie: Curt Goetz-Pflug, mit Paul Edwin Roth, Hans Stiebner, Heinz Giese, Arnold Marquis, Elsa Wagner (SFB)
  • 1960: Raskolnikoff (6 Teile) – Regie: Raoul Wolfgang Schnell, mit Siegfried Wischnewski (Erzähler), Klaus Kammer, Wolfgang Forester, Gustl Halenke, Ernst Ginsberg (WDR)
  • 1962: Raskolnikoff (in einer Bearbeitung von Leopold Ahlsen) – Regie: Hermann Wenninger, mit Oskar Werner, Heinz Klevenow, Cordula Trantow, Karl Michael Vogler, Fritz Rasp (BR)

Übersetzungen ins Deutsche

Die Titel der jeweiligen Übersetzungen beziehen sich auf die Erstausgabe. Spätere Ausgaben der gleichen Übersetzung wurden teilweise unterschiedlich betitelt.

  • Wilhelm Henckel als Raskolnikow, nach der 4. russ. Aufl., 1. dt. Aufl., 3 Bde., Leipzig: Wilhelm Friedrich, 1882
  • Wilhelm Henckel als Raskolnikow, nach der 5. russ. Aufl., 2. dt. Aufl. Leipzig: Friedrich, 1887 dazu eine Rez. von 1887 [1]
  • Hans Moser (ca. 1888) als Raskolnikow’s Schuld und Sühne
  • Paul Styczynski (ca. 1891) als Schuld und Sühne
  • E. K. Rahsin (1906) als Schuld und Sühne ISBN 3-492-04002-0
  • Adam Kotulski (ca. 1907) als Raskolnikow oder: Schuld und Sühne
  • Michael Feofanoff (ca. 1908) als Rodion Raskolnikoff
  • Hermann Röhl (1912) als Schuld und Sühne ISBN 3-15-002481-1
  • Alexander Eliasberg (1921) als Verbrechen und Strafe
  • Gregor Jarcho (1924) als Verbrechen und Strafe
  • Bernhard Dedek (1925), Übersetzung und Bearbeitung, als Raskolnikow. Schuld und Sühne
  • Werner Bergengruen (1925) als Schuld und Sühne
  • Valeria Lesowsky (ca. 1930) als Raskolnikow (Schuld und Sühne)
  • Alexander Eliasberg (1948) als Schuld und Sühne
  • Fega Frisch (1952 oder früher) als Schuld und Sühne
  • Richard Hoffmann (vor 1960) als Schuld und Sühne ISBN 3-538-06910-7
  • Benita Girgensohn (1963) als Schuld und Sühne
  • Swetlana Geier (1964) als Raskolnikov – Schuld und Sühne
  • Brigitte Klaas (1980) als Schuld und Sühne ISBN 3-442-07531-9
  • Margit und Rolf Bräuer (1994) als Schuld und Sühne ISBN 978-3-7466-6102-5
  • Swetlana Geier (1994) als Verbrechen und Strafe ISBN 3-250-10174-5 und ISBN 3-596-12997-4

Weblinks

Einzelnachweise

  1. in Brief # 273 vom 18. Februar 1866 an Baron Wrangel schreibt Dostojewskij: "Vor zwei Wochen ist der erste Teil meines Romans im ersten Januarheft des "Russki Wjestnik" erschienen. Er heißt: Verbrechen und Strafe". Ich habe schon viele entzückte Äußerungen darüber gehört."  David A. Lowe (Hrsg.): Dostoevsky Letters. Bd. 2, 1860–1867, Ardis, Ann Arbor 1990 (Brief # 273 vom 18. Februar 1866).; Brief # 273 teilw. auch auf dt. in  René Fülöp-Miller, Friedr. Eckstein (Hrsg.): Raskolnikoffs Tagebuch. Mit unbekannen Entwürfen Fragmenten und Briefen zu "Raskolnikoff" und "Idiot". Piper, München 1928, S. 120.
  2.  Kenneth A. Lantz: The Dostoevsky Encyclopedia. Greenwood Press, 2004, ISBN 0-313-30384-3, S. 103‒106. (eingeschränkte Online-Version in der Google Buchsuche)
  3. Maximillian Braun: Dostojewskij – Das Gesamtwerk als Vielfalt und Einheit, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen (1976), S. 105 f.
  4. Maximillian Braun: Dostojewskij – Das Gesamtwerk als Vielfalt und Einheit, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen (1976), S. 117 ff.


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